T 0998/14 24-06-2015
Download und weitere Informationen:
Vorrichtung zum Messen, Überwachen und/oder Regeln einer Temperatur
Geänderte Ansprüche in Widerspruch zu Regel 137 (4) EPÜ in der vom 13. Dezember 2007 bis zum 31. März 2010 geltenden Fassung - (nein)
Geänderte Ansprüche in Widerspruch zu Regel 164 (2) EPÜ in der vom 01. April 2010 bis zum 31. Oktober 2014 geltenden Fassung - (nein)
Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja)
I. Die Beschwerde der Anmelderin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die am 12. Dezember 2013 zur Post gegebene Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 03 782 374.7, eingereicht am 11. Dezember 2003 als internationale Anmeldung, zurückgewiesen worden ist. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
II. In dem am 27. Mai 2004 abgesandten Bescheid hat das Europäische Patentamt als zuständige Internationale Recherchenbehörde (IRB) die Auffassung vertreten, dass die internationale Anmeldung die folgenden zwei Erfindungen enthalte:
Erste Erfindung: Ansprüche 1 bis 6 betreffend eine Vorrichtung zum Messen, Überwachen und/oder Regeln einer Temperatur und Verfahren zu deren Herstellung, wobei das Messelement festgeklemmt wird.
Zweite Erfindung: Ansprüche 7 bis 9 betreffend ein Verfahren zur Herstellung einer Vorrichtung zum Überwachen einer Temperatur, wobei das Messelement abgeschliffen wird.
Die Beschwerdeführerin ist gemäß Artikel 17.3 a) und Regel 40.1 PCT zur Zahlung einer zusätzlichen Recherchengebühr aufgefordert worden mit der Begründung, die Anmeldung genüge nicht dem Erfordernis der Einheitlichkeit der Erfindung gemäß Regel 13.1 PCT. Für die Teile der internationalen Anmeldung, die sich auf die erste Erfindung bezögen, sei eine internationale Teilrecherche durchgeführt worden.
III. Die Beschwerdeführerin ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Der am 18. Mai 2004 erstellte und am 26. Juli 2004 zur Post gegebene internationale Recherchenbericht beschränkt sich daher auf die in den Ansprüchen 1 bis 6 definierte erste Erfindung.
IV. Die vorliegende Anmeldung ist im Juni 2005 in die europäische Phase eingetreten.
V. Die Beschwerdeführerin hat zuletzt mit Schreiben vom 25. März 2013 einen geänderten Anspruchssatz eingereicht, auf dem die angefochtene Entscheidung basiert. Dessen Verfahrensanspruch 1 beruht auf einer Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 5 und 7. Eine entsprechende Vorrichtung ist nun Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 5.
VI. Die Prüfungsabteilung kommt in der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen zu der Auffassung, dass das Merkmal des Abschleifens des aus der Bohrung herausstehenden Messelements nach der Entscheidung G 2/92 und der Regel 137 (4) EPÜ in der Fassung von 2007 nicht mehr in der vorliegenden Anmeldung weiterverfolgt werden könne, weil für die in den ursprünglichen Ansprüchen 7 bis 9 dargestellte zweite Erfindung keine weitere Recherchengebühr bezahlt worden sei. Da beide vorgelegten unabhängigen Ansprüche 1 und 5 dieses Merkmal enthielten, sei die Anmeldung zurückzuweisen.
VII. Mit der Beschwerde beantragt die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage der mit Schreiben vom 25. März 2013 eingereichten Patentansprüche zu erteilen. Hilfsweise soll die Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückverwiesen werden.
Zur Stützung ihres Antrags trägt sie im Wesentlichen vor, dass aus der Beschreibung, Seite 3, ab Zeile 24 hervorgehe, dass der Gegenstand der ursprünglichen Ansprüche 7 bis 9 eine Verbesserung der in den Ansprüchen 1 bis 6 dargestellten ersten Erfindung betreffe. Da aber auch die Möglichkeit bestehe, den Gegenstand der Ansprüche 7 bis 9 separat zu verwirklichen, seien die ursprünglichen Ansprüche dementsprechend unabhängig formuliert worden. Eine Zurückweisung könne nicht allein daraus erfolgen, dass das Europäische Patentamt eine Recherche nicht auf Merkmale beziehe, die nach seiner Auffassung nicht einheitlich seien.
VIII. Die vorliegenden unabhängigen Ansprüche 1 und 5, die auch der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen, lauten wie folgt:
"1. Verfahren zum Herstellen einer Vorrichtung zum Überwachen einer Temperatur, insbesondere der Temperatur der Werkzeugwand eines Spritzgiesswerkzeuges mittels zumindest einem Messelement (4, 5), welches einen Sensorkörper (1) in einer entsprechenden Bohrung (2, 3) zumindest bis zu dessen Stirnfläche (6) durchzieht, dadurch gekennzeichnet, dass das Messelement (4, 5) im Sensorkörper (1) durch Verringerung des Querschnitts der Bohrung (2, 3) festgeklemmt wird und das Messelement (4, 5) etwas aus der Bohrung (2, 3) herausschaut und danach abgeschliffen wird."
"5. Vorrichtung zum Messen, Überwachen und/oder Regeln einer Temperatur, insbesondere der Temperatur der Werkzeugwand eines Spritzgiesswerkzeuges mittels zumindest einem Messelement (4, 5), welches einen Sensorkörper (1) in einer entsprechenden Bohrung (2, 3) zumindest bis zu dessen Stirnfläche (6) durchzieht, dadurch gekennzeichnet, dass das Messelement (4, 5) im Sensorkörper (1) und/oder in einer dem Sensorkörper vorgeschalteten Krimphülse (7) festgeklemmt ist und das bei der Herstellung etwas aus der Bohrung (2, 3) herausschauende Messelement (4, 5) abgeschliffen ist."
1. Regel 137 EPÜ - Änderung der europäischen Patentanmeldung
1.1 Die vorliegende Anmeldung ist am 11. Dezember 2003 als internationale Anmeldung eingereicht worden und im Juni 2005 in die europäische Phase eingetreten. Sie war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des EPÜ 2000 am 13. Dezember 2007 vor dem Europäischen Patentamt anhängig. Nach den Übergangsbestimmungen für die Ausführungsordnung zum EPÜ 2000 (vgl. Beschluss des Verwaltungsrats vom 7. Dezember 2006, Sonderausgabe 1 zum ABl. EPA 2007, 89) hängt die Anwendbarkeit einer Regel von der Übergangsbestimmung für den entsprechenden Artikel des Übereinkommens ab, auf den sich die Regel bezieht.
Regel 137 EPÜ betrifft Änderungen der europäischen Patentanmeldung und stellt somit eine Ausführungsbestimmung zum Artikel 123 EPÜ dar, für den die Übergangsbestimmungen zum EPÜ 2000 (vgl. Beschluss des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001, Sonderausgabe 4 zum ABl. EPA 2007, 219) in Artikel 1, Absatz 1, vorsehen, dass er in der Fassung nach dem EPÜ 2000 für alle zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens anhängigen Anmeldungen, also auch der vorliegenden, anwendbar ist.
Mit Beschluss des Verwaltungsrats vom 25. März 2009 (vgl. ABl. EPA 2009, 299) ist die Regel 137 EPÜ geändert worden, wobei die geänderte Fassung der Regel 137 EPÜ für alle Anmeldungen anwendbar sein soll, zu denen der europäische Recherchenbericht oder der ergänzende europäische Recherchenbericht ab dem 1. April 2010 erstellt wird.
Für die der Entscheidung zugrunde liegende Anmeldung ist der europäische Recherchenbericht allerdings vor dem 1. April 2010 erstellt worden, sodass hier die Regel 137 EPÜ in der vom 13. Dezember 2007 bis zum 31. März 2010 gültigen Fassung (im Folgenden bezeichnet als Regel 137 (4) EPÜ, Fassung vor dem 1. April 2010) anzuwenden ist.
1.2 Regel 137 (4) EPÜ, Fassung vor dem 1. April 2010, sieht vor, dass sich geänderte Patentansprüche nicht auf nicht recherchierte Gegenstände beziehen dürfen, die mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung oder Gruppe von Erfindungen nicht durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee verbunden sind. Die Regel stimmt damit wörtlich mit der Regel 86 (4) EPÜ 1973 überein, die am 1. Juni 1995 in Kraft getreten ist und in die Ausführungsordnung aufgenommen worden ist, um zu verhindern, dass ein Anmelder im Laufe des Prüfungsverfahrens mit seinem Schutzbegehren auf nicht recherchierte Teile der Anmeldung wechselt, die zum Zeitpunkt der Recherche noch nicht beansprucht waren (siehe "Travaux Préparatoires" zur Regel 86 (4) EPÜ 1973, veröffentlicht in der Mitteilung vom 1. Juni 1995 über die Änderung der Europäischen Patentübereinkommens, der Ausführungsordnung und der Gebührenordnung, ABl. EPA 1995, 409ff, insbesondere Seiten 420 und 421).
1.3 Die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Ansprüche 1 und 5 stellen offenbar eine Kombination der ursprünglichen Ansprüche 5 und 7 bzw. 1 und 7 dar. Da der recherchierte Gegenstand der ursprünglichen Ansprüche 1 und 5 also in den vorliegenden unabhängigen Ansprüchen weiterverfolgt wird, betreffen diese somit eine Konstellation, die ausweislich der oben zitierten "Travaux Préparatoires" nicht nach Regel 137 (4) EPÜ, Fassung vor dem 1. April 2010, zu beanstanden ist.
2. Regel 164 EPÜ - Prüfung der Einheitlichkeit durch das Europäische Patentamt
2.1 Da es sich bei der vorliegenden Anmeldung um eine Euro-PCT-Anmeldung handelt, sind die Erfordernisse der Regel 164 EPÜ in der vom 1. April 2010 bis zum 31. Oktober 2014 gültigen Fassung (im Folgenden bezeichnet als Regel 164 (2) EPÜ, Fassung vor dem 1. November 2014) zu berücksichtigen.
Der die Sachprüfung betreffende Absatz 2 der Regel 164 EPÜ, Fassung vor dem 1. November 2014, hat folgenden Wortlaut:
"Stellt die Prüfungsabteilung fest, dass die Anmeldungsunterlagen, die dem europäischen Erteilungsverfahren zugrunde zu legen sind, den Anforderungen an die Einheitlichkeit der Erfindung nicht entsprechen oder dass Schutz für eine Erfindung begehrt wird, die im internationalen Recherchenbericht oder gegebenenfalls im ergänzenden internationalen Recherchenbericht bzw. im ergänzenden europäischen Recherchenbericht nicht behandelt wurde, so fordert sie den Anmelder auf, die Anmeldung auf eine einzige Erfindung zu begrenzen, die im internationalen Recherchenbericht bzw. im ergänzenden internationalen Recherchenbericht oder im ergänzenden europäischen Recherchenbericht behandelt wurde."
Während Regel 164 (2) EPÜ, Fassung vor dem 1. November 2014, im ersten Halbsatz vor dem Wort "oder" auf die Nicht-Einheitlichkeit der Erfindung der dem europäischen Erteilungsverfahren zugrunde zu legenden Anmeldungsunterlagen abstellt, behandelt diese Regel im zweiten Halbsatz nach dem Wort "oder" die Konstellation, bei der Schutz für eine Erfindung begehrt wird, die im internationalen (bzw. ergänzenden internationalen oder europäischen) Recherchenbericht nicht behandelt wurde. Die Regel sieht für beide Fälle vor, dass der Anmelder aufzufordern ist, die Anmeldung auf eine einzige Erfindung zu begrenzen, die im internationalen Recherchenbericht behandelt wurde.
Die Erläuterungen zur Regel 164 (2) EPÜ, Fassung vor dem 1. November 2014, in Dokument CA/PL 17/06 (vgl. Sonderausgabe 5 zum ABl. EPA 2007, 278) betonen, dass in Übereinstimmung mit der Stellungnahme G 2/92 (vgl. ABl. EPA 1993, 591) eine Sachprüfung grundsätzlich nur in Bezug auf eine recherchierte Erfindung durchgeführt wird.
Folglich soll der zweite Halbsatz der Regel 164 (2) EPÜ EPÜ, Fassung vor dem 1. November 2014, insbesondere verhindern, dass während des Erteilungsverfahrens einer Euro-PCT-Anmeldung von einer recherchierten Erfindung auf eine ursprünglich beanspruchte, aber wegen Nicht-Zahlung der zusätzlichen Recherchengebühr nicht recherchierte Erfindung gewechselt wird.
2.2 Hinsichtlich des ersten Halbsatzes der Regel 164 (2) EPÜ, Fassung vor dem 1. November 2014, ist zu berücksichtigen, dass die vorliegenden Ansprüche 1 bis 8 nach dem einzigen Antrag einen einzigen unabhängigen, auf ein Verfahren zur Herstellung einer Vorrichtung gerichteten Anspruch 1, sowie einen auf die entsprechende Vorrichtung gerichteten unabhängigen Anspruch 5 enthalten. Somit entsprechen die Anmeldungsunterlagen, die dem europäischen Erteilungsverfahren zugrunde zu legen sind, den nach Regel 164 (2), erster Halbsatz, EPÜ, Fassung vor dem 1. November 2014, zu stellenden Anforderungen an die Einheitlichkeit der Erfindung.
Bezüglich des zweiten Halbsatzes von Regel 164 (2) EPÜ, Fassung vor dem 1. November 2014, ist zu beachten, dass der geltende Anspruch 1 sämtliche Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 5 aufweist. Er betrifft weiterhin die erste, recherchierte Erfindung, die mit Merkmalen des ursprünglichen Anspruchs 7, der bei der internationalen Recherche der zweiten Erfindung zugeordnet worden ist, weiter eingeschränkt wird, wofür es in der ursprünglichen Beschreibung, Seite 3, ab Zeile 21 eine grundsätzliche Offenbarung gibt. Es wird also mit dem vorliegenden Verfahrensanspruch 1, wie auch mit dem entsprechenden Vorrichtungsanspruch 5, weiterhin Schutz für den im Bescheid der IRB vom 27. Mai 2004 als erste Erfindung benannten Gegenstand begehrt. Da dieser im internationalen Recherchenbericht behandelt worden ist, liegt kein Wechsel zu einer nicht recherchierten Erfindung vor, was zu verhindern, wie oben dargelegt, die Intention der Regel 164 (2), zweiter Halbsatz, EPÜ, Fassung vor dem 1. November 2014, ist.
Mit der Vorlage der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Ansprüche ist die Beschwerdeführerin somit der Aufforderung nach Regel 164 (2) EPÜ, Fassung vor dem 1. November 2014, vollumfänglich nachgekommen, "die Anmeldung auf eine einzige Erfindung zu begrenzen, die im internationalen Recherchenbericht [...] behandelt wurde."
2.3 Die geltenden Ansprüche enthalten Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 7 bis 9, d.h. sie umfassen auch Merkmale, die im Bescheid der IRB vom 27. Mai 2004 der zweiten, nicht recherchierten Erfindung zugeordnet sind.
Nach Auffassung der Kammer steht dem die Feststellung in der Stellungnahme G 2/92 (loc. cit.), wonach die Anmeldung nicht für einen Gegenstand, für den keine Recherchengebühr entrichtet wurde, weiterverfolgt werden kann, insofern nicht entgegen, als diese für Erfindungen gilt, für die ein Anmelder trotz entsprechender Aufforderung die Zahlung weiterer Recherchengebühren unterlassen hat, aber nicht notwendigerweise für Merkmale, die in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen in Zusammenhang mit einer Erfindung oder Gruppe von Erfindungen offenbart sind, hinsichtlich derer eine Recherche durchgeführt worden ist.
Im vorliegenden Fall kann also die Tatsache, dass die geänderten Ansprüche 1 und 5 nicht nur sämtliche Merkmale der recherchierten Ansprüche 5 und 1 aufweisen, sondern mit den Merkmalen des ursprünglichen Anspruchs 7, der bei der Recherche als eigene Erfindung angesehen und daher nicht recherchiert wurde, weiter eingeschränkt worden ist, eine zusätzliche Recherche notwendig machen, sie rechtfertigt allein aber keine Zurückweisung der Anmeldung.
Folglich ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
3. Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung
Da die vorliegenden Ansprüche nach Ansicht der Prüfungsabteilung nicht recherchierte Merkmale aufweisen, wird die Anmeldung zur weiteren Entscheidung, gegebenenfalls nach Durchführung einer zusätzlichen Recherche, an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.