T 0400/18 (PE-Kunststoffrohr/egeplast) 16-07-2021
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Mindestens zweischichtiges Kunststoffrohr
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 805 823 zurückzuweisen.
II. Die Entscheidung stützt sich unter anderem auf die folgenden Dokumente:
D1: GEROFIT**(®)R, Produktbeschreibung, Die PAS
1075 "Rohre aus Polyethylen für alternative
Verlegetechniken Abmessungen, technische
Anforderungen und Prüfungen",
D4: Technische Info, SIMONA**(®)PE Halbzeuge
D10: Der Rohrwerkstoff PE 100, T. Frank, Frank GmbH,
(Stand 04/99). Auszug aus dem Internet
D13: Technische Kunststoffe, Oktober 2012,
Seiten 1-9
D14: Kunststofftaschenbuch, Dr. F. Pabst, 2004
Carl Hanser Verlag, 6.1 "Polyolefine, PO,
Polyolefinderivate und -copolymerisate", Seiten
398-409
III. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin folgende neue Dokumente ein:
D15/D15e: CN 201795184 U/Übersetzung ins Englische
D16/D16e: CN 101451635 A/Übersetzung ins Englische
D17: DE 601 21 779 T2
D18: EP 2 076 546 B1
D19: "Mitteilung Verfahrensstand" und
"Entscheidungsgründe" in der T 2412/12
und beantragte, das Streitpatent wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit vollständig zu widerrufen (Artikel 56 EPÜ).
IV. Mit der Beschwerdeerwiderung reichte die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin Hilfsantrag 3 ein. Die bereits erstinstanzlich eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 wurden aufrecht erhalten.
V. In der mündliche Verhandlung, die am 16. Juli 2021 statt fand, nahm die Beschwerdegegnerin den Hauptantrag und den Hilfsantrag 1 zurück. Die Beschwerdeführerin nahm ihren Einwand unter Artikel 56 EPÜ gegen die Unteransprüche 3 und 7 unter Heranziehung der D17 zurück und erhob einen Einwand unter Artikel 56 EPÜ gegen Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 ausgehend von D1 als nächstliegendem Stand der Technik in Kombination mit D13 und D14 sowie Einwände zur Ausführbarkeit. Die Beschwerdegegnerin widersprach der Zulassung der neuen Einwände.
Die abschließenden Anträge der Parteien waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung, auf Grundlage des Hilfsantrags 2, eingereicht mit Schriftsatz vom 5. September 2017, oder hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage des Hilfsantrags 3, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.
VI. In Anspruch 1 des als Hilfsantrag 2 bezeichneten neuen Hauptantrags wurden im Vergleich zum erteilten Anspruch 1 die Merkmale der erteilten Ansprüche 3 und 7 aufgenommen. Der Anspruch hat den folgenden Wortlaut, wobei die Merkmale des erteilten Anspruchs 1 in der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Merkmalsgliederung wiedergegeben sind:
a) "1. Kunststoffrohr
b) umfassend ein Innenrohr (11) aus Polyethylen
c) sowie einen äußeren Schutzmantel
d) aus einem von dem Material des Innenrohrs
verschiedenen Polyethylen, dadurch gekennzeichnet,
e) dass der Schutzmantel (12) mindestens eine
Schicht aus einem geradkettigen unvernetzten
Polyethylen umfasst,
f) welches ein höheres mittleres Molekulargewicht
aufweist als dasjenige Polyethylen, aus dem das
Innenrohr besteht,
- wobei die Schicht des Schutzmantels (12) ein Polyethylen (PE-HMW) mit einer mittleren molaren Masse von wenigstens etwa 250.000 g/mol, bevorzugt im Bereich von etwa 250.000 g/mol bis etwa 500.000 g/mol umfasst und
- wobei der Schutzmantel mindestens zweischichtig ausgebildet ist und eine radial innen liegende Schicht (13) aus einem LDPE oder LLDPE umfasst sowie eine Außenschicht (12) aus einem hochmolekularen Polyethylen."
1. Ausführbarkeit der Erfindung (Artikel 100(b)/83 EPÜ)
Erstmals im Verlauf des Beschwerdeverfahrens hat die Beschwerdeführerin schriftsätzlich einen Einwand gegen die Ausführbarkeit des mit Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 beanspruchten Gegenstands erhoben. Der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit gegen Anspruch 1 des als Hilfsantrag 2 bezeichneten neuen Hauptantrags wurde erstmalig während der mündlichen Verhandlung erhoben, ohne dass Gründe, geschweige denn stichhaltige Gründe, für das verspätete Vorbringen vorgebracht wurden. Somit bleibt der Einwand gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 unberücksichtigt. Weiterhin stellt der Einwand der mangelnden Ausführbarkeit gegen Anspruch 1 des Hilfsantrags 2, der auf erteilten Ansprüchen beruht, einen neuen Einspruchsgrund unter Artikel 100(b) EPÜ dar, der erstmalig im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurde. Ein solcher Einwand bleibt im Beschwerdeverfahren gemäß G 10/91 prinzipiell unberücksichtigt, wenn der Patentinhaber - wie hier - der Berücksichtigung des Einwands nicht zustimmt (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, V.A.3.2.1 h)).
2. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Die Kammer ist zum Schluss gelangt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des als Hilfsantrag 2 bezeichneten neuen Hauptantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
2.1 Die Erfindung betrifft mehrschichtige Kunststoffrohre aus Polyethylen, insbesondere für den Transport von Trinkwasser (Absätze 0001 und 0003, Anspruch 1).
2.2 D1 betrifft ebenfalls solche Rohre (Seite 1, linke Spalte) und es besteht Einigkeit zwischen den Parteien und der Kammer, dass D1 den nächstliegenden Stand der Technik darstellt.
2.3 D1 offenbart unter anderem Rohre des "Typs 2". Zu diesem Typ gehören zwei verschiedene Ausführungen, nämlich:
- die zweischichtige, bestehend aus einem außenliegendem Rohr aus PE100 mit einer inneren Schutzschicht aus PE100-RC;
- die dreischichtige, bestehend aus einem Rohr aus PE100 mit einer inneren und einer äußeren Schutzschicht aus PE100-RC.
Da PE100 und PE100-RC unbestritten unterschiedliche Polyethylene sind, sind somit sowohl für das zweischichtige als auch für das dreischichtige Rohr des Typs 2 die Merkmale a)-d) offenbart. Bezüglich des mittleren Molekulargewichts bzw. der Polymerstruktur und des Vernetzungsgrades von PE100 bzw. PE100-RC macht D1 selbst keine Angaben. Es folgt aber zum Beispiel aus D4 und D10 dass "PE100" eine Sammelbezeichnung für im Rohrleitungsbau verwendete Polyethylene mit einer Zeitstandfestigkeit von mehr als 10 MPa ist, siehe D10, Seite 2, Absatz 3 und die Tabelle und D4, Abbildung Seite 1 und 2. Weiterhin gehören laut D10 und D4 diese Polyethylene zur Gruppe der Polyethylene hoher Dichte (PE-HD) (siehe D10, Punkte 1 und 2, und D4, Abbildung Seite 1 und 2), und damit auch zur Gruppe der geradkettigen Polyethylene (siehe D14, Punkt 6.1.1.1, insbesondere den letzten Satz auf Seite 400; D4, Seite 2, oben). Somit offenbart die zweischichtige Ausführungsform von D1 mit einer außenliegenden Schicht (= Schutzmantel) aus PE100 und einer inneren Schutzschicht aus PE100-RC auch Merkmal e).
D1 offenbart jedoch weder Merkmal f) noch die mittleren Molmassen von PE100-RC und PE100, und somit wird in D1 ein Schutzmantel, der ein Polyethylen (PE-HMW) mit einer mittleren molaren Masse von wenigstens etwa 250.000 g/mol umfasst, nicht offenbart. Ebenfalls nicht offenbart ist ein Schutzmantel, der mindestens zweischichtig ausgebildet ist und eine radial innen liegende Schicht aus einem LDPE oder LLDPE sowie eine Außenschicht aus einem hochmolekularen Polyethylen umfasst.
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich somit von den aus D1 bekannten Rohren durch die Konfiguration des Schutzmantels.
2.4 Das Streitpatent stellt sich die Aufgabe, ein mindestens zweischichtiges Kunststoffrohr zur Verfügung zu stellen, das werkstoffhomogen aufgebaut ist, recyclebar und schweißbar ist und die Nachteile vermeidet, die ein Schutzmantel aus Polypropylen mit sich bringt (Absatz 0021). Die Kammer ist jedoch der Ansicht, dass diese Aufgaben durch die aus dem nächstliegenden Stand der Technik bekannten Rohre des "Typs 2" (siehe oben) sämtlich schon gelöst werden, denn diese Rohre sind ebenfalls werkstoffhomogen aus Polyethylen aufgebaut, so dass sie recyclebar und auch schweißbar sind. Insbesondere können die durch die Anwesenheit des Polypropylenschutzmantels verursachten Schwierigkeiten (Absatz 0011 des Streitpatents) bei diesen Rohren nicht auftreten. Die Aufgabe muss also umformuliert werden.
2.5 Es ist unbestritten, dass die Messergebnisse aus Absatz 0056 des Streitpatents zeigen, dass ein Rohr mit einem Schutzmantel aus PE-HMW stabiler gegen Abrasion ist als ein Rohr mit einem Schutzmantel aus PE100. Demgegenüber bezweifelte die Beschwerdeführerin das Argument der Beschwerdegegnerin, dass sich aus Absatz 0052 ein weiterer Effekt der beanspruchten Schutzmantelstruktur ableiten lasse, nämlich dass ein solcher Schutzmantel restlos vom Innenrohr abgemantelt werden könne.
2.6 Die Kammer geht zugunsten der Beschwerdeführerin davon aus, dass das restlose Abmanteln nicht erwiesen ist, so dass die Aufgabe darin gesehen wird, ein Schutzmantelrohr mit gegenüber den aus D1 bekannten Rohren verbesserten mechanischen Eigenschaften, mindestens im Hinblick auf den Widerstand gegen Abrasion, vorzuschlagen. Wie bereits erwähnt, ist es im Hinblick auf den Absatz 0056 des Streitpatents unbestritten, dass die Rohre gemäß Anspruch 1 diese Aufgabe lösen.
2.7 Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, dass der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D1 unter Berücksichtigung von D13 und D14 naheliegend gewesen wäre.
2.8 Diese Argumentationslinie gegen Anspruch 1 des vormaligen zweiten Hilfsantrags wurde von der Beschwerdeführerin erstmalig während der mündlichen Verhandlung vorgetragen, obwohl dieser Antrag bereits erstinstanzlich gestellt worden war.
2.9 Ungeachtet der Frage des verspäteten Vortrags ist der Einwand jedoch aus den folgenden Gründen auch in der Sache nicht überzeugend, denn die Beschwerdeführerin hat zumindest nicht schlüssig darlegen können, warum es naheliegend gewesen wäre, den Schutzmantel zweischichtig mit einer radial innenliegenden Schicht aus einem LDPE oder LLDPE auszuführen.
2.10 Was den Einsatz eines Polyethylens mit hohem Molekulargewicht (PE-HMW) zur Erhöhung der mechanischen Eigenschaften und insbesondere der Abriebs- bzw. Verschleißbeständigkeit angeht, so lehrt D13 auf Seite 6 und 7, jeweils der erste Absatz, dass PE-HMW und PE-UHMW gegenüber PE-HD verbesserte mechanische Eigenschaften und insbesondere auch verbesserte Verschleißeigenschaften aufweisen. Weiter offenbart D13 zu PE-HMW, dass diese Type bevorzugt dort eingesetzt wird, wo die Eigenschaften von PE-HD unzureichend sind und jene von PE-UHMW nicht unbedingt erforderlich sind, d.h. D13 lehrt, dass PE-HMW für eine moderate Erhöhung der Verschleißeigenschaften die erste Wahl ist. Dabei betrifft D13 den Werkstoff PE-HMW als solchen und damit prinzipiell jede Anwendung des Werkstoffs, auch die Herstellung von Kunststoffrohren. Die Tatsache, dass dieses spezifische Anwendungsgebiet nicht explizit genannt wird, wäre kein Grund für den Fachmann, die Lehre von D13 zu ignorieren. Aus diesen Gründen ist es naheliegend für den Fachmann, zur Verbesserung der Abrasionseigenschaften eines Rohrs gemäß D1 als Außenschicht ein PE-HMW mit einer Molmasse von mehr als 250000 g/mol einzusetzen.
2.11 Diese Maßnahme würde den Fachmann jedoch nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen, denn D13 bietet keinerlei Anregung, den Schutzmantel zweischichtig mit einer innenliegenden Schicht aus LD-PE oder LLD-PE auszubilden.
2.12 Die Beschwerdeführerin hat hierzu auf Seite 406 von D14 verwiesen, aber dort wird lediglich offenbart, dass LD-PE unter anderem zur Ummantelung von Fernmeldekabeln oder zur Beschichtung von Stahlrohren eingesetzt werde. Die Beschwerdeführerin hat jedoch nicht nachvollziehbar begründen können, warum diese Offenbarung den Fachmann dazu motiviert hätte, LD-PE als innere Lage des äußeren Schutzmantels eines Kunststoffrohrs vorzusehen. Vielmehr entnimmt der Fachmann wie oben erläutert der D13 die Lehre, das Kunststoffrohr zur Erhöhung der Verschleißfestigkeit mit PE-HMW zu ummanteln. Es ist kein Grund erkennbar, warum der Fachmann zusätzlich eine innenliegende Ummantelung aus LD-PE vorgesehen hätte.
2.13 Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 und gleichermaßen der Gegenstand der abhängigen Ansprüche 2 bis 7 sowie des unabhängigen Anspruchs 8 auch unter Berücksichtigung von D13 und D14 nicht naheliegend (Artikel 56 EPÜ).
2.14 Der in der Beschwerdebegründung vorgetragene Angriff gegen die erteilten Ansprüche 3 und 7 mit D17 wurde von der Beschwerdeführerin während der mündlichen Verhandlung zurückgezogen. Die übrigen erstmalig mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente D15 - D16, D18 und D19 wurden im Hinblick auf Einwände gegen den Gegenstand des als zweiter Hilfsantrag bezeichneten neuen Hauptantrags nicht verwendet, so dass eine Entscheidung über die Berücksichtigung dieser Dokumente im Verfahren unter Artikel 12 (4) VOBK 2007 nicht nötig ist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung
zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in
geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche 1 bis 8
des als Hilfsantrag 2 bezeichneten Antrags, eingereicht
mit Schriftsatz vom 5. September 2017, und einer noch
anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.