T 1151/04 (Effektoren der Dipeptidyl Peptidase IV/Prosidion) 18-03-2008
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Verwendung von aktivitätsmindernden Effektoren der Dipeptidyl Peptidase IV zur Senkung des Blutglukosespiegels in Säugern
Novartis AG
Bristol-Myers Company
Takeda Chemical Industries, Ltd.
PFIZER LIMITED
BOEHRINGER INGELHEIM PHARMA KG
GLAXO GROUP LIMITED
Novo Nordisk A/S
Mitsubishi Tanabe Pharma Corporation
I. Auf die Patentanmeldung Nr. 97 924 866.3, eingereicht als WO 97/40832 auf der Basis der internationalen Patentanmeldung PCT/DE97/00820, wurde das europäische Patent Nr. 0 896 538 mit acht Ansprüchen erteilt.
II. Patentanspruch 1 des erteilten Patents hat folgenden Wortlaut:
"Verwendung von aktivitätsmindernden Effektoren der Dipeptidyl Peptidase IV (DP IV)- bzw. DP IV-analoger Enzymaktivität zur Herstellung eines Medikaments Zur oralen Therapie von Erkrankungen, die auf einer für Hyperglykämie charakteristischen Glukosekonzentration im Serum eines Säuger-Organismus basieren."
III. Folgende Dokumente wurden unter anderen im Einspruchsverfahren und im anschließenden Beschwerdeverfahren vorgelegt:
(3) R. Snow et al, "Boronic acid inhibitors of Dipeptidyl-Peptidase IV", Advances in Medicinal Chemistry, Vol. 3, JAI Press Inc. (1995), ISBN 1-55938-798-X, 149-177
(67) "Zusätzliche Beispiele zur Stützung des Streitpatents", Anlage 7 im Schreiben der Patentinhaberin vom 14. März 2003
IV. Die Beschwerde richtet sich gegen die in der mündlichen Verhandlung am 12. Mai 2004 verkündete und mit Datum vom 20. Juli 2004 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung nach Artikel 102 (1) EPÜ 1973, mit der das Patent widerrufen wurde.
Die zu Grunde liegenden Einsprüche waren insgesamt auf die Einspruchsgründe mangelnde Neuheit sowie mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ), auf unzulässige Erweiterung des angemeldeten Gegenstands (Artikel 100 c) EPÜ) und auf mangelnde Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ) gestützt.
Die Einspruchsabteilung führte aus, dass der Gegenstand nach Hauptantrag und nach den Hilfsanträgen 1 bis 5 wegen mangelnder Klarheit des enthaltenen Merkmals "Inhibitor der Dipeptidyl Peptidase IV (DP IV)-Enzymaktivität bzw. DP IV-analoger Enzymaktivität" nicht patentierbar sei (Artikel 84 EPÜ 1973).
Der Gegenstand nach Hilfsantrag 6 enthalte ein Merkmal, das nicht ursprünglich offenbart und darüber hinaus ebenfalls unklar sei.
V. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) hat Beschwerde eingelegt und in der Folge die Anspruchsfassungen A bis J sowie (später) K bis M zur beschränkten Aufrechterhaltung bzw. zur Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung eingereicht. Als Hauptantrag wurde die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung über das Vorliegen von Einspruchsgründen nach Artikel 100 EPÜ auf der Basis der erteilten Ansprüche 1 bis 8 genannt.
Mit Schreiben vom 14. Februar 2008 wurden die Anspruchsfassungen gemäß der Anträge A bis M modifiziert, teilweise gestrichen und um die Anträge A1 bis M1 ergänzt.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag A lautet (zum erteilten Patentanspruch zugefügter beziehungsweise darin ersetzter Text durch Fettdruck hervorgehoben):
"Verwendung von aktivitätsmindernden Effektoren der Dipeptidyl Peptidase IV (DP IV)-Enzymaktivität zur Herstellung eines Medikaments zur oralen Therapie von Erkrankungen, die auf einer für Hyperglykämie charakteristischen Glukosekonzentration im Serum eines Säuger-Organismus basieren, durch Senkung der erhöhten Blutglukosekonzentration im Serum des Säuger-Organismus."
Zu diesem Anspruch wurde wie auch zu allen Patentansprüchen 1 der Anspruchsfassungen nach den Anträgen A, B, E, K, L und M eine Anspruchsfassung A1 (für die anderen entsprechend B1, E1, K1, L1 und M1) vorgelegt, die sich jeweils lediglich durch die Einfügung der Passage ", formuliert mit üblichen Trägermaterialien" nach dem Wort "(DP IV)-Enzymaktivität" unterscheidet.
Im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag B ist gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag A lediglich der Passus "aktivitätsmindernden Effektoren" durch das Wort "Inhibitoren" ersetzt.
Der Text des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag E lautet wie folgt (zum erteilten Patentanspruch zugefügter beziehungsweise darin ersetzter Text durch Fettdruck hervorgehoben):
"Verwendung von Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase IV (DP IV)-Enzymaktivität zur Herstellung eines Medikaments zur oralen Therapie von Diabetes mellitus durch Senkung der erhöhten Blutglukosekonzentration im Serum eines Säuger-Organismus."
Im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag K ist gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag E lediglich am Ende des Satzes der Passus ", wobei die Inhibitoren keine Inhibitoren der DP IV Expression darstellen" angefügt.
In der Anspruchsfassung nach Hilfsantrag L ist an Stelle dieses Passus der Halbsatz ", wobei die Inhibitoren keine Pseudosubstrate, Inhibitoren der DP IV Expression, Bindungsproteine oder Antikörper dieser Enzymproteine darstellen" angefügt.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag M lautet (zum erteilten Patentanspruch zugefügter beziehungsweise darin ersetzter Text durch Fettdruck hervorgehoben):
"Verwendung von Aminoacyl-Thiazolididen oder von Alanin-Pyrolidid als Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase IV (DP-IV)-Enzymaktivität zur Herstellung eines Medikaments zur oralen Therapie von Diabetes mellitus durch Senkung der erhöhten Blutglukosekonzentration im Serum eines Säuger-Organismus."
Die Beschwerdeführerin legte dar, dass zumindest die Gegenstände der Hilfsanträge nun durch Aufnahme verschiedener Merkmale in die jeweiligen Patentansprüche 1 und auch einige zusätzliche, ebenfalls im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung bzw. im Rahmen des Schutzbereichs des erteilten Patents vorgenommene Änderungen in den weiteren, abhängigen Ansprüchen die Erfordernisse von Artikel 84 EPÜ erfüllten. Ihre Gegenstände seien auch nacharbeitbar und neu; im Übrigen beruhten sie auf erfinderischer Tätigkeit.
VI. Die Beschwerdegegnerinnen haben den Argumenten der Beschwerdeführerin im schriftlichen Verfahren widersprochen. Unter anderem wurde angeführt, dass die Lehre des erteilten Patents sowie auch die Lehre der geänderten Anspruchsfassungen einschließlich der Fassung L in unabsehbarer Breite über die vorgelegten Versuche hinausginge und deshalb die Nacharbeitbarkeit weder hinsichtlich der definierten Krankheiten noch hinsichtlich der einzusetzenden Substanzen gegeben sei. Im Übrigen seien diese Lehren weder neu noch erfinderisch.
Zum Antrag, den Fall zur Prüfung des Patents in der erteilten Fassung auf Mängel nach den vorliegenden Einspruchsgründen an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, führten die Beschwerdegegnerinnen unter anderem aus, dass ein solcher Gegenstand dort nicht verteidigt worden sei und daher zwangsläufig in der Entscheidung auch nicht behandelt worden sein könne.
Ein solcher Antrag stelle einen Missbrauch des Verfahrens vor der Kammer dar und würde eine nicht akzeptable Verzögerung des Verfahrens bedeuten.
Zu den Anspruchsfassungen K bis M haben die Beschwerdegegnerinnen nicht mehr Stellung genommen, jedoch ist seitens der Beschwerdegegnerin (Einsprechenden 08) bereits in der Antwort auf die Einspruchsbegründung darauf hingewiesen worden, dass der Begriff "Aminoacyl-Thiazolidid" (von der Beschwerdeführerin zuletzt in die Anspruchsfassung M eingeführt) unklar im Sinne von Artikel 84 EPÜ sei. Der Begriffsbestandteil "Acyl" könne viele verschiedene Arten von Acyl-Gruppen umfassen und es sei unklar, was "Acyl" im Streitpatent überhaupt bedeute. Im Übrigen werde Isoleucinthiazolidid als einziges Beispiel verwendet und die damit erreichbaren Effekte seien nicht auf alle Aminoacyl-Thiazolidide verallgemeinerbar.
VII. Am 18. März 2008 hat in Anwesenheit des Vertreters der Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung stattgefunden.
Die Einsprechende 01 hatte ihren Einspruch noch vor der Entscheidung der Einspruchsabteilung zurückgezogen und ist nicht mehr am Verfahren beteiligt. Die weiteren Einsprechenden 02 bis 08 haben vor der mündlichen Verhandlung ihre Einsprüche ebenfalls zurückgezogen, bleiben aber Verfahrensbeteiligte.
Sie haben, wie jeweils vorher angekündigt, an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen.
VIII. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Die Nacharbeitbarkeit der Lehre des Streitpatents sei durch die Beispiele im Patent und die zahlreichen Hinweise zur näheren Eingrenzung der in Frage kommenden Substanzen in der Beschreibung gewährleistet.
Die Einspruchsabteilung habe dies in der Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung auch bereits ausgeführt. Demnach genüge entsprechend Regel 27 e) EPÜ 1973 die Angabe eines Weges zur Ausführung der Erfindung in der Beschreibung und dieser sei lediglich, wo es angebracht sei, durch Beispiele zu erläutern. Das Fehlen von Beispielen für bestimmte Gegenstände, die von den Ansprüchen umfasst werden, könne demnach nicht als Argument für unzureichende Offenbarung verwendet werden.
Andererseits ergebe sich eine nähere Charakterisierung der streitpatentgemäßen, aktivitätsmindernden Effektoren der Dipeptidyl Peptidase IV insbesondere aus der Textstelle, wonach "erfindungsgemäß verwendete Effektoren z. B. DP IV-Inhibitoren wie die Dipeptidderivate bzw. Di-peptidmimetika Alanyl-Pyrolidid, Isoleucin-Thiazolidid sowie das Pseudosubstrat N-Valyl- Prolyl, O-Benzoyl Hydroxylamin" seien. Ergänzend werde der Hinweis "Derartige Verbindungen sind aus der Literatur bekannt " gegeben.
Der Fachmann wisse also, in welchem Rahmen er sich bewegen könne. Im Übrigen zeige sich die Nacharbeitbarkeit der streitpatentgemäßen Lehre dadurch von selbst, dass die Wettbewerber nach Veröffentlichung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Anmeldung auf ihrer Basis ohne weiteres in der Lage gewesen seien, entsprechende Produkte auf den Markt zu bringen. Die Beschwerdeführerin habe zum Prioritätszeitpunkt einen Forschungsvorsprung von zwei Jahren gehabt, und insofern sei es zwingend, dass auch später auf den Markt gebrachte, analoge Produkte des Wettbewerbs auf der Lehre des Streitpatents und ihrer praktischen Umsetzung beruhten.
Schließlich hätten es die Einsprechenden versäumt, ihrer Pflicht zur substantiierten Darlegung der mangelnden Nacharbeitbarkeit nachzukommen. Sie hätten zumindest einige der vielen, zum Beispiel aus Entgegenhaltung (3) bekannten Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase IV nehmen können und gegebenenfalls damit zeigen müssen, dass mit ihnen die streitpatentgemäße Lehre nicht funktioniere. Solche Versuche seien aber nicht vorgelegt worden. Die alleinige Tatsache, dass ein Patentanspruch breit sei, reiche nach gängiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern nicht für das Feststellen eines Mangels nach Artikel 100 b) beziehungsweise 83 EPÜ aus. Es müsse schon ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten gestützte Zweifel geben.
Die Anträge auf Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung werden damit begründet, dass das Streitpatent lediglich aufgrund von vermeintlichen Verletzungen der Bestimmungen in Artikel 84 EPÜ widerrufen worden sei; die Fragen von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit seien dort noch nicht abschließend geprüft worden.
IX. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung im Umfang des erteilten Patents, hilfsweise die Zurückverweisung oder Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage der mit Schreiben vom 14. Februar 2008 eingereichten, modifizierten Anspruchsfassungen gemäß der Anträge A, B, E, K, L und M, beziehungsweise der Anträge A1, B1, E1, K1, L1 und M1.
Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) haben die Zurückweisung der Beschwerde schriftlich beantragt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Alle Anspruchsfassungen der vorliegenden Anträge können als Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung insbesondere in Verbindung mit den zuletzt eingereichten Eingaben der Beschwerdegegnerinnen gewertet werden.
Einige Anspruchsfassungen gemäß der Hilfsanträge sind darüber hinaus fast wortgleich zu bereits mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruchsfassungen.
Der Antrag auf Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung im Umfang des erteilten Patents wird als Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang gewertet, und zwar im Rahmen eines Hauptantrags, der den anderen Anträgen vorangestellt ist.
Daher werden alle Anspruchsfassungen der vorliegenden Anträge zum Verfahren zugelassen.
3. Das erteilte Patent ist unter anderem unter Artikel 100 b) EPÜ 1973 (mangelnde Nacharbeitbarkeit) angegriffen worden.
3.1 Erteiltes Patent und Anspruchsfassungen A, B, E, K und L beziehungsweise A1, B1, E1, K1 und L1:
3.1.1 Die Anspruchsfassung des erteilten Patents sowie die weiteren genannten Anspruchsfassungen enthalten in ihren Patentansprüchen 1 mit kleinen Variationen jeweils ein gleiches funktionelles Merkmal mit Bezug auf die Stoffe beziehungsweise Stoffgemische, die nach diesen Patentansprüchen in Form der zweiten medizinischen Indikation zur Herstellung eines Medikaments zur Heilung einer mit Hyperglykämie zusammenhängenden Krankheit eingesetzt werden sollen (im folgenden Text steht aus Vereinfachungsgründen der Begriff "Stoff" generell für "Stoff und Stoffgemische"). In all diesen Patentansprüchen 1 soll es sich um die Verwendung von Stoffen handeln, die im weitesten Sinne aktivitätsmindernd auf Dipeptidyl Peptidase IV einwirken, was sich im Einzelnen durch die jeweilige Wortwahl zeigt, wie sie im Folgenden den vorgelegten Patentansprüchen 1 zugeordnet ist:
Erteiltes Patent:
"Verwendung von aktivitätsmindernden Effektoren der Dipeptidyl Peptidase IV (DP IV)- bzw. DP IV-analoger Enzymaktivität"
Anspruchsfassungen A/A1:
"Verwendung von aktivitätsmindernden Effektoren der Dipeptidyl Peptidase IV (DP IV)-Enzymaktivität"
Anspruchsfassungen B/B1 und E/E1:
"Verwendung von Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase IV (DP IV)-Enzymaktivität"
Anspruchsfassungen K/K1:
"Verwendung von Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase IV (DP IV)-Enzymaktivität , wobei die Inhibitoren keine Inhibitoren der DP IV Expression darstellen,"
Anspruchsfassungen L/L1:
"Verwendung von Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase IV (DP IV)-Enzymaktivität , wobei die Inhibitoren keine Pseudosubstrate, Inhibitoren der DP IV Expression, Bindungsproteine oder Antikörper dieser Enzymproteine darstellen"
Das allen diesen Patentansprüchen gemeinsame Merkmal des aktivitätsmindernden Einwirkens auf Dipeptidyl Peptidase IV ist die Grundlage der folgenden, für alle genannten Patentansprüche 1 gleichlautenden Argumentation.
Zunächst ist aber noch festzustellen, dass es zusätzlich allen diesen Patentansprüchen 1 ebenfalls gemeinsam ist, dass sie ergänzend zur jeweiligen Variante des beschriebenen funktionellen Merkmals keine strukturellen Einschränkungen im Bezug auf die in Frage kommenden Stoffe enthalten.
Das funktionelle Merkmal selbst ist in seiner jeweiligen Variante auch nicht dahingehend formuliert, dass etwa nur Stoffe umfasst seien, die zum Prioritätszeitpunkt bereits als Träger der funktionellen Eigenschaft bekannt waren, und zwar weder implizit noch explizit.
3.1.2 Also umfasst der jeweilige, anspruchsgemäße Wortlaut als Kandidaten für die Einwirkungsfähigkeit auf Dipeptidyl Peptidase IV auch alle Stoffe, für die zunächst noch nicht bekannt ist, dass sie Träger dieses funktionellen Merkmals wären.
Für solche Stoffe kennt der Fachmann zwangsläufig auch aus seinem allgemeinen Fachwissen keine strukturellen oder anderweitigen Vorgaben hinsichtlich ihrer Charakterisierung. Daher kommen a priori als Träger des funktionellen Merkmals zunächst alle denkbaren organischen und gegebenenfalls, etwa als Cofaktoren sogar anorganische Stoffe in Frage.
Mangels ergänzender Hinweise im Streitpatent kann der Fachmann somit nur zufällig ihm als experimenteller Startpunkt sinnvoll erscheinende Stoffe herausgreifen und versuchen, die funktionelle Eigenschaft festzustellen. Im Fall eines negativen Ergebnisses ist er dann auf das nächste Experiment mit wiederum einem zufällig herausgegriffenen Stoff angewiesen. Eine Anleitung, wie er als gezielte Reaktion auf den Misserfolg mit einer zumutbaren Anzahl zusätzlicher Versuche zum Erfolg kommen kann, ist im Streitpatent nicht vorhanden.
Insofern ist er zur Ausführung der streitpatentgemäßen Lehre bereits im Hinblick auf als Träger des beschriebenen funktionellen Merkmals zu verwendende Stoffe und dann noch zusätzlich im Test bezüglich der tatsächlichen therapeutischen Brauchbarkeit auf eine unabsehbare Zahl von Experimenten nach Versuch und Irrtum angewiesen.
Dementsprechend sind der erteilte Patentanspruch 1 wie auch die Patentansprüche 1 nach den Anträgen A, B, E, K und L, beziehungsweise nach den Anträgen A1, B1, E1, K1 und L1 nicht gewährbar (Artikel 100 b) beziehungsweise 83 EPÜ 1973).
3.2 Anspruchsfassungen M und M1:
3.2.1 Diese Anspruchsfassungen sind unter anderem durch die Aufnahme der Begriffe "Aminoacyl-Thiazolididen" und "Alanin-Pyrolidid" aus der Beschreibung neu formuliert worden. Damit sollen die in einem Patentanspruch der zweiten medizinischen Indikation zur Verwendung beanspruchten Stoffe strukturell näher charakterisiert werden.
3.2.2 Die unter Punkt 3.1 dargelegten Ausführungen gelten jedoch mutatis mutandis genauso, weil der gleiche Sachverhalt eines praktisch unüberschaubaren Fundus für die zur Verwirklichung der streitpatentgemäßen Lehre in Frage kommenden Stoffe vorliegt und wiederum mangels zielführender Anleitung nach Versuch und Irrtum vorgegangen werden muss.
Auch der Begriff Aminoacyl-Thiazolidide umfasst nämlich eine nicht beschränkte Zahl von Verbindungen. Allein schon die Frage, ob nur alpha-Aminosäuren gemeint sind, wie es den häufigsten in natürlichen Proteinen vorkommenden Aminosäuren entspricht, oder ob auch beta- oder gamma-Aminosäuren, die immerhin auch natürlich vorkommen können, ist offen. Grundsätzlich sind aber auch Aminosäuren mit der Aminogruppe an beliebigen Stellen des Moleküls oder solche mit mehreren Aminogruppen umfasst. Eine genauere Definition ist weder den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen noch dem Patent zu entnehmen.
Darüber hinaus lässt der Begriff Aminoacyl-Thiazolidide wegen der fehlenden Angaben zu den Bindungsstellen und zur Art der Substituenten grundsätzlich auch jede beliebige weitere chemisch strukturelle Gestaltung zu.
In diesem Fall kommt also durch die Angabe von offen definierten Strukturelementen für die Ausführung der anspruchsgemäßen technischen Lehre wiederum zunächst eine unermesslich grosse Zahl von Stoffen in Frage, die der Fachmann jeweils einzeln überprüfen muss, da eine wirksam zielführende Regel, wie er die Erkenntnisse erfolgloser Versuche ohne unzumutbaren Aufwand zum Auffinden der erfolgreichen Stoffe nutzen kann, fehlt.
3.2.3 Unter diesen Umständen kann die Kammer nur zu dem Schluss kommen, dass auch der jeweilige Wortlaut von Patentanspruch 1 der Anspruchsfassungen M und M1 nicht geeignet ist, die Zahl der Versuche, die erforderlich sind, um zu anspruchsgemäß erfolgreich verwendbaren Stoffen zu kommen, auf ein zumutbares Maß zu begrenzen. Diese Ansprüche erfüllen daher die Anforderungen des Artikels 100 b) beziehungsweise 83 EPÜ 1973 eben so wenig wie die bereits unter Punkt 3.1 dieser Entscheidung diskutierten.
Auch die Anwesenheit der Formulierung "als Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase IV (DP-IV)-Enzymaktivität" im Wortlaut dieser Patentansprüche kann in diesem Zusammenhang keine Bedeutung haben, da sie jedenfalls entsprechend der Argumentation unter Punkt 3.1 dieser Entscheidung nichts zur Herstellung der Nacharbeitbarkeit beitragen kann.
4. Den demgegenüber vorgebrachten Argumenten der Beschwerdeführerin vermag die Kammer nicht zu folgen:
4.1 Mit Bezug auf die Entscheidung T 0915/00 vom 19. Juni 2002 (nicht im Amtsblatt veröffentlicht) trägt die Beschwerdeführerin vor, die Einsprechenden hätten den Einwand der mangelnden Nacharbeitbarkeit durch die Vorlage von entsprechenden Versuchsberichten unter Verwendung von bekannten Inhibitoren der Dipeptidyl Peptidase IV substantiieren müssen, da alleine die Tatsache einer großen Breite als Eigenschaft eines Patentanspruchs nicht ausreiche, um diesen Einwand der mangelnden Nacharbeitbarkeit ohne das Vorliegen ernsthafter Zweifel wirkungsvoll geltend zu machen.
Die ernsthaften Zweifel ergeben sich im vorliegenden Fall für das erteilte Patent und die Anspruchsfassungen A, B, E, K und L beziehungsweise A1, B1, E1, K1 und L1 unter Betrachtung des funktionellen Merkmals
- einerseits aus der Beanspruchung der Verwendung von Stoffen, die Träger des funktionellen Merkmals sein müssen, ohne diese Stoffe durch strukturelle oder auf messbaren Parametern beruhende Einschränkungen zu definieren und so die Zahl an Kandidaten für solche Stoffe wirkungsvoll zu begrenzen und
- andererseits daraus, dass der Fachmann aus der Patentschrift - wie bereits unter Punkt 3.1 dieser Entscheidung ausgeführt ist - keine Auswahlhinweise findet, die ihm mit zumutbarem Aufwand die Feststellung der streitpatentgemäß geeigneten Verbindungen ermöglichen.
Diese ernsthaften Zweifel werden gestützt durch die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin selbst nur eine einzige Versuchsreihe mit einem einzigen Träger des funktionellen Merkmals, nämlich Isoleucinthiazolidid vorgelegt hat. Die Variationen in den streitpatentgemäßen Beispielen 1 bis 3 (Spalten 5 bis 7 der Streitpatentschrift) und in den nachgereichten beiden Beispielen (Seiten 1 und 10 von (67)) beziehen sich lediglich auf verschiedene Arten der Messung von mit der Dipeptidyl Peptidase IV (DP IV)-Enzymaktivität verwandten Effekten in vitro und in vivo, zuletzt anspruchsgemäß bei oraler Gabe von Isoleucinthiazolidid. Daher lässt sich auch aus den vorliegenden Beispielen keine Regel zum zielführenden Auffinden von streitpatentgemäß zu verwendenden Stoffen ableiten.
Nachdem in der Streitpatentschrift auch sonst keine entsprechenden Ausführungen vorliegen, bedingt die Breite der betrachteten Patentansprüche 1 in diesem Zusammenhang und unter den im Streitpatent gegebenen Umständen, dass ihre Lehre nicht mit zumutbarem Aufwand nachgearbeitet werden kann (Artikel 100 b) beziehungsweise 83 EPÜ 1973).
Auch wenn die Beschwerdeführerin in den Anspruchsfassungen M und M1 durch die Angabe von Teilstrukturen die Zahl der grundsätzlich in Frage kommenden Stoffe anders definiert hat, so ist weiterhin festzustellen, dass es sich nicht um eine begrenzte, also endliche Menge von Kandidaten handelt. Insofern gelten die dargestellten Überlegungen sinngemäß auch in diesem Zusammenhang.
Unter den so gegebenen Umständen war es folglich für die Beschwerdegegnerinnen nicht erforderlich, eine möglicherweise sogar große Zahl von Versuchsberichten vorzulegen, bei denen jeweils ein Stoff gegebenenfalls zwar das funktionelle Merkmal aufweist aber dennoch im anspruchsgemäßen Sinn therapeutisch unwirksam ist.
Im Gegensatz dazu wäre es zum Prioritätszeitpunkt in der Hand der Beschwerdeführerin gelegen, den Bereich der zur Verwendung bei der Herstellung eines Medikaments beanspruchten Stoffe wirkungsvoll zu definieren und zu begrenzen. Soweit ausschließlich für das geforderte funktionelle Merkmal ohnehin bekannte Stoffe gemeint gewesen sein sollten, müsste ihre strukturelle Definition unschwer möglich sein.
Soweit darüber hinaus aus dem vorgesehenen Zusammenwirken mit der Dipeptidyl Peptidase IV gezielt andere strukturbestimmende oder strukturelle Stoffeigenschaften absehbar gewesen sein sollten, zum Beispiel etwa im Sinne von Dipeptidmimetika oder von Hinweisen auf die Nützlichkeit von Derivaten des Thiazolidins auf Basis der natürlichen, in Peptiden und Proteinen vorkommenden Aminosäuren, so wäre es ebenfalls Aufgabe der Beschwerdeführerin gewesen, dies entsprechend bei der Formulierung ihrer Patentansprüche wirkungsvoll zu nutzen.
Nur mit Bezug auf solchermaßen auf endliche Zahlen von potentiellen Kandidaten begrenzte Patentansprüche könnte das Argument, der Fachmann wisse ja, in welchem Rahmen er sich zur Auffindung der streitpatentgemäß zu verwendenden Stoffe bewegen könne, eine grundsätzlich positiv zu wertende Randbedingung bereitstellen.
Eine pauschale Beanspruchung aller durch zukünftige Forschungsvorhaben möglicherweise auffindbaren Stoffe mit therapeutischer Brauchbarkeit gemäß der vorgelegten Patentansprüche 1 kommt demgegenüber unter Berücksichtigung der im Streitpatent gegebenen Randbedingungen jedenfalls nicht in Betracht.
4.2 Die durch die Beschwerdeführerin von der Einspruchsabteilung übernommene Argumentation mit Bezug auf Regel 27 e) EPÜ 1973 führt allein deshalb schon ins Leere, weil in dieser Regel lediglich Mindestanforderungen an die Beschreibung zu einer Patentanmeldung definiert werden. Diese können schon per se nicht die tatsächlich im Einzelfall gegebenen Erfordernisse wiedergeben.
Wie unter den Punkten 3.1, 3.2 und 4.1 dieser Entscheidung ausführlich erläutert, sind im vorliegenden Fall, unabhängig von allen Argumentationen mit Bezug auf Regel 27 e) EPÜ 1973, die Erfordernisse von Artikel 100 b) beziehungsweise 83 EPÜ 1973 jedenfalls nicht erfüllt.
Im Übrigen handelte es sich im vorliegenden Fall auch nicht um das Fehlen von Beispielen für bestimmte, von den Ansprüchen umfasste Gegenstände, sondern um ein grobes Missverhältnis zwischen den eine einzige Substanz betreffenden Beispielen und der unermesslich großen Zahl der faktisch für die beanspruchte Verwendung vorgesehenen Stoffe.
4.3 Hinsichtlich der Bedeutung des Begriffs Aminoacyl-Thiazolidide in den Anspruchsfassungen M und M1 hat die Beschwerdeführerin auf die Anregung der Kammer, doch eine äquivalente Markush-Formel dafür aufzuzeigen, eine alpha-Aminosäure mit einem Rest R in alpha-Stellung und dem an der Carboxylgruppe amidgebundenen Thiazolidinring angegeben. Sie ist dabei von der auf Seite 7 der Patentschrift dargestellten Strukturformel für das in den Beispielen speziell verwendete Isoleucinthiazolidid ausgegangen und hat diese offensichtlich im Hinblick auf den Rest R in alpha-Stellung verallgemeinert.
Eine solche Deutung der ursprünglichen Offenbarung ist jedoch mangels genauerer Angaben in Ansprüchen und Beschreibung einschließlich der Beispiele nicht möglich. Weder ist ausgeführt, dass die Strukturformel von Isoleucinthiazolidid etwa bezüglich der alpha-Stellung eines Restes R als Leitstruktur für die zur Verwendung beanspruchten Aminoacyl-Thiazolidide gelten soll, noch ist den Unterlagen generell zu entnehmen, dass es sich mit Bezug auf "Aminoacyl" etwa nur um natürlich vorkommende oder in Proteinen übliche Aminosäurereste handeln soll.
Auch die in der Beschreibung gebrauchten Bezeichnungen Dipeptidderivate bzw. Dipeptidmimetika helfen an dieser Stelle nicht weiter. Zum einen sind sie nur als Beispiele für DP IV-Inhibitoren angegeben und nicht beschränkend für streitpatentgemäß in ihrer Verwendung zu schützende Verbindungen, und zum anderen stellen auch sie in keiner Weise eine Beschränkung auf natürliche Aminosäurereste dar. Allenfalls könnten Derivate von natürlichen Aminosäureresten angesprochen sein, oder als Dipeptidmimetika Stoffe, die durch eine irgendwie geartete Teilstruktur an der Dipeptidase IV wie ein Dipeptid wirken aber ansonsten beliebig strukturiert sein können.
Selbst wenn zum Beispiel eine Beschränkung auf natürliche Aminosäurereste angegeben wäre, müsste der Begriff Aminoacyl-Thiazolidid, wie unter Punkt 3.2.2 dieser Entscheidung bereits dargestellt ist, schon als eine unbegrenzte Zahl von Individuen enthaltend angesehen werden. Nachdem aber eine solche Beschränkung nicht vorliegt, und etwa auch beliebige, künstlich hergestellte Aminosäuren in Frage kommen, kann diesem Begriff die für den vorliegenden Patentanspruch erforderliche Wirkung der Definition eines begrenzten Fundus an potentiellen Kandidaten für die Erfüllung der streitpatentgemäßen Lehre nicht zukommen, was im Gesamtzusammenhang des vorliegenden Streitpatents zum Mangel der unzureichenden Offenbarung einer nacharbeitbaren Lehre führt (Artikel 100 b) beziehungsweise 83 EPÜ 1973).
4.4 Das Argument, dass die zahlreichen, im Markt erfolgreichen, und auf dem Prinzip des Streitpatents basierenden Produkte des Wettbewerbs schon für sich den Beweis für die einfache Nacharbeitbarkeit der streitpatentgemäßen Lehre darstellten, kann ebenfalls nicht greifen.
Weder ist nämlich die Behauptung des Zeitvorsprungs bei der Forschung der Beschwerdeführerin für die Kammer nachprüfbar, noch ist es plausibel, dass die Wettbewerber völlig ohne Vorkenntnisse aus dem Stand der Technik und aus eigener Forschung, ihre Produkte allein mit Hilfe der Informationen aus der vorliegenden Anmeldung zum Streitpatent entwickelt hätten.
Selbst die Behauptung, diese Produkte beruhten auf dem selben Wirkprinzip, wurde nicht substantiiert dargelegt.
5. Die Beschwerdeführerin hat mit Bezug auf das erteilte Patent und alle vorgelegten Anspruchsfassungen jeweils vorrangig die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung beantragt.
Eine solche Zurückverweisung ist im Anschluss an den Widerruf durch die Einspruchsabteilung bereits grundsätzlich aus Erwägungen der Verfahrensökonomie mit Bezug auf die schon erhebliche, bisherige Laufzeit des Streitpatents kritisch zu betrachten. Sie kommt aber insbesondere deshalb nicht in Betracht, weil der Fall entscheidungsreif ist.
Die Einspruchsabteilung hat im Wesentlichen auf Basis von Artikel 84 EPÜ 1973 entschieden. Die Tatsache, dass unklare Patentansprüche regelmäßig auch Fragen zur Problematik der Nacharbeitbarkeit aufwerfen ist bekannt. Nachdem nun die Kammer aufgrund der gegebenen Sach- und Rechtslage ihre Entscheidung bereits auf Grund der Artikel 100 b) und 83 EPÜ trifft, stellt sich das Problem der fehlenden Diskussion von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht.
Zusätzlich ist zu bemerken, dass die Beschwerdeführerin vor der Einspruchsabteilung nur mit zusätzlichen oder geänderten Merkmalen versehene Anspruchsfassungen verteidigt hat, und somit die Entscheidung zwingend keine Argumente und Schlussfolgerungen zur Frage des Bestands des erteilten Patents im Licht der Einspruchsgründe enthalten kann. Das Fehlen dieser Elemente in der Einspruchsentscheidung kann demnach genauso zwingend nicht erfolgreich zur Grundlage eines Antrags auf Zurückverweisung mit dem Ziel der Überprüfung des erteilten Patents gemacht werden.
6. Nachdem in allen beantragten Anspruchsfassungen die jeweiligen Patentansprüche 1 nicht gewährbar sind, erübrigt sich auch das Eingehen auf die jeweiligen weiteren, abhängigen Patentansprüche.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.