T 0279/12 28-07-2016
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Steckerteil
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Vorlage an die Große Beschwerdekammer - (nein)
I. Die Beschwerde betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher das Europäische Patent EP 1 401 063 unter anderem aufgrund mangelnder Neuheit widerrufen wurde.
II. Die folgenden Dokumente wurden sowohl im Verfahren vor der Einspruchsabteilung als auch im Beschwerdeverfahren genannt:
A3: EP 0 713 266 A2
A4: EP 1 073 160 A1
III. In einer zusammen mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übersandten Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK hat die Kammer den Parteien mitgeteilt, dass nach ihrer vorläufigen Auffassung der Gegenstand des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags sowohl gegenüber der Offenbarung des Dokuments A3 als auch gegenüber der Offenbarung des Dokuments A4 neu ist.
IV. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 28. Juli 2016 statt.
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Beschreibung: Seiten 2 bis 4 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2016.
Ansprüche: Nr. 1 bis 16 des Hauptantrags eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2016.
Zeichnungen: Figuren 1 bis 8 der Patentschrift (B9).
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Zudem beantragte sie, die folgende in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2016 eingereichte Frage der Großen Beschwerdekammer vorzulegen:
"Sind, basierend auf den Entscheidungen T 0142/05 vom 13.06.2006 und T 1646/12 vom 26.06.2015, Begriffe eines Anspruchs, auch wenn diese nach allgemeinem Wortsinn klar und eindeutig sind, im Gesamtzusammenhang der Patentschrift, also auch im Lichte der Beschreibung und Zeichnungen auszulegen, so dass diese Auslegung unter Umständen zu einer anderen Auslegung des Anspruchs führen kann, als bei alleiniger Berücksichtigung des Wortlaut[s] des Anspruchs?"
V. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 2 des gültigen Hauptantrags unterscheiden sich von jenen des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags lediglich dadurch, dass sie in der einteiligen Form abgefasst sind.
Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet:
"Steckerteil zur Verwendung mit einem Steckverbinder und einem elektrischen Steuergerät in einem aufblasbaren Rückhaltesystem für ein Kraftfahrzeug, mit folgenden Merkmalen:
a) einem Gehäuse mit mindestens einer endseitigen Gehäuseöffnung,
b) im Gehäuse sind Kontakte (40, 42) angeordnet, die sich in Richtung auf die Gehäuseöffnung erstrecken,
c) die Kontakte (40, 42) sind über eine Kurzschlussfeder (16k, 18k) untereinander verbindbar,
d) die Kurzschlussfeder (16k, 18k) ist Bestandteil eines Federelements (10), das permanent mit dem Gehäuse verbunden ist, wobei das Federelement (10) einen Massekontakt (18m) zur Schaffung einer durchgehenden Masseverbindung zum Steckverbinder und einen rechteckigen Boden (10b) aufweist, von dessen vier Seiten Abschnitte (12, 14, 16, 18) nach oben abstehen, wobei zwei Abschnitte (12, 14) der Verbindung zum Gehäuse und zwei Abschnitte (16, 18) der Ausbildung der Kurzschlussbrücke (16k, 18k) dienen,
e) das Gehäuse aus einem in einer metallischen Umhüllung (50) angeordneten Isolierkörper (30) besteht,
f) das Federelement (10) Laschen (12, 14) aufweist, die sich durch den Isolierkörper (30) hindurch bis zur Umhüllung (50) erstrecken."
Der nebengeordnete Anspruch 2 des Hauptantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 lediglich in Merkmal d), welches lautet:
"d) einem Federelement (10), das permanent mit dem Gehäuse verbunden ist, wobei das Federelement (10) einen Massekontakt (18m) zur Schaffung einer durchgehenden Masseverbindung zum Steckverbinder und einen rechteckigen Boden (10b) aufweist, von dessen vier Seiten Abschnitte (12, 14, 16, 18) nach oben abstehen, wobei zwei Abschnitte (12, 14) der Verbindung zum Gehäuse und zwei Abschnitte (16, 18) der Ausbildung des Massekontaktes (18m) dienen und wobei Kurzschlussfeder (16k, 18k) und Federelement (10) Kontakt zueinander haben,"
VI. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Patentinhaberin können wie folgt zusammengefasst werden:
Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei aus der Offenbarung des Dokuments A4 nicht bekannt. Insbesondere das Merkmal d) sei nach Anspruch 1 so definiert, dass sich eine durchgängige federnde Verbindung des Federelements bis hin zur metallischen Umhüllung ergebe, wodurch eine durchgängige Masseverbindung gewährleistet sei. Außerdem betreffe das Merkmal d) ein Federelement mit einem rechteckigen Boden. Im Gegensatz dazu sei aus Dokument A4 lediglich ein Element mit kreisrunder Form offenbart, wie beispielsweise in den Figuren 1 und 3, das kein Federelement im Sinne der Ansprüche 1 und 2 sei. Das aus den Figuren 1 und 3 des Dokuments A4 ersichtliche Element weise auch keine vier Seiten auf, von denen folglich auch keine Abschnitte nach oben abstünden. Daher zeige das Element des Dokuments A4 auch keine zwei Abschnitte die der Verbindung zum Gehäuse dienten und ebenfalls keine zwei Abschnitte die der Ausbildung der Kurzschlussbrücke dienten. Das aus den Figuren 1 und 3 der A4 ersichtliche und in der Beschreibung beschriebene Element habe auch keinen Boden. Die Kreissegmente 37 und 38 seien jedenfalls nicht als Boden im Sinne des Anspruchs 1 oder des Anspruchs 2 anzusehen. Darüber hinaus entsprächen die aus A4 bekannten Schneidkanten 30, 31, 32 und 33 nicht den Laschen 12 und 14, wie sie in Anspruch 1 oder 2 beansprucht seien. Zusammenfassend seien die Merkmale d)und f) des Anspruchs 1 oder 2 des Hauptantrags dem Dokument A4 nicht zu entnehmen.
Der Vortrag der Einsprechenden betreffe eigentlich Klarheitseinwände, welche jedoch im Einspruchsverfahren nicht mehr zu diskutieren seien. Die Ausführungsformen seien nicht maßgeblich für die Auslegung der Ansprüche. Die von der Einsprechenden zitierten Entscheidungen beträfen allesamt die Auslegung des Schutzbereichs eines Patents gemäß Artikel 69 EPÜ und nicht die Frage der Patentierbarkeit gemäß Artikel 100 a) EPÜ. Außerdem nehme die Einsprechende eine Auslegung der genannten Dokumente im Lichte ihrer eigenen Interpretation der Patentschrift vor, was unzulässig sei.
Erfinderische Tätigkeit
Die von der Einsprechenden vorgebrachte Argumentation sei ex-post-facto durchgeführt und berücksichtige den Aufgabe-Lösungs-Ansatz nicht. Entscheidend sei, dass das Merkmal d) einen rechteckigen Boden definiere, wobei von dessen vier Seiten Abschnitte nach oben abstünden. Darüber hinaus werde auch die Funktion der abstehenden Abschnitte exakt definiert. Zwei Abschnitte dienten der Verbindung zum Gehäuse und zwei Abschnitte dienten der Ausbildung der Kurzschlussbrücke. Dies sei weder aus dem Dokument A4, noch aus dem Dokument A3 bekannt. Außerdem sei im Dokument A4 das von der Einsprechenden genannte Problem der verbesserten Verbindung zum Gehäuse bereits dadurch gelöst, dass das Kurzschlusselement nach A4 kreisförmig ausgebildet sei und Schneidkanten aufweise. Die Schneidkanten gemäß A4 dienten der Verbesserung des Kontakts zum Gehäuse. Für den Fachmann bestünde daher keinerlei Motivation zum Handeln. Auch aus dem Dokument A3 sei der Fachmann nicht dazu angeregt, die Lehre des Dokuments A4 entsprechend zu ergänzen. A3 lehre in Spalte 8, Zeile 24, eine Klickverbindung vorzusehen, mit der durch einen hörbaren Klick erkenntlich sei, wann das Element 208 seine Endposition erreicht habe. Nach dem Dokument A3 sei jedoch keine durch Laschen herzustellende Verbindung zum Gehäuse erforderlich, da das Element 208 bereits vollflächig am Gehäuse anliege und der entsprechende Kontakt dadurch bereits hergestellt sei. Darüber hinaus sei die Lehre von A3 auch überhaupt nicht auf jene der A4 anwendbar. Um die Laschen 233 nach Dokument A3 in der Lehre des Dokuments A4 zu realisieren seien Hinterschnitte im Gehäuse erforderlich. Darüber hinaus seien in dem Element 70 nach A4 keinerlei Gegenlager für die Laschen 233 vorgesehen. Weder ausgehend von Dokument A3 noch ausgehend von Dokument A4 sei der Fachmann in irgendeiner Weise dazu angeregt, zur Lösung der gestellten Aufgabe einer Verbesserung der Verbindung des Federelements mit dem Gehäuse, in irgendeiner Weise tätig zu werden, da sowohl Dokument A4, wie auch Dokument A3 jeweils für sich genommen bereits eine Lösung für dieses Problem bereitstellten.
Daher seien die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags aus einer Zusammenschau der Dokumente A4 und A3 nicht nahegelegt.
Vorlage an die Große Beschwerdekammer
Die Vorlagefrage sei nicht entscheidungserheblich, da auch ohne eine Beantwortung der Frage, wie der rechteckige Boden auszulegen sei, keinesfalls sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 oder 2 des Hauptantrags aus dem vorliegenden Stand der Technik bekannt seien. Darüber hinaus beträfen sämtliche von der Einsprechenden genannten Entscheidungen die Auslegung des Schutzbereichs eines Patents und nicht, wie im vorliegenden Fall, die Frage der Patentierbarkeit der Ansprüche des Patents. Insofern sei der Antrag auf Vorlage an die Große Beschwerdekammer zurückzuweisen.
VII. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Einsprechenden können wie folgt zusammengefasst werden:
Neuheit
Es bestünde eine Divergenz zwischen Entscheidungen unterschiedlicher Beschwerdekammern hinsichtlich der Auslegung von Patentansprüchen. Patentansprüche seien grundsätzlich der Auslegung zugänglich. Im vorliegenden Fall stelle sich die Frage, was mit einem rechteckigen Boden gemeint sei. Keine der im Patent genannten Ausführungsformen zeige einen rechteckigen Boden im mathematischen Sinne. Aus den Entscheidungen T 142/05, Entscheidungsgründe 3. und 4., sowie T 1646/12, Entscheidungsgründe 2.1, ergebe sich, dass Patentansprüche auch bei klarem Anspruchswortlaut im Gesamtzusammenhang der Patentschrift auszulegen seien. Wenn der Fachmann diese Auslegung vornehme stelle er fest, dass zunächst der Boden einer Kurzschlussfeder ein nicht fachübliches Merkmal sei. Beim Blick in die Patentschrift ergebe sich aus den Absätzen [0007], [0019], [0028], [0033] sowie [0037] keine eindeutige Aussage darüber, was mit einem rechteckigen Boden gemeint sei. So zeige zum Beispiel die Figur 1 des Streitpatents zwar einen rechteckigen Boden, dieser habe jedoch abgerundete Ecken, wodurch er wiederum nicht rein mathematisch rechteckig sei. Aus Figur 2 sei kein rechteckiger, sondern lediglich ein sternförmiger Boden ersichtlich. Die Figur 8 des Streitpatents hingegen zeige einen eher kreisförmigen Boden, welcher nicht rechteckig sei. Auch das Merkmal wonach an den vier Seiten des rechteckigen Bodens Abschnitte nach oben abstehen sei nicht eindeutig definiert. Nicht in allen Ausführungsformen stehe von allen vier Seiten jeweils ein Abschnitt nach oben ab. Beispielsweise stünde bei der in Figur 2 gezeigten Ausführungsform nur an zwei Seiten ein Abschnitt nach oben ab. Hieraus ergebe sich jedoch kein Unterschied zu der in Dokument A4 gezeigten Kurzschlussfeder. Diese weise einen Boden auf, welcher aus den Segmenten 37 und 38 bestünde. Von dem Boden stünden die Abschnitte 35 und 36 ab, welche jeweils für die Herstellung eines Massekontakts bzw. als Kurzschlussbrücke dienten. Die Schneidkanten 30, 31, 32 und 33 entsprächen den Laschen des Federelements, wie in den Ansprüchen 1 und 2 beansprucht. Die oben genannten Abweichungen der Ausführungsformen vom Anspruchswortlaut rechtfertigten eine breite Auslegung des Streitpatents. So seien zum Beispiel Federlaschen nicht im Streitpatent offenbart. Eine reine Lasche hingegen sei nur ein Stück Metall. Das in den Figuren 1 und 3 des Dokuments A4 gezeigte Element weise keine kreisrunde Form auf, sondern eine Kreisform mit abgeschnittenen Kanten, was exakt der Form des Federelements gemäß Figur 8 des Streitpatents entspreche.
Somit seien die Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments A4.
Erfinderische Tätigkeit
Ausgehend von der Offenbarung des Dokuments A4 ergäben sich höchstens drei Unterschiede zu den Gegenständen der Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags. Diese seien ein rechteckiger Boden, die Tatsache, dass von den vier Seiten des rechteckigen Bodens Abschnitte abstünden, sowie die Verwendung von Laschen zur Kontaktierung des Gehäuses. Hieraus ergebe sich als objektive Aufgabe die Verbesserung der Verbindung des Federelements mit dem Gehäuse. Zu diesem Zweck seien dem Fachmann aus dem Dokument A4 Schneidekanten bekannt. Ausgehend von Dokument A4 suche der Fachmann daher nach einer Alternativlösung zu Schneidekanten bezüglich der Verbindung des Federelements mit dem Gehäuse. In diesem Zusammenhang offenbarte Dokument A3 in der Figur 9 sowie der Spalte 7, Zeilen 39 bis 42 ein Rückhalteelement 208 das aus Blech hergestellt sei und dem anspruchsgemäßen Federelement des Streitpatents entspreche. Von dem Federelement 208 nach Dokument A3 stünden ebenfalls vier Abschnitte nach oben ab. Zum einen die beiden Elemente der Kurzschlussbrücke 238 und zum anderen die beiden Seitenwände 230, welche jeweils um 90° versetzt zu den Kurzschlussfedern 238 angeordnet seien. Insgesamt seien daher aus dem Dokument A3 vier Abschnitte bekannt, die an vier Seiten des Bodens des Federelements abstünden, wobei die vier Seiten über den Umfang des Bodens verteilt seien. Darüber hinaus offenbare Dokument A3 auch Laschen 233, welche nach oben außen gebogen seien. Wie aus Figur 11 ersichtlich, dienten die Laschen 233 dazu, in entsprechende Nuten 217 einzugreifen, um eine Verbindung zum Gehäuse herzustellen. Der Fachmann übertrage daher die Lehre des Dokuments A3 und ersetze die Schneidekanten des Dokuments A4 durch die Laschen des Dokuments A3. Die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags seien daher aus einer Zusammenschau der Dokumente A4 und A3 mit dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt.
Vorlage an die Große Beschwerdekammer
Zur Begründung brachte die Einsprechende vor, die Beschwerdekammern des europäischen Patentamts gingen uneinheitlich mit der Frage um, wie Ansprüche auszulegen seien. Manche Kammern würden eindeutig einem klaren Anspruchswortlaut den Vorrang geben, wohingegen andere Kammern auch bei einem klaren Anspruchswortlaut immer eine Auslegung des Patentanspruchs unter Berücksichtigung der Beschreibung und Zeichnungen durchführen würden. Die Einsprechende nahm Bezug auf die in der Frage genannten Entscheidungen sowie auf das Urteil des Bundesgerichtshofs der Bundesrepublik Deutschland mit dem Titel "Rotorelemente" (BGH, Urteil vom 12. Mai 2015 - X ZR 43/13). Patentansprüche seien im Kontext der Beschreibung auszulegen. T 1646/12 nenne zwei Fälle, in denen die Auslegung von Patentansprüchen erforderlich sei. Einerseits im Falle von unklaren Ansprüchen und andererseits im Falle von klaren Ansprüchen, falls die Beschreibung eine vom eigentlich klaren Wortsinn abweichende Definition von als solche klaren Anspruchsbegriffen vornehme. Im vorliegenden Fall wolle die Kammer von dieser Rechtsprechung abweichen, indem sie nicht sämtliche Ausführungsformen als unter den Schutzbereich fallend ansehe. Dadurch lege die Kammer das im Lichte der Beschreibung und der Zeichnungen unklare Merkmal "rechteckiger Boden" zu eng aus.
1. Neuheit - Artikel 54 (2) EPÜ
1.1 Die Ansprüche 1 und 2 des Hauptantrags definieren, dass "das Federelement (10) ... einen rechteckigen Boden (10b) aufweist". Dieses Merkmal ist nach Auffassung der Kammer als solches klar und verständlich.
Wie die Kammer bereits während der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat, ist nach ihrer Auffassung eine Diskrepanz zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage, II.A.6.3.1, Seite 308) kein Grund, einem Anspruchsmerkmal, das als solches dem fachmännischen Leser eine klare, glaubhafte technische Lehre vermittelt, eine andere Bedeutung zu geben.
1.2 Insofern ist die Frage, ob die in den Figuren 6 bis 8 des Patents gezeigte Ausführungsform einen rechteckigen Boden hat, für die Kammer unerheblich. Das Merkmal "rechteckiger Boden"ist in Anspruch 1 und 2 klar definiert. Ob einige der Ausführungsformen möglicherweise nicht unter den Wortlaut der Patentansprüche fallen kann dahinstehen, da dies allenfalls eine mangelnde Klarheit darstellen würde, die im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren nicht mehr zu prüfen ist, da das zu beanstandende Merkmal bereits in den erteilten Ansprüchen enthalten war.
Zur Bewertung der Neuheit der Ansprüche 1 und 2 ist daher darauf abzustellen, ob der Gegenstand der Patentansprüche einschließlich des Merkmals "rechteckiger Boden" aus dem Stand der Technik bekannt ist oder nicht.
1.3 Zwar argumentiert die Einsprechende, die Kammer würde durch ihr Vorgehen von der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern abweichen. Dieses Argument überzeugt die Kammer jedoch nicht.
Zum einen betreffen sämtliche von der Einsprechenden herangezogenen Entscheidungen die Auslegung des Schutzbereichs eines Europäischen Patents gemäß Artikel 69 EPÜ. Im vorliegenden Fall geht es jedoch um die Frage der Patentierbarkeit der Ansprüche des Hauptantrags gemäß Artikel 100 a) EPÜ. Artikel 2 des Protokolls über die Auslegung des Artikels 69 EPÜ legt fest, dass Äquivalenten bei der Bestimmung des Schutzbereichs gebührend Rechnung zu tragen ist. Eine Berücksichtigung von Äquivalenten findet bei der Prüfung der Patentierbarkeit jedoch nicht statt. Daher sind die Grundsätze der Auslegung von Patentansprüchen zur Ermittlung des Schutzbereichs gemäß Artikel 69 EPÜ nicht unmittelbar auf die Prüfung der Neuheit oder erfinderischen Tätigkeit übertragbar. Bereits aus diesem Grund sind die von der Einsprechenden genannten Entscheidungen nicht einschlägig.
1.4 Die Kammer möchte trotzdem ihre Auffassung über die in den genannten Entscheidungen genannten Grundsätze äußern.
Die Einsprechende stellt insbesondere darauf ab, dass, wie zum Beispiel in T 1646/12 bemerkt wurde, zwei Fälle der erforderlichen Auslegung von Patentansprüchen zu berücksichtigen seien. Einerseits im Falle von unklaren Anspruchsmerkmalen und andererseits im Falle von klaren Anspruchsmerkmalen, falls die Beschreibung den als solchen klaren Anspruchsmerkmalen einen anderen Wortsinn gibt.
Da der Ausdruck "rechteckiger Boden" nach Auffassung der Kammer als solcher für den fachmännischen Leser klar und verständlich ist, trifft der erstgenannte Fall der T 1646/12 nicht zu.
Der zweitgenannte Fall der T 1646/12 setzt voraus, dass in der Beschreibung eine eigenständige Definition von als solchen klaren Ausdrücken im Anspruchswortlaut vorgenommen wird, d.h. dem als solchen klaren Anspruchswortlaut ein anderer als der fachübliche Wortsinn gegeben wird oder der fachübliche Wortsinn in Frage gestellt wird.
Laut der Argumentation der Einsprechenden fällt sogar eine Kreisform mit abgeschnittenen Kanten unter das, was im Streitpatent als rechteckiger Boden beschrieben wird.
Dies würde voraussetzen, dass die Beschreibung des Streitpatents so zu verstehen ist, dass etwas anderes als ein rechteckiger Boden unter dem Ausdruck "rechteckiger Boden verstanden werden soll.
In der Beschreibung des Streitpatents ist stets von einem "rechteckigen Boden" (siehe Absätze [0019], [0028] und [0033]) oder von einem "im Wesentlichen rechteckigen" Boden (siehe Absatz [0037]) die Rede. An keiner Stelle der Beschreibung findet sich ein Hinweis auf eine andere als eine zumindest im Wesentlichen rechteckige Form. Dies bedeutet, dass alleine aufgrund der Ansprüche unter Berücksichtigung der Beschreibung keinerlei Zweifel darüber aufkommen können, was unter einem rechteckigen Boden zu verstehen ist.
Auch bei fachmännischer Betrachtung der Zeichnungen ergibt sich nach Auffassung der Kammer nichts anderes. Sämtliche Figuren zeigen Schrägansichten. Dadurch ist eine Abschätzung der tatsächlichen Abmessungen der gezeigten Elemente, insbesondere der Länge und Breite des Bodens, erschwert. Das Federelement gemäß den Figuren 1 und 2 scheint mit einem rechteckigen Boden dargestellt zu sein. Die Figuren 3 bis 5 zeigen, wie das Federelement nach Figur 1 oder 2 in einen Isolierkörper 30 eingesetzt wird. Der Isolierkörper 30 weist hierzu ausweislich der Figur 4 eine anscheinend rechteckige Aussparung zur Aufnahme des Federelements 10 auf. Auch das in der Figur 8 gezeigte Federelement soll nach Absatz [0040] "in einen Isolierkörper 30 eingesetzt" werden, "wie anhand der Figuren 1 bis 5 beschrieben". Hierzu ist nach Auffassung der Kammer wiederum zumindest eine rechteckige Form der äußeren Umrisse des Federelements erforderlich. Die Kammer ist folglich der Auffassung, dass auch die Zeichnungen den Ausdruck "rechteckiger Boden" oder "im Wesentlichen rechteckiger Boden" nicht in Zweifel ziehen.
Die Kammer ist daher zu dem Schluss gelangt, dass weder die Beschreibung noch die Zeichnungen des Streitpatents dem Ausdruck "rechteckiger Boden" eine andere als die fachübliche Bedeutung geben.
1.5 Daher ist zu prüfen, ob aus dem Dokument A4 ein derartiger rechteckiger Boden bekannt ist.
Die Einsprechende argumentiert, die beiden Ringsegmente 37 und 38 stellten einen rechteckigen Boden dar. Die Kammer ist hiervon nicht überzeugt. Aus den Figuren 1 bis 3 des Dokuments A4 ergibt sich, dass die Kurzschlußbrücke 19 in ein Gehäuse mit kreisförmiger Grundfläche einzusetzen ist. Die zugrundeliegende Form ist daher kreisförmig. Dies ist auch in Einklang mit der Bezeichnung der Ringsegmente 37 und 38. Ein Ring hat üblicherweise keinen Boden. Zwar zeigen die Ringsegmente eine geringe Erstreckung in radialer Richtung innerhalb der von ihnen begrenzten Kreisfläche, der größte Teil dieser Kreisfläche ist jedoch offen dargestellt. Daher hat die Kammer starke Zweifel, dass die Ringsegmente 37 und 38 eindeutig und unmittelbar als rechteckiger Boden anzusehen sind.
Darüber hinaus müssten von den vier Seiten des rechteckigen Bodens Abschnitte nach oben abstehen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Kammer in Dokument A4 keinen rechteckigen Boden zu erkennen vermag, zeigt die Kurzschlußbrücke nach Dokument A4 allenfalls zwei Seiten, von denen die Abschnitte 23 und 24 nach oben abstehen. Weitere Abschnitte sind nicht zu entnehmen, sodass Dokument A4 keine vier Seiten offenbart, von denen Abschnitte nach oben abstehen.
Weiterhin müsste Dokument A4 auch Laschen offenbaren, die sich durch den Isolierkörper hindurch bis zur Umhüllung erstrecken. Zwar zeigt das Dokument A4 in den Figuren 1 bis 3 Schneidkanten 30, 31, 32 und 33. Die Schneidkanten nach A4 sind jedoch nach Auffassung der Kammer nicht als Laschen im Sinne der Ansprüche 1 oder 2 zu verstehen. Schneidkanten sind hart und unnachgiebig, um eine Kontaktierung durch Einschneiden in das Material der Umhüllung zu ermöglichen. Eine Lasche eines elastischen Elements hat nach Auffassung der Kammer jedenfalls in gewissem Umfang elastische Eigenschaften. Diese wären der Funktion einer Schneidkante hinderlich.
Zusammenfassend kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Offenbarung des Dokuments A4 weder ein rechteckiger Boden, noch an dessen vier Seiten abstehende Abschnitte, noch Laschen, die sich durch den Isolierkörper hindurch bis zur Umhüllung erstrecken, eindeutig und unmittelbar zu entnehmen sind.
1.6 Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 2 ist daher gegenüber der Offenbarung des Dokuments A4 neu im Sinne des Artikels 54 (2) EPÜ.
2. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
2.1 Gemäß der oben angegebenen Argumentation zur Neuheit offenbart das Dokument A4 weder ein Federelement mit einem rechteckigen Boden, von dessen vier Seiten Abschnitte nach oben abstehen, noch Laschen, die sich durch den Isolierkörper hindurch bis zur Umhüllung erstrecken.
2.2 Die unterscheidenden Merkmale sind auch aus der Offenbarung des Dokuments A3 nicht bekannt.
Zwar argumentiert die Einsprechende, aus Figur 9 des Dokuments A3 sei ein Rückhalteelement 208 bekannt, das dem Federelement der Ansprüche 1 und 2 entspreche. Von diesem stünden an vier Seiten Abschnitte nach oben ab, wobei die vier Seiten über den Umfang des Federelements nach A3 verteilt angeordnet seien.
Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Zum einen hat das Rückhaltelement 208 im Wesentlichen die Form eines Zylindermantels. Am unteren Ende ist zwar eine Kante vorgesehen (vgl. Kante 36 in Figur 1), diese hat allerdings eine sehr geringe Tiefe, sodass die Kante nicht als Boden anzusehen ist. Das Rückhalteelement 208 ist im Wesentlichen ein nach beiden Seiten offener Zylindermantel. Aufgrund der kreisförmigen Grundfläche des Rückhalteelements 208 scheidet für die Kammer auch eine Interpretation dahingehend aus, dass der (nicht vorhandene) Boden des Rückhaltelements rechteckig ist. Ebenso wenig ist die Kammer davon überzeugt, dass die am Umfang des Rückhaltelements angeordneten Elemente 238, 238, 230 und 230 den von vier Seiten eines rechteckigen Bodens nach oben Abstehenden Abschnitten nach den Ansprüchen 1 oder 2 entsprechen. Aus dem Dokument A3 sind außerdem Laschen 233 bekannt, welche zur Verrastung des Rückhaltelements in seiner Endposition dienen. Diese Laschen erstrecken sich jedoch nicht durch einen Isolierkörper hindurch bis zur Umhüllung sondern greifen unmittelbar in Nuten der Umhüllung ein.
Somit ist keines der die Gegenstände der Ansprüche 1 oder 2 von der Offenbarung des Dokuments A4 unterscheidenden Merkmale aus der Offenbarung des Dokuments A3 bekannt. Folglich kann auch eine Zusammenschau der Offenbarungen der Dokumente A3 und A4 nicht zu den Gegenständen der Ansprüche 1 oder 2 führen.
2.3 Nach Auffassung der Kammer sind die Gegenstände der Ansprüche 1 oder 2 des Hauptantrags daher aus einer Kombination der Dokumente A4 mit A3 nicht nahegelegt.
Da keine Argumente vorgebracht wurden, welche die Gegenstände des Anspruchs 1 oder 2 nahelegen, bestehen die Gegenstände der Ansprüche 1 und 2 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Gleiches gilt für die abhängigen Ansprüche 3 bis 16.
3. Vorlage an die GBK - Artikel 112 (1) a) EPÜ
Wie oben bereits zur Neuheit unter 1.3 ausgeführt, sind die von der Einsprechenden genannten Entscheidungen nicht einschlägig, da die Kammer zu dem Schluss gelangt ist, dass das Merkmal "rechteckiger Boden" als solches klar ist und weder die Beschreibung noch die Zeichnungen Anlass zu einer anderen Auslegung dieses Merkmals geben.
Insofern weicht die Kammer auch nicht von den Grundsätzen der von der Einsprechenden genannten Entscheidungen ab. Vielmehr hält die Kammer die bereits oben zur Neuheit unter 1.1 erwähnte ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern für einschlägig, wonach eine Diskrepanz zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern kein Grund ist, einem Anspruchsmerkmal, das als solches dem fachmännischen Leser eine klare, glaubhafte technische Lehre vermittelt, eine andere Bedeutung zu geben (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 7. Auflage, II.A.6.3.1, Seite 308).
Die Rechtsanwendung der Kammer weicht daher nicht von der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ab, d.h. eine einheitliche Rechtsanwendung im Sinne des Artikels 112 (1) a) EPÜ liegt vor.
Der Antrag auf Vorlage der von der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung eingereichten Frage an die Große Beschwerdekammer war daher zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Der Antrag auf Vorlage einer Frage an die Große Beschwerdekammer wird zurückgewiesen.
3. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in folgender geänderter Fassung aufrechtzuerhalten:
Beschreibung: Seiten 2 bis 4 eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2016.
Ansprüche: Nr. 1 bis 16 des Hauptantrags eingereicht in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 2016.
Zeichnungen: Figuren 1 bis 8 der Patentschrift (B9).