T 0215/04 26-10-2006
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Weissbrucharme, zähmodifizierte Propylenpolymerisate
Neuheit (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
I. Die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 826 728 auf die europäische Patentanmeldung Nr. 97 114 544.6 der BASF Aktiengesellschaft (jetzt Basell Poliolefine Italia S.r.l.), angemeldet am 22. August 1997 unter Beanspruchung der Priorität der deutschen Voranmeldung DE 19635503 vom 2. September 1996, wurde am 21. Juni 2000 bekannt gemacht (Patentblatt 2000/25).
Das erteilte Patent enthielt 11 Ansprüche, wobei Anspruch 1 wie folgt lautete:
"Propylenpolymerisate, enthaltend
a) 50 bis 95 Gew.-Teile eines Propylenhomopolymerisats mit einem Schmelzflußindex von 0,1 bis 100 g/10 min., bei einer Temperatur von 230ºC und unter einem Gewicht von 2,16 kg, nach ISO-Norm 1133 und einem Isotaktizitätsindex, in Xylol nach ISO-Norm 6427b, wenigstens 98%,
b) 5 bis 50 Gew.-Teile eines Ethylen-Copolymerisats mit 4 bis 40 Gew.-% einpolymerisiertem C4-C20-Alk-1-en, einer Dichte von 0,865 bis 0,920 g/cm**(3) und einem Schmelzflußindex von 0,1 bis 100 g/10 min, bei 230ºC und unter einem Gewicht von 2,16 kg, nach ISO-Norm 1133 und
c) 0 bis 1,5 Gew.-Teile eines Nukleierungsmittels, wobei die Summe der Gew.-Teile des Propylenhomopolymeri sats a) und des Ethylencopolymerisats b) stets 100 Gew.-Teile ergibt."
Die abhängigen Ansprüche 2-8 betrafen bevorzugte Ausführungsformen der Propylenpolymerisate gemäß Anspruch 1. Anspruch 9 betraf ein Verfahren zur Herstellung der beanspruchten Propylenpolymerisate und Anspruch 11 deren Verwendung als Folien, Fasern und Formkörper. Anspruch 10 betraf eine bevorzugte Ausführungsform des Verfahrens gemäß Anspruch 9.
II. Gegen das Patent wurde am 19. März 2001, gestützt auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), von der Borealis GmbH Einspruch erhoben.
Der Einspruch stützte sich auf folgende Dokumente:
D1: WO-A-96/06132;
D2: US-A-4 966 944;
D3: DE-A-43 29 292;
D4: US-A-5 258 464;
D5: EP-A-0 605 180; und
D6: Produktdatenblatt EXACT® 4033 von ExxonMobil (nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereicht).
III. Mit der am 12. November 2003 verkündeten und am 11. Dezember 2003 schriftlich begründeten Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das europäische Patent. Der Entscheidung lagen zwei Anspruchssätze zu Grunde, d.h. ein Hauptantrag (Ansprüche 1-11 wie erteilt) und ein Hilfsantrag (Ansprüche 1-10, eingereicht am 12. November 2003).
a) Anspruch 1 des Hilfsantrags unterschied sich von dem erteilten Anspruch 1 lediglich dadurch, dass die Gewichtsteile für die Komponente a)auf 75 bis 90 Gew.-Teile, für die Komponente b) auf 10 bis 25 Gew.-Teile und für die Komponente c) auf 0,05 bis 1,5 Gew.-Teile eingeschränkt worden sind.
Die Ansprüche 2-10 des Hilfsantrags entsprachen den erteilten Ansprüchen 3-11.
b) Nach Ansicht der Einspruchsabteilung ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags und des Hilfsantrags gegenüber D1 nicht neu, da D1 alle Komponenten der beanspruchten Polypropylen polymerisate offenbart. Insbesondere handelt es sich danach bei dem beanspruchten Isotaktizitätsindex von wenigstens 98% nicht um eine neuheitsbegründende Auswahl gegenüber dem in D1 offenbarten Bereich von wenigstens 93%, bevorzugt wenigstens 96%. Eine Überschneidung eines Bereichs von 50% mit Überlappung des Endbereichs (nämlich 100%) stellt keine Auswahl dar. Darüber hinaus ist nach Ansicht der Einspruchsabteilung in der D1 auch die Richtung angegeben, in der die Bevorzugung liegt, so dass ein Fachmann keine Veranlassung hatte, den Bereich von wenigstens 98% auszuklammern. Die Einspruchsabteilung bezog sich in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung T 247/91.
IV. Gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) am 12. Februar 2004 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde ein.
Mit der am 1. April 2004 eingereichten Beschwerde begründung legte die Beschwerdeführerin geänderte Ansprüche vor, wobei Anspruch 1 der erteilten Fassung dahingehend geändert wurde, dass das Propylenhomopolymerisat a) einen Isotaktizitätsindex von 98% bis 99,5% (vorher "wenigstens 98%") aufwies, und die Menge des eingesetzten Nukleierungsmittels von 0 bis 1,5 Gew.-Teile auf 0,05 bis 1,5 Gew.-Teile eingeschränkt wurde.
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Die von der Einspruchsabteilung zitierte Entscheidung T 247/91 treffe im vorliegenden Fall nicht zu, da es sich bei dem beanspruchten Gegenstand nicht um eine einfache Auswahl eines engeren Bereichs aus einem breiteren Bereich handle, sondern um eine mehrfache (und zwar dreifache) Auswahl aus der Offenbarung von D1. In diesem Zusammenhang sei auf die Entscheidung T 653/93 zu verweisen. Um zu dem beanspruchten Gegenstand zu gelangen, müsse man aus D1 (1) Propylenhomopolymere mit einem Isotaktizitätsindex von 98-99,5%, (2) eine sehr kleine Menge an Nukleierungsmittel und (3) eine 3-Komponenten-Zusammensetzung auswählen.
b) Gegenüber den im Einspruch zitierten Dokumenten beruhe der beanspruchte Gegenstand auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
V. In ihrer Erwiderung vom 20. Dezember 2004 vertrat die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) die Auffassung, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um eine mehrfache Auswahl analog zu T 653/93 handle.
VI. In der Anlage zur Ladung für eine mündliche Verhandlung wies die Kammer unter anderem darauf hin, dass in der für den 26. Oktober 2006 anberaumten mündlichen Verhandlung zu prüfen sein werde, ob die geänderten Ansprüche die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllen.
VII. Mit Schreiben vom 25. September 2006 reichte die Beschwerdeführerin vier Sätze geänderter Ansprüche (Hauptantrag, 1.-3. Hilfsantrag) ein, die dem weiteren Verfahren zu Grunde gelegt werden sollten.
a) Anspruch 1 des Hauptantrags unterschied sich von dem erteilten Anspruch 1 dadurch, dass die Komponente a) einen Isotaktizitätsindex von 98% bis 99,5% aufwies (vorher "wenigstens 98%").
Die Ansprüche 2-10 des Hauptantrags entsprachen den erteilten Ansprüchen 2, 3 und 5-11.
b) Auf die Ansprüche des 1.-3. Hilfsantrags muss nicht näher eingegangen werden, da sie für diese Entscheidung nicht von Bedeutung sind.
c) Nach Ansicht der Beschwerdeführerin erfüllen alle in den Anspruchssätzen vorgenommenen Änderungen die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ. Bezüglich der Neuheit trug sie vor, dass man nur durch eine mehrfache Auswahl aus der D1 zu den beanspruchten Gegenständen gelangen könne. Auch beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags bzw. des 1.-3. Hilfsantrags gegenüber der D1 auf einer erfinderischen Tätigkeit. In diesem Zusammenhang verwies die Beschwerdeführerin auf das Beispiel 1 und das Vergleichsbeispiel A im Streitpatent. Ein Vergleich dieser Proben zeige ein identisches Weißbruchverhalten mit Vorteilen hinsichtlich G-Modul, Zug-E-Modul und Schlagzähigkeit bei tiefen Temperaturen (0ºC und -20ºC) für das erfindungsgemäße Beispiel 1, worin auch die objektiv zu lösende Aufgabe zu sehen sei. D1 biete dem Fachmann keine Motivation, eine bestimmte thermoplastische Komponente mit einer bestimmten elastomeren Komponente zu kombinieren, um diese Aufgabe zu lösen.
VIII. Die Eingaben der Beschwerdegegnerin vom 26. September 2006 (zwei Schreiben) und 11. Oktober 2006 können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei gegenüber D1 nicht neu, da alle Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags in D1 beschrieben seien und es sich bei der nun beanspruchten Merkmalskombination nicht um eine Mehrfachauswahl aus diesem Dokument handle. So könne weder bei einem Isotaktizitätsindex von 98-99,5% für die Komponente a) noch bei der Komponente b) von einer neuheitsbegründenden Auswahl aus der D1 die Rede sein.
b) Der Versuch der Beschwerdeführerin gegenüber D1 eine Aufgabe zu definieren, entbehre jeglicher Grundlage. Richtig sei vielmehr, dass D1 und dem Streitpatent die gleiche Aufgabe zugrunde liege, und D1 auch die beanspruchte Lösung offenbare und nahe lege.
c) Zur Bestätigung dafür, dass es allgemeines Fachmissen sei, Polypropylen ein Nukleierungsmittel im beanspruchten Bereich zuzugeben, reichte die Beschwerdegegnerin folgendes Dokument ein:
D7: R. Gächter und H. Müller (Herausgeber), "Taschen buch der Kunststoff-Additive", 2. Auflage (1983), Carl Hanser Verlag München Wien, Seiten 696-699.
IX. Am 26. Oktober 2006 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Im Verlaufe der Diskussion vertraten die Parteien im Wesentlichen ihre bereits schriftlich vorgebrachten Argumente. Insbesondere wurde diskutiert, inwieweit die D1 einen Bereich für die Isotaktizität offenbare.
X. Die Beschwerdeführerin beantragte, die Entscheidung der Einspruchabteilung aufzuheben und die Neuheit der Ansprüche 1-10 gemäß Hauptantrag, eingereicht am 25. September 2006, festzustellen und die Angelegenheit zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Hilfsweise beantragte sie die Neuheit gemäß einem der am 25. September 2006 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 festzustellen und zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
XI. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und, falls die Neuheit anerkannt wird, dass die Kammer unmittelbar über die erfinderische Tätigkeit entscheidet.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 EPÜ und der Regel 64 EPÜ und ist daher zulässig.
Hauptantrag
2. Änderungen
2.1 Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich von dem erteilten Anspruch 1 dadurch, dass die Komponente a) einen Isotaktizitätsindex von 98% bis 99,5% aufweist (vorher "wenigstens 98%"). Dieser Bereich ist in dem erteilten Anspruch 4 (bzw. dem ursprünglichen Anspruch 4), der u.a. auf Anspruch 1 rückbezogen ist, offenbart.
2.2 Auf Grund der Änderung in Anspruch 1 wurde der erteilte Anspruch 4 gestrichen, und die sich anschließenden Ansprüche bezüglich der Nummerierung und der Rückbeziehung angepasst.
2.3 Somit erfüllen die Ansprüche 1-10 die Erfordernisse des Artikels 123(2) und (3) EPÜ.
3. Neuheit
3.1 Der einzige Neuheitseinwand der Beschwerdeführerin beruht auf dem Dokument D1. Dies ist auch das einzige in der angefochtenen Entscheidung behandelte Dokument.
3.2 D1 beschreibt thermoplastische Olefinpolymer-Zusammensetzungen, die eine thermoplastische und eine elastomere Komponente enthalten. Daraus hergestellte Produkte weisen überlegene Oberflächenhärte, Schlagzähigkeit, Verarbeitbarkeit, Biegemodul und Haftfähigkeit für Beschichtungsmaterialien auf und können unter Verwendung herkömmlicher Techniken angestrichen werden (Seite 2, Zeile 35 bis Seite 3, Zeile 3).
3.2.1 Gemäß Anspruch 1 und der entsprechenden Beschreibung auf Seite 3, Zeile 19 bis Seite 4, Zeile 5 enthält die thermoplastische Komponente eine Komponente (1A), die ein Propylenhomopolymer oder ein Copolymer des Propylens mit einem Isotaktizitätsindex von größer als 0,93 oder einer Kristallinität von mehr als 56% und einer Dichte von mehr als 0,898 g/cm**(3) ist; eine Komponente (1B), die ein aufeinanderfolgend polymerisiertes, semikristallines Gemisch von Polypropylen und einem Ethylen-Propylen-Copolymer ist; oder eine Komponente (1C), die eine Mischung der Komponenten (1A) und (1B) ist. Geeignete Propylenpolymere haben typischerweise einen Schmelzflussindex von 10-80 dg/min (bei 230ºC und 2,16 kg) (Seite 7, Zeilen 6-10). Propylenhomopolymere, die als Komponente (1A) verwendet werden, haben einen Isotaktizitätsindex von größer als 0,93, bevorzug größer als 0,96, und/oder eine Kristallinität von mehr als 56%, bevorzugt von mehr als 65% (Seite 7, Zeilen 27-30).
Die elastomere Komponente der Zusammensetzung ist ein Copolymer aus Ethylen und einem C3-C8 Olefin, hergestellt mit einem Metallocen- oder Kaminsky-Katalysator und mit einer Molekulargewichtsverteilung (Mw/Mn) von kleiner oder gleich 3 (Anspruch 1). Bevorzugt ist die elastomere Komponente ein Copolymer aus Ethylen und Buten (Komponente (2)) oder ein Copolymer aus Ethylen und Octen (Komponente (3)) oder eine Mischung aus den Komponenten (2) und (3) (Anspruch 2).
Der Anteil der thermoplastischen Komponente in der Zusammensetzung beträgt 50-80% und der Anteil der elastomeren Komponente 20-50% (Anspruch 3).
Aber weder die Ansprüche noch die Beschreibung geben eine Dichte für die elastomere Komponente an.
3.2.2 In den Beispielen 1-6 der D1 wird eine Zusammensetzung verwendet, die als thermoplastische Komponente ein Polypropylen und als elastomere Komponente zwei Copolymere enthält, nämlich ein Ethylen-Buten-Copolymer und ein Ethylen-Octen-Copolymer. Das Polypropylen hat einen Schmelzflussindex von 45 dg/min bei 230ºC und 2,16 kg (ASTM D-1238). Bei dem in diesen Beispielen verwendeten Ethylen-Buten-Copolymer handelt es sich um EXACT® 4033 von Exxon, hergestellt mit Kaminsky-Katalysator, und einem Schmelzflussindex von 0,3 dg/min bei 190ºC und 2,16 kg (ASTM D-1238) (Fußnote der Tabelle 1). Dieser Wert liegt offensichtlich innerhalb des Bereichs von Anspruch 1 des Hauptantrags, da, wie die Beschwerdegegnerin im Einspruchsverfahren geltend gemacht, der Schmelzflussindex eines Polymers bei 230ºC um den Faktor 1,5 bis 2,0 höher liegt als der Schmelzflussindex bei 190ºC. Dem hat die Beschwerde führerin nicht widersprochen. Außerdem gibt das Produktdatenblatt D6 für EXACT® 4033 eine Dichte von 0,880 g/cm**(3) an. Obwohl die Beschwerdegegnerin damit glaubhaft machen konnte, dass das in den Beispielen 1-6 verwendete Ethylen-Buten-Copolymer alle Bedingungen der Komponente b) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags erfüllt, nehmen diese Beispiele den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht neuheitsschädlich vorweg, da der Isotaktizitätsindex des Polypropylens nicht angegeben ist.
3.2.3 Aus der obigen Analyse der D1 ergibt sich, dass weder die Beschreibung noch die Ansprüche noch die Beispiele die Merkmalskombination des Anspruchs 1 des Hauptantrags explizit offenbaren.
3.3 Dennoch vertrat die Beschwerdegegnerin die Ansicht, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber D1 nicht neu sei, da alle Merkmale des Anspruchs 1 des Hauptantrags in D1 beschrieben seien und es sich bei der nun beanspruchten Merkmalskombination nicht um eine Mehrfachauswahl aus diesem Dokument handle. So könne weder bei einem Isotaktizitätsindex von 98-99,5% für die Komponente a) noch bei der Komponente b) von einer Auswahl aus der D1 die Rede sein.
D1 gebe auf Seite 3, Zeilen 24-26 für Propylenhomo polymere einen Isotaktizitätsindex von größer als 0,93, bevorzugt größer als 0,96, an. Der Fachmann verstehe unter dieser Angabe, dass 0,93 die Untergrenze darstelle, und da keine Obergrenze angegeben sei, dass diese bei 1,0 liege, bzw. so hoch wie möglich sein solle, da es sich bei 1,0 um eine theoretische, praktisch nicht erreichbare Obergrenze handle. Folglich seien Isotaktizitätsindices von 98% bis über 99% genau das, was der Fachmann aus der in D1 gewählten Formulierung (größer als 0,93, vorzugsweise größer als etwa 96%) als erstrebenswert ansehe. Von einer irgendwie gearteten Auswahl könne somit keine Rede sein. Ein Bereich von 98-99,5% für den Isotaktizitätsindex erfülle nicht die Kriterien einer Auswahlerfindung, da er nicht eng sei und nicht genügend Abstand von dem bevorzugten Bereich habe.
Auch bei der zweiten Auswahl, der Komponente b), handle es sich nicht um eine Auswahl aus der D1, da die Kombination der Komponente (1A) mit den Komponenten (2) oder (3) in D1 expressis verbis erwähnt sei.
3.4 Die Kammer kann dieser Argumentation der Beschwerdegegnerin nicht folgen.
3.4.1 Zunächst ist festzustellen, dass diese Argumentation einen wesentlichen Punkt nicht berücksichtigt: D1 offenbart keinen klar definierten Bereich für die Isotaktizität. So wird zwar als Untergrenze ein Bereich von größer 93%, bevorzugt größer 96%, angegeben, aber keine Obergrenze. Da dem Fachmann klar sei, dass ein Wert von 100% das Optimum darstelle, welches praktisch aber nicht erreichbar sei, hat die Beschwerdegegnerin als implizite Obergrenze einen Wert angenommen, der möglichst nahe an das Optimum von 100% heranreicht, also 98, 99% oder sogar 99,5%. Einen Beleg für ihre Annahme, dass diese Werte in der D1 tatsächlich angestrebt worden sind, hat die Beschwerdegegnerin nicht erbracht, obwohl dies im vorliegenden Fall möglich gewesen wäre. So wird auf Seite 7, Zeilen 21-26, ausgeführt, dass sterospezifische Katalysatoren in bekannten Verfahren verwendet werden können um Propylenpolymere herzustellen, die als thermoplastische Komponente gemäß der Erfindung verwendbar sind. Verwendbare sterospezifische Katalysatoren können, wie in den japanischen Offenlegungsschriften 56-120712 und 58-104907 offenbart, hergestellt werden. Außerdem wird auf Seite 7, Zeilen 31-33, darauf hingewiesen, dass Propylenhomopolymere, die als Komponente (1A) verwendet werden können, im Handel erhältlich sind, z.B. die hochisotaktischen Polypropylene der Serie ELTEX P von Solvay. Die Beschwerdegegnerin hat aber nicht gezeigt, welche Isotaktizitäten mit den sterospezifischen Katalysatoren tatsächlich erreicht werden oder welche Isotaktizitäten die erwähnten kommerziell erhältlichen Polypropylene tatsächlich aufweisen. Somit bleibt unklar, ob es sich bei dem in Anspruch 1 des Hauptantrags geforderten Isotaktizitätsindex von 98-99,5% überhaupt um eine Auswahl aus der D1 handelt. Vielmehr kommt die Kammer unter den gegebenen Umständen zu dem Schluss, dass der in Anspruch 1 des Hauptantrags geforderte Isotaktizitätsindex von 98-99,5% nicht eindeutig von der Offenbarung D1 mit umfasst ist. Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber D1 neu, da diesem Dokument ein Isotaktizitätsindex von 98-99,5% nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen ist.
3.4.2 Aber selbst wenn man zu Gunsten der Beschwerdegegnerin annimmt, dass D1 eine implizite Obergrenze offenbart, die möglichst nahe an 100% liegt, und damit einen Bereich aufspannt, in den der anspruchsgemäße Isotaktizitätsindex von 98-99,5% fällt, kann man bezüglich der Neuheit zu keinem anderen Schluss kommen.
Um nämlich von der Offenbarung der D1 gedanklich zu Polypropylenpolymerisaten gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags zu gelangen, bedarf es zumindest einer zweifachen Auswahl: Zunächst muss aus den in D1 offenbarten thermoplastischen Komponenten, d.h. den Komponenten (1A) und (1B) ein Polypropylenhomopolymer mit einem Isotaktizitätsindex von 98-99,5% ausgewählt werden. Dann muss als elastomere Komponente das in den Beispielen 1-6 verwendete EXACT® 4033 ausgewählt werden, d.h. die einzige elastomere Komponente für die die Beschwerdegegnerin gezeigt hat, dass sie alle in Anspruch 1 des Hauptantrags geforderten Merkmale aufweist, insbesondere die geforderte Dichte. Wie aber in den Punkten 3.2.1- 3.2.3 ausgeführt, ist die Kombination eines Polypropylenhomopolymers mit einem Ethylen-Copolymerisat mit allen in Anspruch 1 des Hauptantrags geforderten Parametern weder explizit offenbart, noch gibt die Lehre von D1 dem Fachmann einen Grund, sich auf diese Kombination zu konzentrieren. Demzufolge kann der Gegenstand des Anspruchs 1 als das Ergebnis einer mehrfachen (hier zweifachen) Auswahl angesehen werden.
Die Beschwerdegegnerin versucht diese mehrfache Auswahl durch eine gesonderte Betrachtung der einzelnen Parameterbereiche bzw. Parameter in Frage zu stellen. Gemäß der Entscheidung T 653/93 vom 21. Oktober 1996 (Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe, nicht im ABl. EPA veröffentlicht), kann im Falle einer mehrfachen Auswahl die Frage der Neuheit aber nicht durch eine gesonderte Betrachtung der einzelnen Parameterbereiche beantwortet werden. Vielmehr muss die "kombinierte Auswahl" aus der Entgegenhaltung hervorgehen. So kann es im vorliegenden Fall nicht die Frage sein, ob der Bereich von 98-99,5% für den Isotaktizitätsindex an sich die Kriterien einer Auswahlerfindung erfüllt, da diese Kriterien für eine "einfache Auswahl" aus einem breiten Bereich entwickelt worden sind (vgl. T 279/89 vom 3 Juli 1991, nicht im ABl. EPA veröffentlicht). Die in Anspruch 1 des Hauptantrags für die elastomere Komponente geforderte Dichte ist an keiner Stelle der D1 erwähnt. Die Beschwerdegegnerin hat lediglich gezeigt, dass das in den Beispielen verwendete EXACT® 4033 in den geforderten Bereich fällt. Aber in den Beispielen 1-6 der D1, in denen EXACT® 4033 verwendet wird, fehlt die Angabe der Isotaktizität für das Propylenhomopolymer. Somit liefert auch dieses Beispiel keinen unmittelbaren und eindeutigen Hinweis auf die Merkmalskombination des Anspruchs 1 des Hauptantrags.
Auch die auf Seite 4 der D1 explizit genannte Kombination der Komponente (1A) mit den Komponenten (2) oder (3), auf die die Beschwerdegegnerin hingewiesen hat, stellt keinen eindeutigen Hinweis auf die beanspruchte Merkmalskombination dar. Die Komponente (1A) kann sowohl ein Propylenhomopolymer als auch ein Propylencopolymer sein (siehe Beschreibung Seite 3, Zeilen 24-28). Abgesehen davon enthält die Beschreibung der D1 keine Angaben zur Dichte der Komponenten (2) und (3), auch nicht die von der Beschwerdegegnerin zitierte Passage auf Seite 4 der D1.
Somit geht der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptan trags nicht unmittelbar und eindeutig aus der D1 hervor.
3.5 Auch eine Anwendung der Grundsätze, die in der von der Einspruchsabteilung zitierten Entscheidung T 247/91 vom 30. März 1993 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht) entwickelt worden sind, kann im vorliegenden Fall nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Dort offenbarte der Stand der Technik einen Temperaturbereich von 80-170ºC. Obwohl die Beispiele im Stand der Technik keine Temperatur in dem beanspruchten Bereich von 85-115ºC offenbarten und aus den Beispielen eine Bevorzugung für eine Temperatur von ungefähr 135ºC herausgelesen werden konnte, war die Kammer der Ansicht, dass der beanspruchte Bereich von 85-115ºC gegenüber dem Stand der Technik nicht neu sei, da der Fachmann keinen Grund hatte, diesen Bereich auszuschließen (Punkt 3.2 der Entscheidungsgründe). Im Gegensatz zu T 247/91 (supra) offenbart D1 im vorliegenden Fall keinen klar definierten Bereich, so dass nicht eindeutig feststeht, ob ein Isotaktizitätsindex von 98-99,5% von D1 mit umfasst wird (siehe Punkt 3.4.1, oben). Aber selbst wenn man D1 einen Bereich mit definierter Obergrenze zuordnen würde, kommen die in der Entscheidung T 247/91 (supra) entwickelten Grundsätze nicht zum Tragen, da es sich im vorliegenden Fall um eine mehrfache Auswahl handelt, die nicht mit einer einfachen Auswahl wie in T 247/91 (supra) zu vergleichen ist (Punkt 3.4.2, oben).
3.6 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags und, aus den gleichen Gründen, der Gegenstand der Ansprüche 2-10 neu ist.
4. Zurückverweisung
4.1 Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die Angelegenheit zur weiteren Prüfung der erfinderischen Tätigkeit an die Vorinstanz zurückzuverweisen, während die Beschwerdegegnerin beantragt hat, diesen Antrag zurückzuweisen.
4.2 Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit spielt das gleiche Dokument wie bei der Beurteilung der Neuheit, nämlich D1, die zentrale Rolle. Auch sind die Überlegungen, die die Parteien im Hinblick auf eine mögliche Auswahlerfindung angeführt haben, im Wesentlichen die gleichen, die für oder gegen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit sprechen. Außerdem hat die Beschwerdeführerin bereits schriftlich Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit, insbesondere auch gegenüber D1, gemacht.
4.3 Deshalb macht die Kammer von der nach Artikel 111(1) EPÜ in ihr Ermessen gestellten Möglichkeit einer Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung keinen Gebrauch, zumal ein derartiges Vorgehen auch aus verfahrensökonomischen Gesichtspunkten unangebracht erscheint.
5. Aufgabe und Lösung
5.1 Die Propylenpolymerisate des Anspruchs 1 des Hauptantrags zeichnen sich durch ein günstiges Eigenschaftsprofil hinsichtlich Schlagzähigkeit, Fließfähigkeit und Verarbeitbarkeit aus, verfügen darüber hinaus über eine hohe Steifigkeit und weisen eine möglichst geringe Tendenz zum Weißbruch auf (Paragraph [0010] der Patentschrift). Diese Propylenpolymerisate werden zur Herstellung von Folien, Fasern und Formkörpern verwendet.
5.2 Nächstliegender Stand der Technik ist das Dokument D1, von dem auch die beiden Parteien ausgegangen sind. Wie unter Punkt 3.2 ausgeführt, offenbart D1 ebenfalls thermoplastische Olefinpolymer-Zusammensetzungen, die eine thermoplastische und eine elastomere Komponente enthalten. Daraus hergestellte Formkörper, insbesondere Automobilteile, weisen überlegene physikalische Eigenschaften auf, wie z.B. Oberflächenhärte, Schlagzähigkeit, Verarbeitbarkeit und Biegemodul.
5.3 Die gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik objektiv zu lösende Aufgabe lässt sich durch einen Vergleich der Beispiele aus Tabelle 1 des Streitpatents mit den Vergleichsbeispielen aus der Tabelle 2 des Streitpatents ermitteln.
5.3.1 Während das Propylenhomopolymer a1) in Beispiel 1 einen Isotaktizitätsindex von 98,6% aufweist, hat das Propylenhomopolymer a2) des Vergleichsbeispiels A einen Isotaktizitätsindex von 96,7%. Ansonsten herrschen weitgehend dieselben Bedingungen bezüglich der Zusammensetzung der Blends. Daher kann Vergleichs beispiel A aus der Tabelle 2 als Vergleichsbeispiel herangezogen werden, welches D1 auf faire Weise repräsentiert. Im Ergebnis besteht zwischen den genannten Proben ein identisches Weißbruchverhalten mit Vorteilen hinsichtlich G-Modul, Zug-E-Modul und Schlagzähigkeit bei tiefen Temperaturen (0ºC und -20ºC) für das erfindungsgemäße Beispiel 1.
5.3.2 Außerdem zeigt das Vergleichsbeispiel D der Tabelle 2, dass auch die Art der elastomeren Komponente einen entscheidenden Einfluss auf das Eigenschaftsprofil der Zusammensetzung hat. So verwendet das Vergleichsbeispiel D wie das Beispiel 1 90 Gew.-Teile des Propylenhomopolymerisat a1), aber 10 Gew.-Teile eines Ethylen-Propylen-Copolymerisats, was nicht unter den Anspruch 1 des Hauptantrags fällt. Die Zusammensetzung des Vergleichsbeispiels D hat zwar gute Werte hinsichtlich der Schlagzähigkeit bei tiefen Temperaturen (0ºC und -20ºC), zeigt aber ein sehr schlechtes Weißbruchverhalten.
Aufgrund dieser gegenüber D1 erreichten Vorteile, kann die Kammer dem Argument der Beschwerdegegnerin, dass dem Streitpatent die gleiche Aufgabe zugrunde liege wie D1, nicht folgen. Bei der Ermittlung der objektiven Aufgabe nach dem Aufgabe-Lösungs-Ansatz sind nämlich die technischen Ergebnisse (oder Wirkungen) zu berücksichtigen, die mit der beanspruchten Erfindung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik erzielt werden (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 4. Auflage 2001, Kapitel I.D.2).
5.3.3 Somit besteht gegenüber D1 die objektive Aufgabe darin, Propylenpolymerisate bereitzustellen, die ein verbessertes Eigenschaftsprofil hinsichtlich G-Modul, Zug-E-Modul und Schlagzähigkeit bei tiefen Temperaturen (0ºC und -20ºC) aufweisen, ohne aber Einbußen beim Weißbruchverhalten hinnehmen zu müssen. Wie die obigen Ausführungen zu den Beispiele im Streitpatent zeigen, wird diese objektive Aufgabe durch den Einsatz der anspruchsgemäßen Propylenpolymerisate, die eine bestimmte thermoplastische und eine bestimmte elastomere Komponente enthalten, auch glaubhaft gelöst.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1 Es bleibt daher zu untersuchen, ob die vorgeschlagene Lösung, d.h. die Kombination einer thermoplastischen und einer elastomeren Komponente gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags durch den Stand der Technik nahe gelegt wird.
6.2 In ihrer Argumentation zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit hat sich die Beschwerdegegnerin lediglich auf D1 gestützt und die im Einspruchsverfahren zitierten Dokumente D2-D5 nicht weiter erwähnt. Auch die Kammer erachtet diese Dokumente für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit als nicht relevant, womit sich deren Diskussion erübrigt.
6.3 D1 selbst enthält keinen Hinweis darauf, dass durch die anspruchsgemäße Kombination der Komponenten a) und b) nach Anspruch 1 des Hauptantrags Propylenpolymerisate mit verbessertem Eigenschaftsprofil erhalten werden können. D1 spricht zwar von verbesserten mechanischen Eigenschaften ("superior surface hardness, impact resistance, processability, flexural modulus, adhesion of coating"), kann dem Fachmann jedoch keine Anregung geben, ein Propylenhomopolymer mit einem Isotaktizitätsindex von 98-99,5% und ein Ethylen-C4-20-Copolmer mit einer bestimmten Dichte zu wählen, um die vorgenannten Vorteile zu erzielen.
Daher beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags und, aus den gleichen Überlegungen, der Gegenstand der Ansprüche 2-10 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
7. Da der Hauptantrag der Beschwerdeführerin Erfolg hat, erübrigt sich ein Eingehen auf die Hilfsanträge.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent mit den Ansprüchen 1-10 gemäß Hauptantrag, eingereicht mit Schriftsatz vom 25. September 2006, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.