T 2732/16 26-09-2019
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GEMISCH VON DIESTERN DER ADIPIN- ODER PHTHALSÄURE MIT ISOMEREN NONANOLEN
Evonik Degussa GmbH
ExxonMobil Chemical Patents Inc.
Neuheit - Parameter
Neuheit - implizite Offenbarung im Stand der Technik
Neuheit - Beweislast
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende 1) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent EP 1 171 413 unter Artikel 101(3)(a) und 106(2) EPÜ in geänderter Form aufrechtzuerhalten.
II. Im Einspruchsverfahren war das Patent unter Artikeln 100(a) und 100(b) EPÜ wegen mangelnder Neuheit, mangelnder erfinderischer Tätigkeit und mangelnder Ausführbarkeit angegriffen worden.
III. In einer ersten Einspruchsentscheidung wurde das Patent wegen mangelnder Ausführbarkeit widerrufen. Die darauf folgende Beschwerde der Patentinhaberin führte zur Entscheidung T 2277/09, die die Einspruchsentscheidung aufhob und die Angelegenheit zur Prüfung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit an die Einspruchsabteilung zurückverwies.
In der zweiten Einspruchsentscheidung, die Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist, sah die Einspruchsabteilung die Ansprüche des damals vorliegenden Hauptantrags als neu und erfinderisch gegenüber dem zitierten Stand der Technik an. Entscheidend dafür waren nach Ansicht der Einspruchsabteilung die NMR-Parameter als charakterisierendes Merkmal der beanspruchten Gemische.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 1) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung, auf Grundlage ihres Hauptantrags oder hilfsweise auf Grundlage der Hilfsanträge 1-3, alle Anträge eingereicht mit Schreiben vom 19. Juli 2017 als Hilfsanträge 2-5, und umnummeriert mit Schreiben vom 19. Juni 2019.
Die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende 2) hat weder Eingaben gemacht noch Anträge gestellt.
V. Anspruch 1 des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Gemisch von Diestern einer Dicarbonsäure mit isomeren Nonanolen, ausgewählt unter
einem Gemisch von Diestern der Adipinsäure, in dessen in CDCl3 aufgenommenem **(1)H-NMR-Spektrum das Verhältnis der Fläche unter den Resonanzsignalen bei chemischen Verschiebungen im Bereich von 1,0 bis 2,0 ppm gegen TMS zu der Fläche unter den Resonanzsignalen bei chemischen Verschiebungen im Bereich von 0,5 bis 1,0 ppm gegen TMS zwischen 1,60 und 2,30 liegt, oder
einem Gemisch von Diestern der Phthalsäure, in dessen in CDCl3 aufgenommenem **(1)H-NMR-Spektrum das Verhältnis der Fläche unter den Resonanzsignalen bei chemischen Verschiebungen im Bereich von 1,1 bis 3,0 ppm gegen TMS zu der Fläche unter den Resonanzsignalen bei chemischen Verschiebungen im Bereich von 0,5 bis 1,1 ppm gegen TMS zwischen 1,50 und 2,00 liegt,
erhältlich durch Veresterung eines Gemisches isomerer Nonanole, das durch Hydroformylierung und Hydrierung eines Gemisches isomerer Octene erhältlich ist, mit einer Dicarbonsäure, ausgewählt unter Adipinsäure und Phthalsäure oder einem Derivat davon, wobei das Gemisch isomerer Octene durch Inkontaktbringen eines Butene enthaltenden Kohlenwasserstoffgemisches mit einem Nickeloxid enthaltenden heterogenen Katalysator erhältlich ist."
VI. Hilfsantrag 1 ist auf die im Hauptantrag definierten Phthalsäureester beschränkt, während Hilfsantrag 2 auf die dort definierten Adipinsäureester beschränkt ist.
Hilfsantrag 3 spezifiziert die Verfahrensmerkmale im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags durch folgenden Zusatz:
" (...), wobei das Kohlenwasserstoffgemisch 5 Gew.-% oder weniger, bezogen auf den Gesamtbutengehalt, iso-Buten enthält, und der Katalysator als wesentliche aktive Bestandteile 10 bis 70 Gew.-% Nickeloxid, 5 bis 30 Gew.-% Titandioxid und/oder Zirkondioxid, 0 bis 20 Gew.-% Aluminiumoxid und als Rest Siliciumdioxid enthält, und die Hydroformylierung in Gegenwart eines Cobalt-Katalysators erfolgt."
VII. Für die vorliegende Beschwerdeentscheidung relevant sind insbesondere folgende Dokumente:
D1 |WO 95/14647 |
D4 |DE 2 009 505 |
D11 |EP 1 029 839 |
D14 |WO 99/54277 |
D15 |Wadey et al. J. Vinyl Tech., 1990, 12(4), p.208 |
D17/D17a|JP-A-55124737 |
D49 |Bericht über die Nacharbeitung der Beispiele 1a, b und c des Dokuments D4|
D50,D50a,D50b |Bericht NMR-Messungen und dazugehörige Spektren |
D55 |Becker F., Z. Naturforschg. 16b, 236-245 |
VIII. In Bezug auf die entscheidungsrelevanten Fragen bringt die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor:
Die Ansprüche aller vorliegenden Anträge seien nicht neu gegenüber D4, D11, D14 und D15. Die NMR-Parameter der beanspruchten Gemische seien in diesen Dokumenten zwar nicht explizit genannt, aber implizit offenbart. Die Verfahrensmerkmale in Anspruch 1 beschränkten diesen nicht.
Die Ansprüche des Hilfsantrags 2 seien nahegelegt ausgehend von D4 als nächstem Stand der Technik in Kombination mit D17/D17a und/oder D1.
IX. In Bezug auf die entscheidungsrelevanten Fragen bringt die Beschwerdegegnerin im wesentlichen folgendes vor:
Eine implizite Offenbarung der NMR-Parameter der beanspruchten Gemische in D4, D11, D14 oder D15 sei nicht bewiesen worden. Die Verfahrensmerkmale in Anspruch 1 definierten eine Isomerenverteilung und seien daher sehr wohl einschränkend.
Die Ansprüche des Hilfsantrags 2 seien ausgehend von D4 als nächstem Stand der Technik nicht nahegelegt, weder durch Kombination mit D17/D17a noch mit D1.
X. Am 26. September 2019 fand eine mündliche Verhandlung statt, in der die Parteien ihre Argumente abschließend vortrugen. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
2.1 Bedeutung der relevanten technischen Merkmale im Anspruch
2.1.1 NMR-Parameter
Der im Anspruch definierte Parameter setzt integrierte NMR-Signale von CH/CH2-Protonen mit solchen von Methylprotonen ins Verhältnis und ist daher im wesentlichen ein Maß für den Verzweigungsgrad der Nonylreste. Je höher der Zahlenwert dieses Verhältnisses, desto geringer ist der Verzweigungsgrad, und umgekehrt. Dies ist unstrittig.
2.1.2 Verfahrensmerkmale ("product-by-process")
Die Verfahrensmerkmale in Anspruch 1 des Hauptantrags beziehen sich auf die Art der Herstellung der Nonanole, die nach Veresterung mit einem Phthal- bzw. Adipinsäurederivat die beanspruchten Gemische ergeben. Dabei wird definiert, dass ein Gemisch isomerer Oktene hydroformyliert wird, das seinerseits durch Reaktion eines Butene enthaltenden Gemischs an einem Nickeloxid enthaltenden heterogenen Katalysator erhältlich ist.
Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, dies stelle keine Beschränkung des Anspruchs dar, da im Anspruch kein spezifisches Isomerengemisch und keine Reaktionsbedingungen definiert werden.
Die Kammer folgt dieser Auffassung nicht. Das Merkmal schränkt den Produktanspruch insofern ein, als dass die Gemische auf die im Anspruch definierte Weise erhältlich sein müssen. Es ist ja denkbar, dass andere Herstellungsverfahren zu Isomerenverteilungen der Nonanole führen, die durch die vorliegend definierte Verfahrensweise nicht hergestellt werden können. Ob dies im Einzelfall tatsächlich so ist, muss daher jeweils gesondert betrachtet werden.
2.2 Neuheit gegenüber D4
D4 offenbart in den Beispielen 1(b) und 1(c) jeweils Gemische von Phthalsäure-bisisononylestern bzw. Adipinsäure-bisisononylestern.
2.2.1 Die Beschwerdeführerin hat in den als D49 und D50, D50a/b im Verfahren befindlichen Versuchsberichten nachgewiesen, dass in diesen Beispielen Gemische erhalten werden, die die NMR-Parameter des Anspruchs erfüllen. Da die Beschwerdegegnerin dies in der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestritt, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.
2.2.2 In D4 werden die zur Veresterung verwendeten Isononanole ausgehend von 2-Ethyl-1-hexen durch Hydroformylierung hergestellt, siehe Seite 2 letzter Absatz. Es stellt sich also die Frage, ob auf diese Weise Gemische entstehen, die auch auf die im Anspruch definierte Weise erhalten werden können. Dann wäre der Anspruch neuheitsschädlich getroffen.
Die Beschwerdeführerin hat hierzu auf ihre Eingabe vom 19. Juni 2019 verwiesen, in der sie eine tabellarische Auflistung der Isononanol-Isomerenverteilung ausgehend von 2-Ethyl-1-hexen bzw. gemäß dem im Anspruch definierten Verfahren gegenüberstellt. Ihrer Ansicht nach zeigt diese Tabelle eine Überschneidung der Isomerenverteilung, da bestimmte Isomere in beiden Fällen entstehen können.
Allerdings ist aus dieser Tabelle auch ersichtlich, dass ausgehend von 2-Ethyl-1-hexen weniger Isomere entstehen, als ausgehend von Butengemischen. Dies ist unmittelbar einleuchtend, da von einem strukturell definierten Okten (2-Ethyl-1-hexen) ausgegangen wird, wohingegen die Dimerisierung butenhaltiger Gemische bereits zu Oktengemischen führt und damit letztlich zu einer größeren Variabilität in der Produktverteilung. Die Beschwerdegegnerin hat daher argumentiert, die Gemische seien unterscheidbar. Insbesondere verwies sie beispielsweise auf n-Nonanol, das ein Bestandteil des durch Dimerisierung von Butenen erhaltenen Gemisches ist, aber ausgehend von 2-Ethyl-1-hexen überhaupt nicht erhalten werden kann.
Die Kammer schließt sich in diesem Punkt den Argumenten der Beschwerdegegnerin an. Die Gemische des vorliegenden Anspruchs sind von denen aus D4 strukturell unterscheidbar, da in D4 aufgrund der bereits definierten Ausgangsverbindung 2-Ethyl-1-Hexen Nonanolisomere fehlen, die ausgehend von einer Dimerisierung von Butengemischen zu erwarten wären.
Die in D4 resultierende Isomerenverteilung der Nonanole ist daher nicht durch die im Anspruch definierte Verfahrensweise erhältlich. Die in D4 beschriebenen Gemische fallen daher nicht unter Anspruch 1 des Hauptantrags. Neuheit gegenüber D4 ist gegeben.
2.3 Neuheit gegenüber D11
D11 offenbart in Tabelle 8, Eintrag 14, ein Gemisch von Nonanolen. Gemäß Absätzen [0068] bis [0071] wurden aus diesem Gemisch durch Veresterung mit Phthalsäureanhydrid Phthalsäureester hergestellt.
2.3.1 Die Herstellung der Nonanole erfolgt durch den Octolprozess, d. h. durch Dimerisierung von Butenen an Nickel-Festbettkatalysatoren, siehe etwa Tabelle 3 und Absatz [0005] der D11. Die product-by-process-Merkmale des Anspruchs sind daher in D11 erfüllt. Da dies von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestritten wurde, erübrigen sich weitere Ausführungen hierzu.
2.3.2 Im Rahmen des Einspruchsverfahrens wurde von der Einsprechenden 2 in der Eingabe von 16. Juli 2010 berechnet, dass die in Beispiel 14 tabellierte Isomerenverteilung der Nonanole einem NMR-Parameter von 1,66 entspricht (siehe Tabelle 4 dieser Eingabe). Des weiteren wurde in Tabelle 5 der gleichen Eingabe eine Berechnung für ein Gemisch angestellt, das zusätzlich 2% eines stark verzweigten Nonanols enthält, da sich die in D11 tabellierten Isomere nur zu 98% aufsummieren. Dabei ergab sich ein Wert von 1,62. Beide Werte liegen im anspruchsgemäßen Bereich von 1,5-2.
Die aus D11 berechneten Werte wurden aus der Isomerenverteilung für die Nonanole erhalten. Strittig war die Frage, ob diese Werte auch für die durch die Veresterung erhaltenen Phthalsäureester gültig sind.
2.3.3 Die Beschwerdegegnerin argumentiert im wesentlichen, bei der Veresterung könne sich der Verzweigungsgrad ändern, da nicht alle Alkohole gleich schnell reagierten. Dies sei auch abhängig von den Veresterungsbedingungen, insbesondere vom Alkoholüberschuss; Veresterungsbedingungen seien in D11 nicht angegeben. Wenig verzweigte Alkohole reagierten im allgemeinen schneller und würden daher bevorzugt in die Gemische eingebaut. Die Beschwerdegegnerin verwies dabei auf D55, aus der hervorginge, dass etwa n-Amylalkohol und 2-Methylbutanol eine um den Faktor 4,5 unterschiedliche Geschwindigkeitskonstante bei der Veresterung zeigen. Da D11 keine Veresterungsbedingungen angebe, bleibe ein Graubereich, und es sei daher keineswegs eindeutig, welches Estergemisch bei der Nacharbeitung der D11 erhalten werde. Daher seien, mit Verweis auf T 793/93, die Kriterien für eine implizite Offenbarung nicht erfüllt.
2.3.4 Die Beschwerdeführerin verwies dagegen auf D49, in der sie gezeigt habe, dass die Wahl des Katalysators während der Veresterung keinen Einfluss auf den Verzweigungsgrad hat. Der in D49 verwendete Alkoholüberschuss liege mit 25% im üblichen Bereich, im Patent selbst würden etwa 20% verwendet. Bei der technischen Realisierung lägen die langsamer reagierenden verzweigten Alkohole stets in erhöhter Konzentration vor, da der Überschussalkohol aus der Veresterung abdestilliert und wiederverwendet werde. Dadurch würden die Unterschiede in der Reaktionsgeschwindigkeit ausgeglichen.
2.3.5 Beweislast
Die Beschwerdegegnerin hat sich darauf berufen, dass die von der Beschwerdeführerin eingereichten Experimente und Berechnungen die Kriterien für eine implizite Offenbarung gemäß T 793/93 nicht erfüllten, da noch ein Graubereich bleibe, der durch die Offenbarung der D11 nicht abgedeckt sei. Es sei daher nicht nachgewiesen, dass die Gemische der D11 unter die vorliegenden Ansprüche fielen.
Die Kammer folgt dieser Argumentation nicht.
Die von der Beschwerdegegnerin definierten NMR-Parameter wurden im Stand der Technik vor dem Anmeldetag nicht zur Charakterisierung von Phthalsäureisononanolen verwendet. Die Ansprüche sind daher durch ungewöhnliche Parameter charakterisiert. In so einem Fall ist die Beschwerdegegnerin als Patentinhaberin nach Überzeugung der Kammer in der Beweispflicht, sobald die Einsprechende nachvollziehbare experimentelle Daten oder Berechnungen vorlegt, die die implizite Erfüllung der beanspruchten Parameter im Stand der Technik zumindest stark vermuten lassen (im Einklang mit T 0131/03, Leitsatz).
2.3.6 D11 offenbart in Beispiel 14 Nonanolgemische, die unter die NMR-parametrische Definition des Anspruchs fallen, siehe Punkt 2.3.2 oben.
Weiterhin wurden in D11 diese Nonanolgemische zu den entsprechenden Phthalsäureestern umgesetzt. Wörtlich heißt es dazu in Absatz [0069]: "Das so erhaltene Isononanolgemisch wurde schließlich mit Phthalsäureanhydrid wie bekannt zu den entsprechenden Estern umgesetzt." Im nächsten Absatz [0070] werden dann Überlegungen zu den Eigenschaften der erhaltenen Ester angestellt und diese mit dem Verzweigungsgrad in Beziehung gesetzt. Aus der D11 selbst gibt es also keinerlei Anhaltspunkte, dass der Verzweigungsgrad der Ester nicht dem Verzweigungsgrad der tabellierten Nonanolgemische entspräche.
Zudem hat die einsprechende Beschwerdeführerin in D49 Versuche angestellt, die zeigen, dass zumindest die Art des verwendeten Katalysators keinen Einfluss auf den Verzweigungsgrad des Endprodukts hat. Der Verzweigungsgrad verändert sich dort bei der Veresterung nicht.
Die Einsprechende hat also in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass die Gemische der D11 die unübliche parametrische Definition des Anspruchs erfüllen.
Im Einklang mit der in diesem Fall einschlägigen Entscheidung T 131/03 (siehe Leitsatz) wäre es also an der Patentinhaberin, zu zeigen, dass die Gemische der D11 nicht unter die vorliegenden Ansprüche fallen. Die Einsprechende hat in diesem Fall ihrer Nachweispflicht genüge getan.
2.3.7 Die Patentinhaberin hat nicht vermocht, begründete Zweifel an der Offenbarung der D11 aufzuwerfen.
Es liegen in der Akte keinerlei Daten vor, aus denen hervorginge, dass die in D11 offenbarten Gemische außerhalb des in den Ansprüchen definierten Parameterbereichs lägen.
Die Beschwerdegegnerin hat zwar unter Verweis auf D55 argumentiert, die Veresterungsgeschwindigkeit verschiedener Alkohole mit gleicher Kohlenstoffzahl sei unterschiedlich, weshalb der Verzweigungsgrad des Alkoholgemischs und des Estergemischs nicht übereinstimmen muss. Dieses Argument kann jedoch nicht überzeugen. D55 bezieht sich auf C5-Alkohole, wohingegen vorliegend C9-Alkohole Gegenstand der Debatte sind. Eine Übertragbarkeit dieser Ergebnisse wurde nicht nachgewiesen. Auch der behauptete Einfluss des Alkoholüberschusses wurde nicht gezeigt. Weiterhin ist die Frage nicht, ob sich theoretisch der Verzweigungsgrad während der Veresterung unter verschiedenen Reaktionsbedingungen ändern kann, sondern, ob sich bei fachmännischer Nacharbeitung der Veresterung der Nonanolgemische aus Beispiel 14 der D11 der Verzweigungsgrad in den Produkten soweit ändert, dass sie aus dem beanspruchten Parameterbereich herausfallen. Dies wurde weder plausibel begründet noch nachgewiesen.
2.3.8 Anspruch 1 des Hauptantrags ist daher nicht neu gegenüber D11. Auf die Neuheitseinwände gegenüber D14 und D15 muss deshalb nicht mehr eingegangen werden.
Erster und dritter Hilfsantrag
3. Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags entspricht dem auf Phthalsäureester bezogenen Teil des Hauptantrags und ist daher ebenfalls von D11 neuheitsschädlich getroffen.
Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags enthält im Vergleich zu Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags zusätzliche Merkmale im product-by-process-Teil des Anspruchs. Da die Produkte der D11 über den Oxolprozess hergestellt werden können (siehe Punkt 2.3.1 oben) sind diese Merkmale ebenfalls erfüllt. Es wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht vorgebracht, dass diese Merkmale geeignet sind, einen Unterschied gegenüber D11 zu definieren. Daher ist Anspruch 1 des dritten Hilfsantrags ebenfalls von D11 neuheitsschädlich getroffen.
Zweiter Hilfsantrag
4. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags entspricht dem auf Adipinsäureester bezogenen Teil des Hauptantrags.
Neuheit dieses Anspruchs gegenüber D4 ist aufgrund der product-by-process-Merkmale gegeben; dies wurde bereits in Bezug auf den Hauptantrag oben ausführlich begründet.
Da keines der anderen im Beschwerdeverfahren als potentiell neuheitsschädlich zitierten Dokumente (D11, D14, D15) Adipinsäureester offenbart, ist Neuheit auch gegenüber diesen Dokumenten gegeben.
5. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
5.1 Beide Parteien sehen D4 als nächsten Stand der Technik an, und die Kammer schließt sich dem an. D4 offenbart Diisononanylester der Adipinsäure, die als Weichmacher für Kunststoffe, insbesondere PVC eingesetzt werden können.
5.2 Ausgehend von D4 war das zu lösende technische Problem, alternative Weichmacher aufzufinden. Dies war zwischen den Parteien unstrittig; es wurde nicht vorgebracht, dass die beanspruchten Gemische im Vergleich zu denen aus D4 vorteilhafte Eigenschaften aufweisen.
5.3 Die technische Aufgabe wird durch die beanspruchten Gemische gelöst, die durch die Art der Herstellung des Nonanolteils charakterisiert sind; dies manifestiert sich in einer unterschiedlichen Isomerenverteilung.
5.4 Zu entscheiden ist, ob die beanspruchte Lösung des technischen Problems aus dem zitierten Stand der Technik für den Fachmann nahegelegt war.
5.4.1 D1 offenbart Verfahren zur Oligomerisierung von Butenen. Die erhaltenen Oktene können nach Hydroformylierung und Hydrierung zu den entsprechenden Alkoholen für die Herstellung von Weichmachern Verwendung finden (Seite 1, zweiter Absatz). D1 hebt hervor, dass für den Einsatz als Weichmacher eine hohe Linearität der Oktene, d. h. ein niedriger Verzweigungsgrad angestrebt werden sollte (Seite 1, Zeilen 30ff). Dies wird laut D1 mittels der dort offenbarten Katalysatoren erreicht (Seite 7, Zeilen 28-30). Die Katalysatoren der D1, heterogene auf Nickeloxid basierende Katalysatoren, (siehe etwa Seite 9, erster Absatz) entsprechen denen, die im vorliegenden zweiten Hilfsantrag in Anspruch 1 und 4 definiert sind.
Ein Fachmann weiß daher aus D1, dass ein Gemisch isomerer Nonanole, das wie im product-by-process-Teil des vorliegenden Anspruchs 1 erhalten wird, zur Herstellung von Weichmachern geeignet ist.
Stellt sich der Fachmann ausgehend von D4 die Aufgabe, alternative Weichmacher herzustellen, so würde er der Lehre der D1 entnehmen, dass er dazu Nonanolgemische, die auf die im vorliegenden Anspruch definierte Weise erhältlich sind, verwenden könnte. Daher ist ihm diese Alternative aus der Kombination von D4 mit D1 nahegelegt.
5.4.2 Die von der Beschwerdegegnerin angeführten Argumente sind nicht überzeugend.
Die Beschwerdegegnerin verwies auf die Seiten 1 und 2 der D4. Dort werde ausgeführt, dass für die Herstellung von Weichmachern vorteilhafterweise von einem definierten Okten, 2-Ethyl-1-hexen, ausgegangen wird, da dies zu Weichmachern mit besseren Eigenschaften führt, als diejenigen, die aus Gemischen isomerer Oktene zugänglich sind. Dies sei auch aus Tabelle 2 ersichtlich; dort entspräche der Eintrag für Codibutylen den mit dem im vorliegenden Anspruch definierten Verfahren erhältlichen Gemischen. Diese zeigten im Vergleich der weichmachenden Eigenschaften deutliche Nachteile gegenüber den aus 2-Ethyl-1-hexen erhaltenen Nonanolen. Ein Fachmann müsse also bei der Kombination von D4 mit D1 wieder zu Oktengemischen als Ausgangsmaterialien zurückkehren, was der Lehre der D4 entgegenliefe.
Allerdings entnimmt der Fachmann der D1, dass die dort vorgestellten Nonanolgemische einen niedrigen Verzweigungsgrad haben und daher in besonderer Weise für die Herstellung von Weichmachern geeignet sind (Seite 1, Zeilen 30ff, Seite 7, Zeilen 28-30). Ein Fachmann hätte daher keine Befürchtungen, ausgehend von D4 bei der Änderung des Nonanolteils der Adipinsäureester zu Gemischen zu gelangen, die als Weichmacher ungeeignet wären.
Die Beschwerdegegnerin machte auch geltend, D1 erwähne Adipinsäurederivate nicht und Phthalsäurederivate nur kurz im vierten Absatz auf Seite 1. Die Kammer sieht darin aber keinen Grund, dass der Fachmann von einer Verwendung der in D1 beschriebenen Oktengemische zur Verwendung als Ausgangsprodukt für Adipinsäurenonylester abgesehen hätte. Es ist ja bereits aus der D4 bekannt, dass sowohl Phthal- als auch Adipinsäureester mit Nonanolen als Weichmacher verwendet werden (Seite 1). Ein Fachmann würde daher die Lehre der D1 gleichermaßen auf diese beiden Säuren anwenden.
Die Beschwerdegegnerin brachte außerdem vor, eine Kombination von D4 und D1 führe nicht zwangsläufig zum beanspruchten Ergebnis, da nicht klar sei, ob die in D1 erhaltenen Oktengemische nach der Weiterverarbeitung zu den Nonanolestern den im Anspruch definierten NMR-Parameter erfüllen würden.
Der NMR-Parameter ist ein von der Beschwerdegegnerin eingeführtes Maß für den Verzweigungsgrad der Nonylreste. Insbesondere definieren die im Anspruch verwendeten Parameter einen niedrigen Verzweigungsgrad. Ein niedriger Verzweigungsgrad führt zu verbesserten Weichmachereigenschaften (siehe D1, Seite 1). Ein niedriger Verzweigungsgrad (hohe Linearität) wird auch den Produkten der D1 zugeschrieben (Seite 7 Zeilen 28-30). Dies ist auch aus den tabellierten Beispielen ersichtlich, bei denen Oktene mit keiner oder einer Verzweigung den Großteil des Produktstroms ausmachen (siehe Beispiele 3-6). Ein Fachmann würde daher jedenfalls erwarten, bei Verwendung dieser Oktene auch Isononanole und die entsprechenden Adipate mit niedrigem Verzweigungsgrad und entsprechend guter Eignung als Weichmacher zu erhalten. Ob der Fachmann dabei zwangsläufig immer in den beanspruchten Bereich des NMR-Parameters fällt, ist unerheblich; falls dies im Einzelfall nicht so sein sollte, enthält die D1 Hinweise, wie die Linearität (der Verzweigungsgrad) der Oktene beeinflusst werden kann (Seite 5, erster Absatz). Der Fachmann hätte daher ausgehend von D4 auf der Suche nach Alternativen ebenfalls Isononanole, die gemäß dem Verfahren der D1 hergestellt wurden, in Betracht gezogen.
5.5 Zusammenfassend ist der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des zweiten Hilfsantrags auf naheliegende Weise ausgehend von D4 durch Kombination mit D1 zu erhalten. Er beruht daher nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
6. Der unabhängige Anspruch des vorliegenden Hauptantrags sowie der die unabhängigen Ansprüche der Hilfsanträge 1 und 3 sind nicht neu (Artikel 54 EPÜ). Dem unabhängigen Anspruch des Hilfsantrags 2 mangelt es an erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ). Das Patent ist daher unter Artikel 111(1) in Verbindung mit Artikel 101(3)(b) EPÜ zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.