T 1498/11 24-09-2012
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Anordnung zur Informationsdarstellung
Ansprüche deutlich, knapp gefasst und von der Beschreibung gestützt - ja
Vorliegen einer Nichterfindung - nein
Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung
I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat gegen die am 22. Dezember 2010 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 01 957 798.0 (Internationale Veröffentlichungsnummer WO 01/89855) zurückgewiesen worden ist, am 21. Februar 2011 Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr entrichtet. Die Beschwerdebegründung ist am 29. April 2011 eingegangen.
Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags bzw. des Hilfsantrags nicht klar sei (Artikel 84 EPÜ 1973), siehe Entscheidungsgründe, Punkt 9.1 und 9.2. Aus diesem Grund habe sie über die Patentierbarkeit der Erfindung (Artikel 52 (2) EPÜ) nicht entscheiden können, siehe Punkt 7 der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Prüfungsabteilung am 8. November 2010.
II. In ihrer Beschwerdebegründung legte die Beschwerdeführerin dar, warum nach ihrer Ansicht der Gegenstand des Anspruchs 1 deutlich, knapp gefasst und von der Beschreibung gestützt sei, Artikel 84 EPÜ 1973, und keine Nichterfindung nach Artikel 52 (2) EPÜ darstelle.
Sie beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu erteilen.
III. Die Ansprüche 1 und 2 der ursprünglich eingereichten Anmeldung lauten wie folgt:
"1. Anordnung zur Informationsdarstellung, mit
1.1 einer Gesamtübersicht (1), in der
1.1.1 in einer matrixartigen Darstellung die möglichen Werte eines ersten Parameters in einer ersten Dimension und
1.1.2 die möglichen Werte eines zweiten unabhängigen Parameters in einer zweiten Dimension aufgetragen sind,
1.2 einer Übersicht (8) möglicher Anwendungsfälle der zu verwendenden Produkte,
1.2.1 in die für jeden Anwendungsfall ein Verweis aus mindestens einer Zelle (5) der Gesamtübersicht (1) führt,
1.3 einer Systemübersicht (12), in der
1.3.1 für die Anwendungsfälle der Anwendungsübersicht (8) zulässige und/oder mögliche Systeme der Verwendung von Produkten aufgeführt sind, wobei
1.3.2 die Anwendungsübersicht (8) für jeden Anwendungsfall mindestens einen Verweis in der Systemübersicht (12) enthält, sowie mit
1.4 einem Produktteil (15), der
1.4.1 alle Produkte in einer linearen Anordnung enthält, wobei
1.4.2 die Systemübersicht (12) für jedes System mindestens einen Verweis auf mindestens ein Produkt des Produktteils (15) enthält."
"2. Anordnung nach Anspruch 1, bei der die Gesamtübersicht (1) auf einer Seite (3) oder Doppelseite eines Kataloges, Buches, einer Loseblattsammlung oder dergleichen enthalten ist."
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Artikel 84 EPÜ 1973
2.1 Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass alle in den Ansprüchen 1 bis 11 benutzten Ausdrücke (z. B. die möglichen Werte eines ersten Parameters in einer ersten Dimension; die möglichen Werte eines zweiten unabhängigen Parameters in einer zweiten Dimension; einer Übersicht möglicher Anwendungsfälle der zu verwendenden Produkte, in die für jeden Anwendungsfall ein Verweis aus mindestens einer Zelle der Gesamtübersicht führt) vage und unklar seien und den Leser über ihre Bedeutung (die auch keine technischen Merkmale beinhalteten) im Ungewissen ließen. Des Weiteren sei der im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag (Bemerkung der Kammer: und im Anspruch 2 des Hauptantrags) benutzte Ausdruck "oder dergleichen" unklar, denn er habe keine besondere technische Bedeutung und somit auch keinen technischen Sinn. Auf die Mitschrift der Verhandlung am 8. November 2010 wurde verwiesen.
Laut Mitschrift über die mündliche Verhandlung wurden folgende Ausdrücke (siehe Punkt 4.1) als unklar angesehen (römische Nummerierung durch die Kammer):
i) "matrixartig" - keine genaue Bedeutung,
ii) "mögliche" Werte/Anwendungsfälle/Systeme - Kriterien der Definition der Möglichkeit unklar,
iii) "erste und zweite Dimension" - unklar, ob sich die Dimension auf "matrixartig" oder auf "Parameter" beziehe,
iv) "Unabhängigkeit der Parameter" - unklar, wovon sie unabhängig seien,
v) "der ... Produkte" - erstmal im Anspruch genannt und damit zusammenhanglos,
vi) "Systemübersicht" - die Bedeutung dieses Merkmals, das den einzigen Beitrag zum Stand der Technik (DE-A-196 07 445) leiste, gehe weder aus dem Anspruch 1 noch aus der Beschreibung klar hervor,
vii) "oder dergleichen" - unklarer Bezug.
2.2 Die beanspruchte "Anordnung zur Informationsdarstellung" umfasst vier Darstellungsebenen (vgl. die Merkmale 1.1 bis 1.4 in Anspruch 1): eine Gesamtübersicht 1 (höchste Ebene), eine Anwendungsübersicht 8, eine Systemübersicht 12 und eine Produktübersicht (Produktteil 15 - niedrigste Ebene). In der Anwendungsübersicht und Systemübersicht und im Produktteil werden Produkte erwähnt, in der Gesamtübersicht 1 wird, wie später noch erläutert wird, nicht auf Produkte verwiesen. Wird der Anspruch als Ganzes gelesen, so ergibt sich, dass er eine Anordnung zur Informationsdarstellung von Produkten beansprucht, siehe Seite 1, Zeilen 23 bis 25 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen in der veröffentlichen Fassung. Ein Benutzer gelangt über "Verweise" (vgl. Merkmale 1.2.1, 1.3.2 und 1.4.2) vom einer höheren zu einer niedrigeren Darstellungsebene.
2.3 Die unter i) bis iv) von der Prüfungsabteilung beanstandeten Ausdrücke betreffen (abgesehen von den Ausdrucken "mögliche Anwendungsfälle/Systeme") die in der einzigen Figur dargestellte Gesamtübersicht 1 (siehe Seite 3, Zeile 10 bis Seite 4, Zeile 16, und Seite 5, Zeile 29 bis Seite 6, Zeile 5, der ursprünglich eingereichten Anmeldung in der veröffentlichen Fassung). In diesem Ausführungsbeispiel sind die zwei unabhängigen Parameter, die z. B. angeben, für welche Anwendung ein spezielles Produkt geeignet ist, in den Spalten A, B, C ("erste Dimension") und den Reihen I, II und III ("zweite Dimension") angeordnet und ergeben somit neun Zellen 5. Der Verfasser der Anordnung zur Informationsdarstellung von Produkten gibt vor, welche zwei Parameter in der Gesamtübersicht dargestellt werden und welche Werte sie annehmen können, anders gesagt, welche Werte "möglich" sind.
Nach Auffassung der Kammer ist für den Fachmann klar, dass eine solche Anordnung eine matrixartige Darstellung ist, d. h. eine Matrix mit den Elementen A-I, B-I, C-I, A-II, B-II usw., wobei die erste und zweite Dimension sich auf die Spalten und Reihen beziehen. Die möglichen Werte der ersten bzw. zweiten Parameter sind im genannten Ausführungsbeispiel A, B oder C bzw. I, II oder III voneinander unabhängig.
Zusammenfassend kommt die Kammer somit zu dem Ergebnis, dass das Merkmal 1.1 (unter Weglassung der 3-stelligen Nummern), nämlich "[mit] einer Gesamtübersicht (1), in der in einer matrixartigen Darstellung die möglichen Werte eines ersten Parameters in einer ersten Dimension und die möglichen Werte eines zweiten unabhängigen Parameters in einer zweiten Dimension aufgetragen sind" nach Artikel 84 EPÜ 1973 nicht zu beanstanden ist.
2.4 Die möglichen Anwendungsfälle und die möglichen Systeme zur Lösung sind in der einzigen Figur als Rechtecke ("Bilder 11") dargestellt. Der Begriff "möglichen" hat hier die gleiche Bedeutung wie im Ausdruck "die möglichen Werte": welche Anwendungsfälle und welche Systeme in den Anwendungsfall- und Systemübersichten aufgenommen werden, bestimmt der Verfasser.
Der Ausdruck v) betrifft die "Übersicht möglicher Anwendungsfälle der zu verwendenden Produkte" (vgl. Merkmal 1.2). Dass hier erstmals im Anspruch von Produkten die Rede ist, macht den Anspruch nicht unklar, da er als Ganzes zu lesen ist, vgl. Punkt 2.2 oben.
2.5 Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass die Bedeutung des Merkmals "Systemübersicht" weder aus dem Anspruch 1 noch aus der Beschreibung klar hervorgehe.
Gemäß Anspruch 1 ist aber die Systemübersicht eine Übersicht, in der mögliche Systeme der Verwendung von Produkten aufgeführt sind, und zwar für die in der Anwendungsübersicht aufgeführten Anwendungsfälle. Dies wird näher auf Seite 5, Absätze 1 und 2 und im letzten Absatz auf Seite 6 erläutert.
2.6 Anspruch 2 enthält das einschränkende Merkmal, dass "die Gesamtübersicht (1) auf einer Seite (3) oder Doppelseite ... enthalten ist". Zur Klarstellung des Begriffs "Seite" wurde ausgeführt, dass die Seite oder Doppelseite "eines Kataloges, Buches, einer Loseblattsammlung oder dergleichen" gemeint ist. Eine Unklarheit vermag die Kammer darin nicht erkennen.
2.7 Die Kammer kommt somit zu dem Ergebnis, dass die Ansprüche 1 und 2 die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ 1973 erfüllen.
3. Vorliegen einer Nichterfindung?
3.1 Bereits im ersten Bescheid vom 10. November 2011 hat der beauftragte Prüfer ausgeführt, dass die beanspruchte Anordnung zur Informationsdarstellung lediglich durch die angezeigten Informationen definiert und somit nach Artikel 52 (2) d) EPÜ nicht patentierbar sei, siehe Punkt 2 des Bescheids. Die Prüfungsabteilung hat dann nicht über die Patentierbarkeit der Erfindung entschieden (siehe Punkt I oben), aber der Anmelderin am Anfang der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass die Einwände unter Artikel 52 (2) EPÜ aufrechterhalten würden, siehe Punkt 7 der Niederschrift.
3.2 Nach Artikel 52 (2) d) EPÜ in Verbindung mit Artikel 52 (3) EPÜ ist nur die Wiedergabe von Informationen als solchen, d. h. die Wiedergabe von Informationen, die (lediglich) durch deren Inhalt definiert werden, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.
Nach Auffassung der Kammer ist dies bei der beanspruchten Anordnung zur Informationsdarstellung nicht der Fall, da die Inhalte der Gesamt-, Anwendungs-, System- oder Produktübersicht keine Rolle spielen - sie sind austauschbar.
3.3 Ob der Gegenstand eines Anspruchs von der Patentierbarkeit nach Artikel 52 (2) und (3) EPÜ ausgeschlossen ist, ist nach jüngerer Rechtsprechung der Beschwerdekammern unabhängig vom Stand der Technik zu ermitteln.
Danach kommt es lediglich darauf an, ob die Erfindung technischen Charakter aufweist, siehe die Stellungnahme der Großen Beschwerdekammer G 3/08 (ABl. EPA 2011, 10 - Computerprogramme), insbesondere Punkte 10.4 bis 10.13.
Im vorliegenden Fall weist die beanspruchte Anordnung zur Informationsdarstellung schon deshalb technischen Charakter auf, weil sie einen Produktteil, der alle Produkte in einer linearen Anordnung enthält (sei es in Form von bedruckten Seiten Papier oder als Darstellung auf einem Computermonitor) und somit als eine physikalische Entität anzusehen ist.
Die Anordnung nach Anspruch 1 hat somit technischen Charakter und ist nicht durch Artikel 52 (2) EPÜ ausgeschlossen.
4. Die Kammer erachtet es als angemessen, die Angelegenheit gemäß Artikel 111 (1) EPÜ 1973 an die erste Instanz zurückzuverweisen, da die Prüfungsabteilung über die Neuheit und erfinderische Tätigkeit noch nicht entschieden hat.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Auf diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.