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T 0483/12 01-03-2016
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GIESSMASSE, INSBESONDERE FÜR DIE HERSTELLUNG VON KÜCHENSPÜLEN, SANITÄRFORMKÖRPERN, KÜCHENARBEITSPLATTEN ODER DERGLEICHEN
Verspätetes Vorbringen - offenkundige Vorbenutzung zugelassen (nein)- Argument hinsichtlich Identität des nächstliegenden Standes der Technik zugelassen (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Ladung zur mündlichen Verhandlung vor Einspruchsabteilung
Ladung zur mündlichen Verhandlung - nicht von einer Partei berücksichtigt
I. Die Beschwerde der Einsprechende betrifft die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung gemäß der das Europäische Patent Nr. 1 706 448 (Anmeldenummer EP05706956.9, basierend auf der internationalen Anmeldung Nr. PCT/EP2005/000592, veröffentlicht als WO 2005/071000), in geändertem Umfang auf Grundlage des am 18. August 2010 eingereichten Hauptantrags aufrechterhalten werden könnte.
II. Am 28. Januar 2010 wurde Einspruch gegen das Patent eingelegt. Die Einsprechende machte die Einspruchsgründe gemäß Art. 100(a) EPÜ (fehlende Neuheit gemäß Art. 54 EPÜ sowie fehlende erfinderische Tätigkeit gemäß Art. 56 EPÜ) geltend.
Während des Einspruchsverfahrens wurde unter anderem auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D1: US 4 221 697
D2: US 5 218 013
D3: EP-A-1 153 731
D6: Wikipedia-Artikel "Gebrochene Mineralstoffe" (https://de.wikipedia.org/wiki/Gebrochene_Mineralstoffe)
III. Die angefochtene Entscheidung erfolgte auf Grundlage eines geänderten Anspruchssatzes bestehend aus 13 Ansprüchen.
Anspruch 1 hatte folgenden Wortlaut:
"Gießmasse, insbesondere für die Herstellung von Küchenspülen, Sanitärformkörpern, Küchenarbeitsplatten, oder dgl., umfassend einen auf einem Acrylat-Monomer basierenden Sirup sowie ein anorganisches Füllstoffmaterial, welches einen Anteil von 45 bis 85 Gew.-% an der Gießmasse aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Anteil des Füllstoffmaterials eine erste Füllstofffraktion und eine zweite Füllstofffraktion umfasst,
- wobei die erste Füllstofffraktion aus Füllstoffpartikeln mit ungebrochener Kornform und einer mittleren Partikelgröße im Bereich von 100 bis 2000 mym besteht,
- wobei die zweite Füllstofffraktion aus Füllstoffpartikeln mit gebrochener Kornform besteht, deren spezifische Dichte >= 3,3 g/cm**(3) beträgt und größer ist als diejenige der Füllstoffpartikel der ersten Füllstofffraktion, und
- wobei der Gewichtsanteil der ersten Füllstofffraktion größer ist als der Gewichtanteil [sic] der zweiten Füllstofffraktion."
Ansprüche 2-10 waren auf bevorzugte Ausführungsformen der Gießmasse gerichtet. Ansprüche 11-13 waren auf Gegenstände, hergestellt unter Verwendung der Gießmasse nach einem der Ansprüche 1 bis 10 gerichtet.
IV. Gemäß der angefochtenen Entscheidung war die Neuheit gegenüber D1 gegeben, da D1, insbesondere Beispiele 15, 16 und 21, die Kornform (gebrochen/ungebrochen) nicht offenbarte.
In diesem Zusammenhang ging die Bedeutung des Begriffs "ungebrochene Kornform" aus D2, welches im Patent diesbezüglich zitiert wurde, hervor. Insbesondere wurde in der Entscheidung (S.15, 2. vollständiger Absatz) bezüglich der Kornform folgendes ausgeführt:
"Es handelt sich bei dem Begriff 'ungebrochene Kornform' also um die Mikrorauhigkeit der Kornoberfläche, wobei die Kanten bzw. Oberflächen der Partikel abgerundet sind (kantengerundete/konturgerundete Kornform; englisch 'rounded edges or surfaces'). Sowohl aus D2 als auch aus D6 geht hervor, dass gemahlene bzw. künstlich zerkleinerte Mineralien eine gebrochene Kornform (kantige Oberfläche) besitzen".
Dieser Absatz wurde unverändert aus dem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beiliegenden Bescheid (S.6, 2. Absatz) der Einspruchsabteilung gemäß R 116(1) EPÜ übernommen.
Die erfinderische Tätigkeit, ausgehend von D2 als nächstliegender Stand der Technik wurde anerkannt.
V. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende/Beschwerdeführerin Beschwerde ein.
Zusammen mit der Beschwerdebegründung erhob die Beschwerdeführerin einen Einwand fehlender Neuheit bzw. fehlender erfinderischer Tätigkeit aufgrund einer offenkundigen Vorbenutzung. Dieser Einwand sollte durch die neu eingereichten Dokumente E1-E18 belegt werden, unter anderem:
E1: Verkaufsbelege (Invoices) betreffend "Ultragranite acrylic dispersion" April 2001-Dezember 2003
E2: Die Zusammensetzungen der "Ultragranite" Produkte
E3-E6: Dokumente bezüglich der Beschaffenheit bei den Formulierungen von E2 verwendeten Komponenten
E9: Produktdatenblatt "Ti-Pure R-960" (DuPont)
E12/E12a; Affidavit von Herrn Dr G. Apsey, R&D Manager Lucite International UK Ltd. (Beschwerdeführerin)
E13: Produkt Informationsbrochure DuPont Ti-Pure Titanium Dioxide (2002)
E18: "Manufacture and General Properties of titanium dioxide pigments" (Huntsman Tioxide) October 1999.
Weitere Angaben wurden mit Schreiben von 25. Februar 2013 sowie 16. Oktober 2013 gemacht. Zusammen mit dem Schreiben vom 25. Februar 2013 wurde ein Dokument - E12a - als Ersatz für das mit der Beschwerdebegründung vorgelegte E12 eingereicht.
VI. Die Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin, in der die Zurückweisung der Beschwerde beantragt wurde, ging mit Schreiben vom 12. September 2012 ein. Ein weiteres Schreiben ging am 15. Juli 2013 ein.
VII. Am 2. September 2015 erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung. In einer am 16. September 2015 versandten Mitteilung legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar.
VIII. Weitere Angaben der Beschwerdeführerin sowie der Beschwerdegegnerin gingen mit Schreiben von 31. Dezember 2015 resp. 18. Januar 2016 ein.
Zusammen mit dem Schreiben vom 18. Januar 2016 reichte die Beschwerdegegnerin zwei geänderte Hilfsanträge ein. Der Wortlaut dieser Anträge ist für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.
IX. Am Ende der mündlichen Verhandlung, die am 1. März 2016 stattfand, wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
X. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Offenkundige Vorbenutzung
i) Zulässigkeit
Eine klare Definition oder Erläuterung der Begriffe "gebrochene" bzw. "ungebrochene" Kornform sei erstmals in den schriftlichen Entscheidungsgründen gegeben worden. Im Lichte dieser Erläuterung war es der Beschwerdeführerin erst möglich geworden, die Relevanz der offenkundigen Vorbenutzung zu erkennen. Auch wenn eine ähnliche Erläuterung der Bedeutung der Kornform dem Bescheid der Einspruchsabteilung gemäß R. 116(1) EPÜ zu entnehmen war, sei dieser Bescheid lediglich vorläufig und stelle keine Entscheidung dar. Somit bestand kein Anlass, z.B. durch das Einreichen weiterer Dokumente oder Argumente hierauf zu reagieren.
Die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung sei folglich nicht als verspätet anzusehen.
ii) Relevanz
Dokument E2 enthalte die in der Produktion verwendeten Formulierungen der kommerziell veräußerten "Ultragranite" Produkttypen 1U32, 1U18 und 1U19.
Diese Zusammensetzungen enthalten unterschiedliche Sände, die als "Dorfner products" gekennzeichnet seien. Die in E3 bis E6 und E12 enthaltenen Informationen zeigen, dass:
- für 1U32, mindestens der Sand "White (sil) Size 9" der ersten Fraktion gemäß dem geltenden Anspruch 1 entspricht;
- für 1U19 und 1U18, mindestens der Sand "Dorsilit QS HIPU" der ersten Fraktion gemäß dem geltenden Anspruch 1 entspricht.
Die Zusammensetzungen unterliegen aufgrund der unvermeidbaren Unterschiede in den relativen Mengen der verschiedenen Sände Variationen. Somit sei bei der Angabe der Zusammensetzung der Sandkomponente immer nur die Menge einer der Sände mit "for example" angegeben. Ansonsten seien die Zusammensetzungen der verschiedenen Ultragranite Formulierungen vollständig und eindeutig definiert und variieren nicht. Dies gelte umso mehr für die Formulierungen, bei denen nur zwei Sandkomponenten verwendet wurden, da die Angabe der Menge einer der Komponenten die Menge der anderen automatisch fixiert.
Als zweiter Füllstoff sei Titaniumdioxid (TiO2) anwesend.
Bei den Formulierungen 1U32 und 1U19 werde DuPont Ti-Pure R-960 eingesetzt. Aus E13 gehe hervor, dass R-960 durch Mahlen erhalten werde, wobei die Eigenschaften des erhaltenen Füllstoffs aufgrund des Grads bzw. der Intensität der Mahlung variieren können. Aufgrund dieser Angabe sei davon auszugehen, dass Ti-Pure R-960 eine gebrochene Kornform aufweise. Somit entspreche diese Komponente der Formulierungen 1U32 und 1U19 der anspruchsgemäßen zweiten Füllstofffraktion. Bezüglich der Formulierung 1U18 werde Huntsman R-TC4 verwendet. Den Dokumenten, unter anderem E18 (Huntsman), sei zu entnehmen, dass die Huntsman-TiO2 mittels Mahlen hergestellt werden. Zwar gehe - insbesondere aus E18 - die Form der Teilchen (gebrochen oder ungebrochen) nicht eindeutig hervor. Es sei aber anzunehmen, dass das erhaltene TiO2 nach der Herstellung gemahlen werden müsse, wodurch eine gebrochene Kornform entstehen würde.
Der erhaltene TiO2 werde ferner, wie in E12/E12a angegeben, "in house" vor Vermengen mit den weiteren Komponenten weiter gemahlen, jedoch konnten zu den Fragen bezüglich des Grads der Mahlung und ob dies eine gebrochene Kornform als Ergebnis hat, keine Angaben gemacht werden.
Das Merkmal "gebrochene Kornform" bedeute lediglich, dass die Teilchen eine nicht abgerundete Kante ("edge") aufweisen. Dies gehe aus D6 sowie aus der Offenbarung des Streitpatents hervor.
Somit sei, als Folge der Zermahlung, davon auszugehen, dass die in den genannten Formulierungen verwendeten TiO2 Fraktionen dem Merkmal "gebrochene Kornform" entsprechen.
b) Art. 54 EPÜ- Druckschriftlicher Stand der Technik
Die Offenbarung der D1, insbesondere die Beispiele 15, 16 und 21, sei neuheitsschädlich. Der verwendete Sand ist ein Naturprodukt und somit sei anzunehmen, dass diese eine ungebrochene Kornform aufweist. Die verwendete TiO2 werde üblicherweise gemahlen und habe somit eine gebrochene Kornform. Die Teilchengrößen sowie die relativen Mengen der Füllstoffe entsprechen der Definition des Anspruchs.
c) Art. 56 EPÜ
Nächstliegender Stand der Technik sei D1, welches das gleiche Problem wie das Streitpatent betreffe, obwohl nicht alle Aspekte explizit genannt seien. Die Beschaffenheit der Füllstoffteilchen (gebrochen/ungebrochen) sei nicht offenbart. Da jedoch die Zusammensetzungen gemahlen werden, sei davon auszugehen, dass in den Gießmassen von D1 alle Teilchen gebrochen seien.
Es liegen keine Beweise für einen mit der Kornform der Füllstoffe verbundenen technischen Effekt vor. Da im Anspruch nicht definiert werde, ob es sich um die nummer- oder gewichtsmittlere Teilchengröße handele, müsste der Unterschied der Teilchengrößen zwischen dem Streitpatent und D1 nicht notwendigerweise sehr groß sein, z.B. im Falle, dass die Teilchengrößenverteilungen von sehr ungleich bzw. schief seien.
Somit sei die technische Aufgabe gegenüber D1 lediglich die Bereitstellung weiterer Gießmassen.
D2 betreffe Giesmassen und somit das gleiche technische Gebiet wie das Streitpatent und D1. Die Füllstoffe seien größer als die von D1 und wiesen z.T. eine ungebrochene Kornform auf. Hieraus gehe hervor, dass solche Kornformen wie die im Anspruch 1 definierten bekannt seien.
Ferner seien die Füllstoffe gemäß D2 günstiger als die von D1.
D3 betreffe ebenfalls Sanitärformkörper und verwende neben einer polymeren Matrix einen Füllstoff bestehend aus zwei Fraktionen die sich durch ihre Teilchengröße unterscheiden. Hierdurch wiesen die Teilchen unterschiedliche Sedimentationsgeschwindigkeiten auf. Aus D3 gehe hervor, dass die Verwendung dieser Kombination von Füllstoffen zu Formkörpern mit verbesserten mechanischen Eigenschaften führt. Somit sei es naheliegend, solche Füllstoffmischungen zu verwenden.
Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde vorgetragen, man könne auch von D2 ausgehen. Dieses Dokument sei im Laufe des Verfahrens mehrfach angesprochen wurde, auch wenn D2 in der Beschwerdebegründung nicht als nächstliegender Stand der Technik herangezogen wurde. Ausgehend alternativ von der Offenbarung von D2 ist die Auswahl von Füllstoffen mit einer bestimmten Kornform oder Teilchengröße, wie in D2 offenbart, eine naheliegende Möglichkeit, um weitere Gießmassen zur Verfügung zu stellen.
XI. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Offenkundige Vorbenutzung
i) Zulässigkeit
Die Begründung für das verspätete Vorbringen ist nicht nachvollziehbar. Die Begriffe "gebrochene" bzw. "ungebrochene" Kornform seien von sich aus verständlich. Die Einspruchsabteilung habe bereits mit der Zwischenmitteilung, und nicht erst in der Entscheidung, die Definition dieser Begriffe dargelegt. Somit hätte die Relevanz der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung spätestens mit Erhalt der Zwischenmitteilung erkannt werden können.
ii) Relevanz
Die Beschaffenheit der gemäß E2 gelieferten Produkte sei nicht eindeutig. Aufgrund der Angabe "for example" könne nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, ob die angegebene Komponenten tatsächlich in den gelieferten Produkten vorhanden seien oder ob dies nur als stellvertretend (beispielsgemäß) für die tatsächlich verwendeten Komponenten zu verstehen sei. Auch seien die verwendeten Mengen der Komponenten nicht eindeutig.
Bezüglich der Beschaffenheit der verwendeten TiO2 gebe E18 nur allgemeine Information. Dem Dokument enthalte jedoch keine Angaben zu einem bestimmten gemäß den Formulierungen von E2 verwendeten Produkt. Das Bild auf Seite 17 von E18 zeige, dass die Huntsman-TiO2 keine gebrochene Kornform besitze. Es sei von der auf Seiten 2 und 17 von E18 angegebenen Skalar und die in Tabelle 3 von E18 angegebenen Partikelgröße ersichtlich, dass das Bild auf Seite 2 von E18 den Huntsman-TiO2 nicht entspreche.
b) Art. 54 EPÜ - druckschriftlicher Stand der Technik
Die Gießmasse von D1 wird gemahlen. Somit seien sämtliche Füllstoffteilchen gebrochen. Ferner liegen, aufgrund der Vermahlung, die Teilchengröße der Füllstoffe im Endprodukt unterhalb des anspruchsgemäßen definierten Bereichs, wie explizit in D1 offenbart sei.
Auch wenn man akzeptieren würde, dass die Ausgangsmischung der Beispiele von D1, d.h. vor Zermahlung eine "Gießmasse" darstelle, gehe die Kornform der Füllstoffteilchen (gebrochen/ungebrochen) nicht aus D1 hervor. Somit sei auch dieses Vorprodukt nicht neuheitsschädlich.
c) Art. 56 EPÜ
D1 betreffe zwar das gleiche Fachgebiet, betone jedoch die mechanischen Eigenschaften, nicht die Oberflächeneigenschaften. Würde man von D1 ausgehen, müsste man ferner deren zentrale Lehre - sehr kleine, stark zermahlene Teilchen - außer Acht lassen bzw. im Widerspruch dazu handeln, um zum Gegenstand der geltenden Anspruche zu gelangen. Es werde auch allgemein die Notwendigkeit der Verwendung von Füllstoffen mit unterschiedlichen Dichten - wie in den Ansprüchen des Streitpatents definiert - nicht gelehrt, obwohl solche Zusammensetzungen in den Beispielen von D1 verwendet werden.
Das Argument ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik wurde von der Beschwerdeführerin erst während der mündlichen Verhandlung vorgebracht. Somit sollte dieses Argument wegen Verspätung nicht in das Verfahren zugelassen werden.
XII. Die Beschwerdeführerin/Einsprechende beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1706448.
XIII. Die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent auf der Grundlage des mit Schreiben vom 18. Januar 2016 eingereichten ersten oder zweiten Hilfsantrags aufrechtzuerhalten.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Offenkundige Vorbenutzung - Zulässigkeit
2.1 Zeitpunkt der Geltendmachung
Die offenkundige Vorbenutzung, basierend auf den Dokumenten E1-E18, wurde zum ersten Mal zusammen mit der Beschwerdebegründung geltend gemacht.
2.1.1 Das Argument der Beschwerdeführerin, die Relevanz der Vorbenutzung sei erst mit Zustellung der Entscheidung erkennbar, ist nicht überzeugend.
Insbesondere das Argument, im Abschnitt 3.17 des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 25. Februar 2013, dass ausgehend von der Entscheidung:
"As such the term 'unbroken' can now be understood to mean 'particles wherein edges and/or surfaces of the particles are rounded'. The term 'broken' can be interpreted to mean 'particles that have been subjected to grinding'"
(Betonung der Kammer) erst dadurch die Bedeutung von ungebrochener und gebrochener Kornform klar geworden sei, ist nicht von den Tatsachen gestützt.
Die Aussage der Entscheidung bezüglich der Definition oder Bedeutung von ungebrochener und gebrochener Kornform, (Seite 15, 2. vollständiger Absatz) entspricht wortwörtlich ("copy/paste") Seite 6, 2. Absatz des Zwischenbescheids der Einspruchsabteilung (vgl. Abschnitt IV oben).
Die damalige Einsprechende, jetzt Beschwerdeführerin, wurde somit bereits mit Zustellung des Zwischenbescheids und nicht erst ("can now be understood") durch die Entscheidungsgründe davon in Kenntnis gesetzt, wie die Begriffe "gebrochene" bzw. "nicht gebrochene" Kornform von der Einspruchsabteilung ausgelegt wurden.
Somit hätte sie bereits zu diesem Zeitpunkt, und noch während des Einspruchsverfahrens, die potentielle Relevanz der offenkundigen Vorbenutzung erkennen können. Im vorliegenden Fall ist ferner anzumerken, dass die angebliche offenkundige Vorbenutzung Produkte der Einsprechenden selbst betrifft, so dass die vorgelegten Dokumente E1-E18 und E12a für die Einsprechende jederzeit zugänglich waren. Somit gibt es keine Rechtfertigung für das späte Einreichen von E1-E18 und E12a.
2.1.2 Das weitere Argument der Beschwerdeführerin, der Bescheid der Einspruchsabteilung sei lediglich vorläufig, stelle keine Entscheidung dar und erfordere somit keine Reaktion ist mit der entsprechenden Bestimmung des EPÜs nicht vereinbar. Regel 116(1) EPÜ sieht vor, dass mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung auf die Fragen hingewiesen wird, die für die zu betreffende Entscheidung als erörterungsbedürftig angesehen werden und dass dabei - zwangsläufig - eine Frist bis zu dem Schriftsätze für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung eingereicht werden können, gesetzt wird. Nach dieser Frist vorgebrachte neue Tatsachen und Beweise brauchen nicht berücksichtigt zu werden.
Selbst wenn die in der Mitteilung gemäß Regel 116(1) EPÜ dargelegte Meinung nicht bindend ist, wurden die Parteien frühzeitig von der Einspruchsabteilung darüber informiert, wie die geltenden Ansprüche möglicherweise ausgelegt werden könnten. Hätte die Einsprechende beim Einreichen der Einspruchsschrift eine andere, insbesondere eine engere, Bedeutung der geltenden Ansprüche berücksichtigt haben sollen, hätte sie spätestens dann reagieren können und müssen. Hier ist anzumerken, dass eine - in dem Fall sehr detaillierte - Mitteilung der Einspruchsabteilung dazu dient, das Verfahren in einem möglichst frühen Stadium (im vorliegendem Fall mehr als 7 Monate im Voraus) zu straffen/rationalisieren und zu ermöglichen, dass in der folgenden mündlichen Verhandlung eine abschließende Entscheidung in der Sache getroffen werden kann. Daher sollte eine solche verfahrensleitende Mitteilung der Einspruchsabteilung von den Parteien dementsprechend sorgfältig berücksichtigt werden. Wenn eine Partei entscheidet, auf diese Mitteilung der Einspruchsabteilung oder auf Teilaspekte davon nicht - rechtzeitig - zu reagieren, muss sie die Konsequenzen tragen, was ggf. dazu führen kann, dass später eingereichte Beweismitteln nach Art. 114 (2) EPÜ (Einspruchsverfahren) oder nach Art. 12(4), 13(1) oder 13(3) VOBK (Beschwerdeverfahren) nicht zugelassen werden.
2.1.3 Ferner geht es weder aus der Akte hervor, noch hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, sie habe sich während des Verfahrens vor der Einspruchsabteilung in irgendeiner Form mit der als erörterungsbedürftig präsentierten (vorläufigen) Interpretation der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Kornform argumentativ auseinander gesetzt, oder sonst zu erkennen gegeben, sie widerspräche dieser. Im Gegenteil, durch das Einreichen der Unterlagen bezüglich der offenkundigen Vorbenutzung mit der Beschwerdebegründung ist ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin der Interpretation der Einspruchsabteilung bezüglich der Kornform, welche - betontermaßen - bereits in der Ladung gemäß R. 116(1) EPÜ und nicht erst in der Entscheidung mitgeteilt wurde, zustimmt.
2.1.4 Aus dem Vorhergehenden geht hervor, dass:
- die Einsprechende bereits mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung auf die Interpretation der Definition der Kornform durch die Einspruchsabteilung informiert wurde;
- diese Definition nicht bestritten wurde, und die Einsprechende somit
- hätte erkennen können und müssen, dass die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung von Relevanz sein könnte.
Somit hätten diese Tatsachen bzw. Beweismittel bereits während des Einspruchsverfahrens geltend gemacht werden können. Das Zulassen dieser Beweise und die darauf gestützten Argumente liegt somit im Ermessen der Kammer (Art. 12(4) VOBK).
2.2 Substantielle Relevanz des Vorbringens
E1 ist ein Satz Verkaufsbelege aus dem Zeitraum 3. April 2001 bis 19. Dezember 2003. Gemäß diesen Belegen wurden unter anderem folgende Produkte:
Ultragranite 1U18 Ice White
Ultragranite 1U19 Ice White
Ultragranite 1U32 Alpine White
in Mengen von der Größenordnung von einigen Tonnen verkauft.
Es wurde seitens der Beschwerdegegnerin nicht bestritten, dass die Produkte kommerziell im Handel angeboten wurden.
Die Zusammensetzungen der veräußerten Produkte sollten durch das Dokument E2 belegt werden.
2.2.1 E2 enthält die "Rezepturen" der drei genannten Produkte, deren Rezepturen, gemäß der Überschrift während de Zeitraums vom 1. Januar 1999 bis 1. Januar 2004 und somit innerhalb des von den Verkaufsbelegen betroffenen Zeitraums liegen, gültig waren.
Es gibt jedoch bis auf die Produktbezeichnungen keine Rückbezüge zwischen den Verkaufsbelegen E1 und den Rezepturen von E2. Es liegen keine Analysen von Chargenummern vor, die bestimmten Lieferungen zugeordnet werden können (Batchnummer). Somit dient E2 lediglich als ein Hinweis auf die "Soll"-Zusammensetzungen der unter den Bezeichnungen gelieferten Produkte, ohne jedoch eindeutig den Beweis bezüglich dessen, was tatsächlich geliefert wurde, zu erbringen.
Ferner sind diese "Soll"-Zusammensetzungen gemäß der Offenbarung von E2 auch nicht eindeutig.
Bei jeder der drei genannten Formulierengen steht bei der Angabe der Zusammensetzung des Sandanteils ("Dorfner Produkte") der Feststoffkomponente die Angabe "for example".
Es stellt sich somit die Frage, ob die in E2 genannten Zusammensetzungen (Formulierungen) tatsächlich immer verwendet wurden, oder ob diese nur beispielhaft sind und - gemäß unbekannten Kriterien - von Lieferung zu Lieferung variiert wurden.
2.2.2 Das diesbezügliche Argument der Beschwerdeführerin (siehe Abschnitt X.(a).(ii), oben) setzt voraus, dass die Angaben "for example" in E2 so interpretiert werden, dass die Menge einer der Komponenten als eindeutig offenbart gilt. Es gibt jedoch keine Angabe in E2, die diese Interpretation von "for example" stützen könnte. Es wäre genauso möglich, und sprachlich sogar naheliegender, die Angabe "for example" so zu interpretieren, dass die einzig angegebene Menge des Dorfner Produkts nur eine fakultative Möglichkeit der Zusammensetzung sowohl hinsichtlich der Menge als auch die Art des verwendeten Füllstoffs sei, ohne diese jedoch zwingend festzulegen.
Somit, um den Argumenten der Beschwerdeführerin/Einsprechenden bezüglich der Angaben der Produktzusammensetzungen in E2 zu folgen, erfordert es einiges an Interpretation und Annahmen bezüglich des Inhalts dieses Dokuments, ohne dass es hierfür eine Grundlage in E2 gibt.
2.2.3 Gemäß geltendem Anspruch 1 muss die erste Fraktion eine mittlere Partikelgröße von 100-2000 mym haben.
Bezüglich des Produkts 1U32 hat die Beschwerdeführerin argumentiert, dass mindestens der Sand "White (sil) Size 9" die erste Fraktion gemäß Anspruch darstellen würde. Obwohl es aus E5 glaubhaft ist, dass dieser Sand eine Partikelgröße gemäß der ersten Fraktion des geltenden Anspruchs 1 aufweist (siehe E5 S.10, 2. und 3. Tabelle der linken Spalte), ist es unklar - wie oben erklärt - in welcher Menge "White (sil) Size 9" in dem tatsächlich gelieferten Produkt 1U32 gemäß E1 vorhanden war, insbesondere, ob er in einer größeren Menge als die gemäß der zweiten Füllstofffraktion eingesetzt wurde, wie am Ende des geltenden Anspruchs 1 definiert.
Bezüglich der Produkte 1U19 und 1U18 wurde nicht gezeigt, dass mindestens einer der verwendeten Sände, insbesondere Dorsilit QS HIPU, welcher von der Beschwerdeführerin genannt wurde, eine Partikelgröße gemäß der ersten Fraktion des geltenden Anspruchs 1 aufweisen. Ferner gilt das gleiche Argument wie für 1U32 bezüglich der Menge dieses Sands in den tatsächlich gelieferten Produkten.
2.2.4 In den Zusammensetzungen gemäß E2 werden zwei verschiedene TiO2 Produkte als zweite Füllstofffraktion eingesetzt.
In den Formulierungen 1U32 und 1U19 wird ,,DuPont Ti-Pure R-960" eingesetzt. In der Formulierung 1U19 wird ,,Huntsman Tioxide R-TC4" verwendet.
Die Kornform der verwendeten TiO2 Produkte wird in E2 nicht eindeutig offenbart.
Die Beschwerdeführerin hat verschiedene Dokumente vorgelegt, die diesen Aspekt belegen sollen.
Bezüglich ,,Ti-Pure R-960" wurden E9 und E13 vorgelegt. Aus E9 geht aus Abschnitt "Produkt Description" lediglich hervor, dass ,,Ti-Pure R-960" ein feines weißes Pulver sei. Eine Information bezüglich der Kornform ist E9 nicht zu entnehmen. E13 betrifft die Ti-Pure Produkte im Allgemeinen. R-960 wird auf Seite 17 bezüglich der optischen Eigenschaften diskutiert, ohne jedoch Informationen bezüglich der Kornform zu offenbaren. Das Produkt wird auch in der Tabelle auf Seite 18 als ,,Type IV" erwähnt, ebenfalls ohne Angaben zur Kornform.
Auf Seite 14, rechte Spalte sowie Seite 23 von E13 in dem Diagramm ,,Finishing" wird zwar ,,grinding" erwähnt. Dies wird jedoch laut dem Dokument dazu verwendet, Agglomerate aufzubrechen. Es lässt sich hieraus nicht eindeutig schließen, dass Teilchen mit mindestens einer Kante und somit eine Kornform entsprechend der breitesten von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Definition des Begriffs "gebrochener Kornform" erhalten wird.
Somit kann aufgrund der Dokumente E9 und E13 keine Schlussfolgerungen bezüglich der Kornform von Ti-Pure R-960 gezogen werden.
Bezüglich des Produkts R-TC4 geht aus E8 hervor, dass dies ein ,,finely divided white powder" sei. Weitere Informationen bezüglich der Kornform sind E8 nicht zu entnehmen. E18 von Huntsman betrifft die Herstellung und Eigenschaften von TiO2 Pigmenten im Allgemeinen. Das Produkt ,,R-TC4" wird jedoch nicht erwähnt. Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen (vgl. Abschnitt XI.(a).(ii) oben), ist es aus der auf Seiten 2 und 17 von E18 angegebenen Skala und der in Tabelle 3 von E18 angegebenen Partikelgröße ersichtlich, dass das Bild auf Seite 2 dem Huntsman TiO2 nicht entspricht. Ferner lässt sich aus dem Bild auf Seite 17 von E18 nicht schließen, dass die in E18 hergestellten TiO2 eine gebrochene Kornform aufweisen, gleich welche Definition dieses Begriffs verwendet wird.
Somit liegen keine Beweise für die Kornform des Produkte Ti-Pure R-960 vor.
Auch die Angabe in E12/E12a, dass R-TC4 wie in E8 offenbart durch Mahlung erhalten wurde, kann nicht belegen, dass dieses Produkt eine gebrochene Kornform aufweist. Es wird nämlich nichts zum Grad der Mahlung gesagt. Dies könnte z.B. lediglich dazu dienen, wie in E13 beschreiben, Agglomerate aufzubrechen, wodurch gebrochene Teilchen nicht zwangsläufig entstehen würden.
Es liegen somit keine Beweise vor, dass die in den Formulierungen gemäß E2 eingesetzten TiO2 Produkte dem anspruchsgemäßen Merkmal der gebrochenen Kornform für die zweite Füllstofffraktion entsprechen.
2.2.5 Die Rechtsprechung bezüglich des Nachweises einer offenkundigen Vorbenutzung stellt sehr hohe Anforderungen, die keinen Raum für Unsicherheit oder Zweifel lassen. Vor allem im vorliegenden Fall sind alle relevanten Informationen im Besitz der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdegegnerin hat keine Möglichkeit, das Vorbringen auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Bei dieser Sachlage obliegt es der Beschwerdeführerin, die geltend gemachten Einwände lückenlos nachzuweisen (vgl. T 472/92, Entscheidungsgründe 3.1).
Dieser Nachweis ist im vorliegenden Fall jedoch in dem erforderlichen Grad nicht erbracht worden, weil die Angaben bezüglich der veräußerten Zusammensetzungen sowohl im Hinblick auf die verwendeten Bestandteile (Dorfner Produkte), als auch hinsichtlich der Kornform der verwendeten TiO2 nicht eindeutig sind.
2.3 Schlussfolgerungen bezüglich der Zulässigkeit der geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung
Aus dem Vorhergehenden geht hervor, dass das Vorbringen bezüglich offenkundiger Vorbenutzung der Formulierungen 1U32, 1U18 und 1U19 als verspätet anzusehen ist.
Aufgrund mangelnder Beweise bezüglich des Gegenstands der angeblichen offenkundigen Vorbenutzung, insbesondere der Beschaffenheit der Füllstofffraktionen, ist dieses Vorbringen für die Frage der Neuheit nicht lückenlos belegt worden.
Ferner, aus dem gleichen Grund, nämlich, weil die Zusammensetzungen der Formulierungen 1U32, 1U18 und 1U19 nicht eindeutig belegt sind, ist es nicht angebracht, dieses Vorbringen als nächstliegenden Stand der Technik für die Frage der erfinderischen Tätigkeit zu betrachten.
2.4 Die Beweise E1-E18 und E12a im Hinblick auf die offenkundige Vorbenutzung werden nicht zugelassen (Art. 12(4) VOBK). Ferner wird der auf E1-E18 und E12a basierte Einwand der fehlenden Neuheit zurückgewiesen.
3. Art. 123(2) EPÜ
Art. 100(c) EPÜ wurde als Einspruchsgrund nicht erhoben (siehe oben) und es wurden anlässlich der Beschwerde keine Einwände gemäß Art. 123(2) EPÜ im Hinblick auf die während des Einspruchsverfahrens vorgenommenen Änderungen geltend gemacht.
4. Art. 54 EPÜ
Aufgrund des Nichtzulassens der offenkundigen Vorbenutzung beschränkt sich die Beurteilung der Neuheit auf den einzigen vorgebrachten Einwand aufgrund der D1.
4.1 D1 offenbart Gießmassen aus einer härtbaren organischen Flüssigkeit und teilchenförmigen Füllstoffen.
Gemäß der allgemeinen Offenbarung (Anspruch 1 sowie Spalte 5, Zeilen 10ff) beträgt die maximale Teilchengröße 100 myM, wobei mindestens 95% (Nummer) der Teilchen eine Teilchengröße von <= 10myM aufweisen.
4.2 Die Beispiele 15, 16 und 21 wurden als neuheitsschädlich zitiert.
4.2.1 Beispiel 15 offenbart die Herstellung einer Gießmasse, bei der in einer ersten Stufe 2726,50 g ß-Cristabolite Sand (Teilchengröße 200 myM) mit 903,85 g Methylmethacrylat (ein Acrylatmonomer) in einer Kugelmühle 20 Stunden lang gemahlen werden. Anschließend wird 254,32 g Rutile TiO2 hinzugegeben und in der Kugelmühle weitere 4 Stunden gemahlen.
Das Endprodukt enthält 77,8 Gew.-% Sand und Pigment, wovon 70,2 Gew-% Sand und 6,5 Gew.-% TiO2 - d.h. anorganisches Füllstoffmaterial sind, welche Menge im anspruchsgemäßen Bereich von 45 bis 85 Gew.-% liegt und der Gewichtsanteil des ersten Füllstoffs größer ist als der des zweiten Füllstoffs.
Die Teilchengröße des anorganischen Anteils, nach Vermahlen, wird wie folgt angegeben:
Teilchen 10 myM oder weniger: 99% (Nummer) (70% Gewicht)
Teilchen 50 myM oder weniger: 99% (Gewicht)
Teilchen 75 myM oder weniger: 100% (Gewicht).
Die Gießmasse gemäß Beispiel 15 von D1 enthält somit keine Füllstofffraktion mit einer mittleren Teilchengröße von 100-2000 myM. Ferner, aufgrund der intensiven Vermahlung, muss aus technischen Überlegungen davon ausgegangen werden, dass keine der zwei Füllstofffraktionen eine ungebrochenen Kornform aufweist.
Die Beschwerdeführerin hat die diesbezügliche Feststellung der Einspruchsabteilung, dass bei dem Verfahren von D1 die Sandteilchen zerkleinert und gebrochen werden (Seite 15, 4. vollständiger Absatz der Entscheidung) und, dass folglich sowohl die Sand- als auch das TiO2-Teilchen in den Zusammensetzungen von D1 gebrochen seien, weder argumentativ noch durch das Vorlegen von Beweisen widerlegt.
Bezüglich der Frage, ob die Mischung zum Zeitpunkt der Zugabe des TiO2, also nach dem anfänglichen 20-stündigen Mahlen des Acrylatmonomers mit dem Sand, dem Gegenstand des Anspruchs 1 entspricht, ist anzumerken, dass nicht gezeigt wurde, ob der Sand zu diesem Zeitpunkt (noch) ungebrochen ist. Aufgrund der Vermahlung ist dies aus technischen Überlegungen eher zu verneinen. Ferner werden keine Angaben bezüglich der Kornform des zugegebenen TiO2 in D1 gemacht. Es wird lediglich gesagt, dies sei Rutile TiO2, welcher Begriff die Kristallform der TiO2, nicht jedoch die Kornform bezeichne.
Somit liegen keine Beweise vor, dass zu irgendeinem Zeitpunkt eine Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 bei der Ausführung des Verfahrens gemäß Beispiel 15 von D1 erhalten wird.
4.2.2 Gemäß Beispiel 16 wird ß-Cristabolite Sand wie in Beispiel 15 verwendet (1333,5 g, Teilchengröße 200 myM). Dies wird zusammen mit Rutile TiO2 (120 g) und einem Sirup basierend auf Acrylatmonomeren (556,7 g) vermischt und 24 Stunden auf einer Kugelmühle gemahlen.
Die Teilchengrößeverteilung des Endprodukts wird nur insofern angegeben, als dass sie der des Beispiels 5 "ähnlich" sei, d.h.:
Teilchen 10 myM oder weniger: 99,7% (Nummer)/55,0%(Gewicht)
Teilchen 50 myM oder weniger: 100% (Gewicht).
Auch wenn man die Ausgangsmischung des Monomers und der zwei Füllstoffe als "Gießmasse" bezeichnen würde, entspräche diese Mischung nicht dem Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1. Die Kornform (gebrochen oder ungebrochen) der verwendeten Füllstoffe wird nämlich in D1 nicht angegeben. Auch wenn man der Argumentation der Beschwerdeführerin, dass die Kornform der beiden Füllstoffe zwangsläufig entweder gebrochen oder ungebrochen sein müsste folgen würde, ergäbe sich hieraus keine eindeutige Offenbarung der eigentlich vorhandenen Kornform der zwei Füllstoffe.
Das Endprodukt nach der Vermahlung fällt aufgrund der Teilchengröße nicht unter den geltenden Anspruch (siehe oben). Ferner ist aufgrund der starken Vermahlung aus technischen Überlegungen davon auszugehen, dass sämtliche Teilchen eine gebrochene Kornform aufweisen.
Somit offenbart weder das Vor- noch das Endprodukt gemäß Beispiel 16 von D1 eine Gießmasse mit der anspruchsgemäßen Kombination von Kornform und Korngröße.
4.2.3 Aus analogen Gründen offenbart weder das Vor- noch das Endprodukt des Beispiels 21 von D1, welches aus dem gleichen Sand wie Beispiel 15 (2478,6 g), Rutile TiO2 (223,00 g) und Methylmethacrylat (1045 g) besteht und bei dem ebenfalls alle Bestandteile vor der Vermahlung vermengt werden und ein Endprodukt mit folgender Teilchengrößenverteilung erhalten wird:
Teilchen 10 myM oder weniger: 99,7% (Nummer)/80,0% (Gewicht)
Teilchen 50 myM oder weniger: 95,5% (Gewicht)
Teilchen 75 myM oder weniger: 100% (Gewicht),
keine Gießmasse gemäß dem geltenden Anspruch 1.
4.2.4 Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber der Offenbarung der genannten Beispiele von D1 neu.
4.3 In der Beschwerdebegründung wurde ebenfalls vorgetragen, D1 im allgemeinen würde dem Gegenstand des Anspruchs 1 neuheitsschädlich entgegen stehen. Dieses Argument basierte auf einer Kombination allgemeiner Merkmale von D1 mit den spezifischen Teilchen der Zusammensetzungen gemäß den Beispielen 15, 16 und 21. Da, wie oben gezeigt, dieses Teilargument nicht durch die Offenbarung der Beispiele von D1 gestützt ist, kann das Argument basierend auf der Kombination allgemeiner und spezifischer Angaben aus D1 als ganzes ebenfalls nicht durchgreifen.
4.4 Da alle weitere Ansprüche abhängige Ansprüche sind, oder sich auf Anspruch 1 direkt oder indirekt beziehen, sind deren Gegenstände ebenfalls gegenüber der Offenbarung von D1 als neu anzuerkennen.
4.5 Somit erfüllt der Gegenstand des Hauptantrags die Erfordernisse des Art. 54 EPÜ.
5. Art. 56 EPÜ
5.1 Das Patent betrifft Gießmassen insbesondere für die Herstellung von Küchenspülen, Sanitärformkörpern, Küchenarbeitsplatten und dergleichen.
Solche Formmassen sind erheblichen abrasiven sowie Temperaturbeanspruchungen unterworfen.
Ein Problem, vor allem bei der Herstellung von anspruchsvolleren Formen ist das Auftreten von Fließlinien - d.h. durch den Befüllvorgang hervorgerufene visuell wahrnehmbare Vorzugsorientierungen der Füllstoffpartikel in Fliessrichtung (siehe Absätze [0001]-[0004] des Patents).
5.2 Nächstliegender Stand der Technik
5.2.1 Solche Gießmassen sind aus dem Dokument D1 bekannt, welches gemäß der Beschwerdeführerin den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.
D1 offenbart Gießmassen für die Herstellung von Verbundwerkstoffen ("composite materials"), die verbesserte mechanische Eigenschaften aufweisen. Unter den erforderlichen Eigenschaften werden Steifigkeit, Zähigkeit und Festigkeit (Spalte 1, 1. Absatz) genannt. Die Gießmassen weisen gute Oberflächeneigenschaften, Abriebfestigkeit und Pigmentierbarkeit auf und werden für Aufhängesysteme ("suspension systems"), Kompressionsblöcke bei Brückenbau, Stützfüße für Maschinen, Dichtungen, Arbeitsflächen, Wandfliesen, Kaschierfolien, Möbel, Sanitäreinrichtungen eingesetzt (Spalte. 20, Zeilen 10-15).
Somit ist die Lehre von D1, insbesondere der Beispiele 15, 16 und 21, ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
5.2.2 Die Gießmassen von D1 bestehen aus einem Acrylatpolymersirup und Füllstoffen (Sand, TiO2), wobei die maximaler Teilchengröße des Füllstoffs 100 mym beträgt (siehe Abschnitt 4.1 oben).
Gemäß Spalte 1, Zeilen 32-34 von D1 ist die Verwendung sehr kleiner Füllstoffteilchen, deren Dispergierung innerhalb der Masse stabil ist, das der Erfindung von D1 zugrundeliegende Konzept bzw. deren Erkenntnis. Hierdurch wird es möglich, einen hohen Gehalt an Füllstoffen in die Masse einzubringen, um Formmassen mit den erforderlichen Eigenschaften zu erhalten. Über die Kornform der Füllstoffteilchen wird in D1 nichts gesagt. Aufgrund der für die erforderliche Teilchengröße eingesetzten Zerkleinerung (Zermahlen- siehe Abschnitt 4.2.1, oben) ist jedoch davon auszugehen, dass sämtliche Füllstoffteilchen notwendigerweise eine gebrochene Kornform aufweisen.
5.2.3 Gegenüber D1 gelöste Aufgabe
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von den Beispielen 15, 16 und 21 von D1 dadurch, dass die Gießmassen Füllstoffe enthalten, wobei eine Fraktion eine ungebrochene Kornform sowie eine mittlere Teilchengröße im Bereich von 100-2000 mym und die zweite Füllstofffraktion eine gebrochene Kornform aufweist.
Es liegen keine Beispiele oder Beweise vor, die einen mit den Unterscheidungsmerkmalen gegenüber D1 verbundenen technischen Effekt belegen. Dies wurde seitens der Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin nicht bestritten.
Somit kann die tatsächlich gelöste Aufgabe gegenüber D1 nur als die formuliert werden, weitere Gießmassen bereitzustellen.
5.2.4 Ist die anspruchsgemäße Lösung der Aufgabe ausgehend von D1 naheliegend?
Die Frage ist zu beantworten, ob es naheliegend war, den nächstliegenden Stand der Technik mit dem Zweck, die oben definierte Aufgabe zu lösen, so abzuändern, dass man zum beanspruchten Gegenstand kommt.
Wie oben ausgeführt (Abschnitt 5.2.1), basiert die Lehre von D1 auf der Erkenntnis, dass, durch das Einbringen von hohen Mengen sehr kleiner, stabil dispergierter Füllstoffteilchen in eine Polymermasse Werkstoffe mit verbesserten Eigenschaften (Festigkeit, Steifigkeit, Zähigkeit) erhalten werden können. D1 betont somit die Notwendigkeit der Einbringung sehr kleiner Teilchen zur Lösung der dem Dokument zugrundeliegenden Aufgabe.
Aus D1 hätte der Fachmann keinen Hinweis entnehmen können, Gießmassen mit Füllstoffen mit einer ungebrochener Kornform sowie einer mittleren Partikelgröße im Bereich von 100 bis 2000 mym gemäß den vorliegenden Ansprüchen bereitzustellen. Dies hätte der Lehre von D1, wonach explizit sehr kleine Füllstoffpartikel (kleiner als 100 mym) zu verwenden seien, direkt widersprochen.
Schon aus diesem Grund ist der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 ausgehend von D1 nicht naheliegend.
5.2.5 D1 in Verbindung mit D2
D2 betrifft Elemente wie Einbauspüler, Waschbecken usw. bestehend aus einer Gießmasse enthaltend ein Harz als Matrix und einen Füllstoff (Anspruch 1, Spalte 1, Zeilen 10-13, 47-53). Der Füllstoff besteht mehrheitlich aus Quarzteilchen (Sand) mit Teilchengröße 0,1-2 mm (100-2000 mym) und ungebrochener Kornform (Spalte 1, Zeilen 50-53). Die Verteilung der Teilchen innerhalb des Gegenstands ist asymmetrisch, damit die Teilchenkonzentration in dem Bereich der stark beanspruchten Oberfläche größer ist als auf der Rückseite (Siehe D2, Zusammenfassung, Spalte 2, Zeilen 52-62). Durch die Verwendung der ungebrochenen Teilchen der angegebenen Größe entsteht eine texturierte Oberfläche, da, bedingt durch den Schrumpf der Matrix während der Aushärtung die Füllstoffteilchen aus der Oberfläche hervorstehen, wodurch die empfindliche Matrix geschützt ist (Spalte 1, Z.60-66; Spalte 2, Zeilen 27-31).
D2 offenbart jedoch keine Kombination aus Füllstoffen, insbesondere nicht von solchen mit gebrochener/ungebrochener Kornform, oder die Verwendung von Füllstoffen mit unterschiedlichen Teilchengrößen oder Dichten.
Ferner sind die Lehren von D1 und D2 nicht miteinander kompatibel, da, wie oben ausgeführt, D1 die Verwendung einer Mischung sehr kleiner Teilchen zwei verschiedener Füllstoffe mit gebrochener Kornform betrifft, während D2 große Teilchen mit ungebrochener Kornform, und keine Mischung verschiedener Füllstoffe offenbart.
Somit wäre die von der Beschwerdeführerin betrachteten Kombination der Lehren von D1 und D2 nur im Kenntnis des vorliegenden Hauptantrags und somit rückschauend, naheliegend.
5.2.6 D1 in Verbindung mit D3
D3 betrifft eine Gießmasse bestehend aus einer Polymermatrix und einer Füllstoffmischung bestehend aus zwei Fraktionen kristallinem Quarz, wobei die zwei Fraktionen eine unterschiedliche Granulometrie (Teilchengröße) aufweisen (Anspruch 1, Absätze [0021], [0027]).
Gemäß Anspruch 2 von D3 besteht der Füllstoff aus zwei Fraktionen kristalliner Quarzpartikel mit Teilchengröße 0,1-0,8 mm (100-800 mym) sowie 0,05-0,2 mm (50-200 mym) und somit ebenfalls größer als die gemäß D1 geforderten Teilchengrößen.
Eine Kombination aus Teilchen mit gebrochener/ungebrochener Kornform sowie unterschiedlicher Dichte ist nicht offenbart. Ferner, da beide Fraktionen aus Quarz bestehen, gibt es keinen Dichteunterschied.
Aus den gleichen Gründen wie für D2 dargelegt ist die Lehre von D3 aufgrund der angegebenen Teilchengrößen mit der Lehre von D1 nicht kompatibel. Ferner sind D3 die anspruchsgemäßen Merkmale bezüglich der Kornform nicht zu entnehmen.
Somit, auch wenn man D1 mit D3 - trotz offensichtlicher Inkompatibilität - kombinieren würde, ergäbe sich nicht die erforderliche anspruchsgemäße Merkmalskombination. Aus diesen Gründen wird der auf D1 und D3 basierte Einwand der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.
5.2.7 Der Gegenstand des Anspruchs 1 erfüllt deshalb die Erfordernissen des Art. 56 EPÜ ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik.
5.3 Zulässigkeit des Arguments basierend auf D2 als nächstliegender Stand der Technik
5.3.1 In der Beschwerdebegründung wurde bei der detaillierten Diskussion der erfinderischen Tätigkeit ausschließlich auf Basis von D1 als nächstliegendem Stand der Technik argumentiert. Obwohl bei der Einführung dieser Abschnitt in der Beschwerdebegründung vorgetragen wurde, keine der Ansprüche seien gegenüber D1-D5 erfinderisch, wurden die weiteren Dokumente - wenn überhaupt - lediglich als sekundäre Dokumente herangezogen (D1+D2 in Absatz 8.16, D1+D3 im Absatz 8.23). Auch die Angabe im Absatz 9.4 der Beschwerdebegründung, der Gegenstand der Ansprüche 2 und 10 würden keine erfinderische Tätigkeit gegenüber einem oder mehreren der Dokumente D1-D6 aufweisen, kann nicht als Argumentation ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik angesehen werden.
5.3.2 Der während der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag, Argumente hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D2 als nächstliegendem Stand der Technik zuzulassen, stellt somit eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdebegründung dar. Gemäß Art. 13(1) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, solche Änderungen des Vorbringens in das Verfahren zuzulassen.
5.3.3 Der jetzige Hauptantrag ist mit dem, der der Entscheidung der Einspruchsabteilung zugrunde lag, identisch. Somit liegt keine Änderung der Antragslage seitens der Beschwerdegegnerin vor, die eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdebegründung rechtfertigen könnte.
5.3.4 Zwar ist die Einspruchsabteilung ausschließlich von D2 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen. Die Beschwerdeführerin hat jedoch sowohl in der Beschwerdebegründung als auch in ihren weiteren Eingaben - auch nach einem Hinweis der Kammer in ihrer Zwischenmitteilung (Punkt 9), dass die Argumentation in der Entscheidung der Einspruchsabteilung hinsichtlich D2 als nächstliegendem Stand der Technik von der Beschwerdeführerin nicht aufgegriffen oder kommentiert worden sei - lediglich vorgetragen, D1 sei nächstliegender Stand der Technik.
Somit hatte weder die Kammer noch die Gegenpartei einen Grund zu erwarten, dass die Beschwerdeführerin Argumente basierend auf D2 als nächstliegendem Stand der Technik in der mündlichen Verhandlung vorbringen würde, und sich entsprechend darauf vorzubereiten.
5.3.5 Unter Heranziehung des Art. 13(1) VOBK hält die Kammer es in diesem Fall nicht als angebracht, ihr Ermessen im Sinne der Beschwerdeführerin auszuüben. Aus diesem Grund wurde das Vorbringen, von D2 als nächstliegendem Stand der Technik auszugehen, als verspätet nicht in das Verfahren zugelassen.
5.4 Die Erfordernisse des Art. 56 EPÜ sind somit erfüllt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.