T 0085/02 17-11-2004
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Datenübertragungskabel und Verfahren zu dessen Herstellung
I: Alcatel Kabel Beteiligungs-AG
II: Leonische Drahtwerke AG
III: Siemens AG
Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Kommerzieller Erfolg - allein kein Zeichen erfinderischer Tätigkeit
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung über die Aufrechterhaltung des europäischen Patents Nr. 567 757 in geändertem Umfang.
II. Drei Parteien legten Einspruch gegen das erteilte europäische Patent ein. Die Einsprechende 2 nahm ihren Einspruch im Verfahren vor der Einspruchsabteilung zurück.
III. Im Einspruchsverfahren wurde unter anderem auf das folgende Dokument Bezug genommen:
E5: Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung, Technische Lieferbedingungen TL 5995-006, Ausgabe 1, März 1969, Seiten 1 bis 13.
IV. Im Beschwerdeverfahren beriefen sich die Parteien unter anderem auch auf das folgende Dokument, welches nachstehend als E9 bezeichnet wird:
Meinke, Gundlach "Taschenbuch der Hochfrequenztechnik - Grundlagen, Komponenten, Systeme"; Fünfte, überarbeitete Auflage; Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg, 1992; Seiten B 13 bis B 20.
V. Am 17. November 2004 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt, an welcher die Beschwerdeführerin (Einsprechende 1) und die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) teilnahmen. Die noch am Verfahren beteiligte Einsprechende 3 nahm schriftlich nicht Stellung und erschien nicht zur mündlichen Verhandlung.
VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 1) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
VII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Hauptantrag:
Anspruch 1, eingereicht mit Schreiben vom 11. November 2004 als "Neuer Hilfsantrag 4";
Ansprüche 2 bis 8 und Beschreibung, eingereicht mit Schreiben vom 30. Juli 2002 als "Hilfsantrag 1", und Zeichnungen der Patentschrift.
Hilfsantrag:
Anspruch 1, eingereicht mit Schreiben vom 15. Oktober 2004 als "Neuer Hilfsantrag 4",
Ansprüche 2 bis 8 und Beschreibung, eingereicht mit Schreiben vom 30. Juli 2002 als "Hilfsantrag 2"; Zeichnungen der Patentschrift.
VIII. Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:
"Datenübertragungskabels [sic], mit
a) einem Außenmantel (10),
b) wenigstens einer vom Außenmantel (10) umschlossenen Abschirmung (8, 9), die durch Schirmfolie (8) und Schirm (9) gebildet wird,
c) wenigstens einem von der Abschirmung (8, 9) umgebenen Zwischenmantel (7), der aus Polyethylen und/oder Polypropylen besteht, und
d) wenigstens vier einen Sternvierer bildenden, verseilten Einzeladern (2A, 2B, 3A, 3B), die jeweils einen Leiter (4) und eine den Leiter (4) umschließende Aderisolierung (5) aufweisen, wobei der Durchmesser der Einzeladern ca. 1 mm oder weniger beträgt, und
e) wobei der Zwischenmantel (7) um den Sternvierer angeordnet ist und Einkerbungen zwischen Oberflächen aneinandergrenzender Einzeladern (2A, 2B, 3A, 3B) wenigstens teilweise ausfüllt, so daß er die Geometrie des Sternvierers fixiert,
wobei die Einzeladern (2A, 2B, 3A, 3B) so fixiert sind, daß die Lage der Einzeladern zueinander, und damit die Geometrie der Verseilung, an allen Stellen des Kabels über die Kabellänge gleich ist, und wobei das Datenübertragungskabel zur Übertragung mit Frequenzen oberhalb 3 MHz geeignet ist und eine Nahnebensprechcharakteristik von größer 40 dB bei 100 MHz aufweist."
Die Patentansprüche 2 bis 8 sind von Anspruch 1 abhängig.
IX. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut:
"Verwendung eines Datenübertragungskabels zur Übertragung mit Frequenzen oberhalb 3 MHz, mit folgenden Merkmalen: ...
[Merkmale a) bis e) des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag]
... wobei die Einzeladern (2A, 2B, 3A, 3B) so fixiert sind, daß die Lage der Einzeladern zueinander, und damit die Geometrie der Verseilung, an allen Stellen des Kabels über die Kabellänge gleich ist."
Die Patentansprüche 2 bis 8 sind von Anspruch 1 abhängig.
X. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß ein Datenübertragungskabel gemäß Patentanspruch 1 in der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Fassung gegenüber E5 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Begründung kann wie folgt zusammengefaßt werden:
Der Zwischenmantel des Kabels in E5 diene dem Nässeschutz und habe im Frequenzbereich bis 600 kHz keine nennenswerte Funktion hinsichtlich der Dämpfung. Der Fachmann würde dem aus E5 bekannten, militärischen Telefonkabel für die Entwicklung eines hochfrequenztauglichen Datenübertragungskabels keine besondere Bedeutung zumessen. Der gegenüber E5 kleinere Durchmesser sei im Hinblick auf die Miniaturisierung vorteilhaft. Auf dem vorliegenden technischen Gebiet könne eine geringfügige Änderung eine Erfindung darstellen, wenn sie, wie im vorliegenden Fall, tatsächlich den gewünschten Effekt erziele.
XI. Die Beschwerdeführerin argumentierte im wesentlichen wie folgt:
Der Aufbau und die Wirkungsweise eines Sternvierers seien dem Fachmann für Telefon-, Trägerfrequenz- und Datenübertragungstechnik seit langem bekannt. Die Geometrie des Sternvierers, also der Abstand der Adern voneinander und vom gemeinsamen Schirm, bestimme die Betriebskapazität und das Dämpfungsverhalten des Sternvierers für alle Frequenzen. Die genaue Einhaltung der Geometrie beim Sternvierer sei daher wesentlich, wie dem Fachmann bekannt sei.
E5 spezifiziere die Abmessungen und maximal zulässigen Toleranzen für ein Trägerfrequenzkabel im Frequenzbereich von 0,3 kHz bis 607 kHz. Der Kabelaufbau (E5, Abschnitt 2.1) entspreche der Festlegung nach Patentanspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags. Insbesondere seien die verseilten Adern nach E5 so mit Polyethylen zu umspritzen, daß die Lücken des Sternvierers (Zwickel) ausgefüllt seien und daß der Kabelinnenmantel dicht anliegend, glatt und zentrisch sein müsse. Das Material des als Innenmantel bezeichneten Zwischenmantels, Polyethylen, sei wegen seiner elektrischen Eigenschaften gewählt, die jenen der Aderisolierung entsprechen (E5, 2.1.4.1 und 2.1.4.2). Um den Zwischenmantel seien zwei Beflechtungen als Abschirmung und ein Außenmantel angeordnet (E5, 2.1.5 bis 2.1.8 und 2.1.11). Das Kabel müsse im spezifizierten Bereich (bis 607 kHz) die Mindesttoleranzen einhalten, sei aber grundsätzlich für höhere Frequenzen geeignet. Seit der Zugänglichmachung der E5 im Jahre 1969 seien auf dem Gebiet der Kabelfertigung große Fortschritte gemacht worden. Man könne heute symmetrische Kupferkabel bis zu mehreren Hundert MHz einsetzen.
Das Datenübertragungskabel gemäß Patentanspruch 1 (Hauptantrag) weise gegenüber E5 lediglich eine Schirmfolie anstelle der ersten Beflechtung und einen Aderdurchmesser von "ca. 1 mm oder weniger" statt 1,95 ± 0,1 mm auf. Die weiteren Angaben in Patentanspruch 1 zur Übertragung von Frequenzen oberhalb 3. MHz und zur Nahnebensprechcharakteristik seien willkürlich aus der Beschreibung herausgegriffen.
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 (Hauptantrag) habe sich für den Fachmann aus einer naheliegenden Anpassung des bekannten Kabels unter genauer Einhaltung der erforderlichen Symmetriebedingungen ergeben. Die Verwendung einer Folie statt der ersten Beflechtung sei für den Fachmann naheliegend, weil ein geschlossener Schirm, wie z. B. ein Rohr, für hohe Frequenzen besser geeignet sei als eine relativ undichte Beflechtung. Ein kleinerer Aderdurchmesser stelle eine rein konstruktive Maßnahme dar, um z. B. das Kabel an übliche Stecksysteme anzupassen. Wegen des Skineffekts sei bei höheren Frequenzen ohnehin nur ein Teil des vorhandenen Aderquerschnitts nutzbar und dünne Abschirmfolien seien ausreichend (siehe E9).
Die willkürlich herausgegriffenen Frequenzwerte, bei welchen das Kabel des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag zur Übertragung verwendet werden solle, könne den beanspruchten Gegenstand nicht erfinderisch machen. Denn im Gegensatz zu E5 gebe es im Streitpatent keine Angaben, welche Toleranzen eingehalten werden müßten, um ein entsprechend geeignetes Kabel zu erhalten. Bei dem wachsenden Bedarf an Kabeln für höhere Frequenzen, sei eine solche Verwendung am Prioritätstag als eine naheliegende Anpassung ohne überraschende Effekte oder gedankliche Hindernisse anzusehen gewesen.
XII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im wesentlichen wie folgt:
Im Stand der Technik habe man symmetrische Trägerfrequenzkabel nur bis V120, also ca. 600 kHz, eingesetzt. Für höhere Frequenzen seien Koaxialkabel verwendet worden, weil man Sternvierer wegen zu hoher Dämpfung und zu geringer Nebensprechdämpfung für ungeeignet gehalten habe. Bei einer realen Sternviereranordnung sei immer (stark frequenzabhängiges) Nebensprechen vorhanden. Wirbelstromverluste und Leitungsdämpfung sowie der Einfluß von Inhomogenitäten nähmen mit steigender Frequenz zu. Der Widerstandsbelag nehme wegen des Skineffekts mit steigender Frequenz stark zu. Daher würde der Fachmann eher dickere Drähte wählen, um den leitfähigen Querschnitt beizubehalten (vgl. E9, Seite B16, Absatz 1).
Die Erfindung beruhe auf der Erkenntnis, daß bei genauer Beachtung des geometrischen Aufbaus und exakter Herstellung des Datenübertragungskabels in sehr engen Toleranzen eine unverfälschte Datenübertragung bei hohen Frequenzen möglich sei. Der Fachmann habe aus den ihm am Prioritätstag bekannten Normen und den in der Patentschrift angegebenen Werten für Wellenwiderstand, Nahnebensprechcharakteristik und Dämpfung erkennen können, daß das in der Patentschrift offenbarte Kabel zur Datenübertragung mit Frequenzen oberhalb 3 MHz geeignet sei und daher selbstverständlich auch verwendet werde (siehe z. B. "unilan® Handbuch der universellen Gebäudeverkabelung", 1998, Seiten 33 und 34). Das Streitpatent stelle erstmals ein Sternviererkabel zur Verfügung, welches eine Datenübertragung im Megahertzbereich ermögliche. Es sei als Pioniererfindung auf dem stark ausgereizten Gebiet der Kabeltechnik anzusehen und ein beträchtlicher wirtschaftlicher Erfolg geworden. Heutige Computerverkabelungen würden überwiegend mit solchen symmetrischen Kabeln ausgeführt. Der Zwischenmantel sei hierbei wesentlich. Denn er mache es möglich, die Übertragungsparameter des Kabels konstruktiv frei einzustellen und einen kleinen Aderdurchmesser zu wählen. Das sei im Hinblick auf die Miniaturisierung (z. B. RJ45-Stecker) vorteilhaft. Der Zwischenmantel wirke als Abstandsglied zwischen den Einzeladern und der Abschirmung mit letzterer funktionell zusammen. Schirm und Folie bewirkten eine gute Abschirmwirkung, da die Abstands- und Symmetriebedingungen im Vergleich zu einem unebenen Geflecht viel besser eingehalten würden.
Ein Fachmann würde das in E5 spezifizierte Kabel als Trägerfrequenz-Fernmeldekabel, nicht als Datenübertragungskabel ansehen. Es habe relativ schlechte Übertragungseigenschaften und zeige z. B. bei 360 kHz eine Resonanz (E5, 2.3.7). Die z. B. unter Punkt 2.1.2 angegebenen Toleranzen für die Aderdurchmesser von 1,95 ± 0,1 mm seien viel zu ungenau und führten zu hoher Dämpfung. Der Fachmann erkenne daher, daß der Innenmantel in E5 dazu diene, das Eindringen von Wasser zu verhindern. Die unter Punkt 2.1.10 spezifizierte Stahldrahtbeflechtung zeige, daß es in E5 auf eine robuste Kabelkonstruktion ankomme. Diesem Zweck diene auch der Innenmantel. Das Kabel sei für hohe Frequenzen nicht geeignet, weise einen wesentlich größeren Durchmesser und keine Schirmfolie auf.
Der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit beruhe auf unzulässiger rückschauender Betrachtung in Kenntnis der Erfindung. Entscheidend sei, ob ein Fachmann die erforderlichen Anpassungen in naheliegender Weise gemacht hätte, und nicht, ob er sie hätte machen können ("could-would"). Für den Fachmann sei es fernliegend gewesen, das in E5 spezifizierte Kabel für höhere Frequenzen auszubilden. Es habe zwar einen Bedarf an Kabeln zur Übertragung höherer Frequenzen gegeben. Es sei aber nicht naheliegend gewesen, gerade dieses Kabel in diese Richtung weiterzubilden. Selbst wenn der Fachmann das versucht hätte, hätte er den Zwischenmantel nicht automatisch beibehalten, weil er sich bei hohen Frequenzen tendenziell ungünstig für die Übertragungseigenschaften auswirke und weil bereits bei den niedrigen Frequenzen in E5 Material-Inhomogenitäten ein Problem darstellten (siehe Gefahr der Luftblasen in E5, 2.1.4.1).
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Im Beschwerdeverfahren ist den Merkmalen "zur Übertragung mit Frequenzen oberhalb 3 MHz" (Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag) und "eine Nahnebensprechcharakteristik von größer 40 dB bei 100 MHz" (Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag) eine große Bedeutung beigemessen worden. Der technische Beitrag dieser Kabelspezifikationen zur beanspruchten Erfindung ergibt sich aus der Beschreibung wie folgt.
2.1. Die Patentschrift (Spalte 1, Zeilen 3 bis 45) beschreibt zunächst die Schwierigkeit, die elektrischen Kennwerte bei bekannten Kabeln über die ganze Länge einzuhalten. Mit dem erfindungsgemäßen Zwischenmantel werde dieses Problem gelöst und die geometrische Anordnung der Einzeladern an allen Stellen des Kabels fixiert. Die relevanten elektrischen Größen (Kapazität und Induktivität) hätten über die gesamte Länge des Kabels einen definierten Wert (siehe z. B. Spalte 2, Zeilen 21 bis 58 der Patentschrift). Die physikalischen und chemischen Eigenschaften seien durch geeignete Wahl des Zwischenmantelmaterials vorteilhaft steuerbar (Patentschrift, Spalte 4, Zeilen 10 bis 19 und Spalte 6, Zeilen 5 bis 12).
2.2. Mit dem beschriebenen Aufbau sei z. B. "bei einem Aderdurchmesser kleiner 1 mm" zwischen 3 MHz und 100 MHz eine Impedanz zwischen 135 Omega und 165 Omega und um 38,4 kHz eine Impedanz zwischen 200 Omega und 270 Omega erreichbar. Für das "in Fig. 1 im Querschnitt schematisch dargestellte Datenübertragungskabel" sind fünf Dämpfungswerte zur Nahnebensprechcharakteristik im Frequenzbereich von 9,5 kHz bis 100 MHz mit der Schlußbemerkung aufgeführt, daß bei 100 MHz "das Nahnebensprechen immer noch größer 40 dB" betrage. Weiter ist für einzelne Frequenzen zwischen 9,6 kHz und 16 MHz angegeben, welche Dämpfungscharakteristik realisierbar und welche Werte typisch seien (Patentschrift, Spalte 7, Zeile 44 bis Spalte 8, Zeile 19).
2.3. Aus der Gesamtoffenbarung der Patentschrift entnimmt der Fachmann also, daß die obengenannten Kabelspezifikationen des Patentanspruchs 1 aus der Menge elektrischer Kennwerte herausgegriffen sind, die sich aus dem beschriebenen Kabelaufbau mit Zwischenmantel in konkret ausgeführten Fällen ergeben. Es sei zugunsten der Patentinhaberin angenommen, daß der Fachmann am Prioritätstag aufgrund der in der Patentschrift angegebenen Kennwerte für Wellenwiderstand, Dämpfung und Nahnebensprechen eindeutig die Eignung, bzw. die sich daraus ergebende Verwendungsmöglichkeit, konkret ausgeführter Kabel zur Übertragung mit Frequenzen oberhalb 3. MHz entnehmen konnte. Als erreichbares Ergebnis des Kabelaufbaus stellen diese Merkmale im Sinne des Streitpatents einen anzustrebenden Qualitätsparameter dar. Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit kommt ihnen daher ein technischer Beitrag zu, der eine besonders sorgfältige Ausgestaltung des erfindungsgemäßen Kabels zur Erzielung dieser Werte an konkreten Ausführungsbeispielen impliziert. Eine über diese Auslegung hinausgehende Bedeutung würde diesen Merkmalen einen durch die Offenbarung der Erfindung nicht gerechtfertigten Vorteil zukommen lassen (siehe z. B. G 1/93, ABl. EPA, 1994, 541, Punkt 9).
3. E5 spezifiziert "Technische Lieferbedingungen" für ein Trägerfrequenz-Fernmeldekabel. Es ist im Beschwerdeverfahren nicht bestritten worden, daß der Inhalt der E5 ab 1969, zumindest durch die schriftliche Beschreibung in der E5, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Unstreitig offenbart E5 (Punkte 2.1.2 bis 2.1.11) die Merkmale a) bis e) des Patentanspruchs 1 des Hauptantrags außer einer Schirmfolie (8) in Merkmal b) und einem Durchmesser der Einzeladern von ca. 1. mm in Merkmal d). Die Geometrie des in E5 spezifizierten Sternvierers wird durch Umspritzen der verseilten Adern mit einem Polyethylenmantel unter Ausfüllen der Lücken des Sternvierers (Zwickel) fixiert (E5, 2.1.4.1). Da dem Fachmann allgemein bekannt war, daß eine optimale Entkopplung beim Sternvierer nur bei Einhaltung der Symmetriebedingungen erreichbar ist, hätte er versucht, die theoretischen Vorgaben in der Praxis beim Umspritzen der verseilten Einzeladern im Rahmen der wirtschaftlich vertretbaren Sorgfalt so gut wie möglich zu erreichen. Daher hätte er angestrebt, die Einzeladern theoriekonform so zu fixieren, daß die Lage der Einzeladern zueinander, und damit die Geometrie der Verseilung, an allen Stellen des Kabels über die Kabellänge gleich ist. Trotz unvermeidlicher Abweichungen von der angestrebten Symmetrie in der Praxis, hat die Herstellung der Kabel nach der Spezifikation der E5 (Punkte 1.5, 2.3.7, 2.3.8) mindestens so sorgfältig zu erfolgen, daß das Kabel für Trägerfrequenztechnik im Bereich von 0,3 kHz bis 607 kHz eingesetzt werden kann.
4. Das Datenübertragungskabel gemäß Patentanspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich daher von dem aus E5 bekannten Stand der Technik dadurch, daß in Patentanspruch 1 eine Schirmfolie (statt einer Kupferbeflechtung in E5) festgelegt ist, daß der Durchmesser der Einzeladern ca. 1 mm (statt 1,95 ± 0,1 mm in E5, 2.1.2.1) beträgt und daß das beanspruchte Kabel zur Datenübertragung mit Frequenzen oberhalb 3 MHz geeignet ist und eine Nahnebensprechcharakteristik von größer 40. dB bei 100 MHz aufweist.
5. Nach der Patentschrift (Spalte 2, Zeilen 21 bis 24) wird die Aufgabe gelöst, ein Kabel zu schaffen, das eine betriebssichere und möglichst unverfälschte Datenübertragung über große Entfernungen gewährleistet.
6. Digitale Übertragungssysteme gab es bereits längere Zeit vor dem Prioritätsjahr des Streitpatents (1992). Daten wurden über Telefonkabel übertragen (z. B. BTX, Internet). Damit wurden auch Telefonkabel im Sinne des Patentrechts zu Datenübertragungskabeln, und es gab, infolge der Entwicklung und Verbreitung der Personalcomputer, einen rasch wachsenden Bedarf an Kabeln, die für Datenübertragung mit höheren Frequenzen geeignet waren. Kabel mit minimaler Dämpfung und hoher Nebensprechsicherheit zu entwickeln und zu fertigen, gehörte daher für einen Fachmann auf dem Gebiet der Kabelfertigung und Datenübertragung zu den anzustrebenden Zielen. Die Möglichkeit, Daten mit Frequenzen oberhalb 3 MHz und mit einer Nahnebensprechcharakteristik von größer 40 dB bei 100 MHz zu übertragen, stellte in diesem Zusammenhang eine wünschenswerte Eigenschaft für die in Telephonnetzen eingesetzten Sternviererkabel dar. Als Zielsetzung stellten diese Kabelspezifikationen am Prioritätstag daher naheliegende Merkmale dar.
7. Das an vielen Stellen der Patentschrift hervorgehobene Merkmal der Fixierung der Einzeladern durch einen Zwischenmantel aus Polyethylen (und/oder Polypropylen) in geeigneter Zusammensetzung (siehe Punkt 2.1 oben) entnimmt der Fachmann der E5 ohne explizite Beschreibung dieses Sachverhalts. Denn bei dieser Art des Umspritzens werden die Zwickel ausgefüllt und die Einzeladern in einem dicht anliegenden, runden Mantel fixiert (E5, Punkte 2.1.4.1 und 2.1.4.2). Die Bedeutung der elektrischen Eigenschaften dieses Zwischenmantelmaterials wird durch die Forderung in Punkt 2.1.4.3 der E5 unterstrichen, nach welcher für dieses Material dieselben Forderungen gelten wie für das Material der Aderisolierung. Der Fachmann hatte daher gute Gründe anzunehmen, daß sich ein Kabel mit diesen strukturellen Merkmalen mit den am Prioritätszeitpunkt bekannten (gegenüber 1969 verfeinerten) Herstellungsverfahren eignen würde, um Daten mit höheren Frequenzen als den in E5 genannten (mindestens) 607 kHz zu übertragen. Für höhere Frequenzen hätte der Fachmann eine Schirmfolie wegen ihrer bekanntermaßen dichteren Schirmwirkung zumindest in Erwägung gezogen. Die Wahl eines kleineren Durchmessers der Einzeladern (ca. 1 mm) stellt in diesem Zusammenhang eine rein konstruktive Maßnahme dar, die sich für den Fachmann unter Berücksichtigung gewisser Kenngrößen seiner Anwendung ergeben hätten (z. B. Signalströme, Widerstandsbedingungen, Übertragungslänge, Steckanschlußbedingungen, etc.). Diese Durchmessergrößenordnung ist für Telekommunikationskabel nicht ungewöhnlich, und es ist auch kein von E5 abweichendes Verhältnis des Einzeladerdurchmessers zum Schirm- oder Außenmanteldurchmesser im vorliegenden Patentanspruch 1 (Haupt- und Hilfsantrag) festgelegt, noch ist ein solches aus dem Streitpatent klar erkennbar.
8. Dieselben Überlegungen gelten im vorliegenden Fall für eine Verwendung eines Datenübertragungskabels zur Übertragung mit Frequenzen oberhalb 3 MHz gemäß Hilfsantrag. Denn diese Verwendung ist für den Fachmann selbstverständlich, wie die Beschwerdegegnerin bezüglich der Offenbarung dieses Merkmals in der Patentschrift argumentiert hat, wenn sich die Eignung konkret ausgeführter Kabel zu diesem Zweck herausgestellt hat.
9. Die Argumente der Patentinhaberin, daß der Fachmann nur bei unzulässiger rückschauender Betrachtung zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 (Hauptantrag und Hilfsantrag) hätte kommen können, konnten die Kammer nicht überzeugen.
9.1. Daß der Innenmantel in E5 als Schutz gegen Eindringen von Wasser und gegen mechanische Beschädigung diene, trifft auch auf den Zwischenmantel beim Streitpatent zu (Patentschrift, Spalte 2, Zeile 58 bis Spalte 3, Zeile 3). Wie vorstehend ausgeführt, ist die Kammer überzeugt, daß ein Fachmann in E5 neben der mechanischen Schutzwirkung auch den Vorteil einer Fixierung der Geometrie der Verseilung erkannt hätte. Den Zwischenmantel wegen dieser Vorteile beizubehalten und durch geeignete, im Patentanspruch nicht näher festgelegte Auswahl des Zwischenmantelmaterials in Verbindung mit der Geometrie des Kabels die Dämpfung niedrig zu halten, lag daher nahe.
9.2. E9 zeigt in Bild 3 auf Seite B14, daß der Skineffekt bei runden Kupferdrähten für kleine Durchmesser bei höheren Frequenzen wirksam wird. Im Abschnitt "Hochfrequenzlitze" auf den Seiten B15 und B16 der E9 wird darauf hingewiesen, daß die Frequenz, ab welcher eine Hochfrequenzlitze sinnvoll ist, um so niedriger ist, je dicker der benötigte Gesamtquerschnitt ist. Wegen der kapazitiven Kopplung der Einzeldrähte sei aber "oberhalb 10 MHz" die Anwendung relativ dicker Drähte günstiger als eine Hochfrequenzlitze, weil der große Umfang des Leiters die Verluste klein halte. Ausgehend von einem Litzenleiter mit sieben Kupferrunddrähten von je 0,35 mm Durchmesser in E5 (2.1.1.1) sieht die Kammer in E9 kein technisches Vorurteil gegen die Verwendung von Einzeladern mit einem Durchmesser von ca. 1 mm oder weniger. Denn die Datenübertragung erfolgt im vorliegenden Fall nicht notwendigerweise mit Frequenzen oberhalb der in E9 genannten Grenze, und die Drähte sind, wie in E9, relativ dünne Litzenleiter (siebenfache oder mehrfache Litze; Patentschrift, Spalte 5, Zeilen 30 bis 34).
9.3. Die nach E5 mindestens einzuhaltenden Toleranzen mögen zwar ein Indiz dafür sein, daß Kabel, welche im Jahre 1969 nach den Spezifikationen der E5 hergestellt wurden, nicht für die Übertragung mit Frequenzen oberhalb 3 MHz geeignet gewesen wären. Weder der Gegenstand des vorliegenden Patentanspruchs 1 (Hauptantrag und Hilfsantrag) noch die Beschreibung geben jedoch engere Toleranzen an. Aufgrund des bis zum Prioritätszeitpunkt erreichten technischen Fortschritts bei der Kabelfertigung ist anzunehmen, daß solche Kabel tatsächlich mit engeren (als den nach E5 einzuhaltenden maximalen) Toleranzen hergestellt worden wären, um bei einem Trend zur Datenübertragung mit höheren Frequenzen auf dem Markt zu bestehen. Der Hinweis auf die Resonanzanlage in E5, Punkt 2.3.7, als Indiz für eine mangelnde Eignung des Kabels überzeugt ebenfalls nicht, da es sich hier nicht um tatsächlich gemessene Werte an einem hergestellten Kabel handelt, sondern um Spezifikationen des Wellenwiderstandes, die nach den Angaben in E5 einzuhalten sind, aber für diese Frequenz entfallen.
9.4. Die Kammer hat keinen Grund die Behauptung der Beschwerdegegnerin anzuzweifeln, daß der wirtschaftliche Erfolg erfindungsgemäßer Datenübertragungskabel auf den guten Übertragungseigenschaften bei hohen Frequenzen beruht. Es ist aber aus der Patentschrift und dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin nicht erkennbar, daß diese Eigenschaften auf einem nicht naheliegenden technischen Unterschied des beanspruchten Gegenstandes gegenüber dem Stand der Technik in E5 beruhen. Die genaue Beachtung des geometrischen Aufbaus und die exakte Herstellung eines Kabels, dessen besondere Eigenschaften nach allgemein bekannter Theorie auf der Symmetrie der Anordnung der Einzeladern beruht, ist als übliches fachmännisches Handeln und somit nicht als erfinderisch anzusehen. Bei dieser Sachlage konnte das Indiz "wirtschaftlicher Erfolg" die Kammer nicht vom Gegenteil überzeugen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 4. Auflage 2001, Seite 157, Punkt 7.5).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.