T 2798/18 (Dinatriumdihydrogendiphosphat/Budenheim) 15-01-2021
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MODIFIZIERTES DINATRIUMDIHYDROGENDIPHOSPHAT
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent EP-B1-2 673 236 zurückzuweisen.
Der unabhängige Anspruch 1 des Streitpatents beschreibt ein Verfahren zur Herstellung von modifiziertem Dinatriumdihydrogendiphosphat; Anspruch 17 bezieht sich auf dessen Verwendung und Produktanspruch 12 lautet wie folgt:
"12. Modifiziertes Dinatriumdihydrogendiphosphat (SAPP), dadurch gekennzeichnet, dass es
i) 500 bis 5000 ppm Magnesium, 500 bis 5000 ppm Calcium, 100 bis 5000 ppm Kalium und 0 bis 400 ppm Aluminium enthält,
ii) einen Orthophosphatgehalt, gemessen als P2O5, in einer Menge < 5,0 Gew.-%, vorzugsweise < 3,0 Gew.%, besonders bevorzugt < 2,0 Gew.-%, aufweist und
iii) eine Teigreaktionsrate (ROR) im Standardtest nach 8 min von 8 bis 30 % CO2 aufweist."
II. Im Einspruchsverfahren waren von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) zudem die Hilfsanträge 1 bis 6 eingereicht worden, die aufrecht erhalten wurden.
Im unabhängigen Produktanspruch (Anspruch 12) des Hilfsantrags 1 wurde die Obergrenze des Aluminiumgehaltes auf 200 ppm eingeschränkt.
Im unabhängigen Produktanspruch (Anspruch 10) des Hilfsantrags 2 ist die Obergrenze des Aluminiumgehaltes ebenfalls 200 ppm. Zudem ist die Obergrenze der Teigreaktionsrate auf 20% CO2 eingeschränkt.
Im unabhängigen Produktanspruch (Anspruch 12) des Hilfsantrags 3 wurde die Obergrenze des Aluminiumgehaltes auf 100 ppm eingeschränkt.
Im unabhängigen Produktanspruch (Anspruch 10) des Hilfsantrags 4 ist die Obergrenze des Aluminiumgehaltes ebenfalls 100 ppm. Zudem ist die Obergrenze der Teigreaktionsrate auf 20% CO2 eingeschränkt.
Im unabhängigen Produktanspruch (Anspruch 11) des Hilfsantrags 5 wurde die Obergrenze des Aluminiumgehaltes auf 50 ppm eingeschränkt.
Im unabhängigen Produktanspruch (Anspruch 9) des Hilfsantrags 6 ist die Obergrenze des Aluminiumgehaltes ebenfalls 50 ppm. Zudem ist die Obergrenze der Teigreaktionsrate auf 20% CO2 eingeschränkt.
III. Das folgende Dokument ist hier von Relevanz:
D1: US 2 844 437 A
IV. Die mündliche Verhandlung fand am 15. Januar 2021 statt.
V. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) können wie folgt zusammengefasst werden:
Ausgehend von D1 bestehe die Aufgabe nicht nur in der Reduzierung des Aluminiumgehalts, sondern es sollte gleichzeitig oder gerade trotz der Reduzierung des Aluminiumgehalts eine besonders niedrige Teigreaktionsrate (ROR) erreicht werden.
Es sei überraschend eine sehr viel stärkere als erwartbare Reduzierung der ROR aufgrund gerade der Kombination von Magnesium plus Calcium plus Kalium selbst ohne das bekanntermaßen sehr stark wirkende Aluminium erzielt worden. Die Reduzierung der ROR sei weit unter jener des Standes der Technik.
Für die erfindungsgemäße Kombination von Magnesium plus Calcium plus Kalium gebe es im Stand der Technik jedoch keine Offenbarung. Zudem gebe es keine Anregung oder Hinweis im Stand der Technik, dass die erfindungsgemäße Kombination mit Vorteil angewendet werden könne.
In D1 spiele die Kombination Aluminium plus Calcium die zentrale Rolle für die Absenkung der ROR. Wenn die Menge von Aluminium reduziert werden solle, dann würde die Fachperson die Menge an Calcium erhöhen; eine andere Lehre gebe es in D1 nicht. D1 lehre, dass der Effekt von Magnesium schlechter sei als der von Calcium. Zudem ergebe sich aus D1, dass Kalium keinen positiven Effekt auf die Absenkung der ROR habe. Die Fachperson würde deshalb Kalium nicht einsetzen, da jeder weitere Zusatz die Kosten erhöhe und den Prozess aufwendiger mache.
D1 lehre in den Beispielen 7 und 8, dass bereits mit nur 265 ppm Aluminium eine sehr gute Reduktion der ROR erreicht werden könne. Die Fachperson habe keinen Grund, Aluminium weiter abzusenken.
Eine ROR von 20 und darunter würde in D1 nicht gezeigt, sodass dort auch keine Lehre vorhanden sei, solche Werte zu realisieren.
VI. Die Beschwerdeführerin wies diese Argumente zurück und argumentierte, dass ausgehend von D1 und im Besonderen vom vorletzten Beispiel aus der Tabelle, die weitere Zugabe von Magnesium zu Dinatriumdihydrogendiphosphat bei gleichzeitiger Reduktion der Menge von Aluminium eine von mehreren möglichen Lösungen darstelle.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf Basis einer der Hilfsanträge 1 bis 6, eingereicht am 4. Januar 2018, aufrechtzuerhalten.
Hauptantrag (Patent wie erteilt)
1. Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ
1.1 Die Erfindung gemäß Anspruch 12 betrifft modifiziertes Dinatriumdihydrogenphosphat (SAPP).
1.2 D1 ist unstreitig nächstliegender Stand der Technik. D1 offenbart die Herstellung von SAPP in Gegenwart von bis zu 2150 ppm Calcium und bis zu 1600 ppm Aluminium (Anspruch 1).
1.3 Die zu lösende Aufgabe besteht darin, ein modifiziertes SAPP mit verzögerter Teigreaktionsrate (ROR) mit möglichst niedrigem Gehalt an Aluminium bereitzustellen (Absatz [0020] des Streitpatents).
1.4 Die Aufgabe soll durch ein modifiziertes SAPP gemäß Anspruch 12 gelöst werden, dadurch gekennzeichnet, dass es 500 bis 5000 ppm Magnesium, 100 bis 5000 ppm Kalium und maximal 400 ppm Aluminium enthält.
1.5 Die Aufgabe wird als gelöst angesehen (siehe Tabelle 2 des Streitpatents). Die verzögerte ROR ist allerdings im Vergleich zu reinem SAPP und nicht im Vergleich zum SAPP aus D1 zu betrachten. Es liegen keine Nachweise vor, die belegen, dass die ROR des beanspruchten SAPP über den gesamten Bereich bei gleichem pH niedriger ist als die ROR des SAPP aus D1. Es ist auch nicht glaubhaft gezeigt, dass ein erfindungemäßes SAPP mit Kationenmengen im unteren beanspruchten Bereich eine niedrigere ROR aufweist als das in D1 beanspruchte SAPP mit Mengen an Aluminium und Calcium im oberen von D1 beanspruchten Bereich.
Demzufolge besteht die Aufgabe gegenüber D1 darin, ein SAPP mit geringerem Gehalt an Aluminium bereitzustellen.
1.6 Die Lösung ist aus folgenden Gründen naheliegend:
Zum Zeitpunkt der Priorität des Patents war es allgemein, d.h. nicht nur der Fachperson, bekannt, dass die Aufnahme von Aluminium über Lebensmittel zu minimieren ist. Ausgehend von D1 hat die Fachperson somit einen klaren Anlass, Aluminium in SAPP zu reduzieren und sogar, wenn möglich, zu eliminieren.
Aus D1 ist ersichtlich, dass die Zugabe von Calcium zu SAPP die ROR reduziert (siehe Tabelle in Spalte 3), wenn auch weniger als die Zugabe von Aluminium alleine oder von der Kombination von Aluminium mit Calcium. Da jedoch das Ziel darin besteht Aluminium zu ersetzen, würde die Fachperson ausgehend von D1 die Konzentration von Calcium erhöhen, um Aluminium zu ersetzen.
Jedoch ist aus D1 auch ersichtlich, dass die Zugabe der Kombination von Calcium, Aluminium und Kalium die ROR von SAPP reduziert (siehe Beispiele 14 bis 18 in der Tabelle in Spalte 3 sowie Spalte 2, Zeilen 34 und 35). Die im zweitletzten Beispiel der erwähnten Tabelle veranschaulichte Kombination zeigt, als zusätzlichen Effekt, die beste Langzeitstabilität aller Beispiele. Auch ausgehend von dieser Zusammensetzung wird die Fachperson, die Aluminium ersetzen will, die Calciumkonzentration erhöhen und somit eine Kombination von Calcium plus Kalium erhalten, die die ROR des SAPP reduziert.
Auch lehrt D1, dass Magnesium anstatt Calcium verwendet werden kann, was jedoch nicht zu der gleichen Stabilität führt (Spalte 2, Zeilen 39 bis 41). Die Fachperson erwartet somit, dass neben der Kombination Calcium plus Kalium auch die Kombination Magnesium plus Kalium sowie Calcium plus Magnesium plus Kalium zur Reduktion der ROR führen wird, bei jedoch geringerer Stabilität. Dies bedeutet, dass zu erwarten war, dass bei einer definierten Menge von Calcium die Hinzufügung von Magnesium die ROR zusätzlich, wenn auch möglicherweise nur geringfügig, verringern wird.
Die Lehre der D1 ist somit nicht nur auf die Erhöhung der Calciummenge bei Reduktion der Aluminiummenge eingeschränkt. Vielmehr ergibt sich aus D1, dass sowohl Calcium als auch Calcium plus Kalium als auch Calcium plus Magnesium plus Kalium die ROR von SAPP verringern können. Zur Lösung der Aufgabe, aluminiumarmes SAPP herzustellen, würde die Fachperson deshalb die Zugabe von all diesen Möglichkeiten jeweils in Betracht ziehen. Eine willkürliche Auswahl aus einer Reihe von Möglichkeiten kann aber nicht erfinderisch sein (T 939/92 OJ 1996, 309, Gründe 2.5.3).
Die Argumentation, dass die Zugabe der Kombination von Calcium plus Magnesium plus Kalium zu der besten Reduktion der ROR führe, gilt nicht für den gesamten beanspruchten Bereich, da Anspruch 1 sowohl für die jeweiligen Elemente, als auch für die ROR sehr breite Bereiche vorsieht. D1 leitet die Fachperson, die die gestellte Aufgabe lösen will, ohne erfinderisches Zutun auch in den beanspruchten Bereich.
1.7 Somit beruht der Gegenstand des Anspruchs 12 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit und die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ sind nicht erfüllt.
1.8 Der Hauptantrag ist nicht gewährbar.
Hilfsanträge 1, 3 und 5
2. In diesen Anträgen wurde im jeweiligen Produktanspruch nur die Obergrenze für Aluminium verringert. Die für den Hauptantrag vorgebrachte Begründung gilt somit weiterhin.
Das Argument, dass die Fachperson ausgehend von D1 keinen Anlass hätte, den Aluminiumgehalt unter den in den Beispielen 7 und 8 offenbarten Gehalt von 265 ppm zu bringen, überzeugt nicht, da wie unter Punkt 1.6 ausgeführt, das Ziel der Fachperson nur darin bestand den Aluminiumgehalt soweit wie möglich zu reduzieren. Ausgehend von der Lehre von D1 wäre dies durch Anpassen der Mengen der anderen, für die Lebensmittel unbedenklichen Kationen, wie für den Hauptantrag begründet, gelungen.
Somit erfüllen diese Hilfsanträge auch nicht die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ und sind ebenfalls nicht gewährbar.
Hilfsanträge 2, 4 und 6
3. In diesen Anträgen wurde die Teigreaktionsrate (ROR) des beanspruchten SAPP auf maximal 20% CO2 eingeschränkt.
Obwohl in D1 keine ROR-Werte von 20% CO2 oder weniger explizit offenbart sind, lehrt D1 generell, verzögerte Teigreaktionsraten von weniger als 25% (Spalte 1, Zeilen 59 bis 64 sowie Spalte 2, Zeile 38). Die Fachperson, die ausgehend von D1 ROR-Werte von 20% CO2 oder weniger für das SAPP vorsieht, wird die Mengen an Calcium und Aluminium anpassen. Angesichts des übergeordneten Zieles Aluminium zu eliminieren, wird sie hohe Konzentrationen an nur Calcium, oder Calcium plus Magnesium, oder Calcium plus Magnesium plus Kalium als mögliche Optionen betrachten, das zu erreichende Ergebnis zu erhalten.
Da die Erfindung als ausführbar angesehen wird, ist die Fachperson in der Lage, die gewünschte ROR durch diese Möglichkeiten einzustellen.
Auch wenn die ROR jetzt eingeschränkt ist, sind die durch Anspruch 1 erlaubten Mengenbereiche der Elemente weiterhin so breit definiert, dass eine Gesamtmenge von Calcium plus Magnesium plus Kalium von bis zu 15000 ppm möglich ist. Eine Fachperson, die ausgehend von D1 Aluminium eliminieren und die ROR auf maximal 20 einstellen will, wird angesichts der Lehre von D1 eine mögliche Lösung in den beanspruchten Bereichen finden. Anspruch 1 ist eben nicht auf Bereiche für die Elemente und/oder die ROR eingeschränkt, die die Fachperson der Lehre der D1 nicht entnehmen würde. Deshalb mag die Argumentation, dass die spezielle Kombination von Calcium plus Magnesium plus Kalium besonders effizient sei, nicht zu überzeugen.
Somit ist auch der Gegenstand des geänderten Produktsanspruchs der jeweiligen Hilfsanträge 2, 4 und 6 naheliegend.
Diese Hilfsanträge erfüllen deshalb auch nicht die Bedingungen des Artikels 56 EPÜ und sind ebenfalls nicht gewährbar.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.