T 0781/00 21-07-2005
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Verfahren zur Bestimmung des Ladezustands eines Akkumulators
Hauptantrag: unzulässige Änderung (bejaht)
Hilfsantrag: Zurückverweisung zur weiteren Entscheidung (bejaht)
I. Der Beschwerdeführer (Anmelder) legte gegen die am 15. Juli 1999 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 0 787 306 (Anmeldenummer 95934095.1) am 3. August 1999 Beschwerde mit gleichzeitiger Beschwerdebegründung ein. Am selben Tag entrichtete er die Beschwerdegebühr.
II. In der angefochtenen Entscheidung vertrat die Prüfungsabteilung die Auffassung, daß der Gegenstand des ihr vorliegenden Anspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Artikel 123 (2) EPÜ).
III. Am 21. Juli 2005 fand eine mündliche Verhandlung statt. Der Beschwerdeführer beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der als Hauptantrag in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 bis 9 oder der als Hilfsantrag in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 bis 7 zu erteilen.
IV. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 gemäß dem Hauptantrag lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur Bestimmung des Zustands eines Akkumulators, bei dem dieser bis auf eine Restladung entladen ist,
wobei bei dem Verfahren die Betriebszeit eines vom Akkumulator speisbaren Verbrauchers aufsummiert und daraus ein entsprechender Ladezustand des Akkumulators ermittelt und auf einem Display angezeigt wird, und ferner das Erreichen oder Unterschreiten (501) eines bestimmten unteren Schwellwerts der Klemmenspannung des Akkumulators ausgewertet wird,
wobei der diesem Schwellwert der Klemmenspannung entsprechende Ladezustand des Akkumulators nur dann auf einem Display angezeigt wird (503), wenn der aufgrund der aufsummierten Betriebszeit ermittelte Ladezustand des Akkumulators eine bestimmte untere Grenze erreicht oder unterschritten hat (502)."
"2. Verfahren zur Bestimmung des Zustands eines Akkumulators, bei dem dieser bis auf eine Restladung entladen ist,
wobei bei dem Verfahren die Betriebszeit eines vom Akkumulator speisbaren Verbrauchers aufsummiert und daraus ein entsprechender Ladezustand des Akkumulators ermittelt und auf einem Display angezeigt wird, und ferner das Erreichen oder Unterschreiten (601) eines bestimmten unteren Schwellwerts der Klemmenspannung des Akkumulators ausgewertet wird,
wobei der diesem Schwellwert der Klemmenspannung entsprechende Ladezustand des Akkumulators nur dann auf einem Display angezeigt wird (605), wenn der gerade durch den Akkumulator fließende Strom einen bestimmten Grenzwert nicht überschreitet, der der Stromaufnahme des Verbrauchers unter normalen Betriebsbedingungen entspricht (602)."
Die Ansprüche 3-9 des Hauptantrags sind abhängige Ansprüche.
V. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 gemäß dem Hilfsantrag lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur Bestimmung des Ladezustands eines Akkumulators in einem elektrischen Gerät, wobei bei dem Verfahren ab Vollladung des Akkumulators die Betriebszeit eines vom Akkumulator über einen Schalter speisbaren Verbrauchers mit im wesentlichen konstantem Stromverbrauch aufsummiert und daraus ein entsprechender Ladezustand des Akkumulators ermittelt und auf einem Display angezeigt wird, und ferner das Erreichen oder Unterschreiten (501) eines bestimmten unteren Schwellwerts der Klemmenspannung des Akkumulators ausgewertet wird,
wobei der diesem Schwellwert der Klemmenspannung entsprechende Ladezustand des Akkumulators nur dann auf dem Display angezeigt wird (503), wenn der aufgrund der aufsummierten Betriebszeit ermittelte Ladezustand des Akkumulators eine bestimmte untere Grenze erreicht oder unterschritten hat (502)."
"2. Verfahren zur Bestimmung des Ladezustands eines Akkumulators in einem elektrischen Gerät, wobei bei dem Verfahren ab Vollladung des Akkumulators die Betriebszeit eines vom Akkumulator über einen Schalter speisbaren Verbrauchers mit im wesentlichen konstantem Stromverbrauch aufsummiert und daraus ein entsprechender Ladezustand des Akkumulators ermittelt und auf einem Display angezeigt wird, und ferner das Erreichen oder Unterschreiten (601) eines bestimmten unteren Schwellwerts der Klemmenspannung des Akkumulators ausgewertet wird, wobei der diesem Schwellwert der Klemmenspannung entsprechende Ladezustand des Akkumulators nur dann auf dem Display angezeigt wird (605), wenn der bei eingeschaltetem Schalter fließende Strom einen bestimmten Grenzwert nicht überschreitet, der der Stromaufnahme des Verbrauchers unter normalen Betriebsbedingungen entspricht (602)."
Die Ansprüche 3-7 des Hilfsantrags sind abhängige Ansprüche.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag
2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von demjenigen gemäß Anspruch 1 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung inter alia durch die Streichung des Merkmals, daß der Verbraucher vom Akkumulator "über einen Schalter (S)" speisbar ist. Die im Hinblick auf die angefochtene Entscheidung zu klärende Frage ist, ob diese Streichung eine nach Artikel 123 (2) EPÜ unzulässige Änderung der Anmeldung darstellt oder nicht.
2.2 Die Prüfungsabteilung kam in dieser Hinsicht zu dem Schluß, daß der Schalter in der ursprünglichen Offenbarung als wesentlich für das erfindungsgemäße Verfahren dargestellt sei. Bezüglich des Wortlauts des beanspruchten Verfahrens sei damit die Streichung des den Schalter betreffenden Merkmals unzulässig.
2.3 Der Beschwerdeführer vertrat demgegenüber die Auffassung, daß der Schalter für das erfindungsgemäße Verfahren entbehrlich sei. Um die Aufgabe zu lösen, den Ladezustand, insbesondere den Restladezustand, eines Akkumulators auf einfache Weise zu bestimmen, enthalte das erfindungsgemäße Verfahren die wesentlichen Schritte des Aufsummierens der Betriebszeit des Verbrauchers und des Erkennens, ob die Klemmenspannung des Akkumulators einen bestimmten Schwellwert erreicht oder unterschritten habe. In diesem Zusammenhang sei es für den Fachmann klar, daß es auf die einzelnen technischen Mittel, mit denen diese Verfahrensschritte realisiert werden könnten und die ihm bekannt seien, nicht ankomme. Weder das Aufsummieren der Betriebszeit noch das Erkennen der Klemmenspannung setzten die Betätigung eines Schalters voraus. Dies ergebe sich insbesondere daraus, daß der Teil der ursprünglichen Offenbarung, der die Erfindung betreffe, nämlich die Figuren 5-7 mit der zugehörigen Beschreibung, den Schalter überhaupt nicht erwähne. Im Gegenteil, den Figuren 1 und 2, welche Schaltungen zeigten, mit denen das erfindungsgemäße Verfahren realisiert werden könne, entnehme der Fachmann eindeutig, daß unabhängig von der Stellung des Schalters ein Strom vom Akkumulator zu dem Zähler, dem Display und ggf. dem Spannungsdiskriminator fließe. Obwohl gemäß den Figuren 1 und 2 der Verbraucher vom Akkumulator über einen Schalter gespeist werde, sei dem Fachmann klar, daß die Verbindung des Verbrauchers mit dem Akkumulator auch auf andere Weise bewerkstelligt werden könne. So bedürfe z. B. eine elektrisch betriebene Uhr offensichtlich keines solchen Schalters.
Ferner sollte gemäß der Entscheidung T 0802/92 (ABl. EPA, 1995, 379) die Frage der Zulässigkeit der Änderung nicht nur unter dem Gesichtpunkt der Wesentlichkeit des Schalters betrachtet werden, sondern auch unter dem Aspekt, daß das fragliche Merkmal keinen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung leiste.
2.4 Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 betrifft ein Verfahren zur Bestimmung des Ladezustands einer Akkumulatoreinheit mit einem von dieser Einheit "über einen Schalter (S) speisbaren Verbraucher". Es stellt sich die Frage, ob der beanspruchte Gegenstand durch die Streichung des Merkmals "über einen Schalter (S)" über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgeht.
Bezüglich dieses Inhalts hat der Beschwerdeführer selbst vorgetragen, daß jedenfalls der Schritt des Aufsummierens der Betriebszeit des Verbrauchers erfindungswesentlich sei. Der vorliegende Anspruch 1 bestimmt nicht, wie dieser Schritt konkret durchgeführt wird.
Zieht man dafür die ursprüngliche Beschreibung und die Schaltungen gemäß den Figuren 1 und 2 zu Rate, so läßt sich erkennen, daß die Aufsummierung der Betriebszeit nur dann stattfindet, wenn der Verbraucher, d. h. die Last, eingeschaltet ist. Dabei zeigen die Figuren eine Last, die über einen "Ein-/Ausschalter S" (und einen weiteren, jedoch für diese Begründung nicht relevanten elektronischen Schalter) an den Akkumulator geschaltet wird (Seite 7, Zeilen 9-10, der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung). Erst wenn der Schalter (S) eingeschaltet und somit der Verbraucher von der Akkumulatoreinheit gespeist ist, wird auch ein Oszillator gespeist, der Taktimpulse für den Zähler bereitstellt, wodurch der Zähler die Betriebszeit aufsummiert. Dies ermöglicht eine Ladezustandsanzeige auf Zeitbasis, indem ein entsprechendes Display vom Zähler gesteuert wird (Seite 7, Zeilen 13-17). Selbst wenn, wie der Beschwerdeführer zu Recht feststellt, unabhängig von der Stellung des Schalters (S) ein Strom vom Akkumulator zu dem Zähler fließt, kann dieser die Betriebszeit nur dann aufsummieren, wenn auch der Oszillator mit Strom versorgt wird, d. h. wenn der Schalter (S) eingeschaltet ist.
Hieraus ergibt sich, daß der Schalter (S) in direktem Zusammenhang mit dem erfindungswesentlichen Schritt des Aufsummierens der Betriebszeit des Verbrauchers und damit der Lösung der gestellten Aufgabe steht, was durch den ursprünglichen Anspruch 1 bestätigt wird, der in der Tat das den Schalter (S) betreffende Merkmal enthielt. Dies wird durch das Argument des Beschwerdeführers nicht entkräftet, daß der Teil der ursprünglichen Offenbarung, der die eigentliche Erfindung betreffe, nämlich die Figuren 5 bis 7, den Schalter überhaupt nicht erwähne. Die in diesen Figuren dargestellten Ablaufdiagramme zeigen vorteilhafte Weiterbildungen des erfindungsgemäßen Verfahrens, welche die Schritte der Inbetriebnahme des Geräts und der Aufsummierung der Betriebszeit voraussetzen, die eben durch die Betätigung des Schalters (S) gemäß Figuren 1 und 2 erfolgen. Es kann in diesem Zusammenhang auch keine Rolle spielen, ob das erfindungsgemäße Verfahren möglicherweise in verschiedenen elektrischen Geräten, die keines Ein- /Ausschalters bedürfen, Anwendung finden kann. So hat der Beschwerdeführer auf das Beispiel einer elektrisch betriebenen Uhr hingewiesen, bei welcher der Verbraucher nicht über einen Schalter mit der Batterie verbunden sei, wie der Fachmann wisse. Tatsache ist jedoch, daß die ursprüngliche Offenbarung als Geräte für die Anwendung des erfindungsgemäßen Verfahrens lediglich Elektrorasierer und Haarschneider (Seite 6, zweiter Absatz; Seite 8, Zeilen 1-2) erwähnt, also Geräte, die intermittierend betrieben werden und zu diesem Zweck mit einem Ein-/Ausschalter versehen sind. Für eine Erweiterung der Offenbarung auf Geräte ohne einen solchen Schalter fehlt jeder Hinweis.
2.5 Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung zur Untermauerung seiner Argumente auf die Entscheidung T 0802/92 hingewiesen. In dieser Entscheidung ging es um die Frage, ob die Weglassung eines ursprünglich beanspruchten Strukturmerkmals einer Fotodiode in einem neu eingereichten Anspruch für ein Verfahren zu deren Herstellung zulässig sei. In diesem Zusammenhang vertrat die Beschwerdekammer die Auffassung, daß die Weglassung eines ursprünglichen Anspruchsmerkmals, das keinen technischen Beitrag zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung im Sinne der Entscheidung G 0001/93 (ABl. EPA 1994, 541) leiste und dessen Wegfall lediglich den vom Anspruch bestimmten Schutzbereich erweitere, nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße (Leitsatz).
Aus dieser Entscheidung kann jedoch für den vorliegenden Fall nichts abgeleitet werden, da die zugrunde liegenden Sachverhalte nicht vergleichbar sind. Im vorliegenden Fall leistet das den Schalter betreffende Merkmal eben gerade einen technischen Beitrag zu der offenbarten Erfindung, wie vorstehend dargelegt wurde. In anderen Worten ist es für die Ausführung des ursprünglich offenbarten Verfahrens technisch nicht unerheblich, ob das besagte Merkmal vorhanden ist oder nicht. Somit ist die erwähnte Entscheidung im vorliegenden Fall nicht anwendbar.
2.6 Zusammenfassend kommt die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis, daß die Prüfungsabteilung die Streichung des den Schalter betreffenden Merkmals aus dem ursprünglichen Anspruch 1 zu Recht als nicht zulässig angesehen hat, weil die ursprüngliche Offenbarung zu einer solchen Verallgemeinerung keine Grundlage bietet, sondern dieses Merkmal als für das beanspruchte Verfahren wesentlich und damit notwendig erscheinen läßt. Unter diesen Umständen ist der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Gesichtspunkt, wonach die Streichung dieses Merkmals keine Angleichung anderer beanspruchter Merkmale erfordere, nicht mehr entscheidungserheblich.
2.7 Entsprechende Überlegungen gelten für den Anspruch 2.
2.8 Aus den vorstehenden Gründen verstößt die vorgenommene Änderung in den Ansprüchen 1 und 2 gemäß dem Hauptantrag gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.
3. Hilfsantrag
3.1 Das in den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 2 enthaltene Merkmal, daß der Verbraucher vom Akkumulator "über einen Schalter" speisbar ist, wurde wieder in die Ansprüche 1 und 2 gemäß dem Hilfsantrag eingefügt. Bezüglich des Hilfsantrags ist somit die Begründung der angefochtenen Entscheidung gegenstandlos. Die weiteren, vom Beschwerdeführer vorgenommenen Änderungen in den Ansprüchen 1 bis 7 gehen nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ wurde daher Genüge getan.
3.2 Bezüglich des Erfordernisses der Klarheit der geänderten Ansprüche 1 bis 7 gemäß Artikel 84 EPÜ bestehen keine Bedenken.
3.3 Gegenüber dem ursprünglichen Anspruch 3 wurde der Wortlaut des vorliegenden Anspruchs 3 so geändert, daß er nun eindeutig auf die Ansprüche 1 oder 2 zurückbezogen und von diesen abhängig ist. Die im internationalen vorläufigen Prüfungsbericht vom 10. Januar 1997 geäußerten und im Prüfungsbescheid vom 6. Februar 1998 bestätigten Bedenken gegen die Einheitlichkeit der Erfindung (Artikel 82 EPÜ) wurden damit ausgeräumt.
4. Zurückverweisung
Die angefochtene Entscheidung über die Zurückweisung der vorliegenden Anmeldung wurde lediglich damit gegründet, daß der damals geltende Anspruch 1 gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoße. Eine weitere Beurteilung der Patentfähigkeit ist nicht erfolgt. Angesichts dieser Tatsache hält es die Beschwerdekammer für erforderlich, die Sache an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen (Artikel 111 (1), zweiter Satz, zweite Alternative, EPÜ).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2005 überreichten Hilfsantrags (Ansprüche 1-7) an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.