R 0004/20 (Überprüfungsantrag) 26-09-2022
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Adsorptionstrocknungsvorrichtung sowie Adsorptionstrocknungsverfahren
Rechtliches Gehör - Verletzung (nein)
Gelegenheit zur Stellungnahme - Aktive Rolle der Parteien
Überprüfungantrag als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen
I. Der von der Beschwerdeführerin eingereichte Überprüfungsantrag betrifft die Entscheidung T 1102/15 vom 24. September 2019, mit der die Beschwerdekammer 3.3.02 (im Weiteren "die Kammer") die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Widerruf des Patents zurückgewiesen hat.
II. Mit dem fristgemäß eingereichten und begründeten Überprüfungsantrag rügt die Antragstellerin gemäß Artikel 112a (2) c) EPÜ einen während des Beschwerdeverfahrens aufgetretenen schwerwiegenden Verstoß gegen Artikel 113 (1) EPÜ.
III. Der schriftlichen Entscheidung ist zu entnehmen, dass die Kammer zur Schlussfolgerung gelangt ist, dass die Anspruchsgegenstände des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 nicht neu gegenüber der Offenbarung von Dokument D8 seien, und der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 4 gegenüber der Offenbarung von Dokument D8 zwar neu sei, jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Lehre von Dokument D8 beruhe. Weiterhin wurden die Hilfsanträge 5 bis 9 nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen (Hilfsantrag 3 wurde während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer zurückgenommen).
Insbesondere im Hinblick auf den Anspruchsgegenstand
des Hilfsantrags 4 hat die Beschwerdekammer folgenderweise entschieden (vgl. Punkt 4.4.4 der Entscheidungsgründe):
"Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass eine
Anpassung des Stroms zur Adsorptionskammer an
abweichende Eingangsströme auch durch Drosseln und
Bypässe realisiert werden könne (X, supra). Die
Beschwerdeführerin bestritt während der mündlichen
Verhandlung jedoch nicht, dass alle drei Möglichkeiten
- Druckanpassung durch Steuerung der Drehzahl, Drosseln
oder Bypässe - allgemein bekannte und gängige
Möglichkeiten der Druckanpassung darstellen. Die
anspruchsgemäße Steuerung der Drehzahl der
Druckerhöhungseinrichtung stellt daher lediglich eine
zufällige Auswahl aus untereinander äquivalenten
allgemein bekannten Möglichkeiten dar. Eine solche
willkürliche Auswahl kann die erfinderische Tätigkeit
jedoch nicht begründen.
Die Kammer kommt somit zum Schluss, dass der Gegenstand
des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen
Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ).
Der Hilfsantrag 4 ist daher nicht gewährbar."
IV. Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass im Hinblick auf die Überprüfung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Hilfsantrags 4, der für sie von entscheidender Bedeutung gewesen sei, die Beschwerdekammer ihre Entscheidung nicht auf Gründe gestützt hätte, zu denen sich die Patentinhaberin äußern konnte. Die Antragstellerin trägt vor, es sei zwar während der mündlichen Verhandlung darüber diskutiert worden, dass eine Einstellbarkeit des Stroms zur Adsorptionskammer mit unterschiedlichen technischen Mitteln realisiert werden könne (bzw. durch Drosseln, Bypass-Lösungen oder die Steuerung der Drehzahl), und dass die genannten Mittel im Einverständnis mit den Parteien als allgemein bekannte und gängige Möglichkeiten der Druckanpassung darstellten.
Jedoch sei nicht diskutiert worden, inwieweit diese oben erwähnten Lösungen untereinander "technisch äquivalent" seien oder deren Einsatz eine zufällige Auswahl aus untereinander äquivalenten Möglichkeiten darstellen könnten. Dazu hat die Antragstellerin zusätzlich eine eidesstattliche Erklärung von Herrn A. Fredenhagen eingereicht.
Die Antragstellerin macht weiterhin geltend, dass es fraglich sei, nach welchen Kriterien etwas als "technisch äquivalent" betrachtet werden dürfe und wie der Begriff der Äquivalenz in Bezug auf Artikel 69 EPÜ bzw. des Auslegungsprotokolls zu Artikel 69 EPÜ zu definieren sei.
Zusätzlich macht die Antragstellerin geltend, dass die Entscheidung technisch falsch begründet sei.
V. In ihrer Besetzung gemäß Regel 109 (2) a) EPÜ hat die Große Beschwerdekammer eine Mitteilung gemäß Artikel 13 und 14(2) VOGBK erlassen und die Antragstellerin zu einer mündlichen Verhandlung geladen.
Die Große Beschwerdekammer hat der Antragstellerin mitgeteilt, dass sie der vorläufigen Meinung sei, dass der Überprüfungsantrag als offensichtlich unbegründet zu verwerfen sei. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 13. Mai 2022 zu dieser Mitteilung Stellung genommen.
VI. Die mündliche Verhandlung fand am 26. September 2022 statt.
Die Antragstellerin beantragte,
- die Entscheidung T 1102/15 aufzuheben und
- die Wiedereröffnung des Verfahrens anzuordnen, sowie die Mitglieder der Beschwerdekammer, die an dieser Entscheidung mitgewirkt haben, zu ersetzen.
Zusätzlich beantragte sie, die Rückzahlung der Überprüfungsgebühr anzuordnen.
Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Große Beschwerdekammer ihre Entscheidung.
1. Zulässigkeitsvoraussetzung des Überprüfungsantrags -Rügepflicht nach Regel 106 EPÜ
1.1 Gemäß dem in Regel 106 EPÜ erhaltenen Zulässigkeits-erfordernis ist der Überprüfungsantrag nur dann zulässig, wenn der behauptete Mangel während des Beschwerdeverfahrens beanstandet worden ist und die Beschwerdekammer den Einwand zurückgewiesen hat, es sei denn der Beteiligte war nicht in der Lage, den Einwand schon im Beschwerdeverfahren zu erheben.
1.2 Die Antragstellerin macht geltend, dass der Einwand einen Mangel betrifft, der erst mit der Zustellung der schriftlichen Entscheidung und in Kenntnis der schriftlichen Begründung der Entscheidung erkennbar wurde. Infolgedessen sei die Antragstellerin nicht in der Lage gewesen, den Einwand schon in der mündlichen Verhandlung gemäß Regel 106 EPÜ zu erheben.
1.3 Die Große Beschwerdekammer ist zur Auffassung gelangt, dass die Antragstellerin nicht in der Lage war, ihren Einwand geltend zu machen, bevor sie von der schriftlichen Begründung der Entscheidung Kenntnis genommen hatte. Der von der Antragstellerin begründete Überprüfungsantrag wird deshalb nicht als offensichtlich unzulässig betrachtet, zumal auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen offensichtlich vorliegen.
2. Begründetheit des Überprüfungsantrags
2.1 Es wird von der Antragstellerin nicht bestritten, dass während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer die verschiedenen Möglichkeiten einer Druckanpassung und die Einstellbarkeit des Stroms zur Adsorptionskammer (bzw. durch Drosseln, Bypass-Lösungen oder die Steuerung der Drehzahl) diskutiert wurden (Überprüfungsantrag, S. 4, Rdnr. [6]). Jedoch trägt die Antragstellerin vor, dass sie nicht die Gelegenheit gehabt hätte, während der mündlichen Verhandlung vorzutragen, dass diese Mittel nicht als "technisch äquivalent" betrachtet werden können und dass die Einsetzung einer Steuerung nicht auf einer willkürlichen Auswahl beruhe, weshalb insoweit ihr rechtliches Gehör verletzt worden sei. Nach Ansicht der Antragstellerin wäre bei der Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit bezüglich der anspruchsgemäßen Steuerung der Drehzahl der Druckerhöhungseinrichtung lediglich die "wirtschaftliche Verfügbarkeit" bzw. "Marktgängigkeit" der aufgezählten Lösungsmöglichkeiten der zentrale Punkt gewesen, und nicht deren "technische Äquivalenz".
2.2 Die Große Beschwerdekammer stellt fest, dass, obwohl schon im schriftlichen Beschwerdeverfahren dazu vorgetragen wurde, dass Druckerhöhungseinrichtungen mit einer Steuerung der Drehzahl handelsüblich seien - d.h. die drei oben erwähnten bekannten technischen Mittel dem Fachmann zur Verfügung stünden -, nie von der Antragstellerin in Frage gestellt wurde, dass diese Mittel nicht gleichwertig eingesetzt werden könnten oder, dass ausschließlich nur eine Art der Steuerung der Drehzahl in Betracht kommen könne.
Aus der in der Entscheidung der Beschwerdekammer aufgestellten und von der Antragstellerin als zutreffend bestätigten Zusammenfassung der Argumente der Beschwerdeführerin (nunmehrige Antragstellerin) (S. 9, Punkt X, vorletzter Absatz) geht zum einen hervor, dass die Antragstellerin die Tatsache nicht bestritten hat, dass "eine Anpassung des Gesamtstroms zur Adsorptionskammer an abweichende Eingasströme auch durch Drosseln und Bypässe realisiert werden" könne. Zum anderen zeigt die Zusammenfassung des Beschwerdevorbringens der Antragstellerin, dass sie im Rahmen der Diskussion über die dem Fachmann verfügbaren technischen Mittel zur Stromregelung geltend gemacht hat, dass die Steuerung der Drehzahl der Druckerhöhungseinrichtung dem Fachmann nicht naheliege und deshalb die Anpassung des Gesamtstroms zur Absorptionskammer durch eine Drehzahlvariation nach Ansicht der Antragstellerin auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Damit waren nach dem von der Beschwerdekammer festgestellten wechselseitigen Parteivorbringen der Antragstellerin alle für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchsgegenstandes gemäß dem Hilfsantrag 4 entscheidungserheblichen Aspekte bekannt. Entgegen dem Vorbringen der Antragstellerin im vorliegenden Überprüfungsverfahren legen diese Feststellungen es objektiv nahe, dass die Antragstellerin etwaige aus ihrer Sicht bestehende wesentliche Unterschiede zwischen den oben erwähnten technischen Mittel (Steuerung der Drehzahl, Drosselung und Bypässe) ihrerseits ausführlich geltend machen konnte.
2.3 Auch die Tatsache, dass das Protokoll über die mündliche Verhandlung nicht im Detail alle vorgetragenen Argumente wiedergibt, ist kein Indiz dafür, dass die Parteien nicht die Gelegenheit hatten, zu allen wesentlichen Aspekte des Falls vorzutragen und gehört zu werden (siehe dazu R 20/09, Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe).
Die Große Beschwerdekammer bemerkt, dass es keinen Hinweis darauf gibt, dass die Antragstellerin nicht die Gelegenheit hatte, während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer ausführlich dazu vorzutragen, welche Unterschiede es zwischen den dem Fachmann verfügbaren technischen Mitteln zur Stromregelung gab, deren Nachteile oder Vorteile, und warum der Fachmann ausschließlich nur eine Steuerung der Drehzahl bevorzugt hätte.
Die von der Antragstellerin im vorliegenden Überprüfungsverfahren eingereichte eidesstattliche Erklärung von Herrn Fredenhagen erwähnt nur, dass er keine Diskussion während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer betreffend der Unterschiede unter den vorhandenen Mittel zur Drehzahlregelung oder deren Auswahl "miterlebt" habe. Daraus lässt sich jedoch nicht eindeutig folgern, dass die Antragstellerin überhaupt nicht die Gelegenheit gehabt hätte, eine solche Diskussion zumindest während der mündlichen Verhandlung zu führen.
Nach ständiger Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer ist eine Beschwerdekammer nicht dazu verpflichtet, während der mündlichen Verhandlung alle Gründe, die zur ihrer Entscheidung führen, den Parteien ausführlich zu nennen. Diese sind Bestandteil der schriftlichen Begründung einer Entscheidung (siehe R 1/08, Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe; R 15/12, Punkt 5 der Entscheidungsgründe). Von der Tatsache, dass eine Beschwerdekammer nach der Diskussion und den Vorträgen der Parteien ihre eigene Schlüsse zieht, um zu einer Entscheidung zu gelangen, kann nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geschlossen werden (siehe R 19/11, Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe).
2.4 Die Große Beschwerdekammer weist zusätzlich darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer die Parteien (im vorliegenden Fall, die Antragstellerin) und ihre Vertreter für die Vertretung und Präsentation ihres Falles verantwortlich sind, und es ihre Aufgabe ist, die notwendigen Argumente zur Unterstützung ihres Falles von sich aus und zu gegebener Zeit vorzulegen (siehe R 1/17, Punkt 6 der Entscheidungsgründe) und die dort zitierten Entscheidungen. Es obliegt deshalb den Parteien, einen Punkt, den sie für relevant halten, anzusprechen und - gegebenenfalls mit einem formalen Antrag - auf seiner Behandlung zu bestehen.
Da nach Auffassung der Antragstellerin die Unterschiede zwischen den oben erwähnten technischen Mitteln zur Stromregelung angeblich von höchster Bedeutung waren und auch keineswegs gleichgestellt werden sollten (bzw. nicht als untereinander "äquivalent" bzw. "gleichartig" betrachtet werden sollen), hatte die Antragstellerin durchaus Anlass und Möglichkeit, diesen angeblich wichtigen Sachverhalt während der Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit des Anspruchsgegenstands von Hilfsantrag 4 zu erörtern und die Beschwerdekammer darauf ausdrücklich aufmerksam zu machen. Insbesondere hatte sie sehr wohl die Gelegenheit, darzulegen, warum die anspruchsgemäße Steuerung der Drehzahl der Druckerhöhungseinrichtung keine naheliegende Auswahl aus einer Reihe bekannter und gleichartiger Möglichkeiten sei.
Die Große Beschwerdekammer ist deshalb der Überzeugung, dass es keinen Grund und keinen Beleg dafür gibt, zu bezweifeln, dass die Antragstellerin nicht in der Lage gewesen wäre, oder von der Beschwerdekammer gar davon abgehalten worden wäre, ihren Fall ausführlich zu allen wesentlichen Aspekten vorzutragen.
2.5 Die Antragstellerin hat zusätzlich vorgetragen, dass die Entscheidung technisch falsch begründet und zumindest "äußerst dürftig untermauert" sei. Nach Auffassung der Antragstellerin liege es auf der Hand, dass die drei erwähnten Möglichkeiten "mitnichten zueinander technisch äquivalent sind" (Überprüfungsantrag, S. 7, Rdnr. [17]).
Die Große Beschwerdekammer bemerkt jedoch, dass diese Argumente dazu führten, die Entscheidung auf ihre technische Begründetheit zu überprüfen, was die Zuständigkeit der Großen Beschwerdekammer im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach Artikel 112a EPÜ überschritte (siehe R 16/12, Punkte 4.2 und 4.7 der Entscheidungsgründe; R 8/20, Punkt 3.4 der Entscheidungsgründe).
2.6 Die Große Beschwerdekammer gelangt deshalb zur Überzeugung, dass das rechtliche Gehör der Antragstellerin nicht verletzt wurde und deshalb der Überprüfungsantrag als offensichtlich unbegründet zu verwerfen ist (Regel 109 (2) a) EPÜ).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Antrag auf Überprüfung wird einstimmig als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.