T 0110/06 08-05-2008
Download und weitere Informationen:
Verfahren zum Herstellen von Druckprodukten
Heidelberger Druckmaschinen AG
Goss Systemes Graphiques Nantes et al
Unzulässige Erweiterung gegenüber der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung (nein)
Ausreichende Offenbarung (ja)
Erfinderische Tätigkeit, Hauptantrag (nein)
Zulässigkeit der Hilfsanträge, Hilfsanträge 1 und 2 (ja); Hilfsantrag 3 (nein)
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 1 249 344 widerrufen worden ist, Beschwerde eingelegt.
Im Einspruchsverfahren war das gesamte Patent im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ sowie die Artikel 100 b) und c) EPÜ angegriffen worden. Die Einspruchsabteilung war in der angefochtenen Entscheidung der Auffassung, dass der Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Aufrechterhaltung des Patents entgegenstehe.
II. Am 8. Mai 2008 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
III. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des am 28. März 2008 als Hauptantrag eingereichten Anspruchs 1, hilfsweise auf der Grundlage des am gleichen Tag als Hilfsantrag 1, 2 bzw. 3 eingereichten Anspruchs 1.
IV. Die Beschwerdegegnerinnen I (gemeinsame Einsprechende 02) und die Beschwerdegegnerin II (Einsprechende 01) beantragten die Zurückweisung der Beschwerde. Außerdem beantragten die Beschwerdegegnerinnen I die Nichtzulassung der am 28. März 2008 von der Beschwerdeführerin eingereichten Hilfsanträge, hilfsweise die Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz. In diesem Fall beantragte sie, der Beschwerdeführerin die Kosten des Verfahrens insoweit aufzuerlegen, als sie durch die Zurückverweisung entstehen.
V. Im Beschwerdeverfahren wurde insbesondere auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D1: Alexander Braun, Atlas des Zeitungs- und Illustrationsdruckes, Vorwort vom Herbst 1960 und Seiten 142 und 143
F1a: Goss Graphic Systems, C450, Produktprospekt, Druckdatum 10/93
F1a3: Eidesstattliche Versicherung von Jeffrey Charles
Brewer vom 2. Mai 2008
F1n: Eidesstattliche Versicherung von Jeffrey Charles
Brewer vom 9. März 2005
F1x: Eidesstattliche Versicherung von Jeffrey Charles
Brewer vom 31. Juli 2006
F11: Rockwell International, Instruction Bulletin No.
87, Juli 1985, Seiten 1 bis 6
F13: Pierre Durchon, Papiers Et Impression Offset,
Edition du Moniteur, 1991, Seiten 209 bis 222
F33: MAN Roland, UNISET, For 8-page newspaper offset,
Produktprospekt
- Protokoll der Aussage des Zeugen Jeffrey Charles Brewer in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung am 13. September 2005
VI. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung unterschiedlicher Produkte im Broadsheet-Format mit einem Doppeldruckwerk (7, Fig. 1) bestehend aus zwei Übertragungszylindern (3, 4) mit jeweils einem Formzylinder (1, 2), wobei die Übertragungszylinder (3, 4) einen um ein ganzzahliges Vielfaches größeren Umfang gegenüber den Formzylindern (1, 2) aufweisen, und wobei zwischen den Übertragungszylindern (3, 4) vertikal eine Bahn (10) hindurchgeführt wird, mit Formzylindern (1, 2) mit im Umfang einer und in Längsrichtung vier stehenden Broadsheet-Druckseiten (11, Fig. 11 bis 16) in der Weise, dass die vier Broadsheet-Seiten breite bedruckte Bahn (10) mittig längs geschnitten wird und die dadurch entstehenden Teilbahnen (124, 127) über mittig zu jeder ungewendeten Teilbahn (124, 127) angeordnete Falztrichter (128, 134) geführt und übereinander gelegt werden und in einem Falzapparat (130, 135) zu Produkten (143) geschnitten und mit einem Querfalz (131") versehen und zu einem aus zwei Lagen (141, 142, Fig. 16) mit jeweils vier Druckseiten bestehenden Produkt (143) ausgelegt werden."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung unterschiedlicher Produkte im Broadsheet-Format mit einem Doppeldruckwerk (7, Fig. 1) bestehend aus zwei Übertragungszylindern (3, 4) mit jeweils einem Formzylinder (1 2), wobei die Übertragungszylinder (3, 4) einen um ein ganzzahliges Vielfaches größeren Umfang gegenüber den Formzylindern (1, 2) aufweisen und mit zwei Gummitüchern (14.1, 14.2) in Längsrichtung nebeneinander belegt sind, die jeweils auf einer Trägerplatte befestigt sind, deren am Gummituch überstehende, jeweils mit einer gebogenen Kante ausgestattete Enden in einen achsparallelen Schlitz (15) am Umfang des Übertragungszylinders (3, 4) eingesteckt sind, und wobei zwischen den Übertragungszylindern (3, 4) vertikal eine Bahn (10) hindurchgeführt wird, mit Formzylindern (1, 2) mit im Umfang einer und in Längsrichtung vier stehenden Broadsheet-Druckseiten (11, Fig. 11 bis 16) mittels in Umfangsrichtung des Formzylinders (1,2) einer und dessen Längsrichtung mehreren auf diesem angeordneten Druckplatten (12.1 bis 12.4), die jeweils als mit einer Druckseite bestückte Einzeldruckplatte ausgebildet sind, in der Weise, dass die vier Broadsheet-Seiten breite bedruckte Bahn (10) mittig längs geschnitten wird und die dadurch entstehenden Teilbahnen (124, 127) über mittig zu jeder ungewendeten Teilbahn angeordnete Falztrichter (128, 134) geführt und übereinander gelegt werden und in einem Falzapparat (130, 135) zu Produkten (143) geschnitten und mit einem Querfalz (131") versehen und zu einem aus zwei Lagen (141, 142, Fig.16) mit jeweils vier Druckseiten bestehenden Produkt (143) ausgelegt werden."
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 in dem die Befestigung der Gummitücher betreffenden Merkmal, das an die Formulierung "auf einer Trägerplatte befestigt sind" anschließend wie folgt lautet:
"deren am Gummituch überstehende, jeweils mit einer gebogenen Kante ausgestattete Enden in gegeneinander in Umfangsrichtung des Übertragungszylinders (3, 4) um 180º versetzte, achsparallele Schlitze (15) am Umfang des Übertragungszylinders (3, 4) eingesteckt sind,"
Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 in den letzten Merkmalen des Anspruchs, die wie folgt lauten:
"in der Weise, dass die vier Broadsheet-Seiten breite bedruckte Bahn (10) unter Ausbildung von Teilbahnen (124, 127) mittig längs geschnitten wird, dass zusätzlich eine Teilbahn (124, 127) mittig längs geschnitten wird, und dass unter Benutzung von Wendestangen (125, 126, 139, 140) die Teilbahnen (124, 127) über mittig zu jeder ungewendeten Teilbahn angeordnete Falztrichter (128, 134) geführt und übereinander gelegt werden und in einem Falzapparat (130, 135) zu Produkten (143) geschnitten und mit einem Querfalz (131") versehen und zu einem aus zwei Lagen bestehenden Produkt (143) ausgelegt werden, nämlich zu einem Produkt mit zwei Druckseiten in der einen Lage und mit sechs Druckseiten in der anderen Lage."
VII. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Erfinderische Tätigkeit, Hauptantrag
Der nächstliegende Stand der Technik werde durch die Druckmaschine C450 gebildet. Davon unterscheide sich die für das Verfahren des Anspruchs 1 benutzte Druckmaschine durch die das Schneiden und Falzen betreffenden Merkmale. Aus den Punkten 8 und 9 des Dokuments F1n ergebe sich, dass bei der Druckmaschine C450 bei einer 4/1-Produktion anders gefaltet werde. In Dokument F1a3 werde erklärt, was unter dem Begriff "ribbon" zu verstehen sei, nämlich eine einseitenbreite Papierbahn. Aus Dokument F1x ergebe sich, dass über die Falztrichter ein solches "ribbon" geführt werde, was zu einem Produkt mit vier Lagen zu je zwei Seiten führe. Beim Verfahren gemäß Anspruch 1 werde hingegen eine zweiseitenbreite Bahn zu den Falztrichtern geführt, woraus sich ein Produkt mit zwei Lagen zu je vier Seiten ergebe. Somit weise das Verfahren des Anspruchs 1 drei Unterschiede zu dem mit der Druckmaschine C450 durchgeführten Verfahren auf, nämlich erstens das erzeugte Produkt mit zwei Lagen zu je vier Seiten, zweitens die Anordnung der Falztrichter mittig über den Teilbahnen und drittens das Führen ungewendeter Bahnen zu den Falztrichtern. Die dem Verfahren des Anspruchs 1 zugrundeliegende objektive Aufgabe könne demnach darin gesehen werden, neuartige Produkte mit geringem Aufwand herzustellen.
Dokument D1 beziehe sich auf andere Maschinentypen, nämlich auf 4/2-Maschinen, während das Verfahren des Anspruchs 1 mit einer 4/1-Maschine durchgeführt werde. Ein Fachmann würde nicht Merkmale des einen Maschinentyps auf den anderen übertragen. Selbst wenn er dies aber mache, könne daraus nicht der Gegenstand des Anspruchs 1 entstehen. Auch Dokument F11 zeige keine 4/1-Produktion und sei zudem eine Gebrauchsanweisung, von der ungewiss sei, ob sie der Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei und somit als Stand der Technik gelten könne.
Dokument F1a liste auf der letzten Seite verschiedene mit der Druckmaschine C450 herstellbare Produkte auf. Wolle man davon auf das im Anspruch 1 definierte Produkt gehen, so verlöre man Produktionsarten. Folglich habe Herr Brewer bei der Firma Grandville Printing nicht die bestehenden Falztrichter demontiert und durch andere ersetzt, um eine 4/1-Produktion fahren zu können, sondern zusätzliche Falztrichter neben oder über den bestehenden angebracht. Dies ergebe sich aus der zweiten Seite von Dokument F1x und Seite 6 des Protokolls der Zeugenaussage von Herrn Brewer. Es gebe für einen Fachmann auch keine Veranlassung, von der mit der C450 benutzten Falztrichteranordnung abzugehen und eine Anordnung wie beim Streitpatent zu wählen. Ein solcher Umbau sei nicht nur sehr teuer, sondern bedeute auch einen Verzicht auf Produktionsmöglichkeiten, so dass ein Fachmann nur die Ergänzung der bestehenden Anlage, wie sie beispielsweise auf der neunten Seite des Dokuments F33 mit übereinander angeordneten Falztrichtern gezeigt sei, nicht aber deren Umbau in Betracht zöge.
Sowohl ausgehend von Dokument F1a als auch ausgehend von der Druckmaschine C450, wie sie bei der Firma Grandville Printing betrieben wurde, komme ein Fachmann somit nicht in naheliegender Weise zum Verfahren des Anspruchs 1.
Zulässigkeit der Hilfsanträge
Die Hilfsanträge seien als Reaktion auf die im Bescheid der Kammer erhobenen Einwände zur Klarheit und erfinderischen Tätigkeit gestellt worden. Sie seien rechtzeitig eingereicht worden, enthielten keine Überraschungen und stellten nur eine sukzessive Einschränkung von Antrag zu Antrag mit lange bekannten Merkmalen dar, so dass sich die Gegenseite habe vorbereiten können. Da im Gegensatz zum europäischen Patent 0 933 200, in dem eine Vorrichtung beansprucht werde, im vorliegenden Fall ein Verfahren Gegenstand der Ansprüche sei, könne auch keine Doppelpatentierung vorliegen. Das Produkt des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 mit einer Lage zu zwei Seiten und einer Lage zu sechs Seiten sei eine Weiterbildung des 2 mal 4 Seiten Produkts, da letzteres zuerst erzeugt und eine der zweiseitenbreiten Bahnen dann nochmals geteilt werde. Dies stelle somit kein anderes, sondern ein weiter eingeschränktes Verfahren dar.
Die Hilfsanträge seien somit zulässig.
VIII. Die Beschwerdegegnerinnen I und II haben im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Artikel 76(1) EPÜ
Das Streitpatent basiere auf einer Teilanmeldung aus der früheren Anmeldung EP 0 933 200. Die dem Streitpatent zugrunde gelegte Aufgabe ergebe sich jedoch nicht zweifelsfrei aus der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Diese Anmeldung erwähne den Zeitungsdruck lediglich im Hinblick auf den Stand der Technik. Außerdem ergebe sich aus den Figuren 21 bis 28 dieser Anmeldung nicht, dass es sich hierbei ausschließlich um Zeitungsdruck handele. Tatsächlich seien die in diesen Figuren gezeigten Produkte keine Zeitungen.
Weiterhin sei in der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht eindeutig gezeigt, dass die Teilbahnen im Falzapparat geschnitten würden. Es sei auch denkbar, dass eine vom Falzapparat getrennte Schneidevorrichtung verwendet werde, in dem die Teilbahnen zu Produkten geschnitten würden.
Somit gehe der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, so dass ein Verstoß gegen Artikel 76(1) EPÜ vorliege.
Artikel 83 EPÜ
Der Ausdruck "Broadsheet" sei unbestimmt, so dass ein Fachmann nicht wisse, wie das beim Verfahren des Anspruchs 1 benutzte Druckwerk größenmäßig zu gestalten sei. Auch die Beschreibung des Streitpatents liefere keine konkreten Angaben zu der unter "Broadsheet" zu verstehenden Größe. Somit sei der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne.
Erfinderische Tätigkeit, Hauptantrag
Ausgangspunkt für den Gegenstand des Anspruchs 1 sei die Druckmaschine C450. Bei dieser werde ein vierseitenbreites Band in der Mitte geschnitten. Dies ergebe sich aus den Seiten 5 bis 7 des Protokolls der Zeugenaussage von Herrn Brewer. Aus der letzten Seite des Dokuments F1a ergebe sich, dass der Ausdruck "ribbon" nicht notwendigerweise eine einseitenbreite Bahn bedeute, dies könne auch eine zweiseitenbreite Bahn sein. Der Unterschied zwischen dem mit der Druckmaschine C450 durchgeführten Verfahren und dem Verfahren des Anspruchs 1 bestehe demnach nur darin, dass bei letzterem die Bahn nicht gewendet werde und die Falztrichter mittig zu den Teilbahnen angeordnet seien. Daraus ergebe sich als objektive Aufgabe für das Verfahren gemäß Streitpatent, eine einfachere Ausführung im Vergleich zur Druckmaschine C450 zu finden.
Dokument D1 zeige in der mittleren Figur der Seite 142 eine vierseitenbreite Bahn, die in der Mitte geschnitten werde. Auch in den Figuren 8 und 9 des Dokuments F11 und in Figur 48 des Dokuments F13 seien entsprechende Anordnungen gezeigt. Solche Anordnungen seien also durchaus üblich. Für das Schneiden und Falzen sei es unerheblich, welches Druckverfahren benutzt werde, so dass die genannten Dokumente mit der Druckmaschine C450 auch tatsächlich kombinierbar seien. Es gehe nur darum, mit einer bekannten Maschine ein bekanntes Falzverfahren durchzuführen. Die auf der vorletzten Seite des Dokuments F1a gezeigte Anlage sei nur ein Beispiel für die Verwendung der Druckmaschine C450 aber keine Einschränkung darauf.
Ein Fachmann würde zur Lösung der objektiven Aufgabe die Druckmaschine C450 mit Dokument D1, F11 oder F13 kombinieren und so in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 kommen.
Zulässigkeit der Hilfsanträge
Gemäß der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern müsse die Beschwerdebegründung den vollständigen Sachvortrag der Beschwerdeführerin enthalten. Einen Monat vor der mündlichen Verhandlung sei es zu spät, völlig neue Sachverhalte einzubringen. Die in den Ansprüchen der Hilfsanträge enthaltenen Änderungen seien nicht nur Reaktionen auf den Bescheid der Kammer. Die zusätzlichen Merkmale seien zudem bereits Gegenstand des europäischen Patents 0 933 200, so dass die Beschwerdeführerin wegen des Verbots der Doppelpatentierung keine Berechtigung habe, diese nochmals zu beanspruchen. Die Ansprüche seien nicht als reine Verfahrensansprüche, sondern als Hybridansprüche mit einer Mischung aus Verfahrens- und Vorrichtungsmerkmalen zu werten. Außerdem hätten diese Anträge schon sehr viel früher gestellt werden können.
Somit seien die Hilfsanträge nicht zulässig. Für den Fall, dass die Kammer diese Anträge dennoch zulasse, werde beantragt, die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuverweisen und der Beschwerdeführerin die in Zusammenhang damit entstehenden Kosten aufzuerlegen.
1. Artikel 76(1) EPÜ
Das Streitpatent beruht auf der europäischen Anmeldung Nr. 02016174.1, die ihrerseits eine Teilanmeldung zu der früheren Anmeldung Nr. 99100984.6 / EP 0 933 200 (Stammanmeldung) ist. Der Gegenstand der Ansprüche des Streitpatents hat deshalb die Erfordernisse des Artikels 76(1) EPÜ zu erfüllen.
Die in Absatz [0004] des Streitpatents formulierte Aufgabe bezieht sich auf den Zeitungsdruck. Die Kammer hat bereits in der Entscheidung T 104/06 (vgl. Punkt 3 der Entscheidungsgründe), die das auf der Stammanmeldung beruhende Patent betraf, festgestellt, dass die Bezeichnung des in diesem Patent beanspruchten Offsetdruckwerks als Zeitungs-Offsetdruckwerk keinen Verstoß gegen Artikel 123(2) EPÜ darstellt. Analog hierzu kann es nicht als unzulässige Änderung gegenüber dem Inhalt der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung angesehen werden, wenn bei der Formulierung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe Bezug zum Zeitungsdruck genommen wird. Ein für den Zeitungsdruck geeignetes Druckwerk kann auch eine Aufgabe im Rahmen des Zeitungsdrucks erfüllen. Der Gegenstand des Streitpatents, nämlich das Verfahren des Anspruchs 1, dessen Wortlaut keine Einschränkung auf den Zeitungsdruck enthält, erfährt durch diese Formulierung keine unzulässige Änderung im Sinne des Artikels 76(1) EPÜ.
Die Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung erwähnt nicht explizit, wo das Querschneiden der gefalteten Teilbahnen zu den einzelnen Endprodukten erfolgt. Aus den Figuren 11 bis 28 und der zugehörigen Beschreibung in den Absätzen [0037] bis [0062] dieser Anmeldung kann man aber nur den Schluss ziehen, dass dieses Schneiden im Falzapparat 130 bzw. 135 selbst erfolgen muss, da kein von diesem Falzapparat getrennter Schneideapparat beschrieben oder gezeigt ist. In der Beschreibung wird insbesondere mehrfach darauf verwiesen, dass die Bahnen von dem jeweiligen Falzapparat als Produkte, also geschnitten, ausgelegt werden (vgl. Absätze [0040], [0047], [0055] und [0061]). Nach Auffassung der Kammer wird ein Fachmann die Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung daher nur so verstehen, dass das Schneiden der Teilbahnen zu Produkten im Falzapparat vorgenommen wird. Somit kann das Merkmal des Anspruchs 1, dass die Teilbahnen in einem Falzapparat geschnitten werden, nicht als Verstoß gegen Artikel 76(1) EPÜ gesehen werden.
2. Artikel 83 EPÜ
Die Kammer hat in der Entscheidung T 104/06 auch den Ausdruck "Broadsheet" im Hinblick auf Artikel 83 EPÜ beurteilt (vgl. Punkt 2 der Entscheidungsgründe). Da im vorliegenden Fall diesbezüglich der gleiche Sachverhalt gegeben ist und die entsprechenden Beanstandungen der Beschwerdegegnerinnen die gleichen sind, sieht die Kammer keine Veranlassung, von der in der Entscheidung T 104/06 getroffenen Feststellung abzurücken. Die Verwendung dieses Ausdrucks kann folglich nicht dazu führen, dass das Verfahren des Anspruchs nicht durchführbar ist.
3. Erfinderische Tätigkeit, Hauptantrag
Die Kammer sieht Dokument F1a als nächsten Stand der Technik an, hierbei allerdings nicht die auf der vorletzten Seite dieses Dokuments gezeigte Anlage, sondern eine einzelne Druckmaschine des Typs C450. Die im Dokument F1a gezeigte Anlage ist als ein Beispiel für die Verwendungsmöglichkeit einer solchen Druckmaschine zu sehen, nicht aber als eine Einschränkung darauf, dass diese Maschine nur so im Zusammenhang mit anderen Aggregaten eingesetzt werden kann. Wie in der Entscheidung T 104/06 von der Kammer festgestellt wurde (vgl. Punkt 4.1 der Entscheidungsgründe), wurde eine Druckmaschine des Typs C450 bei der Firma Grandville Printing mit Formzylindern verwendet, die in Umfangsrichtung der Zylinder eine und in Längsrichtung der Zylinder vier stehende Seiten aufwiesen. Diese Maschine wurde also für eine sogenannte 4/1-Produktion eingesetzt.
Es war somit bekannt, mit der in Dokument F1a gezeigten Druckmaschine Druckprodukte im 4/1-Verfahren herzustellen.
Von diesem bekannten Verfahren unterscheidet sich das Verfahren des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass die beiden Teilbahnen mittig längs geschnitten werden und über mittig zu jeder ungewendeten Teilbahn angeordnete Falztrichter geführt werden und dass Druckprodukte mit zwei Lagen zu jeweils vier Seiten hergestellt werden.
Ausgehend davon kann die dem Verfahren des Anspruchs 1 zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, mit der Druckmaschine C450 ein bestimmtes Druckprodukt, nämlich ein Druckprodukt mit zwei Lagen zu je vier Seiten, herzustellen.
Die Dokumente F13 (vgl. Seite 215, Figur 48) und D1 (vgl. Seite 142, mittlere Figur) zeigen Anordnungen, bei denen eine Papierbahn mittig längs geschnitten wird und mittig zu jeder Teilbahn je ein Falztrichter angeordnet ist. In Dokument D1 wird weiter gezeigt, dass mit einer solchen Anordnung bei einer 4/2-Produktion durch entsprechendes Schneiden und Falzen im Falzapparat ein Druckprodukt aus zwei Lagen zu je vier Seiten hergestellt werden kann (vgl. Seite 142, Tabelle der mittleren Figur). Dem Fachmann war also die Anordnung von Falztrichtern mittig zu zwei Teilbahnen in Zusammenhang mit einer Druckmaschine, auf deren Formzylinder in Umfangsrichtung zwei und in Längsrichtung vier Seiten stehend angeordnet sind, bekannt, und es war ihm auch vertraut, damit ein Druckprodukt mit zwei Lagen zu je vier Seiten herzustellen. Stellt sich dem Fachmann die Aufgabe, mit der bekannten, auf eine 4/1-Produktion eingestellten Druckmaschine C450 ein solches Druckprodukt herzustellen, so wird er nicht das Druckwerk austauschen oder umbauen, um auf eine 4/2-Produktion zu kommen, sondern den einfachen Weg nehmen und die Schneidefrequenz beim Querschneiden der Teilbahnen von zweimal pro Formzylinderumdrehung auf einmal pro Formzylinderumdrehung ändern. Ein Vorurteil, die Lehre des Dokuments D1 bei einer 4/1-Produktion nicht anzuwenden, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Auch die Aufgabe selbst kann nicht als eine Besonderheit angesehen werden, da derartige Druckprodukte im Zeitungsdruck seit langem bekannt und üblich sind.
Das Verfahren des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4. Zulässigkeit der Hilfsanträge
Die Kammer hatte in ihrem zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung erlassenen vorläufigen Bescheid Zweifel an der erfinderischen Tätigkeit beim Gegenstand des Anspruchs 1 des damaligen Hauptantrags erhoben und Klarheitsmängel beim Gegenstand des Anspruchs 1 der damaligen Hilfsanträge aufgezeigt. Die Kammer wertet die innerhalb der von der Kammer bei der Ladung gesetzten Frist eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 als Versuch der Beschwerdeführerin, diesen Einwänden zu begegnen. Die in Anspruch 1 dieser Hilfsanträge jeweils aufgenommenen zusätzlichen Merkmale sind schon aus der Sache T 104/06 bekannt und konnten, auch wenn sie schon zu einem viel früheren Stadium des Verfahrens hätten geltend gemacht werden können, die Beschwerdegegnerinnen nicht überraschen.
Die Kammer kann auch dem Einwand der Beschwerdegegnerinnen I, dass die Hilfsanträge wegen des Verbots der Doppelpatentierung nicht zugelassen werden können, nicht folgen. Gegenstand des europäischen Patents 0 933 200 ist eine Vorrichtung, während es sich im vorliegenden Fall um ein Verfahren handelt. Eine Doppelpatentierung ist somit ausgeschlossen. Daran können auch die in Anspruch 1 der Hilfsanträge enthaltenen Vorrichtungsmerkmale nichts ändern.
Die Hilfsanträge 1 und 2 werden deshalb zugelassen.
Anders verhält es sich bei Hilfsantrag 3. Anspruch 1 dieses Hilfsantrags enthält das Merkmal, dass die geschnittenen und gefalzten Seiten zu einem zweilagigen Produkt mit zwei Druckseiten in der einen Lage und sechs Druckseiten in der anderen Lage ausgelegt werden. Im erteilten Anspruch 1 war jedoch ein Auslegen zu einem zweilagigen Druckprodukt mit vier Druckseiten in jeder Lage beansprucht. Dieses Merkmal des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 bedeutet somit eine Veränderung des Schutzbereichs des Anspruchs gegenüber dem Schutzbereich des erteilten Anspruchs 1. Die Kammer kann der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht folgen, dass es sich dabei um eine Ergänzung und damit um eine Einschränkung des Schutzbereichs handelt, weil die Papierbahn zuerst in zwei Teilbahnen zerschnitten wird und eine dieser Teilbahnen nochmals geteilt wird. Ein Auslegen der Seiten zu einem Druckprodukt mit zwei Seiten in der einen und sechs Seiten in der anderen Lage war im erteilten Anspruch nicht beansprucht und ist etwas anderes als das Auslegen zu einem Druckprodukt mit je vier Seiten in den beiden Lagen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 ist somit nicht in Einklang mit Artikel 123(3) EPÜ und deshalb prima facie nicht gewährbar. Der Hilfsantrag 3 wird aus diesem Grunde nicht zugelassen.
5. Die in den Anspruch 1 gemäß der Hilfsanträge 1 und 2 gegenüber den der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Ansprüche aufgenommenen zusätzlichen Merkmale waren nicht Gegenstand dieser Entscheidung. Die Kammer hält es deshalb für zweckmäßig, die Angelegenheit in Einklang mit Artikel 111(1) EPÜ an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen.
Da eine Zurückverweisung unter Artikel 111(1) EPÜ im Ermessen der Kammer liegt, kann dem Antrag der Beschwerdegegnerinnen I, der Beschwerdeführerin für den Fall der Zurückverweisung die dadurch entstandenen Kosten aufzuerlegen, nicht stattgegeben werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung auf Basis des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 und 2 an die erste Instanz zurückverwiesen.
3. Der Antrag der Beschwerdegegnerinnen I auf Kostenverteilung wird zurückgewiesen.