T 1077/13 (Polykristalline Sinterkeramik/Fraunhofer) 16-05-2014
Download und weitere Informationen:
Transparente polykristalline Sinterkeramik kubischer Kristallstruktur
Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der
angewandten Forschung e.V.
Ausreichende Offenbarung - (nein)
Ausreichende Offenbarung - Informationslücken (ja) (1.3)
Ausreichende Offenbarung - Mangel an Anleitung (ja) (1.5)
Ausreichende Offenbarung - Forschungsprogramm (notwendig
Ausreichende Offenbarung - unzumutbarer Aufwand) (1.9)
I. Die vorliegende Beschwerde betrifft die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung 05100055 zurückzuweisen.
II. Gegen diese Entscheidung legte die Anmelderin (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein.
III. In ihrer nichtbindenden Mitteilung unter Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK), brachte die Beschwerdekammer Einwände unter den Artikeln 83 und 84 EPÜ vor. In der Mitteilung wurde das folgende in der Beschreibung erwähnte Dokument zitiert:
Krell 2003, I: A. Krell, J. Am. Ceram. Soc. 86, (2003), 12-18.
Zudem wurde folgendes Dokument erwähnt:
Krell 2003, II: A. Krell, J. Am. Ceram. Soc. 86, (2003), 546-553.
IV. Mit Schreiben vom 14. April 2014 reichte die Beschwerdeführerin folgende Dokumente ein:
Anlage 6: Herstellungsweg für eine anspruchsgemäße Sinterkeramik.
Anlage 7: Krell, J. Am. Ceram. Soc. 93, (2010), 2656-2666.
Zudem wurden neue Ansprüche eingereicht. Anspruch 1 des Hauptantrags liest sich wie folgt:
"1. Transparente polykristalline Sinterkeramik kubischer Kristallstruktur mit einer an 0,8 mm dicken polierten Scheiben und für Licht einer Wellenlänge zwischen 600 und 650 nm gemessenen wahren In-Line-Transmission RIT > 75 % des theoretischen Maximalwertes, einer mittleren Korngröße D im Bereich 60 nm < D < 10 µm und einer relativen Sinterdichte von > 99,9 %, wobei die Sinterkeramik aus Mg-Al-Spinell, Al-Oxynitrid, ZrO2, Y2O3 oder Y-Al-Granat mit bis 5
Ma.-% zusätzlichen Dotierungen, die im Kristallgitter als feste Lösungen, als separate Phase mit Kristallitgröße < 250 nm oder in beiden Formen vorliegen, besteht und RIT mit einem Aperturwinkel von 0,57° gemessen wird."
In den Hilfsanträgen wurde die Sinterkeramik jeweils weiter eingeschränkt.
Hilfsantrag 1: "...wobei die Sinterkeramik aus Mg-Al-Spinell, [deleted: Al-Oxynitrid,] ZrO2, Y2O3 oder Y-Al-Granat mit..."
Hilfsantrag 2:"...wobei die Sinterkeramik aus Mg-Al-Spinell, [deleted: Al-Oxynitrid,] ZrO (sic!), oder Y2O3 [deleted: oder Y-Al-Granat] mit..."
Hilfsantrag 3:"...wobei die Sinterkeramik aus Mg-Al-Spinell[deleted: ,] oder [deleted: Al-Oxynitrid, ]ZrO2[deleted: , Y]2[deleted: O]3[deleted: oder Y-Al-Granat] mit..."
Hilfsantrag 4:"...wobei die Sinterkeramik aus Mg-Al-Spinell[deleted: , Al-Oxynitrid, ZrO]2[deleted: , Y]2[deleted: O]3[deleted: oder Y-Al-Granat ]mit..."
V. Die mündliche Verhandlung fand am 16. Mai 2014 statt. Darin wurde der Einwand unter Artikel 83 EPÜ ausführlich diskutiert. Der Antrag auf Rückerstattung der seinerzeit gezahlten vier weiteren Recherchengebühren wurde zurückgenommen.
VI. Die im schriftlichen Verfahren sowie in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Der Fachmann sei gewohnt, Testreihen in erheblichem Umfang durchzuführen und bei Bedarf zumindest in den jüngeren Jahrgängen der renommiertesten Keramik-Fachzeitschriften zu recherchieren und dort gefundene Hinweise zu verwerten.
Das Ausführungsbeispiel der Anmeldung betreffe einen Mg-Al-Spinell und liege auf der Route "Formung eines Grünkörpers - druckloses Sintern - HIP" (HIP steht für Hot Isostatic Pressing). Aus der Anmeldung gehe hervor, dass die Sintertemperaturen bei den erfindungsgemäßen Sinterkeramiken relativ niedrig seien, die Grünkörper mit prinzipiell bekannten Verfahren geformt werden (Absatz [0016]) und die Restporosität minimal sei (Spalte 5, Zeile 45). Die Offenbarung im Absatz [0016] gebe dem Fachmann die entscheidende Richtung für ein erfolgreiches Vorgehen.
Um höchste Sinterdichte bei möglichst niedrigen Temperaturen zu erzielen, müsse ein ausreichend feinkörniges Ausgangspulver genommen werden und daraus ein defektfreier Grünkörper mit besonders homogener räumlicher Anordnung der Pulverpartikel und hoher Gründichte hergestellt werden. Dies gehe z.B. aus Krell 2003 II hervor.
Der Fachmann wisse, dass die spinellbezogenen, in der Patentanmeldung zitierten, Literaturstellen nicht helfen, die gewünschte RIT zu erhalten. Bei der Suche nach der Formgebungsvariante wäre der Fachmann, da er, aufgrund der Fragestellung rein pulvertechnischer Natur, auch Lösungen für transparente polykristalline Sinterkeramiken nicht-kubischer Kristallstruktur in die Suche miteinbezogen hätte, auf Krell 2003 I gestoßen. Dieses Dokument beschreibe Korunde, die relative RIT von bis zu 100% hätten, und löse somit die gleiche Aufgabe wie die vorliegende Patentanmeldung.
Damit sei es auf der Hand gelegen, die in dem Dokument beschriebene Herstellungsvariante, natürlich mit den gebotenen, rein stofflich bedingten und im Übrigen geläufigen, Anpassungen nachzuvollziehen. Der Fachmann hätte sich ein Spinell Pulver mit den gleichen granulometrischen Eigenschaften wie das Korund-Pulver aus Krell 2003 I gewählt, um sich an das dort angegebene Herstellungsrezept zu halten. Der dann erhaltene Grünkörper habe eine ausreichend hohe relative Dichte von 55 bis 61% und homogen gepackte Partikel, was an einer nur begrenzten Größenverteilung der verbliebenen Poren um einen Mittelwert von etwa 40 nm zu erkennen gewesen sei. Damit seien die Voraussetzungen für ideales Dichtsintern und damit höchste RIT-Werte geschaffen.
Obwohl es überraschend sei, dass das in Krell 2003 I beschriebene Verfahren auch für Korund zum gewünschten Ergebnis führe, hätte der Fachmann ausgehend vom Absatz [0016] der Patentanmeldung eine klare Indikation, das in Krell 2003 I beschriebene Verfahren für den Korund zu versuchen.
Hätte der Fachmann mit dem erheblich feineren Pulver des Ausführungsbeispiels der Patentanmeldung arbeiten wollen, hätte er eine Anleitung in Krell 2003 II gefunden.
Gewisse materialbedingte Anpassungen seien vorzunehmen, da die für Spinelle anzuwendenden Sintertemperaturen bekanntlich etwas höher seien als bei Korunden. Falls der Fachmann zu Beginn mit seinen Ergebnissen noch außerhalb der beanspruchten Eigenschaften gelegen hätte, so hätte er gewusst, welche Parameter er in welchem Umfang ändern musste, um in dem beanspruchten RIT- und Korngrößenbereich gezielt zu landen.
Eine relativ hohe In-line-Transparenz verlange bei allen polykristallinen Sinterkeramiken kubischer Kristallstruktur, dass die Restporosität minimiert wird. Dies verlange für alle beanspruchten Werkstoffe, die defektarme Formung eines möglichst homogenen dichten Grünkörpers. Dies stelle ein pulvertechnologisches Problem dar, das stets nach den gleichen Prinzipien zu lösen sei.
VII. Anträge:
Die Beschwerdeführerin beantragt, die Entscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Hauptantrags, der mit dem Schreiben vom 14. April 2014 eingereicht wurde, zu erteilen. Hilfsweise wird beantragt, ein Patent auf Grundlage der Hilfsanträge 1 bis 4, die mit demselben Schreiben eingereicht wurden, zu erteilen.
1. Artikel 83 EPÜ
Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ
1.1 Um die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ zu erfüllen, muss eine europäische Patentanmeldung genügend Informationen enthalten, damit ein Fachmann anhand seines allgemeinen Fachwissens die der beanspruchten Erfindung innewohnende technische Lehre erkennen und entsprechend ausführen kann (G 02/93, Gründe 4).
Es muss deshalb untersucht werden, ob die Anmeldung genügend Anleitungen und Informationen enthält, die es dem Fachmann ermöglichen, den Gegenstand des Anspruchs 1 in seiner gesamten Breite ohne unzumutbaren Aufwand auszuführen. Dabei ist der Fachmann ein Fachmann auf dem Gebiet der industriellen Herstellung von Sinterkeramiken. Angaben, die erst durch eine umfassende Recherche gefunden werden können, sind nicht dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen (T 206/83, Gründe 11). Werden jedoch Informationslücken identifiziert, die nicht durch das allgemeine Fachwissen zu schließen sind, so sind die Bedingungen des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt.
Beanspruchter Erfindungsgegenstand
1.2 Anspruch 1 betrifft eine transparente polykristalline Sinterkeramik kubischer Kristallstruktur, die eine wahre In-Line-Transmission RIT > 75 % des theoretischen Maximalwertes, eine mittleren Korngröße D im Bereich
60 nm < D < 10 µm und eine relativen Sinterdichte von
> 99,9 % hat.
Die Anmeldung enthält ein Ausführungsbeispiel, das mit kommerziellem MgO Al2O3-Spinellpulver mit 28 m**(2)/g spezifischer Oberfläche durchgeführt wurde. Weitere Details über das Ausgangsprodukt sind nicht angegeben. Das Verfahren ist in sehr knapper Form beschrieben, wobei die Dispergierung in wässriger Umgebung, druckloses Sintern bei 1480 °C und heißisostatische Nachverdichtung bei 1450 °C angegeben sind. Dabei wird eine Keramik mit einer Dichte von >99,9%, einer Korngröße von 1,39 µm und einer wahren In-Line-Transmission RIT von 78% erhalten.
Die Herstellung des Formkörpers wird allgemein im Absatz [0016] beschrieben, wobei nur angegeben wird, dass diese mittels prinzipiell bekannter Verfahren erfolgt, und einige dieser Verfahren beispielhaft erwähnt sind. Es wird nicht erwähnt, welches Formgebungsverfahren im Ausführungsbeispiel angewandt wird.
In der Anmeldung wird weiterhin noch angegeben, dass eine minimale Restporosität für die Eigenschaften des gewünschten Produktes entscheidend ist (siehe Spalte 1, Zeilen 43 bis 46 sowie Spalte 5, Zeilen 44 bis 46 der ursprünglichen Anmeldung EP-A2-1 557 402).
Informationslücken
1.3 Es ist allgemein bekannt, dass die Mikrostruktur der Sinterkeramik stark von der Mikrostruktur des Grünkörpers beeinflusst wird, die wiederum vom Ausgangspulver und dem Formgebungsverfahren abhängt. In der Anmeldung gibt es Informationslücken betreffend die granulometrischen Eigenschaften des Ausgangsproduktes und die Eigenschaften des Grünkörpers, die beide entscheidend sind, um die hohe Dichte und Transmission im Endprodukt zu erreichen. Zudem gibt es keine Angaben darüber, von welcher Firma das Ausgangsmaterial bezogen wurde.
Nacharbeitbarkeit
1.4 Der Fachmann kann das Beispiel also nicht ohne Weiteres nacharbeiten, da wesentliche Angaben fehlen. Er weiß jedoch, dass das Ausgangsmaterial anscheinend vorzugsweise eine spezifische Oberfläche von etwa
28 m**(2)/g hat. In einem ersten Versuch, die gewünschte polykristalline Sinterkeramik herzustellen, geht der Fachmann sicherlich von einem Ausgangsmaterial aus, das die gleiche Oberfläche hat, wie das im Ausführungsbeispiel benutzte Pulver, vor allem deshalb, weil er weiß wie wichtig die Eigenschaften des Ausgangsproduktes für das Endprodukt sind. Er wird also als Erstes versuchen, ein Ausgangsmaterial mit einer spezifischen Oberfläche von etwa 28 m**(2)/g zu erwerben, was ihm mit zumutbarem Aufwand gelingen wird.
Mangel an Anleitung
1.5 Es stellt sich die Frage, ob der Fachmann die in der Anmeldung bestehenden Lücken betreffend das Herstellungsverfahren der Sinterkeramik durch sein Fachwissen hätte schließen können. Die Beschreibung zitiert einige Dokumente, die Spinellkeramik betreffen, aber es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die dort beschriebenen Keramiken nicht die gewünschten hohen RIT-Werte haben. Hier findet der Fachmann also keine Anleitung, wie das Verfahren durchzuführen ist, damit eine Sinterkeramik mit den gewünschten Eigenschaften erhalten wird.
1.6 Es ist allgemein bekannt (siehe auch Beschwerdebegründung Seite 11, erster vollständiger Absatz), dass mit Spinellpulver Produkte erhalten werden, die hohe Transparenz haben, jedoch nicht so hart sind wie diejenigen, die mit Korundpulver hergestellt werden. Umgekehrt werden mit Korundpulver Produkte erhalten, die zwar härter sind als diejenigen, die mit Spinellpulver hergestellt werden, jedoch ist die Transparenz geringer.
In der Beschreibung wird unter anderen auch das Dokument Krell 2003 I zitiert, das nicht die Spinellkeramik betrifft sondern trigonalen Sinterkorund. Dieses Dokument offenbart die Herstellung von Sinterkorunden mit sehr hohen Sinterdichten und somit geringer Restporosität sowie sehr hohen RIT-Werten.
Obwohl die in dem Dokument erhaltenen Keramiken ähnliche mechanische Eigenschaftenn und RIT-Werte haben wie die in der Anmeldung beanspruchten Keramiken, ist es sehr fraglich, ob der Fachmann das Dokument Krell 2003 I überhaupt herangezogen hätte, um zu versuchen, die in der Beschreibung vorhandenen Lücken zu schließen. Das Dokument betrifft ein anderes Ausgangsmaterial (nämlich Korund anstatt Spinell) und der Fachmann weiß, dass die Herstellungsbedingungen sehr kritisch sind, und demzufolge nicht ohne Weiteres von einem Ausgangsmaterial auf ein anderes übertragbar sind. Es wird auch an keiner Stelle in der Beschreibung erwähnt, dass ausgehend von Krell 2003 I die Verfahrensbedingungen ermittelt werden können oder sogar zu ermitteln sind.
In Absatz [0016] der Anmeldung werden prinzipiell bekannte Verfahren als Formgebungsverfahren beschrieben (Vergießen gut dispergierbarer dünnflüssiger Suspensionen (z.B.: Gelcasting, Schlickerguss, Druckfiltration, Zentrifugalguss), durch Extrusion oder Trockenpressen (einachsig oder kaltisostatisch)), ohne jedoch irgendein Dokument zu erwähnen, das auf ein geeignetes oder besonders bevorzugtes Verfahren hinweisen würde. Auch wird weder in diesem Absatz noch an sonst einer Stelle der Anmeldung auf die entscheidende Rolle der Struktur des Grünkörpers hingewiesen.
1.7 Das Dokument Krell 2003 I offenbart aber eindeutig, dass die Herstellungsbedingungen des Grünkörpers entscheidend sind, um die extreme Homogenität zu erreichen (siehe unter II. "Experimental Procedure"). Die dort angegebenen Herstellungsbedingungen gelten für das spezifische TM-DAR Ausgangsmaterial und der Fachmann weiß, dass sie nicht ohne weiteres auf andere Korundausgangspulver, geschweige denn jegliches Spinellpulver, übertragen werden können.
Angenommen, der Fachmann hätte auf Nachfrage beim Hersteller die spezifische Oberfläche des im Dokument Krell 2003 I benutzten TM-DAR Ausgangsmaterials erfahren, dann bestünden immer noch Informationslücken bezüglich der Herstellungsbedingungen. Da das TM-DAR Ausgangsmaterial, neben der unterschiedlichen chemischen Zusammensetzung, auch eine andere spezifische Oberfläche (etwa 15 m**(2)/g) hat, als das im Ausführungsbeispiel der Patentanmeldung offenbarte Material (etwa 28 m**(2)/g), hätte der Fachmann die für dieses Material geltenden Bedingungen sicherlich nicht als geeignet für das im Beispiel der Patentanmeldung beschriebene Material angesehen. Selbst wenn er das in Krell 2003 I beschriebene Verfahren für das Ausgangspulver mit der spezifischen Oberfläche von etwa 28 m**(2)/g herangezogen hätte, so wäre er nicht ans Ziel gelangt, d.h. er hätte keine Keramik mit den gewünschten Eigenschaften erhalten.
Die Bestätigung für das Nicht-Erreichen des gewünschten Produktes liefert die postpublizierte Anlage 7. In Anlage 7 wird angegeben, dass Gelcasting nur für das Spinell A-Pulver, das eine spezifische Oberfläche von etwa 15 m**(2)/g hat, geeignet ist (siehe Seite 2658, linke Spalte, letzter Absatz - rechte Spalte, erster Absatz).
Selbst wenn der Fachmann also Krell 2003 I herangezogen hätte, was an sich bereits zweifelhaft ist, hätte er dort keine Anweisungen bekommen, wie er mit dem im Ausführungsbeispiel der Patentanmeldung beschriebenen Ausgangsmaterial (kommerzielles MgO Al2O3-Spinellpulver mit 28 m**(2)/g spezifischer Oberfläche) zu der gewünschten Keramik gelangen kann.
Die in der Beschreibung zitierten Dokumente erlauben es also nicht, die Informationslücken des im Ausführungsbeispiel beschriebenen Verfahrens zu schließen. Dies ist auch im Einklang mit der auf Seite 5, Zeilen 56 bis 58 der ursprünglichen Anmeldung EP-A2-1 557 402 gemachten Angabe, wonach transparente Sinterkeramiken mit hohen mechanischen Eigenschaften industriell derzeit nicht herstellbar und auf dem Markt verfügbar seien, was bedeutet, dass nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass das Auffinden der passenden Verfahrenbedingungen für den Fachmann selbstverständlich ist.
Forschungsprogramm
1.8 Da der erste vom Ausführungsbeispiel ausgehende Versuch, das gewünschte Produkt zu erhalten, nicht erfolgreich ist, muss der Fachmann weiter recherchieren, um einen möglichen Weg zu finden, die gewünschte Sinterkeramik zu erhalten. Es mag sein, dass er dabei auch auf das Dokument Krell 2003 II stößt, das nicht in der Patentbeschreibung erwähnt wurde. Dieses Dokument betrifft jedoch, genau wie Krell 2003 I, ebenfalls keine Spinellpulver. Es ist also auch sehr fraglich, ob der Fachmann dieses Dokument überhaupt berücksichtigt hätte.
Krell 2003 II lehrt, dass eine hohe Sinterdichte des Korunds nur erreicht wird, wenn eine besonders homogene Partikelanordnung im Grünkörper vorliegt. Der Schlüssel zum Erfolg ist dabei die richtige Prozessführung, die abhängig von der Partikelgröße des Ausgangsmaterials ist (siehe Seite 569, rechte Spalte, erster vollständiger Absatz). Aus diesem Dokument geht jedoch nicht hervor, welche spezifische Oberfläche die eingesetzten Ausgangspulver haben. Zudem kann der Fachmann aus diesem Dokument nicht ableiten, wie die homogene Partikelanordnung im Detail für ein Spinellpulver auszusehen hat (relative Dichte, Größenverteilung der Poren). Ob der Grünkörper homogen genug ist und die Voraussetzungen für ideales Dichtsintern gegeben sind, kann der Fachmann nur feststellen, nachdem das drucklose Sintern und das heißisostatische Nachverdichten durchgeführt wurden und das gewünschte Resultat erreicht wurde. Ist dieses Resultat nicht erreicht, weiß der Fachmann nicht, woran dies lag. Die Ursachen des Misserfolgs können in den Herstellungsbedingungen des Grünkörpers, dem Sintern oder dem Nachverdichten liegen.
Krell 2003 II gibt also auch keine Anleitungen, wie ein Fachmann mit einem kommerziellen MgO Al2O3-Spinellpulver mit 28 m**(2)/g spezifischer Oberfläche zur gewünschten Keramik gelangen kann.
1.9 Da weder Krell 2003 I noch Krell 2003 II Spinellpulver betreffen und keine Anleitung geben, wie mit dem im Ausführungsbeispiel der Patentanmeldung gewählten Pulver die gewünschte Keramik erhalten wird, muss der Fachmann weiter recherchieren, wie er zu der gewünschten Keramik gelangen kann. Es gibt keinen Beleg dafür und es ist unglaubwürdig, dass der Fachmann einfach ein für Korund beschriebenes Verfahren für Spinell einsetzen würde:
Einerseits war es überraschend, dass das für Korundpulver eingesetzte Verfahren auch für Spinellpulver zum Erfolg führte. Andererseits ergaben erst Versuche der Anmelderin, dass ein Spinellpulver im BET-Bereich 14,5 +/- 2,5 m**(2)/g verarbeitungsseitig dem in Krell 2003 I verwendeten TM-DAR Pulver ähnlich ist (siehe Fußnote 4 im Schreiben vom 14. April 2014).
Zudem gibt es keinen Hinweis für den Fachmann in der Anmeldung, dass die Notwendigkeit einer besonders homogenen Partikelanordnung im Grünkörper bei der Herstellung eines Sinterkorunden mit hoher Dichte auch eine besonders homogene Partikelanordnung im Grünkörper bei der Herstellung einer Sinterkeramik mit hoher Dichte aus Spinellpulver erfordert. Selbst, wenn der Fachmann davon ausginge, dass dies der Fall ist, so gibt es viele Unbekannte, die der Fachmann überwinden muss, um zu einem solchen Grünkörper zu gelangen.
1.10 Hält der Fachmann weiter an dem im Ausführungsbeispiel benutzten kommerziellen MgO Al2O3-Spinellpulver mit
28 m**(2)/g spezifischer Oberfläche fest, so stehen ihm viele Wege offen, um zum Grünkörper zu gelangen (siehe Absatz [0016] der Anmeldung). Welche Eigenschaften der Grünkörper (Dichte, Partikelverteilung) haben muss, weiß er nicht. Nach anschließendem Sintern und HIP (high isostatic pressing), müsste er die Eigenschaften der Keramik überprüfen, um zu sehen, ob die gewünschten Eigenschaften erreicht wurden. Falls die gewünschte Sinterkeramik nicht erhalten wurde, muss er versuchen, durch Ändern der Bedingungen das Ergebnis zu verbessern. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, die Bedingungen zu ändern (z.B. Partikelgröße, BET-Oberfläche und/oder Reinheit des Ausgangsproduktes, pH der Dispersion, Feststoffgehalt der Dispersion, Dispersionsmittel). Dabei hat der Fachmann in der Streitanmeldung oder der sonstigen Literatur auch keinerlei Anleitung zur Verfügung, die es ihm erlaubte, durch Auswertung anfänglicher Fehlschläge zwangsläufig und direkt zum Erfolg zu gelangen.
Es mag sein, dass der Fachmann dabei auch ein anderes Ausgangspulver versuchen wird. Dabei spielt jedoch nicht nur die spezifische Oberfläche, sondern auch die Reinheit, mittlere Partikelgröße und Partikelverteilung eine Rolle. Dies geht auch aus der postpublizierten Anlage 7 hervor. Darin wird sogar angegeben, dass bestimmte Ausgangspulver nur auf Anfrage der Autoren geliefert wurden (siehe Anlage 7, Seite 2657, linke Spalte, zweiter vollständiger Absatz), was darauf hindeutet, dass kommerziell verfügbare Pulver nicht unbedingt alle erwähnten Eigenschaften in sich vereinen, die zu der gewünschten Sinterkeramik führen.
Gelangt der Fachmann dann nach vielen Versuchen zum Schluss, einen Versuch mit einem Ausgangsmaterial mit einer spezifischen Oberfläche von etwa 15 m**(2)/g in Betracht zu ziehen, so weiß er nicht auf Anhieb, dass das für ein Korundpulver offenbarte Verfahren auch auf ein Spinellpulver mit ähnlicher Pulverbeschaffenheit zutrifft. Dies liegt auch daran, dass der Fachmann weiß, dass das Ausgangspulver eine wichtige Rolle für das Formgebungsverfahren spielt. Er kann nicht erwarten, dass die Änderung der chemischen Zusammensetzung weniger bedeutend ist als die granulometrischen Eigenschaften (siehe auch oben unter 1.10).
Es mag sein, dass der Fachmann anschließend für dieses spezifische Ausgangsmaterial unter anderen auch das in Krell 2003 I beschriebene Verfahren nachzuarbeiten versucht. Dass dies mehrere Anpassungen erfordert, die auch einen gewissen experimentellen Aufwand bedeuten, geht auch aus Anlage 6 hervor. Alleine das Datum der darin ausgewerteten Versuchsprotokolle (2008/2009) deutet darauf hin, dass ein solches Verfahren nicht ohne Weiteres aus Krell 2003 I ableitbar ist. Die Einstellung des optimalen pH-Werts und des optimalen Feststoffgehaltes der Suspension erfordert einen gewissen Aufwand, da sich hierfür keine Anleitung in der Literatur findet. Wie bereits oben unter 1.11, zweiter Satz, erwähnt, weiß der Fachmann nicht, welche Dichte und Größenverteilung der Poren der Grünkörper haben soll. Aus dem postpublizierten Anhang 7 (siehe Seite 2664, rechte Spalte, letzter Absatz) geht hervor, dass kleine Unterschiede im Grünkörper einen Einfluss auf die zu wählende Temperatur der heißisostatischen Nachverdichtung haben.
Dies bedeutet auch, dass die optimale Sintertemperatur und die optimale Temperatur der heißisostatischen Nachverdichtung nur durch Experimentieren herausgefunden werden können und abhängig sind vom Grünkörper. Das reine Nacharbeiten des Krell 2003 I Verfahrens ist - selbst bei der Auswahl eines Ausgangspulvers mit gleichen granulometrischen Eigenschaften - nicht ausreichend.
1.11 Die Kammer kommt deshalb zum Schluss, dass es sich, angesichts der in der Patentanmeldung vorhandenen Informationslücken und des Mangels an Anleitung, hier nur um ein Forschungsprogramm, nicht aber um eine konkrete Lehre zum technischen Handeln handelt. Der Fachmann bekommt keinen Hinweis in der Patentanmeldung, wie er ausgehend vom kommerziellen MgO Al2O3-Spinellpulver mit 28 m**(2)/g spezifischer Oberfläche zu den geeigneten scheibenartigen Musterkörpern gelangt, die anschließend gesintert werden. Er wird also eine Literaturrecherche durchführen mit dem Ergebnis, kein Dokument zu finden, das die Herstellung einer Sinterkeramik mit hoher Dichte aus Spinellpulver beschreibt. Anschließend muss er weiter suchen, um dann unter den existierenden Publikationen, diejenige auszuwählen, die möglicherweise hilfreich ist. Nur durch Versuch und Irrtum, durch vielfaches Abändern des Ausgangsmaterials und der verschiedenen Verfahrensbedingungen, wird er möglicherweise Aussicht auf Erfolg haben. Dies ist jedoch ein unzumutbarer Aufwand.
1.12 Da diese Argumentation für Mg-Al-Spinell gilt, das in Anspruch 1 aller Anträge vorkommt, erfüllt keiner der Anträge die Bedingungen des Artikels 83 EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.