T 1292/19 16-03-2023
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Folienband
Neuburger, Benedikt
KONTEX Bausysteme GmbH & Co. KG
Biologische Insel Lothar Moll GmbH & Co. KG
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Spät eingereichte Tatsachen - zugelassen (nein)
I. Das europäische Patent EP 2 692 959 B1 ("das Patent") betrifft ein Folienband zum Abdichten von Fugen zwischen zusammengefügten Bauelementen im Hausbau.
II. Gegen das erteilte Patent wurden sechs Einsprüche eingelegt.
Als Einspruchsgründe wurden unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung (Artikel 100 c) EPÜ), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) geltend gemacht.
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens nahmen die
Einsprechende I (ASTORplast Klebetechnik SE)
Einsprechende II (Bosig GmbH) und
Einsprechende V (SwissChem AG)
jeweils ihren Einspruch zurück.
III. Die Einspruchsabteilung entschied, die Einsprüche zurückzuweisen.
IV. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende VI (Biologische Insel Lothar Moll GmbH & Co. KG, im Folgenden: die Beschwerdeführerin) Beschwerde ein.
V. Stand der Technik
a) Die folgenden Dokumente des Einspruchsverfahrens sind für das Beschwerdeverfahren wesentlich:
E3: |Anlagenkonvolut zur Vorbenutzung 603 Alfa Fultra-2 |
E3-1: |Technisches Datenblatt "Klebebänder Dichtstoffe Alfa®direkt", Stand: 04-2012 (1 Seite) |
E3-21:|Lieferschein 505031 über die Lieferung der Firma Bosig GmbH an die Firma Alfa GmbH vom 14. Juni 2012 (3 Seiten) |
E3-22:|Lieferschein 505459 über die Lieferung der Firma BOSIG GmbH an die Firma Alfa GmbH vom 21. Juni 2012 (3 Seiten) |
E3-3: |Aktuelles Foto des zu einer Rolle gewickelten Alfa-Dichtbands sowie eine Skizze zum prinzipiellen Aufbau des Dichtbands (1 Seite)|
E3-4: |eidesstattliche Versicherung von Herrn Jürgen Bergmann (Vertriebsmitarbeiter der Firma Bosig GmbH) vom 30. August 2016 (1 Seite) |
E4: |WO 2009/127819 A1 |
E5: |DE 102 39 985 B4 |
E6: |EP 1 507 950 B1 |
E8: |DE 20 2008 002 895 U1 |
E9: |Screenshot der Webseite www.alfa-direkt.de zu 603 Alfa Fultra-2 vom 21. Juli 2016 |
E15: |DE 102 55 600 A1 |
E22: |DE 102 55 598 B4 |
E27: |DE 100 31 213 B4 |
E47: |WO 2005/012681 A1 |
b) In ihrer Erwiderung auf die Beschwerde verweist die Beschwerdegegnerin zudem auf folgende Anlagen:
MB 1:|Merkmalsgliederung des Anspruchs 1 |
MB 2:|Ausdruck der Webseite "http://www.schadstoffberatung.de/kleber.htm"|
MB 3:|Ausdruck der Webseite "https://mem.de/ratgeber/kleben-und-montieren"|
VI. Wortlaut der Ansprüche
In Anlehnung an den Vortrag der Verfahrensbeteiligten wird im Folgenden auf die Merkmalsgliederung des Anspruchs 1 wie erteilt gemäß Punkt 16 der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen:
M1: Folienband (10) zum Abdichten von Fugen
zwischen zusammengefügten Bauelementen im Hausbau, insbesondere zwischen einem Mauerwerk (8) und einem Fenster- oder Türrahmen (9),
M2: umfassend eine durch eine nicht perforierte
Folie gebildete Funktionsmembran (1),
M3: die auf ihrer Unterseite eine vollflächig
aufgebrachte Selbstklebeschicht (2),
M4: welche mit einer abziehbaren Deckfolie (3)
versehen ist, aufweist,
M5: wobei die Funktionsmembran (1) an dem ersten
Bauelement, insbesondere am Fenster- oder Türrahmen (9), über einen ersten in Längsrichtung verlaufenden Klebebereich der Selbstklebeschicht (2) und an dem zweiten Bauelement, insbesondere am Mauerwerk (8), über einen zweiten in Längsrichtung verlaufenden Klebebereich der Selbstklebeschicht (2) anschließbar bzw. anklebbar ist,
M6: wobei auf der Oberseite der Funktionsmembran (1)
eine Vliesschicht (4) aufgebracht ist und
M7: die Funktionsmembran (1) gebildet ist durch eine
feuchtevariable Polymerfolie, deren Wasserdampfdiffusionskoeffizient sich in Abhängigkeit umgebenden Luftfeuchtigkeit ändert,
M8: wobei das Folienband (10) positiv dehnbar ist,
derart, dass das Folienband (10) in Querrichtung mit weniger Kraftaufwand sowie mehr bzw. weiter dehnbar ist als in Längsrichtung.
Der Wortlaut von Anspruch 1 der weiteren Hilfsanträge 1 bis 10 ist für diese Entscheidung unerheblich.
VII. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit. Insbesondere wies sie unter anderem darauf hin, dass
a) sie die Auffassung der Einspruchsabteilung in Bezug auf die Beurteilung der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 b) und c) EPÜ sowie in Bezug auf die Angriffslinien zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend E8 und E17 teile,
b) der Begründung der angefochtenen Entscheidung keine fehlerhafte Ermessensausübung der Einspruchsabteilung in Bezug auf die Evaluierung der offenkundigen Vorbenutzung gemäß dem Anlagenkonvolut E3 und E9 zu Grunde liege,
c) die offenkundige Vorbenutzung durch das Anlagenkonvolut E3 und E9 nicht bewiesen sei und
d) sie nicht beabsichtige, die weiteren Angriffslinien zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E6 und E27 zu berücksichtigen.
VIII. Eine mündliche Verhandlung fand am 16. März 2023, wie angekündigt in Abwesenheit der
Einsprechenden III (Benedikt Neuburger) und Einsprechenden IV (Kontex Bausysteme GmbH & Co. KG GmbH) als weitere Verfahrensbeteiligte, gemäß Artikel 15(3) VOBK 2020 und Regel 115(2) EPÜ statt.
IX. Anträge
Am Schluss der mündlichen Verhandlung bestand folgende Antragslage:
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 10, allesamt eingereicht mit der Beschwerdebegründung, aufrecht zu erhalten.
X. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Änderungen
Das Merkmal "mit weniger Kraftaufwand" sei im ursprünglichen Anspruch 7 als Alternative zum Merkmal "mehr bzw. weiter dehnbar" offenbart. Die Änderung in Anspruch 1 wie erteilt gehe über diese ursprüngliche Lehre hinaus, denn gemäß dem geänderten Wortlaut sei die Kombination der beiden Merkmale erforderlich ("mit weniger Kraftaufwand sowie mehr bzw. weiter dehnbar").
b) Ausführbarkeit
Eine gemäß Anspruch 1 zwingend erforderliche Deckfolie sei per se nicht dehnbar, vgl. Absatz [0050] des Patents ("Abdeckpapiere ..."). Die beanspruchte Dehnbarkeit sei vielmehr eine Eigenschaft des Vlieses, was im Sinne der Rechtssicherheit klargestellt werden müsse. So sei es für den Fachmann nicht möglich, ein Folienband mit den Merkmalen des Anspruchs 1 bereitzustellen, das in Querrichtung mit weniger Kraftaufwand sowie mehr bzw. weiter dehnbar sei als in Längsrichtung.
c) Erfinderische Tätigkeit - ausgehend von E8
Ausgehend von E8 unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 durch die Merkmale M3 ("vollflächiger Klebstoffauftrag") und M7 ("feuchtevariable Membran"). Zwischen den beiden Unterscheidungsmerkmalen gebe es keine Wechselwirkung, die einen Synergieeffekt hervorbringen könne.
Die aus dem Merkmal M3 ableitbare Teilaufgabe könne darin gesehen werden, ein Dichtband bereitzustellen, das eine feste und großflächige Klebung ermögliche. Die in Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung für diese Teilaufgabe sei naheliegend.
Schließlich offenbare E15, dass diffusionsoffene Acrylat-Dispersionskleber und dampfundurchlässige Polyurethankleber für Folienbänder gleichermaßen Einsatz fänden. Zudem vermittle E4 dem Fachmann, dass diffusionsoffene Acrylat-Dispersionskleber vorteilhaft als vollflächige Klebeschicht eingesetzt werden könnten, um eine maximal große Klebefläche zu gewährleisten.
Die Anwendung der für den Fachmann bekannten Eigenschaften bekannter Klebstoffe und deren Auftragsgröße könne keine erfinderische Tätigkeit begründen.
Die aus dem Merkmal M7 ableitbare Teilaufgabe könne darin gesehen werden, ein Dichtband bereitzustellen, das gleichermaßen für eine Innen- und Außenabdichtung geeignet sei.
Auch die in Anspruch 1 vorgeschlagene Lösung für diese Teilaufgabe sei naheliegend.
Denn aus E5 sei dem Fachmann bekannt, welche Vorteile feuchtevariable Folien (Membrane) gegenüber nicht feuchtevariablen Folien hätten. Insbesondere zeige E5, dass der variable sd-Wert feuchtevariabler Membranen eine Wasserdampfdiffusion in beide Diffusionsrichtungen, und dabei eine hohe Diffusion bei feuchter Umgebung und eine niedrige Diffusion bei trockener Umgebung, ermögliche.
Für den Fachmann liege es auf der Hand, die in E5 beschriebenen feuchtevariablen Membranen wegen diesen Vorteilen in einem Dichtband von E8 einzusetzen, um ein Dichtband für den Innen- und Außeneinsatz zu erhalten.
E5 offenbare zwar nichts in Bezug auf die Elastizität der gemäß E5 einzusetzenden feuchtevariablen Membran aus Ionomerpolymer. Allerdings sei eine bestimmte Elastizität gemäß Anspruch 1 des Patents auch nicht erforderlich. Vielmehr reiche es gemäß Anspruch 1 aus, wenn das Folienband in Querrichtung eine geringe Elastizität aufweise, während es in Längsrichtung überhaupt nicht dehnbar sein müsse. Ohnehin weise jede dünne Polymerfolie in einer für eine Membran üblichen Dicke eine gewisse Elastizität auf, wie sie nach Anspruch 1 erforderlich sei.
d) Erfinderische Tätigkeit - ausgehend von E17
E17 offenbare ein Fugendichtband, von dem sich der Gegenstand von Anspruch 1 nur durch das Merkmal M8 unterscheide.
Mit der Aufgabe, das Band von E17 besser an thermische Bewegungen zwischen Mauer und Fensterrahmen anzupassen, würde der Fachmann E6 in Betracht ziehen. E6 schlage eine naheliegende Lösung für diese Aufgabe vor, nämlich das Dichtband so auszugestalten, dass dieses eine unterschiedliche Dehnbarkeit in Längs- und Querrichtung aufweise.
e) Berücksichtigung der offenkundigen Vorbenutzung "Alfa" durch die Einspruchsabteilung
Die Patentinhaberin habe nicht in Reaktion auf die Mitteilung nach Regel 79 (1) EPÜ vom 14.02.2019 innerhalb der darin gesetzten Frist von vier Monaten zu den Einsprüchen Stellung genommen. Die Einspruchsabteilung hätte die verspätete Stellungnahme unberücksichtigt lassen müssen.
Die übrigen fünf Einsprechenden hätten erst kurz vor der Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ihren Einspruch zurückgenommen bzw. ihre Nichtteilnahme an der Verhandlung mitgeteilt. Als alleinig an der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung teilnehmende Einsprechende sei es der Beschwerdeführerin nicht zumutbar gewesen, alle von den weiteren Einsprechenden ursprünglich erhobenen Einwände unter Berücksichtigung der Vielzahl von Entgegenhaltungen aufzuarbeiten und aufzugreifen. Dies schließe den ursprünglich von der Einsprechenden I erhobenen Einwand in Bezug auf die offenkundige Vorbenutzung "Alfa" mit ein.
Vielmehr hätte die Einspruchsabteilung selbst nach Rücknahme des Einspruchs der Einsprechenden I im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes unter Anwendung ihres Ermessens den Einwand zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der offenkundigen Vorbenutzung "Alfa" weiterverfolgen müssen. Es liege daher eine fehlerhafte Ermessensausübung seitens der Einspruchsabteilung vor.
Weiterhin sei die angegriffene Entscheidung deswegen fehlerhaft, da sich die angegriffene Entscheidung nicht mit der Beweisfrage zur offenkundigen Vorbenutzung auseinandersetze.
Zudem sei die Beurteilung der Einspruchsabteilung auch in der Sache unrichtig, da die im Einspruchsverfahren eingereichte Dokumentation zur Vorbenutzung "Alfa" klar beweise, dass eine Vorbenutzung eines Dichtbands gemäß Anspruch 1 vor dem Anmeldetag des Patents stattgefunden habe.
f) Zulassung des Einwands zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der offenkundige Vorbenutzung "Alfa" (E9 und Anlagenkonvolut E3) im Beschwerdeverfahren
Wie bereits ausgeführt, sei es der Beschwerdeführerin nicht zumutbar gewesen, alle von den weiteren Einsprechenden ursprünglich erhobenen Einwände unter Berücksichtigung der Vielzahl von Entgegenhaltungen aufzuarbeiten und während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung aufzugreifen. Dies schließe den ursprünglich von der Einsprechenden I erhobenen Einwand in Bezug auf die offenkundige Vorbenutzung "Alfa" mit ein. Dieser solle daher nun im Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden.
g) Zulassung des Einwands zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E6
Der Einwand zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E6 sei aus dengleichen Gründen zu berücksichtigen, die bereits in Bezug auf den Einwand ausgehend von E3 dargelegt worden seien.
E6 offenbare ebenfalls ein Dichtband zum Abdichten von Fugen zwischen Bauelementen im Hausbau.
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Patents unterscheide sich von E6 durch die Merkmale M3 (vollflächige Klebeschicht auf der Membran) und M7 (feuchtevariable Membran).
Der vollflächige Klebstoffauftrag stehe in keiner technischen Wechselwirkung zu dem Auftrag auf die Membran. Der Klebstoffauftrag auf die Membran leiste auch keinen Beitrag zu der Erfindung.
Für die übrigen Unterscheidungsmerkmale gelte jeweils die in Bezug auf E8 vorgebrachte Argumentation.
Ausgehend von E6 unter Berücksichtigung von E4 und E5 sei der Gegenstand von Anspruch 1 daher ebenfalls naheliegend.
h) Zulassung des Einwands zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E27
Wie in Bezug auf E3 und E6 argumentiert, lägen aufgrund des Wegfalls von fünf weiteren einsprechenden Parteien kurz vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung betreffend die Wahrung des rechtlichen Gehörs außergewöhnliche Umstände vor, die eine Berücksichtigung des weiteren Einwands zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E27 rechtfertigten. Zudem sei der Einwand auch prima facie relevant und adressiere insbesondere den Gegenstand von Hilfsantrag 6.
XI. Das entsprechende Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Änderungen
Die Änderung in Anspruch 1 wie erteilt beruhe auf Anspruch 7 wie ursprünglich eingereicht.
b) Ausführbarkeit
Gemäß Artikel 83 EPÜ sei es erforderlich, dass das gesamte Patent (also insbesondere auch die Beschreibung und die Figuren) dem Fachmann ausreichend Informationen gebe, um die in Anspruch 1 definierte Erfindung nachzuarbeiten. Aus der Beschreibung des Patents folge zweifelsfrei, dass sich die in Anspruch 1 angegebene Dehnbarkeit auf den eingebauten Zustand - also ohne die Deckfolie - beziehe, denn nur dort sei die Dehnbarkeit von Relevanz.
Zudem könnten auch Deckfolien dehnbar ausgestaltet sein. Selbst wenn dem nicht so sei, habe die Beschwerdeführerin nicht belegt, warum für den Fachmann keine Möglichkeit bestünde, die Erfindung im Lichte der Beschreibung des Patents nachzuarbeiten.
c) Erfinderische Tätigkeit - ausgehend von E8
E8 stelle den nächstliegenden Stand der Technik dar und offenbare ein Dichtungsband mit einer Membran aus einer
diffusionsoffenen Kunststofffolie und Streifen aus Butyl-Kautschuk-Kleber.
Ausgehend von E8 unterscheide sich der Gegenstand von Anspruch 1 durch die Merkmale M3 ("vollflächiger Klebstoffauftrag") und M7 ("feuchtevariable Membran").
Die Kombination dieser Merkmale werde in E8 nicht nahegelegt, selbst wenn man eine unabhängige Teilaufgabe für die Merkmale M3 und M7 verwende, was angesichts der in Absatz [0009] des Patents formulierten gemeinsamen Aufgabe ohnehin nicht angebracht sei.
E15 belege, dass Butyl-Kautschuk-Kleber dampfundurchlässig sei. Ein vollflächiger Auftrag eines dampfundurchlässigen Klebers sei in E8 allerdings nicht angebracht, da dies der gewünschten diffusionsoffenen Eigenschaft der Kunststofffolie entgegenstehe.
E4 vermittle dem Fachmann zwar, dass Acrylat-Dispersionskleber vollflächig eingesetzt werden könnten. Allerdings härte eine Acrylat-Dispersionskleber sehr schnell aus. Eine ausgehärtete Kleberschicht könne sich aber negativ auf die Dehnbarkeit des Dichtbandes auswirken. Der Einsatz eines Acrylat-Klebers sei in einem Dichtband nach E8 daher nicht naheliegend.
Ein Fachmann würde ausgehend von E8 somit ohne jegliche Motivation nicht in naheliegender Weise sowohl das Klebemittel als auch die Art des Kleberauftrags ändern.
Außerdem bestehe auch keine Veranlassung, in dem Dichtband von E8 zudem noch einen anderen Typ von Membran einzusetzen.
Zwar seien dem Fachmann aus E5 feuchtevariable Folien bekannt. E5 liefere aber ebensowenig wie E8 einen Anreiz dafür, die in E5 beschriebenen feuchtevariablen Ionomer-Folien anstelle der Membran in dem Dichtband von E8 einzusetzen. Dies sei auch nicht im Rahmen des routinemäßigen Handelns naheliegend, denn weder offenbare E5, dass die darin beschriebenen feuchtevariablen Folien eine für ein Dichtband nach E8 -insbesondere auch bei einem angeblich naheliegenden vollflächigen Klebstoffauftrag (Merkmal M3) - ausreichende Dehnbarkeit aufweisen würde, noch sei dies allgemeines Fachwissen.
d) Erfinderische Tätigkeit - ausgehend von E17
Kern der Lehre der E17 sei ein Fensteranschlussband, das in einer Fuge eingesetzt werde, also in die Fuge hineingeschoben werden müsse.
E17 betreffe daher ein völlig anderes Dichtbandkonzept als Anspruch 1 des Patents, bei dem das Band zum Abdecken einer Fuge eingesetzt werde. E17 stelle daher keinen realistischen Ausgangspunkt dar.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von E17 durch die Merkmale M2, M6, M8.
E17 liefere keinerlei Anreiz, das Dichtungsband in Querrichtung dehnbar auszugestalten. Im Gegenteil, E17 lege nahe, eine Armierung einzusetzen, die gerade einer Querdehnbarkeit entgegenstehe. Auch in Hinblick auf die übrigen Unterscheidungsmerkmale sei nicht erkennbar, warum ein Fachmann das Abdichtungsband von E17 entsprechend umgestalten sollte.
e) Berücksichtigung der offenkundigen Vorbenutzung "Alfa" durch die Einspruchsabteilung
Die Einspruchsabteilung habe in ihrer Anlage zur Ladung zu Recht darauf hingewiesen, dass die Vorbenutzung "Alfa" nicht ausreichend bewiesen worden sei. Die Einspruchsabteilung habe daher in der Sache zutreffend festgestellt, dass nicht belegt worden sei, wie, durch wen, wann, wo und unter welchen Umständen die Vorbenutzung stattgefunden haben sollte.
In Reaktion auf die Ladung habe keine der damaligen Einsprechenden den Einwand zur erfinderischen Tätigkeit basierend auf der vermeintlichen Vorbenutzung weiter substantiiert. Daher habe die Einspruchsabteilung zu Recht diesen Einwand nicht weiter verfolgt. Somit liege der Entscheidung keine fehlerhafte Ermessensausübung seitens der Einspruchsabteilung zugrunde.
f) Zulassung des Einwands zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der offenkundige Vorbenutzung "Alfa" (E3 / E9)
Die Beschwerdeführerin habe im Einspruchsverfahren keinen Einwand zu erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E3 erhoben, obgleich sie eine Vielzahl von weiteren Einwänden zur erfinderischen Tätigkeit vorgebracht hatte.
Die Ausführungen zur offenkundigen Vorbenutzung Alfa (E3 / E9) sowie die angebliche Vorbenutzung per se sollten daher im Beschwerdeverfahren nicht zugelassen werden.
g) Zulassung des Einwands zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E6
Im Rahmen des Einspruchsverfahrens habe die Beschwerdeführerin eine Vielzahl von Einwänden erhoben. Ein Einwand ausgehend von E6 sei von der Beschwerdeführerin im Rahmen des Einspruchsverfahrens allerdings gerade nicht erhoben worden. Da keine Veranlassung dafür bestehe, diesen Einwand erstmals im Beschwerdeverfahren zu erheben, solle der Einwand nicht zugelassen werden.
Abgesehen davon sei E6 weniger relevant als E8, da sich der beanspruchte Gegenstand von E6 durch mehr Merkmale unterscheide als von E8.
Ausgehend von E6 unter Berücksichtigung von E4 und E5 sei der Gegenstand von Anspruch 1 daher ebenfalls nicht naheliegend.
h) Zulassung des Einwands zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E27
Aus den in Bezug auf den Einwand ausgehend von E6 genannten Gründen solle auch der weitere, erstmals im Beschwerdeverfahren erhobene Einwand zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E27 im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt bleiben.
XII. Die Einsprechenden III und IV haben sich als weitere Verfahrensbeteiligte am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.
1. Gültige Verfahrensordnung
Die revidierte Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) ist am 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen (Artikel 25 VOBK 2020) ist die revidierte Fassung auch auf am Tag des Inkrafttretens bereits anhängige Beschwerden anwendbar. Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdebegründung vor dem 1. Januar 2020 und die Erwiderung darauf fristgerecht eingereicht. Daher ist Artikel 12 (4)-(6) VOBK 2020 nicht anzuwenden. Stattdessen ist Artikel 12 (4) VOBK 2007 sowohl auf die Beschwerdebegründung als auch auf die Erwiderung anzuwenden (Artikel 25 (2) VOBK 2020).
2. Artikel 100 c) EPÜ
2.1 Anspruch 1 des Patents beruht auf einer Kombination der Ansprüche 1, 4 und 7 wie ursprünglich eingereicht.
Gemäß Merkmal M8 des Anspruchs 1 soll das Folienband positiv dehnbar sein, derart, dass das Folienband (10) in Querrichtung mit weniger Kraftaufwand sowie mehr bzw. weiter dehnbar ist als in Längsrichtung.
2.2 Soweit die Beschwerdeführerin argumentiert, dass dieses Merkmal in Anspruch 1 über die technische Lehre in Anspruch 7 wie ursprünglich eingereicht hinausgeht, ist dies nicht überzeugend.
2.3 Anspruch 7 wie ursprünglich eingereicht lautet:
"Folienband (10) nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass das Folienband (10) positiv dehnbar ist,
vorzugsweise derart, dass das Folienband (10) in Querrichtung mit weniger Kraftaufwand dehnbar ist als in Längsrichtung,
besonders bevorzugt derart, dass das Folienband (10) in Querrichtung mehr bzw. weiter dehnbar ist als in Längsrichtung".
2.4 Die Merkmale "weniger Kraftaufwand" und "mehr bzw. weiter dehnbar" sind im ursprünglichen Anspruch 7 nicht als alternative Merkmale durch ein "oder" verknüpft. Vielmehr definiert der ursprüngliche Wortlaut diese beiden Ausführungsformen ihrer zunehmenden Bevorzugung nach ("vorzugsweise", "besonders bevorzugt").
Bei üblicher Auslegung eines derartigen Wortlauts stellt die Gruppe der besonders bevorzugten Ausführungsformen eine Untergruppe der vorzugsweise einsetzbaren Ausführungsformen dar.
2.5 Zudem schließen sich die beiden Merkmale nach Anspruch 7 wie ursprünglich eingereicht nicht gegenseitig aus. Die Beschwerdeführerin argumentiert diesbezüglich selbst in Punkt 1.4 der Beschwerdebegründung: "... der Umstand, dass ein Prüfkörper in unterschiedlichen Richtungen unterschiedliche Dehnungsgrenzen aufweist, sagt grundsätzlich nichts über die Größenverhältnisse der notwendigen Kräfte für eine Dehnung aus, solange das Maß der Kräfte nicht in Relation zur Dehnung gesetzt wird."
Eine höhere Dehnungsgrenze ("mehr bzw. weiter dehnbar") schließt mithin eine geringere erforderliche Dehnkraft ("weniger Kraftaufwand") nicht als solches aus. Daher liefert Anspruch 7 wie eingereicht aus technischer Sicht keinerlei Veranlassung dazu, eine der üblichen Auslegungen von "besonders bevorzugt" im Kontext von Anspruch 7 wie ursprünglich eingereicht von vornherein auszuschließen.
2.6 Selbst wenn man die Abfolge der Ausdrücke "vorzugsweise" und "besonders bevorzugt" je nach technischem Zusammenhang auch derart auslegen könnte, dass diese alternative Ausführungsformen umfassen (in Analogie zu beispielsweise: vorzugsweise ein Benzinfahrzeug, besonders bevorzugt ein reines Elektrofahrzeug), wäre diese weitere mögliche Leseart durch den Wortlaut in Anspruch 7 wie ursprünglich eingereicht lediglich zusätzlich offenbart.
2.7 Daher geht Anspruch 1 des Patents nicht über die technische Lehre in Anspruch 7 wie ursprünglich eingereicht hinaus.
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ steht einer Aufrechterhaltung des Patents daher nicht entgegen.
3. Artikel 100 b) EPÜ
3.1 Das in Anspruch 1 definierte und entsprechend in Figur 1 des Patents dargestellte Folienband weist lediglich übliche Komponenten auf, die den Fachmann bei der Zusammenstellung vor keine erkennbaren Probleme stellen. Dies wird von der Beschwerdeführerin auch im Rahmen ihres Vortrags zur erfinderischen Tätigkeit entsprechend vorgetragen.
Der Einwand bezüglich mangelnder Offenbarung weckt daher keine ernsthaften, durch nachprüfbare Fakten erhärtbare Zweifel an der Ausführbarkeit dahingehend, dass diese bekannten Lagen von der Fachperson nicht zu einem Folienband gemäß Anspruch 1 zusammengefügt werden könnten (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel II.C.9.).
3.2 Der Einwand der Beschwerdeführerin beruht vielmehr auf einer bestimmten Auslegung des Anspruchs 1, wonach die in Merkmal M8 des Anspruchs 1 definierte Dehnbarkeit in Querrichtung nicht erzielt werden könne, da eine gemäß Anspruch 1 zwingend vorhandene abziehbare Deckfolie, z.B. in Form eines üblicherweise eingesetzten Abdeckpapiers, nicht dehnbar sei.
3.3 Allerdings würde ein Fachmann den beanspruchten Gegenstand nicht dahingehend verstehen, dass das Folienband inklusive der abziehbaren Deckfolie dehnbar zu sein habe.
Dies wird auch von den Ausführungen im Patent bestätigt, wonach die Dehnung beim Anbringen und im angebrachten Zustand von Bedeutung ist, um im angeklebten Zustand einen Ausgleich von Fugenbewegungen zu bewirken, siehe Absatz [0056] des Patents.
Für einen Fachmann mit der Bereitschaft, das Patent zu verstehen, und nicht mit dem Willen, es misszuverstehen (a.a.O., Kapitel II.A.6.1.), ist daher unmittelbar erkennbar, dass sich das Merkmal der Dehnbarkeit auf ein Folienband während seines Einsatzes, also auf das Folienband im eingebauten oder einzubauenden Zustand bezieht, bei dem die Deckfolie zumindest teilweise entfernt wurde. Es mag sein, dass die beanspruchte Dehnbarkeit im Wesentlichen auf Eigenschaften des Vlieses beruht, ohne dass dies im Anspruch explizit erwähnt ist. Dies könnte jedoch allenfalls ein im Einspruchsbeschwerdeverfahren hinzunehmendes Problem unter Artikel 84 EPÜ(nämlich ein angebliches Fehlen wesentlicher Merkmale) darstellen, vgl. G3/14, Punkt 55 der Entscheidungsgründe, ohne dass sich daraus eine Verpflichtung zur Klarstellung oder gar ein Ausführbarkeitsmangel ableiten ließe.
3.4 Das Merkmal der Dehnbarkeit in Anspruch 1 mag ferner breit definiert sein, da es kein quantitatives Maß für die Dehnbarkeit angibt. Daraus folgt aber nicht, dass ein Fachmann nicht in der Lage ist, Anspruch 1 technisch sinnvoll unter Berücksichtigung der gesamten Offenbarung des Patents auszulegen und nachzuarbeiten.
3.5 Auch die in Absatz [0058] beschriebene, von Anspruch 1 umfasste Ausführungsform des Patents, wonach die Deckfolie nur teilweise entfernt zu werden braucht, stellt den Fachmann vor keine Probleme.
Zum Einen wurde nicht gezeigt, dass keine in Querrichtung dehnbaren Deckfolien existieren.
Des Weiteren ist auch kein Grund erkennbar, warum das Folienband nicht auch schon bei nur teilweise entfernter Deckfolie in Querrichtung dehnbarer sein kann, selbst wenn ein Deckpapier wie Silikonpapier gemäß dem Argument der Beschwerdeführerin eingesetzt würde.
3.6 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ einer Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegensteht.
4. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von E8
(Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ)
4.1 E8 stellt auf ein Dichtband ab, das konzeptionell dem Folienband gemäß Anspruch 1 des Patents ähnlich ist, da es auf derselben Seite Klebebereiche aufweist, die jeweils an unterschiedliche Bauteile, wie beispielsweise Fensterrahmen und Mauerwerk, angeklebt werden können.
Dementsprechend ist es zwischen den Verfahrensbeteiligten auch unstreitig, dass E8 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.
4.2 E8 offenbart in Anspruch 1 in Kombination mit den Absätzen [0008]-[0009] und [0011]-[0012] unter Bezugnahme auf Figur 2 ein Dichtband mit einer Membran, beispielsweise aus Polyethylen, das auf einer Seite zwei Selbstklebestreifen, beispielsweise aus Butyl-Kautschuk-Kleber, und auf einer anderen Seite eine Vliesschicht aufweist. Die in E8 eingesetzte Membran besteht für ein Dichtband für den Einsatz im Außenbereich aus einer diffusionsoffenen Kunststofffolie und für den Einsatz im Innenbereich aus einer diffusionsdichten Kunststofffolie. Die Selbstklebestreifen sind jeweils mit einer abziehbaren Folie geschützt und dienen zum Ankleben des Dichtungsbandes an einen Fensterrahmen bzw. an eine Mauerlaibung.
Gemäß Absatz [0014] der E8 kann das Dichtband in Querrichtung Bewegungen zwischen dem Fensterrahmen und der Mauerlaibung elastisch aufnehmen, da sowohl die Vliesschichten (2, 2') als auch die Membran (1) elastisch dehnbar sind.
Das Dichtband nach E8 erfüllt mithin die Merkmale M1, M2, M4, M5, M6 und M8 gemäß Anspruch 1 des Patents.
4.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem Dichtband von E8 dadurch, dass
- die Selbstklebeschicht vollflächig auf der Unterseite
der Funktionsmembran aufgebrachte ist (Merkmal M3)
und
- die Funktionsmembran durch eine feuchtevariable
Polymerfolie gebildet ist, deren Wasserdampf-
diffusionskoeffizient sich in Abhängigkeit der
umgebenden Luftfeuchtigkeit ändert (Merkmal M7).
4.4 Das Patent enthält keinen Beleg dafür, dass diese beiden Unterscheidungsmerkmale zusammen einen Effekt erzielen, der größer als die Summe der technischen Effekte der Einzelmerkmale ist.
Die beiden von den Unterscheidungsmerkmalen zu erzielenden Effekte können daher in Anlehnung an die Begründung in Punkt 20.1.2 der angefochtenen Entscheidung getrennt betrachtet werden und lösen getrennte Teilaufgaben (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel I.D.9.3.2).
4.5 Der Einsatz einer vollflächig aufgebrachten Selbstklebeschicht hat den Effekt, dass das Folienband eine großflächige Klebeverbindung ermöglicht. Dies kann einerseits dazu dienen, die Anbringung zu erleichtern oder aber die Anhaftung zu verbessern.
Der Einsatz einer feuchtevariablen Polymerfolie als Funktionsmembran hat die technische Wirkung, dass sich der Diffusionswiderstand des Folienbands für Wasserdampf (sd-Wert) in Abhängigkeit der umgebenden Feuchtigkeit ändert.
4.6 Die objektiv zu lösenden technischen Teilaufgaben können daher darin gesehen werden,
a) ein Folienband mit besserer Haftung and
b) ein Folienband mit universellerem Einsatzspektrum,
also beispielsweise für den Innen- und Außenbereich, bereitzustellen.
4.7 Folgt man im vorliegenden Fall des Argumentes willen der Ansicht der Beschwerdeführerin dahingehend, dass ein Fachmann ausgehend von E8 unter Berücksichtigung von E4 (siehe Seite 14, Zeilen 11 bis 25, Seite 15, Zeilen 1 bis 4, Seite 4, Zeilen 5 bis 19) anstelle diffusionsundurchlässiger Butylkautschuk-Klebestreifen eine vollflächige Acrylatkleberschicht in E8 einsetzen würde, um eine bessere Haftung zu erzielen, so ist nichtsdestotrotz in diesem Fall die Teilaufgabe b) in nicht naheliegender Art und Weise in Hinblick auf E8 gelöst.
4.8 Ähnlich zu den Erfordernissen gemäß Merkmal M8 des Anspruchs 1 des Patents ist es auch gemäß E8 erforderlich, eine elastische Membran im Dichtband einzusetzen, so dass das Dichtband Bewegungen zwischen dem Fensterrahmen und der Mauerlaibung elastisch aufnehmen kann, siehe Absatz [0014] von E8.
Diese Notwendigkeit einer elastischen Dehnbarkeit in Querrichtung des Dichtbandes und damit auch des Membranmaterials als solches wird durch eine vollflächig klebende Modifikation des Dichtbandes von E8 noch verstärkt. Denn bei einer vollflächig klebenden Ausgestaltung des Dichtbandes verbleibt im eingebauten Zustand ausschließlich der die Fuge überspannende Teil des Dichtbandes, der Bewegungen zwischen dem Fensterrahmen und der Mauerlaibung elastisch aufnehmen kann.
Die formale Trennung der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in zwei einzelne Teilprobleme bedingt im vorliegenden Fall daher nicht, dass die jeweilige Beurteilung des Naheliegens einer Teillösung völlig unabhängig von dem technischen Zusammenhang erfolgen kann, der sich aus der Lösung der jeweils anderen Teilaufgabe ergibt.
4.9 In Bezug auf den Einsatz von Dichtbändern offenbart E5 zwar in Absatz [0007], dass die Austrocknung von Gebäuden weiterhin ein Problem darstellt. Auch weist E5 in Absatz [0038] darauf hin, dass ein wesentlicher Vorteil von feuchtevariablen Membranen darin besteht, dass innen und außen die selben Abdichtungsbänder verwendet werden können, so dass keine Verwechslungen mehr zu befürchten sind.
Allerdings liefert E5 keine Angaben dazu, ob die gemäß Anspruch 1 von E5 aus Ionomerpolymer ausgebildete Membran ausreichend elastisch ist. Zwar mögen Polymerfolien in einer für Membrane üblichen Einsatzdicke eine gewisse Dehnbarkeit aufweisen. Daraus folgt jedoch nicht unmittelbar, dass jede dünne Polymerfolie eine anisotrope Dehnbarkeit gemäß Anspruch 1 aufweist, die wie in obigem Punkt 4.8 ausgeführt noch über die für einen Einsatz gemäß E8 erforderliche Dehnbarkeit hinausgeht.
Da ein Ionomer gemäß Absatz [0021] von E5 einen völlig anderen Polymertyp darstellt als die in Absatz [0009] von E8 genannten reinen Polyolefine oder Polyurethane, liefert E5 auch implizit keinen Anhaltspunkt dafür, dass die in E5 vorgeschlagenen Ionomere eine die gemäß Absatz [0014] von E8 erforderliche Elastizität sogar übersteigende, zur Aufnahme der Bewegungen zwischen dem Fensterrahmen und der Mauerlaibung bei vollflächiger Verklebung notwendige elastische Dehnbarkeit aufweisen.
Daher ist der Einsatz der in E5 beschriebenen feuchtevariablen Funktionsmembran aus einem Ionomer in einem Dichtband von E8 nicht naheliegend.
4.9.1 Die Beschwerdeführerin hat darauf hingewiesen, dass der erteilte Anspruch keinerlei quantitative Einschränkung der erforderlichen positiven Dehnbarkeit enthalte, so dass das breit formulierte Merkmal M8 von jeder dünnen Polymerfolie (und damit insbesondere auch von der Ionomer-Folie gemäß E5) erfüllt werde. Auf eine explizite quantitative Definition der Dehnbarkeit im Anspruch kommt es hier jedoch nicht an. Entscheidend ist, ob der Fachmann die Lehren der Dokumente E8, E4 und E5 gemeinsam in naheliegender Weise berücksichtigen würde. Da bei Ausbildung einer vollflächigen Klebeschicht gemäß E4 höhere Anforderungen an die Dehnbarkeit resultieren (da nur ein kleiner Bereich der Membran die Dehnungen aufnehmen kann), vgl. obigen Punkt 4.8, ist für den Fachmann nicht offensichtlich, ob diese höheren Anforderungen durch die Ionomer-Membran gemäß E5 erfüllt werden können, unabhängig davon, ob diese Dehnbarkeit im Anspruch explizit genannt wird oder nicht. Ohne Aussagen zur (dann für den Einsatz in einem Dichtband gemäß E8 mit zusätzlich vollflächiger Verklebung gemäß E4 ausreichenden) Dehnbarkeit der Ionomer-Membran aus E5 kann eine derartige Dehnbarkeit der Ionomer-Membran nicht als dem Fachwissen zugehörig angesehen werden - zumal die Beschwerdegegnerin dieses Fachwissen explizit bestritten hat.
4.9.2 Die Kammer kommt folglich zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents ausgehend von E8 nicht naheliegend ist.
5. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von E17
(Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ)
5.1 E17 offenbart ein Fensteranschlussband zum Abdichten der Fuge zwischen einer Gebäudeöffnung und einem Fensterstock oder Fensterrahmen, siehe Absatz [0001]. Bei seiner typischen Anwendung gemäß E17 wird das Dichtband in eine Fuge eingebracht und nicht über eine Fuge geklebt, siehe Figur 3 von E17. Dementsprechend ist das Band in Bandbreite mit zwei unterschiedlichen diffusionsvariablen Zonen sowohl für die raumzugewandte Seite 2 als auch für die der Außenluft zugewandten Seite 3 ausgestattet, vgl. Figuren 3 und 11; Absätze [0024], [0025].
E17 betrifft daher ein Dichtband für einen anderen Einsatzzweck als das Patent.
In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrundeliegenden Sachverhalts mit, wonach E17 als Ausgangspunkt weniger realistisch sei als E8.
Ferner gab sie zu Bedenken,
- dass sich das Band bei einem nach E17
bestimmungsgemäßen Einbau nicht quer zum Bandverlauf sondern in Dickenrichtung dehnen müsse,
- dass E17 keinerlei Anreiz liefere, eine positive
Dehnbarkeit für ein in eine Fuge einzubringendes Dichtband zur Lösung der von der Beschwerdeführerin definierten Aufgabe in Erwägung zu ziehen. Vielmehr führe der in Absatz [0017] beschriebene Einsatz einer Armierung den Fachmann davon weg, das Band in Querrichtung dehnbar auszugestalten,
- dass es für einen Fachmann zur Weiterentwicklung
eines Dichtbands nach E17 keine Veranlassung gebe, E6 in Betracht zu ziehen. Für ein Dichtband zum Einbringen in eine Fuge zwischen Mauerwerk und Fensterstock nach E17 bestünden schließlich andere Anforderungen als für ein Dichtband, das zum Überkleben einer Gebäudefuge nach E6 (siehe Figur 4) diene, und
- dass kein überzeugender Grund dafür aufgezeigt
worden sei, warum ein Fachmann ausgehend von Figur 11 in E17 ein Vlies auf der Oberseite der Funktionsmembran aufbringen sollte. E17 offenbare dazu in Absatz [0017] lediglich, dass ein Vlies als Armierungsmittel in den diffusionsvariablen Zonen 2 und 3 eingebunden werden könne.
Diese in der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 dargelegte Auffassung der Kammer wurde von der Beschwerdeführerin im weiteren Beschwerdeverfahren nicht mehr in Frage gestellt.
5.2 Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, von dieser Ansicht abzurücken, und kommt zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents ausgehend von E17 nicht naheliegend ist.
6. Berücksichtigung der Vorbenutzung "Alfa" basierend auf E9 und Anlagenkonvolut E3 im Einspruchsverfahren
6.1 Beurteilung der Ermessensausübung der Einspruchsabteilung
6.1.1 Die in Bezugnahme auf E9 und das Anlagenkonvolut E3 behauptete Vorbenutzung "Alfa" wurde im Einspruchsschriftsatz von der damaligen Einsprechenden I im Rahmen eines Einwandes zur erfinderischen Tätigkeit geltend gemacht. Zudem verwies die Einsprechende III in ihrem Einspruchsschriftsatz auf diesen Einwand, allerdings ohne weitere Argumente oder Beweismittel vorzulegen.
6.1.2 Die offenkundige Vorbenutzung "Alfa" wurde von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren in ihrer Erwiderung auf die Einsprüche in Punkt IX.2 allgemein bestritten.
Die Erwiderung auf die Einsprüche seitens der Patentinhaberin erfolgte zwar in Reaktion auf die Mitteilung nach Regel 79 (1) EPÜ vom 14.02.2019 nicht innerhalb der darin gesetzten Frist von vier Monaten, sondern erst verspätet und nach Ablehnung der Fristverlängerung gemäß der Mitteilung vom 03.07.2017.
Allerdings stellen Ausführungen, die sich allein mit bereits vorgebrachten Tatsachen (einschließlich etwaiger Beweismittel) auseinandersetzen, als solche kein Vorbringen neuer Tatsachen dar, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel IV.C.4.6.1.
Des Weiteren hatte die Einspruchsabteilung sich ohnehin eine Meinung zu den von den Einsprechenden vorgebrachten Argumenten zu bilden und somit zu prüfen, ob die behauptete Vorbenutzung "Alfa" gemäß den Vorgaben der ständigen Rechtsprechung (siehe nachfolgenden Punkt 7) vollständig bewiesen wurde.
6.1.3 Die Einspruchsabteilung vertrat gemäß den Ausführungen in Punkt 10.3 ihrer vorläufigen Stellungnahme im Anhang zur Ladung zur mündlichen Verhandlung ("Ladungsbescheid") zwar die Meinung, dass die Vorbenutzung ausreichend substantiiert sei. In den Punkten 10.4 und 10.17 des Ladungsbescheids gab sie jedoch zu bedenken, dass die behauptete Vorbenutzung "Alfa" nicht ausreichend bewiesen sei.
Insbesondere in Punkt 10.4 des Ladungsbescheids wird seitens der Einspruchsabteilung durch Unterstreichung hervorgehoben, dass die Vorbenutzung "Alfa" nicht ausreichend bewiesen wurde. Zudem stellte die Einspruchsabteilung die Verknüpfung der einzelnen Anlagen von E3 in Frage. Zu den für eine behauptete Vorbenutzung üblicherweise zu klärenden Fragen "wann, wo, wie und durch wen" (siehe auch den folgenden Punkt 7) hat die Einspruchsabteilung keine konkreten Aussagen getroffen.
6.1.4 In Reaktion auf den Ladungsbescheid, insbesondere auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, wurde die behauptete offenkundige Vorbenutzung "Alfa" von keiner der noch am Verfahren beteiligten Einsprechenden mehr adressiert, obwohl die Einspruchsabteilung in Punkt 10.17 des Ladungsbescheids die Vorbenutzung "Alfa" als ein erfolgsversprechendes mögliches "Sprungbrett" für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit angesehen hatte, sofern sie denn ausreichend bewiesen wäre.
Die Beschwerdeführerin als alleinig an der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung teilnehmende Einsprechende identifizierte eine Vielzahl von Ausgangspunkten für ihre Angriffe zur erfinderischen Tätigkeit, nämlich die Dokumente E5, E8, E17 und E47. Jedoch wählte sie gerade nicht die behauptete offenkundige Vorbenutzung "Alfa" als Ausgangspunkt.
Der Angriff ausgehend von der behaupteten offenkundigen Vorbenutzung "Alfa" gemäß E3 ist daher im Einspruchsverfahren trotz des klaren Hinweises der Einspruchsabteilung in ihrem Ladungsbescheid von den verbleibenden Einsprechenden nicht weiter aktiv verfolgt und insbesondere nicht abschließend bewiesen worden.
6.1.5 Die Einspruchsabteilung hat entsprechend dem weiteren Vorbringen der Einsprechenden in Reaktion auf die Zustellung des Ladungsbescheids die Angriffslinie ausgehend von der behaupteten Vorbenutzung nach E3 aufgrund der mangelnden Beweisführung nicht von Amts wegen weiter verfolgt. Dazu ist die Einspruchsabteilung auch weder verpflichtet noch ohne weiteres in der Lage, da es sich bei einer geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung um einen Einwand handelt, bei dem kontradiktorische Verfahrensgrundsätze zu beachten sind.
Es obliegt vielmehr den Verfahrensbeteiligten gemäß dem Beibringungsgrundsatz (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel
III.G.3.2.7)), also im vorliegenden Fall jeder einzelnen Einsprechenden, einen von ihr als zielführend betrachteten Einwand im Detail zu belegen. Dies gilt umso mehr für eine behauptete Vorbenutzung, da zu den für deren Beweis relevanten Informationen lediglich die an der Vorbenutzung beteiligten Firmen Zugang hatten, und nicht die Einspruchsabteilung (a.a.O., Kapitel III.G.4.3.2. b)).
6.1.6 Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin liegt der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf die Verfahrensführung daher keine fehlerhafte Ermessensausübung der Einspruchsabteilung zu Grunde.
6.2 Berücksichtigung der Vorbenutzung "Alfa" in der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung
6.2.1 In dem den Sachverhalt und die Anträge zusammenfassenden Teil ist Punkt 5 der Entscheidung zu entnehmen, aus welchen Gründen die Einspruchsabteilung den Einwand zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E3 nicht als überzeugend angesehen hat, nämlich aufgrund der Feststellung, dass die behauptete Vorbenutzung nicht bewiesen wurde.
Zwar steht die Bezugnahme auf den Ladungsbescheid und die darin vertretene Auffassung zu E3 formal nicht an der richtigen Stelle in der Entscheidung, nämlich nicht in den Entscheidungsgründen. Dies ändert aber nichts an der daraus unmittelbar zu entnehmenden Schlussfolgerung seitens der Einspruchsabteilung in Bezug auf die behauptete Vorbenutzung.
6.2.2 Auch bestand aus Sicht der Einspruchsabteilung keine Veranlassung, der im Ladungsbescheid bereits festgestellten mangelnden Bewiesenheit der behaupteten Vorbenutzung etwas hinzuzufügen, da die im Verfahren weiterhin verbleibenden Einsprechenden in Reaktion auf den Ladungsbescheid diesbezüglich nichts mehr erwidert und den Angriff zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E3 auch während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht mehr aufgriffen haben.
Der von der Beschwerdeführerin in Punkt 5 der Beschwerdebegründung vorgebrachten Argumentation kann man zudem entnehmen, dass die Beschwerdeführerin auch verstanden hat, welches die Gründe für die Nichtberücksichtigung der behaupteten Vorbenutzung waren.
6.2.3 Es liegt daher auch keine fehlerhafte Begründung der angefochtenen Entscheidung vor.
7. Substantiierung der Vorbenutzung Alfa Fultra-2
7.1 Das Argument der Beschwerdeführerin, wonach dem Vortrag der ehemaligen Einsprechenden I nichts hinzuzufügen sei, was der Vorbenutzung an Substantiierung fehlen könnte, ist nicht überzeugend.
7.2 Im Falle einer behaupteten Vorbenutzung müssen gemäß ständiger Rechtsprechung die folgenden Sachverhalte im Detail und zweifelsfrei geklärt werden, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel I.C.3.2.4. a):
i) der Zeitpunkt der Benutzung
(d. h. wann die Benutzungshandlung stattfand),
ii) Gegenstand der Benutzung
(d. h. was der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde) und
iii) die Umstände der Benutzungshandlung
(d. h. wo, wie und durch wen der Gegenstand der Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde).
7.3 Diese Fragen wurden im Rahmen des Einspruchsverfahrens nicht abschließend erörtert. Vielmehr hat die Einspruchsabteilung durch Unterstreichung in den Ausführungen in Punkt 10.4 des Ladungsbescheids hervorgehoben, dass die Vorbenutzung "Alfa" nicht ausreichend bewiesen wurde.
7.4 Selbst wenn man der Argumentation der Beschwerdeführerin dahingehend folgt, dass die einzelnen Anlagen von E3 das gleiche Dichtband Alfa Fultra-2 betreffen und dass dieses Dichtband bis auf Merkmal M3 alle Merkmale des Anspruchs 1 des Patents verwirklicht, sind nichtsdestotrotz nicht alle übrigen für eine behauptete Vorbenutzung zu klärenden Fragen hinreichend beantwortet.
Die Kammer stellt beispielsweise fest, dass die Lieferscheine E3-2 und E3-3 zwar eine Lieferung von Dichtbändern von der Firma Bosig an die Firma Alfa im Juni 2012 wahrscheinlich erscheinen lassen. Allerdings wurde im Rahmen des Einspruchsverfahrens nicht geklärt, in welchem Vertragsverhältnis die Firma Bosig und die Firma Alfa zum Zeitpunkt der Lieferung zueinander standen, insbesondere fehlen Ausführungen dazu, ob eine Verschwiegenheitserklärung zwischen diesen Firmen bestand. Da die Umstände der angeblichen Vorbenutzung nicht ausreichend geklärt wurden, ist nicht überzeugend belegt, dass die Dichtbänder durch eine Lieferung im Juni 2012 überhaupt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
Der Umstand, dass die Ware gemäß den Angaben in den beiden Lieferscheinen E3-2 und E3-3 explizit in neutralen Kartons verpackt wurde (vgl. den Hinweis "Ansonsten neutrale Kartons !!!" auf den Lieferscheinen) lässt den Verdacht aufkommen, dass die bestellte Ware zu diesem Zeitpunkt nicht unmittelbar für die weitere Öffentlichkeit identifizierbar sein sollte und daher dieser gerade nicht zugänglich gemacht werden sollte.
7.5 Ein Beleg dafür, dass ein Dichtband vom Typ "Alfa" von der Firma Alfa an ein Mitglied der Öffentlichkeit vor dem Anmeldetag (29. Juli 2012) des Patents weiterverkauft wurde, also innerhalb von sechs Wochen nach der Lieferung der Dichtbänder von Bosig an Alfa, liegt nicht vor. E9 ist dafür kein Beleg, denn ein Screenshot der Webseite der Firma Alfa vom 21. Juli 2016 belegt nur, dass ein entsprechendes Dichtband Jahre nach dem Anmeldetag Endkunden zum Verkauf angeboten wurde. Auch in der eidesstattlichen Versicherung E3-4 findet sich dazu kein Anhaltspunkt.
7.6 Die behauptete Vorbenutzung wurde daher, wie bereits von der Einspruchsabteilung allgemein festgestellt, nicht ausreichend bewiesen.
8. Zulassung des Einwands zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E3
Da die behauptete Vorbenutzung "Alfa" nicht ausreichend bewiesen wurde, erübrigt sich eine weitere Diskussion dieser alternativen Angriffslinie zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E3 sowohl in Hinblick auf die Zulassung des Einwands in diesem Beschwerdeverfahren als auch in der Sache.
9. Zulassung der weiteren Einwände zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E6 bzw. E27 (Artikel 12(4) VOBK 2007)
9.1 In der Beschwerdebegründung bzw. im Schreiben vom 19. Mai 2021 erhob die Beschwerdeführerin erstmals jeweils einen Einwand zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E6 bzw. E27.
9.2 Artikel 12(4) VOBK 2007 stellt es in das Ermessen der Kammer, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.
Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigt die Kammer unter anderem, ob der neu vorgebrachte Einwand nicht bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätte vorgebracht werden können (und sollen), und ob er zudem prima facie relevant ist.
9.3 Obwohl im Einspruchsverfahren eine Vielzahl von Ausgangspunkten für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von den sechs Einsprechenden identifiziert wurde, wurde kein Einwand zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E6 bzw. E27 im Einspruchsverfahren vorgebracht.
Soweit die Beschwerdeführerin argumentiert, die Einspruchsabteilung hätte aufgrund der klar erkennbaren prima facie Relevanz von E6 sogar von Amts wegen einen Einwand erheben müssen, so ist dies - die Richtigkeit dieser Behauptung unterstellt - jedoch eher ein weiterer Beleg für die Annahme, dass dieser Einwand bereits im Einspruchsverfahren zumindest von einer der Einsprechenden ohne weiteres hätte vorgebracht werden können und müssen.
Zudem hatte die Einspruchsabteilung in Punkt 10 ihres Ladungsbescheids zu der Vielzahl von Einwänden in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit detailliert Stellung genommen und damit den Verfahrensbeteiligten einen klaren Hinweis gegeben, ob ihre jeweiligen Einwände erfolgsversprechend erschienen.
Zu diesem Zeitpunkt hatte es daher bereits hinreichende Veranlassung gegeben, gegebenenfalls weitere Angriffslinien vorzubringen.
9.4 Die Beschwerdeführerin als alleinig an der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung teilnehmende Einsprechende identifizierte eine Vielzahl von Ausgangspunkten für ihre Angriffe zur erfinderischen Tätigkeit, nämlich die Dokumente E5, E8, E17 und E47.
Gemäß dem bereits oben zitierten Beibringungsgrundsatz hätte es der Beschwerdeführerin unabhängig von der An- oder Abwesenheit weiterer Verfahrensbeteiligter oblegen, jeden von ihr als zielführend betrachteten Einwand im Detail zu belegen.
Nichtsdestotrotz identifizierte die Beschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung weder E6 noch E27 als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
9.5 Das Vorbringen neuer Angriffslinien ist nicht Sinn und Zweck des Beschwerdeverfahrens, das der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung dient, wodurch dem Unterlegenen die Möglichkeit gegeben wird, die ihm nachteilige Entscheidung anzufechten und ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung zu erwirken. Somit ist der faktische und rechtliche Rahmen des Einspruchsverfahrens weitestgehend für das weitere Beschwerdeverfahren bestimmend (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel V.A.5.2.1). Das Beschwerdeverfahren dient insbesondere nicht dazu, das Einspruchsverfahren unter Berücksichtigung neuer Angriffslinien fortzuführen oder gar neu aufzurollen (a.a.O., Kapitel V.A.5.11.1).
9.6 Zudem sind die neuen Angriffslinien auch nicht prima facie relevant.
9.6.1 Die auf E6 beruhende Argumentationslinie identifiziert genau dieselben Unterscheidungsmerkmale zu Anspruch 1 wie in Bezug auf E8. Zusätzlich sind aber weitere Überlegungen seitens des Fachmanns anzustellen, da gemäß E6 die Selbstklebeschicht nicht auf der Membran, sondern auf dem Vlies angebracht ist, siehe Punkt 3.4 der Beschwerdebegründung.
Der Umstand, dass E6 Acrylat-Dispersions-Kleber nennt und damit näher an der Lehre der E4 liegt, ändert daran zunächst nichts, denn zu berücksichtigen wäre für die Wahl eines geeigneten Ausgangspunkts zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des im Patent beanspruchten Gegenstands vielmehr, ob E6 näher am beanspruchten Gegenstands des Patents liegt als E8.
Dies ist aber prima facie gerade nicht der Fall.
9.6.2 Bei der in dem Dichtband nach E27 eingesetzten Trägerschicht handelt es sich gemäß Anspruch 1 um ein offenporiges Textilmaterial oder eine Papierschicht.
Das Dichtband nach E27 umfasst daher keine feuchtevariable Funktionsmembran nach Anspruch 1 des Patents. Zudem wird für dieses Dichtband nicht offenbart, dass es die von Anspruch 1 erforderliche Dehnbarkeit aufweist. Die von der Beschwerdeführerin postulierte prima facie Relevanz ist daher ebenfalls nicht erkennbar.
9.7 In Ausübung ihres Ermessens gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 lässt die Kammer daher die neuen Einwände zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E6 und E27 nicht in das Verfahren zu.
10. Die Beschwerde hat daher keinen Erfolg.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.