T 0647/12 06-07-2018
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Dialysemaschine mit einer Einrichtung zur Bestimmung der Dialysedosis
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Spät eingereichtes Dokument - zugelassen (nein)
I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die am 14. Februar 2012 zur Post gegebene Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß Hilfsantrag II das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.
II. Die Patentinhaberin legte am 21. März 2012 Beschwerde ein und bezahlte am selben Tag die Beschwerdegebühr. Sie reichte die Beschwerdebegründung am 25. Mai 2012 ein.
Die Einsprechende legte am 12. April 2012 Beschwerde ein und bezahlte am selben Tag die Beschwerdegebühr. Sie reichte die Beschwerdebegründung am 25. Juni 2012 ein (der 24. Juni war ein Sonntag).
III. Mit Schreiben vom 23. März 2018 lud die Kammer die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK legte die Kammer ihre vorläufige Auffassung, dass keines der zitierten Dokumente die Vorausberechnung der Dialysedosis anhand der definierten eingestellten Maschinenparameter zu offenbaren oder nahezulegen schien, dar.
IV. Mit Schreiben vom 30. April 2018 reichte die Einsprechende das Dokument D16 ein und legte dar, warum es die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 wie erteilt vorwegnehmen würde.
V. Eine mündliche Verhandlung fand am 6. Juli 2018 statt.
Die Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form, hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage des Hilfsantrags 1 vom 30. April 2013.
Die Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des angegriffenen Patents in vollem Umfang.
VI. Folgende Dokumente sind in der Entscheidung erwähnt:
D1: OCM, Impulse für mehr Lebensqualität, Fresenius Medical Care Deutschland GmbH, 2001
D2: Hämodialysegeräte 4008H/S, Sichtbar bessere Dialyseergebnisse, Fresenius Medical Care Deutschland GmbH, 2001
D3: EP 1 062 960 A2
D10: EP 0 495 412 B1
D11: EP 1 396 274 A1
D15: Replacement of renal function by dialysis, fifth edition, W.H.Hörl et al, 2004 Kluwer Academic Publishers.
D16: US 5 110 477
VII. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt (Aufgliederung der Einsprechenden):
a) Dialysemaschine mit einem Dialysator (10), der an einen Blutkreislauf (14) und an einen Dialysatkreislauf (16) angeschlossen ist,
b) wobei im Blutkreislauf ein vorbestimmter Blutfluss und im Dialysatkreislauf ein vorbestimmter Dialysatfluss und Ultrafiltrationsfluss einstellbar ist, und
c) mit einer Einrichtung (25) zur Bestimmung der Dialysedosis Kt/V anhand der Clearance K des Dialysators (10), des patientenspezifischen Schadstoffverteilungsvolumens V und der Behandlungsdauer t,
dadurch gekennzeichnet,
d) dass die Clearance K anhand eines mathematischen Modells des Dialysators (10) ermittelt wird, dem als Eingangsgrößen eingestellte Maschinenparameter der Dialysemaschine zugeführt werden,
e) wobei die Maschinenparameter mindestens die Größe des Blutflusses QB und die Größe des Dialysatflusses QD umfassen, und
f) dass die Dialysedosis anhand der so ermittelten Clearance vorausberechnet wird.
VIII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Parteien werden in den Entscheidungsgründen zusammengefasst.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Die Erfindung betrifft eine Dialysemaschine, bei der anhand eines mathematischen Modells des Dialysators die Clearance und die Dialysedosis Kt/V vorausberechnet werden kann. Auf diese Weise ist es möglich, einen prognostizierten Endwert der Dialysedosis anzuzeigen, und zwar ohne Messungen von Maschinenparametern durchführen bzw. die Auswirkungen von veränderten Maschinenparametern abwarten zu müssen.
3. Hauptantrag - Neuheit
Die Einsprechende behauptet, dass der Gegenstand gemäß Anspruch 1 gegenüber D1, bzw. einer Zusammenschau von D1 und D2, und gegenüber D16 nicht neu sei.
3.1 Hauptantrag - Zulassung von D16
D16 wurde nach dem Versenden der Ladung eingereicht (siehe Punkt IV oben). Die Einsprechende sieht die späte Einreichung als Reaktion auf die mitgeteilte vorläufige Meinung der Kammer an. Sie vertritt die Auffassung, dass dieses Dokument die Neuheit des Gegenstandes gemäß Anspruch 1 vorwegnehme. Es offenbare ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Ermitteln der Clearance eines Dialysefilters und zum Vorausberechnen der Dialysedosis für einen bestimmten Patienten (siehe z.B. Spalte 9, Zeilen 40 ff). Das Dokument sei daher prima facie relevant und in das Verfahren zuzulassen.
Dieses Dokument ist nach Auffassung der Kammer nicht relevanter als die, die schon im Verfahren sind.
D16 stellt darauf ab, vor einer bestimmten Dialysebehandlung die Clearance des Dialysefilters zu ermitteln, weil dieser Wert aus verschiedenen Gründen vom theoretischen Wert abweichen kann. Somit soll sichergestellt werden, dass die gewünschten Therapieziele erreicht werden können.
Die Ermittlung der Clearance erfolgt, indem vor dem tatsächlichen therapeutischen Verfahren eine Priming-Flüssigkeit mit einer bestimmten Zusammensetzung auf der Blutseite des Dialysators, und auf der Dialysatseite eine Diffusionsflüssigkeit, die ebenfalls eine bestimmte Zusammensetzung aufweist, zirkuliert werden.
Durch eine Messung des Stoffübergangs des jeweils gelösten Stoffes aus der Priming-Flüssigkeit in die andere Flüssigkeit wird die Clearance für den jeweiligen Stoff bestimmt. Daraus wird die Clearance für Urea bestimmt und dann in der mathematischen Formel für die Dialysedosis Kt/V benutzt. Die anderen Behandlungsparameter können dann angepasst werden, um die gewünschte Therapie zu erreichen.
Im zweiten Beispiel in der Spalte 9 wird erklärt, wie sich ausgehend von einem bestimmten Patienten, einem bestimmten Dialysator mit einer bestimmten theoretischen Clearance und einer zu erreichenden Dialysedosis eine theoretische Behandlungszeit ergibt, und wie sich diese Zeit unter Berücksichtigung der realen gemessenen Clearance ändern soll, damit die gewünschte Dialysedosis erreicht werden kann.
An keiner Stelle ist jedoch angegeben, dass die verschiedenen zur Bestimmung der Clearance nötigen Flusswerte (Blutfluss, Dialysatfluss) die eingestellten Werte sein sollen. Eingestellte Werte zu berücksichtigen, scheint auch nicht im Einklang mit dem Ziel dieses Dokuments zu sein, da gerade die reale, vorhandene Clearance, und nicht eine theoretische, ermittelt werden soll.
Von der mangelnden Relevanz abgesehen, hat die Einsprechende auch keinen triftigen Grund genannt, warum sie das Dokument so spät im Verfahren vorgelegt hat. Namentlich ist die Vorlage nicht durch neues Vorbringen der Kammer oder der Patentinhaberin begründet.
D16 wird daher gemäß Artikel 13 VOBK nicht in das Verfahren zugelassen.
3.2 Hauptantrag - Neuheit gegenüber D1, bzw. einer Zusammenschau von D1 und D2.
D1 und D2 sind zwei Prospekte, die die gleiche Dialysemaschine (Fresenius 4008 H/S) allgemein beschreiben und auf einer Industrieausstellung im März 2001 verteilt worden sind. Da, wie weiter unten ersichtlich, der Gegenstand gemäß Anspruch 1 neu ist, erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob im Rahmen der Neuheitsprüfung eine Zusammenschau der Prospekte überhaupt zulässig ist.
Streitiges Merkmal von Anspruch 1 in der erteilten Fassung ist Merkmal d), insbesondere ob dem mathematischen Modell des Dialysators als Eingangsgrößen eingestellte Maschinenparameter zugeführt werden.
In den Prospekten (siehe insbesondere D1) ist mehrmals die Rede von effektiven Daten (effektive Clearance, effektiver Blutfluss, online-Berechnung der aktuell verabreichten Dialysedosis, effektiver Dialysierflüssigkeitsfluss, effektive Behandlungszeit, reale Behandlungsparameter).
Die Einsprechende stritt diese Tatsache nicht ab, sie meinte jedoch, dass der beanspruchte Begriff ,,eingestellt" die Eigenschaft ,,effektiv" umfasse, weil im Absatz [0029] und im Anspruch 6 der Patentschrift die Möglichkeit der Erstellung der Clearancewerte-Tabelle durch Messungen während der Therapie angesprochen werde.
Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Im Absatz [0008] der Patentschrift wird dargelegt: ,,Das mathematische Modell kann parallel zu einer tatsächlichen Messung Verwendung finden oder unabhängig von dieser angewendet werden." Daraus wird ersichtlich, dass die Benutzung von Messwerten zusätzlich zu der Benutzung der eingestellten Parameter stattfinden kann. Auch die Messungen, die im Anspruch 6, der von Anspruch 1 abhängig ist, erwähnt sind, sind zusätzliche Merkmale zu den eingestellten Maschinenparametern im Anspruch 1, dessen Merkmale Anspruch 6 zwangsläufig beinhaltet. Dies entspricht der gängigen Definition des Erfindungsgegenstands in unabhängigen und abhängigen Patentansprüchen. Die Bereitstellung von einer Vorausberechnung der Clearance, bzw. der Dialysedosis auf der Basis von eingestellten Werten im Einklang mit der im Streitpatent angegebene Absicht, einen prognostizierten bzw. vorausberechneten Wert der Dialysedosis jederzeit zur Verfügung zu stellen, was z.B. am Ende von Absatz [0008] der Beschreibung als Ziel bzw. Wirkung der Erfindung angeführt wird: ,,Es ermöglicht die Anzeige eines prognostizierten Endwertes Kt/V. Diese Anzeige ist jederzeit aktuell verfügbar. Auf diese Weise kann für unterschiedliche Maschineneinstellungen mit variierenden Maschinenparametern jeweils die Dialysedosis vorausbestimmt werden ohne zunächst die Auswirkungen der veränderten Maschinenparameter abwarten zu müssen." (Unterstreichung von der Kammer hinzugefügt).
Die Einsprechende meinte außerdem, dass die effektiven Werte, die in D1 erwähnt werden, nichts anderes als die eingestellten Werte bis auf einen Korrekturfaktor seien, und daher als äquivalent oder gleichwertig mit den eingestellten Werten zu betrachten seien.
Auch dieses Argument vermag die Kammer nicht zu überzeugen, da der Anspruch die eingestellten Werte und nicht die effektiven Werte spezifiziert, was für die Neuheitsprüfung einen Unterschied darstellt. Darüber hinaus wird in D1 erwähnt, dass eine Online-Überwachung der Clearance und eine Online-Berechnung der aktuell verabreichten Dialysedosis Kt/V in der Maschine stattfinden (siehe D1, Seite 2), was darauf hindeutet, dass die realen, also die gemessenen Behandlungsparameter berücksichtigt werden. Diese Beziehung zwischen ,,real" und ,,effektiv" wird auch auf Seite 3 von D1 angesprochen, wo erläutert wird, dass unter Einbeziehung aller maßgeblich die Dialysetherapie beeinflussenden realen Behandlungsparameter, wie z.B. effektiver Blutfluss, effektiver Dialysierflüssigkeitsfluss oder effektive Behandlungszeit, die Clearance ermittelt und die Dialysedosis berechnet wird. ,,Effektiv" wird demnach hier mit ,,real" gleichgestellt, was wiederum darauf hindeutet, dass ,,effektiv" mit ,,gemessen" gleichzustellen ist.
Nach Auffassung der Kammer ist also D1, bzw. einer Zusammenschau von D1 und D2, nicht direkt und eindeutig zu entnehmen, dass die eingestellten Maschinenparameter als Eingangsgrößen einem mathematischen Modell für die Ermittlung der Clearance zugeführt werden.
Die Einsprechende meinte des Weiteren, dass Merkmal f) für die Analyse der Neuheit nicht zu berücksichtigen sei. Dieses Merkmal habe keinen technischen Gehalt, da es nur eine Berechnung eines Wertes verlange. Da in der Maschine gemäß D1 ferner eine Recheneinheit vorhanden sei, sei dieses Merkmal auf jeden Fall vorweggenommen.
Schon das zwangsläufige Vorhandensein einer Recheneinheit vermittelt diesem Merkmal einen technischen Gehalt. Zusätzlich erlaubt die Berechnung bzw. die Bereitstellung des Wertes der Dialysedosis in einem weiteren Schritt dessen Anzeige, was wiederum eine Optimierung der Dialysebehandlung in einem frühen Stadium erlaubt, wie es den Absätzen [0007] und [0008] der Patentschrift zu entnehmen ist. Auch wenn in der Maschine gemäß D1 unbestritten eine Recheneinheit vorhanden ist, so ist diese nicht mit den Maschinenparameter-Einstellmitteln verbunden, da in D1 die eingestellten Parameter für die dort vorgenommenen Berechnungen keine Rolle spielen.
Merkmal d) und Merkmal f), sind daher neu gegenüber D1, bzw. einer Zusammenschau von D1 und D2.
3.3 Der Einspruchsgrund der mangelnden Neuheit gemäß Artikel 100(a) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in unverändertem Umfang nicht entgegen.
4. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
4.1 Die Einsprechende hat mehrere Einwände in Bezug auf fehlende erfinderische Tätigkeit vorgetragen:
D1 und Fachwissen
D1 und D3 oder D3 und D1
D3 und Fachwissen
D3 und D10 oder D10 und D3
D11 und D1 oder D11 und Fachwissen
D3 und D15.
4.2 Nächstliegender Stand der Technik
D1 wurde oben bereits analysiert.
D3 betrifft ein Verfahren zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit eines Dialysators einer Dialysevorrichtung während einer Dialysebehandlung, mit dem Ziel die Reinigungsleistung des Dialysators während der Dialysebehandlung laufend überwachen zu können (siehe Absatz [0042]). Das Verfahren soll bekannte in vivo Messverfahren, insbesondere solche bei denen laufend Ionenkonzentrationsmessungen stattfinden (siehe Absatz [0011]), die eine verhältnismäßig lange Messzeit verlangen, verbessern (siehe Absatz [0014]). Die Leitfähigkeit wird bei bestimmten Dialysierflüssigkeits-, Blutfluss- und Ultrafiltrationsrate vor und nach dem Dialysator, Dialysierflüssigkeitseingangseitig bzw. -ausgangseitig vor und nach einer Erhöhung der Na-Konzentration in der Dialysierflüssigkeit gemessen. Aus den Messwerten ist es, mittels eines mathematischen Modells möglich die zeitabhängige Clearance zu bestimmen (siehe Absätze [0034] bis [0038]). Der zeitliche Verlauf der Clearance während der Behandlung wird dann mittels der mathematischen Formel bzw. auf Basis von einzelnen Werten durch Mittelwertbildung berechnet (siehe Absatz [0039]). Damit soll die Reinigungsleistung des Dialysators während der Dialysebehandlung laufend überwacht werden (siehe Absatz [0042]). Gegenüber dem Stand der Technik verlangt daher das Verfahren aus D3 nur eine einzige Messung (siehe Absatz [0015]). Es kann auch eine Herstellertabelle gespeichert und benutzt werden (siehe Absatz [0016]).
Die Einsprechende meinte, dass die Benutzung der Ausdrücke ,,vorgegebene" sowie ,,beliebige" in Absatz [0016] darauf hindeute, dass eingestellte und nicht gemessene Werte für die Berechnungen benutzt würden. Somit würde auch in D3 die Clearance auf Basis von eingestellten Werten für Dialysierflüssigkeits-, Blutfluß- bzw. Ultrafiltrationsrate berechnet werden.
Die Kamer teilt diese Auffassung nicht. Wie im Absatz [0019] bzw. [0031] angegeben, werden die entsprechenden Raten entweder direkt gemessen, oder als Ersatz für eine direkte Messung werden die Förderrate der jeweiligen Pumpen (die mit den Flussraten korrelieren) erfasst. Keine Stelle in D3 deutet darauf hin, dass die vom Fachpersonal eingegebenen bzw. eingestellten Werte von Blutfluss und Dialysatfluss benutzt werden, um die Clearance und die Dialysedosis vorauszuberechnen. D3 zielt einzig und allein darauf ab, die Entwicklung der Clearance während einer laufenden Behandlung ohne ständige Messung überwachen zu können. Dies erklärt, warum in D3 die tatsächlichen Förderraten der Pumpen erfasst werden, um den Wert der Clearance entweder zu berechnen oder aus einer Tabelle zu lesen. Das angegriffene Patent zielt hingegen darauf ab, eine Voraussage der (theoretisch) erreichbaren Dialysedosis machen zu können, ohne zunächst die Auswirkungen der veränderten Maschinenparameter abwarten zu müssen (siehe Absatz [0008] der Patentschrift).
In D3 werden folglich weder eingestellte Maschinenparameter benutzt, um die Clearance zu bestimmen, noch wird die Dialysedosis vorausberechnet. Merkmale d) und f) werden daher in D3 nicht offenbart. Da außerdem im Gegensatz zu D1 in D3 die Dialysedosis weder berechnet noch vorausberechnet wird, ist die Kammer der Auffassung, dass D1 den nächstliegenden Stand der Technik bildet.
Die Dokumente D10 und D11, die von der Einsprechenden im schriftlichen Verfahren auch als möglichen Ausgangspunkt betrachtet wurden, sind nach Auffassung der Kammer weiter entfernt.
In D10 wird der Zeitpunkt des Endes der Dialyse, bei der eine bestimmte Dialysedosis erreicht worden ist, bestimmt. Das Verfahren basiert auf Messungen der Ureakonzentration, die am Anfang der Dialyse (Spalte 4, Zeilen 39 bis 45) und mehrmals während der Dialyse (Spalte 5, Zeilen 23 bis 29) durchgeführt werden. Daraus wird der Zeitpunkt des Endes der Dialyse ermittelt (Spalte 5, Zeilen 30 bis 39). Die Dialyse wird beendet, wenn die gewünschte Ureakonzentration erreicht ist (Spalte 3, Zeilen 44 bis 53). Es wird weder offenbart, dass die Clearance ermittelt wird, noch dass eine solche Ermittlung auf Basis von eingestellten Maschinenparametern erfolgen sollte, noch dass die erreichbare Dialysedosis vorausberechnet wird.
Auch in D11 basiert eine Voraussage auf Messwerten. Im Absatz [0004] wird erläutert, dass im Stand der Technik die Dialysedosis auf Basis von augenblicklichen Werten errechnet wurde und im Absatz [0006] wird erläutert, dass es das Ziel sei, die bei der vom Arzt verschriebenen Behandlungszeit erreichte Dialysedosis zu ermitteln. Diese wird auf der Basis von Messwerten errechnet; siehe Absatz [0007]. Auch hier wird die Clearance auf der Basis von Messwerten ermittelt, und dann dazu benutzt, die Behandlungsrestzeit zu berechnen. Da die realen Bedingungen berücksichtigt werden, kann die vorgeschriebene Dialysedosis auch tatsächlich erreicht werden (Spalte 11, Absatz [0044]). Auch in diesem Dokument spielen die eingestellten Maschinenparameter keine Rolle und somit erfolgt keine Vorausberechnung der Dialysedosis auf deren Basis.
D10 und D11 sind daher nicht relevanter als D1.
4.3 Unterscheidende Merkmale
Ausgehend von D1, sind die unterscheidenden Merkmale, wie oben dargelegt, die Merkmale d) und f).
4.4 Technische Wirkung und objektive technische Aufgabe
Die technische Wirkung dieser unterscheidenden Merkmale besteht darin, dass vorausgesagt werden kann, welche Dialysedosis zu erreichen ist, bevor die eingestellten Parameter eine Wirkung auf den Patienten haben. Je nach Ergebnis, können sodann die Parameter wieder geändert werden. Da dadurch die Einstellung der Maschine vereinfacht ist, wird die Aufgabe des medizinischen Personals, eine bestimmte Dialysedosis als Zielvorgabe zu erreichen, erleichtert. Ferner wird der Patient einer geringeren Belastung ausgesetzt, da nicht bei jeder Änderung der Einstellung abgewartet werden muss, bis eine messbare Wirkung vorliegt.
Die objektive technische Aufgabe kann daher darin gesehen werden, dem medizinischen Personal die Handhabung der Dialysemaschine zum Erreichen eines bestimmten Behandlungsergebnisses zu erleichtern, ohne dabei den Patienten unnötiger Belastung auszusetzen.
4.5 Da wie oben bereits dargelegt keines der zitierten Dokumente D3, D10, D11 die eingestellten Maschinenparameter zur Ermittlung der Clearance bzw. zur Vorausberechnung der Dialysedosis benutzen, können diese Dokumente eine solche Benutzung auch nicht nahelegen.
Insbesondere und entgegen der Auffassung der Einsprechenden kann die Kombination von D1 mit D3 nicht zum Gegenstand gemäß Anspruch 1 führen. Nach Auffassung der Kammer würde eine solche Kombination, selbst um die Kosten der Bereitstellung einer Sensorik zu reduzieren, wie von der Einsprechenden dargelegt, höchstens zum Ersetzen der in der D1 benutzen Leitfähigkeitsmessungen durch das in der D3 angesprochene Modell für die Ermittlung der Clearance führen. Bei einem solchen Ersetzen würden jedoch die eingestellten Maschinenparameter immer noch keine Rolle spielen. Da außerdem in der D1 der Online-Überwachung der Clearance, also einer Überwachung des realen Wertes, große Wichtigkeit zugeschrieben wird, ist der Kammer nicht ersichtlich, aus welchem Grund der Fachmann den eingestellten Maschinenparametern, also den theoretischen Werten, eine größere Bedeutung beimessen und diese ersatzweise einbeziehen würde. Das Ziel der D1, den Behandlungsverlauf anhand von aktuellen Messwerten zu kontrollieren (Online-Überwachung) lehrt eher davon weg.
Dass dem Fachmann die Bedeutung der Dialysedosis als wichtigen Parameter für eine erfolgreiche Dialysebehandlung aus dem Fachbuch D15 bekannt war, was nicht bestritten wurde, ändert nichts an der Tatsache, dass keines der zitierten Dokumente, auch D15 nicht, die Vorausberechnung der Dialysedosis auf Basis der eingestellten Maschinenparameter nahelegt.
4.6 Die Kammer kommt somit zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von D1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
4.7 Da die erfinderische Tätigkeit ausgehend von dem nächstliegenden Stand der Technik untersucht wurde, und der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von den anderen zitierten Dokumenten, die weiter entfernt liegen, umso weniger nahegelegt werden kann, erübrigt sich eine Abhandlung dieser Angriffe der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (siehe z.B. R 13/13).
4.8 Der Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 100(a) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in unverändertem Umfang nicht entgegen.
5. Ausführbarkeit
Die Einsprechende behauptete, dass der Gegenstand gemäß Anspruch 4 wie erteilt nicht ausführbar sei, weil es unmöglich sei, das mathematische Modell für jeden erdenklichen Dialysator zu speichern, und weil nicht erkennbar sei, wie das mathematische Modell die Abhängigkeit der Clearance von beliebigen Maschinenparametern widerspiegeln solle.
Auch Anspruch 5 sei nicht ausführbar, da der dort erwähnte Korrekturfaktor viel zu allgemein sei.
Anspruch 4 lautet wie folgt:
,,Dialysemaschine nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass das mathematische Modell für jeden Dialysatortyp die Abhängigkeit einer Clearance KL unter Laborbedingungen von Maschinenparametern enthält."
Die Kammer teilt die Auffassung der Patentinhaberin wonach die Anzahl der in Frage kommenden Dialysatoren begrenzt ist, da es nur eine geringe Anzahl von Dialysatorherstellern gibt und es keinen ungebührlichen Aufwand darstellt, für einen bestimmten Dialysator die gewünschten Werte in einem Labor zu ermitteln. Die gewünschten Werte werden meistens von den Herstellern angegeben (siehe Absatz [0026] des Patents). Die Anzahl der infrage kommenden Dialysatortypen reduziert sich außerdem dadurch, dass nicht jeder Dialysatortyp in jeder Maschine benutzt werden kann. Bezüglich der im Anspruch 4 definierten Maschinenparameter ist die Kammer der Auffassung, dass nicht irgendwelche beliebige Maschinenparameter, sondern nur diejenigen, die für den beanspruchten Gegenstand von Bedeutung sind, gemeint sein können. Anspruch 1 erwähnt in dieser Hinsicht explizit zwei Parameter, Blutfluss und Dialysatfluss, umfasst aber die Berücksichtigung von zusätzlichen Maschinenparametern.
Anspruch 5 verlangt, dass in dem mathematischen Modell ein Korrekturfaktor C(t) vorgesehen ist, der die Verminderung der Filterleistung über die Therapiezeit angibt, wobei dann die Clearance K = KL * C(t) ist. Wie von der Einsprechenden selbst zugegeben, offenbart das Streitpatent im Absatz [0024] ein Modell für einen solchen Korrekturfaktor, so dass nach Auffassung der Kammer schon deswegen die Erfordernisse der Ausführbarkeit erfüllt sind.
Der Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit gemäß Artikel 100(b) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in unverändertem Umfang nicht entgegen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrechterhalten.