T 0137/16 21-01-2021
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Injektionsvorrichtung mit Spannfeder und Spannelement
Sanofi-Aventis Deutschland GmbH
SHL Group AB
Änderungen
Neuheit
Erfinderische Tätigkeit
Änderung veranlasst durch Einspruchsgrund
I. In der am 2. Dezember 2015 zur Post gegebenen Zwischenentscheidung stellte die Einspruchsabteilung fest, dass das europäische Patent Nr. 2010252 in der Fassung gemäß dem damals geltenden Hilfsantrag 1, das heißt unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen sowie die Erfindung, die das Patent zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügen.
II. Gegen diese Entscheidung haben die Patentinhaberin und beide Einsprechenden Beschwerde eingelegt.
III. Auf die Ladung der Kammer gemäß Regel 115 (1) EPÜ vom 30. April 2020 teilte die Beschwerdeführerin-Einsprechende 1 in ihrem Schreiben vom 6. Oktober 2020 mit, dass sie an der mündlichen Verhandlung vom 21. Januar 2021 nicht teilnehmen würde.
IV. Gemäß Regel 115 (2) EPÜ und Artikel 15 (3) der VOBK 2020 fand eine mündliche Verhandlung am 21. Januar 2021 ohne die Einsprechende 1 vor der Beschwerdekammer statt.
Die Patentinhaberin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, die Einsprüche zurückzuweisen und das Patent in erteilter Form aufrecht zu halten. Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents mit Ansprüchen gemäß einem der Hilfsanträge 1-4 eingereicht mit der Beschwerdebegründung.
Die Einsprechende 2 beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Im Laufe der mündlichen Verhandlung nahm die Einsprechende 2 ihre Beschwerde zurück, sie erhielt jedoch Ihre Einwände gegen den Anträgen der Patentinhaberin aufrecht und hielt somit an ihrem Antrag auf Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin fest.
V. Die Einsprechende 1 hatte im schriftlichen Verfahren beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
VI. Der Hauptantrag umfasst einen unabhängigen Produktanspruch und einen unabhängigen Verfahrensanspruch. Anspruch 9 gemäß dem Hauptantrag lautet:
"Verfahren zum Vorbereiten einer Injektionsvorrichtung mit einer Aufnahmevorrichtung (2) für eine abzugebende Substanz, dadurch gekennzeichnet dass ein Spannelement, das sich an einem Teil der Injektionsvorrichtung abstützt, durch eine relative Bewegung der Aufnahmevorrichtung (2) zur Injektionsvorrichtung oder zu einem Teil der Injektionsvorrichtung über ein Koppelelement (5) gespannt wird, wobei das Koppelelement (5) zur Koppelung der Aufnahmevorrichtung (2) mit dem Spannelement (6) dient."
VII. Die Hilfsanträge 1-3 umfassen ebenfalls jeweils einen unabhängigen Produktanspruch und einen unabhängigen Verfahrensanspruch.
VIII. Anspruch 1 (einziger unabhängiger Anspruch) gemäß dem Hilfsantrag 4, mit hinzugefügten Merkmalsbezeichnungen in Fettschrift, lautet:
1. "Injektionsvorrichtung mit
1.1 einer Aufnahmevorrichtung für eine abzugebende Substanz, wobei die Aufnahmevorrichtung als Ampullenhalter (2) ausgebildet ist, welche relativ zur Injektionsvorrichtung oder einem Teil davon bewegbar ist,
1.2 einer Ausschüttfeder (6), die sich an einem Teil der Injektionsvorrichtung abstützen kann,
1.3 einem Koppelelement (5) zur Kopplung der Aufnahmevorrichtung (2) mit der Ausschüttfeder (6), und
1.4 einem Auslöseknopf (7) zum Auslösen einer Injektion,
1.5 wobei die Feder (6) durch eine Einführbewegung der Aufnahmevorrichtung (2) in die Injektionsvorrichtung spannbar ist,
1.6 wobei die Feder zum Ausschütten einer Substanz über das Koppelelement (5) auf eine Kolbenstange (1) der Injektionsvorrichtung wirkend ausgebildet ist,
1.7 wobei das Koppelelement (5) mindestens ein Halte- oder Rastelement (5a, 5b) aufweist, um das Koppelelement (5) lösbar mit der Aufnahmevorrichtung (2) und/oder einer Kolbenstange (1) der Injektionsvorrichtung zu verbinden,
1.8 wobei das Koppelelement (5) eingerichtet ist, die Ausschüttfeder (6) in einem gespannten Zustand zu halten und durch Betätigung des Auslöseknopfes (7) ein Entspannen der Ausschüttfeder (6) zu ermöglichen."
IX. Folgende Entgegenhaltungen sind für die vorliegende Entscheidung relevant:
D6: WO -A- 92/19296
D7: EP -A- 0824923
D3': WO -A- 99/20327
D4': FR -A- 2 728 172
D7': US 5,092,842
X. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Einsprechenden lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Artikel 123 (2) EPÜ
Der Hauptantrag erfülle nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ. Das im Anspruch 9 beanspruchte Verfahren sei ursprünglich stets nur im Zusammenhang mit einer Ampulle bzw. Ampullenhalter offenbart.
Darüber hinaus gebe es keine Offenbarung für eine "relative Bewegung" sondern nur für eine Einführbewegung der Ampulle bzw. des Ampullenhalters. Die ursprünglich beanspruchte Ausschüttfeder sei durch ein Spannelement verallgemeinert, ohne dessen in der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 2, ab Zeile 7, definierte, spezifische beidseitige Abstützung vollständig in den Anspruch aufzunehmen.
Zulassung der Hilfsanträge 1-4
Die Hilfsanträge 1-4 seien nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Die Hilfsanträge 1-3 entsprächen den Hilfsanträgen 8-10 im Einspruchsverfahren, die während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zurückgenommen wurden. Darüber hinaus hätten die Hilfsanträge 1-4 bereits im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren vorgebracht werden können.
Hilfsantrag 4 - Regel 80 EPÜ
Die Änderung im Hilfsantrag 4 gegenüber dem gemäß Zwischenentscheidung aufrechterhaltenen Hilfsantrag 1 bewirke keine substantielle Änderung und könne keinen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ ausräumen, so dass die Erfordernisse der Regel 80 EPÜ nicht erfüllt seien.
Der Ersatz von "bei einer Einführbewegung" durch "durch eine Einführbewegung" scheine nichts zu verändern und erfülle somit nicht die Anforderungen der Regel 80 EPÜ.
Hilfsantrag 4 - Artikel 123 (2) und 123 (3) EPÜ
Die im ursprünglichen Anspruch 1 definierte Abstützung der Feder am Koppelelement sei ersatzlos gestrichen. Die Aufnahme des Auslöseknopfes ohne weitere Merkmale aus Seite 8-9, insbesondere ohne die Aktivierung des Auslöseknopfes durch das Drehen eines Einstellrings und ohne die Funktionshülse, stelle eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar. Der Ersatz von "bei einer Einführbewegung" durch "durch eine Einführbewegung" sei nicht zulässig, eine generelle Einführbewegung sei auf Seite 2, Zeile 13-14 nicht offenbart; dadurch werden sowohl Art. 123 (2) wie Art. 123 (3) EPÜ verletzt. Die im erteilten Anspruch 1 direkte Wirkung der Feder auf die Kolbenstange sei durch einen indirekten Mechanismus ("über das Koppelelement") ersetzt worden; dadurch sei der Schutzbereich des Patents ebenfalls erweitert worden. Die Streichung der Formulierung "oder unlösbar" sei unzulässig, da gemäß Offenbarung (S. 7, Z. 9-19 und S. 9, Z. 1-12) das Koppelelement im Wirkzusammenhang mit der Aufnahmevorrichtung und der Kolbenstange sowohl lösbar als auch unlösbar verbunden sei.
Hilfsantrag 4 - Artikel 83 EPÜ
Eine unlösbare Verbindung des Koppelelements mit der Aufnahmevorrichtung sei für die Funktion der Injektionsvorrichtung notwendig. Durch die Streichung der unlösbaren Verbindung des Koppelelements mit der Aufnahmevorrichtung sei der Gegenstand des Streitpatents nicht ausführbar.
Hilfsantrag 4 - Artikel 84 EPÜ
Es sei unklar, wie ein einziges Halte- oder Rastelement eine lösbare Verbindung mit der Aufnahmevorrichtung und mit der Kolbenstange erreichen könne. Darüber hinaus definiere das Merkmal des Auslöseknopfes zum Auslösen einer Injektion bzw. zum Entspannen der Ausschüttfeder ein zu erreichendes Ergebnis. Es fehlten strukturelle Merkmale aus dem Ausführungsbeispiel auf Seiten 8 und 9. Diese seien für die Definition der Erfindung wesentlich.
Hilfsantrag 4 - Neuheit
Dokument D6 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1. Insbesondere würden "socket" 42 und "lock balls" 44 gemeinsam das Koppelelement gemäß Anspruch 1 definieren. Dieses Koppelelement sei eingerichtet, um die Ausschüttfeder in einem gespannten Zustand zu halten. Denn dieses Merkmal des Anspruchs 1 verlange nicht, dass das Koppelelement den gespannten Zustand permanent halte.
Dokumente D3', D4' und D7 offenbaren ebenfalls alle Merkmale des Anspruchs 1.
Hilfsantrag 4 - Erfinderische Tätigkeit
Ausgehend von der Injektionsvorrichtung der D6 und unter Berücksichtigung der Lehre der D7 oder der D7' gelangte der Fachmann in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1. D7 und D7' lehrten eine kontrollierte Auslösung der Injektionsvorrichtung. Der Fachmann würde deren Kombination mit D6 berücksichtigen. Dass die in D7 und D7' involvierte Mechanik kompliziert sei, spiele nur eine untergeordnete Rolle.
Auch ausgehend von der Injektionsvorrichtung der D7' sei der Gegenstand des Anspruchs 1 naheliegend.
XI. Die entscheidungsrelevanten Argumente der Patentinhaberin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Artikel 123 (2) EPÜ
Anspruch 9 des Hauptantrags umfasse keine unzulässige Änderung. Es sei für den Fachmann klar, dass andere Behälter als eine Ampulle für die Aufnahme der abzugebenden Substanz verwendet werden könnten. Dies ergebe sich auch aus dem ursprünglichen Anspruch 1, der einen Ampullenhalter als nicht einschränkendes Beispiel anführe. Für den Fachmann sei ebenfalls klar, dass die Aufnahmevorrichtung im Inneren der Injektionsvorrichtung angeordnet sein muss. Daher komme es lediglich darauf an, dass sich die Aufnahmevorrichtung und die Injektionsvorrichtung relativ zueinander bewegen. Darüber hinaus sei es nicht erforderlich, an der wörtlichen Offenbarung auf der ursprünglichen Beschreibungsseite 2, Zeilen 9 bis 11 zu haften. Dem Begriff "Seite" und "Element" könne keine von der Formulierung "Teil der Injektionsvorrichtung" gemäß erteiltem Anspruch 9 abweichende Bedeutung beigemessen werden.
Zulassung der Hilfsanträge 1-3
Die Hilfsanträge 1-3 seien zuzulassen. Sie entsprächen den Hilfsanträgen im Einspruchsverfahren und seien dort nicht zurückgenommen sondern durch andere Anträge ersetzt worden.
Hilfsantrag 4 - Artikel 123 (2) und 123 (3) EPÜ
Die Angabe aller in Verbindung mit der Beschreibung des Auslöseknopfes des Ausführungsbeispiels auf Seiten 8 bis 9 genannten technischen Merkmale sei nicht erforderlich. Die Formulierung "durch eine Einführbewegung" sei durch S. 2, Z. 13-14 gestützt und erzeuge eine stärkere Kausalität als die Formulierung "bei einer Einführbewegung"; zeitlich gesehen sei es ebenfalls klar, dass simultan zur Einführbewegung die Feder gespannt werde. Dass die Feder nunmehr "über das Koppelelement" auf die Kolbenstange wirke, stelle eine Einschränkung dar, da aus zwei Alternativen eine ausgewählt würde.
Hilfsantrag 4 - Artikel 83 und 84 EPÜ
Durch Weglassen einer zuvor offenbarten Alternative könne kein Mangel der Ausführbarkeit entstehen. Im Ausführungsbeispiel sei das Koppelelement in der distalen Position (Fig. 1A) lösbar mit der Kolbenstange und in der proximalen Position (Fig. 2A) lösbar mit der Aufnahmevorrichtung verbunden.
Hilfsantrag 4 - Neuheit
D6 offenbare keinen Auslöseknopf im Sinne des Anspruchs 1. In D6 werde zum Auslösen die Hülse 48 über den Ampullenhalter 16/18 geschoben. Weiter wirke dort die Feder direkt auf das distale Ende der Kolbenstange und nicht über das Koppelelement. Die "lock balls" 44 seien nicht Teil des Koppelelements, da diese keine Kopplung der Aufnahmevorrichtung mit der Ausschüttfeder bewirkten. Darüber hinaus sei in D6, wie von der Einspruchsabteilung festgestellt, das Koppelelement nicht eingerichtet, die Ausschüttfeder permanent bis zur Betätigung eine Auslöseknopfes in einem gespannten Zustand zu halten.
Hilfsantrag 4 - Erfinderische Tätigkeit
Aufgabe der D6 sei es, eine möglichst einfache Injektionsvorrichtung bereitzustellen. Der Fachmann hätte keine Motivation, die D6 mit Teilen der komplizierten Mechanik der D7 oder der D7' zu modifizieren.
1. Erfindung
Die Erfindung betrifft eine Injektionsvorrichtung. Bei einer Einführbewegung einer Aufnahmevorrichtung für eine abzugebende Substanz, insbesondere eines Ampullenhalters, wird mittels eines Koppelelements eine Feder gespannt. Die Feder ist zum Ausschütten der Substanz auf eine Kolbenstange wirkend ausgebildet.
2. Hauptantrag - Artikel 100 (c) EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 9 gemäß Hauptantrag geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
Das Verfahren zum Vorbereiten der Injektionsvorrichtung ist ursprünglich stets im Zusammenhang mit einer Ampulle bzw. mit einem Ampullenhalter offenbart, siehe S. 2, Z. 4-20; S. 5, Z. 16-20; S. 7, Z. 4-10 und ursprünglicher Anspruch 9. Es stimmt zwar, dass der ursprüngliche Vorrichtungsanspruch 1 eine Aufnahmevorrichtung offenbart und den Ampullenhalter lediglich als Beispiel anführt. Der Vorrichtungsanspruch ist jedoch auf einen anderen Gegenstand gerichtet und kann nicht als Stützung für den Verfahrensanspruch dienen. Die Gesamtoffenbarung umfasst kein Verfahren zum Vorbereiten einer Injektionsvorrichtung mit einer anderen Aufnahmevorrichtung als einer Ampulle oder eines Ampullenhalters.
Die Bewegung zwischen der Ampullenhalter bzw. Ampulle und der Injektionsvorrichtung zum Vorbereiten der Injektionsvorrichtung für die Abgabe einer Substanz ist stets als Einführbewegung offenbart. Eine "relative Bewegung" ist in dieser Breite nicht ursprünglich offenbart.
Darüber hinaus ist "ein Spannelement, das sich an einem Teil der Injektionsvorrichtung abstützt" - wie in Anspruch 9 definiert - lediglich auf Seite 2, Zeile 8-13 in Kombination mit dem Merkmal "welche erfindungsgemäss an der von der abstützenden Seite oder Fläche wegweisenden Richtung ... gespannt werden kann" offenbart. Dieses Merkmal definiert nicht lediglich ein Teil der Injektionsvorrichtung sondern auch die Positionen der abstützenden Seite. Es gibt keine Offenbarung für den Gegenstand des Anspruchs 9 ohne dieses zusätzliches Merkmal, das mit dem hinzugefügten Merkmal deshalb in einer erkennbaren funktionellen Verbindung steht, weil dadurch die Spannung des Spannelements definiert wird.
3. Hilfsanträge 1-3 - Zulassung
Die im Beschwerdeverfahren eingereichten Hilfsanträge 1-3 entsprechen den im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträgen 8-10 und sind dort durch neue Hilfsanträge ersetzt worden, die keine Verfahrensansprüche umfassten (vgl. Seite 2 und 3, jeweiliger letzter Satz der 2. und 4. Abschnitte der Niederschrift über die mündliche Verhandlung). Die Einspruchsabteilung hat somit keine Entscheidung zu den Hilfsanträgen 8-10 getroffen.
Nach Artikel 12 (4) VOBK 2007, der gemäß der Übergangsbestimmungen von Artikel 25 (2) VOBK 2020 hier anwendbar ist, ist die Kammer befugt, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern, gilt dies umso mehr für Anträge, die im erstinstanzlichen Verfahren eingereicht und dort anschließend wieder zurückgenommen wurden (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 9. Auflage 2019, V.A.4.11.3 f)). Dies gilt gleichermaßen für Anträge, die ersetzt worden sind, da der Ersatz eines Antrags seine Rücknahme bewirkt und ebenfalls dazu führt, dass keine Entscheidung zu diesem Antrag getroffen wird (vgl. T 390/07, hn. 1 und Punkt 1 der Begründung).
Die Patentinhaberin hat keine Begründung angegeben, warum diese Anträge im Beschwerdeverfahren wieder eingereicht worden sind. Die Kammer vermag auch keinen Grund zu erkennen, nachdem diese im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren nicht mehr verfolgt wurden. Daher übt die Kammer das ihr durch Artikel 12 (4) VOBK 2007 eingeräumte Ermessen dahingehend aus, die Hilfsanträge 1-3 nicht ins Verfahren zuzulassen.
4. Hilfsantrag 4
4.1 Zulassung
Der Gegenstand des Hilfsantrags 4 entspricht, bis auf eine redaktionelle Änderung in Anspruch 1 (Ersetzen vom "und dass das Koppelelement (5) eingerichtet ist" durch "wobei das Koppelelement (5) eingerichtet ist"), dem Gegenstand des von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Hilfsantrags 1. Die Kammer hat daher keinen Anlass, den Hilfsantrag 4 nicht ins Verfahren zuzulassen.
4.2 Regel 80 EPÜ
Die redaktionelle Änderung in Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 betrifft einen veränderten Teil des Patents. Denn das Merkmal des Haltens der Feder in einem gespannten Zustand ist erst im Einspruchsverfahren aus Seite 2, Zeile 15-20 aufgenommen worden.
In Vergleich zur erteilten Fassung handelt es sich also nicht nur um eine redaktionelle Änderung, sondern auch um die Hinzufügung eines Merkmals. Das Hinzufügen des Merkmals in Anspruch 1 ist allerdings durch einen Einspruchsgrund veranlasst, so dass die Erfordernisse der Regel 80 EPÜ erfüllt sind.
Der Ersatz von "bei einer Einführbewegung" durch "durch eine Einführbewegung" bewirkt ebenfalls eine Einschränkung (siehe Punkt 4.3 hier unten), so dass diese Änderung ebenso die Erfordernisse der Regel 80 EPÜ erfüllt.
4.3 Artikel 123(3) EPÜ
4.3.1 Das Wortlaut "bei einer Einführbewegung" des erteilten Anspruchs 1 wurde im vorliegenden Merkmal 1.5 mittels "durch eine Einführbewegung" ersetzt. Diese Änderung erzeugt eine stärkere Kausalität. Der Schutzbereich wird deshalb dadurch nicht erweitert.
4.3.2 Der erteilte Anspruch 1, nach dem "die Feder zum Ausschütten einer Substanz auf eine Kolbenstange (1) der Injektionsvorrichtung wirkend ausgebildet ist" umfasst sowohl ein direktes/unmittelbares wie ein indirektes Einwirken der Feder auf die Kolbenstange. Merkmal 1.6, das eine indirekte Wirkung "über das Koppelelement" definiert, stellt somit ebenfalls eine Einschränkung des Schutzbereichs dar.
4.4 Folglich sind die Erfordernisse des Artikel 123 (3) EPÜ erfüllt.
4.5 Artikel 123 (2) EPÜ
4.5.1 Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 definiert die Injektionsvorrichtung "mit .... einer Ausschüttfeder (6) die sich an einem Teil der Injektionsvorrichtung abstützen kann und einem Koppelelement". Der ursprüngliche Anspruch 1 definiert jedoch - genauso wie der vorliegende Anspruch 1 - keine Abstützung der Feder am Koppelelement, weil sich der Wortlaut "und einem Koppelelement" auf die Präposition "mit" (zweites Wort des Anspruchs) bezieht. Daher ist keine ersatzlose Streichung der Abstützung am Koppelelement erfolgt. In dieser Hinsicht wurde deshalb der ursprüngliche Anspruch 1 nicht geändert.
4.5.2 Der Auslöseknopf gemäß Merkmal 1.4 wurde aus der Beschreibung aufgenommen. Die Aufnahme des Auslöseknopfes ohne Ausfahren bzw. Aktivierung des Knopfes und ohne Funktionshülse/Freigabeelement, die auf Seiten 8 und 9 zusammen mit dem Auslöseknopf beschrieben wurden, stellt keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar. Diese Merkmale werden im einführenden Teil der Beschreibung nämlich stets als optional für die Funktion des Auslöseknopf dargestellt (Seite 2, Zeile 15-20; siehe auch Seite 4, Zeile 21 - Seite 5, Z. 9).
4.5.3 Die Spannung der Feder durch eine Einführbewegung der Aufnahmevorrichtung (Merkmal 1.5) wird auf Seite 2, Zeile 13-14 und Seite 7, Zeile 11-13 offenbart. Da diese Textstellen nicht auf eine spezifische Einführbewegung begrenzt sind, ist dem Fachmann klar, dass eine generelle Einführbewegung die Feder spannen kann.
4.5.4 Das indirekte Einwirken der Feder über das Koppelelement auf die Kolbenstange (Merkmal 1.6) ist durch Seite 2, Zeile 20-22 gestützt.
4.5.5 Gemäß der ursprünglichen Offenbarung ist das Koppelelement im Wirkzusammenhang mit der Aufnahmevorrichtung und der Kolbenstange nicht sowohl lösbar als auch unlösbar verbunden. Vielmehr sind eine lösbare und eine unlösbare Verbindung des Koppelelements mit der Aufnahmevorrichtung und/oder einer Kolbenstange als Alternative bereits im ursprünglichen Anspruch 3 offenbart; darüber hinaus zeigt das Ausführungsbeispiel in den Fig. 1A-1B und 2A-2B eine lösbare Verbindung des Koppelelements sowohl mit der Aufnahmevorrichtung als auch mit der Kolbenstange (siehe Seite 6, Zeile 31-32; Seite 7, Zeile 10-19 und Seite 9, Zeile 1-12). Merkmal 1.7 ist deshalb ursprünglich offenbart.
4.5.6 Folglich genügt Anspruch 1 den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.
4.6 Artikel 83 EPÜ
Das Ausführungsbeispiel stellt eine nachbearbeitbare Lehre dar. Das Koppelelement ist in der distalen Position lösbar mit der Kolbenstange (Rast- bzw. Eingriffselemente 5a in [0020], [0022], Fig. 1B und Fig. 2B) und in der proximalen Position lösbar mit der Aufnahmevorrichtung verbunden (Halteelemente 5b in [0022], [0027], Fig. 2A und Fig. 4A). Beim Eingreifen der Elemente 5a/5b wird die Übertragung/Mitnahme ermöglicht, ohne dadurch zu einer unlösbaren Verbindung zu führen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher ausführbar.
4.7 Artikel 84 EPÜ
Die vermeintlich mangelnde Klarheit bezüglich "mindestens ein Halte- oder Rastelement" betrifft den ursprünglichen abhängigen Anspruch 3 der erteilten Fassung und wurde von dort in den Hauptantrag
übernommen. Die Streichung der Alternative "oder
unlösbar" spielt dabei keine Rolle. Für die Prüfung der Klarheit nach der Rechtsprechung der Grossen Beschwerdekammer (siehe G 3/14, Entscheidungsformel) ist somit kein Raum. Dasselbe gilt auch für den Einwand die angeblich fehlenden wesentlichen Merkmale betreffend, da diese bereits im erteilten Anspruch 1 nicht vorhanden waren.
Der Auslöseknopf in Anspruch 1 wird durch seine Funktion ausreichend definiert. Tatsächlich ist diese funktionelle Definition zwar nur durch ein einziges Ausführungsbeispiel gestützt. Das Patent vermittelt aber nirgendwo den Eindruck, dass die
Funktion des Auslöseknopfes nur durch diese konkrete
Konstruktion ermöglicht werden kann. Vielmehr werden
die strukturellen Merkmale als optional beschrieben,
wie oben unter Punkt 4.5.2 aufgeführt. Für den Fachmann ist es also klar, dass Alternativmöglichkeiten
verwendet werden können. Somit entsteht durch das
Hinzufügen dieses Merkmals keine Unklarheit.
4.8 Neuheit
Im Beschwerdeverfahren haben die Einsprechenden fehlende Neuheit im Hinblick auf D6, D3', D4' und D7 geltend gemacht.
4.8.1 D6
D6 betrifft eine Injektionsvorrichtung für eine
schnelle und automatisierte Abgabe einer Substanz in
das Knochenmark, wobei ein Injektionsmechanismus die
Nadel vor und nach der Abgabe schützt (siehe S. 1, Z.
4-10 und S. 3, Z. 25 - S. 4, Z. 11; siehe auch Fig.
1-5) und offenbart:
1. Injektionsvorrichtung (10 in Fig. 1-4) mit
1.1 einer Aufnahmevorrichtung (16/18) für eine abzugebende Substanz (32 in Ampulle 12), wobei die Aufnahmevorrichtung als Ampullenhalter ausgebildet ist (Ampullenhalter 16/18), welche relativ zur Injektionsvorrichtung oder einem Teil davon bewegbar ist (Fig. 1-2 sowie S. 8, Z. 10-19),
1.2 einer Ausschüttfeder (34), die sich an einem Teil der Injektionsvorrichtung abstützen kann (34 stützt sich gegen 10 bei 36; Fig. 1-4 und S. 7, Z. 26-29),
1.3 einem Koppelelement (socket 42 in der Kolbenstange 28 + lock ball(s) 44) zur Kopplung der Aufnahmevorrichtung mit der Ausschüttfeder (16/18 ist mit Feder 34 über 42 + 44 gekoppelt, siehe Fig. 1; 42 alleine ermöglicht keine Kopplung mit der Feder, wenn 44 abwesend ist),
1.4 einem Auslöseknopf (actuation handle 22/48) zum Auslösen einer Injektion,
1.5 wobei die Feder durch eine Einführbewegung der Aufnahmevorrichtung in die Injektionsvorrichtung spannbar ist (Fig. 1-2 und S. 8, Z. 10-17),
1.6 wobei die Feder zum Ausschütten einer Substanz über das Koppelelement auf eine Kolbenstange der Injektionsvorrichtung wirkend ausgebildet ist (Feder 34 wirkt mittels 42 zur Injektion auf Kolbenstange 28; Fig. 3-4 und S. 8, Z. 27-31)
1.7 wobei das Koppelelement mindestens ein Halte- oder Rastelement aufweist (44), um das Koppelelement lösbar mit der Aufnahmevorrichtung zu verbinden (42+44 ist mittels 44 mit dem Ampullenhalter 16/18 lösbar verbunden; diese Verbindung wird gelöst, indem die lock ball(s) 44 in pocket 46 reingehen und sich dabei von socket 42 trennen)
Die Patentinhaberin argumentiert, dass die lock balls 44 nicht als Koppelelement im Sinne des Anspruchs 1 gesehen werden können, weil diese keine Kopplung der Aufnahmevorrichtung 12 mit der Ausschüttfeder 34 bewirkten. Die Einspruchsabteilung vertritt in der angefochtenen Entscheidung die Meinung, dass socket 42 und lock balls 44 "komplett separate Elemente" sind, sodass Merkmal 1.7 in D6 nicht offenbart ist (siehe Absatz zwischen S. 8 und 9 der angefochtenen Entscheidung).
In D6 handelt es sich bei 42 um 44 um zwei Teilen, die zusammenwirken, um die Kopplung gemäß Merkmal 1.3 zu ermöglichen. Die Kopplung zwischen der Feder 34 und der Aufnahmevorrichtung 16/18 wird also auch durch die lock balls 44 bewirkt. Somit definieren 42 und 44 zusammen ein Kopplungselement.
Darüber hinaus argumentiert die Patentinhaberin, dass D6 keinen Auslöseknopf offenbart, da in D6 zum Auslösen die Hülse 48 über den Ampullenhalter geschoben wird. Wie in der angefochtenen Entscheidung begründet, stellt die Hülse 48 einen Auslöseknopf gemäß Merkmal 1.4 dar. Denn beim Drücken der Hülse in Richtung des Patienten wird, wenn die Hülse weit genug gedrückt worden ist, die Injektion ausgelöst.
Merkmal 1.8, dem zufolge "das Koppelelement eingerichtet ist, die Ausschüttfeder in einem gespannten Zustand zu halten und durch Betätigung des Auslöseknopfes ein Entspannen der Ausschüttfeder zu ermöglichen", ist in D6 nicht offenbart.
Die Einsprechenden argumentieren, dass das Merkmal nicht verlangt, dass das Koppelelement permanent die Feder im gespannten Zustand hält.
Merkmal 1.8 definiert jedoch ein Element in einer Vorrichtung, das eingerichtet ist, eine Feder in einem gespannten Zustand zu halten. Dabei ist es für den Fachmann klar, dass keine äußere Kraft notwendig ist, um diesen gespannten Zustand zu halten. Allerdings bleibt die Feder in D6 nur solange in einem gespannten Zustand, wie der äußere Druck von einem Benutzer der Injektionsvorrichtung auf die Hülse 48 erhalten bleibt. Ohne äußere Kraft kann diesen Zustand nicht gehalten werden. Das Koppelelement gemäß Merkmal 1.8 ist durch die Injektionsvorrichtung der D6 also nicht vorweggenommen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu gegenüber D6.
4.8.2 D3', D4' und D7
Anspruch 1 des in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrags 1 entspricht, bis auf die Streichung der Alternative "oder unlösbar" (Alternative, die aufgrund eines Klarheitseinwands der Einsprechenden gestrichen worden ist) dem Anspruch 1 des im schriftlichen Einspruchsverfahren am 19. Juni 2012 eingereichten Hilfsantrags 8.
Im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren sind ausgehend von D3', D4' und D7 keine Neuheitseinwände gegen den in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 1 oder gegen den im schriftlichen Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsantrag 8 erhoben worden.
Der im Beschwerdeverfahren eingereichte Hilfsantrag 4 entspricht, bis auf eine redaktionelle Änderung, dem in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 1. Die Kammer vermag nicht zu erkennen, wie sich aus dieser redaktionellen Änderung neue Neuheitseinwände ergeben sollten. Die Einsprechende 2 gibt auch keine Begründung an, warum diese neuen Angriffe im Hinblick auf D3', D4' und D7, die einen neuen Sachverhalt darstellen, erst im Beschwerdeverfahren eingereicht worden sind.
Deshalb übt die Kammer das ihr durch Artikel 12 (4) VOBK 2007 eingeräumte Ermessen dahingehend aus, die Neuheitseinwände im Hinblick auf D3', D4' und D7 nicht ins Verfahren zuzulassen.
4.9 Erfinderische Tätigkeit
Die Einsprechenden haben die erfinderische Tätigkeit ausgehend von D6 oder D7' bestritten.
4.9.1 D6 als nächstliegender Stand der Technik in Verbindung mit D7 oder D7'
Die Einsprechende 2 geht von D6 als nächstliegenden Stand der Technik aus. Dies wird von der Patentinhaberin nicht bestritten.
Eine Kombination der D6 mit D7 ist nicht naheliegend. Die Injektionsvorrichtung der D6 ist für den Einsatz in Notfallsituationen vorgesehen, wo es auf ein paar Sekunden ankommt und eine sehr schnelle und unkomplizierte Abgabe auch durch einen Laien erforderlich ist (siehe zum Beispiel S. 1, Z. 4-6; S. 2, Z. 2-11; S. 12, Z. 12-21). Für den Fachmann war es daher nicht naheliegend, die Abgabe gemäß D6 durch Übernahme von Merkmalen aus der D7 komplizierter und somit langsamer zu machen. Deswegen würde er ausgehend von D6 zusätzliche Zwischenschritte für die Injektion wie das von D7 gelehrte Drücken eines zusätzlichen Knopfes ausschließen und eine solche Kombination aus D6 und D7 nicht ernsthaft in Betracht ziehen.
Darüber hinaus ist es für die Kammer nicht ersichtlich, wie die sehr unterschiedlichen Mechanismen von D6 und D7 kombiniert werden könnten. So sind zum Beispiel die in D6 zum Koppelelement gehörenden lock balls 44 nach außen gerichtet, das Rastelement in D7 (pawl 60 in driver 58, siehe Spalte 5, Z. 22-27) dagegen nach innen gerichtet.
Entsprechende Argumente gelten auch gegen die von der Einsprechende 2 vorgebrachte Kombination aus D6 und D7', da der Mechanismus in D7' ebenfalls einen zusätzlichen Druck auf clip 11 erfordert.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird daher ausgehend von D6 in Kombination mit D7 oder D7' nicht nahegelegt.
4.9.2 D7' als nächstliegender Stand der Technik
Im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren ist keinen Einwand der mangelnden erfinderische Tätigkeit ausgehend von D7' gegen den in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 1 oder gegen den im schriftlichen Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsantrag 8 erhoben worden.
Aus ähnlichen Gründen wie unter Punkt 4.8.2 aufgeführt, übt die Kammer das ihr durch Artikel 12 (4) VOBK 2007 eingeräumte Ermessen dahingehend aus, diesen Einwand nicht ins Verfahren zuzulassen.
4.10 Somit steht keiner der erhobenen Einwände der Aufrechterhaltung des Streitpatents gemäß Hilfsantrag 4 entgegen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in der folgenden Fassung aufrecht zu erhalten:
- Ansprüche 1 bis 7 des vierten Hilfsantrags, eingereicht mit der Begründung der Beschwerde der Patentinhaberin vom 1. April 2016,
- Beschreibung: Seiten 1 bis 9 wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung
und
- Zeichnungen: Figuren 1A bis 4D der Patentschrift.