T 1285/01 (Acrylsäure/BASF) 06-07-2004
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Verfahren der kontinuierlichen destillativen Auftrennung von flüssigen Gemischen, die als Hauptbestandteil (Meth)acrylsäure enthalten
Hauptantrag: zugelassen obwohl verspätet - Einschränkung auf erteilten abhängigen Anspruch - keine neue Sachlage
Erfinderische Tätigkeit (ja) - nächster Stand der Technik bei Verfahrensansprüchen - Verbesserung - kein Hinweis auf Lösungsmerkmal
I. Der Beschwerdeführer (Patentinhaber) hat gegen die am 19. Oktober 2001 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchabteilung über den Widerruf des europäischen Patents Nr. 854 129 die am 12 Dezember 2001 eingegangene Beschwerde eingelegt und am 2. März 2002 eine Beschwerdebegründung eingereicht.
II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang vom Beschwerdegegner (Einsprechenden) wegen mangelnder Ausführbarkeit und erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden. Im Verlaufe des Einspruchsverfahrens wurden folgende Druckschriften genannt:
(1) Chemical Engineering Progress, Band 54 (1958), Seiten 64 bis 67 und
(5) US-A-4 261 798.
III. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung, der die erteilten Ansprüche 1 bis 10 zugrunde lagen, fest, daß der Gegenstand des Streitpatents zwar ausführbar und neu sei, jedoch im Hinblick auf die Druckschrift (1) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Die Destillation von flüssigen Gemischen mit dem Hauptbestandteil Acrylsäure in einer Zwangsumlaufapparatur gehöre zum Stand der Technik, wobei sich jedoch Beläge auf der Verdampferoberfläche bildeten. Die Aufgabe habe in der Bereitstellung eines Verfahrens bestanden, das die Belagbildung reduziere. Diese Aufgabe sei durch die Einführung eines Drosselventils gelöst worden. Die Druckschrift (1) beschreibe ein kontinuierliches Destillationsverfahren in einer Zwangsumlaufapparatur mit dem Ziel, Belagbildung zu verhindern. Deren Abbildung 1 offenbare eine Zwangsumlaufapparatur mit einem Drosselventil, mit dem die Blasenbildung im Verdampfer verhindert werden könne. Diese Verhinderung der Blasenbildung werde als wesentliche Einflußgröße zur Verminderung der Belagbildung angeführt. Gegen die Übertragung des Verfahrens der Druckschrift (1) auf die destillative Auftrennung von Acrylsäure habe auch kein Vorurteil bestanden, denn die Destillation von Acrylsäure in einem Zwangsumlaufverdampfer, zu dessen Typ die in dieser Druckschrift eingesetzte Vorrichtung unstreitig gehöre, sei bereits im Stand der Technik, wie er in der Streitpatentschrift gewürdigt werde, erfolgreich durchgeführt worden. Folglich sei das beanspruchte Verfahren nahegelegt.
IV. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 7. Juli 2004 hat der Beschwerdeführer das Streitpatent nur noch im Umfange des Haupt- und der Hilfsanträge 1 bis 9 vom 22. Juni 2004 verteidigt. Weitere Anträge vom selben Tag hat er nicht weiterverfolgt. Er hat die Aufrechterhaltung des Patents auf dieser Grundlage oder auf Grundlage der in dieser Verhandlung vorgelegten Hilfsanträge 10 und 11 begehrt. Der einzige Anspruch des Hauptantrages lautet:
"1. Verfahren der kontinuierlichen destillativen Auftrennung von flüssigen Gemischen, die als Hauptbestandteil Acrylsäure enthalten, in einer Destillationsvorrichtung, die eine Destillierblase, einen Kondensator und eine Verbindung zwischen Destillierblase und Kondensator aufweist und der das aufzutrennende flüssige Gemisch kontinuierlich zugeführt wird, wobei wenigstens ein Teil der zum Siedeverdampfen des flüssigen Gemisches erforderlichen Energie der Destillationsvorrichtung dadurch zugeführt wird, daß man dem bei einem Druck Px befindlichen flüssigen Inhalt der Destillierblase kontinuierlich einen Anteil entnimmt, diesen bei einem oberhalb von Px gelegenen Druck Py auf eine Temperatur Ty' mit der Maßgabe erhitzt, daß Ty' oberhalb der zum Druck Px gehörigen Siedetemperatur Tx und unterhalb der zum Druck Py gehörigen Siedetemperatur Ty des flüssigen Inhalts der Destillierblase liegt, und anschließend den bezogen auf den Druck Px so überhitzten entnommenen Anteil der Destillierblasenflüssigkeit unter Entspannung in die Destillationsvorrichtung zurückführt, dadurch gekennzeichnet, daß Ty' 3 bis 12 K oberhalb der Temperatur des flüssigen Inhalts der Destillierblase liegt."
V. Der Beschwerdeführer hat hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit vorgetragen, daß der nächstliegende Stand der Technik die vom Beschwerdegegner angezogenen Druckschrift (18) (siehe Punkt VI) darstelle. Sie belege druckschriftlich den Stand der Technik, der in der Streitpatentschrift referiert worden sei. Diese Druckschrift offenbare lediglich eine Zwangsumlaufverdampfung von Acrylsäure, jedoch nicht die anspruchsgemäße Druckerhöhung im Zwangsumlaufverdampfer mit anschließender Entspannung in die Destillierblase sowie nicht die anspruchsgemäße Überhitzungstemperatur von 3 bis 12 K. Die Aufgabe des Streitpatents liege demgegenüber in einer Verringerung der Belagsbildung auf der Verdampferoberfläche. Dieses Ziel werde weder ohne die Druckerhöhung im Zwangsumlaufverdampfer erreicht, wie das Vergleichsbeispiel (b) der Streitpatentschrift zeige, noch bei einer Überhitzungstemperatur von 16 K, wie aus dem Versuchsbericht 3 vom 6. April 2004 hervorgehe, jedoch bei Druckerhöhung und Einhaltung der Überhitzungstemperatur von 3 bis 12 K gemäß Anspruch 1. Hierauf gebe es keinen Hinweis im Stand der Technik. Druckschrift (1) offenbare die destillative Reinigung von nicht-polymerisationsfähigen Verbindungen in Zwangsumlaufentspannungsverdampfern, um die Belagbildung zu vermindern. Die Acrylsäure neige hingegen stark zur Polymerisation, so daß für den Fachmann ein Vorurteil dagegen bestünde, das Destillierverfahren der Druckschrift (1) auf Acrylsäure zu übertragen. Gleiches gelte für die vom Beschwerdegegner genannte Druckschrift (9). Die Druckschrift (5) scheide ebenfalls schon deshalb aus, weil sie nicht die besonders polymerisationsgefährdete Acrylsäure betreffe. Aus diesen Gründen sei das beanspruchte Verfahren nicht naheliegend.
VI. Der Beschwerdegegner hat die Ausführbarkeit und Neuheit der Erfindung im Beschwerdeverfahren nicht mehr angegriffen. Er hat jedoch die erfinderische Tätigkeit des Streitgegenstandes bestritten. In der am 3. Juni 2004 eingereichten Druckschrift
(18) JP-A-8/151349, in Form der englischen Übersetzung,
werde Acrylsäure mittels einer Zwangsumlaufentspannungsverdampfung erhitzt, wobei die Bildung von polymeren Belägen unterdrückt werde. Zwar sei die Überhitzungstemperatur nicht explizit angegeben und zu deren Berechnung seien auch nicht alle notwendigen Angaben vorhanden, indessen ergebe sich in Simulationsberechnungen unter Zugrundelegung sinnvoller spezifischer Annahmen eine Überhitzungstemperatur von 11,56 oder 11,74 K, wie aus seinen Berechnungsblättern (A) und (B) vom 3. Juni 2004 hervorgehe. Diese Überhitzungstemperaturen lägen im nunmehr beanspruchten Bereich. Im Übrigen sei die anspruchsgemäß kennzeichnende Festlegung auf eine Überhitzungstemperatur von 3 bis 12 K eine routinemäßige Variation, die der Fachmann, welcher das Verfahren optimieren wolle, ohne erfinderisches Zutun ermitteln könne. Außerdem beschreibe die Druckschrift (1), insbesondere in Figur 1 auf Seite 65, die patentgemäße Verfahrensweise mit Zwangsumlaufentspannungsverdampfung, ohne jedoch den Einsatz von Acrylsäure anzusprechen. Diese Druckschrift spreche auch die gleiche Aufgabe, nämlich die Verringerung der Belagbildung an, welche hierin ebenfalls durch Polymerisation des destillierten Materials entstehe. Daher wende der Fachmann diese beschriebene Zwangsumlaufentspannungsverdampfung auch auf die destillative Reinigung von Acrylsäure an. Gegen diese Übertragung auf Acrylsäure habe auch kein Vorurteil bestanden. Außerdem zeige die am 2. August 2002 eingereichte Druckschrift
(9) Chemical Engineering Progress, 1979, Seiten 53 bis 58
die Anwendung der Zwangsumlaufentspannungsverdampfung besonders bei polymerisierbarem Material auf, ebenso wie die bereits im Verfahren befindliche Druckschrift (5). Daher sei das beanspruchte Verfahren nahegelegt.
VII. Der Beschwerdeführer hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf Grundlage des Hauptantrages vom 22. Juni 2004, der schriftlich eingereichten Hilfsanträge 1 bis 9 vom selben Tag oder der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 10 und 11 aufrechtzuerhalten.
Der Beschwerdegegner hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Zulässigkeit
Der Patentinhaber-Beschwerdeführer hat am 22. Juni 2004 und damit erst kurz vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, die am 7. Juli 2004 stattfand, den Hauptantrag eingereicht. Dieser Hauptantrag betrifft indessen lediglich eine weitere Einschränkung des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1 durch dessen Kombination mit Merkmalen aus dem erteilten und im Einspruchsverfahren angegriffenen Anspruch 8. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern kann indessen eine Stellungnahme zu einem derartig eingeschränkten Antrag auch in einem späten Verfahrensstadium dem beschwerdegegnerischen Einsprechenden zugemutet werden, da dieser mit allen erteilten und von ihm bereits angegriffenen Ansprüchen und deren Merkmalen zwangsläufig vertraut ist, so daß für ihn hierdurch keine überraschend neuartige Sachlage entsteht (siehe Entscheidungen T 252/92, Punkt 3 der Entscheidungsgründe, T 516/94, Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe; beide nicht veröffentlicht in ABl. EPA). Aus diesen Gründen hat die Kammer auch im vorliegenden Fall keine Einwände, den Hauptantrag im Beschwerdeverfahren zuzulassen.
3. Änderungen (Artikel 123 EPÜ)
Bei der vorgenommenen Einschränkung des beanspruchten Verfahrens auf Acrylsäure ist lediglich eine der beiden ursprünglich und im erteilten Patent genannten Alternativen, nämlich Methacrylsäure, gestrichen worden, weswegen diese Änderung nicht über den Inhalt der Anmeldung in ihrer eingereichten Fassung hinausgeht. Der Temperaturbereich von 3 bis 12 K oberhalb der Temperatur des flüssigen Inhalts der Destillierblase findet seine Stütze im ursprünglichen Anspruch 8.
Die Abänderungen des erteilten Anspruchs 1 beschränken den beanspruchten Gegenstand, wodurch der Schutzbereich des Streitpatents im Vergleich zur erteilten Fassung nicht erweitert wird.
Der geltende Anspruchssatz erfüllt demzufolge alle Voraussetzungen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ.
4. Ausführbarkeit, Neuheit
Der Beschwerdegegner hat die Einwände der mangelnden Ausführbarkeit und Neuheit im Beschwerdeverfahren nicht aufgegriffen und auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ausdrücklich nicht weiterverfolgt. Nachdem überdies die Ausführbarkeit und Neuheit der beanspruchten Erfindung in der angefochtenen Entscheidung festgestellt wurde, sieht die Kammer keine Veranlassung, von sich aus die Ausführbarkeit und Neuheit in Zweifel zu ziehen, so daß sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen.
5. Erfinderische Tätigkeit
Es verbleibt daher als einziger Streitpunkt im Beschwerdeverfahren zu prüfen, ob der beanspruchte Gegenstand des Streitpatents auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
5.1. Gemäß Artikel 56 EPÜ beruht eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Für die Beantwortung dieser Frage aus objektiver Sicht ist es nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern erforderlich, den nächstliegenden Stand der Technik festzustellen, demgegenüber die Aufgabe zu ermitteln, die erfindungsgemäß gestellt und gelöst wird, und die Frage des Naheliegens der anmeldungsgemäßen Lösung dieser Aufgabe für den Fachmann angesichts des Standes der Technik zu klären (siehe u. a. Entscheidungen T 24/81, ABl. EPA 1983, 133, Punkt 4 der Entscheidungsgründe; T 248/85, ABl. EPA 1986, 261, Punkt 9.1 der Entscheidungsgründe).
5.2. Als erstes ist somit der zum Streitpatent nächstliegende Stand der Technik zu ermitteln. Im Falle von Erfindungen, die ein spezielles Verfahren zur Anwendung auf einen bestimmten chemischen Stoff mit notwendigerweise spezifischen Charakteristika betreffen, sind bei der Ermittlung des nächstliegenden Standes der Technik in erster Linie nur solche Druckschriften zu berücksichtigen, die ein gattungsgemäßes Anwendungsverfahren eben dieses bestimmten chemischen Stoffes mit seinen spezifischen Charakteristika beschreiben (siehe Entscheidungen T 641/89, Punkt 3.1 der Entscheidungsgründe; T 20/94, Punkt 7.2 der Entscheidungsgründe; T 713/97, Punkt 4.2 der Entscheidungsgründe, keine veröffentlicht in ABl. EPA). Dies spiegelt zutreffend und in objektiver Weise die tatsächliche Situation wider, in der sich der Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents befand.
5.3. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur kontinuierlichen destillativen Auftrennung von Acrylsäure in einer Destilliervorrichtung mit Hilfe eines Zwangsumlaufverdampfers, wodurch als Ziel unerwünschte Belagbildung vermieden werden soll. Die Druckschrift (18) beschreibt nun ein gattungsgemäßes Verfahren zur kontinuierlichen Destillation von Acrylsäure in einer Destilliervorrichtung ebenfalls mittels eines Zwangsumlaufverdampfers (Anspruch 1; Spalte 1, Absatz [0001], Zeile 2; Beispiel 1), wodurch der Aufbau von Belägen vermindert werden soll (Spalte 2, Absatz [0004], Zeilen 12 und 22).
Folgerichtig haben in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer der Beschwerdeführer und der Beschwerdegegner allein diese Druckschrift als nächstliegenden Stand der Technik angesehen. In Anwendung der im obigen Absatz genannten Kriterien betrachtet daher die Kammer die Druckschrift (18) als nächstkommenden Stand der Technik und Ausgangspunkt bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit. Diese Festlegung wird zusätzlich dadurch gestützt, daß diese Entgegenhaltung den Stand der Technik druckschriftlich belegt, welcher in der Streitpatentschrift, Absätze [0010] und [0011], bereits als nächstliegend angegeben wird.
5.4. Zwischen dem Beschwerdeführer und dem Beschwerdegegner ist nun streitig, ob die Druckschrift (18) einerseits eine Entspannungsverdampfung beschreibt, wobei unter Verhinderung von Siedeblasenbildung im Zwangsumlaufverdampfer ein Überdruck aufgebaut wird, der dann in die Destillierblase entspannt wird, und ob sie andererseits eine Überhitzungstemperatur unterhalb der beanspruchten Obergrenze von 12 K offenbart
5.4.1. Eine Überhitzungstemperatur im Zwangsumlaufverdampfer wird in Druckschrift (18) nicht genannt. Hierüber besteht kein Streit zwischen den Parteien. Der Beschwerdegegner hat darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingeräumt, daß auch nicht alle zu deren Berechnung notwendigen Angaben in der Druckschrift vorhanden sind. Folgerichtig hat der Beschwerdegegner in seiner Simulationsberechnung (Berechnungsblättern (A) und (B) vom 3. Juni 2004) bestimmte, insbesondere apparative, Annahmen treffen müssen, die in der Druckschrift (18) selbst nicht enthalten sind, um eine Überhitzungstemperatur überhaupt zahlenmäßig berechnen zu können. Mit seinen eigenen zielgerichteten Annahmen, so beispielsweise der eigenen Festlegung von Durchmesser und Anzahl der Röhren im Zwangsumlaufverdampfer unter Ausschluß anderer Varianten, erzeugt der Beschwerdegegner ein Konstrukt, das über die Offenbarung der Druckschrift (18) hinausgeht. Seine Simulationsberechnung entspringt somit speziellen Annahmen und deren Kombination, welche der Druckschrift (18) gerade nicht zu entnehmen sind. Folglich geht auch das Ergebnis seiner Simulationsberechnung, nämlich eine errechnete Überhitzungstemperatur von 11,56 oder 11,74 K, nicht eindeutig und unmittelbar aus dieser Druckschrift hervor. Somit ist eine Überhitzungstemperatur in der Druckschrift (18) nicht offenbart.
5.4.2. Der Aufbau eines Überdrucks unter Verhinderung von Siedeblasenbildung im Zwangsumlaufverdampfer mit nachfolgender Entspannung des Überdrucks in die Destillierblase ist der Druckschrift (18) entgegen des Vorbringens des Beschwerdegegners ebenfalls nicht zu entnehmen. Weder wird ein Überdruck als solcher noch eine Entspannung in die Destillierblase hinein angesprochen oder apparativ vorgesehen. Vielmehr wird in Spalte 3, Absatz [0006], Zeile 4 explizit angegeben, daß im Zwangsumlaufverdampfer ein Teil der erhitzten Flüssigkeit verdampft - "evaporate" -, d. h. Siedeblasen bildet. In der folgenden Zeile 9 desselben Absatzes wird spezifisch ausgeführt, daß dieser verdampfende Anteil 1 bis 20% beträgt. Die Behauptung des Beschwerdegegners, seine Simulationsberechnung ließe nur den Schluß einer Entspannungsverdampfung zu, kann jedoch in Anbetracht des spekulativen Elements seiner Berechnung (siehe Absatz 5.4.1 supra) und der eindeutigen, gegenteiligen Offenbarung der Druckschrift (18) dahinstehen. Diese Druckschrift offenbart somit keine Entspannungsverdampfung.
5.5. Ausgehend von dem in obigem Punkt 5.3 beschriebenen Verfahren der Druckschrift (18) liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren zur destillativen Auftrennung von Acrylsäure bereitzustellen, in dem die Belagbildung verringert ist (Streitpatentschrift Spalte 3, Absatz [0013]). Im Beschwerdeverfahren hat der Beschwerdeführer auch auf diese patentgemäße Aufgabe abgehoben.
5.6. Zur Lösung der oben genannten Aufgabe schlägt das Streitpatent das Destillierverfahren gemäß Anspruch 1 vor, welches durch zwei Verfahrensmaßnahmen gekennzeichnet ist, nämlich einerseits dadurch, daß der kontinuierlich der Destillierblase entnommene Anteil bei einem oberhalb von Px gelegenen Druck Py auf eine Temperatur Ty' mit der Maßgabe erhitzt wird, daß Ty' oberhalb der zum Druck Px gehörigen Siedetemperatur Tx und unterhalb der zum Druck Py gehörigen Siedetemperatur Ty des flüssigen Inhalts der Destillierblase liegt und anschließend den bezogen auf den Druck Px so überhitzten entnommenen Anteil der Destillierblasenflüssigkeit unter Entspannung in die Destillationsvorrichtung zurückführt, und andererseits dadurch, daß Ty' 3 bis 12 K oberhalb der Temperatur des flüssigen Inhalts der Destillierblase liegt. Mit anderen Worten bedeuten diese beiden Maßnahmen technisch den Aufbau eines Überdrucks unter Verhinderung von Siedeblasenbildung im Zwangsumlaufverdampfer mit nachfolgender Entspannung des Überdrucks in die Destillierblase sowie eine Überhitzungstemperatur im angegebenen Zahlenbereich
5.7. Zum Beleg für die erfolgreiche Lösung der patentgemäßen Aufgabe durch die Bereitstellung des anspruchsgemäßen Verfahrens hat der Beschwerdeführer auf das erfindungsgemäße Beispiel (c) und das Vergleichsbeispiel (b) der Streitpatentschrift sowie auf den Versuchsbericht 3 vom 22. Juni 2004 verwiesen. Aus diesen Beispielen der Streitpatentschrift geht hervor, daß bei der bekannten Zwangsumlaufverdampfung mit Siedeblasenbildung ohne Aufbau eines Überdrucks und nachfolgender Entspannung in die Destillierblase (Vergleichsbeispiel (b)) bereits nach 20 Betriebstagen durch Belagbildung eine Verstopfung der Verdampferrohre auftritt, so daß die Anlage abgeschaltet werden muß, während im erfindungsgemäße Beispiele (c) mit anspruchsgemäßer Zwangsumlaufentspannungsverdampfung nach 4 Monaten noch keine Belagbildung auftritt. Der Versuchsbericht 3. zeigt, daß bei einer Überhitzungstemperatur von 16 K im Zwangsumlaufentspannungsverdampfer, d. h. außerhalb des beanspruchten Bereiches, bereits nach 13 Betriebstagen die Anlage wegen Verstopfung durch Belagbildung abgeschaltet werden muß, während im erfindungsgemäße Beispiele (c) mit anspruchsgemäßer Überhitzungstemperatur von 8 K nach 4 Monaten noch keine Belagbildung auftritt. Der Beschwerdeführer hat damit glaubhaft gemacht, daß beide die Erfindung kennzeichnenden Verfahrensmaßnahmen die Belagbildung verringern. Der Beschwerdegegner hat im Hinblick darauf die erfolgreiche Lösung der patentgemäßen Aufgabe auch nicht bestritten. In Anbetracht dessen hat die Kammer keinen Anhaltspunkt, dies von sich aus in Zweifel zu ziehen.
5.8. Es bleibt nun zu untersuchen, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen bot, die genannte Aufgabe durch die Bereitstellung des anspruchsgemäßen Verfahrens zu lösen.
5.8.1. Die nächstliegende Druckschrift (18) läßt jeden Hinweis auf die erfindungswesentlichen Maßnahmen des Einsatzes der Entspannungsverdampfung und der Anwendung einer Überhitzungstemperatur im anspruchsgemäßen Bereich und deren Bedeutung für den Erfolg der Belagverringerung vermissen (siehe Punkt 5.3 supra). Folglich kann sie auch keine Anregung für die streitgegenständliche Lösung geben. Die Druckschrift (18) allein vermag somit das anspruchsgemäße Verfahren nicht nahezulegen.
5.8.2. Die Druckschrift (1) beschreibt allgemein ein Zwangsumlaufentspannungsverfahren, in welchem ein Überdruck unter Verhinderung von Siedeblasenbildung im Zwangsumlaufverdampfer aufgebaut wird und nachfolgend Entspannung des Überdrucks in die Destillierblase erfolgt (siehe Seite 65, Figur 1; Seite 65, linke Spalte, Absatz 6 und mittlere Spalte, Absatz 2). Die Druckschrift nennt als Ziel die Vermeidung von Belagbildung, welche ebenfalls durch Polymerisation des destillierten Materials entsteht (Überschrift; Seite 65, rechte Spalte, Absatz 4). Die Druckschrift (1) gibt somit einen direkten Hinweis, die patentgemäße Aufgabe einer Verringerung der Belagbildung durch den Einsatz einer Entspannungsverdampfung im Zwangsumlaufverdampfer zu erzielen. Dies führt den Fachmann zwanglos zur ersten von beiden, die erfindungsgemäße Lösung kennzeichnenden Maßnahmen (siehe Punkt 5.6 supra). Gegen die Übertragung der Lehre der Druckschrift (1) auf Acrylsäure hat, im Gegensatz zum Vorbringen des Beschwerdeführers, auch kein Vorurteil bestanden, denn eine Destillation von Acrylsäure in einem Zwangsumlaufverdampfer wird ja bereits in der nächstkommenden Druckschrift (18) beschrieben.
Allerdings schweigt die Druckschrift (1) zur Höhe der Überhitzungstemperatur. So weist sie lediglich daraufhin, daß eine Temperaturerhöhung im Zwangsumlaufentspannungsverdampfer erfolgt (Seite 65, mittlere Spalte, Absatz 3, letzte und vorletzte Zeile), ohne diese Erhöhung jedoch zu quantifizieren. Somit vermag die Druckschrift (1) keinen Hinweis auf die zweite von beiden Maßnahmen, welche das erfindungsgemäße Verfahren kennzeichnen (siehe Punkt 5.6 supra), nämlich die Einhaltung einer Überhitzungstemperatur von 3 bis 12 K, zu geben, um die patentgemäße Aufgabe einer Verringerung der Belagbildung zu lösen. Sie legt das beanspruchte Verfahren daher nicht nahe.
5.8.3. Gleiches gilt im Ergebnis auch für die Druckschriften (5) und (9), welche gleichfalls eine Zwangsumlaufentspannungsverdampfung betreffen. Diese Druckschriften enthalten, abgesehen von der darin beschriebenen Anwendung auch auf polymerisierbare Materialien, keine zusätzlichen Informationen in Hinsicht auf die patentgemäße Aufgabe und die anspruchsgemäße Lösung. Insbesondere geben die Druckschriften (5) und (9) ebenfalls keinen Hinweis auf die Einhaltung einer Überhitzungstemperatur von 3 bis 12 K, um die patentgemäße Aufgabe einer Verringerung der Belagbildung zu lösen. Sie legen das beanspruchte Verfahren daher ebensowenig nahe.
5.8.4. Die Kammer hat sich auch davon überzeugt, daß der beanspruchte Gegenstand durch weitere entgegengehaltene Druckschriften nicht nahegelegt wird. Da die erfinderische Tätigkeit vom Beschwerdegegner aufgrund anderer Druckschriften im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen wurde, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.
5.9. Die Kammer kommt daher zu dem Ergebnis, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 dem Fachmann durch keine der angezogenen Druckschriften, weder einzeln noch in Kombination, nahegelegt wird und damit auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 52 (1) und 56 EPÜ beruht.
Hilfsanträge 1 bis 11
Nachdem dem Hauptantrag des Beschwerdeführers stattgegeben wird, war auf alle nachrangigen Hilfsanträge nicht weiter einzugehen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, ein Patent auf Grundlage des Hauptantrages vom 22. Juni 2004 und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.