T 0861/01 24-03-2003
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Belustigungsvorrichtung
Konrad Doppelmayr & Sohn Maschinenfabrik Gesellschaft m.b.H. &
Co. KG
Force Engineering Limited
Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
I. Die Beschwerdeführerinnen I und II (Einsprechende I und II) haben gegen die am 31. Mai 2001 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das europäische Patent Nr. 0 820 333 in geändertem Umfang aufrecht erhalten werden kann, jeweils unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr die am 18. Juli 2001 (Beschwerdeführerin I) und die am 31. Juli 2001 (Beschwerdeführerin II) eingegangenen Beschwerden eingelegt. Die Beschwerdebegründungen sind am 18. Juli 2001 (Beschwerdeführerin I) und am 1. Oktober 2001 (Beschwerdeführerin II) eingegangen.
Außerdem haben auch noch die Beschwerdeführer III (Patentinhaber) gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr die am 19. Juli 2001 eingegangene Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung ist am 1. Oktober 2001 eingegangen.
II. Mit den Einsprüchen war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 52. (1), 54 und 56 EPÜ angegriffen worden.
Die Einspruchsabteilung vertrat aber die Auffassung, daß die vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang gemäß dem am 8. Mai 2001 in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag I nicht entgegenstünden.
III. Im Beschwerdeverfahren haben noch folgende Beweismittel eine Rolle gespielt:
D1: US-A-3 885 503
D6: DE-A-2 924 225
D15: US-A-5 277 125
D22: Dr. Peter Rosner, "Linear Motors - Properties and Potential of a New Drive Technology for the Leisure Industry" in Technology in Leisure and Entertainment Conference Proceedings, 1992, Andrich International Ltd., Warminster, pages 110 - 114
D22a: Eidesstattlichen Erklärung von Arthur Richard Edward Curtis vom 3. Mai 2001
D24: Unterlagen zum Beweis einer offenkundigen Vorbenutzung von linearen Induktionsmotoren durch Verkauf von der Beschwerdeführerin II an Euro Disneyland SCA umfassend:
eine eidesstattliche Erklärung (Statutory Declaration) AF(B) von Mr. Alan Foster mit den Anlagen AF(B)1 - AF(B)10
D25: Erklärung (Declaration) von Mr. Roy Vocking vom 16. Januar 2003.
IV. Am 24. März 2003 wurde mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin I war bei der mündlichen Verhandlung nicht vertreten. Gemäß Regel 71 (2) EPÜ wurde das Verfahren ohne sie fortgesetzt.
Die Beschwerdeführerinnen I und II beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin, sowie den Widerruf des Patents (von der Beschwerdeführerin I wurde dieser Antrag mit Schreiben vom 18. Juli 2001 gestellt).
Die Beschwerdeführer III beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt, sowie die Zurückweisung der Beschwerden der Einsprechenden.
V. Der erteilte Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Volksbelustigungsvorrichtung mit mindestens einem Fahrgastträger (2) und mit einer Bremseinrichtung (4), wobei der Fahrgastträger (2) an einem stationären Vorrichtungsteil (3) beweglich angeordnet ist, keinen eigenen Antriebsmotor besitzt und bei der Abwärtsfahrt durch Schwerkraft antreibbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Bremseinrichtung (4) als Wirbelstrombremse ausgebildet ist."
VI. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin II folgendes vorgetragen:
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei aus der Druckschrift D22 vollständig bekannt. Bis auf dasjenige Merkmal, wonach der Fahrgastträger keinen eigenen Antriebsmotor besitze, seien alle weiteren Merkmale dieses Anspruchs explizit in D22 beschrieben. Da dieses Merkmal ein negatives Merkmal darstelle und ursprünglich nicht offenbart gewesen sei (siehe WO-A-96/32172), dürfe es zur Beurteilung der Neuheit aber nicht berücksichtigt werden. Aber selbst wenn es berücksichtigt würde, könnte es keine Neuheit begründen, da die Fahrgastträger der in D22 genannten Volksbelustigungsvorrichtungen üblicherweise keinen eigenen Motor hätten. Dies ginge z. B. auch aus Spalte 1, Zeilen 7 bis 15 des angefochtenen Patents hervor. Dementsprechend seien die Ausführungen auf Seite 114, linke Spalte, Absatz 2 der D22 so zu verstehen, daß das dort beschriebene Bremssystems nicht nur dann zweckmäßig sei, wenn kein Linearmotor, sondern immer dann, wenn überhaupt kein Motor vorliege. Diese Auffassung sei auch durch die Angabe im letzten Absatz der rechten Spalte der Seite 110 der D22 gestützt, wonach die Fahrzeugbewegung durch eine schienengebundene Einrichtung "trackside equipment" gesteuert werde.
Ferner stehe auch die mit D24 dokumentierte Vorbenutzung dem Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich entgegen.
Falls der Gegenstand des Anspruchs 1 dennoch als neu angesehen werden sollte, beruhe er aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend von D22 sei es für den Fachmann nämlich zumindest naheliegend, die daraus bekannte Vorrichtung in Abhängigkeit vom Einsatzgebiet mit Fahrgastträgern ohne eigenen Antriebsmotor auszustatten. Alternativ könne aber auch D1 als diejenige Entgegenhaltung angesehen werden, die den nächsten Stand der Technik offenbare. Hiervon unterscheide sich der Gegenstand nach Anspruch 1 nur noch durch die Verwendung einer Wirbelstrombremse anstatt der in D1 gezeigten mechanischen Bremse. Der Einsatz einer Wirbelstrombremse sei jedoch beispielsweise durch jede der Entgegenhaltungen D6 oder D15 nahegelegt. Außerdem würde auch eine Ausstattung der aus D22 bekannten Vorrichtung mit einer Wirbelstrombremse gemäß D6 oder D15 in naheliegender Weise zum Gegenstand nach Anspruch 1 des angefochtenen Patent führen.
VII. Die Beschwerdeführerin I hat im schriftlichen Verfahren auf die Entgegenhaltungen D1, D6, D15 und D22 verwiesen und in Bezug auf diese Druckschriften im wesentlichen die gleichen Ausführungen gemacht wie die Beschwerdeführerin II.
VIII. Die Beschwerdeführer III haben den Ausführungen der Beschwerdeführerin II widersprochen und haben folgendes vorgetragen:
Das von der Beschwerdeführerin II angesprochene Merkmal, wonach der Fahrgastträger keinen eigenen Antriebsmotor besitze, sei in der in WO-A-96/32172 veröffentlichten Anmeldung beispielsweise auf Seite 2, Zeilen 18 bis 33 offenbart. Daraus gehe nämlich hervor, daß die darin vorgeschlagene Wirbelstrombremse vor allem für Belustigungsvorrichtungen von Vorteil sei, bei denen die Fahrzeuge von der Schwerkraft angetrieben würden und keinen Motor besäßen.
Die auf den Seiten 113 und 114 der D22 im Abschnitt "Braking System" beschriebenen Bremseinrichtungen seien im Zusammenhang mit den vorangehenden Ausführungen zu lesen, die auf eine von einem Linearmotor angetriebene Geisterbahn ("dark ride") gerichtet seien. Wie es aus dem letzten Abschnitt der linken Spalte auf Seite 112 hervorgehe, erfolge das Bremsen hier primär durch eine Umpolung des Stroms, so daß die Antriebskraft des Linearmotors der Fortbewegungsrichtung des Fahrgastträgers entgegengerichtet werde. Die im Abschnitt "Braking System" genannten Bremseinrichtungen seien daher lediglich Hilfsbremsen, die zusätzlich zur Umpolung genutzt würden. Dabei sei die zuerst genannte Zusatzbremse für von Linearmotoren angetriebene Fahrgastträger vorgesehen und die danach genannte Zusatzbremse (siehe Seite 114, linke Spalte, Absatz 2) für von anderen Motoren angetriebene Fahrgastträger. Ein Motor sei bei einer Geisterbahn nämlich grundsätzlich erforderlich. Demgegenüber sei an keiner Stelle der D22 eine Belustigungsvorrichtung mit einem Fahrgastträger offenbart, der keinen eigenen Antriebsmotor besitze. Auch die von der Beschwerdeführerin II genannte Stelle im letzten Absatz der rechten Spalte der Seite 110 der D22 zeige lediglich, daß die Fahrgastträger von einen Linearmotor angetrieben würden.
Der dem Gegenstand nach Anspruch 1 am nächsten kommende Stand der Technik sei in D1 offenbart, die als einzige Entgegenhaltung eine gattungsgemäße Volksbelustigungsvorrichtung offenbare. D22 käme hierfür nicht in Frage, da sie ausschließlich Belustigungsvorrichtungen mit motorgetriebenen Fahrgastträgern betreffe. Ausgehend von D22 liege dem angefochtenen Patent die Aufgabe zugrunde, eine bessere Bremseinrichtung für eine gattungsgemäße Volksbelustigungsvorrichtung aufzuzeigen. Für den gemäß Anspruch 1 zur Lösung dieser Aufgabe vorgesehenen Einsatz einer Wirbelstrombremse gebe es keine Anregung. D6 und D15 seien auf gattungsfremde Einrichtungen gerichtet, so daß sie der Fachmann nicht berücksichtigen würde. Überdies würden sie bestenfalls dazu anregen, eine Wirbelstrombremse für eine von einem Linearmotor angetriebene Vorrichtung vorzusehen.
Folglich sei der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Neuheit
2.1. Aus D22a geht hervor, daß die Druckschrift D22 während der TiLE Konferenz vom 1. bis 3. Juni 1992 in Maastricht an die Teilnehmer dieser Konferenz verteilt wurde und danach über die Andrich International Limited von jedermann käuflich zu erwerben war. Die Beschwerdekammer hat daher keinen Zweifel daran, daß die D22 zum Stand der Technik gehört, der für den vorliegenden Fall zu berücksichtigen ist.
2.1.1. In den Absätzen 5 und 7 der rechten Spalte der Seite 114 offenbart die D22 jeweils eine Volksbelustigungsvorrichtung ("bobslide", "rollercoaster") mit mindestens einem Fahrgastträger ("vehicle") und einer Bremseinrichtung ("braking system"), wobei der Fahrgastträger an einem stationären Vorrichtungsteil ("track") beweglich angeordnet ist und bei der Abwärtsfahrt zwangsläufig auch durch Schwerkraft antreibbar ist. Wie aus dem Absatz 2, der linken Spalte der Seite 114 der D22 hervorgeht, kann die Bremseinrichtung als Wirbelstrombremse ausgebildet sein, wenn der Fahrgastträger nicht von einem Linearmotor angetrieben wird.
Daraus läßt sich aber nicht ableiten, daß der Fahrgastträger überhaupt keinen eigenen Antriebsmotor besitzt. D22 ist eine Veröffentlichung, die grundsätzlich auf den Einsatz von Linearmotoren zum Antrieb und zum Abbremsen von verschiedenen Volksbelustigungsvorrichtungen ("dark-rides", "bobslides") gerichtet ist (siehe Titel und Kurzfassung auf Seite 110). Folglich ist davon auszugehen, daß bei diesen Volksbelustigungsvorrichtungen die Notwendigkeit eines motorischen Antriebs vorausgesetzt wird, da anderenfalls kein Bedarf für Linearmotoren vorhanden wäre. Wenn daher im Absatz 2, der linken Spalte der Seite 114 der D22 der Einsatz einer Wirbelstrombremse vorgeschlagen wird, wenn der Fahrgastträger nicht von einem Linearmotor angetrieben wird, kann dies nur so aufgefaßt werden, daß der Fahrgastträger in diesem Fall von einem anderen Motor als einem Linearmotor angetrieben wird.
2.1.2. Die Behauptung der Beschwerdeführerin II, wonach die Fahrgastträger der in D22 beschriebenen "bobslides" und "rollercoaster" üblicherweise keinen eigenen Motor hätten, ist weder durch den nachgewiesenen Stand der Technik, noch durch das angefochtene Patent selbst belegt. Die Ausführungen in den Zeilen 7 bis 15 der Spalte 1 des angefochtenen Patents beziehen sich offensichtlich auf gattungsgemäße Schienenbahnen, wie Achterbahnen, Fallgerüste, Rampenbahnen, Loopings oder dergleichen. Daraus ist aber lediglich zu entnehmen, daß die gattungsgemäßen Schienenbahnen keinen eigenen Antriebsmotor haben, nicht aber, daß Achterbahnen, Fallgerüste, Rampenbahnen, Loopings oder dergleichen grundsätzlich keinen eigenen Antriebsmotor besitzen. Auch der Hinweis in der D22, daß die Fahrzeugbewegung durch eine schienengebundene Einrichtung gesteuert wird (siehe Seite 110, rechte Spalte, letzter Absatz), ist nicht geeignet nachzuweisen, daß die Fahrgastträger eines "bobslide" bzw. "rollercoaster" üblicherweise keinen eigenen Antriebsmotor besitzen. Dieser Hinweis bezieht sich lediglich auf die Anordnung und Steuerung der Statorelemente des Linearmotors, der gemäß D22 zum Antrieb von Fahrgastträgern einer Volksbelustigungsvorrichtung vorgeschlagen wird. Das bedeutet aber, daß die übrigen Motorelemente des Linearmotors den Fahrgastzellen zugeordnet sind, so daß diese sehr wohl einen eigenen Antriebsmotor besitzen.
2.1.3. Unter Berücksichtigung der vorangehenden Feststellungen ist die Beschwerdekammer davon überzeugt, daß sich der Gegenstand nach Anspruch 1 von den aus D22 bekannten Volksbelustigungsvorrichtungen dadurch unterscheidet, daß dessen mindestens ein Fahrgastträger keinen eigenen Antriebsmotor besitzt.
Die Argumentation der Beschwerdeführerin II, daß dieses Unterscheidungsmerkmal für die Neuheitsprüfung nicht berücksichtigt werden dürfe, weil es ursprünglich nicht offenbart gewesen sei und ein negatives Merkmal darstelle ist nicht überzeugend. Nachdem aus der in WO-A-96/32172 veröffentlichten Anmeldung des angefochtenen Patents zu entnehmen ist, daß die Verwendung einer Wirbelstrombremse vor allem in Belustigungsvorrichtungen von Vorteil ist, bei denen die Fahrzeuge (die offensichtlich die Fahrgastträger bilden) keinen eigenen Motor besitzen, ist das angesprochenen Unterscheidungsmerkmal in der ursprünglichen europäischen Patentanmeldung eindeutig offenbart. Warum ein negatives Merkmal für die Neuheitsprüfung nicht berücksichtigt werden darf, hat die Beschwerdeführerin II nicht dargelegt. Aus dem EPÜ ist jedenfalls keine entsprechende Vorschrift abzuleiten. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, daß das betroffene Merkmal dem Fachmann eine eindeutige technische Lehre vermittelt, nämlich in der beanspruchten Vorrichtung solche Fahrgasträger einzusetzen, die keinen eigenen Motor besitzen.
2.2. D24 zeigt, daß die Beschwerdeführerin II 1990 lineare Induktionsmotoren an Euro Disneyland SCA verkauft und 1991 in Betrieb genommen hat.
Wie aus jeder der D24 und D25 hervorgeht, wurden diese Linearmotoren in einer als "Big Thunder Mountain" bezeichneten Volksbelustigungseinrichtung mit mindestens einem Fahrgastträger und mit einer Bremseinrichtung eingesetzt, wobei der Fahrgastträger an einem stationären Vorrichtungsteil beweglich angeordnet ist, keinen eigenen Antriebsmotor besitzt und bei der Abwärtsfahrt durch Schwerkraft antreibbar ist.
Nach D24 wurden die Linearmotoren zum Abbremsen der Fahrgastträger genutzt, wenn sich diese der Be- und Entladezone näherten, und zur Beschleunigung der Fahrgastträger, wenn sie die Be- und Entladezone verließen, sowie zur Bewegung der Fahrgastträger im Abstellbereich (siehe AF(B), Seite 4, Absatz 2). Ferner wurde seitens der Beschwerdeführerin II während der mündlichen Verhandlung zugestanden, daß die Linearmotoren in jedem Fall nur zur Beschleunigung und zum Abbremsen der Fahrgastträger in der horizontalen Ebene genutzt wurden.
Nach D25 wurden die Linearmotoren dagegen nur für die Bewegung der Fahrgastträger im Wartungsbereich genutzt. Darüber hinaus geht aus D25 hervor, daß die Bremseinrichtung des "Big Thunder Mountain" als konventionelle Reibbremse ausgebildet ist.
Im Hinblick auf die unterschiedlichen Aussagen in D24 und D25 kann lediglich davon ausgegangen werden, daß die Linearmotoren zum Antrieb und zum Abbremsen der Fahrgastträger außerhalb des "Big Thunder Mountain", nämlich im Abstell- bzw. Wartungsbereich genutzt wurden. Die in diesem Bereich verwendete Bremseinrichtung kann jedoch nicht als die Bremseinrichtung einer Volksbelustigungseinrichtung im Sinne des angefochtenen Patents aufgefaßt werden. Selbst wenn die Linearmotoren darüber hinaus auch noch im Bereich der Be- und Entladezone u. a. als Bremseinrichtung eingesetzt gewesen sein sollten, könnte auch eine solche Bremseinrichtung nicht als Bremseinrichtung im Sinne des angefochtenen Patents angesehen werden. Dem Fachmann ist es nämlich bekannt, daß bei einer Belustigungsvorrichtung wie dem "Big Thunder Mountain" die Fahrgastträger am Ende der Fahrt durch deren eigentliche Bremseinrichtung bis zum Stillstand abgebremst werden und erst anschließend zur Be- und Entladestation bewegt werden, wo sie durch eine zusätzliche Bremseinrichtung erneut zum Stillstand gebracht werden. Die Linearmotoren nach D24 können daher bestenfalls als zusätzliche Bremseinrichtung im Bereich der horizontalen Bewegung der Fahrgastträger angesehen werden. Die eigentliche Bremseinrichtung des "Big Thunder Mountain" war nach D25 jedoch als Reibbremse ausgebildet.
Ferner ist darauf hinzuweisen, daß aus D24 auch nicht hervorgeht, daß die Linearmotoren im Bereich der Be- und Entladestation oder im Abstellbereich als Wirbelstrombremsen verwendet wurden. Wie beispielsweise aus D22 (siehe Seite 112, linke Spalte, letzter Absatz) oder aus D15 (siehe Spalte 5, Zeilen 48 bis 52) zu entnehmen ist, wird zum Bremsen mit Linearmotoren eine Umpolung vorgenommen, derart daß eine der Bewegung des Wagens entgegengerichtete Kraft erzeugt wird. Diese Maßnahme führt aber nicht dazu, daß der Linearmotor eine Wirbelstrombremse bildet. Es ist zwar auch noch möglich Teile eines Linearmotors so zu verwenden, daß sie einen Teil einer Wirbelstrombremse bilden (siehe z. B. D22, Seite 113, rechte Spalte, letzter Absatz), eine solche Nutzung eines Linearmotors ist in D24 aber nicht beschrieben.
Folglich umfaßt die offenkundig vorbenutzte Volksbelustigungsvorrichtung gemäß D24 keine als Wirbelstrombremse ausgebildete Bremseinrichtung.
2.3. Die Entgegenhaltungen D1, D6 und D15 wurden im Zusammenhang mit der Frage der Neuheit des Gegenstands nach Anspruch 1 zurecht nicht erwähnt.
2.3.1. D1 offenbart eine Volksbelustigungsvorrichtung mit mindestens einem Fahrgastträger (70, 72) und mit einer Bremseinrichtung (150, 152, 154), wobei der Fahrgastträger an einem stationären Vorrichtungsteil (24) beweglich angeordnet ist, keinen eigenen Antriebsmotor besitzt und bei der Abwärtsfahrt durch Schwerkraft antreibbar ist (siehe Spalte 5, Zeilen 15 bis 20).
Die Bremseinrichtung ist aber nicht als Wirbelstrombremse ausgebildet, sondern als mechanische Reibungsbremse (siehe Spalte 5, Zeile 60 bis Spalte 6, Zeile 10).
2.3.2. Jede der Entgegenhaltungen D6 und D15 offenbart eine als Wirbelstrombremse ausgebildete Bremseinrichtung (D6: siehe z. B. Figur 1 / D15: siehe z. B. Figuren 2A,B,C).
Diese Bremseinrichtungen sind aber nicht für eine Volksbelustigungsvorrichtung vorgesehen, sondern für Schienenfahrzeuge, die durch einen Linearmotor angetrieben werden (D6: siehe Seite 3, Zeilen 1 bis 5 oder Anspruch 1 / D15: siehe Anspruch 1).
2.4. Im Hinblick auf die vorangehenden Ausführungen ist der Gegenstand nach Anspruch 1 des angefochtenen Patents neu.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist der zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit heranzuziehende nächstliegende Stand der Technik in der Regel ein Dokument des Standes der Technik, das einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung und die wichtigsten technischen Merkmale mit ihr gemein hat, der also die wenigsten strukturellen Änderungen erfordert (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 4. Auflage 2001, deutsche Fassung, I.D.3.1, Seite 118).
3.2. Im vorliegenden Fall offenbart jede der D1 und der D24 eine Volksbelustigungsvorrichtung mit allen Merkmalen des Oberbegriffs von Anspruch 1, also eine Vorrichtung mit dem Zweck, eine Abwärtsfahrt eines motorlosen Fahrgastträgers zu ermöglichen, bei dem der Fahrgastträger allein durch die Schwerkraft angetrieben wird und durch eine Bremseinrichtung gebremst werden kann. Um von diesen Vorrichtungen ausgehend zum Gegenstand nach Anspruch 1 zu gelangen, ist lediglich ein Austausch der Bremseinrichtung erforderlich.
D22 betrifft dagegen eine Volksbelustigungsvorrichtung bei dem der Fahrgastträger durch einen Motor angetrieben wird, also eine Volksbelustigungvorrichtung mit einem anderen Antriebskonzept und damit einem anderen Zweck als die patentgemäße Vorrichtung. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, wieso es naheliegend sein sollte, ausgehend von einem Antriebskonzept mit einem Motor, auf dieses Antriebskonzept zu verzichten, obwohl es bewußt als Ausgangspunkt ausgewählt wurde. Ein solches Vorgehen zeugt eher von einer rückschauenden Betrachtungsweise.
Folglich sind die in D1 oder in D24 offenbarten Gegenstände als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten und nicht der aus D22 bekannte Gegenstand.
3.3. Ausgehend von einer gattungsgemäßen Volksbelustigungsvorrichtung nach D1 oder D24, die beide konventionelle Reibungsbremsen verwenden, kann die dem angefochtenen Patent zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, eine bessere Bremseinrichtung für eine solche Vorrichtung aufzuzeigen (siehe Patentschrift, Spalte 1, Zeile 57 bis Spalte 2, Zeile 1).
3.4. Diese Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 dadurch gelöst, daß die Bremseinrichtung als Wirbelstrombremse ausgebildet ist.
Die Kammer möchte betonen, daß diese Bremseinrichtung die Bremseinrichtung ist, welche die durch die Schwerkraft hervorgerufene Geschwindigkeit des Fahrgastträgers verringert, d. h. daß sie sozusagen die Hauptbremse ist.
Wirbelstrombremsen sind zwar an sich bekannt. Dennoch ist deren Verwendung in einer Volksbelustigungsvorrichtung gemäß D1 oder D24 für den angegebenen Zweck (Hauptbremse) durch den vorliegenden Stand der Technik nicht nahegelegt.
Die Bremseinrichtung in einer gattungsgemäßen Vorrichtung muß eine sichere und zuverlässige Abbremsung des Fahrgastträgers gewährleisten, da bei einem alleine durch die Schwerkraft angetrieben Fahrgastträger keine zusätzliche Abbremsung durch einen Motor möglich ist, wie z. B. im Falle von Motoren getriebenen Fahrgastträgern.
Schon aus diesem Grund würde der Fachmann zur Lösung der vorliegenden Aufgabe nur einen solchen Stand der Technik berücksichtigen, bei dem ebenfalls der Sicherheitsaspekt im Vordergrund steht. D6 und D15 betreffen jeweils linearmotorgetriebene Schienenfahrzeuge und keine schwerkraftgetriebenen Fahrgastträger. Folglich kommt es bei den darin offenbarten Wirbelstrombremsen nicht so sehr auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit an, wie im Falle eines motorlosen, durch Schwerkraft angetriebenen Fahrgastträgers, wo das Abbremsen durchaus lebenswichtig ist.
Aber selbst wenn der Fachmann die D6 und die D15 berücksichtigen würde, könnte er daraus nicht die Anregung entnehmen, die in der Vorrichtung nach D1 oder D24 enthaltene mechanische Bremse durch eine Wirbelstrombremse zu ersetzen. Dem Fachmann ist es nämlich bewußt, das auch mit den in den Schienenfahrzeugen nach D6 und D15 enthaltenen Linearmotoren durch Umpolung eine Bremskraft erzeugt werden kann. In D15 wird sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nicht nur mit der Wirbelstrombremse gebremst werden kann, sondern auch mit dem Linearmotor und daß dieser hierzu lediglich umgepolt werden muß (siehe Spalte 5, Zeilen 32 bis 35 und Zeilen 48 bis 55). Folglich kann D6 und D15 allenfalls dazu anregen, eine Wirbelstrombremse zusätzlich zu einer weiteren Bremse vorzusehen. Bei der Anwendung dieser Anregung auf eine aus D1 oder D24 bekannte Volksbelustigungsvorrichtung würde er daher nicht völlig auf die mechanische Bremse verzichten, sondern die Wirbelstrombremse, insbesondere im Hinblick auf den bereits angesprochenen Sicherheitsaspekt, zusätzlich zur mechanischen Bremse vorsehen.
Auch aus D22 kann den Fachmann keinen Hinweis zur Nutzung einer Wirbelstrombremse in einer gattungsgemäßen Volksbelustigungsvorrichtung entnehmen. Zum einen würde er diese Entgegenhaltung erst gar nicht berücksichtigen, weil sie ausschließlich Fahrgastträger beschreibt, die durch Motoren, insbesondere Linearmotoren angetrieben werden, und zum anderen könnte er auch aus D22 allenfalls die Anregung entnehmen eine Wirbelstrombremse zusätzlich zu einer Motorbremse vorzusehen. Der Hinweis auf die Verwendung einer Wirbelstrombremse auf Seite 114, linke Spalte, Absatz 2, kann nämlich nicht isoliert von der restlichen Offenbarung der D22 betrachtet werden, sondern ist im Zusammenhang mit den restlichen Ausführungen zu lesen. Danach ist neben den im Abschnitt "Braking System" (siehe Seite 113 und 114) beschriebenen Bremseinrichtungen aber auch noch die Verwendung einer Motorbremse vorgesehen (siehe Seite 112, linke Spalte, letzter Absatz).
3.5. Darüber hinaus möchte die Kammer auch noch festhalten, daß die in Anspruch 1 vorgeschlagene Nutzung einer Wirbelstrombremse an einer für die Sicherheit sehr heiklen Stelle von einer überraschenden Einfachheit ist, so daß sie nicht als naheliegend betrachtet werden kann. Vielmehr handelt es sich dabei um eine neue Verwendung eines an sich bekannten Gegenstands, die eine erfinderische Schritt vorausgesetzt hat.
3.6. Aufgrund der vorstehenden Betrachtungen ist die Kammer zur Auffassung gelangt, daß der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und das Patent wie erteilt aufrechterhalten werden kann.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerden der Einsprechenden werden zurückgewiesen.
2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
3. Das Patent wird wie erteilt aufrechterhalten.