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T 0614/13 25-02-2016
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Teilaromatische Polyamidformmassen und deren Verwendungen
Arkema France
Kingfa Sci. & Tech. Co. Ltd.
Ausreichende Offenbarung - (ja) Hauptantrag
Neuheit - (ja) Hauptantrag
Erfinderische Tätigkeit - (ja) Hauptantrag
I. Die Beschwerden der Einsprechenden Arkema France (Beschwerdeführerin I) und der Einsprechenden/Beitretenden Kingfa Sci. & Tech. Co. Ltd. (Beschwerdeführerin II / Beitretende) richten sich gegen die in der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2012 verkündeten, und am 22. Januar 2013 zur Post gegebenen Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent EP 1 988 113 zurückzuweisen.
II. Das erteilte Patent enthielt 32 Ansprüche, wobei der unabhängige Anspruch 1 wie folgt lautete:
"1 Polyamid-Formmasse mit folgender Zusammensetzung:
(A) 30 - 100 Gew.-% wenigstens eines Copolyamids 10T/6T, wobei dieses aufgebaut ist aus
(A1) 40 bis 95 Mol-% 10T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,10-Decandiamin und Terephthalsäure
(A2) 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,6-Hexandiamin und Terephthalsäure
(B) 0 - 70 Gew.-% Verstärkungs- und/oder Füllstoffe
(C) 0 - 50 Gew.-% Additive und/oder weitere Polymere
wobei die Komponenten A bis C zusammen 100% ergeben,
mit der Massgabe, dass in der Komponente (A) unabhängig voneinander in (A1) und/oder (A2) bis zu 30 Mol-%, bezogen auf die Gesamtmenge der Dicarbonsäuren, der Terephthalsäure ersetzt sein können durch andere aromatische, aliphatische oder cycloaliphatische Dicarbonsäuren mit 6 bis 36 Kohlenstoffatomen,
und mit der Massgabe, dass in der Komponente (A) unabhängig voneinander in (A1) und/oder (A2) bis zu 30 Mol% von 1,10-Decandiamin respektive 1,6-Hexandiamin, bezogen auf die Gesamtmenge der Diamine, ersetzt sein können durch andere Diamine mit 4 bis 36 Kohlenstoffatomen,
und mit der Massgabe, dass nicht mehr als 30 Mol-% in der Komponente (A), bezogen auf die Gesamtmenge der Monomeren, durch Lactame oder Aminosäuren gebildet sein können,
und mit der Massgabe, dass die Summe der Monomere, die Terephthalsäure, 1,6-Hexandiamin und 1,10-Decandiamin ersetzen, eine Konzentration von 30 Mol-% in Bezug auf die Gesamtmenge der in Komponente A eingesetzten Monomere nicht überschreitet."
Die Ansprüche 2 bis 32 waren auf bevorzugte Ausführungsformen vom Anspruch 1 gerichtet.
III. Am 8. Juli 2010 wurde Einspruch gegen das Patent eingelegt. Die Einsprechende machte den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100(a) EPÜ (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit) und 100(b) EPÜ geltend.
IV. Mit Schreiben von 27. September 2012, eingegangen am 28. September 2012 zeigte die Kingfa Sci. & Tech. Co. Ltd. (CN) ihren Beitritt zum Verfahren als vermeintliche Patentverletzerin an und legte Einspruch ein. Die Beitretende beantragte das angegriffene Patent aufgrund der Artikel 100 (a) (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), (b) und (c) EPÜ zu widerrufen.
V. Die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung fand am 14. Dezember 2012 statt. Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung den Einspruch der Einsprechenden Arkema France (Einsprechende 1) zurückgewiesen und den "... Einspruch der Einsprechenden Kingfa Sci. & Tech. Co. Ltd. ... als unzulässig verworfen", weil die Beitretende nicht hinreichend nachgewiesen habe, dass ihr die Klageschrift (beim Landgericht Düsseldorf von der Patentinhaberin gegen die Beitretende eingereichte Klage auf Verletzung des Streitpatents) erst am 3. Juli 2012 zugestellt wurde, und damit die Erklärung des Beitritts mit Schreiben vom 27. September 2012 rechtzeitig erfolgte.
VI. Gegen diese Entscheidung legten sowohl die Einsprechende 1 (am 7. März 2014) als auch die Beitretende (am 26. März 2013) Beschwerde ein.
VII. Die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin I (Einsprechende 1) wurde am 22. Mai 2013 eingereicht. Weitere Angaben wurden mit Schreiben von 20. August 2013, 17. Juni 2014, 4. Mai 2015, 26. November 2015 sowie 23. Dezember 2015 gemacht. Zusammen mit dem Schreiben vom 17. Juni 2014 wurden die neuen Dokumente D31, D32 und D33 eingereicht. Zusammen mit dem Schreiben vom 4. Mai 2015 wurde D37 eingereicht.
VIII. Die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin II (Beitretende) wurde am 28. Mai 2013 eingereicht. Weitere Angaben wurden mit Schreiben von 30. August 2013, 23. September 2013, 19. März 2014, 5. Juni 2014, 17. Juni 2014, 8. Juli 2014, 5. Mai 2015, 1. Juli 2015 und 22. Dezember 2015 gemacht. Zusammen mit dem Schreiben vom 1. Juli 2015 wurden die neuen Dokumenten X1 und X2 eingereicht.
IX. Die Beschwerdeerwiderung und weitere Angaben der Patentinhaberin erfolgten am 21. und 27. Juni 2013, 10. September 2013, 13. November 2013, 3., 7. und 15. April 2014, 25. August 2014, 26. September 2014, 6. und 24 November 2014, 27. August 2015 und 1. Dezember 2015. Hilfsanträge 1 bis 7 wurden mit dem Schreiben vom 1. Dezember 2015 eingereicht.
X. Eine erste mündliche Verhandlung fand am 2. Juli 2015 statt. Die Zwischenentscheidung der Kammer wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet. Die angefochtene Entscheidung wurde aufgehoben, soweit der Einspruch der Einsprechenden Kingfa Sci. & Tech. Co. Ltd. als unzulässig verworfen wurde. Die Beschwerde der Beitretenden und der Beitritt wurden für zulässig erklärt.
XI. Mit Mitteilung nach Regel 115(1) EPÜ vom 14. August 2015 wurden die Beteiligten zu einer zweiten mündlichen Verhandlung geladen und eine vorläufige Meinung der Kammer wurde am 12. Januar 2016 geschickt. Die mündliche Verhandlung fand am 25. Februar 2016 statt. Eine Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.
XII. Folgende von den Parteien im Beschwerdeverfahren zitierte Dokumente sind für diese Entscheidung relevant:
Eingereicht während des Einspruchsverfahren:
D1: US 2004/077769 A1
D8: Übersetzung von JP 7 331063 A
D9: Übersetzung von JP 7 126381 A
D10: Übersetzung von JP 2002 293926 A
D12a: Übersetzung von JP 2002 293927 A
D16: M. I. Kohan, Nylon Plastics Handbook, Carl Hanser Verlag, 1995, Seiten 365-377
D17: EP 0 659 799 A2
Eingereicht mit Schreiben der Beschwerdeführerin II/Einsprechende II vom 17. Juni 2014:
D31: Erklärung von Herrn Capelot vom 12. Juni 2014
D31vK: Vergleichsversuche "Technical Protocol Part II of EP1988113 Tests" von Dr. Zhang
D32: 2 Versuchsreihen "Essais Comparatifs", undatiert
D33: EP 1505099 A2
D34: EP 0449466 A1.
Eingereicht mit Schreiben der Beschwerdeführerin II/Einsprechende II vom 5. Mai 2015:
D37: Erklärung von Herrn Capelot vom 26. März 2015.
D38: M. I. Kohan, Nylon Plastics Handbook, Carl Hanser Verlag, 1995, Seiten 41-45
Eingereicht mit (zwei) Schreiben vom 1. Juli 2015 der beiden Beschwerdeführerinnnen/Einsprechende vom 1. Juli 2015
X1: GB 1085816
X2: GB 1030344
Y1 und Y2: Tabellen und Diagram. Eingericht am 01. Juli 2015 durch die Beschwerdeführerin II
XIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin I (Einsprechende 1) und Beschwerdeführerin II (Beitretende) lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Auslegung des Anspruchs
Anspruch 1 betreffe eine Polyamid-Formmasse auf Basis eines Copolyamids 10T/6T mit 5-60 Mol.-% 6T Einheiten. Da die 2. Massgabe den Ersatz von bis zu 30 Mol.-% 1,6-Hexandiamin durch andere Diamine mit 4 bis 36 Kohlenstoffatome erlaube, würde sich der Gegenstand von Anspruch 1 auch auf Polyamide erstrecken, die keine 1,6-Hexandiamin enthalten, z.Bsp Homopolyamid 10T.
Offenbarung
Anspruch 1
D31, D32 und D37 zeigten, dass nicht alle Polyamide, die unter Anspruch 1 fallen und insbesondere diejenigen, die durch die vier Maßgaben des Anspruchs 1 definiert sind, sich spritzgiessen lassen oder einen Schmelzpunkt oder (HDT) über 260°C aufweisen würden. Da das Patent auch kein Beispiel über diese Polyamide-Formmassen enthält, wäre der Fachmann nicht in der Lage, diese Formmassen über den ganzen beanspruchten Bereich auszuführen, zumal niedrigmolekulare Polymere vom Anspruch 1 mitumfasst sind. Die Frage, ob die beanspruchten Formmassen den technischen Effekt zeigen, ist auch eine Frage der ausreichenden Offenbarung. Aus D31vK und D38 sei nicht erwiesen, dass die Formmassen der Beispiele 1A und 1B gemäss Anspruch 1 des Hauptantrags seien. Somit erfülle Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht.
Anspruch 2
Der Fachmann sei nicht in der Lage, den Schmelzpunkt gemäß Anspruch 2 zu messen, da die ISO Norm, welche in Anspruch 2 angegeben ist, nicht identifizierbar wäre. Somit erfülle Anspruch 2 die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht.
Anspruch 3
In der Beschreibung des Streitpatents sei nicht gezeigt, wie der Fachmann Polyamid-Formmassen mit einer Wasseraufnahme unter 5% erhalten könnte. Die Verhältnisse, die es erlauben, die Wasseraufnahme einzustellen, seien im Streitpatent nicht definiert. Somit erfülle Anspruch 3 die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht.
Anspruch 22
Da der Begriff "langfaser" im Streitpatent nicht definiert sei, wäre der Fachmann nicht in der Lage, den Gegenstand von Anspruch 22 durchzuführen. Somit sei Anspruch 22 unzureichend offenbart.
Anspruch 23
Durch den Rückbezug von Anspruch 23 auf Anspruch 15 erstrecke sich der beanspruchte Gegenstand auf Polyamid-Formmassen, die eine mittlere Korngrösse von 30-200 mym aufweisen und gleichzeitig auf Formmassen, die Glasfaser mit einer Länge von 20 mym bis zu 50 mym enthalten. Da nicht erläutert sei, wie dies zu realisieren ist, erfülle Anspruch 23 die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ nicht.
Neuheit
X1 und X2 betreffen ein Verfahren zur Herstellung von Polyamiden durch Kondensationspolymerisation von 80 Mol-% eines Salzes von Decamethylendiamin und Terephthalsäure und 20 Mol-% eines Salzes von Hexamethylenediamin und Sebacinsäure. Durch statistische Verteilung der Einheiten würde das resultierende Copolyamid die Einheiten 10T und 6T in Mengen enthalten, die in den beanspruchten Bereich von 40 bis 95 Mol-% 10T-Einheiten und 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten fallen. Diese Polyamide seien formbar, da sie schmelzgesponnen wurden. Somit sei der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu gegenüber X1 und X2.
Erfinderische Tätigkeit
Der nächstliegende Stand der Technik sei entweder D1, D8, D9, D10, D12 oder D17. Ausgehend von D10 unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 dadurch, dass das Copolyamid (A) 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten enthalte. Die Beispiele des Streitpatents zeigten keinen Vorteil der beanspruchten Polyamid-Formmassen gegenüber derjenigen aus D10. Der Schmelzpunkt der beanspruchten Polyamid-Formmassen sei nicht wesentlich kleiner als derjenige, der für Polyamid 10T gemessen worden sei. Auch die mechanischen Eigenschaften oder die Wasseraufnahme der hergestellten Copolyamide sei nicht verbessert worden. Die Aufgabe, die gegenüber D10 durch den beanspruchten Gegenstand gelöst sei, sei die Bereitstellung alternativer Polyamid Formmassen.
Aus D16 wisse der Fachmann bereits, dass der Schmelzpunkt von Copolyamid 10T/6T jeweils kleiner sein muss als derjenige von Homopolyamid 10T und Homopolyamid 6T. Der Fachmann könnte daher anhand des Fachwissens aus D16 bei Bedarf den Schmelzpunkt der Polyamid-Formmasse durch den kontrollierten Einsatz von bestimmten Diaminen im Copolyamid (A) einstellen. In diesem Zusammenhang sei der Einsatz von Decandiamin in Polyamid 6T aus D16 schon offenbart. Auch D34 zeige, dass Hexandiamin und Decandiamin in Polyamid-Formmassen geläufig sei. Somit sei der Gegenstand von Anspruch 1 nicht erfinderisch gegenüber D10.
Der beanspruchte Gegenstand sei auch im Hinblick auf D12 nicht erfinderisch. Im wesentlichen ähnelte D12, D10. D12 sei aber besser geeignet als D10, da D12 keine Lehre über schlechte Eigenschaften von Polyamid 6T enthalte.
XIV. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Auslegung des Anspruchs
Die Maßgaben, die in Anspruch 1 definiert sind, sind im Rahmen der Definition von (A1) zu verstehen. Somit müsse das Copolyamid (A) sowohl 10T als auch 6T Einheiten enthalten.
Offenbarung
Anspruch 1
Das Streitpatent enthalte zahlreiche Beispiele über die beanspruchten Polyamid-Formmassen. Insbesondere zeigten D32 und D37, dass die Copolyamide 10T/6T gemäß Streitpatent eine Formmasse ergeben würden. Anspruch 1 betreffe Polyamid-Formmassen und nicht niedrigmolekulare Copolyamide, die als solche nicht formbar wären. D31 enthalte keine weiteren Angaben über die Herstellung der ausgewählten Formmassen. Somit sei die Aussage von D31 eine reine Behauptung. Ob der technische Effekt durch den Gegenstand des Anspruchs erreicht sei oder nicht, sei eine Frage der erfinderische Tätigkeit und nicht der ausreichenden Offenbarung. Somit erfülle Anspruch 1 die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.
Anspruch 2
Der Fachmann sei wohl in der Lage, den Schmelzpunkt gemäß Anspruch 2 zu messen, da die ISO Norm, welche in Anspruch 2 angegeben ist, bekannt sei. Dies sei auch in D32 und D37 gezeigt. Somit erfülle Anspruch 2 die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.
Anspruch 3
Der Fachmann sei in der Lage, die Wasseraufnahme von Polyamid-Formmassen durch die Anwesenheit der Copolyamideeinheiten einzustellen und zu bestimmen. Dies sei auch in D31vk gezeigt worden. Somit erfülle Anspruch 3 die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.
Anspruch 22
Die Abschnitte 58 und 59 des Streitpatents versetzten den Fachmann zusammen mit dem Rest der Beschreibung und seinem allgemeinen Fachwissen ohne weiteres in die Lage, den Gegenstand von Anspruch 22 durchzuführen.
Anspruch 23
Der Fachmann würde den Anspruch so lesen, dass sein Gegenstand auch technisch sinnvoll bleibe. Somit erstrecke sich Anspruch 23 nicht auf widersprüchliche Anforderungen. Somit erfülle Anspruch 23 die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.
Neuheit
Die Mengen der Einheiten 10T und 6T, die sich tatsächlich in den hergestellten Copolyamiden der X1 und X2 befinden, seien in diesen Dokumenten nicht unmittelbar offenbart. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Verteilung der Einheiten der benannten Copolyamide statistisch sei. Somit sei der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber X1 und X2.
Erfinderische Tätigkeit
D10 sei der nächstliegende Stand der Technik. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von D10 dadurch, dass das Copolyamid (A) eine 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten enthalte. Die Beispiele des Streitpatents zeigten, dass die beanspruchten Polyamid-Formmassen eine verbesserte Kristallisation aufweisen. Insbesondere sei die Oberflächenqualität der hergestellten Formmassen verbessert. Aus D10 finde der Fachmann keine Motivation, genau 1,6-Hexandiamin mit 1,10-Decandiamin zu kombinieren, um Polyamid-Formmassen zu erhalten. Auch aus D16, sofern man dieses Dokument überhaupt in Betracht ziehen würde, erhalte der Fachmann keinen Hinweis, ein Copolyamid 10T/6T herzustellen. Somit sei der Gegenstand von Anspruch 1 erfinderisch gegenüber D10.
XV. Die Beschwerdeführerinnen (Einsprechende 1 und Beitretende) beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 988 113.
XVI. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerden zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent auf der Grundlage der mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 7 aufrechtzuerhalten.
Hauptantrag (erteilte Fassung)
1. Auslegung der Patentansprüche
Anspruch 1
1.1 Anspruch 1 des Hauptantrags betrifft eine Polyamid-Formmasse, welche (A) 30-100 Gew.-% wenigstens eines Copolyamids 10T/6T enthält, wobei dieses aufgebaut ist aus (A1) 40-95 Mol-% 10T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,10-Decandiamin und Terephthalsäure (A2) 5-60 Mol-% 6T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,6-Hexandiamin und Terephthalsäure. Laut Anspruch 1 ist Copolyamid 10T/6T daher ein wesentliches Merkmal der Polyamid-Formmasse. Ein solches Copolyamid enthält somit zwangsläufig 10T- und 6T- Einheiten, also Einheiten gebildet aus den Monomeren 1,10-Decandiamin und Terephthalsäure (10T-Einheiten) sowie Einheiten gebildet aus den Monomeren 1,6-Hexandiamin und Terephthalsäure (6T-Einheiten).
1.2 Darüber hinaus lassen die in Anspruch 1 bezeichneten Maßgaben gewisse Modifikationen vom Copolyamid 10T/6T zu. So kann gemäß Anspruch 1
(1) ein Anteil von nicht mehr als 30 Mol-% (bezogen auf die Gesamtheit der vorhandenen Dicarbonsäuren) der Terephthalsäure ersetzt sein, durch andere Dicarbonsäuren mit 6-36 Kohlenstoffatomen,
(2) ein Anteil von nicht mehr als 30 Mol-% (bezogen auf die Gesamtheit der vorhandenen Diamine) von 1,10-Decandiamin respektive 1,6-Hexandiamin ersetzt sein durch andere Diamine mit 4-36 Kohlenstoffatomen,
(3) ein Anteil von nicht mehr als 30 Mol-% (bezogen auf die Gesamtheit der vorhandenen Monomere) durch Lactame oder Aminosäuren gebildet werden,
mit der Maßgabe, dass (4) die Summe der Monomere, die Terephthalsäure, 1,10-Decandiamin und 1,6 Hexandiamin ersetzen, nicht mehr als 30 Mol-% ausmachen.
1.3 Aus der Formulierung des Anspruchs "mit der Maßgabe" ergibt sich, dass die Prozentzahlen der 1. bis 4. Maßgaben sich respektive auf die Gesamtheit der Dicarbonsäuren in Mol (Maßgabe 1), die Gesamtheit der Diamine in Mol (Maßgabe 2) und die Gesamtheit der Monomere (Maßgaben (3) und (4)) des Copolyamids 10T/6T beziehen. Somit ist der definierte Ersatz von jeweils nicht mehr als 30 Mol-% der Terephthalsäure oder der 1,6-Hexandiamin nur im Rahmen der Definition (A1) und (A2) zu verstehen. Würde man die Ersetzungen gemäß diesen Maßgaben so weit auslegen, dass beispielsweise gar kein 1,6-Hexandiamin mehr enthalten sein kann, so würde die Polyamid-Formmasse folglich kein Copolyamid 10T/6T mehr enthalten, sondern lediglich ein Homopolyamid 10T. Dies würde dann dem Anspruchswortlaut und der Beschreibung widersprechen, weil einerseits die Polyamid-Formmasse laut Anspruchsdefinition mindestens 30 Gew.-% Copolyamid 10T/6T enthalten muss und andererseits ein solches System im Streitpatent ausdrücklich als Vergleichsbeispiel dargestellt und in der Einleitung (vgl. [0005]) als Stand der Technik aufgeführt wird. Folglich kann der Fachmann die anspruchsgemäßen Maßgaben im Lichte der Beschreibung nicht so verstehen, dass sie erlauben, die in (A1) und (A2) von Anspruch 1 gesetzten Grenzen zu verlassen. Die Polyamid-Formmasse muss, um anspruchsgemäß zu sein, in jedem Fall ein Copolyamid 10T/6T enthalten, das wenigstens 40 Mol-% 10T Einheiten und wenigstens 5 Mol-% 6T Einheiten aufweist.
Anspruch 29
1.4 Anspruch 29 betrifft ein Verfahren zur Herstellung einer Polyamid-Formmasse nach einem der Ansprüche 1-19 und wird darüber hinaus durch den Polykondensationskatalysator und dessen Menge, die der Monomermischung bei der Herstellung der Komponente (A) zugesetzt wurde, definiert.
1.5 Trotz der anscheinenden Formulierung als abhängiger Verfahrensanspruch eines auf eine Formmasse gerichteten unabhängigen Anspruchs ist das beanspruchte Verfahren eindeutig auf die Herstellung des Produktes nach einem der Ansprüche 1-19 gerichtet. In diesem Verfahren wird demnach eine Polyamid-Formmasse hergestellt, die wenigstens 30-100 Gew.-% eines Copolyamids 10T/6T enthält, wobei dieses aufgebaut ist aus (A1) 40 bis 95 Mol-% 10T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,10-Decandiamin und Terephthalsäure, (A2) 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,6-Hexandiamin und Terephthalsäure und gegebenenfalls durch die in Anspruch 1 aufgestellten Maßgaben modifiziert werden kann. Insofern ist Anspruch 29 auf ein Verfahren zur Herstellung des Copolyamids 10T/6T (A) welches Copolyamid in Anspruch 1 definiert, gerichtet.
2. Offenbarung
Anspruch 1
2.1 Bei der Frage der ausreichenden Offenbarung ist zu klären, ob der Fachmann dem Patent genügend Informationen entnehmen kann, um die beanspruchten Polyamid-Formmasse gemäß Anspruch 1 herzustellen.
Diesbezüglich werden unter anderem folgende allgemeine Informationen im Streitpatent offenbart:
- die Art der geeigneten Komponente (A), (B) und (C) (Absätze 28 bis 36);
- geeignete Monomere und Mengenverhältnisse, die durch die Maßgaben des Anspruchs 1 ersetzt werden können (Absätze 40 bis 42);
- geeignete Verfahrensbedingungen (Absätze 46 bis 49).
2.2 In den Beispielen 1-15 wird ferner gezeigt, wie Polyamid-Formmassen aus einem Copolyamid 10T/6T mit variierenden Verhältnissen der Einheiten 10T und 6T durch Vorkondensation (Absatz 143) und Nachkondensation (Absätze 144 und 145) erhalten wurden und durch Spritzgussverfahren geformt werden konnten (Absatz 146).
2.3 Die Beschwerdeführerin I hat argumentiert, dass D31, D32 und D37 zeigten, dass die Erfindung nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar sei. Insbesondere würde das Streitpatent unzureichend offenbaren, wie Polyamid-Formmassen erhalten werden können, die eine nach den Maßgaben des Anspruchs 1 modifizierte Komponente (A) enthalten.
2.4 D31 beschreibt die Herstellung eines Copolyamids 11/6T/10T mit einem Verhältnis von 9,1%/27,3%/63,6% gemäß Anspruch 1 des Streitpatents. Die Schmelzetemperatur des Copolymers wurde mit DSC gemäß ISO 11357-3 (2011) (Heizrate und Kühlrate 20°C/min) gemessen und ist mit "weniger als 270°C" angegeben. Die inhärente Viskosität wurde gemäss ISO 307 (2007) mit 0,5% Konzentration in m-Kresol bei 20°C gemessen und beträgt 0,41. Die Molmasse des Copolyamids wurde durch Titrierung der Endgruppen gemessen und beträgt 3035 g/mol. Laut D31 konnte dieses Copolyamid aber nicht spritzgegossen werden, weil das Copolyamid zu flüssig war, sodass die Schubschnecke, die die Schmelze beim Einspritzen befördert, nicht richtig funktionieren konnte und somit die Erhaltung eines Formkörpers verhinderte. Einen experimentellen Nachweis über das Spritzgussverfahren dieses Copolyamids enthält D31 nicht. D31 gibt auch nicht an, welche Bedingungen beim Spritzgiessen der Zusammensetzung auf Basis von Copolyamid 11/6T/10T verwendet wurden. Die Beschwerdegegnerin machte geltend, dass Probleme beim Spritzgiessverfahren mehrere Ursachen haben können, wie zum Beispiel eine zu niedrige Molmasse des Polymers. Darüber hinaus erfordert das Spritzgiessen einer Polymerzusammensetzung spezifische Bedingungen. Die Beispiele des Streitpatents offenbaren, dass das Nachkondensat bzw. das Compound (B11-B15) mit einer Spritzgussmaschine Arburg Allrounder 320-210-750 zu ISO-Zugstäben bei definierten Zylindertemperaturen der Zonen 1 bis 4 und einer definierten Werkzeugtemperatur verspritzt wurde (Abschnitt 146, Tabelle 1). Auch D32, welches das Spritzgiessen verschiedener Zusammensetzungen von Copolyamide 6T/10T, Glassfasern und Talk beschreibt, zeigt, dass das Spritzgussverfahren eine spezifische Apparatur erfordert und das Einstellen mehrerer spezifischer Verfahrensparameter, wie die Spritzgusstemperatur, Formtemperatur, Rotationsgeschwindigkeit der Schnecke, Druck und Abkühlungszeiten. All diese Parameter sind in D31 nicht angegeben. Somit erlaubt es D31 nicht zu untersuchen, ob die Probleme, die beim Spritzgiessen laut Verfasser des D31 auftraten, an der Zusammensetzung des Copolyamids, an den Bedingungen während des Spritzgiessens oder an der Spritzgussmaschine selbst lagen.
2.5 Selbst wenn D31 zeigen würde, dass eine Zusammensetzung auf Basis von Copolyamid 11/6T/10T durch Spritzgiessen unter bestimmten Bedingungen nicht geformt werden könnte, wäre dies auch kein Nachweis, dass diese Zusammensetzung nicht durch eines der anderen üblichen Weiterverarbeitungsverfahren wie Extrusion oder Blasformen gemäß Abschnitt 104 des Streitpatents formbar wäre.
2.6 D32 (erste Versuche) zeigt die Herstellung von sechs Polyamid-Formmassen auf Basis von einem Polyamid aus PA6T/10T (65/35 Mol)). Die offenbarten Copolyamid-Formmassen enthalten 0, 10, 25, 35 und 50% Glasfasern oder 35% Talk, sind anhand einer Spritzgussmaschine alle formbar (Abschnitt 1.1.3) und sind dann alle gemäß Anspruch 1 des Streitpatents. D32 (zweite Versuche) beschreibt die Herstellung von Polyamid-Formmassen auf Basis von 49,65 Gew.-% einem Copolyamid 10T/6T/11 (61%/24,4%/14,6%) oder einem Copolyamid 10T/11 (66,6%/33,3%) mit 49,65% Gew.-% Glasfasern. In D32 wurden diese zwei Polyamid-Formmassen auch durch Spritzgussverfahren geformt. Da das Copolyamid 10T/11 keine 6T Einheiten enthält, wäre dann nur die Polyamid-Formmasse auf Basis von Copolyamid 10T/6T/11 gemäß Anspruch 1 des Hauptantrages. Ein ähnliches Copolyamid 11/6T/10T (29%/26%/45%) wird in D37 beschrieben und die daraus hergestellte Polyamid-Formmasse analysiert.
2.7 In D32 sowie in D37 wurden die Schmelzpunkte der hergestellten Polyamid Formassen nach ISO-75, Verfahren A bestimmt. D32 und D37 zeigen, dass keiner der Schmelzpunkte der gemessenen Polyamid-Formmassen über 260°C liegt.
2.8 Es wurde von der Beschwerdeführerin I argumentiert, dass dies eine unzureichende Offenbarung der Ansprüche darstellen würde. Dies betreffe Anspruch 1, weil damit gezeigt worden sei, dass nicht alle Polyamid-Formmassen gemäß Anspruch 1 den technischen Effekt eines Schmelzpunktes von über 260°C erreichen würden und Anspruch 2 weil, dieser Anspruch Polyamid-Formmassen betreffe, die durch einen Schmelzpunkt von mehr als 260°C gekennzeichnet wären.
2.9 Eine Aufgabe des Streitpatents ist laut Absatz 22 eine Polyamid-Formmasse zur Verfügung zu stellen, die unter anderem eine hohe Wärmeformbeständigkeit besitzt, wie es anhand des Schmelzpunktes über 270 °C oder HDT A eines mit 50% Glasfasern verstärkten Polyamids größer 260°C gezeigt wäre. Jedoch stellt ein solcher Effekt kein Merkmal des geltenden Anspruch 1 dar. Somit kann dieser Einwand, wenn überhaupt, nur für die Frage der erfinderischen Tätigkeit bzgl. der tatsächlich gelösten Aufgabe relevant sein, aber nicht für die Frage der ausreichenden Offenbarung.
2.10 Anspruch 2 ist eine weitere Spezifikation der Formmasse gemäss Anspruch 1. Als Unteranspruch charakterisiert Anspruch 2 das Produkt gemäss Anspruch 1 im Sinne einer weiteren bevorzugten Ausführungsform. Entsprechend gibt es demnach Formmassen die in den Umfang von Anspruch 1 fallen und die die Merkmale von Anspruch 2 nicht erfüllen. D32 und D37 zeigen allenfalls, dass nicht alle Polyamid-Formmassen gemäß unabhängigen Anspruch 1 die Kriterien des abhängigen Anspruchs 2 erfüllen. Somit stellen die Versuche von D32 und D37 keinen Nachweis dar, dass der Gegenstand von Anspruch 2 nicht ausführbar ist. Das Streitpatent enthält andererseits 18 Beispiele (B1 bis B18) von Polyamid-Formmassen gemäß Anspruch 2 des Hauptantrages und macht somit plausibel, dass der Fachmann Polyamid-Formmassen nach Anspruch 2 ausführen kann.
2.11 Beide Beschwerdeführerinnen haben auch im schriftlichen Verfahren geltend gemacht, dass Anspruch 1 nicht ausführbar sei, weil es für einen Fachmann nicht erkennbar sei, ob bei der 4. Massgabe auch der Gehalt an Aminosäuren und Lactamen zu berücksichtigen sei. Die 3. und 4. Massgaben beziehen sich allerdings zweifelsfrei immer auf die Gesamtheit aller Monomeren, somit kann nach 3. Massgabe ein Anteil von nicht mehr als 30 Mol.-% (bezogen auf die Gesamtheit der vorhandenen Monomere) durch Lactame oder Aminosäuren gebildet werden. Gemäss 4. Massgabe darf dabei aber die Summe der Monomere, die Terephthalsäure, 1,10-Dekandiamin und 1,6-Hexandiamin ersetzen nicht mehr als 30 Mol.-% ausmachen. Somit entnimmt daraus einen Fachmann eindeutig, dass die 3. und 4. Massgaben sich auf die Gesamtmenge der Monomeren beziehen, d.h. monomere Dicarbonsäuren, monomere Diamine, monomere Aminosäuren und monomere Lactame in dem Reaktionsgemisch zum Copolymer. Somit besteht bei den 3. und 4. Massgaben kein Mangel der Ausführbarkeit.
2.12 Bei D31vK handelt es sich um Vergleichsversuche der Beschwerdeführerin II nach dem Systeme des Typs 10T/66 hergestellt wurden, wobei Beispiel 1A als 10T/66 mit einem Molverhältnis 7/3 und Beispiel 1B als 10T/66 mit einem Molverhältnis von 8/2 angegeben wurde. Unter Punkt 4.1 offenbart D31vK die Herstellung eines Prepolymers ohne jedoch die Nachkondensation zu beschreiben. In der Tabelle 1 auf Seite 5 sind nur die Ausgangskomponenten aufgelistet, die Zusammensetzung der jeweiligen Copolymeren ist nicht offenbart. D31vK erwähnt unter Punkt 3, dass es sich bei den erhaltenen Copolymeren um 10T/66 Copolymere handelt. Somit sind die daraus hergestellten Formmassen nicht gemäss Anspruch 1 des Hauptantrags, da Anspruch 1 die Anwesenheit von "6T" Einheiten im Copolymer voraussetzt. Da D31vK zwei Beispiele von Formmassen enthält, die nicht gemäss Anspruch 1 sind, sind deren in D31vK gemessene Eigenschaften auch nicht relevant für die Ausführbarkeit des beanspruchten Gegenstands. Die nachgereichten Berechnungen der Molmassen dieser Copolymeren (auf Basis der Formeln aus D38) zeigen dann auch nicht, dass die Beispiele 1A und 1B für den beanspruchten Gegenstand relevant sind. Somit überzeugt die Argumentation der Beschwerdeführerinnen auf Basis von D31vK und D38 ebenfalls nicht.
Anspruch 2
2.13 Anspruch 2 betrifft den Schmelzpunkt einer Polyamid-Formmasse. Die Messung des Schmelzpunkts soll gemäß Beschreibung gemäß "ISO-Norm 11357-11-2" erfolgen. Es wurde nicht bestritten, dass der Verweis auf diese ISO Norm einen Fehler enthält, da die Endnummer "-11-2" dieser Norm falsch sei. Die Frage, die es in diesem Zusammenhang zu beantworten gilt, ist zu wissen, ob ein Fachmann dann anhand der Informationen des Streitpatents die passende Messmethode ermitteln kann. Diese Frage wurde von der Beschwerdeführerin I selbst in D32 und D37 positiv beantwortet. Diese zwei Dokumente enthalten Versuche über die Herstellung von Polyamid-Formmassen, wobei die Schmelzpunkte der verschiedenen Polymeren gemessen wurden. Darin wird offenbart, dass die ISO-Norm 11357-3 verwendet wurde. Somit zeigen D32 und D37 deutlich, dass ein Fachmann den Verweis auf die passende ISO-Norm 11357 ohne unzumutbaren Aufwand richtiggestellt hätte. Die Behauptung, dass die ISO-Norm 11357 zur Messung eines Schmelzpunkts am Anmeldetag des Streitpatents (20. März 2008) dem Fachmann nicht zur Verfügung stehen würde, wurde nicht durch Fakten belegt und wird sogar von Abschnitt 124 der D33 widersprochen, da dieses Dokument die ISO-Norm 11357 zur Bestimmung von Schmelzpunkten schon am 29. Juni 2004, Anmeldetag der D33, offenbart. Somit überzeugt der Einwand der Beschwerdeführerin I nicht.
Anspruch 3
2.14 Anspruch 3 betrifft eine Polyamid-Formmasse nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Komponente (A) und/oder die ganze Polyamid-Formmasse eine Wasseraufnahme von weniger als 5 Gew.-%, insbesondere von weniger als 4 Gew.-% aufweist nach 240h in Wasser bei 95°C.
2.15 Im vorliegenden Fall handelt es sich bei der Wasseraufnahme um einen durchaus üblichen Parameter der Formmasse, zu dessen Bestimmung auch Standardmessmethoden bekannt sind. Dies wurde nicht bestritten und ist auch aus der allgemeinen Diskussion der Wasseraufnahme von im Stand der Technik offenbarten Formmassen aus Polyamiden und Copolyamiden des Streitpatents ersichtlich (Absätze 3 bis 7). Auch D9 zeigt, dass die Einstellung der Wasseraufnahme von Polyamid-Formmassen zum allgemeinen Wissenstand des Fachmanns am Anmeldetag des Streitpatents gehörte. So wird zum Beispiel in Abschnitten 7 und 8 der D9 gelehrt, dass langkettigen aliphatischen Diamine, darunter 1,10-Decandiamin, das auch Gegenstand von Anspruch 3 ist, gerne verwendet werden, um das Wasseraufnahmevermögen des Polyamids zu senken.
2.16 Darüber hinaus enthält das Streitpatent mehrere Beispiele von Polyamid-Formmassen, für die die Wasseraufnahme bestimmt wurde und deren Werte gemäß Anspruch 3 des Streitpatents sind (Tabellen 1 bis 9). Somit zeigt das Streitpatent anhand zahlreicher Beispiele, wie Versuchsbedingungen sich einstellen lassen können, um eine Polyamid-Formmasse gemäß Anspruch 3 des Hauptantrags zu erhalten.
2.17 Der Einwand der Beschwerdeführerin II, wonach ein Fachmann nicht in der Lage wäre, die Wasseraufnahme der in Anspruch 3 offenbarten Polyamid-Formmasse so einzustellen, dass diese weniger als 5 Gew.-% nach 240h in Wasser bei 95°C beträgt, wurde durch Fakten nicht belegt. Der Hinweis auf die Wasseraufnahme im Abschnitt 2 der D10, der insbesondere Nylon 46 betrifft, ist im Kontext von Anspruch 3 nicht relevant, da diese Textstelle die Einstellung der Wasseraufnahme in anderen Polyamiden, als die die in Anspruch 3 des Streitpatents offenbart sind. Somit überzeugt der Einwand der Beschwerdeführerin II nicht.
Anspruch 22
2.18 Anspruch 22 betrifft ein Granulat, insbesondere langfaserverstärktes Stäbchengranulat, Halbzeug oder Formkörper aus einer Polyamid-Formmasse nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1-19 oder aus einer Polyamid-Mischung nach einem der Ansprüche 21 und 20, insbesondere bevorzugt zur Verwendung in feuchter und/oder nasser Umgebung.
2.19 Die Beschwerdeführerin II hat in Bezug auf Artikel 83 EPÜ argumentiert, dass der Gegenstand von Anspruch 22 nicht ausreichend offenbart sei, weil der Begriff "langfaserverstärkt" nicht im Streitpatent definiert sei. Die Herstellung von Polyamid-Formmassen mit Füll- und Verstärkungsstoffen ist in den Absätzen 50 bis 62 des Streitpatents beschrieben. Insbesondere kann die Herstellung von Polyamid-Formmassen durch die bekannten Verfahren zur Herstellung von langfaserverstärktem Stäbchengranulat, bei denen der endlose Faserstrang (Roving) mit der Polymerschmelze vollständig durchtränkt und anschließend abgekühlt und geschnitten wird, hergestellt werden (Absätze 58 bis 60). Das dafür verwendete Roving (Durchmesser, Querschnitt und Verhältnis der Querschnittsachsen) ist in Absatz 56 offenbart. Somit kann der Fachmann dem Streitpatent entnehmen, dass die für die Herstellung von langfaserverstärkten Granulaten benötigten Langfasern ein endloser Faserstrang (Roving) ist. Auch wenn Anspruch 22 keine Definition des Begriffes "langfaser" enthält, ist für den Fachmann aus der Beschreibung ersichtlich, was mit "langfaser" gemeint ist. Außerdem hat die Beschwerdeführerin II nicht gezeigt, inwiefern die fehlende Definition des Begriffes "langfaser" im Anspruch 22 dazu führt, dass es für den Fachmann nicht möglich ist, geeignete Fasern zu identifizieren, die beanspruchten Granulaten bzw. langfaserverstärkten Stäbchengranulaten Polyamid-Formmassen herzustellen. Gemäß Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA reicht es nicht notwendigerweise aus, zu zeigen, dass der Fachmann nicht weiß, ob er innerhalb oder außerhalb des Anspruchs arbeitet, um die nach Artikel 83 EPÜ vorgeschriebene ausreichende Offenbarung zu verneinen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 7. Auflage, 2013, II.C.7.2). Da dieser Einwand durch Fakten nicht belegt ist, hat er die Kammer nicht überzeugt.
Anspruch 23
2.20 Anspruch 23 betrifft ein Pulver aus einer Polyamid-Formmasse nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1-19 oder aus einer Polyamid-Mischung nach einem der Ansprüche 21 und 20, insbesondere bevorzugt mit einer mittleren Korngröße von 30-200 mym. Anspruch 23 ist auch abhängig von Anspruch 15, der Polyamid-Formmassen betrifft, wobei es sich bei der Komponente (B) wenigstens teilweise um Glas- und/oder Kohlenstofffasern handelt, wobei es sich vorzugsweise um Kurzfasern wie Schnittglas mit einer Länge von 2 - 50 mm oder um Endlosfasern handeln kann, und wobei die Fasern weiter bevorzugt von nicht-kreisförmiger Querschnittsfläche sind und ein Abmessungsverhältnis von der Hauptquerschnittsachse zur Nebenquerschnittsachse von mehr als 2, bevorzugt im Bereich von 2 bis 8, insbesondere von 2 bis 5 aufweisen. Somit argumentierte die Beschwerdeführerin I im schriftlichen Verfahren, dass ein Fachmann nicht in der Lage wäre, eine Pulver mit einer mittleren Korngröße von 30-200 mym herzustellen wenn diese Schnittglas mit einer Länge von 2 - 50 mm enthalten würde. Demnach interpretiert die Beschwerdeführerin I den Anspruch 23 so, dass Ihren Gegenstand gleichzeitig eine Pulver mit einer mittleren Korngröße von 30 - 200 mym und Schnittglas mit einer Länge von 2 - 50 mm betrifft.
2.21 Diese Interpretation entspricht nicht der allgemeinen Rechtsprechung, wonach ein Anspruch so zu lesen ist, dass er einen Sinn ergibt. Tatsächlich lautet das fragliche Merkmal des Anspruchs 23 "Pulver aus einer Polyamid-Formmasse nach einem der vorhergehenden Ansprüche 1-19 [...], insbesondere bevorzugt mit einer mittleren Korngröße von 30-200 um." und das fragliche Merkmal des Anspruchs 15 so "...der Komponente (B)wenigstens teilweise um Glas- und/oder Kohlenstofffasern handelt, wobei es sich vorzugsweise um Kurzfasern wie Schnittglas mit einer Länge von 2 - 50 mm " (Hervorhebung durch die Kammer). Somit handelt es sich bei der mittleren Korngrösse der Pulver und der Länge des Schnittglases um zwei optionale Merkmale, die in Anspruch 23 nicht zwangsläufig als Kombination offenbart sind. Diese Optionen lassen sich zwar rein linguistisch auch so verstehen, wie es die Beschwerdeführerin I gesehen hat, jedoch würde der verständige Leser dieses Merkmals diese Variante ausschließen, da sie technisch keinen Sinn ergibt. Die technisch sinnvollen Varianten dieses Merkmals, also die Herstellung eines Pulvers mit wenigstens teilweise Glas- und/oder Kohlenstofffasern stellt den Fachmann jedoch nicht vor Ausführungsprobleme. Der Gegenstand des Anspruchs 23 ist daher für den Fachmann ausführbar.
3. Neuheit
3.1 Von den Neuheitseinwänden gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags, die im Schriftlichen Verfahren vorgetragen worden sind, wurden in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nur die Neuheitseinwände auf Basis der Dokumente X1 und X2 aufrechterhalten.
3.2 X1 und X2 betreffen ein kontinuierliches Verfahren zur Herstellung von hochmolekularen linearen Polyamiden durch Kondensationspolymerisation von definierten Monomeren, welche Diammoniumsalze von dibasischen Säuren oder Aminocarbonsäuren sind (X1: Seite 4, Zeilen 24-35; X2: Seite 2, Zeilen 31-44). X1 und X2 betreffen insbesondere das Schmelzspinnen der offenbarten Polyamiden in Fäden, Filme, Bänder und ähnlich geformte Gegenstände, wenn sie auf diese Weise schmelzgesponnen sind (X1: Seite 11, Zeilen 55-58; X2: Seite 2, Zeilen 87-90). Die Kondensationspolymerisation erfolgt durch Einpumpen eines Gemisches aus Wasser und den genannten Monomeren in das Eintrittsende eines langen, engen, auf Polymerisationstemperaturen erhitzten Rohrs, so dass das Material sich beim Durchfluss durch das Rohr polymerisiert und wobei gegebenenfalls das aus dem Austrittsende des Rohres austretende Material weiter erhitzt wird, um die Polymerisation des Polyamids zu vervollständigen (X1: Seite 4, Zeilen 50-56; X2: Seite 2, Zeilen 64-86). Sowohl X1 (Seite 8, Zeile 16 bis Seite 11) als auch X2 (Seite 8, Zeile 31 bis Seite 13) offenbaren eine Auflistung von bestimmten Kombinationen an Monomeren, die mittels dieser Kondensationspolymerisation zur Interpolyamiden führen können. Die Argumentation der Beschwerdeführerin bezüglich X1 und X2 basiert insbesondere auf der Monomerkombination N°12 dieser Auflistung, die aus 80 Mol-% eines Salzes von Decamethylendiamin und Terephthalsäure und 20 Mol-% eines Salzes von Hexamethylenediamin und Sebacinsäure besteht (X1: Seite 9; X2: Seite 11). Das Interpolyamid aus der Monomerkombination N°12 wurde demnach aus den Monomeren Decamethylendiamin (d.h. 1,10-Decandiamin), Hexamethylenediamin (d.h. 1,6-Hexandiamin), Terephthalsäure und Sebacinsäure gebildet. Ob die Anteile der Einheiten 10T und 6T, die im Interpolyamid enthalten werden könnten, in den beanspruchten Bereich von 40 bis 95 Mol-% 10T-Einheiten und 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten fallen, ist weder aus X1 noch aus X2 unmittelbar zu entnehmen.
Ob die Verteilung der Einheiten, die das Interpolyamid N°12 ausmachen könnten, eine rein Statistische Verteilung ist, wie die Beschwerdeführerin II am 1. Juli 2015 und am 22. Dezember 2015 anhand der Unterlagen Y1 und Y2 zu zeigen versuchte, ist durch die zur Verfügung stehenden Dokumenten nicht belegt. Vielmehr deutet X2 darauf hin, dass die Struktur der sich wiederholenden Einheit des durch die in X2 offenbarte Kondensationspolymerisation erhaltenen Polyamids doch von der chemischen Struktur des Monomers bestimmt wird (Seite 1, Zeilen 70-80). Es wurde nicht gezeigt, dass die Auswahl der Monomerekombination N°12, die 1,10-Decandiamin, Terephthalsäure, 1,6-Hexandiamin und Sebacinsäure enthält, zu einem Polyamid mit 40 bis 95 Mol-% 10T-Einheiten und 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten führen würde. Somit wurde nicht gezeigt, dass das aus der Monomerkombination N°12 resultierende Polyamid gemäss Anspruch 1 des Hauptantrags ist. Da weder X1 noch X2 den beanspruchten Gegenstand vorweg nimmt sind diese Dokumente auch nicht relevant. Ansprüche 1 und 29 des Hauptantrages sind deshalb neu gegenüber X1 und X2.
3.3 X1 und X2 wurden von der Beschwerdeführerin II erst am 1. Juli 2015 eingereicht, d.h. mehr als zwei Jahre nach Beschwerdebegründung und ohne Angabe von Gründen, die deren Verspätung erklären könnten. Lediglich wurde von der Beschwerdeführerin II in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer aufgeführt, dass die Dokumente X1 und X2, die in den Jahren 1966 und 1967 veröffentlicht wurden, trotz ständiger Recherche erst spät in 2015 aufgrund einer neuen Recherche aufgefunden wurden, weil die internationale Klassifikation dieser Dokumenten (C08G19/00) zumindest in der aktuellen Ausgabe von 2015 nicht aufgeführt ist und diese auch mit der Klassifikation des Streitpatents (C08G69/26) nicht korrespondiert.
3.4 Nach Art. 12 (2) VOBK müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag eines Beteiligten enthalten und sollen unter anderem ausdrücklich und spezifisch alle Tatsachen, Argumente und Beweismittel anführen. Dennoch gelten neue Tatsachen, Dokumente und Beweismittel als rechtzeitig vorgebracht, wenn das Vorbringen durch ein Argument oder einen Punkt eines anderen Beteiligten oder durch die angefochtene Entscheidung veranlasst wurde und unter den gegebenen Umständen nicht hätte früher vorgetragen werden können. Diese Umstände treffen auf die Dokumente X1 und X2 aber nicht zu, da die verspätete Einreichung dieser Dokumente nach Aussage der Beschwerdeführerin II dem gewählten Recherchevorgang der Dokumente der Beschwerdeführerin II zuzuschreiben ist und somit nicht durch ein Argument eines anderen Beteiligten oder in der angefochtenen Entscheidung veranlasst wurde. Somit steht es nach Art. 13 (1) VOBK im Ermessen der Kammer, diese Dokumente im Beschwerdeverfahren zuzulassen und zu berücksichtigen. Zur Ausübung dieses Ermessens gilt nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer das Kriterium, dass neue Dokumente nur dann zum Verfahren zugelassen werden, wenn diese prima facie insofern hochrelevant sind, als sie mit gutem Grund eine Änderung des Verfahrensausgangs erwarten lassen, also höchstwahrscheinlich der Aufrechterhaltung des europäischen Patents entgegenstehen. Da weder X1 noch X2 für den Anspruchsgegenstand relevant sind, werden weder X1 noch X2 in das Verfahren zugelassen.
3.5 D1, D8, D9, D10, D12a und D33 wurden im schriftlichen Verfahren gegen die Neuheit des Hauptantrages zitiert. Diese Einwände wurden jedoch in der mündlichen Verhandlung nicht verfolgt. Dazu merkt die Kammer an, dass gemäß Auslegung des Anspruchs 1 des Hauptantrages diese Dokumente die Neuheit des beanspruchten Gegenstands nicht vorwegnehmen. Alle Angriffe ausgehend aus D1, D8, D9, D10, D12a und D33 basieren auf einer Auslegung des Hauptantrages, gemäß dem die Maßgaben des Anspruchs 1 es erlauben würden, kein 1,6-Hexandiamin im Copolyamid 10T/6T zu haben. Die Kammer befand jedoch (siehe oben), dass die Komponente (A) nach Anspruch 1 des Hauptantrages mindestens 5 Mol-% an 6T Einheiten aus den Monomeren 1,6-Hexandiamin und Terephthalsäure enthält, so dass das Copolyamid 10T/6T 1,6-Hexandiamin enthalten muss. Somit sind diese Offenbarungen für den Gegenstand der Patentansprüche bezüglich deren Neuheit nicht relevant.
3.6 Auch der Angriff ausgehend aus D1 als Ganzes oder alternativ aus dem Anspruch 6 vermag nicht zu überzeugen. Anspruch 6 von D1 betrifft eine Formmasse gemäß Anspruch 1 von D1. Diese Formmasse enthält 20-80 % eines Polyamids (a), 5-60 % Füllstoffe (b) und insgesamt 6-45 % Flammenhemmer (c)+(d). Das Polyamid (a) enthält nach Anspruch 1 (i) Terephthalsäure oder TA, (ii) ein Diamin mit 10 bis 20 Kohlenwasserstoffen und optional andere Diamine und (iii) Aminosäuren oder Lactame.
3.7 In Anspruch 6 wird eine Liste an Monomeren offenbart, wovon ein oder mehrere Polyamide abgeleitet werden. In der Liste des Anspruchs 6 befindet sich eine Kombination von Monomeren (TA, 10 und 6 - siehe 11. und 12. Zeilen des Anspruchs), die dem beanspruchten Gegenstand des Hauptantrages bezüglich der Art der vorhandenen Comonomeren entspricht. "TA" ist Terephthalsäure und entspricht somit (i) des Anspruchs 1 der D1. "10" ist ein Diamin mit zehn Kohlenwasserstoffen und entspricht somit (ii). "6" ist eine weitere Diamine, und nicht die Komponente (iii) (Aminosäure oder Lactame). "6" entspricht der optionalen Diamine der Komponente (ii) des Anspruchs 1 von D1. Die Kombination der drei Monomeren TA, 10 und 6 entspräche dann ein Polyamid mit TA als Komponente (i), 10 und 6 als (ii) und keine Komponente (iii) (die Menge ist im Anspruch mit 0 bis 25% Mol angegeben). Somit bleiben in D1 die Mengen der beiden Diamine 10 und 6 relativ zueinander unbekannt. Folglich werden die Molarverhätnisse der Komponenten A1 und A2 gemäß dem vorliegendem Anspruch 1 durch D1 nicht offenbart.
Somit wäre der beanspruchte Gegenstand des Hauptantrags neu. Darüber hinaus sind auch mehrere Auswahlschritte notwendig, um überhaupt nah an den beanspruchten Gegenstand zu kommen. Die Menge an Polyamid muss als 30-80 % ausgewählt werden. Man müsste auch davon ausgehen, dass die drei Monomeren zu einem einzigen Copolyamid gehören. Somit ist weder Anspruch 6 noch der Absatz 23 der D1 für den beanspruchten Gegenstand neuheitschädlich.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Das vorliegende Patent betrifft Polyamid-Formmassen auf Basis eines Terephthalsäure-Copolyamids (Absatz 1). Dem Patent liegt unter anderem die Aufgabe zugrunde, eine Polyamid-Formmasse zur Verfügung zu stellen, welche sowohl hinsichtlich der mechanischen Eigenschaften auch unter nassen oder feuchten Bedingungen als auch hinsichtlich der Verarbeitungsmöglichkeiten im Vergleich zum Stand der Technik verbessert ist (Absatz 14). Gemäß Streitpatent werden Polyamid-Formmassen zur Verfügung gestellt, die eine hohe Wärmeformbeständigkeit, gute Verarbeitbarkeit, niedrige Wasseraufnahme, unveränderte mechanische Eigenschaften nach Wasseraufnahme, gute Oberflächenqualität der glasfaserverstärkten Produkte und hohe Dimensionsstabilität aufweisen (Absatz 22).
4.2 D10 betrifft Polyamid-Formmassen, die eine gute Formbarkeit, eine niedrige Wasseraufnahme, eine hohe chemische Resistenz und gute Hitzeresistenz aufweisen (Zusammenfassung). Offenbart wird in diesem Zusammenhang ein Polyamid aufgebaut aus (i) 50-100 Mol-% Decandiamin (a); (ii) Dicarbonsäure (b) aufgebaut aus 50-100 Mol-% Terephthalsäure; 0-50 Mol-% anderer aromatischer Dicarbonsäure und/oder 0-50 Mol-% aliphatischer Dicarbonsäure mit 4-20 Kohlenstoffatomen (Anspruch 1 sowie Absatz 11). Somit enthält das Polyamid der D10 zumindest Decandiamin und kann auch bis zu 50 Mol-% eines anderen Diamins, darunter 1,6-Hexandiamin enthalten (Absatz 18). D10 offenbart allerdings nicht die relative Menge der Einheiten 6T und 10T, die in einem Copolymer anwesend sein können, zumal, weil das Copolymer auch andere aromatische Dicarbonsäuren und/oder aliphatischen Dicarbonsäuren mit 4-20 Kohlenstoffatomen enthalten kann. Die daraus hergestellten Polyamid-Formmassen enthalten auch 0,1 bis 200 Gew.-% eines Füllstoffes (Anspruch 3). Die Eigenschaften von Spritzgussformkörper aus einem Polyamid aus Decandiamin und Terephthalsäure (Polyamid 10T) sind in den Beispielen 1 bis 3 der D10 offenbart. Es wird anhand der Beispiele 1-3 und Vergleichsbeispiele 1 und 2 der D10 gezeigt, dass ein Mengenverhältnis an Decandiamin und Terephthalsäure zwischen 1,001 und 1,015 zu Formkörpern mit niedrigerer Wasseraufnahme, besseren mechanischen Eigenschaften und Wärmeformbeständigkeit führt (Tabelle 1 und Abschnitt 58). Die Aufgabe der D10 bezieht sich dann unmittelbar auf die Wasseraufnahme und Wärmeformbeständigkeit der Polyamid-Formmassen (Absätze 5, 8, 19, 43 und Beispiele). D10 ist somit als nächstliegender Stand der Technik geeignet.
4.3 Neben D10 wurden auch im Laufe des schriftlichen Beschwerdeverfahrens D1, D8, D9 und D17 als nächstliegender Stand der Technik gesehen.
4.4 D1 beschreibt Polyamid-Formmassen mit verbesserten Blasenbildungseigenschaften für elektrische und elektronische Komponenten (Zusammenfassung). Offenbart wird eine Polyamid-Formmasse, welche a) 20-80 Gewichtsprozent eines Polyamids oder einer Polyamid-Mischung mit einem Schmelzpunkt von mehr als 280°C, aufgebaut aus i) 75-100 Mol-% Terephthalsäure und optional weiteren Disäuren (also 0-25 Mol-%); ii) 75-100 Mol-% aliphatischem Diamin mit 10-20 Kohlenstoffatomen und optional weiteren Diaminen (also 0-25 Mol-%); iii) optional eine oder mehrere weitere Aminocarbonsäure oder Lactame; b) 5-60 Gewichtsprozent Füllstoffe; c) 5-35 Gewichtsprozent Flammschutzmittel; d) 1-10 Gewichtsprozent Synergisten (Absätze 7 bis 16, sowie Anspruch 1). Die Wasseraufnahme der Polyamid-Formmassen wird in D1 nicht erwähnt. Somit ist D1 weniger relevant als D10 als nächstliegender Stand der Technik.
4.5 D8 betrifft ein Polyamidharz mit einem Schmelzpunkt von 250°C bis 330°C enthaltenden Harzzusammensetzung, die dadurch gewonnen wird, dass ein Polyamid-Primärkondensat (A), das eine aus Terephthalsäure und aliphatischem Diamin mit einer Kohlenstoffzahl von 4-14 bestehenden Amidstruktur und eine relative Viskosität von 1,04 bis 2,5 1%ige Lösung in Schwefelsäure bei 25°C besitzt, und ein anderes Harz (B) als das genannte Primärkondensat so hoch-polymerisiert werden, dass die genannte relative Viskosität des Primärkondensat um 0,3 oder mehr steigt, und dabei gleichzeitig als Schmelze legiert werden (Anspruch 1). Das Ziel der D8 ist, eine Harzzusammensetzung zur Verfügung zu stellen, bei der der Farbton verbessert und Materialstärken wie Zugfestigkeit, Zugdehnung, Biegefestigkeit und Biegeelastizität gesteigert werden, um eine noch stabilere Polymer-Legierung (Harzzusammensetzung) zu gewinnen (Absatz 5). D8 betrifft weder die Wärmeformbeständigkeit noch die Wasseraufnahme von Polyamid-Formmassen. D8 ist somit weniger relevant als D10.
4.6 D9 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Polyamid, das zur Herstellung von kristallinem Polyamid, das hauptsächlich aus aliphatischem Diamin mit einer Kohlenstoffzahl von 8-14 und Terephthalsäure besteht, eingesetzt wird, dadurch gekennzeichnet, dass ein Primärkondensat, dessen relative Viskosität als 1 %ige Lösung in Schwefelsäure bei 25°C 1,04 bis 2,5 beträgt, bei 180°C bis 350°C polymerisiert wird und dieses Primärkondensat anschließend einer Hoch-Polymerisation unterzogen wird (Anspruch 1). Die Aufgabe der D9 ist, ein bestimmtes Polyamid von hoher Hitzebeständigkeit und geringem Wasseraufnahmevermögen auf stabile Weise herzustellen (Absatz 5). Somit betrifft D9 dieselbe Aufgabe wie die, die im Streitpatent erwähnt ist. Das kristalline Polyamid der D9 ist jedoch ein Polyamid, das hauptsächlich aus aliphatischem Diamin mit einer Kohlenstoffzahl von 8-14 und Terephthalsäure besteht, da langkettige aliphatische Diamine gerne verwendet werden, um das Wasseraufnahmevermögen des gewonnenen Polyamids zu senken (Abschnitte 7 und 8). Somit schließt D9 die Anwesenheit der Einheit 6T (aus 1,6-Hexandiamin und Terephthalsäure) aus der Polyamidkomponente aus. Deshalb ist D9 weniger relevant als D10.
4.7 D17 betrifft ein Polyamid umfassend eine Dicarbonsäurekomponente (a), umfassend 60 bis 100 Mol-% der Dicarbonsäurekomponente Terephthalsäure; und eine Diaminkomponente (b), umfassend 60 bis 100 Mol-% der Diaminkomponente 1,9-Nonandiamin, wobei das Polyamid eine Grenzviskosität von 0,6 bis 2,0 dl/g, bestimmt durch Messen in konzentrierter Schwefelsäure bei 30°C, besitzt und bei dem mindestens 10% der endständigen Reste davon blockiert sind (Anspruch 1). Die Aufgabe der D17 ist ein bestimmtes Polyamid von hoher Hitzebeständigkeit und geringem Wasseraufnahmevermögen herzustellen (Seite 2, Zeilen 1 bis 5). Somit betrifft D17 dieselbe Aufgabe wie die, die im Streitpatent erwähnt ist. Allerdings erfordert D17, dass das Polyamid mindestens 60 Mol-% 1,9-Nonandiamin (9T Polyamid) oder 1,9-Nonandiamin und 2-methyl-1,8-octanediamin (9MT Polyamid) enthält, was die Anwesenheit von mindestens 40 Mol-% Decandiamin und mindestens 5 Mol-% Hexandiamin im Polyamid ausschließt. D17 ist daher nicht relevanter als D10 als nächstliegender Stand der Technik. D17 wurde als verspätetes Dokument von der Einspruchsabteilung ins Verfahren nicht zugelassen. Da D17 nicht relevanter als andere Dokumente des Beschwerdeverfahrens ist, wird D17 auch nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen.
4.8 Unter den oben diskutierten Dokumenten D1, D8, D9, D10 und D17 ist somit D10 der nächstliegende Stand der Technik. Gegen Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde aber auch D12 von der Beschwerdeführerin I herangezogen. Eine Diskussion ausgehend von D12 erfolgt unten (Punkt 4.19-4.20).
4.9 Gemäß Absatz 22 des Streitpatents besteht die zu lösende Aufgabe darin, eine Polyamid-Formmasse bereitzustellen, welche eine hohe Wärmeformbeständigkeit, eine gute Verarbeitbarkeit, eine niedrige Wasseraufnahme, unveränderte mechanische Eigenschaften nach Wasseraufnahme, eine gute Oberflächenqualität der glasfaserverstärkten Produkte und eine hohe Dimensionsstabilität aufweist.
4.10 Gemäß Streitpatent wird die o.g. Aufgabe durch die Polyamid-Formmassen gemäß dem erteilten Anspruch 1 gelöst. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unterscheidet sich von D10 dadurch, dass die Formmasse auf Basis eines Copolyamids 10T/6T hergestellt wird, wobei dieses aufgebaut ist aus (A1) 40 bis 95 Mol-% 10T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,10-Decandiamin und Terephthalsäure und (A2) 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,6-Hexandiamin und Terephthalsäure.
4.11 In den Beispielen des Streitpatents werden Formkörper aus Polyamid-Formmassen durch Spritzgussverfahren hergestellt (Absatz 146 und Tabellen 1-4, 6-10). Die offenbarten Formkörper werden sowohl aus unverstärktem Copolyamid 10T/6T mit variierenden Verhältnissen der Einheiten 10T und 6T (Tabellen 1-3, 6) als auch aus einer Zusammensetzung aus Copolyamid 10T/6T mit Verstärkung- und/oder Füllstoffe, darunter Glasfaser (Tabellen 7-10), gewonnen. Diese Formkörper werden mit Formkörpern aus einem unverstärkten Polyamid aus Decandiamin und Terephthalsäure (Polyamid 10T, Tabelle 3, 2. Eintrag) oder Polyamid 10T mit Glasfasern (Tabelle 7, 4. Eintrag), wie sie aus dem nächstliegenden Stand der Technik D10 bekannt sind, verglichen. Sowohl für die Formkörper aus unverstärktem Copolyamid 10T/6T (Beispiele B1 bis B7 in Tabellen 1 und 2) als auch für diejenigen mit Glasfasern und Copolyamid 10T/6T (Beispiele B11 bis B15 in Tabellen 6 bis 8) zeigen die Beispiele keine Verbesserung der Eigenschaften gegenüber Formkörpern aus Polyamid 10T (VB2 in Tabelle 3), bzw. Polyamid 10T mit Glasfasern (VB11, Tabelle 7). Tatsächlich zeigen diese Beispiele, soweit die Daten im Streitpatent zur Verfügung stehen, dass erfindungsgemäße Formkörper sowie Vergleichsformkörper einen Schmelzpunkt über 270°C oder HDT A eines mit 50% Glasfasern verstärkten Polyamid größer 260°C aufweisen und somit nach eigener Angaben aus dem Streitpatent eine hohe Wärmeformbeständigkeit besitzen (Absatz 22). Auch der Schmelzpunkt dieser Polyamide ist unter 320°C, was eine gute Verarbeitbarkeit bezeugen soll. Die Wasseraufnahme der hergestellten Formkörper ist niedrig, da sie bei diesen Beispielen kleiner als 5% nach 240h in Wasser bei 95°C ist. Alle Beispiele zeigen auch unveränderte mechanische Eigenschaften nach Wasseraufnahme bei erfindungsgemäßen sowie bei Vergleichsformkörpern (Zug-E-Modul nass > 100% des Zug-E-Modul trocken, Fliess- oder Bruchfestigkeit nass > 85% der Fliess- oder Bruchfestigkeit trocken). Somit zeigen die Beispiele des Streitpatents, dass Formkörper auf Basis von Copolyamid 10T/6T gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags eine ebenso gute Wärmeformbeständigkeit, Verarbeitbarkeit, Wasseraufnahme, unveränderte mechanische Eigenschaften nach Wasseraufnahme wie die aus D10 bekannten Formkörper aufweisen.
4.12 Was die Oberflächenqualität der glasfaserverstärkten Produkte angeht; ist diese nur für zwei erfindungsgemäße Formkörper (B12 und B13) und einen Vergleich (VB11) (Tabelle 7) offenbart und nur subjektiv (gut/schlecht) bewertet, ohne Kriterien anzugeben, wie diese Bewertung zustande kam oder wie diese gemessen wurde. Somit findet die Kammer, dass die wenigen Werte der Oberflächenqualität der glasfaserverstärkten Produkte der Tabelle 7 nicht repräsentativ für alle Formkörper gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags sein können. Somit kann keine Verbesserung der Oberflächenqualität für die Formkörper des Anspruchs 1 zuerkannt werden.
4.13 Darüber hinaus wurden in den Beispielen des Streitpatents erfindungsgemäße Formkörper hergestellt, die ausschließlich aus dem Copolyamid 10T/6T bestehen. Beispiele betreffend Polyamid-Formmassen aus Copolyamid 10T/6T gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags die aber auch weitere nach den vier Maßgaben dieses Anspruchs definierte Einheiten enthalten, gibt es im Streitpatent nicht und wurden auch nicht eingereicht. Eine Verbesserung der Eigenschaften dieser Polyamid-Formmassen gegenüber D10 wurde demzufolge nicht gezeigt.
4.14 In Ermangelung eines Nachweises einer Verbesserung der Eigenschaften der Polyamid-Formmassen gemäß Anspruch 1 über den gesamten beanspruchten Bereich mit den in D10 offenbarten Polyamid-Formmassen muss die Aufgabe daher als die Bereitstellung alternativer Polyamid-Formmassen mit ebenso guter Wärmeformbeständigkeit, Verarbeitbarkeit, Wasseraufnahme und unveränderten mechanischen Eigenschaften nach Wasseraufnahme formuliert werden.
4.15 Es muss noch entschieden werden, ob die gemäß den Ansprüchen vorgeschlagene Lösung der besagten Aufgabe sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt oder nicht.
D10 lag unter anderem die Aufgabe zugrunde, eine Polyamid-Formmasse zur Verfügung zu stellen, welche eine verbesserte Verarbeitbarkeit, geringere Wasseraufnahme, chemische Beständigkeit, Festigkeit und thermische Widerstandsfähigkeit aufweist (Absatz 11). Diese Aufgabe wurde in D10 durch die Herstellung einer Polyamid-Formmasse gelöst, die unter anderem eine Diaminkomponente aus 50-100 Mol% 1,10-Decandiamin enthält. Neben dem 1,10-Decandiamin können auch geradkettige und verzweigte aliphatische Diamine verwendet werden. Unter den geradkettigen aliphatischen Diaminen offenbart D10 1,6-Hexandiamin. Dennoch werden nur 1,8-Octandiamin, 1,9-Nonandiamin und 1,11-Undecandiamin als bevorzugte Diamine hervorgehoben (Absatz 18). Demnach deutet D10 nicht spezifisch auf die Verwendung von 1,6-Hexandiamin zusammen mit 1,10-Decandiamin hin.
4.16 Selbst wenn ein Fachmann die gemeinsame Verwendung von 1,6-Hexandiamin mit 1,10-Decandiamin als Diaminkomponente in den Polyamiden von D10 in Betracht ziehen würde, findet sich in D10 kein Hinweis darauf, diese so zu wählen, dass die resultierenden Copolyamide aus (A1) 40 bis 95 Mol-% 10T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,10-Decandiamin und Terephthalsäure und (A2) 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,6-Hexandiamin und Terephthalsäure aufgebaut werden. D10 lehrt lediglich, dass die Eigenschaften der Polyamid-Formmassen verbessert werden können, wenn das molare Mengenverhältnis der Diamine und Dicarbonsäure im Bereich 0,95 bis 1,20 ausgewählt ist (Absatz 24). D10 enthält aber keine Lehre über die Mengen der Einheiten 6T und 10T der hergestellten Copolyamid-Formmasse.
Auch die Beispiele der D10 geben keinen Hinweis auf die beanspruchten Polyamid-Formmassen. Die Polyamide der Beispiele der D10 werden aus 1,10-Decandiamin als Diamin und Terephthalsäure als Dicarbonsäure aufgebaut. Es wird darin gezeigt, dass das Mengenverhältnis 1,10-Decandiamin / Terephthalsäure die Eigenschaften der Polyamid-Formmasse (Verarbeitbarkeit, Wasseraufnahme und mechanische Eigenschaften) beeinflusst und dass außerhalb eines engen Bereichs von 1.001 bis 1.0015 (Vergleichsbeispiele 1: 0,9 und 2: 1,25), diese Eigenschaften schlechter sind. Die Beispiele der D10 deuten aber nicht auf die Verwendung von 1,6-Hexandiamin und 1,10-Decandiamin und auf die Mengen der Einheiten 6T und 10T der Polyamide. Darüber hinaus zeigen die Beispiele der D10, dass die Verarbeitbarkeit, und die Wasseraufnahme der Polyamid-Formmassen durch das Mengenverhältnis der Monomeren stark beeinflusst werden und dass geringe Abweichungen des Mengenverhältnisses einen dramatischen Einfluss auf diese Eigenschaften hat. Selbst wenn ein Fachmann aus D10 die Verwendung von 1,6-Hexandiamin und 1,10-Decandiamin gemäß Anspruch 1 des Hauptantrages in Betracht ziehen würde, könnte er in D10 nicht die Lehre finden, dass diese Auswahl die gestellte Aufgabe löst, d.h. die Bereitstellung alternativer Polyamid-Formmassen mit ebenso guter Wärmeformbeständigkeit, Verarbeitbarkeit, Wasseraufnahme und unveränderten mechanischen Eigenschaften nach Wasseraufnahme.
4.17 Einen Hinweis auf die beanspruchten Polyamid-Formmassen erhält der Fachmann aus D34 und D16 auch nicht. D34 betrifft aromatische Polyamid-Formmassen aus 50-60 Mol.-% Terephthalsäure und 40-50 Mol.-% aliphatische Dicarbonsäure mit Diamineinheiten aus aliphatischen Alkylenediaminen und/oder alicyclischen Alkylenediaminen. D34 zielt daher vornehmend auf die Herstellung von Polyamid-Formmassen aus zwei Dicarbonsäuren. Selbst wenn D34 auf die mögliche Verwendung von 1,6-Hexandiamin und 1,10-Decandiamin hindeuten würde (Seite 4, Zeilen 31 bis 46) enthält D34 keinen Hinweis auf ein Copolyamid aus (A1) 40 bis 95 Mol-% 10T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,10-Decandiamin und Terephthalsäure und (A2) 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten, gebildet aus den Monomeren 1,6-Hexandiamin und Terephthalsäure.
4.18 D16 (Kapitel 11.3) ist ein Auszug aus dem Nylon Handbuch und betrifft die Herstellung von Copolyamiden. Es beschreibt den Einfluss der Copolymerisation auf die Kristallinität von Copolyamiden in Bezug auf die respektiven konstituierenden Homopolymere (Seite 365). Insbesondere zeigt D16, dass der Schmelzpunkt eines Copolyamids sich aus den Schmelzpunkten der respektiven Homopolymeren errechnen lassen kann (Seiten 366 und 367). D16 zeigt auch, dass der Schmelzpunkt des Copolyamids niedriger liegt als die Schmelzpunkte der jeweiligen Homopolymeren. Im Falle des Copolymeres PA 6/12 wird in der Tabelle 11.3 (Seite 368) gezeigt, dass der Schmelzpunkt dieses Copolymeres von der Menge der 1,6-Hexandiamin abhängt. Auf Seiten 372 und 373 der D16 wird darauf hingewiesen, dass bei Copolymeren der Terephthalsäure und Adipinsäure mit Hexamethylendiamin der Schmelzpunkt des Copolymeres sich stark erhöht, wenn mehr als 50% 6T Einheiten sich im Copolymer befinden. Somit müsste Terephthalsäure oder 1,6-Hexandiamin im Polyamid 6T ersetzt werden, um einen Schmelzpunkt unter 360°C zu erhalten und die Verarbeitbarkeit der Copolyamide zu erhöhen. In diesem Zusammenhang lehrt D16 auch, dass langkettige Diamine wie 1,10-Decandiamin, 1,11-Undecandiamin oder 1,12-Duodecandiamin alleine oder als Mischungen den Schmelzpunkt von Polyamide senken können. Somit betrifft die Lehre der D16 allenfalls die Verwendung von 1,10-Decandiamin in Polyamid 6T, um die Verarbeitbarkeit zu erhöhen. Es ist aber aus D16 nicht ersichtlich, warum ein Fachmann dann spezifisch 6T Einheiten in einem Polyamid 10T hinzufügen würde. D16 lehrt zumindest nicht unmittelbar, wie sich die Anwesenheit von 6T Einheiten in Polyamid 10T auf die daraus gewonnene Polyamid-Formmasse und insbesondere auf die Wärmeformbeständigkeit, die Wasseraufnahme und die mechanischen Eigenschaften der hergestellten Formmassen auswirken würde. Ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik D10 und unter Berücksichtigung der Lehre der D16 hätte der Fachmann, sofern von einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise abgesehen wird, keine Veranlassung, ein Polyamid 10T so zu modifizieren, dass es (A1) 40 bis 95 Mol-% 10T-Einheiten und (A2) 5 bis 60 Mol-% 6T-Einheiten gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags enthält.
4.19 Selbst ausgehend von D12 anstelle von D10 als nächstliegender Stand der Technik würde der Fachmann nicht zu dem beanspruchten Gegenstand gelangen. Der Inhalt von D12 ist weitgehend identisch mit dem von D10. Es wurde von der Beschwerdeführerin I gegen Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer jedoch argumentiert, dass D12 sich als nächstliegender Stand der Technik besser eignen würde als D10, weil Abschnitt 18 der D12, der sich mit der Verwendung von anderen Diaminen neben 1,10-Decandiamin befasst, keine negative Aussage über die Eigenschaften des Polyamids 6T enthält, entgegen der D10, worin offenbart wird, dass Wasseraufnahme und Wärmeformbeständigkeit bei Polyamid 6T unzufriedenstellend wäre. Diese Aussage in D10 betrifft nach Meinung der Kammer lediglich Polyamid 6T und ist für die in D10 als Gegenstand der Erfindung offenbarten Polyamide auf Basis von 1,10-Decandiamin nicht relevant. Somit hatte dieser Aussage auch keine Auswirkung auf die Argumentation ausgehend von D10 als nächstliegender Stand der Technik. D12 wird nicht deshalb mehr relevant als D10 als nächstliegender Stand der Technik, weil D12 die oben genannte Negativaussage nicht enthält.
4.20 Es wurde auch ausgeführt, dass die Beispiele der D12 die Verminderung der Schmelzpunkte von Copolyamiden zeigen würden. Die Beispiele der D12 zeigen vier Polyamide auf Basis von 1,10-Decandiamin mit variierenden Mengen an Terephthalsäure und Adipinsäure sowie zwei weiteren Polyamiden aus 1,6-Hexandiamin und 2-methyl-1,8-Octandiamin und 1,9-Nonandiamin. Aus diesen Beispielen wurden nur die Polyamide der Beispiele 1 bis 3 unter denselben Bedingungen hergestellt und könnten demnach verglichen werden. Diese Polyamide unterscheiden sich durch die Mengenverhältnisse der verwendeten Dicarbonsäuren. Somit würde die Lehre der Beispiele allenfalls die Verwendung von mehreren Dicarbonsäuren und nicht die Hinzufügung von 6T Einheiten in Polyamid 10T betreffen. D12 ist demnach als nächstliegender Stand der Technik nicht relevanter als D10.
4.21 In Hinblick auf die oben aufgeführten Gründe ist der Gegenstand der Ansprüche des Hauptantrags erfinderisch.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen I und II werden zurückgewiesen.