T 0036/15 04-04-2017
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Vorrichtung zur Reinigung von Verschmutzungen in Wärmetauschern, Abhitzekesseln und Brennkammern
Hans Eichner GmbH & Co.KG
TST-Spreng- und Abbrucharbeiten
I. Die Beschwerde wurde von der Einsprechenden II (im Folgenden: Beschwerdeführerin) eingelegt und richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 27. Oktober 2014, mit der der Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 1 544 567 zurückgewiesen wurde.
Insbesondere stellte die Einspruchsabteilung fest:
- dass die erhobenen Einwände mangelnder Offenbarung nach Artikel 100 b) EPÜ und unzulässiger Erweiterung nach Artikel 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht im Wege stehen, und
- dass der beanspruchte Gegenstand gemäß dem erteilten Patent gegenüber den Entgegenhaltungen E1 und E6 neu ist und auch bei Heranziehen des allgemeinen Fachwissens bzw. des weiteren, unter anderem in E4 oder E5 dargestellten Standes der Technik für den Fachmann nicht in naheliegender Weise herleitbar war:
E1 EP-A- 1 275 925
E4 WO-A-98/16329
E5 "Wärmeübertrager-Reinigungssysteme",
Publico publications, 2001, Seite 382
E6 Auszug von "Handbuch Sprengtechnik", VEB Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, Leipzig, 1975, 1.Auflage, Seiten 31 und 344 bis 351
II. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1 544 567.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
Die Einsprechende I hat sich am Beschwerdeverfahren schriftlich nicht beteiligt und auch an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen. Somit liegt keine Stellungnahme der Einsprechenden I vor.
III. Der unabhängige Anspruch 1 und der abhängige Anspruch 2 des Patents wie erteilt haben folgenden Wortlaut:
a) Anspruch 1
"Vorrichtung zum Reinigen von Verschmutzungen in Wärmetauschern, Abhitzekesseln oder Brennkammern, welche Vorrichtung ein erstes Rohr und ein daran angelenktes zweites Rohr umfasst, welche über eine große Länge bei gleichzeitig relativ geringem Durchmesser verfügen, wobei innerhalb des zweiten Rohres ein entzündbares Gasgemisch und/oder ein Sprengkörper, insbesondere eine Sprengschnur, und ein Zünder ausgebildet sind, welcher Zünder die Sprengung bei Auslösung initiiert und über eine Zündleitung mit einem Zündauslösermechanismus verbunden ist, und das zweite Rohr nach der Sprengung zerstört ist."
b) Anspruch 2
"Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das erste Rohr und das zweite Rohr einen Kanal ausbilden, welcher die Sprengschnur umfasst und der Kanal ein Kühlmedium aufnimmt."
IV. Die Beschwerdeführerin stützt sich im Wesentlichen auf folgende Argumente:
a) Artikel 100 c) EPÜ
Die Ansprüche 1 und 2 des Patents in der erteilten Fassung verstoßen gegen Artikel 100 c) EPÜ.
Laut erteiltem Anspruch 1 verfügen sowohl das erste Rohr als auch das daran angelenkte zweite Rohr über eine große Länge bei gleichzeitig relativ geringem Durchmesser. Dieses Merkmal sei den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen nicht zu entnehmen. Der eingereichte Anspruch 3 offenbare lediglich, dass die Vorrichtung aus einem Rohr bestehe, welches über eine große Länge bei gleichzeitig relativ geringem Durchmesser verfüge und der eingereichte Anspruch 4, dass dieses Rohr aus einem ersten Rohr und einem daran angelenkten zweiten Rohr bestehe. Die Kombination dieser Angaben genüge jedoch nicht als Nachweis der ursprünglichen Offenbarung des Merkmals des erteilten Anspruchs 1, wonach beide Rohre über eine große Länge bei gleichzeitig relativ geringem Durchmesser verfügen.
Der Fachmann könne den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen ebenfalls nicht unmittelbar und eindeutig das Kennzeichen des erteilten Anspruchs 2 entnehmen, nämlich eine Sprengstoffschnur in beiden Rohren vorzusehen. Bei einer derartigen Vorrichtung würden beide Rohre bei der Sprengung zerstört sein, was im Widerspruch zu den Ausführungen in der ursprünglich eingereichten Beschreibung (Seite 4, Zeilen 15 bis 17 und Zeile 25ff) sowie zur Darstellung in den Figuren stehe.
b) Artikel 54 (1) EPÜ
Das in der Entscheidung der Einspruchsabteilung als neu gegenüber E1 und E6 erachtete Merkmal, wonach das zweite Rohr am ersten Rohr angelenkt sei, stelle keine die Neuheit begründende Unterscheidung dar.
In E1 werde der Innenkühlmantel 27 (zweites Rohr) auf die Lanze 3 (erstes Rohr) aufgesteckt oder aufgeschraubt (Spalte 6, Absatz [0029]), wodurch ebenfalls eine Gelenkverbindung im weitesten Sinne erfolge. Eine ähnliche gelenkige Verbindung zwischen zwei Rohrteilen einer Reinigungsvorrichtung sei ebenfalls im Bild 4.15.3 auf Seite 351 von E6 offenbart.
Der beanspruchte Gegenstand sei somit von E1 oder E6 neuheitsschädlich vorweggenommen.
c) Artikel 56 EPÜ
Unterstellt, der Reinigungsvorrichtung nach E1 (oder E6) könne nicht entnommen werden, dass die zwei Rohre angelenkt seien, so bestünde die objektiv zu lösende Aufgabe darin, die Reinigungsvorrichtung optimal zu positionieren.
Dass eine optimale Positionierung des Sprengmittels innerhalb der zu reinigenden thermischen Anlage wichtig sei, werde bereits von E1 selbst betont (Absätze [0012] und [0013]).
Mit dem in E1 angegebenen Ziel, das Sprengmittel in unmittelbare Nähe des zu zerstörenden Materials zu bringen (Spalte 8, Anspruch 1, Zeilen 24 bis 26), liege es dem Fachmann bereits schon durch rein logische Überlegungen oder auch bei Heranziehen der Lehre beispielsweise von E4 oder E5 nahe, die rohrförmige Vorrichtung von E1 mit einem Gelenk zu versehen, welches nach dem Hineinführen eine optimale Positionierung des das Sprengmittel enthaltenden Kühlkopfes 10 ermögliche. Anders als von der Einspruchsabteilung begründet, bestehe kein technisches Hindernis darin, ein Gelenk zu planen, welches das Austreten von Kühlmedium an der gelenkigen Verbindungsstelle zuverlässig verhindern könne, so dass dadurch auch Ausführungsformen möglich seien, wo ein flüssiges Kühlmedium im Rohr aufgenommen werde.
V. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen wie folgt vorgetragen:
a) Artikel 100 c) EPÜ
Der in den erteilten Ansprüchen 1 und 2 definierte Gegenstand stütze sich auf die Offenbarung gemäß den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen.
Dass beide Rohre gemäß Anspruch 1 über eine große Länge verfügen, könne der fachkundige Leser den eingereichten Ansprüchen 3 und 4 sowie der z. B. in Figur 4 dargestellte Länge der Rohre entnehmen.
Der Wortlaut des erteilten Anspruchs 2 stelle auch keine unzulässige Erweiterung dar; der Fachmann erkenne, dass eine wörtliche, rein formelle Auslegung des Anspruchs 2, wonach Sprengstoff nicht nur im zweiten Rohrteil, sondern auch im ersten Rohr vorhanden wäre, keine technisch sinnvolle Lösung darstelle.
b) Artikel 54 (1) EPÜ
Die beanspruchte Vorrichtung sei gegenüber E1 und E6 neu, da eine Einsteck- oder Schraubverbindung zwischen zwei Rohrteilen mit der erfindungsgemäßen Gelenkverbindung nicht gleichzustellen sei.
Zudem offenbare E1 nur ein einziges Rohr, nämlich die Lanze 3. Der relativ breite Kühlkopf 10 sei kein zweites Rohr im Sinne der Erfindung und zum Einführen in einen Rohrbündel einer zu reinigenden Anlage auch nicht geeignet.
c) Artikel 56 EPÜ
Die im Streitpatent vorgeschlagene Lösung betreffe eine Vorrichtung zum Reinigen eines Rohrbündels in einem Brennraum und umfasse dafür ein zweites den Sprengstoff tragendes Rohr, welches mit einem ersten Rohr gelenkig verbunden sei, so dass das zweite Rohr in das Innere des Rohrbündels eingeführt werden könne. Diese beanspruchte Reinigungsvorrichtung beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Anders als der Erfindungsgegenstand betreffe die Reinigungsanlage gemäß E1 eine Vorrichtung zur Entfernung durch Sprengung von kompakten, großen Schlackenansätzen in heißen thermischen Kesselanlagen. Dafür werde ein Sprengmittel, das in einem am vorderen Ende der langen Lanze angebrachten Versorgungskopf untergebracht sei, bis in unmittelbare Nähe des zu zerstörenden Materials geführt. Um eine Selbstentzündung des Sprengmittels durch die vorhandene Flamm- bzw. Strahlungshitze zu vermeiden, werde ein Kühlmittel in den als Doppelrohr mit Kühlkopf und Versorgungskopf ausgebildeten Kühlbehälter über die Lanze in den Versorgungskopf eingeführt, so dass es an dem das Sprengmittel enthaltenden Sprengmittelbehälter vorbeiströmt.
Die durch das Merkmal der gelenkigen Verbindung herleitbare objektive Aufgabe bestehe darin, eine bessere Reinigung zu schaffen.
In E1 sei aber eine genaue Positionierung des Sprengstoffs keineswegs erforderlich. Daher bestehe auch keiner Bedarf, die Lanze an irgendeiner Stelle mit einer Gelenkverbindung, wie beispielsweise aus E4 oder E5 bekannt, zu versehen. Ein Gelenk an der Verbindungsstelle zwischen Lanze und Versorgungskopf würde aufgrund der relativ kleinen Länge des letzteren die Lage des Sprengstoffs nur unwesentlich verändern können und wäre daher aus technischer Sicht bedeutungslos. Zudem müsste ein weiteres Gelenk in der Abführleitung des Kühlmediums eingesetzt werden, damit diese Leitung die Verstellung durch die gelenkige Verbindung an der Lanze folgen könne.
Ähnliche Überlegungen gelten ebenfalls für die aus E6 bekannte Vorrichtung.
VI. Am Ende der am 4. April 2017 stattgefundenen mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdekammer ihre Entscheidung verkündet.
1. Artikel 100 c) EPÜ
1.1 Erteilter Anspruch 1
Es ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass der Wortlaut des erteilen Anspruchs 1 ein Merkmal enthält, welches als solches in der ursprünglichen Anmeldung nicht explizit offenbart ist, nämlich, dass die Vorrichtung ein erstes Rohr und ein daran angelenktes zweites Rohr umfasst, welche beide - also auch das erste Rohr - über eine große Länge bei gleichzeitig relativ geringem Durchmesser verfügen.
1.1.1 Aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung ergibt sich jedoch, dass (zumindest) das zweite Rohr über eine große Länge verfügt, da "die Sprengwirkung auf eine große Länge verteilt" werden soll (vgl. Seite 2, Zeile 24 bis 30) und der dafür benötigte Sprengstoff im zweiten Rohr (Rohr-2 in Figur 4) aufgenommen ist.
Dieses Teilmerkmal stellt somit keine unzulässige Erweiterung im Sinne von Artikel 100 c) EPÜ dar.
1.1.2 Was das andere Teilmerkmal betrifft, wonach auch das erste Rohr über eine große Länge verfügt, kommt die Kammer aufgrund folgender Überlegungen zum Ergebnis, dass es für den fachkundigen Leser den ursprünglich eingereichen Anmeldungsunterlagen zumindest implizit zu entnehmen ist/war.
Laut dem Kennzeichen des ursprünglich eingereichten abhängigen Anspruchs 3 verfügt das (gesamte) Rohr der Reinigungsvorrichtung "über eine große Länge bei gleichzeitig relativ geringem Durchmesser".
In Figur 4 der Anmeldung ist die Ausführungsform gemäß dem ursprünglich eingereichten Anspruch 4 dargestellt, wonach das (gesamte) Rohr aus zwei durch ein Gelenk verbundene Rohrabschnitte besteht.
In Figur 4 sind beide Rohrteile (Rohr-1; Rohr-2) mit einer ähnlichen Größenordnung in axialer Erstreckung dargestellt.
Zusammenfassend entnimmt der Fachmann den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen die Lehre, dass das gesamte Rohr und das zweite Rohr über eine große Länge bei gleichzeitig relativ geringem Durchmesser verfügen und dass außerdem das erste Rohr (Rohr-1) ähnlich lang wie das zweite Rohr sein kann. Daraus ergibt sich zwangsläufig die implizite Offenbarung, dass auch das erste Rohr (Rohr-1) über eine große Länge bei gleichzeitig relativ geringem Durchmesser verfügt.
Es ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Definition durch das Merkmal "über eine große Länge bei gleichzeitig relativ geringem Durchmesser verfügen" relativ breit ausfällt, zumal ein Rohr in der Regel und üblicherweise eine im Vergleich zum Durchmesser größer ausfallende axiale Erstreckung aufweist.
Die Frage, ob dann das Teilmerkmal der größeren Länge für das erste Rohr einen technischen Beitrag zur Lösung bzw. zum Gegenstand der beanspruchten Erfindung überhaupt leistet und ggfs. nach der Entscheidung G1/93, Leitsatz, Absatz 2 (ABl. EPA, 1994, 541-542), nicht als Gegenstand zu betrachten ist, der im Sinne des Artikels 123 (2) EPÜ über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, kann dahingestellt bleiben.
1.2 Erteilter Anspruch 2
Die Kammer kann sich der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Analyse des erteilten Anspruchs 2 nicht anschließen.
Der erteilte Anspruch 2, dessen Offenbarung sich im Wesentlichen auf die Merkmale des ursprünglich eingereichten Anspruchs 5 stützt, definiert die Bildung eines Kanals durch beide angelenkte Rohre sowie die Funktion dieses Kanals, nämlich die Sprengschnur zu umfassen und ein Kühlmedium aufzunehmen. Der Fachmann entnimmt zweifellos dem Inhalt der Anmeldung, dass die Sprengschnur sich ausschließlich im zweiten Rohr befindet, wo die Sprengung zwecks Reinigung tatsächlich auch stattfinden soll. Aus dem Wortlaut des Anspruchs 2 ist aber bei objektiver Betrachtung kein Merkmal herzuleiten bzw. derart auszulegen, dass die Sprengschnur allein oder zusätzlich auch im ersten Rohr angeordnet wird.
Der Anspruch 2 umfasst somit keinen neuen, über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehenden Gegenstand.
1.3 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt nicht entgegen.
2. Artikel 54 (1) EPÜ
2.1 Gegenüber E1
El zeigt eine Vorrichtung zum Reinigen von Verschmutzungen in Wärmetauschern, Abhitzekesseln oder Brennkammern (Absatz [0001]), die ein erstes langes Rohr (Lanze 3) und ein zweites Rohr (Innenkühlmantel 27) umfasst. Der in Figur 1 zylindrisch dargestellte Innenkühlmantel 27 ist also rohrförmig (siehe auch Spalte 6, Zeilen 3 und 4) und erfüllt somit auch die Vorgabe, über eine große Länge bei gleichzeitig relativ geringem Durchmesser zu verfügen. Innerhalb des zweiten Rohres (Innenkühlmantel 27) sind ein entzündbares Gasgemisch und/oder ein Sprengkörper, insbesondere eine Sprengschnur (5) und ein Zünder (51) ausgebildet, welcher Zünder die Sprengung bei Auslösung initiiert und über eine Zündleitung mit einem Zündauslösermechanismus verbunden ist, und das zweite Rohr nach der Sprengung zerstört ist (siehe z. B. Ansprüche 1 und 14).
In E1 wird der Innenkühlmantel 27 (das zweite Rohr) im Bereich seiner Kühlmittelzulauföffnung 12 auf das konische Mundstück 34 der Lanze 3 (erstes Rohr) aufgesteckt oder sonst wie verbunden, z. B. auch aufgeschraubt, vgl. spalte 4, Zeile 29 bis 35 und Spalte 6, Zeilen 22 und 23.
Die Kammer ist der Überzeugung, dass, im Gegensatz zur Meinung der Beschwerdeführerin, ein axiales Aufstecken bzw. ein Aufschrauben, das entweder gar keinen (weil Form- oder Kraftschlussverbindung) oder höchstens einen Freiheitsgrad (Drehbarkeit um die Längsachse) erlaubt, einem Gelenk im üblichen Sinne und wie im Streitpatent definiert nicht gleichkommt. Die Funktion des Gelenks laut Streitpatent stimmt mit der üblichen Auslegung überein, dass dadurch ein jeweilig gewünschter Winkel des zweiten Rohres mit dem ersten Rohr eingestellt werden kann, vgl. Spalte 2, Zeile 37 bis 40. Diese Funktion kann ein Aufstecken bzw. Aufschrauben nicht ausfüllen.
2.2 Gegenüber E6
Die aus E6 bekannte Vorrichtung ist von ähnlicher Relevanz wie E1 und zeigt auch kein zwei Rohrabschnitte verbindendes Gelenk.
Das im Bild 4.15.3 auf Seite 351 von E6 dargestellte Doppelmantelkühlrohr offenbart kein Gelenk im Sinne des Streitpatents. Der unmittelbar über dem Bild 4.15.3 stehende Absatz beschreibt Größenordnungen (Laderrohrlänge sowie Durchmesser des Außen- bzw. Innenrohrs) für das Doppelmantelkühlrohr wie in den Bildern 4.15.2 bis 4.15.5 dargestellt. Es wird an dieser Stelle jedoch in keiner Weise auf irgendeine Verbindungsstelle - und schon gar nicht in der Form eines Gelenks - für das innere oder äußere Rohr des Doppelmantelkühlrohrs hingewiesen.
2.3 Die Vorrichtung gemäß Anspruch 1 wie erteilt ist daher neu gegenüber dem aus E1 oder E6 bekannten Stand der Technik und erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 54 (1) EPÜ.
3. Artikel 56 EPÜ
3.1 Nächstliegender Stand der Technik
Es ist unstrittig, dass E1 der nächstliegende Stand der Technik ist; die aus E6 bekannte Vorrichtung ist höchstens von gleicher technischen Relevanz.
3.2 Unterschied - Wirkung
Wie bereits zur Frage der Neuheit festgestellt (siehe Absatz 2.1 supra), unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber E1 einzig durch das Merkmal, wonach das erste Rohr mit dem zweiten Rohr gelenkig verbunden ist.
Das kontrollierte axiale Einführen des Reinigungsrohres bestimmt die Eindringtiefe des mit dem Sprengstoff versehenen Rohres. Durch die Gelenkverbindung kann zudem auch der Winkel zwischen beiden Rohren eingestellt werden, sodass das den Sprengstoff tragende zweite Rohr durch eine Drehung des ersten Rohres um seine Längsachse nun auch quer zur Längsrichtung des ersten Rohres näher an die zu sprengende Stelle geführt werden kann.
Die daraus erfolgende technische Wirkung kann darin gesehen werden, dass die in die zu reinigende Anlage einzuführende Vorrichtung näher an die gewünschte Stelle, wo die Sprengung stattfinden soll, geführt werden kann.
3.3 Objektive Aufgabe
Die Kammer teilt hier die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass die objektive Aufgabe also darin besteht, eine wie aus E1 bekannte Reinigungsvorrichtung besser positionieren zu können.
3.4 Naheliegende Lösung
3.4.1 Die Kammer teilt hier die Ansicht der Beschwerdeführerin, dass es zum allgemeinen Fachwissen gehört, relativ lange Reinigungslanzen mit Gelenken zu versehen, um das den Sprengstoff aufweisende Endteil der Lanze nicht nur in der entlang der Lanzenaxe geraden Einführrichtung, sondern auch im Winkel dazu flexibler positionieren zu können, so dass die mittels einer geraden Reinigungsvorrichtung ansonsten nur schlecht zugänglichen Stellen durch eine nahe Sprengwirkung zufriedenstellend gereinigt werden können.
Bräuchte der Fachmann diesbezüglich noch eine konkrete Anregung, so würde er zum Beispiel in E4 oder E5 die nötige Anregung bzw. Lehre erhalten.
3.4.2 Diesbezüglich hat die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung zur erfinderischen Tätigkeit dadurch begründet, dass der Fachmann ein Gelenk für die aus E1 bekannte Vorrichtung nicht einplanen würde, weil ansonst an dieser Stelle Kühlmedium austreten könnte. Die Kammer ist von den Entscheidungsgründen nicht überzeugt, zunächst weil der Anspruch 1 nicht auf die bevorzugte Ausführungsform (gemäß dem abhängigen Anspruch 2) beschränkt ist, wonach ein Kühlmedium in dem im zweiten Rohr geformten Kanal aufgenommen ist. Zweitens ist der von der Einspruchsabteilung hervorgehobene mögliche Nachteil einer Leckage des Kühlmediums an der Gelenkverbindung nicht nachvollziehbar, da leckagefreie Gelenkverbindungen von Rohren dem im Gebiet der Hydraulik tätigen Fachmann allgemein bekannt und auch bei Reinigungslanzen ohne Weiteres einsetzbar sind.
3.4.3 Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass der aufgrund seiner Gestalt als Doppelrohr relativ große Umfang des in E1 offenbarten Kühl- bzw. Versorgungskopfs (10,11) das Einführen in einem Rohrbündel nicht, bzw. nur äußerst bedingt, ermögliche, ist aus folgenden Gründen nicht zutreffend. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ist nicht auf Reinigung eines Rohrbündels beschränkt, sondern auf Reinigung von Verschmutzungen in einer Vielzahl von breit definierten Einrichtungen, nämlich Wärmetauchern, Abhitzkesseln und Brennkammern, welche keineswegs implizit und zwangsläufig Rohrbündel umfassen. Zudem lässt auch das Streitpatent relativ große Durchmesserwerte bis zu 15 cm für das zweite Rohr zu (siehe Spalte 3, Zeile 34 bis 36), die auch für den Außendurchmesser eines als Doppelrohr geformten Versorgungskopf 11 gemäß E1 zutreffen würden.
3.4.4 Auch das Argument der Beschwerdegegnerin, dass, falls die Lanze nach E1 mit einem Gelenk versehen wäre, auch die Kühlmittelablaufleitung 16 ein (zweites) Gelenk benötigen würde, kann nicht überzeugen. Die Kühlmittelablaufleitung 16 von E1 besteht aus einer flexiblen Leitung (siehe Spalte 4, Zeilen 37 und 38), sodass diese einer durch die Gelenkverbindung eingestellten abgewinkelten Position der Lanze ohne Weiteres mit einer annährenden Winkelstellung folgen kann.
3.4.5 Der weitere Vortrag der Beschwerdegegnerin, z. B. dass der Erfindungsgegenstand von E1 auf eine andere Lösung als im Streitpatent gerichtet ist, nämlich das Kühlmittel aus der heißen thermischen Anlage nicht stationieren zu lassen, sondern wieder herauszuführen (siehe Spalte 3, Zeile 6 bis 16), ist nicht zutreffend.
Die übergeordnete Problematik bleibt auch in E1 die optimale Positionierung der Lanze mit dem Sprengmittel, vgl. Absätze [0012] und [0013].
3.5 Aufgrund dieser Überlegungen ist die Kammer zum Ergebnis gelangt, dass der im erteilten Anspruch 1 definierte Gegenstand auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruht und somit die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ nicht erfüllt.
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) EPÜ steht somit der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt im Wege.
4. Die im schriftlichen Verfahren von der Beschwerdegegnerin eingereichten Anspruchssätze als Basis von Hilfsanträgen wurden während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer explizit zurückgenommen und bleiben daher ohne Entscheidung.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das europäische Patent Nr. 1 544 567 wird widerrufen.