T 1603/07 01-06-2010
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Festigende Haarreinigungsmittel
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchabteilung, nach der das europäische Patent Nr. 1 092 418 in geänderter Form aufrechterhalten wurde.
II. Das mit Wirkung vom 19. Januar 2005 erteilte Patent umfasste 7 Ansprüche, insbesondere unabhängigen Produktanspruch 1, gerichtet auf ein festigendes Haarreinigungsmittel, und unabhängigen Verwendungsanspruch 7.
III. Gegen die Erteilung des obigen Patentes wurde am 19. Oktober 2005 Einspruch eingelegt, mit dem Antrag, das Patent wegen fehlender Neuheit und mangelnder erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 (a) EPÜ) sowie unzureichender Offenbarung (Artikel 100 (b) EPÜ) in vollem Umfang zu widerrufen.
IV. Der angefochtenen Entscheidung lagen die erteilte Fassung als Hauptantrag sowie ein Hilfsantrag 1. zu Grunde. Das Patent wurde in geänderter Form aufrechterhalten auf Basis des während der mündlichen Verhandlung am 19. Juni 2007 eingereichten Hilfsantrags 1. Der Anspruchssatz gemäß dem Hilfsantrag 1 enthielt unabhängigen Produktanspruch 1, gerichtet auf ein festigendes Haarreinigungsmittel, und unabhängigen Verwendungsanspruch 5, der folgenden Wortlaut hatte:
"5. Verwendung einer wässrigen Zubereitung mit einem Gehalt von 1-30 Gew.-% eines wasserlöslichen, schäumenden Tensids und 0,1-10 Gew.-% eines darin dispergierten filmbildenden Polymers, welches ein Homo- oder Copolymerisat aus Monomereinheiten der Formel (i)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
darstellt, in der R**(1) Wasserstoff oder eine Methylgruppe und R**(2) Wasserstoff oder eine Alkylgruppe mit 1-8 C-Atomen ist, dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr als 60 Mol.% der Monomeren als R**(2) Wasserstoff enthalten als
festigendes Haarreinigungsmittel."
V. Gemäß der Entscheidung erfülle zwar die Offenbarung des erteilten Patents die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ, aber das Haarreinigungsmittel nach dem erteilten Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber der Offenbarung von D2 (JP-A-09 125091). Jedoch seien das Haarreinigungsmittel des Anspruchs 1 und die Verwendung des Anspruchs 5 gemäß dem Hilfsantrag 1 sowohl neu als auch erfinderisch gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik.
VI. Am 14. September 2007 legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung Beschwerde ein unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr. Mit der am 14. November 2007 eingereichten Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin folgendes Dokument ein:
D19: WO-A-97/07782.
VII. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) verteidigte die aufrechterhaltene Fassung des angefochtenen Patents im Schreiben vom 30. Juni 2008, reichte aber keine weitere Hilfsanträge ein.
Mit Brief vom 26. November 2009 teilte die Beschwerdegegnerin mit, dass sie an der vorgesehenen mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde, und zog den Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.
VIII. Eine mündliche Verhandlung fand am 1. Juni 2010 in der angekündigten Abwesenheit der Beschwerdegegnerin statt.
IX. Bezüglich der Neuheit des aufrechterhaltenen Anspruchs 5 gegenüber D19 argumentierte die Beschwerdeführerin, dass das in Beispiel III offenbarte Haarreinigungsmittel 18 Gew.-% eines wasserlöslichen, schäumenden Tensids und 4 Gew.-% einer Mischung bestehend aus 40 Gew.-% eines Copolymers von t-Butyl-Methacrylat und 2-Ethylhexyl-Methacrylat und 60 Gew.-% Isohexadecans enthalte, was 1.6 Gew.-% Copolymers und 2.4 Gew.-% Isohexadecans betrage. Das Polymer sei im organischen Lösungsmittel solubilisiert und die Mischung sei in der wässrigen Haarreinigungszusammensetzung dispergiert. Eine ähnliche Offenbarung sei in Beispiel IX zu finden. Da die Haareinigungsmittel als nützlich für ihre frisurfestigenden Eigenschaften offenbart seien, sei die Verwendung des Anspruchs 5 neuheitsschädlich getroffen.
X. Die Beschwerdegegnerin hatte schriftlich entgegnet, dass die technische Lehre des Streitpatents "solubisierte Polymere" von "dispergierten Polymeren" explizit unterscheide. Insbesondere seien sowohl Shampoos, in denen filmbildende Polymere durch ein geeignetes Lösungsmittel in der Shampooformulierung solubilisiert vorlägen, wie die Produkte in D19, als auch Shampoos, in denen sich Polymere in Wasser in dem Tensidsystem des Shampoos lösen ließen, aus dem Stand der Technik bereits bekannte Produkte mit solubilisierten Polymeren. Von diesen Festigershampoo-Typen des Standes der Technik differenziere sich der Gegenstand des Streitspatents dadurch, dass wasserunlösliche Polymerisate in den wässrigen Zubereitungen als feinteilige Dispersion in Wasser bzw. im Shampoo vorlägen. Die Ausdrücke "solubilisiert" und "dispergiert" bezögen sich im Kontext der Offenbarung des Streitspatent stets auf den Bezugspunkt "Polymer", wobei das Polymer gemäß D19 solubilisiert bzw. gelöst vorliegen müsse. Die Argumentation der Beschwerdeführerin, dass das im unpolaren Lösungsmittel solubilisierte Polymer von D19 als ein dispergiertes Polymer gemäß Streitpatent gelten müsse, weil das unpolare Lösungsmittel gemeinsam mit dem darin gelösten Polymer dispergiert sei und daher das Polymer dispergiert sei, greife nicht, denn das Polymer in den Zubereitungen von D19 liege faktisch im dispergierten unpolaren Lösemittel gelöst und nicht dispergiert vor. Folglich sei die Tatsache, dass das Polymer als solches zwingend dispergiert vorliege, als Unterscheidungsmerkmal des im Anspruch 5 beanspruchten Gegenstandes zum Stand der Technik D19 zu betrachten.
XI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
XII. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) hatte schriftlich beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Neuheit des Verwendungsanspruchs 5
2.1 Dokument D19 offenbart eine schaumbildende Haarformungsshampoozusammensetzung enthaltend:
a) 2 bis 25 Gew.-% eines Alkylglycerylethersulfonattensids;
b) 0.1 bis 10 Gew.-% eines Haarformungspolymers;
c) 0.1 bis 10 Gew.-% eines nichtpolaren flüchtigen Lösungsmittels zur Auflösung des Haarformungspolymers, wobei das Haarformungspolymer einen Siedepunkt unterhalb oder gleich 300ºC und eine Löslichkeit im Wasser bei 25ºC unterhalb 0.2 Gew.-% aufweist; und
d) 50 bis 97.8 Gew.-% Wassers;
wobei das Gewichtsverhältnis zwischen dem Haarformungspolymer und dem nichtpolaren flüchtigen Lösungsmittel im Bereich 10:90 bis 70:30 ist (Anspruch 1).
Das Haarformungspolymer kann hydrophobe Monomereinheiten aus der Gruppe bestehend aus t-Butylacrylat/2-Ethylhexylmethacrylat, t-Butylmethacrylat/2-Ethylhexylmethacrylat, und deren Mischungen enthalten (Anspruch 7).
2.1.1 Die Shampoozusammensetzung gemäß Beispiel III (Seite 31) enthält 10 Gew.-% Alkylglycerolsulfonats (eines wasserlöslichen, schäumenden Tensids) und 4 Gew.-% einer Mischung aus 40 Gew.-% (1.6 Gew.-% bezogen auf die gesamte Zusammensetzung) t-Butylmethacrylat/2-Ethylhexylmethacrylat Copolymers (50/50 in Gewicht) und 60 Gew.-% (2.4 Gew.-% bezogen auf die gesamte Zusammensetzung) Isohexadecans (Seite 30, Zeile 37 - Seite 31, Zeile 1). Die Zusammensetzung weist sowohl reinigende als auch haarfestigende Eigenschaften auf (Seite 32, Zeilen 12-14).
2.1.2 Eine weitere Shampoozusammensetzung gemäß D19 (Beispiel IX, Seite 33) enthält 10 Gew.-% Alkylglycerolsulfonats und 1.5 Gew.-% einer Mischung aus 40 Gew.-% (0.6 Gew.-% bezogen auf die gesamte Zusammensetzung) t-Butylacrylat/2-Ethylhexylmethacrylat Copolymers (90/10 in Gewicht) und 60 Gew.-% (0.9 Gew.-% bezogen auf die gesamte Zusammensetzung) Isododecans (Seite 30, Zeilen 31-33) und weist sowohl reinigende als auch haarfestigende Eigenschaften auf (Seite 33, Zeilen 6-7).
2.2 Im Licht dieser Offenbarung war von den Parteien unbestritten, dass D19 die Verwendung einer wässrigen Zubereitung mit einem Gehalt von 1-30 Gew.-% eines wasserlöslichen, schäumenden Tensids und 0,1-10 Gew.-% eines filmbildenden Polymers, welches ein Homo- oder Copolymerisat aus Monomereinheiten der Formel (i)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
darstellt, in der R**(1) Wasserstoff oder eine Methylgruppe und R**(2) Wasserstoff oder eine Alkylgruppe mit 1-8 C-Atomen ist, wobei nicht mehr als 60 Mol.% der Monomeren als R**(2) Wasserstoff enthalten, als festigendes Haarreinigungsmittel offenbart. Insbesondere enthalten die Polymere gemäß den Beispielen von D19 Monomereinheiten der Formel (i) mit ausschließlich t-Butyl und Ethylhexyl (Alkylgruppen mit 4 und 8 C-Atomen) als R**(2).
2.3 Strittig blieb, ob das filmbildende Polymer der Zusammensetzungen von D19 als "dispergiert" betrachtet werden könne.
2.4 Gemäß D19 sind die filmbildenden Polymere hydrophob und wasserunlöslich (Seite 7, Zeile 7) und müssen hydrophob bleiben, auch wenn sie nichthydrophobe Monomereinheiten enthalten (Seite 7, Zeilen 10-12). Das Lösungsmittel wird benutzt, um das Polymer zu verdünnen und aufzulösen, sodass es in der Shampoozusammensetzung als flüssige Teilchen dispergiert werden kann (Seite 8, Zeilen 35-37). Die Menge an Lösungsmittel ist so ausgewählt, dass das Polymer ausgelöst wird und in der Shampoozusammensetzung als getrennte flüssige Phase dispergiert wird (Seite 8, Zeile 37 - Seite 9, Zeile 2). Das ausgewählte Polymer muss im Lösungsmittel löslich sein, sodass eine Dispersion der das Polymer und das Lösungsmittel enthaltenden Mischung als dispergierte flüssige Phase in der Shampoozusammensetzung ermöglicht wird (Seite 9, Zeile 16-18).
2.5 Der Wortlaut des Anspruchs 5 sieht vor, dass das Polymer in einer wässrigen Zubereitung dispergiert wird, die ein Tensid und das Polymer selbst enthält (siehe "darin dispergiert" im Anspruch 5). In der Zusammensetzung gemäß D19 ist zwar das Polymer in einem nichtpolaren flüssigen Lösungsmittel aufgelöst, aber die das Polymer und das Lösungsmittel enthaltende Phase ist in der wässrigen Zusammensetzung dispergiert, sodass das Polymer entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin als dispergiert in der wässrigen Zusammensetzung im Sinne des bestrittenen Patents zu betrachten ist.
2.6 Eine engere Auslegung des Ausdrucks "dispergiert", die die Shampoozusammensetzungen von D19 ausschließen könnte, ist auch aus der gesamten Offenbarung im angefochtenen Patent nicht ableitbar. Es wird zwar im Patent spezifiziert, dass organische Lösungsmittel nicht nur nicht erforderlich, sondern auch in Haarshampoos unerwünscht sind (Absatz [0016]), aber eine entsprechende Beschränkung ist im Anspruch 5 nicht enthalten. Darüber hinaus enthalten sogar die im Patent vorgesehenen Haarreinigungsmittel, die im wesentlichen frei von organischen Lösungsmitteln sind, bis zu 2.5 Gew.-% an organischen Lösungsmitteln, bezogen auf das gesamte Mittel (Absatz [0016] im Patent und Anspruch 8 gemäß der aufrechterhaltenen Fassung), wobei diese Beschränkung bei beiden zitierten Beispielen von D19 (Beispiel III und IX, siehe Punkte 2.1.1 und 2.1.2, supra) erfüllt wird.
2.7 Aus diesen Gründen ist die Verwendung des Anspruchs 5 gemäß dem aufrechterhaltenen Fassung gegenüber der Offenbarung in D19 nicht neu.
3. Da die Beschwerdegegnerin keine weitere Anträge einreichte, kann das angefochtene Patent nicht aufrechterhalten werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.