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T 0321/06 05-03-2008
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RETINA-IMPLANTAT
Unzulässige Erweiterung (nein)
Neuheit (ja)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die am 16. Dezember 2005 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP-B-949 937 zu widerrufen.
In der angefochtenen Entscheidung vertrat die Einspruchsabteilung die Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 gegenüber dem Dokument US-A-5024223 (D4) nicht neu im Sinne des Artikels 54(1),(2) EPÜ 1973 sei. Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ist auch zu entnehmen, dass die Einspruchsabteilung die Gültigkeit des in Anspruch genommenen, und auf die am 23. Oktober 1996 eingereichte Voranmeldung DE 196 44 114.5 (D2) bezogenen Prioritätsrechts anerkannte.
II. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat am 7. Februar 2006 gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde eingelegt. Am gleichen Tag wurde die Beschwerdegebühr entrichtet und am 18. April 2006 wurde die schriftliche Begründung eingereicht. In ihrer Begründung beantragte die Beschwerdeführerin gemäß Hauptantrag die Aufrechterhaltung des Patents im erteilten Umfang und gemäß Hilfsanträgen 1 bis 3 die Aufrechterhaltung mit geänderten Ansprüchen.
III. In ihrer Erwiderung vom 7. November 2006 beantragte die Beschwerdegegnerin (die Einsprechende), die Beschwerde zurückzuweisen.
IV. Nach Ladung der Parteien zur mündlichen Verhandlung wurde die vorläufige unverbindliche Auffassung der Kammer den Parteien in einem Bescheid vom 21. September 2007 mitgeteilt.
Mit ihrem Schreiben vom 12. November 2007 reichte die Beschwerdeführerin neue Hilfsanträge 1 bis 7 ein, um der Stellungnahme der Beschwerdekammer hinsichtlich der Frage der Gültigkeit des Prioritätsrechts Rechnung zu tragen. In diesem Schreiben bestätigte die Beschwerdeführerin ihren Hauptantrag auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und auf Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt. Sie beantragte, hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage eines der als Hilfsantrag 1 bis 7 eingereichten Anspruchssätze und einer geänderten Seite 2 der Patentschrift, die mit Schreiben vom 18. April 2006 eingereicht worden war.
V. Im Hinblick auf die Angaben der Beschwerdeführerin, wonach die Beschwerdegegnerin ihren Geschäftsbetrieb im Rahmen eines Insolvenzverfahrens aufgelöst hätte und als juristische Person nicht mehr existiere, reichte der Vertreter der Beschwerdegegnerin mit einem Schreiben vom 14. Februar 2008 eine Kopie eines beglaubigten "Affidavit" der Insolvenzverwalterin der Beschwerdegegnerin ein sowie eine Kopie eines Schreibens des U.S. Department of Justice zur Bestellung derselben. In einem früheren Schreiben vom 19. Dezember 2007 war eine Kopie einer Vollmacht der gesetzlichen Insolvenzverwalterin zugunsten des Vertreters eingereicht worden.
VI. Am 5. März 2008 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt, in der die Entscheidung der Beschwerdekammer verkündet wurde.
VII. In diesem Verfahren bezogen sich die Parteien u.a. auf folgende Dokumente:
D2: Voranmeldung DE-196 44 114.5,
D4: US-A-5024223,
D7: DE-A-195 29 371,
D8: Auszug aus dem Handbuch: "Electro-Optics
Handbook, G. R. Elion et al., Verlag Marcel
Dekker Inc., New-York, 1979, Seite 127,
D9: Auszug aus dem Handbuch: "Amorphous and
Microcrystalline Silicon Solar Cells: Modeling,
Materials and Device Technology", R. E. I.
Schropp, Kluwer Academic Publishers (USA), 1998,
Seite 55,
WWP5: eine graphische Darstellung der
Absorptionskoeffizienten versus Wellenlänge
von amorphem sowie Polykristallinem Silizium,
auf die in dieser Entscheidung ebenfalls Bezug genommen wird.
VIII. Der Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin, d.h. wie erteilt, lautet wie folgt:
"Retina-Implantat (13, 14) mit einer an einer Netzhaut (12) anlegbaren Oberfläche (28), wobei die Oberfläche (28) mit Elektroden (35; 55) zum Stimulieren von Zellen (27) der Netzhaut (12) versehen ist und die Elektroden (35; 55) von auf die Netzhaut (12) fallendem, sichtbarem Licht (21´) derart angesteuert werden, daß ein elektrischer Stimulus (41) von den Elektroden (35; 55) auf die Zellen (27) ausübbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß das Implantat (13; 14) mit einer für nicht-sichtbares Licht (25´) wirksamen, photovoltaischen Schicht (30; 50) versehen ist, und daß die Stimuli (41) unter Ausnutzung der von der photovoltaischen Schicht (30; 50) erzeugten Spannung lokal schaltbar sind."
Die Ansprüche 2-14 des Hauptantrags sind abhängige Ansprüche.
1. Die Beschwerde erfüllt die Erfordernisse der Artikel 106 bis 108 EPÜ 1973 und Regel 1 (1) und 64 EPÜ 1973 und ist deshalb zulässig.
2. Wie aus dem von der Beschwerdegegnerin eingereichten Affidavit von Frau Brenda Porter Helms zu entnehmen ist, fungiert Frau Porter Helms als Insolvenzverwalterin für die Beschwerdegegnerin. Eine Kopie ihrer Ernennung in der Form eines Schreibens des "U.S. Department of Justice" vom 23. Mai 2007 wurde ebenfalls eingereicht. In dem am 6. Februar 2008 verfassten Affidavit wird bestätigt, dass die Geschäftsfähigkeit der Beschwerdegegnerin weiterhin bestünde und am 5. März 2008, dem Tag der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer, weiterhin bestehen würde. Darüber hinaus hat Frau Porter Helms am 18. Dezember 2007 eine Vollmacht zugunsten der Anwaltssozietät des Vertreters erteilt.
Aus den eingereichten Unterlagen entnimmt die Beschwerdekammer, dass die Beschwerdegegnerin am 6. Februar 2008 geschäftsfähig war, dass Frau Porter Helms die Beschwerdegegnerin verwaltet und im Rahmen ihrer Befugnisse eine Vollmacht zugunsten des in diesem Verfahren auftretenden Vertreters der Beschwerdegegnerin erteilt hat.
Es gibt seitens der Beschwerdekammer keine Gründe, an der Richtigkeit der Angaben der Beschwerdegegnerin und an der Erklärung, wonach sie am 5. März 2008 weiterhin existiere, zu zweifeln. Solche Zweifel wurden von der Beschwerdeführerin, die sich zu den vorgebrachten Unterlagen nicht geäußert hat, auch nicht weiter zum Ausdruck gebracht.
Demzufolge sieht die Beschwerdekammer den Nachweis über die Existenz der Beschwerdegegnerin als juristische Person als ausreichend belegt. Der Vertreter der Beschwerdegegnerin durfte dementsprechend seine Mandantin in der mündlichen Verhandlung vertreten.
3. Hauptantrag - Änderungen (Artikel 123 (2) EPÜ)
3.1 Im Gegensatz zu dem ursprünglich eingereichten Hauptanspruch, wonach "ein elektrischer Stimulus (41) von der Elektrode (35; 55) auf die Zelle (27) ausgeübt wird", enthält der erteilte Hauptanspruch die Formulierung, wonach "ein elektrischer Stimulus (41) von den Elektroden (35; 55) auf die Zellen (27) ausübbar ist". Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass die neue Formulierung zu einer nicht gestützten Verallgemeinerung des beanspruchten Gegenstandes führt, da die ursprüngliche 1:1 Beziehung zwischen Elektroden und Zellen aus dem erteilten Anspruch 1 nicht mehr zu entnehmen ist. Die erteilte Form des Anspruchs würde insbesondere auch einer Konfiguration entsprechen, in der eine einzige Elektrode eine Mehrzahl von Zellen stimulieren würde. Eine solche Verallgemeinerung sei jedoch von den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht gestützt.
3.2 Für die Kammer besteht in der Tat in der Formulierung des erteilten Anspruchs 1 eine Verallgemeinerung der im ursprünglichen Anspruch 1 vorhandenen Formulierung hinsichtlich der Beziehung zwischen Elektroden und Zellen. Die Kammer kann sich jedoch trotz fehlender expliziter Stützung in der ursprünglichen Beschreibung für das geänderte Merkmal im erteilten Hauptanspruch den Ausführungen der Beschwerdegegnerin nicht anschließen.
3.3 In diesem Zusammenhang erscheint es zweckmäßig zu bestimmen, was der Fachmann unter der ursprünglichen Formulierung tatsächlich verstanden hätte, d.h. welche technische Lehre ihm die ursprüngliche Offenbarung übermittelt hat.
Im vorliegenden Fall hätte der Fachmann aufgrund der ihm bekannten willkürlichen Verteilung der Zellen in biologischem Gewebe sogleich erkannt, dass eine 1:1 Beziehung zwischen Elektroden und Zellen, die ohnehin für die beabsichtigte Wirkung der Stimulation keiner Notwendigkeit entspricht, in Abweichung vom reinen Wortlaut des ursprünglichen Anspruchs 1 nicht gemeint sein konnte. Insbesondere macht eine feste geometrische Elektrodenstruktur, wie sie in der Figur 3 des Streitpatents dargelegt ist, die Beschränkung der Stimuli auf eine einzige Zelle unmöglich, da die Beziehung zwischen einzelnen Zellen und einzelnen Elektroden beim Einsetzen des Retina-Implantats in die Netzhaut vom Chirurgen nicht festlegbar ist. Darüber hinaus führt die kontinuierliche Erneuerung des biologischen Gewebes zu einer ständigen Änderung der Zellenverteilung, was wiederum eine 1:1 Beziehung zwischen Elektrode und Zelle unmöglich macht.
Demzufolge und im Hinblick auf die Entscheidung der Grossen Beschwerdekammer G 3/89 (ABl. EPA 1993, 117) hätte der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens aus der Gesamtheit der Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unmittelbar und eindeutig erkannt, dass das ursprüngliche Merkmal hinsichtlich der Beziehung zwischen Elektroden und Zellen nicht korrekt formuliert war. Er hätte auch erkannt, dass die Lehre des Dokuments nur auf eine allgemeine Beziehung zwischen Elektroden und Zellen hinweisen konnte, wie sie im erteilten Hauptanspruch zu finden ist.
3.4 Der erteilte Anspruch 1 erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
4. Hauptantrag - Neuheit
4.1 Das Dokument D4 offenbart ein Retina-Implantat mit einer an einer Netzhaut anlegbaren Oberfläche, wobei die Oberfläche mit Elektroden zum Stimulieren von Zellen der Netzhaut versehen ist und die Elektroden von auf die Netzhaut fallendem, sichtbarem Licht derart angesteuert werden, dass ein elektrischer Stimulus von den Elektroden auf die Zellen ausübbar ist (vgl. D4, Spalte 2, Zeilen 13-29; Spalte 4, Zeile 16 - Spalte 5, Zeile 9).
4.2 Das Implantat ist ebenfalls mit einer für nicht-sichtbares Licht wirksamen photovoltaischen Schicht (18, 20, 6) versehen. Dass die einzelnen Schichten 18, 20 und 6 einer photovoltaischen Schicht im Sinne der Erfindung entsprechen, folgt nämlich aus der Eigenschaft der so geschaffenen PIN Dioden (vgl. D4, Spalte 4, Zeilen 49-54). Wie aus Figur 32 des Dokuments D8 ersichtlich ist, die die Quantenausbeute in Abhängigkeit der eingestrahlten Wellenlänge für typische PIN-Photodioden zeigt, sind solche PIN Dioden für Wellenlängen bis mindestens 1 mym, d.h. bis in den Infrarotbereich hinein empfindlich. Da im Streitpatent das verwendete, nicht-sichtbare Licht sich auf infrarotes Licht mit Wellenlängen bis zu 1 mym bezieht (vgl. Patentschrift, Absatz 0037), ist das Implantat aus D4 konstruktionsbedingt auch für nicht-sichtbares Licht im Sinne des Patentanspruchs wirksam, unabhängig davon, ob eine solche Verwendung mit nicht-sichtbarem Licht in D4 tatsächlich beabsichtigt wurde oder nicht.
4.3 Weil das Implantat in D4 nur mit sichtbarem licht Verwendung findet, enthält das Dokument keine Angaben, was das Verhalten des Implantats mit nicht-sichtbarem Licht betrifft. Insbesondere wird in D4 nicht angegeben, wie sich die obere Elektrode 13a oder 13b der Figuren 2A und 2B verhält, wenn sie mit infrarotem Licht bestrahlt wird. Im vorliegenden Fall ist es jedoch wichtig festzustellen, ob in D4 Stimuli unter Ausnutzung der von der photovoltaischen Schicht erzeugten Spannung lokal schaltbar sind.
Im Hinblick darauf geht es darum zu bestimmen, ob die Leitfähigkeit der Elektroden 13a und 13b der Ausführungsbeispiele der Figuren 2A und 2B in D4 eine spektrale Variation vorweist, die zu einer Schaltwirkung im Sinne der Erfindung führen würde, wenn die Elektroden mit sichtbarem bzw. mit infrarotem Licht bestrahlt werden. Das in dem Dokument D4 offenbarte Implantat wäre neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1, wenn bewiesen würde, dass einerseits eine spektrale Trennung vorliegt, die zu einer unterschiedlichen Leitfähigkeit der Kontaktelektroden führt, und dass andererseits dieser Unterschied der Leitfähigkeit zwischen sichtbarem und infrarotem Licht zu elektrischen Stimuli auf die Zellen führen kann.
4.4 Die Kammer stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Elektroden 13a und 13b in D4 als "polysilicon active electrode" definiert sind (vgl. Spalte 4, Zeilen 16-29). Anspruch 1 in D4 weist ferner auf eine Elektrodenschicht hin, die über der photoaktiven Schicht angeordnet ist und aus leitendem Silizium gefertigt sein kann. Auch wenn diese Angaben im Anspruch 1 sich nicht direkt auf die Ausführungsbeispiele der Figuren 2A und 2B beziehen und deshalb keine eindeutigen Aussagen liefern, ob die genannten Elektroden in den Figuren 2A und 2B dotiert sind, vermitteln sie dem Fachmann doch eine Information, die das Verständnis des Dokuments insgesamt beeinflusst.
Das gleiche gilt für die Hinweise im Anspruch 1 und in Spalte 4, Zeilen 30-48 in D4 auf alternative Elektrodenmaterialien wie Aluminium, Platin, Chrom und Gold, die dem Fachmann die Information übermitteln, dass dafür Materialien von höchster Leitfähigkeit, die vergleichbar ist mit der Leitfähigkeit der erwähnten Metalle, in Frage kommen.
Dies wiederum bedeutet im Hinblick auf die gesamte Lehre des Dokuments D4, dass der Fachmann für die Herstellung der Elektroden 13a und 13b sehr wahrscheinlich hoch dotiertes, d.h. leitendes Polysilizium in Betracht ziehen würde.
Da es in D4 auf eine Verwendung des Implantats mit nicht-sichtbarem Licht gar nicht ankommt, spielt nämlich lediglich der Aspekt der Intensität der übertragenen elektrischen Stimuli von den Photodioden auf die Nervenzellen eine Rolle bei der Auswahl des Materials. Diese Überlegungen kommen nur zum Tragen, weil in D4 über die Elektroden 13a und 13b der Figuren 2A und 2B nichts ausgesagt wird. Sie erlauben jedoch nicht, die Verwendung eines schwach dotierten Polysiliziums mit Sicherheit auszuschließen.
Ein solches, undotiertes oder schwach dotiertes Elektrodenmaterial würde eine Leitfähigkeit aufweisen, die von der Wellenlänge abhängig ist, sodass seine Leitfähigkeit sich mit kürzeren Wellenlängen erhöht (vgl. WWP5), was wiederum auf eine Schaltwirkung im Sinne der Erfindung hindeuten würde. Dabei schließt sich die Beschwerdekammer der Meinung der Beschwerdegegnerin und der Einspruchsabteilung an, dass die unterschiedlichen Schaltwirkungen, die aus der Verwendung von undotiertem Polysilizium oder amorphem Silizium resultieren, als solche nicht relevant sind, da der Anspruch keine Angaben hinsichtlich des Grades des Schalteffektes macht.
Die Beschwerdeführerin konnte zwar qualitativ glaubhaft machen, dass die Verwendung von undotiertem oder schwach dotiertem Polysilizium für die Elektroden in D4 die Funktion dieses Implantats, was die Wahrnehmung der Stimuli betrifft, beeinträchtigen würde, konnte jedoch mangels quantitativer Analyse eine solche Verwendung nicht mit Sicherheit ausschließen.
4.5 Aus den obengenannten Gründen folgt, dass die Verwendung von hoch dotiertem d.h. leitendem Polysilizium für die Elektroden 13a und 13b in D4 aus der Sicht des Fachmanns sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht mit völliger Sicherheit nachgewiesen ist.
Dies impliziert jedoch im Umkehrschluss, dass die Verwendung von undotiertem oder schwach dotiertem Polysilizium in D4 für den Fachmann unwahrscheinlich ist, d.h. nicht mit ausreichender Gewissheit nachgewiesen wurde. Im Gegensatz zu der Behauptung der Beschwerdegegnerin kann aus dem Umstand, dass in D4 keine Angaben hinsichtlich des Materials der oberen Elektroden 13a und 13b enthalten sind, nicht geschlossen werden, dass der Fachmann undotiertes Polysilizium in Betracht gezogen hätte.
Die Beschwerdekammer stellt daher fest, dass das Dokument D4 keine eindeutige Information über die Verwendung von undotiertem Polysilizium für die fraglichen Elektroden enthält und dass die Begründung der Beschwerdegegnerin aus diesem Grund nicht überzeugen kann.
4.6 Auch wenn die Leitfähigkeit von dotiertem, d.h. leitfähigem Polysilizium mit zunehmender Wellenlänge des Lichtes ebenfalls abnimmt und dementsprechend auch einen Photoeffekt zeigen würde, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet, vermag die Beschwerdekammer in diesem Umstand keine Schalteigenschaft im Sinne der beanspruchten Erfindung zu erkennen, d.h. eine Schaltwirkung, die zu wahrnehmbaren Stimuli auf die Nervenzellen führen würde. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die aus der Dotierung resultierende Leitfähigkeit die durch Lichtbestrahlung zusätzlich erzeugte Leitfähigkeit weit übersteigt (vgl. D9). Mit anderen Worten wäre der ohmsche Widerstand der Elektroden 13a und 13b in D4 durch die Lichtbestrahlung relativ wenig beeinflusst, was wiederum eine Wahrnehmung der Unterschiede zwischen den elektrischen Strömen unmöglich machen würde, die einerseits ohne und andererseits mit zusätzlicher Bestrahlung durch sichtbares Licht generiert werden. Die Situation ist von der oben erwähnten Alternative mit undotiertem oder schwach dotiertem Polysilizium zu unterscheiden, wo die Leitfähigkeit allein von dem Photoeffekt abhängig ist.
4.7 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass das Implantat des erteilten Patentanspruchs 1 gegenüber Dokument D4 neu ist (Artikel 54 EPÜ 1973).
5. Hauptantrag - Priorität
5.1 Die Beschwerdegegnerin weist darauf hin, dass die Priorität der ersten Voranmeldung DE-196 44 114.5 (D2) vom 23. Oktober 1996 nicht wirksam in Anspruch genommen wurde. Sie stützt sich auf die Feststellung, dass das Merkmal, wonach das Implantat "großflächig mit einer für nicht-sichtbares Licht wirksamen, photovoltaischen Schicht versehen ist" im Hauptanspruch des Streitpatents nicht erwähnt ist, obwohl dieses Merkmal sowohl im Hauptanspruch als auch in der Beschreibung des ersten Prioritätsdokuments D2 offenbart war. Dass der Begriff "großflächig" zur Lösung der Erfindung gehört belegen insbesondere die Absätze Seite 4, Zeilen 17-22 und Zeilen 24,25 in D2, die wie folgt lauten: "Diese Aufgabe wird erfindungsgemäß bei einem Implantat der eingangs genannten Art dadurch gelöst, daß das Implantat großflächig mit einer für nicht-sichtbares Licht wirksamen, photovoltaischen Schicht versehen ist, und daß die Stimuli unter Ausnutzung der von der photovoltaischen Schicht erzeugten Spannung lokal geschaltet werden. Die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe wird auf diese weise vollkommen gelöst."
5.2 In der Entscheidung der Grossen Beschwerdekammer G 2/98 wurde die Frage der Gültigkeit einer in Anspruch genommenen Priorität beantwortet. Gemäß dieser Entscheidung bedeutet das "in Artikel 87 (1) EPÜ für die Inanspruchnahme einer Priorität genannte Erfordernis "derselben Erfindung", dass die Priorität einer früheren Anmeldung für einen Anspruch in einer europäischen Patentanmeldung gemäß Artikel 88 EPÜ nur dann anzuerkennen ist, wenn der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig der früheren Anmeldung als Ganzes entnehmen kann" (vgl. G 2/98, ABl. EPA 2001, 413, Leitsatz).
Im vorliegenden Fall geht es darum zu entscheiden, ob der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens aus der ersten Voranmeldung D2 unmittelbar ein Retina-Implantat entnehmen kann, das nicht notwendigerweise großflächig mit einer photovoltaischen Schicht versehen ist, wie es im Anspruch 1 des Streitpatents definiert ist. Mit anderen Worten stellt sich die Frage, ob der Fachmann aus der gesamten Offenbarung in D2 erkennt, dass das im Hauptanspruch des Streitpatents gestrichene Merkmal der Großflächigkeit kein wesentliches Merkmal der in D2 beschriebenen Erfindung ist (vgl. T 515/00, Punkt 4 der Entscheidung).
5.3 Wie von der Beschwerdeführerin überzeugend dargelegt wurde, würde der Fachmann aus der gesamten Offenbarung des Dokuments D2 erkennen, dass mit "großflächig" eine Struktur gemeint ist, die die Energieversorgung nicht auf einen lokalen Zellenbereich beschränkt, sondern eine global eingerichtete Energieversorgung ermöglicht (vgl. D2, Seite 4, letzter Absatz).
Demzufolge hätte der Fachmann auch erkannt, dass dieses Merkmal nicht mit den Merkmalen einer für nicht-sichtbares Licht wirksamen photovoltaischen Schicht und der selektiven Erzeugung von Stimuli unter Ausnutzung der von dieser Schicht erzeugten Spannung zusammenhängt und damit für die Ausführbarkeit eines vom jeweils vorhandenen Umgebungslicht unabhängig versorgten Implantats nicht unabdingbar ist. Die Eigenschaft "großflächig" stellt somit kein wesentliches Merkmal der in D2 offenbarten Erfindung dar.
5.4 Daraus folgt, dass die Priorität vom 23. Oktober 1996 dem im Hauptanspruch beanspruchten Implantat zusteht.
6. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
Wie unter Punkt 5 ausgeführt, ist der maßgebliche Prioritätstag für den Hauptanspruch der 23. Oktober 1996. Das Dokument D7, worauf die Beschwerdegegnerin die Argumentation betreffend mangelnder erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Implantats stützt, wurde jedoch erst am 13. Februar 1997 veröffentlicht und ist daher kein Stand der Technik im Sinne von Artikel 54 (2) EPÜ 1973.
Somit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ 1973).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.