T 1144/19 28-09-2021
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Bett mit einem Handschalter
Änderungen - zulässig (ja)
Ausreichende Offenbarung - Stützung durch die Beschreibung (ja)
Ausreichende Offenbarung - Verhältnis von Art. 83 zu Art. 84 EPÜ
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Änderung nach Ladung - offenkundige Vorbenutzung nicht zugelassen
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent EP 1 647 213 in der Fassung des (damaligen) Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, hat die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung hatte entschieden, dass
i) der Gegenstand des damaligen Hilfsantrags 1 neu und erfinderisch sei,
ii) das Patent gemäß diesem Antrag die Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und
iii) der Gegenstand der Ansprüche gemäß diesem Antrag nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.
Zudem hatte die Einspruchsabteilung entschieden, dass der Gegenstand des damaligen Hauptantrags (Patent wie erteilt) über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
a) Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
b) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das europäische Patent in geänderter Fassung gemäß der Entscheidung der Einspruchsabteilung aufrecht-zuerhalten (Hauptantrag).
Hilfsweise beantragte die Beschwerdegegnerin, das Patent in geänderter Fassung auf Basis
i) des Hilfsantrags I vom 15. Oktober 2020 (Hilfsantrag 1),
ii) des Hilfsantrag 2 vom 25. August 2021 (Hilfsantrag 2),
iii) des Hilfsantrags I vom 19. Oktober 2018 (Hilfsantrag 3), bzw.
iv) des Hilfsantrags III vom 19. Oktober 2018 (Hilfsantrag 4)
aufrechtzuerhalten.
IV. Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Bett mit einem Handschalter (H), insbesondere Kranken- oder Pflegebett, mit einer motorisch verstellbaren Liegefläche,
wobei die Höhe der Liegefläche einstellbar ist, und das Bett eine verstellbare Rückenlehne, eine verstellbare Oberschenkelstütze und eine verstellbare Unterschenkelstütze und einen Handschalter (H) zur Eingabe der gewünschten Verstellung durch einen Bediener aufweist, mit welchem die Art eines Verstellvorgangs und die Richtung des Verstellvorgangs auswählbar ist,
wobei der Handschalter (H) zumindest zwei Auswahlschalter (1, 2, 3, 4, 5) und genau zwei Richtungsschalter (u, d) aufweist,
wobei mit den Richtungsschaltern die Richtung des Verstellvorgangs einstellbar ist und zwar derart, dass nach Aktivierung eines der Auswahlschalter (1,2,3,4,5) bei Betätigung des einen Richtungsschalters (u, d) eine Verstellung in Richtung einer in einem Symbol des aktivierten Auswahlschalters (1,2,3,4,5) dargestellten Position und bei Betätigung des anderen Richtungsschalters (u, d) in Richtung einer Grundstellung einstellbar ist,
dadurch gekennzeichnet, dass jeder Auswahlschalter (1, 2, 3, 4, 5) zur Einstellung einer Art des Verstellvorgangs allein betätigbar ist."
V. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende, bereits im Einspruchsverfahren eingereichte Dokumente Bezug genommen:
D4 FR 2 696 384 A1
D6 DE 94 20 495 U1
Zudem wurden von der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 7. September 2021 erstmalig eine offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht und in diesem Zusammenhang die folgenden Dokumente vorgelegt:
D7a Broschüre ,,ProScan IMAGE CCU/ITU BED"
D7b vergrößertes Bild aus D7a
D7c Witness Statement von Herrn Stephen Hollyoak
D7d Schreiben von Herrn Ralf Wiedemann
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag gehe unzulässigerweise über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
b) Zudem stehe das in der Beschreibung aufgezeigte Ausführungsbeispiel im Widerspruch zu den Ansprüchen des Hauptantrags, so dass die Beschreibung dem Fachmann keinen Weg aufzeige, wie er die Erfindung nacharbeiten könne.
c) Die offenkundige Vorbenutzung sei durch die Dokumente D7a - D7d ausreichend bewiesen worden und nehme den Gegenstand des Hauptantrags neuheitsschädlich vorweg.
d) Der Gegenstand des Hauptantrags sei zudem nicht erfinderisch gegenüber einer Kombination des Dokuments D6 mit der Lehre des Dokuments D4.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Die geltend gemachten unzulässigen Änderungen sowie der Einwand der fehlenden Ausführbarkeit beruhten auf einem falschen Verständnis des Wortlauts der Ansprüche. Bei korrektem Verständnis des Wortlauts sei der Gegenstand der Ansprüche ursprünglich offenbart gewesen und die Beschreibung gebe dann auch wenigstens einen Weg zur Ausführung der Erfindung an, der unter den Anspruchswortlaut falle.
b) Die Einwände der unzulässigen Änderung und der fehlenden Ausführbarkeit hätten bereits im Einspruchsverfahren erhoben werden müssen und seien daher nicht im Verfahren zu berücksichtigen.
c) Die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung sei verspätet vorgetragen worden und sei daher nicht mehr zum Verfahren zuzulassen.
d) Der Fachmann würde D6 nicht mit D4 kombinieren, so dass der Gegenstand des Hauptantrags sowohl neu, als auch erfinderisch sei.
Offenbarung der Erfindung (Artikel 83 EPÜ)
1. Das Patent offenbart in der von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachteten Fassung des Hauptantrags die beanspruchte Erfindung so deutlich und vollständig, dass sie entgegen dem Einwand der Beschwerdeführerin vom Fachmann ausgeführt werden kann.
2. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass Anspruch 1 des Hauptantrags im Kennzeichen verlange, dass der Auswahlschalter nur eine einzige Funktion haben dürfe, nämlich die Art des Verstellvorgangs zu wählen. In der Beschreibung werde dagegen ausgeführt, dass der Auswahlschalter einerseits dazu diene, die anzufahrende Position (also die Art des Verstellvorgangs) zu wählen, dass andererseits aber beim Betätigen des Auswahlschalters auch ein Zeitintervall in Gang gesetzt werde, innerhalb dessen ein Anfahren der Position möglich sei, während nach Ablauf des Zeitintervalls eine Betätigung blockiert sei. Der in der Beschreibung beschriebene Auswahlschalter habe daher nicht nur eine "alleinige" Funktion, sondern deren zwei.
Dieser Widerspruch zwischen Ansprüchen und Beschreibung führe dazu, dass der Fachmann den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht ausführen könne, da ihm durch die Beschreibung nur ein Bett aufgezeigt werde, das nicht unter den unabhängigen Anspruch falle, nicht jedoch ein Ausführungsbeispiel eines erfindungsgemäßes Bettes.
2.1 Die Kammer stellt fest, dass das Kennzeichen des Anspruchs 1 unklar ist, da sich aus dem Ausdruck "jeder Auswahlschalter ist ... allein betätigbar" nicht ergibt, auf was sich die alleinige Betätigung bezieht. Daher bedarf es einer Auslegung des Ausdrucks unter Zuhilfenahme der Beschreibung.
2.1.1 Die Funktionsweise der jeweiligen Auswahlschalter wird in Absatz [0006] der Patentschrift dahingehend erklärt, dass jedem der Auswahlschalter eine individuelle Position, die das Bett anfahren kann, zugeordnet ist. Dabei wird durch die Betätigung des Auswahlschalters als erstes die anzufahrende Position gewählt und dann durch ein anschließendes Drücken eines der beiden Richtungsschalter eine Verstellung des Betts in Richtung auf diese gewählte Position bzw. aus dieser Position zurück in die Grundstellung durchgeführt. Diese Bewegung erfolgt so lange wie der entsprechende Richtungsschalter gedrückt gehalten wird.
2.1.2 Das Wort "allein" bezieht sich daher im Verständnis der Kammer darauf, dass nicht Auswahlschalter und Richtungsschalter gleichzeitig gedrückt gehalten werden müssen, sondern erst der Auswahlschalter "allein" (also unabhängig von den Richtungsschaltern) gedrückt wird, bevor dann nach erfolgter Betätigung des Auswahlschalters die Richtungsschalter betätigt werden.
2.2 In diesem Verständnis des unklaren Ausdrucks steht der Anspruch aber nicht im Widerspruch zur Beschreibung, sondern entspricht genau den dortigen Ausführungen. Entsprechend aber hat der Fachmann keine Schwierigkeiten, den Gegenstand des Anspruchs nachzuarbeiten.
2.3 Nachdem der fragliche Ausdruck zudem im erteilten unabhängigen Anspruch bereits in dieser Fassung verwendet wurde, kann der Entscheidung G3/14 der Großen Beschwerdekammer folgend die mangelnde Klarheit des Anspruchs nicht beanstandet werden.
3. Die Beschwerdeführerin argumentierte ferner, dass das im Anspruch 1 genannte Merkmal "mit dem Richtungsschalter ist die Richtung des Verstellvorgangs einstellbar" unverständlich sei, da eine Richtung des Verstellvorgangs bereits durch den Auswahlschalter gewählt worden sei. Ein wiederholtes Wählen der Richtung mit unterschiedlichen Schaltern stehe aber im Widerspruch zur Beschreibung, in der die Richtungsschalter dazu dienen würden, das Bett in der mit dem Auswahlschalter gewählten Richtung zu verstellen.
3.1 Auch hier stellt die Kammer fest, dass der Ausdruck unklar ist, da eine Richtung mangels numerischen Wertes nicht einstellbar, sondern allenfalls wählbar ist. Entsprechend muss auch hier die Bedeutung des Ausdrucks im Kontext der Ansprüche und mit Hilfe der Beschreibung interpretiert werden.
3.1.1 Im allgemeinen Teil der Beschreibung auf Seite 2 wird - wie bereits zum ersten Einwand der fehlenden Ausführbarkeit ausgeführt - erklärt, dass mit den Richtungsschaltern eine Bewegung des verfahrbaren Bettteils in der mit dem Auswahlschalter gewählten Richtung (entweder in Richtung zur gewählten Position des Betts oder in Gegenrichtung zur Grundstellung) initiiert wird und so lange durchgeführt wird, bis entweder die gewählte Position vollumfänglich erreicht wurde, oder aber der Richtungsschalter nicht mehr betätigt wird.
3.1.2 Der Ausdruck "mit dem Richtungsschalter ist die Richtung des Verstellvorgangs einstellbar" würde daher unter Berücksichtigung der Beschreibung vom fachkundigen Leser verstanden als "mit dem Richtungsschalter ist der Verstellvorgang steuerbar", d. h. die Bewegung in der gewählten Richtung wird mit den Richtungsschaltern initiiert. Bei dieser Auslegung ergibt das fragliche Merkmal genau den Sinn, den der Fachmann bereits beim Lesen des Gesamtkontextes des Anspruchs vermuten würde.
3.2 Bei einer so verstandenen Funktion des Richtungsschalters ist das Bett für den Fachmann aber zweifelsfrei ausführbar. Der Einwand der Beschwerdeführerin betrifft auch hier die Klarheit des Anspruchs, die jedoch erneut nicht angegriffen werden kann, da auch das fragliche Merkmal bereits im erteilten unabhängigen Anspruch in der vorliegenden Fassung genannt wurde.
4. Die Kammer kann daher keinen Grund erkennen, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung zu den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ abzuweichen.
Ob einer oder beide der vorstehenden behaupteten Mängel bereits im Einspruchsverfahren vorgebracht wurden und/oder im Einspruchsverfahren vorgebracht werden hätte müssen, und daher gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 im Verfahren nicht berücksichtigt werden müsste, kann daher offen bleiben, da die Einwände bereits inhaltlich nicht durchgreifen.
Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
5. Der Hauptantrag wurde entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin nicht unzulässig geändert.
5.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte in ihrem Verständnis des Merkmals "Auswahlschalter ist allein betätigbar" (siehe vorstehend zur Ausführbarkeit), in der ursprünglich eingereichten Anmeldung sei an keiner Stelle offenbart worden, dass der Auswahlschalter keine weitere Funktion als die Wahl der Bewegungsrichtung habe. Ganz im Gegenteil offenbare die ursprüngliche Anmeldung eine Doppelfunktion des jeweiligen Auswahlschalters, sowohl zur Wahl der Bewegungsrichtung, als auch zum Start des Zeitintervalls, in dem eine Bewegung des Betts möglich ist.
5.1.1 Diese Interpretation des Merkmals widerspricht jedoch dem sich im Lichte der Beschreibung ergebenden Verständnis des Ausdrucks, wie vorstehend bereits ausgeführt.
5.1.2 In der sich aus der Beschreibung ergebenden Interpretation wurde das Merkmal auf Seite 2, Zeilen 6 - 11 der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbart, so dass hier keine unzulässige Änderung vorliegt.
5.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte ferner, dass das Merkmal "Handschalter weist genau zwei Richtungsschalter auf" auf einer unzulässigen Änderung beruhe, da eine Einschränkung auf genau zwei Schalter nicht den ursprünglichen Anmeldeunterlagen zu entnehmen sei.
5.2.1 Die ursprünglich eingereichte Beschreibung nennt den Ausdruck tatsächlich nicht wortwörtlich. In der Beschreibung wird jedoch ausschließlich in allen Passagen, die Richtungsschalter nennen, auf zwei Richtungsschalter verwiesen (siehe Seite 2, Zeile 4/5; Seite 3, Zeile 15; Seite 4, Zeile 12ff.). Zudem werden diese Schalter als "up" und "down" bezeichnet, was ebenfalls auf zwei Schalter hindeutet und die Option weiterer Schalter gar nicht erkennen lässt.
5.2.2 Die Anmeldung zeigt daher einzig und alleine Handsteuerungen mit zwei Richtungsschaltern, so dass die Beschränkung des in der ursprünglichen Anmeldung allgemeiner gefassten Anspruchswortlauts auf genau zwei Richtungsschalter bereits in der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbart war.
5.3 Weitere unzulässige Änderungen des Anspruchssatzes wurden von der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nicht geltend gemacht, so dass die Kammer auch in der Frage, ob eine oder mehrere unzulässige Änderungen vorliegen, keinen Grund sieht, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung zu den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ abzuweichen.
6. Auch hier kann offen bleiben, ob die Einwände im Beschwerdeverfahren auch gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 unberücksichtigt bleiben könnten, da sie inhaltlich bereits nicht überzeugend sind.
Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
7. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag ist neu.
7.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die geltend gemachte, auf den Dokumenten D7a - D7d basierende Vorbenutzung neuheitsschädlich sei. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Vorbenutzung jedoch als verspätetes Vorbringen nicht zum Verfahren zuzulassen.
7.2 Die Dokumente D7a - D7d wurden von der Beschwerdeführerin erst nach Erlass der Ladung im Beschwerdeverfahren eingereicht und auch erst dann geltend gemacht, so dass ihr Zulassung zum Verfahren unter Artikel 13 VOBK 2020 zu beurteilen ist.
7.2.1 Die Beschwerdeführerin führte in der mündlichen Verhandlung aus, dass sie erst im April 2020 auf die bereits Mitte der 1990er Jahre erfolgte Vorbenutzung aufmerksam wurde, als ein langjähriger Mitarbeiter die Patentabteilung der Beschwerdeführerin darüber informierte, dass das Unternehmen HNE seinerzeit Pflegebetten mit einer dem Streitpatent entsprechenden Handsteuerung vertrieben habe. Erst durch dadurch initiierte, gezielte Nachforschungen konnte die Beschwerdeführerin in den Besitz der Broschüre D7a gelangen, sowie die eidesstattliche Versicherung D7c von Herrn Stephen Hollyoak und das Bestätigungsschreiben D7d von Herrn Ralf Wiedemann einholen, wofür jeweils weitere Monate erforderlich waren.
7.2.2 Grundsätzlich hat die Einsprechende die Pflicht, alle relevanten Entgegenhaltungen gegen das Streitpatent innerhalb der Einspruchsfrist vorzulegen. Im Falle offenkundiger Vorbenutzungen wird es dabei aber als zulässig angesehen, einzelne Beweismittel später nachzureichen, sofern die wesentlichen Umstände der Vorbenutzung im Einspruchsschriftsatz jedenfalls substantiiert dargelegt worden waren. Nur in Ausnahmesituationen besteht dagegen die Möglichkeit, nach Ablauf der Einspruchsfrist komplett neue Entgegenhaltungen im Verfahren zu berücksichtigen, etwa wenn diese Reaktionen auf nicht vorhersehbare Entwicklungen im Verfahren darstellen. Bei einer Vorlage im Beschwerdeverfahren ist daher im Rahmen von Artikel 12(4) VOBK 2007 zu berücksichtigen, dass eine Vorlage aus den o.g. Gründen regelmäßig bereits im Einspruchsverfahren veranlasst gewesen wäre. Bei Einreichung nach erfolgter Ladung kann eine Zulassung überdies gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 nur dann erfolgen, wenn die Einsprechende stichhaltige Gründe aufzeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
7.2.3 Die Tatsache, dass der Hinweis durch den Mitarbeiter der Einsprechenden und jetzigen Beschwerdeführerin erst im April 2020 erfolgte, entbindet die Beschwerdeführerin dabei nicht von diesen Grundsätzen und kann für sich genommen noch nicht als stichhaltiger Grund, dass außergewöhnliche Umstände anzunehmen wären, gewertet werden.
7.2.4 Die Einspruchsfrist endete im Juni 2017. Das Wissen des Mitarbeiters bestand somit offenbar auch schon während der gesamten Einspruchsfrist und dem sich daran anschließenden Einspruchsverfahren, so dass es der Einsprechenden bei rechtzeitiger Nachfrage bei ihren Mitarbeitern auch schon im Einspruchsverfahren möglich gewesen wäre, auf die Vorbenutzung aufmerksam zu werden und die Dokument D7a, D7c und D7d einzuholen, spätestens jedoch mit Einlegen der Beschwerde. Dass der Mitarbeiter dieses Wissen erst im April 2020 an die Patentabteilung seines Unternehmens weitergab, betrifft das Innenverhältnis des Unternehmens und kann daher keine Entschuldigung für die verspätete Geltendmachung darstellen, sondern ist im Gegenteil der Beschwerdeführerin vollumfänglich zuzurechnen.
7.2.5 Dabei kann auch die seit Frühjahr 2020 die interne Kommunikation behindernde Pandemie-Situation die erst nach der Ladung zur mündlichen Verhandlung erfolgte Vorlage nicht entschuldigen, da die Beschwerde bereits im April 2019 (und damit deutlich vor Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020) eingelegt wurde.
7.2.6 Auch wenn die genauen Umstände, wann der Mitarbeiter Kenntnis erlangt hatte, von der Beschwerdeführerin nicht vorgetragen werden konnten, ist jedenfalls anzunehmen, dass bei einem auf dem gleichen Markt tätigen Unternehmen Produkte von Mitbewerbern, die auf diesem Markt angeboten und beispielsweise auf Messen vorgestellt werden, entweder bekannt oder zumindest recherchierbar sind. Es ist daher davon auszugehen, dass bei der gebotenen Nutzung des gesamten Erfahrungsschatzes des Unternehmens, insbesondere bei Befragung der in Entwicklung und Vertrieb tätigen eigenen Mitarbeiter die Vorbenutzung D7a bis D7d schon im Zeitraum der Einspruchsfrist auffindbar gewesen wäre.
7.2.7 Das insoweit vorgetragene Argument der Beschwerdeführerin, dass in Dänemark häufige Jobwechsel dazu führten, dass es kaum langjährige Mitarbeiter gebe, die Wissen aus der Zeit vor mehreren Jahrzehnten über Vorgänge im Unternehmen hätten, kann keine Entschuldigung darstellen, da es ja - wie von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung explizit bestätigt - wenigstens einen langjährigen Mitarbeiter bei der Einsprechenden gab, der sich an die Vorbenutzung Mitte der 1990er Jahre erinnern konnte. Zudem kann ein für alle Unternehmen im Land der Einsprechenden gültiger Umstand eines fluktuierenden Mitarbeiterstamms nicht als außergewöhnlicher Umstand angesehen werden da er letztlich alle Unternehmen des Landes im gleichen Maße trifft.
7.2.8 Schließlich kann die verspätete Vorlage auch nicht damit entschuldigt werden, dass Mitte der 1990er Jahre die Informationsbeschaffung im Internet noch kaum verbreitet war. Der von der Beschwerdeführerin beschriebene Informationsfluss erfolgte unabhängig von den im Internet verfügbaren Informationen, so dass dahingestellt bleiben kann, ob die Vorbenutzung auch im Internet in auffindbarer Weise dokumentiert wurde. Zudem war aber auch dieser Umstand für alle Unternehmen gleichermaßen gültig.
7.3 Eine Zulassung der Vorbenutzung zum Verfahren zu einem derart späten Zeitpunkt nach Erlass der Ladung zur mündlichen Verhandlung kann daher nicht mehr erfolgen, da die geltend gemachten Gründe weder stichhaltig sind, noch das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände begründen. Die Vorbenutzung auf Grundlage der Dokumente D7a - D7d bleibt daher gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 unberücksichtigt.
7.4 Weitere neuheitsschädliche Entgegenhaltungen wurden von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht.
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
8. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs des Hauptantrags wird entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin auch nicht nahegelegt.
8.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte hierzu ausgehend von D6 als nächstkommendem Stand der Technik in Kombination mit Dokument D4.
8.2 In Übereinstimmung mit den Parteien sieht auch die Kammer D6 als nächstkommenden Stand der Technik an.
8.2.1 Das in D6 offenbarte Bett weist eine Handsteuerung (siehe Figur 2) auf, mit deren Hilfe der Benutzer in einem ersten Schritt eine Art des Verstellvorgangs mit Hilfe eines Auswahlschalters (21) wählt und dann in einem zweiten Schritt eine Bewegung des Bettes mit den Richtungsschaltern (19, 20) in Richtung der gewählten Position bzw. in Richtung auf eine Grundstellung zu veranlasst. Mit dem nur einen Auswahlschalter kann der Benutzer dabei durch die verschiedenen Arten des Verstellvorgangs (22, 23, 24, 25) schalten, bis er die gewünschte -Verstellart erreicht hat (siehe Figur 4 - 7). Die jeweilig aktive Art des Verstellvorgangs wird ihm im Display des Handschalters angezeigt.
8.2.2 Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs unterscheidet sich daher dahingehend vom aus D6 bekannten Bett, dass der Handschalter zumindest zwei Auswahlschalter aufweist, wobei jeder Auswahlschalter zur Einstellung einer Art des Verstellvorgangs allein betätigbar ist.
8.2.3 Aufgabe der Mehrzahl von Auswahlschaltern ist es, für den bettlägerigen Patienten eine möglichst einfach bedienbare Steuerung der Position des Bettes zu ermöglichen.
8.3 Ausgehend von D6 hat der Fachmann jedoch keine Veranlassung, das Dokument D4 zur Lösung dieser Aufgabe näher in Betracht zu ziehen.
8.3.1 Die aus D4 bekannte Steuerung (siehe Figur 2) ist um ein Vielfaches komplizierter als die Handsteuerung der D6. Zum einen weist sie annähernd zwei Dutzend Tasten auf, mit denen eine Vielzahl von Einstellmöglichkeiten vorgenommen werden können. Zum anderen kann mit der Steuerung aber auch eine Mehrzahl an Funktionalitäten gesteuert werden (Telefon, Position mehrerer Sitze in unabhängiger Weise). Die Verwendung dieser Steuerung an Stelle der Steuerung der D6 würde daher keinesfalls zu einer Vereinfachung der Handsteuerung führen, so dass der Fachmann nach Überzeugung der Kammer das Dokument D4 nicht näher zur Lösung der oben genannten Aufgabe berücksichtigen würde.
8.3.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert zwar, dass der Fachmann nicht die komplette Steuerung des Dokuments D4 übernehmen würde, sondern D4 nur die Lehre entnimmt, dass ein Sitz mit Hilfe eines zweistufigen Verfahrens in seiner Stellung verändert werden könne: In einem ersten Schritt zeige D4, dass mit einer Auswahltaste des zentralen Tastenblocks (13) die Art des Verstellvorgangs (also der zu verstellende Freiheitsgrad des Sitzes) gewählt und dann mit zwei Richtungstasten (23) der Sitz in dieser Richtung verstellt werden könne.
8.3.3 Diese abstrahierte Lehre ist in D4 weder explizit herausgearbeitet, noch lässt sie sich aus dem in D4 genannten Kontext implizit ableiten, da in D4 die Auswahl der Verstellarten und die anschließende Verstellung nur zwei von mehreren aufeinanderfolgenden Auswahlschritten darstellt und der Sitz dann unter Verwendung von vier (und nicht mit genau zwei) Richtungstasten verstellt wird. Die Wahl der Richtungstasten hängt dabei vom zu verstellenden Freiheitsgrad ab, wobei es Freiheitsgrade sowohl in vertikaler, als auch in horizontaler Richtung gibt.
Der Fachmann müsste daher folgende Abstraktionsschritte durchführen:
a) Zunächst müsste er den Schritt der Aktivierung der Fernbedienung und den der Anwahl eines der beiden Sitze ausblenden.
b) Er müsste anschließend nur einen ganz bestimmten Teil der Richtungstasten wählen, die auch nur auf einen Teil der diversen Arten von Verstellvorgängen wirken (und zwar jene, die in vertikaler Richtung die Sitzposition modifizieren).
Diesen Abstraktionsgrad würde der Fachmann aber nur in Kenntnis der Erfindung wählen, was eine unzulässige, rückschauende Betrachtung darstellt.
Zudem hat der Fachmann ohne Kenntnis der Erfindung auch keine Veranlassung, gerade diese Zuordnung von Richtungsschaltern und Auswahlschaltern der D4 zu entnehmen, die sich eigentlich damit beschäftigt, zwei Sitze und optional ein Telefon mit ein und derselben Steuerung zu bedienen.
8.3.4 Des Weiteren stellt die Kammer auch fest, dass die Benutzer der aus D4 bekannten Steuerung in Hinblick auf ihre Mobilität, aber auch in Hinblick auf ihre Auffassungsgabe und ihren Aufmerksamkeitsgrad nicht mit bettlägerigen Patienten in einem Pflegebett verglichen werden können. Der durchschnittliche bettlägerige Patient wäre mit den diversen Auswahltasten und vier Richtungstasten, die zusammen mit jeweils unterschiedlichen Auswahltasten zu betätigen sind, heillos überfordert, so dass auch aus diesem Grund der Fachmann die Lehre des Dokuments D4 nicht auf die aus D6 bekannte Handsteuerung für ein Bett übertragen würde.
8.3.5 Schließlich spricht ein weiterer Grund gegen eine Kombination von D6 mit D4: In D6 soll die Handsteuerung universell für verschiedene Betten verwendet werden können (siehe Seite 4, erster Absatz), da eine Anpassung softwareseitig erfolgt. So kann die Handsteuerung sowohl für Betten mit nur wenigen Arten des Verstellvorgangs verwendet werden, als auch für Betten mit einer Vielzahl von Arten des Verstellvorgangs, da letztlich nur die Anzahl der anwählbaren Symbole im Display angepasst werden muss.
Sobald aber je Art des Verstellvorgangs ein eigener Auswahlschalter vorgesehen werden soll, wäre die Steuerung gerade nicht mehr universell für verschiedene Betten mit unterschiedlicher Anzahl an Arten des Verstellvorgangs verwendbar, da ja je Art des Verstellvorgangs ein eigenständiger Auswahlschalter vorhanden sein muss. Eine solche Abwandlung würde der Lehre der D6 somit diametral zuwiderlaufen.
8.4 Daher sieht die Kammer es nicht als naheliegend an, dass der Fachmann D6 mit D4 kombinieren würde, so dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs nicht nahegelegt wird.
8.5 Weitere Angriffslinien unter erfinderischer Tätigkeit wurden nicht vorgebracht, so dass die Kammer auf der Grundlage des ihr vorliegenden Sachverhalts keine Veranlassung sieht, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung in Hinblick auf die Erfordernisse der Artikel 54 und 56 abzuweichen.
9. Weitere Gründe, die einer Aufrechterhaltung des Streitpatents in der von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachteten Fassung entgegenstehen würden, wurden von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.