T 0343/12 (Offentliche Zugänglichkeit Dissertation (ja)) 21-04-2015
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SEQUENZGIESSVERFAHREN ZUR HERSTELLUNG EINES GEGOSSENEN METALLSTRANGES HOHER REINHEIT
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 21. Dezember 2011 mit der das europäische Patent Nr. EP-B-1 697 070 in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde.
II. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende (im Folgenden: Beschwerdeführerin) frist- und formgerecht Beschwerde eingelegt. Unter anderem nimmt sie Bezug auf folgenden Dokumente:
E1: Bölling, R., H.-J Odenthal, H. Pfeifer: "Instationäre Gießphasen in Stranggießverteilern - Einsatz des VoF-Modells zur Analyse des Pfannenwechsels", FLUENT Anwenderkonferenz, Frankenthal, 25./26. September 2002;
E1*: von der Einspruchsabteilung im Internet gefunden: URL:http://statistik.zserv.tuwien.ac.at/sc/doku/FluentConf2002/02_anwender/pdf/02/ralf_boelling.pdf;
E2: Bölling, R.: "Numerische und physikalische Simulation der stationären und instationären Strömung in Stranggießverteilern", 2003, GRIPS Media GmbH, Aachen (DE), ISBN: 3-937057-01-3;
E4: EP 0 887 129 A1 (KVAERNER METALS CONT CASTING [GB]), 30. Dezember 1998;
E7: Schreiben von Frau Dipl.-Ing. Kerstin Garbracht vom 24. April 2012;
E8: eine mit Bemerkungen ergänzte Fassung des Bildes 6.1 aus der Entgegenhaltung E2;
Zudem hat sie eine eidesstattliche Versicherung von Herrn Hans-Jürgen Odenthal vom 26. April 2012 eingereicht.
Als Zeugen dafür, dass die E2 vor dem 2. Dezember 2003 der Öffentlichkeit zugänglich war, benennt die Beschwerdeführerin Herrn Dr.-Ing. H.-J. Odenthal.
III. Die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) macht geltend, dass die Entgegenhaltungen E2 und E8 keinen Stand der Technik darstellen. Um diese Behauptung zu stützen, nimmt sie Bezug auf folgende, zusammen mit der Beschwerdeerwiderung eingereichte Dokumente (Nummerierung durch die der Kammer):
P1: Stellungnahme der Bibliothek der RWTH Aachen zu E2;
P2: Stellungnahme der DNB zu E2;
P4: Auskunft der Lehmanns Media GmbH zum Eintrag von E2 in der Datenbank von buchhandel.de;
P5: Suchergebnis zu E2 im GRIPS media bookshop;
P6: Treffer Intervall aus dem Duden Fremdwörterbuch.
IV. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung versandte die Kammer eine Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK, in welcher sie den Parteien das vorläufige Ergebnis ihrer Prüfung der Beschwerde mitteilte.
V. Die mündliche Verhandlung fand am 21. April 2015 statt, wegen deren Inhalts auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen wird. Soweit im Sitzungsprotokoll im Zusammenhang mit den Erörterungen der Sach- und Rechtslage zur Frage der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 des Patents in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung im Klammerzusatz zu Dokument E2 das Dokument E4 genannt wird, handelt es sich um einen Schreibfehler; tatsächlich wurde zur weiteren Erläuterung der E2 die E8 ergänzend herangezogen und diskutiert.
VI. Am Schluss der Verhandlung stellten die Parteien folgende Anträge:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 697 070.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
VII. Anspruch 1 gemäß aufrechterhaltener Fassung lautet:
"Sequenzgießverfahren zur kontinuierlichen Herstellung eines gegossenen Metallstranges hoher Reinheit aus einer Metallschmelze, vorzugsweise einer Stahlschmelze, wobei die Metallschmelze von einem Schmelzengefäß (5) geregelt einem Verteilergefäß (8) zugeführt und von diesem Verteilergefäß geregelt in eine Stranggießkokille (4) abgeführt wird und wobei die Zufuhr von Metallschmelze in das Verteilergefäß während dem Wechsel des Schmelzengefäßes unterbrochen wird, während die Zufuhr der Metallschmelze in die Stranggießkokille weitergeführt wird,
dadurch gekennzeichnet, dass
während einer Zeitspanne von der Wiederaufnahme der Zufuhr von Metallschmelze in das Verteilergefäß (8) bis zum Erreichen einer quasi-stationären Betriebsbadspiegelhöhe im Verteilergefäß die Zuflussrate in das Verteilergefäß größer ist als die Abflussrate aus dem Verteilergefäß und wobei während 70% bis 100%, vorzugsweise während 70% bis 99%, insbesondere während 70% bis 95%, dieser Zeitspanne die Zuflussrate in das Verteilergefäss kleiner dem 1,5-fachen, der Abflussrate aus dem Verteilergefäß ist."
VIII. Argumente der Parteien
a) Öffentliche Zugänglichkeit der E2
Nach Auffassung der Beschwerdeführerin reicht allein die einfache und bedingungsfreie Übergabe eines Exemplars der E2 an Herrn Odenthal, um die öffentliche Zugänglichkeit dieser zu belegen.
Herr Odenthal sei nie durch eine Vertraulichkeitsvereinbarung verpflichtet und auch, wenn eine überhaupt entstanden haben sollte, sei diese jedenfalls spätestens mit der mündlichen Verhandlung in Juli 2003 nicht mehr bindend.
Nach Meinung der Beschwerdegegnerin sei Herr Odenthal kein Mitglied der Öffentlichkeit. Die Betreuung eines Dissertationsvorhaben impliziere eine Vertraulichkeitsvereinbarung zwischen dem Betreuer und dem Doktoranden. Ferner handele es sich bei der Übergabe gerade nicht um einen Verkauf (siehe hierzu T 1081/01). Unter diesen Umstände reiche ein einfache Übergeben eines Exemplars nicht aus, um die öffentliche Zugänglichkeit zu belegen.
b) Klarheit, Ausführbarkeit
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der Gegenstand des geänderten Anspruchs 1 nicht klar (Artikel 84 EPÜ) und nicht durchführbar sei (Artikel 83 EPÜ).
Die Beschwerdegegnerin trägt vor, dass der geänderte Anspruch 1 lediglich eine Alternative zum erteilten Anspruchs 1 darstelle, der de facto bereits vollumfänglich im erteilten Anspruch 1 enthalten gewesen wäre. Damit sei der Einwand nicht zu berücksichtigen, weil Klarheit kein Einspruchsgrund sei. Weiterhin sei für den Fachmann der Gegenstand des Anspruchs 1 klar.
Da die Ausführbarkeit im erstinstanzlichen Verfahren nicht in Frage gestellt worden sei, stelle dieser Einwand nunmehr einen neuen Einspruchsgrund dar, dessen Berücksichtigung im Beschwerdeverfahren die Beschwerdegegnerin widerspricht (siehe G 10/91).
c) Neuheit
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 angesichts E1/E1* und E2, insbesondere das Bild 6.1 der E2, nicht neu sei.
Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin unterscheidet sich der Anspruch 1 von E1/E1* und E2 dagegen durch folgende Merkmale:
- dass die Metallschmelze von einem Schmelzengefäß geregelt einem Verteilergefäß zugeführt werde,
- dass die Metallschmelze von diesem Verteilergefäß geregelt in eine Stranggießkokille abgeführt werde, und
- dass das Stranggießen eines Metallstrangs mit hoher Reinheit dann möglich werde, wenn während der Zeitspanne von der Wiederaufnahme der Zufuhr von Metallschmelze in das Verteilergefäß bis zum Erreichen einer quasi-stationären Betriebsbadspiegelhöhe im Verteilergefäß die Zuflussrate in das Verteilergefäß größer ist als die Abflussrate aus dem Verteilergefäß, wobei während 70% bis 100% dieser Zeitspanne die Zuflussrate in das Verteilergefäß kleiner dem 1,5-fachen der Abflussrate aus dem Verteilergefäß ist.
Nach dem Vortrag der Beschwerdegegnerin sei die geregelte Zufuhr bzw. Abfuhr von Wasser in einem Wassertankmodell-Versuchsstand wie in E2 etwas gänzlich anderes, als die geregelte Zufuhr bzw. Abfuhr von Metallschmelze in ein Verteilergefäß einer Stranggießanlage. Dem Bild 5 von E1/E1* und dem Bild 6.1 von E2 könne nicht zweifelsfrei entnommen werden, dass es sich um eine typische Gießsequenz beim Stranggießen eines Metallstranges handele.
Auf Seite 45.2 der E6 werde angegeben, dass "die wärmetechnischen Aspekte des Stranggießens ... an Isothermen, d.h. klassischen Wassermodellen, nicht berücksichtigt werden [können]. Ein weiterer Effekt ist, dass die Schmelze der Pfanne heißer als die des Verteilers ist und die Gießtemperatur während der Pfannenentleerung abnimmt. In diesem Fall führen die im Verteiler induzierten Temperaturgradienten zu freier Konvektion, wodurch sich die Strömungsstrukturen grundlegend ändern."
Somit sei der zeitliche Verlauf der Volumenströme des Wassermodels gemäß Bild 6.1 aus E2 nicht auf den realen Stranggießprozess übertragbar.
d) Erfinderische Tätigkeit
Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass durch Kombination der E2 (zur Erläuterung unter ergänzender Heranziehung von E8) mit dem allgemeinen Fachwissen sowie der E4 der Erfindungsgegenstand nahegelegt sei.
Die Beschwerdegegnerin zufolge könne, wie oben argumentiert ist, die Ergebnisse des Wassermodels nicht einfach auf dem realen Verfahren übertragen werden, weil die thermische Effekte nicht berücksichtigt seien.
Der Beschwerdegegnerin nach sei der Unterschied zwischen einer Zuflussrate in das Verteilergefäß, die kleiner dem 1,5-fachen der Abflussrate aus dem Verteilergefäß ist, und einer, die das 1,72-fache beträgt, erheblich, weil sie eine Reduzierung von ungefähr 30% darstellt. Diese Senkung vom 1,7 auf 1,5 bringe eine deutliche Verbesserung in der Reinheit der Endprodukte und könne nicht einfach als routinierte Vorgang des Fachmanns abgeschrieben.
1. Stand der Technik - Öffentliche Zugänglichkeit der E2
1.1 Zum Beleg der öffentlichen Zugänglichkeit der Dissertation Bölling (E2) beruft sich die Beschwerdeführerin zum einen auf deren Veröffentlichung, insbesondere die Zusendung von Bibliotheksexemplaren der Dissertation an die Bibliothek der RTW Aachen und die Deutsche Nationalbibliothek (Dokumente P1,P2,P4 und P5 sowie E7), und zum anderen auf die Überreichung eines persönlichen Exemplars an Herrn Odenthal (eidesstattliche Versicherung von Herrn Odenthal vom 26. April 2012).
1.2 Die erste geltend gemachte Veröffentlichungsform greift nicht durch. Insoweit wird auf die diesbezüglichen, mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörterten Ausführungen der Kammer im Ladungsbescheid (Punkt 4.1) Bezug genommen.
1.3 Allerdings greift der Vortrag der Beschwerdeführerin bezüglich der zweiten Veröffentlichungsform, und zwar ohne weitere Beweisaufnahme. Der Umstand, dass Herr Odenthal zugleich die Doktorarbeit von Herrn Bolling betreute, ist in diesem Kontext ohne Belang. Entscheidend ist vielmehr, dass nach der von der Beschwerdegegnerin nicht bestrittenen eidesstattlichen Versicherung hat Herr Odenthal von Herrn Bölling ein persönliches Exemplar zur freien Verfügung erhielt. Insoweit ist Herr Odenthal ein Mitglied der Öffentlichkeit. Eine solche Weitergabe auch nur an eine einzige Person ohne Geheimhaltungsvereinbarung genügt nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern für eine öffentliche Zugänglichmachung (siehe: Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 7. Auflage 2013, Kap. IC.1.9.6).
1.4 Daher ist die Dissertation E2 als Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ zu berücksichtigen.
2. Klarheit (Art. 84 EPÜ), Ausführbarkeit (Art. 83 EPÜ)
2.1 Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, stellt der geänderte Anspruch 1 lediglich eine Alternative zum erteilten Anspruchs 1 dar, der bereits vollumfänglich im erteilten Anspruch 1 enthalten war. Damit ist der Einwand nicht zu berücksichtigen, weil Klarheit kein Einspruchsgrund ist (siehe G 3/14).
2.2 Der Einwand hinsichtlich der Ausführbarkeit ist im erstinstanzlichen Verfahren nicht erhoben worden. Er stellt somit einen neuen Einspruchsgrund dar. Die Beschwerdegegnerin hat das Recht es abzulehnen, diesen Einspruchsgrund im Beschwerdeverfahren prüfen zu lassen (vgl. G 10/91). Damit ist der Einwand nicht zu berücksichtigen.
3. Neuheit und Erfinderischen Tätigkeit
3.1 E2 betrifft einen Versuch zur Simulation eines Pfannenwechsels beim Stranggießverfahren. Zur physikalischen Modellierung der Stahlströmungen wird ein Wassermodel benutzt. Insoweit ist die Neuheit gegeben, weil es sich bei den Entgegenhaltungen um eine Simulation mittels eines Wassermodels handelt, während der Gegenstand des Anspruchs 1 ein reales Sequenzgießverfahren zur kontinuierlichen Herstellung eines gegossenen Metallstranges aus einer Metallschmelze betrifft. Inwieweit diese Simulation auf den realen Sequenzgießverfahren übertragbar ist, ist eine Frage der erfinderischen Tätigkeit.
3.2 Die E2 offenbart:
ein Sequenzgiessverfahren zur kontinuierlichen Herstellung eins gegossenen Stahlstranges, hoher Reinheit aus einer Stahlschmelze, wobei ein Wassermodel zur Simulation des Gießens verwendet wird, wonach die Stahlschmelzen von einem Schmelzenbehälter geregelt einem Verteilergefäß zugeführt und von diesem Verteilergefäß geregelt in eine Stranggießkokille abgeführt wird (siehe E2 Absatz 3.2, Seiten 58,59) und wobei die Zufuhr von Stahlschmelze in das Verteilergefäß während dem Wechsel des Schmelzengefäßes unterbrochen wird, während die Zufuhr der Stahlschmelze in die Stranggießkokille weitergeführt wird (siehe E2 Absatz 3.2.1 und Bild 3.5).
3.3 Nach der angefochtenen Entscheidung (siehe dortigen Abschnitt 4 der angefochtenen Entscheidung) ist auf Basis des Bildes 1 der E1 eine Regelung zum Aus- und Einfluss für das Verteilergefäß implizit offenbart, weil nach jedem Pfannenwechsel, wobei die Masse temporär auf 70 bis 80% der stationäre Masse abgesenkt wird, wird die Masse in den Stranggießverteiler konstant gehalten. Dieses ist nur dadurch zu erreichen, wenn der Fluss in und aus das/dem Verteilergefäß aufeinander abgestimmt werden. Entsprechendes gilt im Hinblick auf das Bild 3.5 der E2.
3.4 Es ist auch ersichtlich aus dem Bild 6.1 der E2 insbesondere unter Erläuterung der E8, dass
während eine Zeitspanne von der Wiederaufnahme der Zufuhr von Metallschmelze in das Verteilergefäß bis zum Erreichen einer quasi-stationären Betriebsbadspiegelhöhe im Verteilergefäß die Zuflussrate in das Verteilergefäß größer ist als die Abflussrate aus dem Verteilergefäß.
Hiervon unterscheidet sich daher der Gegenstand des Anspruchs 1 dadurch, dass
(i) es handelt sich um ein real Gießverfahren und nicht um ein Wassermodel;
(ii) während 70% bis 100%, vorzugsweise während 70% bis 99%, insbesondere während 70% bis 95%, der Zeitspanne die Zuflussrate in das Verteilergefäß kleiner dem 1,5-fachen, der Abflussrate aus dem Verteilergefäß ist.
3.5 Angesichts Merkmal (i) ist die Kammer der Auffassung, dass die in der E2 offenbarten Wassermodellen ein Abbild der realen Strömungsverhältnissen darstellen. Abschnitt 2.5 "Ähnlichkeitsbetrachtungen" von E2 erläutert die notwendige Bedingungen die das Wassermodel erfüllen muss um diesen Ergebnis zu erreichen. Insbesondere sind die kinematischen Viskositäten von Wasser und flüssigem Stahl nahezu gleich groß, so dass die dynamische Ähnlichkeit durch Heranziehung der Re-Zahl erreicht werden kann. Zur Einhaltung der Ähnlichkeit der instationären Effekte zwischen Original und Modellverteiler beim Pfannenwechsel wird zusätzlich die Einhaltung der Strouhal-Zahl gefordert (siehe E2, Seite 59, Absatz 3.2, sowie Seite 118, Absatz 6.2, 1. Abschnitt). Infolgedessen wird der Fachmann die auf Bild 6.1 der E2 Zeiteinheiten (Sekunden) im Wassermodel gleich wie in der Realität betrachten.
3.6 Angesichts Merkmal (ii) hat die Beschwerdeführerin argumentiert, dass die Zeitspanne von der Wiederaufnahme der Zufuhr von Metallschmelze in das Verteilergefäß bis zum Erreichen einer quasi-stationären Betriebsbadspiegelhöhe im Verteilergefäß nicht klar definiert sei und somit quasi freiwählbar sei.
3.7 Die Kammer teilt jedoch der Meinung der Beschwerdegegnerin (siehe Schreiben vom 19. Juli 2012, Seite 8, 2. Absatz), dass der Fachmann mit transienten Vorgängen vertraut sei. Somit versteht er, dass in den Figuren 2 und 3 des Streitpatents bei t0 sowie in den Figuren 5a und 5b bei der Zeit "Ende Pfannenwechsel", der Schieberverschluss geöffnet wird wobei es eine gewisse Zeit dauert, aber bezogen auf die Gesamtdauer der Zeitspanne vernachlässigbare Zeit, bis der Volumenstrom auf den nominellen Volumenstrom anstiegt. Damit ist das Merkmal (ii) so zu verstehen, dass die Zeitspanne nicht exakt bei t0 bzw. "Ende Pfannenwechsel" beginnt, sondern einerseits erst dann, wenn der Volumenstrom mLadle größer als die Abflussrate aus dem Verteilergefäß ist und anderseits durch das Ereignis des Erreichens einer quasi-stationären Betriebsbadspiegelhöhe im Verteilergefäß. Somit bezeiht sich die Zeitspanne auf das zeitliche Intervall, das durch die beiden vorgenannten Ereignisse begrenzt wird, wobei zusätzlich die Zuflussrate in das Verteilergefäß größer als die Abflussrate aus dem Verteilergefäß ist.
3.8 Der technische Effekt des Merkmals (ii) liegt darin, dass nach dem Pfannenwechsel die Einströmgeschwindigkeit ins Verteilergefäß niedrig gehalten wird, so dass ein geringerer Eintrittsimpuls erzeugt wird, und somit das Eindringen von Fremdpartikeln durch Wirbelung ins Erstarrungsprodukt minimiert wird.
3.9 Die zu lösende technische Aufgabe kann daher darin gesehen werden, ein Sequenzgießverfahren zu entwickeln, das im kontinuierlichen Gießprozess die Herstellung ein Metallstrang hoher Reinheit ermöglicht.
3.10 Aus E2 (siehe Seite 156, Zeilen 1 bis 5 ) ist zu entnehmen, dass durch die höhere Strömungsintensitäten beim Pfannenwechsel verschlechterte Bedingungen für die Abscheidung nichtmetallischer Partikel erwartet werden, so dass das Eindringen von Fremdpartikeln ins Erstarrungsprodukt durch Wirbelung während der Befüllung des Verteilers befördert/ermöglicht wird, und, dass die Minimierung von Wirbelstrukturen durch die Einströmungsverhältnisse beeinflusst wird (siehe E2 Seite 116, 1. Absatz). Dagegen liegt es auf der Hand, dass der Wiederbefüllungsvorgang bei gleichzeitig reduzierter Füllrate in der Kokille nicht zu länge dauern soll (siehe hierzu Spalte 12, Zeilen 37 bis 44 des Streitpatents).
3.11 Der Fachmann versuchte daher, die schnellstmöglichste Befüllungsgeschwindigkeit des Verteilergefäßes zu bestimmen, ohne dass Wirbelstrukturen auftreten, die zur unannehmbaren Unreinheiten führen könnten.
3.12 Bild 6.1 von E2 (siehe auch Seite 115, Zeilen 1 bis 2) offenbart eine Zuflussrate in das Verteilergefäß, die beim 1,72-fachen der Abflussrate aus dem Verteilergefäß liegt.
3.13 Ausgehend von dem in E2 beschriebenen Stand der Technik wird der Fachmann, der sich vor die Aufgabe gestellt sieht, im kontinuierlichen Gießprozess die Herstellung ein Metallstrang hoher Reinheit herzustellen, versuchen, im Rahmen der Grenzen der Füllrate in der Kokille die Strömungsintensitäten beim Pfannenwechsel noch weiter zu reduzieren.
3.14 Die Wirkungen einer Reduzierung der Zuflussrate in das Verteilergefäß vom 1,72-fachen auf das unter 1,5-fache der Abflussrate aus dem Verteilergefäß sind vorhersehbar und bringen keine Überraschungseffekt; einerseits ist die Wirbelung reduziert, anderseits dauert die Wiederbefüllungsvorgang länger. Eine derartige Überlegung braucht keine erfinderische Leistung des Fachmanns.
3.15 Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht sich daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.