T 0141/18 06-05-2022
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VERPACKUNGSELEMENT
Änderungen - zulässig (ja)
Zurückverweisung - besondere Gründe für Zurückverweisung
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent Nr. 2 585 535 unter Artikel 101(3)(b) EPÜ zu widerrufen.
II. Im Einspruchsverfahren war das Patent auf der Grundlage des Artikels 100(a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ), und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) sowie des Artikels 100(b) und (c) EPÜ angegriffen worden.
III. In Einspruchsverfahren verteidigte die Patentinhaberin ihr Patent in geänderter Form. Die Einspruchsabteilung kam in ihrer Entscheidung zu dem Schluss, die vorliegenden Anträge (Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 und 2) erfüllten nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ, weil der jeweilige Anspruch 1 gegenüber der ursprünglichen Anmeldung unzulässig geändert worden sei. Bezüglich der Einspruchsgründe unter Artikel 100(a) und (b) EPÜ wurde von der Einspruchsabteilung keine Entscheidung getroffen.
IV. Gegen diese Entscheidung wurde von der Patentinhaberin fristgerecht Beschwerde eingelegt.
V. Die Patentinhaberin vertrat auch im Beschwerdeverfahren die Auffassung, dass sämtliche der Einspruchsabteilung vorgelegten Anträge sowie der im Beschwerdeverfahren neu vorgelegte Hilfsantrag 3 das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ erfüllten.
VI. Am 31. August 2020 wurden die Parteien zu einer mündlichen Verhandlung vor der Kammer für den 10. Mai 2021 geladen.
VII. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Meinung in Bezug auf die Frage der Zulässigkeit der durchgeführten Änderungen betreffend die vorgelegten Anträgen mit.
VIII. Mit Schriftsatz vom 3. Mai 2021 beantragte die Beschwerdeführerin die Vertagung der mündlichen Verhandlung, da sich die Parteien in außerstreitigen Verhandlungen befänden.
IX. Die Beschwerdegegnerin erklärte, ebenfalls mit Schriftsatz vom 3. Mai 2021, ihre Zustimmung zum Verlegungsantrag der Patentinhaberin.
X. Daraufhin hob die Kammer den Termin zur mündlichen Verhandlung auf.
XI. Am 12. August 2021 hat die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) ihren Einspruch gegen das angegriffene Patent zurückgenommen.
XII. In einer Mitteilung gemäß Regel 100(2) EPÜ hat die Kammer die Beschwerdeführerin ersucht, ihre weiteren Absichten mitzuteilen.
XIII. Mit Schriftsatz vom 9. September 2021 hat die Beschwerdeführerin mitgeteilt, ihre Beschwerde nicht zurückzunehmen.
XIV. Am 7. Dezember 2021 wurde die Beschwerdeführerin erneut zu einer mündlichen Verhandlung geladen.
XV. In einem weiteren Schriftsatz hat die Beschwerdeführerin Stellung genommen in Bezug auf die vorläufige in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK geäußerte Meinung der Kammer betreffend die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
XVI. Der vorliegende Hauptantrag, auf dem auch die angefochtene Entscheidung beruht, hat zwei unabhängige Ansprüche, von denen Anspruch 1 den folgenden Wortlaut hat:
"1. Verfahren zur Spleißhemmung eines bandförmigen Verpackungselementes, insbesondere eines Umreifungsbandes oder eines Erntebindegarns, aus einem Kunststoffband auf Polyesterbasis, wobei als Polyester ein PET eingesetzt wird, wobei das PET mit zumindest einem styrolbasierten Polymer als Spleißhemmer im Extrusionsverfahren compoundiert wird, dadurch gekennzeichnet, dass als Spleißhemmer ein thermoplastisches, nicht elastomeres, styrolbasiertes Polymer zugesetzt wird, und die Compoundierung bei einer Temperatur zwischen 250 °C und 310 °C verarbeitet wird, sodass der Spleißhemmer in dem Kunststoffband ungebunden vorliegt."
XVII. In ihrer Beschwerdebegründung und ihrem weiteren Schriftsatz brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, dass die in den geänderten Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale, insbesondere das Merkmal "im Extrusionsverfahren compoundiert", eindeutig in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen offenbart seien.
XVIII. Mit Mitteilung vom 12. April 2022 hat die Kammer den für den 5. Mai 2022 anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben.
XIX. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragt,
- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent gemäß Hauptantrag oder hilfsweise gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 3 aufrecht zu erhalten,
- für den Fall, dass die Beschwerdekammer lediglich über die Frage der unzulässigen Änderung entscheidet, die Angelegenheit zur weiteren Prüfung des Einspruchs und zur Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen,
- hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, sollte die Beschwerdekammer beabsichtigen, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufrechtzuerhalten.
Der Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1 und 2 sind die der Einspruchsentscheidung zugrunde liegenden Anträge, Hilfsantrag 3 wurde mit der Beschwerdebegründung eingereicht.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Verfahrensrechtliche Fragen
2.1 Da die Einsprechende ihren Einspruch im Laufe des Beschwerdeverfahrens zurückgenommen hat, ist sie in Bezug auf die Sachfragen nicht mehr am Beschwerdeverfahren beteiligt (T 789/89, siehe insbesondere die Entscheidungsgründe 2.2 und 2.3). Jedoch hat die Rücknahme des Einspruchs keine unmittelbaren verfahrensrechtlichen Auswirkungen. Das vorliegende Beschwerdeverfahren bleibt weiterhin anhängig, da die Einspruchsabteilung das Patent widerrufen hat und gegen diese Entscheidung von der Patentinhaberin Beschwerde eingelegt wurde (T 629/90, siehe insbesondere die Entscheidungsgründe 2.2).
2.2 Von der Beschwerdeführerin wurde hilfsweise Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt. Da, wie nachfolgend dargelegt, ihrem Antrag auf Zurückverweisung der Angelegenheit stattgegeben wird, und dies für den Fall beantragt wurde, dass die Kammer lediglich über die Frage der unzulässigen Änderung entscheidet, ist eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren statthaft (Artikel 12(8) VOBK).
Hauptantrag
3. Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
3.1 Die Einspruchsabteilung vertrat in ihrer Entscheidung die Auffassung, dass der ihr vorliegende und jetzige Hauptantrag die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht erfülle. Sie hat dies damit begründet, dass das Merkmal des geänderten Anspruchs 1, "wobei das PET mit zumindest einem styrolbasierten Polymer als Spleißhemmer im Extrusionsverfahren compoundiert wird", keine Basis in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen habe (Hervorhebung durch die Kammer). Zwar werde der Begriff "Extrusion" in der ursprünglichen Beschreibung offenbart - nämlich im Abschnitt "Zu Versuchszwecken..." der Seite 7 - allerdings nur in Bezug auf die danach beschriebenen Ausführungsbeispiele. Da in diesen Ausführungsbeispielen jedoch auch die Art des styrolbasierten Polymers sowie eine untere und eine obere Grenze für dessen Anteil angegeben seien, führe die Aufnahme des genannten Merkmals zu einer unzulässigen Erweiterung der Lehre der genannten Beispiele.
Die Einspruchsabteilung erachtete die auf weitere Merkmale bezogene Argumentation der vormaligen Einsprechenden, insbesondere dass die Compoundierung bei einer Temperatur "zwischen 250 °C und 310 °C" verarbeitet wird, nicht als überzeugend. Ihrer Ansicht nach sei dieses, sowie alle weiteren in den Anspruch 1 aufgenommenen Merkmale ursprünglich offenbart.
3.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der Zusammenhang der Begriffe "Compoundierung" und "Extrusion" bereits eindeutig aus der Beschreibung der ursprünglichen Unterlagen hervorgehe, nämlich auf der auch von der Einspruchsabteilung genannten Stelle der ersten Seite, sowie insbesondere zusätzlich auch aus dem ersten Absatz der Seite 9 und den auf den Seiten 7 und 8 offenbarten Beispielen. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin könne die Offenbarung dieser Beispiele verallgemeinert werden. Zudem sei dem Fachmann auf dem Gebiet des Streitpatents die alltägliche Benutzung von Extrudern allgemein bekannt. Dies sei beispielsweise aus Dokument D13 ersichtlich. Somit lese der Fachmann den Verfahrensschritt "Compoundieren mit einem Extruder" automatisch bei der Lektüre der Anmeldeunterlagen mit. Schließlich werde in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen Extrudieren auch als einziges Verfahren offenbart.
3.3 Die Kammer erachtet die Argumentation der Beschwerdeführerin überzeugend.
3.3.1 Die Argumentation der Einspruchsabteilung bezieht sich auf die Frage, ob das Merkmal "im Extrusionsverfahren compoundiert" in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen in einer Art und Weise offenbart wird, die eine Verallgemeinerung dieses Merkmals auf das auch durch die verbleibenden Merkmale des geänderten Anspruchs 1 definierte Verfahren erlaubt.
3.3.2 Die ursprünglich eingereichte Beschreibung gewährleistet dies.
3.3.3 Zunächst wird im Absatz 2 der ersten Seite der ursprünglichen Beschreibung offenbart, dass Umreifungsbänder üblicherweise aus Polyester oder Polyolefinen im Extrusionsverfahren mit anschließender Verstreckung hergestellt werden. Anschließend wird auf die damit verbundenen Probleme verwiesen, nämlich beim Verstreckungsprozeß auftretenden Spleiß. Auch wird erläutert, dass zur Vermeidung von Spleiß Spleißhemmer zu den Compoundierungen zur Herstellung von Umreifungsbändern zugesetzt werden. Schließlich wird darauf verwiesen, dass bisher verwendete Spleißhemmer in Bezug auf die Versprödung bei niedrigen Temperaturen unzureichend sind.
3.3.4 Nach den Angaben auf der Seite 2 (Zeilen 7 und 8) wird die Aufgabe des Streitpatents darin gesehen, ein bandförmiges Verpackungselement zu schaffen, das auch bei geringen Temperaturen eine verringerte Spleißhemmung aufweist. Im Weiteren wird offenbart, dass zur Lösung dieses Problems bestimmte Spleißhemmer verwendet werden (Seite 2, ab Zeile 11).
3.3.5 Zwar bezieht sich der genannte Absatz der Seite 1 der Beschreibung auf den Stand der Technik, jedoch entnimmt der Fachmann hieraus, dass sich die vom Streitpatent adressierte Problematik auf die Herstellung von Umreifungsbändern durch Extrusionsverfahren bezieht. Durch die Aufgabenstellung der Seite 2 wird eine Verbindung hergestellt zwischen der Problematik des Standes der Technik, also der Spleißbildung bei im Extrusionsverfahren hergestellten Umreifungsbändern, bei denen den Compoundierungen Spleißhemmer zugesetzt werden, und der Aufgabenstellung des Patents, also der Verringerung der Spleißbildung bei bandförmigen Verpackungselementen.
3.3.6 Der Fachmann wird hieraus insgesamt zweifelsfrei entnehmen, dass sich das Streitpatent allgemein mit der Spleißbildung von bandförmigen Verpackungselementen, insbesondere von Umreifungsbändern beschäftig, und zwar mit solchen, die durch Extrusionsverfahren hergestellt werden und bei denen den Compoundierungen Spleißhemmer zugesetzt wurden.
3.3.7 In Zusammenschau ergibt sich somit bereits hieraus, dass sich das Streitpatent auf im Extrusionsverfahren compoundierte polyesterbasierte Verpackungselemente bezieht.
3.3.8 Dies wird auch durch die explizit offenbarten Bänder der Tabelle auf den Seiten 7 und 8 der ursprünglichen Beschreibung bestätigt. Diese Bänder wurden augenscheinlich im Extrusionsverfahren hergestellt (siehe Seite 7, Zeile 17). Dabei werden als Spleißhemmer zwar lediglich Polystyrol (PS), Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymer (ABS) sowie Styrol-Acrylnitril-Copolymer (SAN) eingesetzt, und diese nur in Anteilen zwischen 0,01 und 3,5 Gew.-%. Mit Blick auf die allgemeine Offenbarung der vorstehend genannten Passagen der Beschreibung lässt sich diese spezifische Offenbarung jedoch nicht einschränkend dahingehend interpretieren, dass eine Verfahren, bei dem der styrolbasierte Spleißhemmer mit dem als Polyester verwendeten PET im Extrusionsverfahren compoundiert wird, ausschließlich für diese spezifischen Zusammensetzungen offenbart wird. Vielmehr bezieht sich der Begriff Extrusionsverfahren der Seite 7 nicht lediglich auf die spezifischen Ausgestaltungen der angegebenen Beispiele, sondern kann auf die gesamte Lehre des Streitpatents verallgemeinert werden. Dies trifft insbesondere deshalb zu, weil sich das Streitpatent wir vorstehend erläutert auf die Problematik der Spleißhemmung von durch Extrusionsverfahren hergestellten Bändern bezieht. Die Aufnahme des genannten Merkmals stellt somit keine unzulässige Änderung des Anmeldegegenstandes dar.
3.4 Die Einspruchsabteilung sah in der Aufnahme des Merkmals betreffend die Durchführung der Compoundierung "bei einer Temperatur zwischen 250 °C und 310 °C" keine Verletzung der Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ. Die Kammer sieht keine Veranlassung, von dieser Beurteilung abzuweichen.
4. Die vorliegende Entscheidung beschäftigt sich lediglich mit der Frage der Zulässigkeit der in Bezug auf den vorliegenden Hauptantrag durchgeführten Änderungen. Da dieser Antrag die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt, und die Kammer die Tatsache, dass für diesen Antrag bisher von der Einspruchsabteilung keine weitere Prüfung durchgeführt wurde, als besonderen Grund gemäß Artikel 11 VOBK erachtet, der für die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung spricht, folgt sie daher dem Antrag der Beschwerdeführerin, in diesem Fall die Angelegenheit zur weiteren Prüfung des Einspruchs an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Somit erübrigt sich auch eine Erörterung der vorliegenden Hilfsanträge 1 bis 3.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Prüfung des Einspruchs an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.