T 0638/00 18-09-2001
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Gleitringdichtungsanordnung
Erfinderische Tätigkeit (ja)
Zurückweisung nach erster Stellungnahme des Anmelders - wesentlicher Verfahrensmangel (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (nein)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 27. März 2000 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Anmeldung 97 10 1446.9 (EP-A-0 790 446) wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückzuweisen. Als Stand der Technik waren folgende Druckschriften genannt worden:
D1: GB-A-2 286 020
D2: US-A-4 466 619
D3: US-A-5 217 234
D4: GB-A-2 268 235
D5: US-A-3 746 349.
Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 in seiner ursprünglich eingereichten Fassung durch eine Kombination der Lehren der D1 und der D2 nahegelegt werde. Der Anmelderin war diese Auffassung der Prüfungsabteilung in einem Bescheid vom 25. März 1999 mitgeteilt worden. Nachdem die Anmelderin diese Mitteilung mit Schreiben vom 11. Juni 1999 erwidert hatte, erließ die Prüfungsabteilung die Entscheidung über die Zurückweisung.
II. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin am 11. Mai 2000 unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 23. Juni 2000 eingereicht worden. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf Basis der Ansprüche 1 bis 8 in der ursprünglich eingereichten Fassung zu erteilen. Sie machte geltend, daß der Erlaß der Zurückweisungsentscheidung nach nur einmaliger Möglichkeit zur Stellungnahme der Anmelderin einen wesentlichen Verfahrensmangel darstelle und beantragte aus diesem Grund die Rückzahlung der Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ.
III. In Beantwortung eines Zwischenbescheids der Kammer gemäß Artikel 12 VOBK beantragte die Beschwerdeführerin die Erteilung eines Patents mit folgenden Unterlagen:
Beschreibung:
Seite 1 eingereicht mit Schreiben vom 11. Juni 1999
Seiten 2, 3 eingereicht mit Schreiben vom 27. März 2001
Seiten 4 bis 9 in der ursprünglichen Fassung;
Ansprüche:
1. bis 8 in der ursprünglichen Fassung;
Zeichnungen:
Blatt 1/1 in der ursprünglichen Fassung.
IV. Der geltende Anspruch 1 lautet:
"Gleitringdichtungsanordnung zur Abdichtung eines rotierenden gegenüber einem stationären Bauteil, mit wenigstens einem Paar zusammenwirkender abdichtender Gleitringe (4,5), von denen einer drehunbeweglich gegenüber dem stationären und der andere zur gemeinsamen Drehung mit dem rotierenden Bauteil montierbar ist, wobei zwischen dem rotierenden Bauteil und dem drehunbeweglichen Gleitring ein Ringraum (8) definiert ist, dessen radiale Abmessung zwischen einem Bereich mit minimaler und einem umfänglich dazu versetzten Bereich mit maximaler Abmessung divergiert, und mit einer Einrichtung (9,11;12,13) zum Einlaß einer Pufferflüssigkeit in den Ringraum an oder nahe bei dessen Bereich mit maximaler radialer Abmessung und zum Auslaß der Pufferflüssigkeit aus dem Ringraum an oder nahe bei dessen Bereich mit minimaler radialer Abmessung, gekennzeichnet durch wenigstens eine längs wenigstens eines axialen, zum Ringraum (8) ausgerichteten Bereiches im rotierenden Bauteil (1) vorgesehene förderwirksame Ausnehmung (20) zur Unterstützung einer Strömung der Pufferflüssigkeit längs des Ringraumes von der Ein- zur Auslasseinrichtung (9,11;12,13)."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 betreffen bevorzugte Ausführungsbeispiele des Gegenstands des Anspruchs 1.
V. Die Prüfungsabteilung hat die Entscheidung über die Zurückweisung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Merkmale des Oberbegriffs des Anspruchs 1 seien aus D1 bekannt und der Gegenstand des Anspruchs unterscheide sich somit davon durch die kennzeichnenden Merkmale. Durch diese unterschiedlichen Merkmale werde die objektive Aufgabe gelöst, eine verbesserte Strömung der Pufferflüssigkeit und damit eine verbesserte Kühl- und Schmierwirkung zu schaffen. Aus D2 seien die unterschiedlichen Merkmale zur Lösung der gleichen Aufgabe bekannt und es sei daher für den Fachmann naheliegend, diese Merkmale in die Anordnung gemäß D1 aufzunehmen. Insbesondere seien die Maßnahmen gemäß D2 zur Induzierung einer Strömung in der Anordnung gemäß D1 anwendbar, ohne dabei ansonsten etwas ändern zu müssen.
Hinsichtlich des Verfahrens liege es gemäß T 201/98 im Ermessen der Prüfungsabteilung, eine Patentanmeldung auch nach einem einzigen Prüfungsbescheid zurückzuweisen. Die Aktenlage entspreche einem Sonderfall im Sinne der Richtlinien C-VI, 4.3.
VI. Die Anmelderin hat im wesentlichen argumentiert, daß die verschiedenen aus D1 und D2 bekannten Maßnahmen zur Induzierung einer Strömung als gleichwertige Alternativen anzusehen sind, die der Fachmann nicht kombinieren würde. Die Merkmale des Oberbegriffs seien aus D1 bekannt. Hiervon ausgehend bestehe die durch die kennzeichnenden Merkmale gelöste Aufgabe darin, eine verbesserte Kühl- und Schmierwirkung zu erzielen, indem Verstopfungen des exzentrischen Ringraums durch aus der Pufferflüssigkeit ausgeschiedene Gase vermieden werden. Das Problem des Ausscheidens der Gase sei in D2 nicht erwähnt.
Der Erlaß der Entscheidung über die Zurückweisung nach nur einmaliger Möglichkeit der Stellungnahme der Anmelderin sei weder sachgerecht noch eine verfahrensökonomische Behandlung der Sache. Das Interesse des Amtes an einer zügigen Erledigung des Prüfungsverfahrens könne nicht dazu führen, daß dieses ohne ausreichende Auseinandersetzung mit dem Anmelder abgekürzt werde.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Beschreibungsseiten 2, 3 wurden lediglich redaktionell geändert, weshalb sich eine Prüfung der Änderungen im Lichte des Artikels 123 (2) EPÜ erübrigt. Weil die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 nicht in Frage steht, ist lediglich die erfinderische Tätigkeit zu prüfen.
3. Die Prüfungsabteilung stimmt mit der Beschwerdeführerin dahingehend überein, daß der nächstliegende Stand der Technik aus D1 bekannt ist, die alle Merkmale des Oberbegriffs des geltenden Anspruchs 1 offenbart. Aus D1 ist eine Gleitringdichtungsanordnung zur Abdichtung eines rotierenden Bauteils 2 gegenüber einem stationären Bauteil 3 bekannt. Es ist wenigstens ein Paar zusammenwirkender abdichtender Gleitringe 7, 17 vorgesehen, von denen einer (7) drehunbeweglich gegenüber dem stationären und der andere (17) zur gemeinsamen Drehung mit dem rotierenden Bauteil montierbar ist. Zwischen dem rotierenden Bauteil und dem drehunbeweglichen Gleitring 7 ist ein Ringraum definiert (Seite 6, Zeilen 1, 2), dessen radiale Abmessung zwischen einem Bereich mit minimaler und einem umfänglich dazu versetzten Bereich mit maximaler Abmessung divergiert (Seite 6, letzter Absatz, Figur 5). Die Gestaltung der Oberfläche des rotierenden Bauteils 2 innerhalb des Ringraums wird nicht erwähnt. Die Anordnung weist ferner eine Einrichtung 43, 44 zum Einlaß einer Pufferflüssigkeit in den Ringraum nahe bei dessen Bereich mit maximaler radialer Abmessung und zum Auslaß der Pufferflüssigkeit aus dem Ringraum nahe bei dessen Bereich mit minimaler radialer Abmessung (Figur 3). Der Durchfluß der Pufferflüssigkeit hängt vom Exzentrizitätsvolumen ab (Seite 3, Zeilen 1, 2).
4. D2 betrifft eine Gleitringdichtungsanordnung zur Abdichtung eines rotierenden Bauteils 12 gegenüber einem stationären Bauteil 11, die sich vom Gegenstand des Oberbegriffs des Anspruchs 1 dadurch unterscheidet, daß der sich zwischen dem drehunbeweglichen Gleitring und dem rotierenden Bauteil befindende Ringraum 56 zu letzterem konzentrisch angeordnet ist. Längs eines axialen, zum Ringraum ausgerichteten Bereiches im rotierenden Bauteil vorgesehene förderwirksame Ausnehmungen 66 dienen dazu, die Pufferflüssigkeit durch den Ringraum und teilweise auch durch einen externen Wärmetäuscher zu pumpen (Spalte 5, Zeilen 46 bis 57; Spalte 6, Zeilen 1 bis 7). Die durch die Anordnung der Ausnehmungen im innerhalb des eng bemessenen Ringraums gelöste Aufgabe ist es, die zur ausreichenden Kühlung und Schmierung notwendige Menge an Pufferflüssigkeit bei kleineren äußeren Abmessungen und ohne eine Hilfspumpe zu erreichen (Spalte 2, Zeilen 13 bis 32).
4.1. Der Ringraum 56 gemäß D2 ist eng bemessen, um eine effiziente Förderung bei minimalen äußeren Abmessungen zu gewährleisten (Spalte 6, Zeilen 20 bis 28; Spalte 7, Zeile 28 "narrow"). Eine ähnlich enge Gestaltung des Ringraums ist gemäß D1 lediglich in dem Bereich zwischen dem Auslaß 44 und dem Einlaß 43 (in Drehrichtung betrachtet) vorhanden, wo zwar eine gewisse Menge Pufferflüssigkeit durchströmt (Seite 2, letzter Absatz) aber entgegen der Hauptrichtung vom Einlaß zum Auslaß. D2 enthält keinen Hinweis auf die Funktion der Ausnehmungen bei einer größeren Abmessung zwischen den rotierenden und stationären Bauteilen. Nach Auffassung der Kammer wird der Fachmann durch D2 nicht angeregt oder veranlaßt, Ausnehmungen im rotierenden Bauteil von D1 anzuordnen, weil die bedingt durch die den Durchfluß bestimmende Exzentrizität größere Abmessung des Ringraums in dem Bereich, wo eine Verbesserung der Durchströmung vom Einlaß zum Auslaß erwünscht ist, dem bewußt eng bemessenen Ringraum gemäß D2 widerspricht. Weiterhin stellt die Kammer fest, daß gemäß der Lehre von D2 die Ausnehmungen keine Verbesserung der Durchströmung erreichen, sondern daß sie allein eine ausreichende Durchströmung sicherstellen. Die Kammer teilt daher die von der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung, daß der Fachmann die verschiedenen Lösungen der Exzentrizität gemäß D1 und der Ausnehmungen gemäß D2 als Alternativen ansieht und nicht kombinieren würde.
4.2. Die Prüfungsabteilung und die Beschwerdeführerin vertreten unterschiedliche Meinungen hinsichtlich der durch den Gegenstand des Anspruchs 1 gelösten Aufgabe. Die Kammer stellt jedoch fest, daß in D2 selbst die von der Prüfungsabteilung breiter gefaßte Aufgabe einer Verbesserung der Durchströmung nicht erwähnt wird, da die Ausnehmungen das einzige Fördermittel bilden. Die verschiedenen Auffassungen der Prüfungsabteilung und der Beschwerdeführerin hinsichtlich der durch den Gegenstand des Anspruchs 1 gelöste Aufgabe brauchen daher nicht weiter behandelt zu werden.
4.3. Der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 wird aus obigen Gründen gegenüber D1 und D2 nicht als naheliegend angesehen.
5. D5 offenbart zwar ebenfalls sämtliche Merkmale des Oberbegriffs des geltenden Anspruchs 1. Eine Kombination der D5 und D2 ist jedoch aus den gleichen Gründen, wie sie für D1 und D2 gelten, nicht naheliegend.
6. Aus D3 sind ebenfalls die kennzeichnenden Merkmale bei einer konzentrischen Anordnung von rotierenden und drehunbeweglichen Bauteilen bekannt. Gemäß dieser Lehre ist ein im sich dazwischen befindenden Ringraum angeordneter Flansch wesentlich (Spalte 3, Zeilen 1-13), aufgrund dessen die mit der exzentrischen Anordnung gemäß D1 verbundene minimale Abmessung nicht erreicht werden kann. Der Flansch ist somit mit der exzentrischen Anordnung gemäß D1 oder D5 nicht kompatibel. D4 ist weniger relevant.
7. Die Kammer kommt daher zum Schluß, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Weil die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 alle Merkmale des Anspruchs 1 enthalten, beruht der Gegenstand dieser Ansprüche ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.
8. Nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA liegt es im Ermessen einer Prüfungsabteilung, eine Anmeldung unmittelbar nach der ersten Stellungnahme des Anmelders zurückzuweisen, unter der Voraussetzung, daß die Entscheidung sich nur auf Gründe und Beweismittel stützt, zu denen der Anmelder sich äußern konnte (siehe u. a. T 161/82, ABl. EPA 1984, 551; T 162/82, ABl. EPA 1987, 533; T 300/89, ABl. EPA 1991, 480). Daß die Prüfungsabteilung der Auffassung war, daß der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 durch eine Kombination der D1 und der D2 nahegelegt werde, wurde dem Anmelder im Bescheid vom 25. März 1999 unter Angabe der Gründe mitgeteilt. In Erwiderung darauf hat der Anmelder zwar dagegen argumentiert, aber die Patentansprüche unverändert aufrechterhalten. Die Prüfungsabteilung war auch unter Berücksichtigung der im Antwortschreiben vom 11. Juni 1999 enthaltenen Ausführungen des Anmelders der Überzeugung, daß die im ersten Bescheid geltend gemachten Einwände immer noch galten und der Erteilung eines Patents entgegenstanden. Es lag in ihrem Ermessen, eine Entscheidung unmittelbar zu erlassen. Die Kammer erkennt im vorliegenden Fall keinen Mißbrauch des Ermessens, und sieht somit keinen Verfahrensfehler. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist daher abzulehnen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent auf der Basis folgender Unterlagen zu erteilen:
Beschreibung:
Seite 1 eingereicht mit Schreiben vom 11. Juni 1999;
Seiten 2, 3 eingereicht mit Schreiben vom 27. März 2001;
Seiten 4 bis 9 in der ursprünglichen Fassung;
Ansprüche:
1. bis 8 in der ursprünglichen Fassung;
Zeichnungen:
Blatt 1/1 in der ursprünglichen Fassung.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.