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T 1597/16 14-01-2020
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PANEEL AUS HOLZWERKSTOFF MIT OBERFLÄCHENBESCHICHTUNG
Spät eingereichter Antrag - zugelassen (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
I. Das europäische Patent Nr. 1 756 381 (im Folgenden: Patent) betrifft ein Paneel aus Holzwerkstoff mit Oberflächenbeschichtung, insbesondere zur Verwendung als Fußbodenbelag, Decken- oder Wandbekleidung oder Arbeitsplatte, für Wohnzwecke oder für gewerbliche Zwecke.
II. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurde Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung (Artikel 100 c) EPÜ 1973), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ 1973), sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ 1973) geltend gemacht.
III. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung hat diese entschieden, den Einspruch zurückzuweisen.
IV. Die Einsprechende (im Folgenden: Beschwerdeführerin) hat gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt.
V. In der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2007) vom 9. Mai 2019 hat die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mitgeteilt.
VI. Die mündliche Verhandlung hat am 14. Januar 2020 stattgefunden. Zum Ablauf der mündlichen Verhandlung, insbesondere zur Stellung von Anträgen bzw. deren Rücknahme durch die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Daraus ergibt sich insbesondere, dass nach Rücknahme des zunächst im Beschwerdeverfahren geltend gemachten Hauptantrags sowie der mit Schreiben vom 21. November 2019 eingereichten Hilfsanträge I bis V sowie des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags III der neue Hauptantrag der mit Schreiben vom 21. November 2019 eingereichte Hilfsantrag VI ist, über den nur noch zu entscheiden war.
VII. Schlussanträge
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in eingeschränkter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche gemäß dem mit Schreiben vom 21. November 2019 eingereichten Hilfsantrag VI (nunmehr Hauptantrag) aufrechtzuerhalten.
VIII. Anspruchssatz
Der unabhängige Sachanspruch 1 in der geänderten Fassung lautet folgendermaßen (die Nummerierung der Merkmale wurde durch die Kammer hinzufügt, um den Bezug zu erleichtern; Auslassungen gegenüber Anspruch 1 in der erteilten Fassung sind durchgestrichen):
a) Paneel aus Holzwerkstoff
b) mit einer Oberflächenbeschichtung, die aufweist:
c) eine Grundierung, die auf der Holzwerkstoffplatte
aufgetragen ist,
d) mindestens eine Lackschicht, in die Korund
eingebracht ist, die nicht die äußerste Lackschicht
ist, und die mittels UV-Licht oder mittels
Elektronenstrahl-Härtung gehärtet ist,
e) mindestens eine weitere Lackschicht,
f) wobei die Schichtdicke des in zwei oder mehr
Schichten aufgetragenen Lacks 120 µm insgesamt
nicht überschreitet,
dadurch gekennzeichnet, dass
g) mindestens eine funktionale Komponente vorgesehen
ist,
h) [deleted: die als außenliegende, funktionale Schicht]
[deleted: aufgetragen ist, wobei als funktionale Komponente]
[deleted: Schichten von Mattlack und Glanzlack jeweils]
[deleted: abschnittsweise die Oberfläche des Paneels bedecken]
[deleted: und in ihrer Schichtfolge derart angeordnet sind,]
[deleted: dass sich optisch wahrnehmbare Strukturen bilden,]
[deleted: oder]
i) die als außenliegende, funktionale Schicht oder
als zwischen zwei Lackschichten angeordnete,
funktionale Schicht aufgetragen ist, die die
Oberfläche des Paneels abschnittsweise bedeckt, und
die eine farbgebende Beschichtung abstößt, sowie
mindestens eine zweite Schicht aufweist, die aus
einer farbgebenden Beschichtung besteht, die die
Oberfläche des Paneels abschnittsweise bedeckt.
IX. Zum Stand der Technik haben die Beteiligten in der Beschwerdebegründung bzw. -erwiderung unter anderem auf folgende, bereits in der angefochtenen Entscheidung genannte Druckschriften Bezug genommen:
D7: US 3 811 915;
D8: DE 20 2004 018 710 U1.
X. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
a) Hauptantrag - Zulassung in das Verfahren
Die Beschwerdeführerin rügt, dass der geänderte Hauptantrag nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen und berücksichtigt werden dürfe, weil er bereits früher im Einspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren hätte eingereicht werden können.
Die Beschwerdegegnerin führt demgegenüber aus, der geänderte Anspruchssatz gemäß Hauptantrag sei in direkter Reaktion auf die Feststellung der Kammer in der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2007 eingereicht worden, dass der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegen die in Merkmal h) definierte Ausführungsform der Erfindung (Variante 1) überzeugend sei, nicht aber der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegen die alternativen, in Merkmal i) definierten Ausführungsformen (Varianten 2 und 3). Der neue Antrag beschränke lediglich den beanspruchten Gegenstand auf diese gewährbaren Ausführungsformen und führe daher zu keiner neuen Sachlage.
b) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
Die Beschwerdeführerin führt aus, der Gegenstand von Anspruch 1 in der geänderten Fassung werde durch eine Kombination von D7 als nächstliegendem Stand der Technik und D8 nahegelegt.
Die Beschwerdegegnerin argumentiert dagegen unter Verweis auf die angefochtene Entscheidung.
1. Anwendbares Recht
1.1 Die Anmeldung, auf deren Grundlage das Patent erteilt wurde, ist als internationale Patentanmeldung
PCT/EP2005/005812 am 30. Mai 2005 eingereicht worden, d. h. vor dem Inkrafttreten des revidierten Übereinkommens (EPÜ 2000) am 13. Dezember 2007.
1.2 Deshalb sind im vorliegenden Fall in Anwendung des Artikels 1 (1) des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Akte zur Revision des Europäischen Patentübereinkommens vom 29. November 2000 (ABl. EPA 2007, Sonderausgabe Nr. 4, 139) unter anderem Artikel 56 und 100 EPÜ 1973 sowie Artikel 123 EPÜ (2000) anzuwenden.
2. Anwendbare Verfahrensordnung der Beschwerdekammern
2.1 Die Beschwerde ist am 5. Juli 2016 eingereicht worden, d. h. vor dem Inkrafttreten der revidierten Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) am 1. Januar 2020. Diese ist für am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden ebenso anwendbar wie für danach eingelegte Beschwerden (Artikel 25 (1) VOBK 2020).
2.2 Da die Ladung zur mündlichen Verhandlung am 20. Februar 2019 und damit vor dem Inkrafttreten der VOBK 2020 zugestellt wurde, war in der mündlichen Verhandlung am 14. Januar 2020 gemäß Artikel 25 (1) und (3) VOBK 2020 für Fragen der Änderung des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten Artikel 13 (1) und (3) VOBK 2020 anzuwenden, nicht aber Artikel 13 (2) VOBK 2020. Vielmehr gilt insofern weiterhin Artikel 13 VOBK 2007, vgl. Artikel 25 (3) Satz 2 VOBK 2020.
2.3 Die in Artikel 13 (1) VOBK 2020 enthaltenen Kriterien der Ermessensausübung bei der Zulassung geänderten Vorbringens beruhen im Wesentlichen auf der ständigen Rechtsprechung im Hinblick auf Artikel 13 (1) VOBK 2007.
2.4 Diesbezüglich stellt die Kammer fest, dass Artikel 13 (1) VOBK 2020 grundsätzlich bei Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung anzuwenden ist, ganz gleich, ob diese Änderungen vor oder nach Ablauf einer in einer Mitteilung nach Regel 100 Absatz 2 EPÜ bestimmten Frist bzw. vor oder nach Zustellung einer Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht worden sind.
3. Anspruch 1 in der erteilten Fassung
3.1 Anspruch 1 gemäß dem in der angefochtenen Entscheidung behandelten, für gewährbar erachteten Hauptantrag der Beschwerdegegnerin entspricht Anspruch 1 in der erteilten Fassung.
3.2 Merkmale h) und i) von Anspruch 1 in der erteilten Fassung definieren letztendlich drei alternative Ausführungsformen für die in Merkmal g) vorgeschriebene funktionale Komponente des Paneels, nämlich
- eine außenliegende mehrschichtige Beschichtung aus Matt- und Glanzlackschichten ("Variante 1");
- eine außenliegende mehrschichtige Beschichtung mit einer farbgebenden Schicht und einer die farbgebende Schicht abstoßenden Schicht, die außen liegt ("Variante 2") oder zwischen zwei Lackschichten angeordnet ist ("Variante 3").
4. Hauptantrag - Zulassung in das Verfahren
4.1 Der nun vorliegende Hauptantrag entspricht dem Hilfsantrag VI, den die Beschwerdegegnerin nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht hat. Seine Zulassung lag gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2020 und 13 (1) VOBK 2007 im Ermessen der Kammer.
4.2 Dieser neue Antrag unterscheidet sich von dem in der angefochtenen Entscheidung behandelten Hauptantrag darin, dass in Anspruch 1 Merkmal h) sowie das Wort "oder" gestrichen worden ist. Damit ist Anspruch 1, der zunächst drei Varianten enthielt, auf die Varianten 2 und 3 beschränkt worden.
4.3 Die Beschwerdegegnerin hat zwar keine triftigen Gründe dafür angegeben, weshalb sie diese Anspruchsänderung erst in der Endphase des Beschwerdeverfahrens eingereicht hat. Sie hat insofern lediglich ausgeführt, dass die vorläufige Einschätzung der Kammer in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2007 erstmals Veranlassung für den neuen Antrag gegeben habe. Diese Mitteilung hat jedoch entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin keine gänzlich neuen Fragen aufgeworfen. Die darin erwähnten Einwände zur Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die Variante 1 waren bereits in der Anfangsphase des Beschwerdeverfahrens bekannt.
4.4 Nichtsdestotrotz kam die Kammer aus folgenden Gründen zu der Entscheidung, Hilfsantrag VI (nunmehr Hauptantrag) in das Verfahren zuzulassen:
4.4.1 Durch die hier vorgenommene Beschränkung des beanspruchten Gegenstands auf zwei von drei im erteilten Anspruch 1 enthaltenen Alternativen entstand kein anderer sachlicher bzw. patentrechtlicher Streitgegenstand.
4.4.2 Die Beschwerdeführerin war in der mündlichen Verhandlung sofort in der Lage, einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen den neuen Antrag zu formulieren. Im Übrigen verwies sie pauschal auf ihr schriftliches Vorbringen, das ihrem erstinstanzlichen Vorbringen entspricht (siehe Punkt 6.5 nachstehend).
4.4.3 Schließlich erschien der Kammer der neue Antrag als prima facie gewährbar, weil er alle noch offenen Einwände auszuräumen schien, ohne neue Fragen aufzuwerfen.
5. Hauptantrag - Zulässigkeit der Änderungen
5.1 Der Schutzbereich von Anspruch 1 ist durch die vorgenommene Anspruchsänderung beschränkt worden (Artikel 123 (3) EPÜ). Die Beschränkung ist nach Artikel 123 (2) EPÜ ohne weiteres zulässig.
5.2 Diesbezüglich hat die Beschwerdeführerin auch keine Einwände erhoben.
6. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
6.1 D7 offenbart ein Druckverfahren zur Erzeugung eines dreidimensionalen Holzmusters auf einem Paneel aus Holzwerkstoff ("Masonite panel"), bei dem eine Tinte (3), die eine lackabstoßende Silikonverbindung enthält, auf eine Grundierschicht (2) aufgedruckt und anschließend auf die Tinte eine klare Lackschicht (5) aufgetragen wird (siehe insbesondere Beispiel 2 und Figuren 1 bis 5).
6.2 Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass sich der beanspruchte Gegenstand gemäß Variante 2 von D7 darin unterscheidet:
- dass die nicht-außenliegende Schicht (3) Korund enthält und eine mittels UV-Licht oder mittels Elektronenstrahl-Härtung gehärtete Lackschicht ist (Merkmal d));
- dass die außenliegende Lackschicht (5) farbgebend ist (Merkmal i)) und
- dass die außenliegende Lackschicht (5) die Oberfläche des Paneels abschnittsweise bedeckt (Merkmal i)).
6.3 Die Beschwerdeführerin hat im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht, dass das Vorsehen dieser Unterscheidungsmerkmale durch das allgemeine Fachwissen sowie die Lehre von D8 nahegelegt ist.
6.4 Die Einspruchsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung dagegen festgestellt, dass die allgemeinen Fachkenntnisse des Fachmanns und die Lehre von D8 ihn allenfalls dazu anregen könnten, das erstgenannte Unterscheidungsmerkmal vorzusehen, nicht aber das zweitgenannte Unterscheidungsmerkmal (Gründe Nr. 5.2.8 und 5.2.9).
6.5 Die Beschwerdeführerin wendet sich zwar gegen diese Entscheidung mit ihrer Beschwerde, wiederholt aber lediglich ihre Ausführungen im Einspruchsschriftsatz (Seiten 8 bis 10), ohne in dieser Hinsicht auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung einzugehen.
6.6 Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, sich mit dem wiederholten Vorbringen erneut zu befassen und sieht im Übrigen auch keine sich aufdrängenden Gründe, die in dieser Frage ein Abweichen von der Feststellung der Einspruchsabteilung rechtfertigen könnten.
7. Die Beschreibung wurde in der mündlichen Verhandlung an die neuen Ansprüche angepasst. Die Beschwerdeführerin hatte keine Einwände zur Anpassung der Beschreibung.
8. Die Kammer kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hauptantrags der Beschwerdegegnerin nicht entgegensteht.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 7 des mit Schreiben vom 21. November 2019 als Hilfsantrag VI eingereichten Hauptantrags sowie Beschreibungsspalten 1 bis 10, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, aufrechtzuerhalten.