T 1258/06 17-12-2008
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Cabriofahrzeug
Begründung der vorinstanzlichen Entscheidung (nein)
Zurückverweisung an die 1. Instanz (ja)
I. Die Beschwerdeführerin hat gegen die am 17. Juli 2006 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs am 10. August 2006 Beschwerde eingelegt, am gleichen Tag die Beschwerdegebühr bezahlt und am 16. November 2006 die Beschwerdebegründung eingereicht.
II. Im erteilten Patent wurde das Schutzbegehren in 24 Ansprüchen angegeben, wobei Anspruch 1 ein "Cabriofahrzeug" und Anspruch 23 ein "Luftstromleitelement für ein Cabriofahrzeug" betraf.
Anspruch 1 lautet wie folgt:
Cabriofahrzeug umfassend eine Karosserie (10), eine Windschutzscheibe (12), einen hinter der Windschutzscheibe (12) liegenden Fahrgastraum (14), welchen bei fehlendem Dach ein die Oberseite der Karosserie (10) überstreichender und von der Windschutzscheibe (12) angehobener Luftstrom (22) frei übergreift, und ein in einem oberen Bereich der Windschutzscheibe (12) angeordnetes Luftstromleitelement (60, 60`, 70), welches den von der Windschutzscheibe (12) angehobenen Luftstromabschnitt (24, 24`) so über den Fahrgastraum (14) führt, dass dieser hinter dem Fahrgastraum (14) auf der Karosserie (10) ohne Ausbildung eines sich in den Fahrgastraum (14) hinein erstreckenden Wirbels (28) auftrifft,
dadurch gekennzeichnet,
dass das Luftstromleitelement (60, 60`, 70) eine in Richtung quer zur Strömungsrichtung (26) im Abstand von der Windschutzscheibe (12) angeordnete Luftstromleitfläche (62, 64, 74, 76) umfasst, und
dass die im Abstand von der Windschutzscheibe (12) angeordnete Luftstromleitfläche (62, 64, 74, 76) zwischen sich und einer Frontseite (44) der Windschutzscheibe (12) einen Führungskanal (66,78) für mindestens einen Teil des Luftstroms (22) bildet.
Anspruch 23 lautet wie folgt :
Luftstromleitelement für ein Cabriofahrzeug umfassend eine Karosserie (10), eine Windschutzscheibe (12), einen hinter der Windschutzscheibe (12) liegenden Fahrgastraum (14), welchen bei fehlendem Dach ein die Oberseite der Karosserie (10) überstreichender und von der Windschutzscheibe (12) angehobener Luftstrom (22) frei übergreift, und ein in einem oberen Bereich der Windschutzscheibe (12) positionerbares Luftstromleitelement (60, 60`, 70), welches den von der Windschutzscheibe (12) angehobenen Luftstromabschnitt (24, 24`) so über den Fahrgastraum (14) führt, dass dieser hinter dem Fahrgastraum (14) auf der Karosserie (10) ohne Ausbildung eines sich in den Fahrgastraum (14) hinein erstreckenden Wirbels (28) auftrifft,
dadurch gekennzeichnet,
dass das Luftstromleitelement (60, 60`, 70) eine in Richtung quer zur Strömungsrichtung (26) im Abstand von der Windschutzscheibe (12) angeordnete Luftstromleitfläche (62, 64, 74, 76) umfasst, und
dass die im Abstand von der Windschutzscheibe (12) angeordnete Luftstromleitfläche (62, 64, 74, 76) zwischen sich und einer Frontseite (44) der Windschutzscheibe (12) einen Führungskanal (66,78) für mindestens einen Teil des Luftstroms (22) bildet.
III. In dem Einspruchsverfahren beantragte die Einsprechende den Widerruf des Patents in vollem Umfang (siehe Einspruchsschrift und das mitverwendete Formblatt 2300, Punkt V).
In dem Einspruchsschriftsatz stützte sie ihren Einspruch hauptsächlich auf den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ 1973, d.h. mangelnde Neuheit und/oder mangelnde erfinderische Tätigkeit der erteilten Gegenstände. In Bezug auf jeden einzelnen erteilten Anspruch erklärte sie, warum sein Gegenstand nicht neu oder nicht erfinderisch sei.
Insbesondere analysierte die Einsprechende im Absatz mit der Überschrift "Anspruch 1", warum der Gegenstand dieses Anspruchs ihrer Ansicht nach gegenüber der Druckschrift D6 nicht neu sei.
In dem Abschnitt bezüglich Anspruch 23 führte sie dann aus:
" Wie bereits ausgeführt zeigt die Entgegenhaltung D6 sämtliche Merkmale des in Anspruch 1 beanspruchten
Luftstromleitelement, so dass Anspruch 23 ebenfalls nicht neu ist."
Bezüglich der Ansprüche 17 und 18 erhob die Einsprechende in ihrem Einspruchsschriftsatz den Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit gemäß Artikel 100 b) EPÜ 1973.
IV. In ihrer Erwiderung auf den Einspruchsschriftsatz verteidigte die Patentinhaberin die Patentierbarkeit des Gegenstands des Anspruchs 1.
V. Mit der am 19. April 2006 zur Post gegebenen Ladung wurde den Parteien eine Mitteilung nach Regel 71a EPÜ 1973 geschickt, in der die Einspruchsabteilung darauf aufmerksam machte, dass nach ihrer vorläufigen Auffassung der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht erfinderisch sei.
VI. Am 22. Juni 2006 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der laut Niederschrift über die mündliche Verhandlung die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit in Bezug auf den Gegenstand des Anspruchs 1 erörtert wurde. Eine Erörterung des Gegenstandes des Anspruchs 23 wird in dieser Niederschrift nicht erwähnt. Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit gegen die Ansprüche 17 und 18 wird auch nicht erwähnt.
VII. In der am 17. Juli 2006 zur Post gegebenen Entscheidung begründet die Einspruchsabteilung die Zurückweisung des Einspruchs damit, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Sie führt dabei insbesondere aus, dass D6 kein Cabriofahrzeug zeige.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der Entscheidung und den vollständigen Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Beide Parteien erklärten sich in Beantwortung der Mitteilung der Beschwerdekammer vom 25. Juli 2008 mit einer Zurückverweisung an die 1. Instanz einverstanden und nahmen ihre gestellten Anträge auf mündliche Verhandlung zurück.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung ist gemäß Artikel 106 EPÜ 1973 als Endentscheidung mit der Beschwerde anfechtbar und war deshalb gemäß Regel 68 (2) EPÜ 1973 schriftlich abzufassen und zu begründen.
3. Dem Einspruchsschriftsatz ist ohne weiteres zu entnehmen, dass das Erfordernis der Regel 55 c) EPÜ 1973, eine Erklärung darüber abzugeben, in welchem Umfang gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt wird, erfüllt ist, und dass im vorliegenden Fall Einspruch gegen das Patent im gesamten Umfang eingelegt wurde.
Es ist auch zu erkennen, dass die Einsprechende ihren Einspruch auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ 1973 gestützt, und den Widerruf des Patents wegen mangelnder Neuheit und/oder mangelnder erfinderischer Tätigkeit seiner Gegenstände beantragt hatte.
Zusätzlich wurde der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ 1973 geltend gemacht und die Ausführbarkeit der Gegenstände der Ansprüche 17 und 18 in Frage gestellt.
4. Anspruch 23 betrifft ein Luftstromleitelement für ein Cabriofahrzeug, während Anspruch 1 ein Cabriofahrzeug mit einem solchen, in einer bestimmten Weise angeordneten Luftstromleitelement betrifft.
Anspruch 23 ist somit eindeutig der allgemeinste Anspruch des Anspruchssatzes.
5. Wenn, wie im vorliegenden Fall, ein Einspruch gegen ein Patent in seinem gesamten Umfang eingelegt wird, und die Einsprechende die Neuheit und erfinderische Tätigkeit aller beanspruchten Gegenständen in Frage stellt, so ist die Einspruchsabteilung verpflichtet, die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit für den gesamten Anspruchssatz zu prüfen. Im vorliegenden Fall war darüber hinaus auch die Ausführbarkeit zumindest bezüglich der Ansprüche 17 und 18 zu prüfen.
Gegebenenfalls hätte die Einspruchsabteilung auch weitere "prima facie" relevante Einspruchsgründe, die der Aufrechterhaltung des Patents ganz oder teilweise entgegenstehen, gemäß Artikel 114 (1) EPÜ 1973 in das Verfahren einführen und prüfen können (G 10/91, ABl. EPA 1993, 420, Nr. 16 der Entscheidungsgründe).
Daher hätte die Einspruchsabteilung den Einspruch nur zurückweisen können, wenn sie nach erfolgter Prüfung zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass alle beanspruchten Gegenstände und dabei insbesondere der Gegenstand des Anspruchs 23, dem breitesten Anspruch, neu ist, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, die Gegenstände nach den Ansprüchen 17 und 18 ausführbar sind, und gegebenenfalls kein weiterer von ihr eingeführter Einspruchsgrund der Aufrechterhaltung des Patents ganz oder teilweise entgegensteht.
6. Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung erklärt, warum ihrer Ansicht nach der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Eine solche Erklärung kann die Zurückweisung des Einspruchs jedoch nicht ausreichend begründen. Es ist nämlich nicht selbstverständlich, dass Neuheit und erfinderische Tätigkeit bei dem engeren Gegenstand des Anspruchs 1 ein Gleiches bei dem breiteren Gegenstand des Anspruchs 23 impliziert.
So hat die Einspruchsabteilung die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 u. a. damit begründet, dass D6 kein Cabriofahrzeug zeige, ein Merkmal, das der Anspruch 23 nicht enthält. Die vorhandene Begründung lässt sich somit nicht ohne weiteres auf den Anspruch 23 übertragen.
Außerdem ist in der Entscheidung keine Angabe darüber zu finden, ob der von der Einsprechenden erhobene Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ 1973 gegen die Ansprüche 17 und 18 berücksichtigt wurde, bzw. aus welchen Gründen er nicht zu dem Widerruf des Patents führen konnte.
7. Indem die Einspruchsabteilung dem Gebot der ausreichenden Begründung nach Regel 68 (2) EPÜ 1973 nicht nachgekommen ist, ist ihre Entscheidung mit einem Verfahrensmangel behaftet.
Ohne diese Begründung bleibt es den Parteien, insbesondere der unterlegenen, und der Kammer überlassen, selbst eine Begründung zu finden, die diese Entscheidung stützt. Genau dies soll aber durch diese Vorschrift vermieden werden.
Dieser Verstoß der angefochtenen Entscheidung gegen dieses in der Regel 68 (2) EPÜ 1973 verankerte grundsätzliche Recht rechtfertigt ihre Aufhebung.
8. Da aus der Akte weder hervorgeht, ob sich die Einspruchsabteilung in Bezug auf den Gegenstand des Anspruchs 23 bereits mit der Frage der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit auseinandergesetzt hat, noch ob der Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ 1973 gegen die Ansprüche 17 und 18 berücksichtigt wurde, hat die Kammer, um das Recht der Beteiligten auf eine vollständige Prüfung des Einspruchs in zwei Instanzen zu wahren, beschlossen, von der ihr nach Artikel 111 EPÜ 1973 übertragenen Befugnis Gebrauch zu machen und die Sache zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur Weiterbehandlung an die Vorinstanz zurückverwiesen.