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T 0543/20 (Lagerstabiles Waschmittel/BASF) 04-07-2023
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Lagerstabiles flüssiges Wasch- oder Reinigungsmittel mit Proteasen
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative
Erfinderische Tätigkeit - Verbesserung nicht für gesamte beanspruchte Breite glaubhaft
Rügepflicht - Einwand zurückgewiesen
Änderung des Vorbringens - Grundlage für Änderung angegeben (nein)
Änderung des Vorbringens - in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten (nein)
Änderung des Vorbringens - Voraussetzungen des Art. 12 (2) VOBK 2020 erfüllt (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. EP 2 478 097 mit dem Titel "Lagerstabiles flüssiges Wasch- oder Reinigungsmittel mit Proteasen" (im Weiteren "das Patent") zurückzuweisen. Das Patent basiert auf der europäischen Patentanmeldung Nr. 10 760 643.6, die als internationale Anmeldung eingereicht wurde. Diese wurde publiziert als WO 2011/032988 (im Weiteren "die Anmeldung").
II. Auf folgende Dokumente wird in der vorliegenden Entscheidung Bezug genommen:
D2 |WO 95/23221 |
D3 |HERA, Human & Environmental Risk Assessment on ingredients of European household cleaning products "Phosphonates", 2004, Seiten 1 bis 6, 36 bis 37 |
D4 |CA 2 325 159 A1 |
D7 |Ergänzende Daten "Ermittlung der Reinigungsleistung eines flüssigen Waschmittels enthaltend Protease und Phosphonat" eingereicht von der Beschwerdegegnerin am 2. Januar 2019|
D7a|Ergänzende Daten "Ermittlung der Lagerstabilität der R99E Protease mit und ohne Phosphonat" eingereicht von der Beschwerdegegnerin am 31. Oktober 2019 |
D10|Experimenteller Bericht "Storage stability of proteases with and without HEDP and DTPMP" eingereicht von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung|
D11|Ergänzende Daten zur Reinigungsleistung verschiedener Proteasevarianten, eingereicht von der Beschwerdegegnerin mit der Erwiderung auf die Beschwerde |
III. Im Einspruch gegen das Patent waren als Einspruchsgründe unter anderem fehlende erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit
Artikel 56 EPÜ) geltend gemacht worden. Die Einspruchsabteilung gelangte unter anderem zum Ergebnis, dass der Gegenstand der Ansprüche gegenüber der Lehre in Dokument D2 als nächstliegendem Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
IV. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin die Druckschrift D10 ein.
V. Mit ihrer Erwiderung auf die Beschwerde beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin), die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag) und reichte Anspruchssätze von sieben Hilfsanträgen und Dokument D11 ein. Die Anspruchssätze der Hilfsanträge 1, 2, 3 und 4 sind identisch mit den Anspruchssätzen der Hilfsanträge 2, 5, 6 und 7 wie am 31. Oktober 2019 im Einspruchs-verfahren eingereicht. Die Anspruchssätze der Hilfsanträge 5, 6 und 7 wurden erstmals im Beschwerdeverfahren eingereicht.
Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie erteilt) lautet wie folgt:
"1. Verwendung einer Protease,
(a1) die eine Aminosäuresequenz umfasst, die zu der in SEQ ID NO. 1 angegebenen Aminosäuresequenz zu mindestens 80% identisch ist und die an Position 99 in der Zählung gemäss SEQ ID NO. 1 die Aminosäure Glutaminsäure (E) oder Asparaginsäure (D) aufweist, zur Bereitstellung einer proteolytischen Aktivität in einem flüssigen Wasch- oder Reinigungsmittel, welches ferner ein Phosphonat in einer Menge von 0,01 bis 4 Gew.-% umfasst."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ist identisch zu Anspruch 1 des Hauptantrags, bis auf das zusätzliche Merkmal "dadurch gekennzeichnet, dass das Phosphonat ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus 1-Hydroxyethan-1,1-diphosphonsäure (HEDP), Aminotri(methylenphosphonsäure) (ATMP), Diethylentriaminpenta(methylenphosphonsäure) (DTPMP oder DETPMP oder DTPNT), Ethylendiamintetra(methylenphosphonsäure) (EDTMP), 2-
Phosphonobutan-1,2,4-tricarbonsäure (PBS-AM) sowie Kombinationen hiervon".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 ist identisch zu Anspruch 1 des Hauptantrags, bis auf das zusätzliche Merkmal "dadurch gekennzeichnet, dass das Phosphonat Diethylentriaminpenta(methylenphosphonsäure) (DTPMP oder DETPMP oder DTPNT) ist".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 ist identisch zu Anspruch 1 des Hilfsantrags 2, bis auf die Streichung des Merkmals "oder Asparaginsäure (D)".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 ist identisch zu Anspruch 1 des Hilfsantrags 3, bis auf die Ersetzung des Merkmals "zu mindestens 80%" mit "zu mindestens 95%".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 ist identisch zu Ansprüchen 1 der Hilfsanträge 3 und 4, bis auf die Ersetzung des Merkmals "zu mindestens 80%" bzw "zu mindestens 95%" mit "zu mindestens 99%".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 6 ist identisch zu Anspruch 1 des Hilfsantrags 5, bis auf die Ersetzung des Merkmals "in einer Menge von 0,01 bis 4 Gew.-%" mit "in einer Menge von 0,05 bis 1 Gew.-%".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 lautet wie folgt:
"1. Verwendung einer Protease umfassend eine Aminosäuresequenz gemäß SEQ ID NO. 2, zur Bereitstellung einer proteolytischen Aktivität in einem flüssigen Wasch- oder Reinigungsmittel, welches ferner ein Phosphonat in einer Menge von 0,05 bis 1 Gew.-% umfasst,
dadurch gekennzeichnet, dass das Phosphonat Diethylentriaminpenta(methylenphosphonsäure)
(DTPMP oder DETPMP oder DTPNT) ist."
VI. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) erläuterte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung unter anderem zur Bewertung der Sachanträge der Verfahrensbeteiligten unter Artikel 56 EPÜ und zur Zulassung der Hilfsanträge in das Verfahren unter Artikel 12 VOBK.
VII. Während der mündlichen Verhandlung erhob die Beschwerdegegnerin einen Einwand (Rüge) unter Regel 106 EPÜ.
VIII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen.
Hauptantrag (Patent wie erteilt)
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ) - Anspruch 1
Um den nächstliegenden Stand der Technik auszuwählen würden der Anspruch und der Stand der Technik betrachtet und der im Stand der Technik offenbarte Gegenstand ermittelt, welcher die relevanten technischen Merkmale gemeinsam habe und die wenigsten strukturellen Änderungen erfordere. Für diesen Schritt des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes sei daher weder eine angebliche ex-post-facto-Analyse noch der sogenannte "could-would approach" von Bedeutung.
Der nächste Stand der Technik zum beanspruchten Gegenstand sei die Ausführungsform des in Beispiel 13 des Dokuments D2 beschriebenen flüssigen Reinigungsmittels, welches die R99E-Subtilisin-Proteasevariante enthalte, wie durch Verweis auf Anspruch 6 in Beispiel 13 offenbart. Diese eindeutige Offenbarung erfordere weder eine erste Selektion aus den verschiedenen Beispielen des Dokuments D2 noch eine zweite Selektion der R99E-Variante aus den in
Anspruch 6 gelisteten acht Proteasevarianten.
Beispiel 13 sei nicht prophetisch, da der pH-Wert des Reinigungsmittels gemessen worden sei. Das Phosphonat (HEDP) sei auch ohne Konzentrationsangabe in
Beispiel 13 eindeutig als im Reinigungsmittel enthalten beschrieben.
Es sei weder relevant, dass Dokument D2 weitere Proteasevarianten mit Mutationen an anderen Aminosäurepositionen offenbare, noch dass die R99E Proteasevariante nur in den Ansprüchen von D2 erwähnt sei. Dokument D4 sei unerheblich für die Beurteilung dieser Lehre in D2.
Es sei ebenfalls unwesentlich, dass die Reinigungsmittelbestandteile Zitronensäure und Ethanol in Beispiel 13 doppelt erwähnt seien. Dies sei ein für die Fachperson offensichtlicher Fehler, der keine Zweifel am Vorhandensein des Phosphonats HEDP im beschriebenen flüssigen Reinigungsmittel aufkommen ließe. Dass Anspruch 6 nicht die Sequenz der Subtilisin-Protease erwähne, sei ebenfalls irrelevant, da
Dokument D2 die Wildtyp-Subtilisin-Protease, von der alle beschriebenen Varianten abgeleitet seien, in den Zeilen 13 bis 15 auf Seite 6 beschreibe, und diese unter die im Anspruch erwähnten Sequenzen falle. Die Ausführungsform des Beispiels 13 mit der R99E-Proteasevariante sei daher ein geeigneter Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit.
Der einzige Unterschied des beanspruchten Gegenstands zu dieser Ausführungsform sei die HEDP-Konzentration. Mit dem im Anspruch genannten Konzentrationsbereich sei kein technischer Effekt verbunden: weder sei dies im Patent untersucht worden noch belege eines der von der Beschwerdegegnerin nachgereichen Dokumente D7, D7a oder D11 einen Effekt für den im Anspruch genannten gesamten Konzentrationsbereich eines jeden Phosphonats, wie insbesondere aus den Tabellen unter den Abschnitten 3. und 4. des Dokuments D11 hervorgehe.
Das zu lösende Problem könne daher nur in der Bereitstellung einer geeigneten Konzentration für das Phosphonat HEDP gesehen werden. HEDP sei ein allgemein bekanntes, in Reinigungsmitteln verwendetes Phosphonat (Dokumente D3 und D4). Der im Anspruch genannte Konzentrationsbereich liege im typischen Bereich für ein Phosphonat in einem Reinigungsmittel, wie beispielsweise aus Dokument D2 selbst ersichtlich (siehe Seiten 20 und 21, insbesondere Zeilen 10 bis 12 auf Seite 21), aber auch aus Dokument D4 (Seite 23). Die Wahl einer Phosphonatkonzentration aus diesem Bereich sei für die Fachperson daher offensichtlich und nicht mit einer erfinderischen Tätigkeit verbunden.
Hilfsantrag 1
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) - Anspruch 1
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 sei aus denselben Gründen wie Anspruch 1 des Hauptantrags nicht erfinderisch.
Berücksichtigung und Zulassung der Hilfsanträge 2 bis 7 (Artikel 12 VOBK)
Hilfsantrag 2
Die Zulassung dieses Hilfsantrags liege im Ermessen der Beschwerdekammer und sei nicht abhängig von einem Antrag der Beschwerdeführerin.
Hilfsantrag 2 sei im Einspruchsverfahren (als Hilfsantrag 5) erst am 31. Oktober 2019 und damit nach dem unter Regel 116 EPÜ gesetzten Zeitpunkt für das Einreichen von Schriftsätzen und/oder Unterlagen eingereicht worden. Ein Vorbringen nach diesem Zeitpunkt gelte als verspätet. Artikel 12(4) VOBK fände auf im Einspruchsverfahren verspätet vorgebrachte Anträge Anwendung.
In der Eingabe vom 31. Oktober 2019 sei weder dargelegt worden, welche Einwände Hilfsantrag 2 beheben solle, noch was die Basis der geänderten Ansprüche des Hilfsantrags 2 in der Anmeldung sei. Hilfsantrag 2 sei deshalb schon im Einspruchsverfahren nicht zulässig gewesen. Auch mit der Erwiderung auf die Beschwerde sei keine Basis in der Anmeldung für die Änderungen in Hilfsantrag 2 angegeben worden. Hilfsantrag 2 sei daher nicht vollumfänglich substantiiert und sei auch aus diesem Grund nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Hilfsantrag 2 stelle weder eine Antwort auf einen Einwand aus dem im Einspruchsverfahren unter Regel 116 EPÜ eingereichten Schriftsatz, noch auf einen in der Beschwerde neu vorgebrachten Einwand, noch auf Dokument D10 dar. Das gesamte Einspruchsverfahren habe unter anderem auf der Frage basiert, ob es einen technischen Effekt über den gesamten im Anspruch erwähnten Konzentrationsbereich eines Phosphonats gäbe. Es habe daher im Einspruchsverfahren ausreichend Anlass gegeben, Hilfsantrag 2 fristgerecht einzureichen. Das rechtliche Gehör der Beschwerdegegnerin werde durch Nichtzulassen des Hilfsantrags 2 nicht verletzt.
Hilfsanträge 3 und 4
Die mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 3 und 4 seien identisch zu den im Einspruchsverfahren am 31. Oktober 2019 verspätet eingereichten Hilfsanträgen 6 und 7. Die Hilfsanträge 3 und 4 seien aus denselben Gründen wie Hilfsantrag 2 nicht in das Verfahren zuzulassen.
Hilfsanträge 5, 6 und 7
Die mit der Erwiderung auf die Beschwerde neu in das Verfahren eingereichten Hilfsanträge 5, 6 und 7 seien nicht als Antwort auf Dokument D10 anzusehen, da die jeweiligen Definitionen der Phosphonate im jeweiligen Anspruch 1 dieser Hilfsanträge im Vergleich zu den Phosphonat-Definitionen im jeweiligen Anspruch 1 der Hilfsanträge 2, 3 und 4 unverändert seien. Diese Hilfsanträge hätten daher im Verfahren vor der Einspruchsabteilung eingereicht werden können und seien daher nicht in das Verfahren zuzulassen.
IX. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen.
Hauptantrag (Patent wie erteilt)
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ) - Anspruch 1
Der Fokus von Dokument D2 läge auf Subtilisin-Proteasen mit Mutationen an der Aminosäureposition 211. Die Fachperson hätte aus Dokument D2 eine der tatsächlich untersuchten Proteasevarianten als Ausgangspunkt ausgewählt, insbesondere die in vielen der 21 Beispiele untersuchte "F49"-Variante. Die Fachperson habe hingegen keine Motivation gehabt, Beispiel 13 als Ausgangspunkt auszuwählen, da es fehlerhaft, unklar, nicht ausführbar und nur ein prophetisches Beispiel sei. Beispiel 13 könne daher ohne rückschauende Betrachtungsweise nicht als realistischer Ausgangspunkt im Aufgabe-Lösungs-Ansatz dienen (siehe auch T 1379/11, Punkt 4.1.2 der Entscheidungsgründe).
Es sei unklar, ob das in Beispiel 13 beschriebene Reinigungsmittel überhaupt ein Phosphonat enthalte. Zudem offenbare Anspruch 6, auf den in Beispiel 13 verwiesen werde, acht verschiedene Mutationen, darunter vier verschiedene R99-Mutationen. Unter diesen sei die E99E-Mutation die einzige, die nicht in der Beschreibung erwähnt werde. Die Fachperson hätte diese am wenigsten offenbarte Subtilisin-Proteinvariante somit auch nicht innerhalb des Beispiels 13 ausgewählt.
Diese Lesart des Dokuments D2 gehe auch aus Dokument D4 hervor, das auf Seite 4 die BLAP ("Bacillus lentus alkaline protease")-L211-Varianten aus Dokument D2 erwähne, sowie weitere Mutationen in dieser Protease, einschließlich einiger R99-Mutationen, nicht jedoch die R99E-Mutation. Diese Ansicht werde auch durch das Alter des Dokuments D2 unterstützt, das belege, dass die R99E-Proteasevariante 15 Jahre lang nicht in Erwägung gezogen worden sei, trotz des kompetitiven Fachgebiets.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe daher auch ohne die Inbetrachtziehung eines technischen Effekts auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Darüber hinaus seien mit der beanspruchten Verwendung eine erhöhte Reinigungsleistung (siehe Beispiel 1, Tabelle 2 des Patents) und eine erhöhte Lagerstabilität (siehe Beispiel 3, Tabelle 4 des Patents) verbunden. Diese technische Effekte seien im Lichte der Beispiele des Patents glaubhaft und würden von nachgereichten experimentellen Daten gestützt. So zeige Dokument D7 eine verbesserte Reinigungsleistung nach Lagerung für ein flüssiges Waschmittel, das die R99E-BLAP-Proteasevariante und eines der Phosphonate HEDP oder DTPMP (Diethylentriaminpenta(methylenphosphonsäure)) in einer von zwei verschiedenen Konzentrationen enthalte, im Vergleich zu einem solchen Waschmittel, das die Wildtyp-BLAP enthalte.
Dokument D7a zeige eine Verbesserung der katalytischen Restaktivität der R99E-BLAP-Proteasevariante in Gegenwart des Phosphonats DTPMP verglichen mit dessen Abwesenheit. Dokument D11 zeige, dass die Gesamtreinigungsleistung für Waschmittel enthaltend die R99E- oder die R99E-BLAP-Proteasevariante in Gegenwart der Phosphonate HEDP oder DTPMP in zwei verschiedenen Konzentrationen vorteilhaft sei im Vergleich zur Reinigungsleistung von Waschmitteln enthaltend die Wildtyp-BLAP oder die R99S-BLAP-Proteasevariante. Insbesondere sei die Reinigungsleistung teilweise sogar erhöht, was im Lichte der Tatsache, dass Phosphonate mit dem von Subtilisin-Proteasen benötigten Calcium Komplexe bildeten, besonders überraschend sei.
Hilfsantrag 1
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) - Anspruch 1
Die Beschwerdegegnerin machte keine gesonderten Eingaben zur erfinderischen Tätigkeit.
Berücksichtigung und Zulassung der Hilfsanträge 2 bis 7 (Artikel 12 VOBK)
Hilfsantrag 2
Der Antrag auf Nichtzulassung des Hilfsantrags 2 sei erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer gestellt worden und sei daher als verspätet nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Artikel 12(4) VOBK sei nicht auf Anträge anwendbar, die im Einspruchsverfahren eingereicht worden seien. Hilfsantrag 2 wäre von der Einspruchsabteilung als Reaktion auf einen neuen Einwand der Einsprechenden hinsichtlich der Lagerstabilität des im Anspruch beschriebenen flüssigen Reinigungsmittels, der im unter Regel 116 EPÜ eingereichten Schriftsatz erhoben worden sei, in das Verfahren zugelassen worden. Vor diesem neuen Einwand habe es keine Veranlassung gegeben, Hilfsantrag 2 einzureichen.
Im Beschwerdeverfahren sei Hilfsantrag 2 als Antwort auf das neue Dokument D10 anzusehen, das eine erhöhte Lagerstabilität bei Verwendung von DTPMP, nicht jedoch HEDP, belege. Die in der Erwiderung auf die Beschwerde angegebene Basis für Hilfsantrag 2 in den erteilten Ansprüchen sei ausreichend, da gegen die erteilten Ansprüche kein Einwand unter Artikel 100(c) EPÜ erhoben wurde.
Die Situation im Beschwerdeverfahren sei durch die Zurückweisung des Hauptantrags gegenüber der Situation im Einspruchsverfahren verändert. Eine Nichtzulassung des Hilfsantrags 2 verletze das rechtliche Gehör der Beschwerdegegnerin. Hilfsantrag 2 helfe den gegenüber dem Hauptantrag erhobenen Einwänden unter Artikel 56 EPÜ ab. Er sei daher in das Verfahren zuzulassen.
Hilfsanträge 3 und 4
Die Hilfsanträge 3 und 4 seien aus denselben Gründen wie Hilfsantrag 2 in das Verfahren zuzulassen.
Hilfsanträge 5, 6 und 7
Hilfsanträge 5, 6 und 7 seien in das Verfahren zuzulassen, da sie eine ummittelbare Reaktion auf das mit der Beschwerdebegründung eingereichte Dokument D10 darstellten und daher nicht früher hätten eingereicht werden können.
Einwand nach Regel 106 EPÜ
Die Entscheidung der Kammer, Hilfsantrag 2 nicht in das Verfahren zuzulassen, habe es der Beschwerdegegnerin unmöglich gemacht, zum zweiten Hilfsantrag hinsichtlich der Erfordernisse des EPÜ inhaltlich Stellung zu nehmen. Das rechtliche Gehör der Beschwerdegegnerin sei daher verletzt worden. Die Nichtzulassung des Hilfsantrags 2 sei somit als ein wesentlicher Verfahrensmangel zu werten. Dies gelte ebenso für die Nichtzulassung der Hilfsanträge 3 bis 7.
X. Die für die Entscheidung in der Sache relevanten Anträge der Parteien lauten:
Die Beschwerdeführerin beantragt, das Patent unter Aufhebung und Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und hilfsweise das Patent auf der Grundlage der Hilfsanträge 1 bis 7 aufrechtzuerhalten.
Hauptantrag (Patent wie erteilt)
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ) - Anspruch 1
Nächstliegender Stand der Technik
1. Dokument D2, das, wie auch das angefochtene Patent, verschiedene Subtilisin-Proteasevarianten und deren Verwendung in Wasch- und Reinigungsmitteln beschreibt, wurde in der angefochtenen Entscheidung und von beiden Parteien im Beschwerdeverfahren für den am besten geeigneten Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit angesehen. Die Kammer sieht keine Veranlassung, von dieser Einschätzung abzuweichen. Die Parteien waren sich jedoch uneins, ob Beispiel 13 des Dokuments D2 als Ausgangspunkt im Aufgabe-Lösungs-Ansatz geeignet sei.
2. Beispiel 13 (siehe Zeilen 1 bis 13 auf Seite 46 des Dokuments D2) beschreibt die Zubereitung eines flüssigen enzymatischen Reinigungsmittels durch Mischen verschiedener Bestandteile bei Raumtemperatur, darunter "about 1-hydroxyethane-1,1-diphosphonic acid" (siehe Zeile 8 der Seite 46). Zu dieser wässrigen Lösung wird anschließend "a sufficient amount of the protease as defined in claim 6", also eine ausreichende Menge der Protease wie in Anspruch 6 definiert, hinzugegeben, um eine Zusammensetzung von etwa 0,5 Gew.-% flüssigen Proteasekonzentrats zu erhalten (siehe Zeilen 11 bis 13 der Seite 46).
3. Anspruch 6 des Dokuments D2 bezieht sich auf eine enzymatische Reinigungsmittelzusammensetzung, die eine mutierte Subtilisin-Protease enthält, welche eine oder mehrere der Mutationen R99G, R99A, R99S, R99E, L211D, L211E, S154D, S154E aufweist. Anspruch 6 definiert daher unter anderem eine mutierte R99E-Subtilisin-Proteasevariante. Dokument D2 lehrt zudem, dass die erfindungsgemäßen mutierten Subtilisin-Proteasen von einer bestimmten "Bacillus lentus alkaline protease" ("BLAP" DSM 5483) abgeleitet sind (siehe Zeilen 13 bis 15 der Seite 6). Die Aminosäuresequenz dieser auf Seite 6 beschriebenen BLAP fällt unter die in Anspruch 1 definierte Aminosäuresequenz. Eine derartige mutierte BLAP "DSM 5483"-Protease, welche die R99E- oder die R99D-Mutation enthält, wird außerdem explizit in Anspruch 2 des Dokuments D2 offenbart.
4. Dokument D2 lehrt daher in Beispiel 13 mit Bezug auf Anspruch 6 und in Kombination mit der allgemeinen Lehre auf Seite 6 die Verwendung einer Subtilisin-Proteasevariante, die eine Aminosäuresequenz umfasst, die zu der in SEQ ID NO:1 des angefochtenen Patents angegebenen Aminosäuresequenz zu mindestens 80% identisch ist und eine R99E-Mutation enthält, in einem flüssigen Wasch- oder Reinigungsmittel, das das Phosphonat 1-Hydroxyethan-1,1-diphosphonsäure (im Weiteren "HEDP") in unbekannter Konzentration enthält.
5. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin ist somit keine Mehrfachauswahl erstens des Beispiels 13 aus allen Beispielen des Dokuments D2 und zweitens der Proteasevariante aus der Liste des Anspruchs 6 erforderlich, um zu dieser Lehre zu gelangen. Dies ist alleine schon deshalb der Fall, weil sich der Verweis auf die Proteasevarianten des Anspruchs 6 innerhalb des Beispiels 13 befindet und somit Teil des Beispiels 13 ist. Es ist daher für die in Punkt 4. oben zusammengefasste Lehre des Dokuments D2 nur die Auswahl der R99E-Proteasevariante aus Anspruch 6 erforderlich. Dokument D2 offenbart somit das in Beispiel 13 beschriebene flüssige Reinigungsmittel enthaltend eine Protease mit mindestens einer der in Anspruch 6 gelisteten Mutationen, einschließlich der R99E-Mutation.
6. Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin war diese Lehre in Beispiel 13, insbesondere in Verbindung mit der R99E-Proteasevariante, ohne rückschauende Betrachtungsweise für die Fachperson kein "realistischer" Ausgangspunkt (wie in Punkt 4.1.2 der T 1379/11) für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz, da der Fokus des Dokuments D2 auf anderen, tatsächlich untersuchten Proteasevarianten, insbesondere der "F49"-Variante, gelegen habe. Der Fachperson habe es im Sinne des sogenannten "could-would approach" an Motivation gemangelt, unter allen 21 Beispielen des Dokuments D2 im Lichte ihrer gesamten Lehre mit Fokus auf eine andere Proteasevariante ausgerechnet Beispiel 13, innerhalb des Beispiels 13 dann eine R99-, und von diesen die nur in den Ansprüchen 2 und 6 erwähnte R99E-Proteasevariante als Ausgangspunkt für die erfinderische Tätigkeit "auszuwählen".
7. Diese Argumentationslinie beruht augenscheinlich auf einem Missverständnis, wie die "Auswahl" des nächstliegenden Stands der Technik getroffen wird. Zwar trifft es zu, dass ein Ausgangspunkt für die Ermittlung einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der in Punkt 4.1.2 der T 1379/11 in diesem Zusammenhang beschriebenen, von den Beschwerdekammern entwickelten Kriterien realistisch sein sollte. Gemäß diesen Kriterien sollte er einen Gegenstand beschreiben, der demselben Zweck dient oder das gleiche Ziel verfolgt, eine ähnliche Verwendung beschreibt oder dasselbe oder ein ähnliches technisches Problem betrifft oder zumindest aus demselben oder einem nah verwandten Fachgebiet stammt wie die beanspruchte Erfindung. Ein zweites mögliches Kriterium ist die Anzahl der gemeinsamen Merkmale. Dass eine Lehre einer Erfindung realistischerweise nicht hätte zugrunde liegen können, ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn die Lehre aus einem zu weit entfernten, nicht verwandten Fachgebiet stammt.
8. Hingegen spielt der sogenannte "could-would approach" oder die Motivation der Fachperson für die "Auswahl" (d.h. die Bestimmung) des nächstliegenden Stands der Technik keine Rolle. Dieser erfolgt stattdessen nach den in Punkt 7. genannten objektiven Kriterien.
9. Die Tatsache, dass Dokument D2 weitere Beispiele enthält und eine Reihe anderer Proteasevarianten ausführlicher beschreibt als die R99E-Proteasevariante, ist somit irrelevant für die Frage, ob Beispiel 13 mit der R99E-Proteasevariante als Ausgangspunkt des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes dienen kann. Die weiteren, ausführlicheren Beispiele und der angebliche Fokus in Dokument D2 auf andere, im Hinblick auf ihre Reinigungsleistung tatsächlich untersuchte Proteasevarianten können die technische Offenbarung des Beispiels 13 nicht ändern und haben daher auch keinen Einfluss auf die Frage, ob dieses ein realistischer Ausgangspunkt für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz sein kann.
10. Die in Punkt 4.1.2 der T 1379/11 genannten Kriterien zur Auswahl eines realistischen Ausgangspunkt sind für Beispiel 13 des Dokuments D2 erfüllt. Dokument D2 stellt ebenso wie das Streitpatent geeignete bzw. verbesserte Subtilisin-Proteasevarianten zur Verwendung in einem Wasch- oder Reinigungsmittel bereit, und alle in Dokument D2 offenbarten Proteasevarianten, einschließlich der in Beispiel 13 genannten, sind für diese Verwendung angedacht, ebenso das in Beispiel 13 beschriebene flüssige Reinigungsmittel. Insofern begründet die Heranziehung des Beispiels 13 als nächstliegendem Stand der Technik keine Diskrepanz zu der in Punkt 4.1.2 der T 1379/11 beschriebenen Vorgehensweise.
11. Die Beschwerdegegnerin argumentiert außerdem, dass Beispiel 13 nur ein prophetisches, nicht ausführbares und fehlerhaftes Beispiel sei und somit auch aus diesen Gründen keinen realistischen Ausgangspunkt für den Aufgabe-Lösungsansatz darstelle. Insbesondere sei aufgrund der fehlenden HEDP-Konzentrationsangabe fraglich, ob das Reinigungsmittel überhaupt ein Phosphonat enthalte.
12. Beispiel 13 beschreibt die Zubereitung eines flüssigen enzymatischen Reinigungsmittels durch Auflistung aller enthaltenen Bestandteile und des pH-Werts der Lösung, wie durch Messung ermittelt (siehe Zeilen 10 und 11 auf Seite 46 "The pH of the resulting solution is 8.1 (measured as a 10% aqueous solution)"). Die Auflistung aller Bestandteile und die beschriebene Messung des pH-Werts machen deutlich, dass Beispiel 13 kein prophetisches, d.h. nicht ausgeführtes, Beispiel ist.
13. Es ist jedoch zuzugestehen, dass das Beispiel 13 fehlerhaft ist, unter anderem, da in der Formulierung "about 1-hydroxyethane-1,1-diphosphonic acid" (siehe Zeile 8 der Seite 46) die Konzentrationsangabe für das Phosphonat HEDP fehlt.
14. Wegen der fehlenden Konzentrationsangabe des Phosphonats ist jedoch nicht fraglich, ob die gelehrte Zusammensetzung überhaupt Phosphonat enthält. Es mag sein, dass an anderer Stelle in Dokument D2 Phosphonate als optionale Bestandteile eines Reinigungsmittels gelehrt werden (siehe den Absatz, der die Seiten 20 und 21 überbrückt) und in einer anderen bevorzugten Ausführungsform nicht enthalten sind (siehe den Absatz, der die Seiten 24 und 25 überbrückt). Dies hat jedoch keinen Einfluss auf die technische Offenbarung des Beispiels 13, in dem das Phosphonat HEDP explizit als Bestandteil des angegebenen flüssigen Reinigungsmittels angegeben wird und deshalb im beschriebenen flüssigen Reinigungsmittel vorhanden ist, wenn auch ohne Konzentrationsangabe. Da alle anderen Bestandteile des flüssigen Reinigungsmittels mit Angabe der jeweiligen Konzentration gelistet sind, muss die Fachperson lediglich die Konzentration eines einzigen Bestandteils ergänzen, um das beschriebene Reinigungsmittel herzustellen. Die fehlende HEDP-Konzentration führt daher auch nicht dazu, dass Beispiel 13 nicht ausführbar ist.
15. Ein weiterer, ebenfalls offensichtlicher Fehler in Beispiel 13 ist, dass die Bestandteile Zitronensäure und Ethanol in der Beschreibung der Zubereitung des flüssigen Reinigungsmittels doppelt aufgeführt sind (siehe Zeilen 2 bis 9 der Seite 46: "A liquid enzymatic detergent composition is prepared by mixing together at room temperature about 13 wt% C10-C13 linear alkylbenzene-sulfonic acid, about 5 wt% alkylpolyglycoside(C12-C14), ... about 1 wt% citric acid, about 7 wt% ethanol, about 1 wt% citric acid about 7 wt% ethanol, about 1-hydroxyethane-1,1-diphosphonic acid and the remainder being water").
16. Beide Bestandteile werden somit mit derselben Konzentrationsangabe hintereinander in einer längeren Liste von einzelnen Bestandteilen doppelt gelistet. Die Fachperson erkennt unmittelbar, dass die doppelte identische Auflistung von Bestandteilen in einer Zusammensetzung sachlich fehlerhaft und dahin zu berichtigen ist, dass jeweils einer der identischen Einträge gestrichen wird. Beispiel 13 wird daher von der Fachperson so verstanden, dass die Bestandteile Zitronensäure und Ethanol in der beschriebenen Zusammensetzung jeweils nur einmal in der angegeben Konzentration enthalten sind. Die fehlerhafte Angabe dieser beiden Bestandteile führt somit weder dazu, dass die Fachperson das Vorhandensein des Phosphonats HEDP im beschriebenen flüssigen Reinigungsmittel anzweifeln würde noch, dass Beispiel 13 nicht ausführbar ist.
17. Der Umstand, dass die R99E-Proteasevariante nur in den Ansprüchen 2 und 6 erwähnt wird, nicht jedoch in der Beschreibung, und dass in Anspruch 6 nicht die Aminosäuresequenz der Proteasen offenbart ist, ist ebenfalls nicht geeignet, die Offenbarung der R99E-Proteasevariante in Dokument D2 als solche in Zweifel zu ziehen. Wie bereits unter Punkt 3. oben dargelegt, lehrt Dokument D2 auf Seite 6, von welcher Subtilisin-Protease (BLAP DSM 5483) alle beschriebenen Varianten abgeleitet sind. Die R99E-Proteasevariante der BLAP DSM 5483 ist zudem in Anspruch 2 des Dokuments D2 beschrieben. Das Fehlen der Sequenz in Anspruch 6 ist daher nicht von Belang, da die technische Offenbarung des Dokuments D2 als Ganzes betrachtet wird, um die Lehre von Beispiel 13 festzustellen.
18. Die Beschwerdegegnerin verweist auch darauf, dass zwischen Publikation des Dokuments D2 und Anmeldedatum des Patents fast 15 Jahre lägen, ohne dass die R99E-Proteasevariante im Stand der Technik verwendet worden wäre, und dass Dokument D4, das die Erkenntnisse aus D2 zusammenfasse, die R99E-Mutation nicht erwähne. Dies spräche dafür, dass die R99E-Proteasevariante in Dokument D2 von der Fachperson als nicht offenbart angesehen worden sei und ihre Auswahl durch die Fachperson daher nur rückschauend erfolgt wäre.
19. Diese Argumente können ebenfalls nicht überzeugen. Das Alter einer Vorveröffentlichung mag unter Umständen einen Hinweis auf das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit geben, ist jedoch kein Grund, eine Veröffentlichung a priori als geeigneten Ausgangspunkt für die Ermittlung der erfinderischen Tätigkeit auszuschließen. Dokument D4 beschreibt zudem auf Seite 4, dass L211D- und L211E-Proteasevarianten in der in Dokument D4 offenbarten Erfindung verwendet werden können, und verweist anschließend zur Produktion dieser L211-Proteasevarianten auf Dokument D2. Der Verweis auf Dokument D2 in Dokument D4 gibt somit keinerlei Hinweis darauf, wie die technische Offenbarung des Dokuments D2 von der Fachperson im Hinblick auf andere darin offenbarte Proteasevarianten verstanden worden wäre.
20. Keines der von der Beschwerdegegnerin vorgebrachten Argumente, warum Dokument D2 trotz der expliziten Offenbarung in Beispiel 13 keine Verwendung einer R99E-BLAP-Proteasevariante in einem flüssigen phosphonathaltigen Wasch- oder Reinigungsmittel lehre, ist daher überzeugend. Beispiel 13 des Dokuments D2 ist somit der nächstliegende Stand der Technik.
Zu lösende Aufgabe
21. Der Unterschied des beanspruchten Gegenstands zu der Offenbarung in Beispiel 13 der Druckschrift D2 liegt in der Konzentration des Phosphonats. Um die zu lösende Aufgabe zu ermitteln, muss beurteilt werden, ob mit diesem unterscheidenden Merkmal ein technischer Effekt verbunden ist. Das ist für den im Anspruch zitierten Phosphonat-Konzentrationsbereich nicht der Fall. Insbesondere kann weder eine von der Einspruchsabteilung genannte erhöhte Lagerstabilität noch eine von der Beschwerdegegnerin zusätzlich geltend gemachte erhöhte Reinigungsleistung als mit dem im Anspruch erwähnten Phosphonat-Konzentrationsbereich verbundener technischer Effekt anerkannt werden.
22. Beide technischen Effekte werden im Patent genannt. Jedoch wurde davon ausgegangen, dass diese Effekte mit einer der sieben im Patent beschriebenen R99-Proteasevarianten in Kombination mit einem Phosphonat in beliebiger Konzentration verbunden sind (siehe Absatz [0008] des Patents). Entsprechend wurden in den Beispielen die Reinigungsleistung und die Lagerstabilität der R99E-Proteasevariante mit denen zweier verschiedener, im Stand der Technik beschriebener Proteasen im gleichen, ein Phosphonat (Dequest® 2066, d.h. DTPMP) in einer Konzentration (0,5 Gew.-%) enthaltenden flüssigen Waschmittel verglichen (siehe Beispiele 1 und 3, Tabellen 2 und 4 und Absätze [0128] und [0135] des Patents). Ebenso wurde die Reinigungsleistung der R99E-Proteasevariante mit der einer im Stand der Technik beschriebenen Protease im gleichen, ein Phosphonat (HEDP) in einer Konzentration (2,4 Gew.-%) enthaltenden flüssigen Geschirrspülmittel verglichen (siehe Beispiel 2, Tabelle 3 und Absatze [0132] des Patents).
23. Diese experimentellen Daten aus dem Patent lassen jedoch keine Aussage über einen mit einer Phosphonat-Konzentration von 0,01 bis 4 Gew.-%, verbundenen technischen Effekt zu, da keine proteasehaltigen Wasch- oder Reinigungsmittel, die ein Phosphonat in Konzentrationen innerhalb und außerhalb des beanspruchten Bereichs enthalten, verglichen wurden.
24. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung reichte die Beschwerdegegnerin die Dokumente D7 und D7a als weitere experimentelle Nachweise für die genannten technischen Effekte ein, und im Verfahren vor der Beschwerdekammer das Dokument D11.
25. Dokument D7 vergleicht die Reinigungsleistung nach Lagerung der R99E-Proteasevariante mit der unmutierten BLAP-Wildtyp-Protease in flüssigen Waschmitteln, die entweder 0,40 oder 2,40 Gew.-% HEDP oder DTPMP enthalten. Diese Vergleiche sind aus den gleichen Gründen wie die Experimente aus der Patentschrift nicht geeignet, einen technischen Effekt für das unterscheidende Merkmal zu belegen. Der Vergleich mit der Wildtyp-Protease ist irrelevant; die untersuchten Phosphonatkonzentrationen liegen alle innerhalb des im Anspruch genannten Bereichs von 0,01 bis 4 Gew.-%.
26. Dokument D7a vergleicht die Lagerstabilität der R99E-Protease in Abwesenheit und Anwesenheit des Phosphonats DTPMP (0,4 oder 2,4 Gew.-%). Diese Daten zeigen, dass die Lagerstabilität der R99E-Proteasevariante in Anwesenheit von DTPMP in beiden getesteten Konzentrationen gegenüber einem flüssigen Waschmittel, das kein Phosphonat enthält, konzentrationsabhängig erhöht ist. Allerdings ist, wie die Beschwerdeführerin geltend machte, der Anspruch weder auf das Phosphonat DTPMP beschränkt, noch sind die beiden überprüften Konzentrationen geeignet, den gesamten im Anspruch angegebenen Konzentrationsbereich, dessen unteres Ende lediglich 0,01 Gew.-% beträgt und somit um den Faktor 40 niedriger als die niedrigste getestete Konzentration von 0,4 Gew.-% ist, ausreichend abzudecken. Die Daten in Dokument D7a belegen daher keinen technischen Effekt über die gesamte Breite des Anspruchs.
27. Das im Beschwerdeverfahren eingereichte Dokument D11 zeigt Experimente, die die Reinigungsleistung von flüssigen Waschmitteln mit und ohne HEDP und DTPMP in zwei Konzentrationen (0,4 oder 2,4 Gew.-%) in Anwesenheit entweder der Wildtyp-BLAP-Protease oder einer der R99E-, R99D- oder R99S-Proteasevarianten vergleicht. Dokument D11 soll laut der Beschwerdegegnerin belegen, dass die R99E- und die R99D-Proteasevarianten im Vergleich zur Wildtyp-BLAP und der R99S-Proteasevariante in Gegenwart eines Phosphonats eine erhöhte Reinigungsleistung (Tabelle unter Abschnitt 3. "Beitrag von Enzymen zur Reinigungsleistung des Waschmittels") und eine erhöhte Lagerstabilität (Tabelle unter Abschnitt 4. "Beitrag von Enzymen zur Reinigungsleistung nach Lagerung des Waschmittels") ausweisen.
28. Jedoch gilt auch für diese Experimente, dass der Vergleich mit einer anderen Protease nicht für die Ermittlung eines technischen Effekts relevant ist, da Dokument D2 bereits ein flüssiges Wasch- oder Reinigungsmittel enthaltend die R99E-Proteasevariante und ein Phosphonat offenbart. Relevant sind daher nur Vergleiche von flüssigen Wasch- oder Reinigungsmitteln, die eine Proteasevariante wie im Anspruch definiert und ein Phosphonat in einer Konzentration innerhalb des im Anspruch definierten Bereichs enthalten, und flüssigen Wasch- oder Reinigungsmitteln, die diese Proteasevariante und das Phosphonat in einer Konzentration außerhalb des im Anspruch definierten Bereichs enthalten.
29. Diesbezüglich enthält Dokument D11 Daten zur Reinigungsleistung und zur Lagerstabilität von flüssigen Waschmitteln, die die R99E- oder die R99D-Proteasevariante und entweder kein Phosphonat oder DTPMP oder HEDP, jeweils entweder in einer Konzentration von 0,4 Gew.-% oder 2,4 Gew.-% enthalten. Auch in diesen Experimenten deckt der getestete Konzentrationsbereich nicht den gesamten im Anspruch definierten Bereich ab, insbesondere nicht Konzentrationen nahe der jeweiligen Endpunkte.
30. Zudem geht aus der Tabelle unter Abschnitt 3. des Dokuments D11 hervor, dass für die R99E-Proteasevariante nicht für alle getesteten Phosphonatkonzentrationen, nämlich nicht für 0,4 Gew.-% HEDP und nicht für 2,4 Gew.-% DTPMP, eine verbesserte Reinigungsleistung im Vergleich zu einem flüssigen Waschmittel, das kein Phosphonat enthält, erzielt wurde. Aus der Tabelle unter Abschnitt 4. geht hervor, dass für die in diesem Beispiel untersuchte R99E-Proteasevariante nicht für alle getesteten Phosphonatkonzentrationen, nämlich nicht für 2,4 Gew.-% DTPMP, eine verbesserte Lagerstabilität im Vergleich zu einem flüssigen Waschmittel, das kein Phosphonat enthält, erzielt wurde. Daher sind weder eine verbesserte Reinigungsleistung noch eine verbesserte Lagerstabilität für die gesamte beanspruchte Breite gezeigt.
31. Mit dem Unterschied der beanspruchten Verwendung zur Lehre in Dokument D2 ist daher kein technischer Effekt verbunden. Da in Beispiel 13 des Dokuments D2 keine Konzentration für das Phosphonat angegeben ist, kann das zu lösende Problem somit nur in der Bereitstellung einer geeigneten Konzentration für das Phosphonat im in Beispiel 13 des Dokuments D2 beschriebenen enzymatischen flüssigen Reinigungsmittel gesehen werden.
Offensichtlichkeit der beanspruchten Lösung
32. Um die gestellte Aufgabe zu lösen und Beispiel 13 des Dokuments D2 in die Praxis umzusetzen, würde die Fachperson eine Phosphonatkonzentration wählen, die im Stand der Technik für Wasch- und Reinigungslösungen üblich ist. Dokument D2 selbst lehrt in den Zeilen 10 bis 12 der Seite 21, dass die erfindungsgemäßen Reinigungsmittel bis zu 5% Gew.-%, insbesondere 0,1 bis 2 Gew.-% von Schwermetall-Komplexbildnern, insbesondere von Aminoalkylen-Phosphonaten enthalten, und lehrt daher eine Konzentration, die unter den im Anspruch genannten Phosphonat-Konzentrationsbereich fällt. Die Verwendung einer HEDP-Konzentration, welche in den im Anspruch genannten Bereich fällt, war daher für die Fachperson, die Beispiel 13 des Dokuments D2 in die Praxis umsetzen möchte, aus der Lehre in Dokument D2 alleine naheliegend.
33. Die Beschwerdegegnerin machte diesbezüglich geltend, dass die Konzentrationsangabe auf Seite 21 des Dokuments D2 generisch für Komplexbildner für Schwermetalle sei, wofür vier Substanzklassen beispielhaft angegeben seien, HEDP jedoch nicht darunter sei, und es aus Dokument D2 nicht hervorgehe, dass HEDP überhaupt ein Komplexbildner sei.
34. Dieser Argumentation ist nicht zu folgen, da das Phosphonat HEDP der Fachperson als Komplexbildner und Bestandteil von Wasch- und Reinigungsmitteln wohlbekannt war. Dies wird beispielsweise durch Dokument D3, ein einschlägiges Handbuch, belegt (erster Absatz auf Seite 4).
35. Auch Dokument D4 beschreibt, dass Phosphonate, einschließlich des Phosphonats HEDP, bevorzugte Komplexbildner in flüssigen Wasch- oder Reinigungsmitteln sind und in Mengen von 0,01 bis 1,5 Gew.-% eingesetzt werden (siehe den ersten vollständigen Absatz auf Seite 23). Bei der Suche nach einer geeigneten Konzentration für das Phosphonat im in Beispiel 13 des Dokuments D2 beschriebenen flüssigen Reinigungsmittel wäre die Fachperson daher auch durch Dokument D4 auf HEDP Konzentrationen hingewiesen worden, die in den Bereich von Anspruch 1 fallen. Daher war der beanspruchte Gegenstand auch aus der Kombination der Lehre in Dokument D2 mit der Lehre in Dokument D4 offensichtlich.
36. Der Argumentationslinie der Beschwerdegegnerin, dass die Fachperson Dokument D2 nicht mit Dokument D4 kombiniert hätte, da in Dokument D4 die Protease-Mutationen R99E und R99D explizit nicht erwähnt werden, obwohl auf Dokument D2 verwiesen wird, kann nicht gefolgt werden. Wie oben ausgeführt (siehe Punkt 4.), offenbart Dokument D2 bereits ein flüssiges Reinigungsmittel, das die R99E-Subtilisin-Proteasevariante und das Phosphonat HEDP enthält, so dass die Fachperson lediglich eine geeignete HEDP Konzentration in diesem Reinigungsmittel bereitstellen muss. Da Dokument D4 ebenfalls protease- und phosphonathaltige flüssige Wasch- oder Reinigungsmittel offenbart und somit aus dem gleichen technischen Gebiet stammt wie Dokument D2, auf das es sogar explizit verweist, hätte die Fachperson die Lehre in den Dokumenten D2 und D4 ohne rückschauende Betrachtungsweise kombiniert.
37. Somit war es für die Fachperson offensichtlich, für das Phosphonat im in Beispiel 13 des Dokuments D2 beschriebenen flüssigen Reinigungsmittel eine Konzentration aus dem im Anspruch genannten Konzentrationsbereich auszuwählen. Mit dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist daher keine erfinderische Tätigkeit verbunden (Artikel 100(a) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ).
Hilfsantrag 1
38. Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags nur dadurch, dass das Phosphonat näher definiert ist. Diese Definition umfasst jedoch das in Beispiel 13 des Dokuments D2 offenbarte HEDP (siehe Abschnitt V.). Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 beruht daher aus denselben Gründen wie Anspruch 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (siehe Punkte 1. bis 37. oben).
39. Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage der Zulassung und Berücksichtigung des Hilfsantrags 1 stellt sich daher nicht.
Zulassung und Berücksichtigung der Hilfsanträge 2 bis 7
(Artikel 12 VOBK)
Hilfsantrag 2
40. Im Lichte des vorrangigen Ziels des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, ist gemäß Artikel 12(2) VOBK das Beschwerdevorbringen der Beteiligten auf die Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel zu richten, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen.
41. Nach Artikel 12(4) VOBK ist jeder Teil des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten, der nicht die Erfordernisse des Artikels 12(2) VOBK erfüllt, als Änderung zu betrachten, sofern der Beteiligte nicht zeigt, dass dieser Teil in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, "in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde". Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin ist Artikel 12(4) VOBK damit grundsätzlich auch auf im Einspruchsverfahren vorgebrachte Anträge anwendbar. Anträge, die nicht der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen und im Einspruchsverfahren nicht in zulässiger Weise vorgebracht wurden, sind als Änderungen zu betrachten, deren Zulassung im Ermessen der Kammer liegt.
42. Hilfsantrag 2 liegt der angefochtenen Entscheidung nicht zugrunde, da die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen und somit nur für das Patent wie erteilt eine Entscheidung getroffen hat. Er erfüllt somit nicht die in Artikel 12(2) VOBK genannte erste (alternative) Voraussetzung (siehe Punkt 40.). Da der mit der Erwiderung auf die Beschwerde eingereichte Anspruchssatz des Hilfsantrags 2 identisch ist zum Anspruchssatz des im Einspruchsverfahren mit der Eingabe vom 31. Oktober 2019 eingereichten Hilfsantrags 5, handelt es sich bei Hilfsantrag 2 gemäß Artikel 12(4) VOBK nur dann nicht um eine Änderung, wenn Hilfsantrag 5 im Einspruchsverfahren in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde.
43. Hilfsantrag 5 wurde im Einspruchsverfahren nach dem in der Ladung zur mündlichen Verhandlung festgelegten Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze und/oder Unterlagen unter Regel 116 EPÜ eingereicht werden können, vorgebracht und wurde somit im Einspruchsverfahren verspätet eingereicht (siehe etwa den zweiten Orientierungssatz in T 1776/18 und Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, IV.C.4.3.2 und IV.C.5.1.4). Seine Zulassung und Berücksichtigung lag daher im Ermessen der Einspruchsabteilung. Allein aus diesem Grund kann Hilfsantrag 5 nicht per se als in zulässiger Weise vorgebracht angesehen werden. Es handelt sich somit beim nunmehrigen Hilfsantrag 2 um eine Änderung gemäß Artikel 12(4) VOBK, deren Zulassung und Berücksichtigung nun im Ermessen der Kammer steht.
44. Das Ermessen der Kammer ist unabhängig von eventuellen Anträgen einer Partei ex officio auszuüben. Es ist somit irrelevant für die Entscheidung der Kammer in diesem Kontext, dass die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf Nichtzulassung des Hilfsantrags 2 erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer gestellt hat.
45. Weitere essentielle Voraussetzung für die Berücksichtigung nach Artikel 12(4) VOBK ist, im Falle einer Änderung der Patentanmeldung oder des Patents, die Angabe der Grundlage der Änderung in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung, sowie die Anführung der Gründe, warum mit der Änderung die erhobenen Einwände ausgeräumt werden.
46. Die Beschwerdegegnerin machte in ihrer Erwiderung auf die Beschwerde keine Angaben zur Grundlage der Ansprüche der Hilfsanträge 2, 3 und 4 in der Anmeldung. Sie erläuterte zwar, welche Änderungen gemacht wurden, nicht jedoch, wo die sich aus den Änderungen ergebenden beanspruchten Merkmalskombinationen eine Grundlage in der Anmeldung haben. Die Grundlage der Hilfsanträge 2, 3 und 4 in der Anmeldung wurde somit nicht ausreichend substantiiert. Die Argumente der Beschwerdegegnerin, dass alle Änderungen auf den erteilten Ansprüchen basierten und deshalb keine weitere Angabe zur Basis gemacht werden müsse, ist per se nicht überzeugend, weil sich durch die Auswahl aus verschiedenen in erteilten Ansprüchen vorhandenen Listen ein neuer Gegenstand ergeben kann. Hilfsantrag 2 ist daher schon aus diesem Grund unter Artikel 12(4) VOBK nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
47. Der Auffassung der Beschwerdegegnerin ist auch insoweit nicht zu folgen, wonach Hilfsantrag 2 eine Reaktion auf einen erst im unter Regel 116 EPÜ eingereichten Schriftsatz erhobenen Einwand der Beschwerdeführerin gewesen und zudem im Beschwerdeverfahren als Antwort auf das neue Dokument D10 anzusehen und daher zu berücksichtigen sei. Bereits in der Einspruchsschrift war nämlich argumentiert worden, dass Dokument D2 ein Flüssigwaschmittel offenbare, welches die R99E-Proteasevariante und das Phosphonat HEDP enthalte, und dass der beanspruchte Gegenstand über diese Offenbarung nicht neu sei bzw. sich von ihr nur durch den im Anspruch genannten Phosphonat-Konzentrationsbereich unterscheide, mit dem jedoch kein technischer Effekt verbunden sei (siehe Seiten 3 und 4, die ersten beiden vollständigen Absätze auf Seite 6 und den letzten Absatz auf Seite 9 der Einspruchsschrift).
48. Hilfsantrag 2, welcher das Phosphonat auf das im Patent untersuchte Phosphonat DTPMP, welches nicht in Dokument D2 offenbart ist, einschränkt, hätte daher bereits in Erwiderung auf die Einspruchsschrift eingereicht werden können, um den darin erhobenen Einwänden unter Neuheit und erfinderischer Tätigkeit zu begegnen.
49. Hilfsantrag 2 war daher unter Artikel 12(4) VOBK nicht in das Verfahren zuzulassen.
Hilfsanträge 3 und 4
50. Hilfsanträge 3 und 4 wurden mit der Erwiderung auf die Beschwerde eingereicht und sind identisch zu den im Einspruchsverfahren am 31. Oktober 2019 eingereichten Hilfsanträgen 6 und 7. Die Umstände zur Zulassung und Berücksichtigung der Hilfsanträge 3 und 4 entsprechen daher jenen zu Hilfsantrag 2. Wie für Hilfsantrag 2 liegt auch bei den Hilfsanträgen 3 und 4 eine mangelnde Substantiierung vor (siehe Punkt 46. oben), und die Hilfsanträge 3 und 4 können zudem nicht als Reaktion auf spät erhobene Einwände oder Dokument D10 angesehen werden (siehe Punkt 47. oben). Hilfsanträge 3 und 4 sind damit aus denselben Gründen wie Hilfsantrag 2 nicht in das Verfahren zuzulassen (Artikel 12(4) VOBK).
Hilfsanträge 5, 6 und 7
51. Hilfsanträge 5, 6 und 7 wurden mit der Erwiderung auf die Beschwerde eingereicht und sind neu im Verfahren. Sie stellen damit ebenfalls eine Änderung des Vorbringens gemäß Artikel 12(4) VOBK dar. Ihre Zulassung und Berücksichtigung steht daher im Ermessen der Kammer.
52. Nach Artikel 12(6) VOBK lässt die Kammer unter anderem Anträge, Tatsachen, Einwände oder Beweismittel, die in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, vorzubringen gewesen wären oder die nicht mehr aufrechterhalten wurden, nicht zu, es sei denn, die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen eine Zulassung.
53. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass die Hilfsanträge 5, 6 und 7 eine Antwort auf das mit der Beschwerde neu eingereichte Dokument D10 seien, ohne dies jedoch näher zu begründen (siehe den zweiten Absatz auf Seite 3 der Erwiderung auf die Beschwerde). Abgesehen davon, dass Dokument D10 für die vorliegende Entscheidung nicht relevant ist, ist auch nicht ersichtlich, inwieweit die neuen Änderungen in den Hilfsanträgen 5 und 6 bezüglich der Sequenzidentität der Protease und in Hilfsantrag 7 bezüglich des Konzentrationsbereichs des Phosphonats eine Antwort auf Dokument D10 darstellen sollten, da Dokument D10 zu belegen scheint, dass die Stabilität vom spezifischen Phosphonat abhängt, nicht jedoch von der Aminosäure an Position 99 oder der Sequenz der Protease. Die Hilfsanträge 5, 6 und 7 enthalten keine Änderungen die dies adressieren, da das Phosphonat in Anspruch 1 der Hilfsanträge 5, 6 und 7 identisch ist zu dem Phosphonat in Anspruch 1 der Hilfsanträge 2, 3 und 4. Die Hilfsanträge 5, 6 und 7 können daher nicht als Antwort auf Dokument D10 angesehen werden.
54. Da der Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegenüber Dokument D2 zu Beginn des Einspruchsverfahrens erhoben wurde (siehe Punkt 47. oben), liegen auch insoweit keine überzeugenden Gründe vor, weshalb diese Hilfsanträge nicht bereits im Einspruchsverfahren hätten eingereicht werden können (Artikel 12(6) VOBK).
55. Darüber hinaus machte die Beschwerdegegnerin in ihrer Erwiderung auf die Beschwerde auch keine Angaben zur Grundlage der Ansprüche der Hilfsanträge 5, 6 und 7 in der Anmeldung, so dass auch die Hilfsanträge 5, 6 und 7 wegen mangelnder Substantiierung nicht in das Verfahren zuzulassen waren (Artikel 12(4) VOBK; siehe Punkt 46. oben).
Rüge gemäß Regel 106 EPÜ
56. Während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer erhob die Beschwerdegegnerin die folgende Rüge:
"Wir erheben hiermit eine Rüge aufgrund eines Verfahrensmangels gemäß Regel 106 EPÜ, da unser rechtliches Gehör verletzt wurde. Die Entscheidung, den zweiten Hilfsantrag nicht zuzulassen macht es uns unmöglich, Stellung dazu zu nehmen, ob der zweite Hilfsantrag die Erfordernisse des EPÜ erfüllt. Die Nichtzulassung des 2. Hilfsantrags ist als wesentlicher Verfahrensmangel zu werten. Die gilt auch für die Hilfsanträge 3 bis 7, sofern sie nicht zugelassen werden.".
57. Es liegt im Wesen der Präklusionsregel des Artikels 12(4) und (6) VOBK, dass eine nach dessen Kriterien erfolgte Ermessensübung dahin, einen Antrag nicht zu berücksichtigen, dazu führt, dass er im weiteren auch nicht mehr mit den Parteien zu erörtern ist. Die Beschwerdegegnerin wurde zu der Zulassung und Berücksichtigung der Hilfsanträge 2 bis 7 gehört und eine nicht ordnungsgemäße Ermessensübung wird von der Beschwerdegegnerin dabei nicht einmal behauptet. Schon vor diesem Hintergrund kann eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs nicht zu beklagen sein.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.