T 1230/03 (Kontrazeptionspräperat/JENAPHARM) 16-11-2006
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Kombinationspräperat zur Kontrazeption
I. Auf die Patentanmeldung Nr. 94 250 030.7 wurde das europäische Patent Nr. 0 628 312 mit 8 Ansprüchen erteilt.
II. Die unabhängigen Patentansprüche 1 und 8 des erteilten Patents hatten folgenden Wortlaut:
"1. Kombinationspräparat zur Kontrazeption, bestehend aus einer Stufe oder aus einer und mehreren weiteren Stufen, wobei mindestens eine Stufe die Kombination von drei Komponenten, nämlich einem biogenen Estrogen, einem synthetischen Estrogen und einem Gestagen enthält, und wobei die weiteren Stufen jeweils aus einem pharmazeutisch unbedenklichen Placebo bestehen
oder ein biogenes oder synthetisches Gestagen,
oder ein biogenes oder synthetisches Estrogen,
oder eine Kombination aus drei Komponenten,
nämlich ein biogenes Estrogen, ein synthetisches Estrogen und ein Gestagen
oder eine Kombination aus synthetischen Estrogenen und einem Gestagen enthalten.
8. Pharmazeutische Packung zur Kontrazeption, dadurch gekennzeichnet, daß sie bis zu 28 Tagesdosiseinheiten des Kombinationspräparates nach mindestens einem der vorangehen den Ansprüche enthält, wobei die Anzahl der Tagesdosiseinheiten der ersten Stufe 1 bis 28 beträgt und im Falle des Vorliegens einer zweiten Stufe die Anzahl der Tagesdosiseinheiten für die zweite Stufe 1 bis 14 beträgt und im Falle des Vorliegens weiterer Stufen die Anzahl der Tagesdosiseinheiten für diese weiteren Stufen jeweils 1 bis 7 beträgt,
wobei mindestens eine Stufe die Kombination von drei Komponenten, nämlich einem biogenen Estrogen, einem synthetischen Estrogen und einem Gestagen enthält, und wobei die weiteren Stufen jeweils aus einem pharmazeutisch unbedenklichen Placebo bestehen
oder ein biogenes oder synthetisches Gestagen,
oder ein biogenes oder synthetisches Estrogen,
oder eine Kombination aus drei Komponenten,
nämlich ein biogenes Estrogen, ein synthetisches Estrogen und ein Gestagen
oder eine Kombination aus synthetischen Estrogenen und einem Gestagen enthalten."
III. Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) hat unter Hinweis auf Artikel 100 a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit des Gegenstandes des Streitpatentes und mangelnder erfinderischer Tätigkeit Einspruch eingelegt und zusätzlich vorgetragen, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht so vollständig offenbart, dass er für den Fachmann ausführbar wäre (Artikel 100 b) EPÜ).
IV. Die Einspruchsabteilung hat das Streitpatent mit der am 28. Oktober 2003 zur Post gegebenen Entscheidung nach Artikel 102 (1),(3) EPÜ widerrufen.
Sie führte aus, dass die im erteilten Patent offenbarte Lehre für den Fachmann unter anderem angesichts der Beispiele in der Streitpatentschrift ausführbar sei, und insofern der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ nicht zum Tragen käme.
Der Gegenstand des erteilten Patents sei jedoch nicht neu.
V. Die im europäischen Patentregister als alleinige Patentinhaberin eingetragene Jenapharm GmbH & Co. KG hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde erhoben und drei Anspruchsfassungen als Hauptantrag sowie 1. und 2. Hilfsantrag eingereicht. Als Antwort auf einen am 8. August 2006 zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung zur Post gegebenen Bescheid der Kammer hat sie mit Eingabe vom 31. Oktober 2006 drei weitere Anspruchsfassungen als 3. bis 5. Hilfsantrag vorgelegt.
VI. Am 16. November 2006 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in deren Verlauf die Patentinhaberin nach jeweiliger Zulassung zum Verfahren den schriftlich eingereichten 3. Hilfsantrag als neuen Hauptantrag, den 4. Hilfsantrag als neuen 1. Hilfsantrag und den 5. Hilfsantrag als neuen 2. Hilfsantrag vorgelegt hat. Ein weiterer Antrag wurde als nunmehr 3. Hilfsantrag gestellt.
Patentanspruch 1 nach dem geltenden Hauptantrag lautet:
"Kombinationspräparat zur Kontrazeption bestehend aus einer Stufe oder aus einer und mehreren weiteren Stufen, wobei mindestens eine Stufe die Kombination von drei Komponenten, nämlich
a) 0,005 bis 0,010 mg/Tag Ethinylestradiol oder Mestranol und
b) 1 mg/Tag Estradiol oder Estradiolvalerat oder Estronsulfat und
c) 0,125 mg/Tag Levonorgestrel oder
0,150 mg/Tag Desogestrel oder
0,6 mg/Tag Norethisteronacetat oder
2 mg/Tag Dienogest oder
2 mg/Tag Chlormadinonacetat
enthält, und wobei die weiteren Stufen jeweils aus einem pharmazeutisch unbedenklichen Placebo bestehen." ("Chlormadinoacetat" wegen des Tippfehlers durch "Chlormadinonacetat" durch die Kammer ersetzt.)
Demgegenüber ist im Text des ersten Anspruchs nach dem geltenden 1. Hilfsantrag und im einzigen Anspruch nach dem geltenden 2. Hilfsantrag gleichlautend nach den Worten "Kontrazeption bestehend aus" die Wortfolge "einer Stufe oder aus" gestrichen worden, so dass die einleitende Passage in diesen Ansprüchen nun jeweils wie folgt lautet:
"Kombinationspräparat zur Kontrazeption bestehend aus einer und mehreren weiteren Stufen, wobei mindestens eine Stufe die Kombination von drei Komponenten, nämlich " (Fettdruck durch die Kammer).
Der einzige Anspruch des in der mündlichen Verhandlung eingereichten 3. Hilfsantrags hat folgenden Wortlaut:
"Kombinationspräparat zur Kontrazeption bestehend aus einer Stufe mit 21 Tagesdosiseinheiten oder aus einer Stufe mit 21 Tagesdosiseinheiten und einer weiteren Stufe mit pharmazeutisch unbedenklichem Placebo, wobei jede der 21 Tagesdosiseinheiten
a) 0,005 bis 0,010 mg/Tag Ethinylestradiol oder Mestranol und
b) 1 mg/Tag Estradiol oder Estradiolvalerat oder Estronsulfat und
c) 0,125 mg/Tag Levonorgestrel oder
0,150 mg/Tag Desogestrel oder
0,6 mg/Tag Norethisteronacetat oder
2 mg/Tag Dienogest oder
2 mg/Tag Chlormadinonacetat
enthält."
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verfahren kann folgendermaßen zusammengefasst werden:
Die Parteistellung der Patentinhaberin komme alleine der Jenapharm GmbH & Co. KG zu. Zwar sei das angegriffene europäische Patent für bestimmte Vertragsstaaten an die Schering AG übertragen worden. Jedoch sei zu keinem Zeitpunkt beim EPA ein Antrag auf Eintragung des (teilweisen) Rechtsübergangs in das europäische Patentregister gestellt worden. Im diesem Register sei daher weiterhin allein die Jenapharm GmbH & Co. KG als Patentinhaberin eingetragen.
Die zusätzlichen Merkmale der Gegenstände nach den vorliegenden Anträgen seien der ursprünglich eingereichten Beschreibung in Übereinstimmung mit den Erfordernissen von Artikel 123 (2) EPÜ entnommen worden. Die Gegenstände selbst seien ausreichend klar (Artikel 84 EPÜ) und der Schutzbereich nach den Anspruchsfassungen ginge nicht über den des erteilten Patents hinaus (Artikel 123 (3) EPÜ).
Im Übrigen seien die Gegenstände nach den vorliegenden Anträgen nun in erster Linie wegen der geringen Menge von einzusetzendem Ethinylestradiol oder Mestranol in Verbindung mit 1 mg/Tag spezifiziertem, körpereigenem Estrogen neu und beruhten auch auf erfinderischer Tätigkeit.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat ausgeführt, dass sie aufgrund einer Datenbankabfrage angenommen habe, dass eine Übertragung des europäischen Patents für den Vertragsstaat Schweiz auf die Schering AG erfolgt sei.
Im Übrigen hat sie den inhaltlichen Argumenten der Beschwerdeführerin widersprochen.
Sie macht im Wesentlichen geltend, dass die vorliegenden Anspruchsfassungen unklar seien, weil die Bedeutung des Begriffs "Stufe" nicht eindeutig erkennbar sei. Im Übrigen seien die zusätzlichen Merkmale in den Ansprüchen der geltenden Anträge dem ersten von zwei zusammengehörigen Absätzen in der Beschreibung entnommen. Es hätten jedoch auch die Merkmale aus dem zweiten Absatz aufgenommen werden müssen, um einen Konflikt mit Artikel 123 (2) EPÜ ausschließen zu können.
IX. Bezüglich weiterer Einzelheiten wird auf die Akten verwiesen.
X. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des neuen Hauptantrags, des neuen 1. Hilfsantrags oder des neuen 2. Hilfsantrags, die mit Schreiben vom 31. Oktober 2006 als 3., 4. und 5. Hilfsantrag eingereicht worden waren, oder des neuen in der mündlichen Verhandlung eingereichten 3. Hilfsantrags.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
1. Die Kammer hat sich davon überzeugt, dass die Jenapharm GmbH & Co. KG im europäischen Patentregister als alleinige Patentinhaberin eingetragen ist und dass sich aus der Akte keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass ein Antrag auf die Eintragung eines Rechtsübergangs an die Schering AG für den Vertragsstaat Schweiz oder andere Vertragsstaaten in das europäische Patentregister gestellt worden ist. Gemäß Regel 61 EPÜ in Verbindung mit Regel 20 EPÜ gilt daher im vorliegenden Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem EPA allein die Jenapharm GmbH & Co. KG als Patentinhaberin, unabhängig von einem möglicherweise materiellrechtlich erfolgten (teilweisen) Rechtsübergang auf eine andere Person (siehe z.B. T 656/98, ABl. EPA 2003, 385).
2. Die Beschwerde ist zulässig.
3. Die verspätet eingereichten, nunmehr vorliegenden Anträge sind allesamt zum Verfahren zugelassen worden, weil sie ernsthafte Versuche darstellen, auf die unmittelbar zuvor im schriftlichen beziehungsweise mündlichen Verfahren vorgebrachten Argumente zu reagieren. Sie schränken den Antragsgegenstand jeweils wesentlich ein und werfen insofern auch keine grundsätzlich neuen oder komplexen Probleme auf.
4. Die Kammer hat sich davon überzeugt, dass mit den vorliegenden Anspruchsfassungen gemäß Hauptantrag und gemäß 1. bis 3. Hilfsantrag die Anforderungen nach Artikel 83 EPÜ erfüllt sind.
Hinsichtlich der Bedeutung des Begriffes "Stufe" in Verbindung mit dem beanspruchten Kombinationspräparat gemäß Hauptantrag und im 1. und 2. Hilfsantrag ist festzustellen, dass - gegenüber der bereits im erteilten Patentanspruch enthaltenen Nennung der entsprechenden Merkmale - eine neue Sachlage dahingehend eingetreten ist, dass nunmehr die wirkstoffhaltige "Stufe" als eine Stufe aus mehreren gleichen Tagesdosen ("mg/Tag") bestehen kann, während die möglicherweise als Tages-"Dosen" ebenfalls gleichen Placebos ausschließlich die anspruchsgemäß "mehreren weiteren Stufen" darstellen. Der Fachmann kann mit Hilfe seines Fachwissens jedoch erkennen, was unter Schutz gestellt werden soll.
Ein genaueres Eingehen auf diesen Sachverhalt im Rahmen von Artikel 84 EPÜ erübrigt sich, insbesondere weil sich die beanspruchten Gegenstände aus anderen Gründen als nicht patentfähig erweisen, wie im Folgenden dargestellt wird.
Die Zusammensetzung hinsichtlich der enthaltenen Estrogene und Gestagene ist als Merkmal der Kombinationspräparate, wie sie den Gegenstand in jedem der vorliegenden Anträge darstellen, immer gleich. Dieses Merkmal ist dem Absatz 2 auf Seite 5 der am Anmeldetag eingereichten Beschreibung entnommen und im Grunde einer eingeschränkten Version des ebenfalls am Anmeldetag eingereichten Patentanspruchs 1 zugefügt worden.
Die so eingefügte Zusammensetzung ist jedoch untrennbar mit den Ausführungen des in der Beschreibung folgenden Absatzes 3 verbunden, nach denen "Die Applikation über einen Zeitraum der ersten 21 Tage des Zyklus" erfolgt und nach der "An den übrigen Tagen des Zyklus pharmazeutisch unbedenkliches Placebo oder überhaupt kein pharmazeutisches Präparat appliziert" wird.
Nun weisen aber die beanspruchten Kombinationspräparate in Übereinstimmung mit dem erteilten Patentanspruch 1 - und daher unabdingbar - Merkmale auf, die sich aus der Applikation ableiten, weil sie aus Stufen zu bestehen haben, die Wirkstoffe in Tagesdosen ("mg/Tag") enthalten oder als Placebo ohne Wirkstoffe vorgesehen sind. Die diesem Sachverhalt entsprechenden, in Absatz 3 auf Seite 5 der ursprünglichen Beschreibung vorgesehenen Applikationsmerkmale sind aber enger definiert, als im ursprünglichen Patentanspruch 1. Daher müssen sie zusammen mit den zugehörigen Zusammensetzungsmerkmalen insgesamt in den ursprünglichen Patentanspruch 1 aufgenommen werden, damit kein gegenüber der ursprünglichen Offenbarung erweiterter Gegenstand beansprucht wird.
So hätte ein Kombinationspräparat mit der beanspruchten Zusammensetzung gemäß Absatz 2 auf Seite 5 der ursprünglichen Beschreibung jedenfalls eine Stufe mit 21 Tagesdosen dieser Zusammensetzung aufzuweisen und die "weitere(n) Stufe(n)" hätten "die übrigen Tage des Zyklus" abzudecken.
Nach den Ansprüchen 1 gemäß Hauptantrag sowie 1. und 2. Hilfsantrag kann demgegenüber die "Stufe", die Wirkstoffe enthält, auch mehr oder weniger als 21 Tagesdosen umfassen; ihr Gegenstand geht somit über den ursprünglich angemeldeten Gegenstand hinaus.
Der Text des 3. Hilfsantrags lässt demgegenüber immerhin noch offen, wie viele Placebos das Kombinationspräparat im Anschluss an die 21 Tage zu umfassen hätte, wobei mehr als 7 als Ergänzung in Richtung auf den durchschnittlichen 28-Tage-Zyklus zwar grundsätzlich medizinisch unsinnig wären. Dies trifft jedoch nicht unbedingt zu, wenn das Kombinationspräparat weniger als 7 Placebos umfasst. Insofern liegt auch hier eine unzulässige Änderung des Anmeldungsgegenstands vor.
Im Übrigen ist nach dem geltenden 3. Hilfsantrag die Placebophase als "eine weitere Stufe" definiert, was nach dem Wortlaut des erteilten Patents insofern nicht vorgesehen ist, als es sich dort einschließlich der Stufe mit Wirkstoffverabreichung um "eine Stufe oder eine und mehrere weitere Stufen" zu handeln hätte.
An dieser Stelle verstößt die geltende Anspruchsfassung nach dem 3. Hilfsantrag gegen Artikel 123 (3) EPÜ.
5. Die Beschwerdeführerin hat demgegenüber weitere Argumente vorgebracht, denen die Kammer aber nicht zu folgen vermag:
So kann der Einwand nicht greifen, die Zusammensetzung gemäß Absatz 2 auf Seite 5 der ursprünglichen Beschreibung stelle ganz allgemein eine erfindungsgemäße Zusammensetzung dar und sei unabhängig von der ebenfalls isoliert und allgemein für das gesamte Streitpatent gültigen Anweisung zur Applikation im Absatz 3 zu lesen.
Dieser Ansicht kann sich die Kammer nicht anschließen, weil gerade diese Zusammensetzung, soweit sie ohne weitere Wirkstoffverabreichung oder zusammen mit Placebos genannt wird, in der ganzen ursprünglichen Anmeldung nicht noch einmal vorkommt, und zwar weder im allgemeinen Text, noch in den Beispielen.
Auch ist im weiteren Text nach Absatz 3 auf Seite 5 der ursprünglichen Beschreibung für jede zu verabreichende Zusammensetzung jeweils ein eigenes, spezifisches Applikationsschema genannt, was zum einen gegen eine allgemeine Bedeutung der im Absatz 2 genannten Zusammensetzung spricht, aber gleichzeitig beweist, dass die Applikationsvorschrift im Absatz 3 alleine für die Zusammensetzung in Absatz 2 gilt und weiter in der Anmeldung keine Bedeutung haben kann.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.