T 0882/21 09-02-2023
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PRÜFUNG VON STABFÖRMIGEN ARTIKELN, INSBESONDERE FILTERZIGARETTEN
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Kombination bekannter Merkmale
Erfinderische Tätigkeit - rückschauende Betrachtungsweise
Niederschrift über mündliche Verhandlung - Antrag auf Aufnahme einer Erklärung in die Niederschrift (abgelehnt)
Artikel 12(6) VOBK 2020
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2965640 aufgrund des Artikels 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. In ihrer Entscheidung ist die Einspruchsabteilung zu der Auffassung gelangt, dass die einzig unter Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt nicht entgegenstehen.
III. Die angefochtene Entscheidung nimmt unter anderem Bezug auf die folgenden Entgegenhaltungen, die auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegen.
D1: US 5 402 802 A
D6: DE 10 2013 201 511 A1
D7: WO 2015/135610 A1
IV. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) die Entgegenhaltung
D8: JP 2004-24132 A
mit
D8T: engl. Zusammenfassung und maschinelle Übersetzung der D8
ein.
V. Am 9. Februar 2023 fand eine als Videokonferenz durchgeführte mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts statt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den vollständigen Widerruf des Streitpatents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde oder, hilfsweise, die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge I bis VI.
VI. Das Patent wie erteilt (Hauptantrag) umfasst einen unabhängigen Produktanspruch 1 und einen Verfahrensanspruch 8.
Anspruch 1, dessen Merkmalsgliederung der der angefochtenen Entscheidung entspricht, lautet wie folgt:
M1.a Trommelanordnung einer Maschine der Tabak verarbeitenden Industrie,
M1.a' insbesondere Trommelanordnung einer Filteransetzmaschine,
M1.b zum queraxialen Fördern von stabförmigen Artikeln (50.1, 50.2) der Tabak verarbeitenden Industrie,
M1.b' insbesondere Filterzigaretten,
M1.c mit einer rotierbaren Fördertrommel (35) für die stabförmigen Artikel (50.1, 50.2),
M1.d wobei die Fördertrommel (35) in Umfangsrichtung zwei nebeneinander angeordnete Reihen von hintereinander angeordneten Aufnahmemulden (38.1, 38.2) für jeweils eine Reihe von stabförmigen Artikeln (50.1, 50.2) aufweist,
M1.e wobei die Fördertrommel (35) eingerichtet ist, stabförmige Artikel (50.1, 50.2), die in zwei Reihen nebeneinander und jeweils queraxial hintereinander angeordnet in Aufnahmemulden (38.1, 38.2) aufgenommen sind, bei Rotation der Fördertrommel (35) in queraxialer Richtung zu fördern,
M1.f wobei für jede Reihe von Aufnahmemulden (38.1, 38.2) jeweils eine, vorzugsweise stationäre, Messvorrichtung (60, 60.1, 60.2)
M1.f' mit einem einseitig offenen Durchtrittskanal (62, 62.1, 62.2) für Abschnitte der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) vorgesehen ist
M1.g und im Durchtrittskanal (62, 62.1, 62.2) jeder Messvorrichtung (60, 60.1, 60.2) die, vorzugsweise von den jeweiligen Aufnahmemulden (38.1, 38.2) seitlich überstehenden, im Durchtrittskanal (62, 62.1, 62.2) befindlichen Abschnitte der stabförmigen Artikel (50.1,50.2) bei Durchquerung der einseitig offenen Durchtrittskanäle (62, 62.1, 62.2) der Messvorrichtungen (60, 60.1, 60.2) jeweils mit elektromagnetischen Wellen eines Messfeldes der Messvorrichtung (60, 60.1, 60.2) beaufschlagbar sind oder beaufschlagt werden,
M1.h wobei jede Messvorrichtung (60, 60.1, 60.2) für die beiden Reihen von stabförmigen Artikeln (50.1; 50.2) derart eingerichtet sind, um zu prüfende Abschnitte der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) bei einer Durchquerung des Durchtrittskanals (62, 62.1, 62.2) jeder Messvorrichtung (60, 60.1, 60.2) jeweils mit elektromagnetischen Wellen im Bereich zwischen 300 MHz (300 x 10**(6)Hz) und 30 EHz (30 x 10**(18) Hz) zu beaufschlagen,
M1.i wobei die Messvorrichtungen (60, 60.1, 60.2) für die Abschnitte der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) der beiden Reihen zwischen den beiden Reihen der Aufnahmemulden (38.1, 38.2) für die stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) angeordnet sind, und
M1.j wobei die Fördertrommel (35) einen äußeren Trommelkörper aufweist, wobei die Aufnahmemulden (38.1, 38.2) der beiden Reihen gegenüber der Umfangsfläche des Trommelkörpers der Fördertrommel (35) in radialer Richtung nach außen versetzt ausgebildet sind.
Der unabhängige Anspruch 8 des Hauptantrags (Verfahrenanspruch) lautet wir folgt:
Verfahren zum Überprüfen von queraxial geförderten stabförmigen Artikeln (50.1, 50.2) der Tabak verarbeitenden Industrie, insbesondere zur Überprüfung von flüssigkeitsgefüllten Kapseln in Filterabschnitten von Filterzigaretten unter Verwendung einer Trommelanordnung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, wobei die stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) in zwei Reihen nebeneinander und jeweils in jeder Reihe queraxial hintereinander in jeweils einer Reihe von Aufnahmemulden (38.1, 38.2) einer Fördertrommel (35), aufgenommen sind und in queraxialer Richtung gefördert werden, wobei für jede Reihe von Aufnahmemulden (38.1, 38.2) jeweils eine, vorzugsweise stationäre, Messvorrichtung (60, 60.1, 60.2) mit einem einseitig offenen Durchtrittskanal (62, 62.1, 62.2) für Abschnitte der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) vorgesehen ist, wobei während der queraxialen Förderung der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) Abschnitte der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) jeweils auf ihrem Förderweg den einseitig offenen Durchtrittskanal (62, 62.1, 62.2) jeweils einer Messvorrichtung (60, 60.1, 60.2) für die Abschnitte durchqueren und die Abschnitte der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) jeder Reihe während ihrer Förderung durch den Durchtrittskanal (62, 62.1, 62.2) jeweils ein elektromagnetische Wellen aufweisendes Messfeld der jeweiligen Messvorrichtung (60, 60.1, 60.2) durchqueren, wobei die zu prüfende Abschnitte der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) bei einer Durchquerung des Durchtrittskanals (62, 62.1, 62.2) jeder Messvorrichtung (60, 60.1, 60.2) jeweils mit elektromagnetischen Wellen im Bereich zwischen 300 MHz (300 × 10**(6) Hz) und 30 EHz (30 × 10**(18) Hz) beaufschlagt werden, wobei die stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) der beiden Reihen auf der Fördertrommel (35) derart angeordnet sind oder werden, dass die für die Messvorrichtungen (60, 60.1, 60.2) vorgesehenen und zu prüfenden Abschnitte der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) der beiden Reihen einander zugewandt sind und wobei die Messvorrichtungen (60, 60.1, 60.2) für die Abschnitte der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) der beiden Reihen zwischen den beiden geförderten Reihen der stabförmigen Artikel (50.1, 50.2) angeordnet sind.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechende) - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Neuheit gegenüber D7
Die Einspruchsabteilung habe das Merkmal M1.f' "einseitig offener Durchtrittskanal" zu eng ausgelegt. Auch der z.B. in Figur 3 der D7 gezeigte Erfassungsraum ("detection space 70") stelle einen Durchtrittskanal dar, durch den die stabförmigen Artikel ("cigarettes 22") hindurch treten.
Weiterhin sei der Wortlaut "einseitig offen" entsprechend gängiger Patentsprache als "zumindest einseitig offen" zu verstehen, zumal die Abschlusswand 68 des Durchtrittkanals 62 im Streitpatent keine wesentliche Funktion beim Messen habe (Figur 4). Der "detection space 70" sei daher ebenfalls "einseitig offen".
Erfinderische Tätigkeit gegenüber einer Kombination von D1 mit D6
Entgegen der Ansicht der Einspruchsabteilung könne D1 durchaus als nächstliegender Stand der Technik dienen. Es sei zwar korrekt, dass D1 eine pneumatische und keine elektromagnetische Messanordnung offenbare, wesentlicher Ausgangspunkt sei jedoch der zweireihig fördernde Trommelaufbau und die mittige Anordnung der Messvorrichtung. Dies sei in D1 offenbart. Auch die Messstelle am Ende des stabförmigen Artikels, die über die Aufnahmemulden überstünden, sei in D1 und dem Streitpatent gleich.
Anspruch 1 wie erteilt unterscheide sich von der D1 durch die Merkmale M1.f', M1.g und M1.h, die die elektromagnetische Messvorrichtung mit dem Durchtrittskanal definierten.
Aufgabe sei es, die Trommelanordnung der D1 derart zu modifizieren, dass die Position von Kapseln in Zigarettenfiltern geprüft werden könne.
Diese Aufgabe sei bereits in D6 gelöst. Die Zigarettenfilter würden in der D6 (Figur 15) durch einen einseitig offenen Durchgangskanal 236 einer elektromagnetischen Messvorrichtung 230 geführt und dabei geprüft. Der Fachmann würde ausgehend von der D1, Figur 6, die pneumatische Messvorrichtung - u.a. umfassend die zentrale Trommel 92, die Anschlüsse 106 und die Schläuche 107 - entfernen und stattdessen zwei U-förmige Mikrowellenresonatoren anordnen. Die Anwendung einer anderen, z.B. aus D6 bekannten Prüfmethode könne keine erfinderische Tätigkeit begründen.
Entgegen der Ansicht der Einspruchabteilung sei kein vollständiger Umbau der Trommelanordnung der D1 erforderlich. Das Entfernen der zentralen Trommel 92 erfordere keine weiteren Modifikationen. Auch sei der Einbau der Resonatoren zwischen den Muldentrommeln ("grooved drums 90, 91") reine Routine.
Der Einwand, dass die Mikrowellenresonatoren 230 (D6) im Gegensatz zur mitdrehenden zentralen Trommel 92 (D1) stationär seien, greife ebenfalls nicht. Dies könne für den Fachmann kein Problem darstellen, da er täglich mit der Fragestellung konfrontiert sei, stationäre Teile gegenüber beweglichen Teilen zu halten.
Erfinderische Tätigkeit gegenüber einer Kombination von D6 mit D1
Anspruch 1 unterscheide sich von der D6 durch die zweireihige Förderung. Die Aufgabe sei daher darin zu sehen, die Prüfungsrate der Anordnung der D6 zu erhöhen.
Wie von der Einspruchsabteilung zugestanden, lehre die D1 die Prüfung der stabförmigen Artikel in Paaren durchzuführen und die Messanordnung zwischen den Artikeln anzuordnen (D1, Spalte 1, Zeilen 41 bis 44). Die Einspruchsabteilung irre sich jedoch, dass bei Anwendung dieser Lehre der D1 auf die D6 die Aufnahmemulden nicht - wie in Merkmal M1.j gefordert - radial nach außen versetzt wären, sondern weiterhin wie in D6, Figur 15 gezeigt, in dem Trommelkörper versenkt angeordnet seien. Der Fachmann habe durchaus Anlass, das ebenfalls aus D1 bekannte Merkmal M1.j zu übernehmen, um die von der Einspruchsabteilung zugestandene Dopplung der D6-Anordnung zu ermöglichen und die Mikrowellenresonatoren zu platzieren.
Zulassung der D8, D8T ins Beschwerdeverfahren
Die Einreichung der D8 und ihrer Übersetzung D8T sei mit den neuen Schlussfolgerungen der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung bzw. in der Entscheidung hinsichtlich der Kombinierbarkeit von D1 und D6 zu begründen. Erst mit der Entscheidung sei deutlich geworden, dass die Einspruchsabteilung die Trommelanordnung der D1 mit pneumatischer Messvorrichtung als nicht mit D6 kombinierbar angesehen habe. Die vorläufige Meinung hierzu sei nicht bindend gewesen und habe daher auch keine Reaktion der Einsprechenden auslösen können.
Außerdem sei die D8 ein japanisches Dokument und schwer auffindbar gewesen.
D8 sei eingereicht worden, um zu verdeutlichen, dass aus dem Stand der Technik auch zweireihig fördernde Trommelaufbauten mit zwischen den beiden Reihen angeordneten Messvorrichtungen mit anderen als aus D1 bekannten Messprinzipien bekannt seien. Die Argumentation bleibe die gleiche wie zu D1 mit D6, nämlich dass es keiner erfinderischen Tätigkeit bedürfe, in Abhängigkeit dessen, was geprüft werden solle, eine vorhandene Messvorrichtung gegen eine andere, z.B. der aus D6 bekannten, auszutauschen. D8 sei prima facie hoch relevant und daher ins Verfahren zuzulassen.
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Neuheit gegenüber D7
Der "detection space 70" der D7 (Figur 3) sei punktartig ohne jegliche seitliche Führung ausgebildet und könne damit keinen Kanal bilden. Der Durchtrittskanal gemäß Streitpatent (Absatz [0017]) weise hingegen eine Längs- oder Quererstreckung auf.
Der Begriff "einseitig" sei gemäß deutschem Sprachverständnis als "nur auf einer Seite" zu lesen. Der "detection space 70" sei nicht einseitig, sondern auf beiden Seiten offen.
Erfinderische Tätigkeit gegenüber den Kombinationen D1 und D6 bzw. D6 und D1
Die Lehren der D1 und der D6 seien nicht kompatibel. D6 (Figuren 15 und 16) zeige eine einfache Fördertrommel mit einer außerhalb angeordneten Messvorrichtung. D1 (Figur 6) hingegen offenbare einen Trommelaufbau, in dem die stabförmigen Artikel nicht nur queraxial, sondern auch in längsaxialer Richtung bewegt würden. Zur Prüfung würden die Artikel FT mit ihrem Filter gemäß Spalte 13, Zeilen 47 bis 53, von den Schiebestiften 304 gegen die zentrale Trommel 92 gedrückt und gehalten. Zum Zeitpunkt der Messung liege keine Saugluft an, die die Artikel an der Fördertrommel 90, 91 halte, da eine solche bei einer pneumatischen Prüfung störend wäre. All diese konstruktiven Unterschiede hielten einen Fachmann davon ab, die D1 als vielversprechenden Ausgangspunkt für das zu lösende Problem anzusehen bzw. die D1 und die D6 zu kombinieren.
Wollte der Fachmann die Lehre der D6 dennoch auf die D1 (Figur 6) anwenden, müsse er unter anderem die Filterposition der Artikel verändern, um ein Durchführen durch einen Mikrowellenresonator zu gewährleisten, die Saugluftströmung umstrukturieren, die Schiebeelemente abbauen und die Beeinträchtigung nebeneinander liegender Mikrowellenresonatoren berücksichtigen. All diese Modifikationen gingen weit über fachübliche Maßnahmen hinaus.
Auch D6 kombiniert mit D1 führe nicht zur beanspruchten Anordnung bzw. dem beanspruchten Verfahren. Sollte der Fachmann ausgehend von D6 die Prüfungsrate erhöhen wollen und eine Dopplung der in D6, Figur 15, gezeigten Anordnung anstreben, sei die Entscheidung der Einspruchsabteilung korrekt, dass es keinen Anlass gebe, die Aufnahmemulden 16 in der Trommel 12 radial nach außen zu versetzen (Merkmal 1.j).
Zulassung der D8, D8T ins Beschwerdeverfahren
Das Beschwerdeverfahren diene der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung und nicht dem Zweck, den Fall neu zu entscheiden. D8 sei weder prima facie relevant noch relevanter als die Entgegenhaltung D1, da die D8 ebenfalls ein anderes Messprinzip als die D6 offenbare. Weiterhin habe die Einspruchsabteilung mit der Ladung bereits angedeutet, dass keiner der Angriffe zur erfinderischen Tätigkeit greifen würde, so dass D8 bereits erstinstanzlich hätte eingereicht werden können.
1. Neuheit gegenüber D7 - Artikel 54(3) EPÜ
1.1 Die Kammer bestätigt die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass die Ansprüche 1 und 8 wie erteilt neu sind gegenüber D7.
1.2 Umstritten ist vor allem das Merkmal M1.f', wonach die Messvorrichtung einen einseitig offenen Durchtrittskanal für Abschnitte der stabförmigen Artikel aufweist.
1.3 Die Parteien berufen sich auf die D7, Figuren 3 und 4, worin unstrittig eine Messvorrichtung in Form einer Mikrowellen-Detektorstation ("microwave detector station 50") mit einem Erfassungsraum ("detection space or area 70") für die stabförmigen Artikel ("cigarettes 22") offenbart ist. Dieser Erfassungsraum ist sowohl in Förderrichtung der Zigaretten, als auch zu den beiden anderen Seiten hin offen.
1.4 Wie von der Einspruchsabteilung festgestellt, definiert der Begriff "einseitig" im deutschen Sprachgebrauch "genau" oder "nur eine Seite" betreffend. Damit definiert Merkmal 1.f' einen Durchtrittskanal, der nur an einer Seite offen ist. Die Seiten eines Kanals verlaufen dabei parallel zur Förderichtung der stabförmigen Artikel.
Da folglich - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) - der zweiseitig offene Erfassungsraum nicht unter den Wortlaut "einseitig offen" fällt, kann die von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) aufgeworfenen Frage, ob es sich bei dem Erfassungsraum überhaupt um einen Kanal handelt, unbeantwortet bleiben.
1.5 Die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ sind somit erfüllt.
2. Erfinderische Tätigkeit gegenüber D1 und D6
2.1 Die Kammer bestätigt die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass die Ansprüche 1 und 8 wie erteilt auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
2.2 D1 mit D6
2.2.1 Unstrittig unterscheidet sich Anspruch 1 von der D1 zumindest durch die Merkmale M1.f', M1.g und M1.h. Diese Merkmale definieren die Messvorrichtung als eine mit elektromagnetischen Wellen arbeitende Messvorrichtung mit einem einseitig offenen Durchtrittskanal für die stabförmigen Artikel.
2.2.2 Wie von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) vorgetragen, kann die mit diesen Unterschiedsmerkmalen zu lösende Aufgabe darin gesehen werden, die Anordnung der D1 so zu modifizieren, dass die Position von Kapseln in Zigarettenfiltern geprüft werden kann.
2.2.3 Die D6, Figur 15 mit Absatz [0080], offenbart unbestritten eine Trommelanordnung mit einer Messvorrichtung 210, die mit elektromagnetischen Wellen in einem einseitig offenen Durchtrittskanal 236 Kapseln 22 in Zigarettenfiltern 20 prüft.
2.2.4 Die Lehre der D6 ist jedoch entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin (Einsprechende) nicht ohne weiteres auf die Trommelanordnung der D1 anwendbar.
2.2.5 D1 offenbart in Figur 6 eine Prüftrommelanordnung ("inspection drum assembly 23"), die zwei äußere Trommelteile mit Aufnahmemulden ("grooved drums 90, 91") und eine zentrale Trommel ("central drum 92") aufweist. Die Prüfung der stabförmigen Artikel erfolgt pneumatisch, wobei alle drei Trommelteile 90, 91, 92 spezifische Modifikationen zur Ausführung der pneumatische Prüfung aufweisen.
Die äußeren Trommelteile 90, 91 sind spezifisch angepasst, um über eine Kupplung ("coupling 302") mit einem Schiebemechanismus ("moving device 300a, 300b") verbunden werden zu können.
In der zentralen Trommel 92 sind "inspection sockets 104" angeordnet, die über "passages 105" zur Umfangsfläche der Trommel öffnen.
Zur Prüfung werden die Filterzigaretten ("filter cigarettes FT") über den Schiebemechanismus gegen die "inspection sockets 104" der zentralen Trommel 92 gepresst und gehalten (D1, Spalte 13, Zeilen 47 bis 60).
2.2.6 Folglich entnimmt der Fachmann der D1 eine Trommelanordnung, die speziell zur Durchführung einer pneumatischen Prüfung entwickelt wurde und bei der die Bauteile für den Zweck der pneumatischen Prüfung aneinander angepasst sind.
2.2.7 Bei der Lösung der Aufgabe, eine Anordnung zu finden, mit der der Fachmann die Position von Kapseln in Zigarettenfiltern überprüfen kann, gibt es keinen Anlass, den Aufbau der D1 aufgrund der Lehre der D6 zu modifizieren. Vielmehr würde der Fachmann zur Lösung der Aufgabe die Anordnung der D6 als Komplettlösung übernehmen.
Die konstruktiven Unterschiede zwischen der Anordnung der D1 und der der D6, die jeweils auf zwei völlig verschiedene Messprinzipien zurückgeht, legen die Kombination von D1 mit D6 nicht nahe.
2.2.8 Daher ist auch das Argument der Beschwerdeführerin (Einsprechenden), dass, um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen, lediglich die zentrale Trommel und der daran anschließende Prüfaufbau 106, 107 gegen zwei, aus D6 bekannte, Mikrowellenresonatoren auszutauschen wäre, nicht überzeugend und beruht auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
2.2.9 Gleiches gilt für den Verfahrensanspruch 8.
2.3 D6 und D1
2.3.1 Unstrittig unterscheidet sich Anspruch 1 von der D6 durch die zweireihige Förderung der stabförmigen Artikel und durch Merkmal 1.j, wonach die Aufnahmemulden gegenüber der Umfangsfläche des Trommelkörpers der Fördertrommel in radialer Richtung nach außen versetzt ausgebildet sind.
2.3.2 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) geht von der -auch in der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten - technischen Aufgabe aus, die Prüfungsrate in der Anordnung der D1 zu erhöhen.
Zur Lösung der Aufgabe lege D1 eine zweireihige Förderung mit mittig angeordneten Messvorrichtungen und radial nach außen versetzten Aufnahmemulden nahe.
2.3.3 Die Kammer verweist zunächst auf das zum Angriff ausgehend von D1 mit D6 Gesagte. Die konstruktiven Unterschiede zwischen den offenbarten Trommelanordnungen, bedingt durch die völlig verschiedenen Messprinzipien, legen bereits die Kombination von D6 mit D1 nicht nahe.
2.3.4 Im weiteren bestätigt die Kammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung (Punkt 7.1.3, insbesondere Seite 12, Absätze 2 und 3), dass selbst wenn der Fachmann der D1 entnähme, in D6 zur Erhöhung der Prüfrate eine Dopplung der Trommelanordnung der D6 vorzusehen, es noch immer zumindest an Merkmal M1.j fehlt. In D6 sind die Aufnahmemulden 16 in den Trommelkörper versenkt angeordnet. Ein Versetzen der Aufnahmemulden radial nach außen wäre eine unnötige Modifikation, die zur Lösung der Aufgabe nicht erforderlich ist.
2.3.5 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin (Einsprechende) ergibt sich die Aufnahme des Merkmals M1.j nicht zwingend aus der Kombination von D6 mit D1. Der Fachmann entnimmt der D1 aufgrund des unterschiedlichen Prüfaufbaus bzw. Messprinzips nicht einmal zwingend eine Anordnung von Mikrowellenresonatoren zwischen sich gegenüberliegenden Filterzigaretten, da die Zigarettenfilter in D6 den Mikrowellenresonator lediglich durchlaufen und die Zigaretten als Ganzes nicht zusätzlich verschoben und gehalten werden müssen wie in der D1.
2.3.6 Somit ergeben sich bei der Dopplung der Trommelanordnung der D6 konstruktiv mehrere Möglichkeiten, wobei die spezifische, in Anspruch 1 formulierte Lösung ausgehend von D6 in Zusammenschau mit der D1 nicht nahegelegt wird.
2.3.7 Gleiches gilt für den Verfahrensanspruch 8.
2.4 Der Hauptantrag erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.
3. D8, D8T - Artikel 12(6) VOBK 2020
3.1 Die Kammer ließ die erstmals mit der Beschwerdebegründung eingereichte Entgegenhaltung D8 und ihre Übersetzung D8T unter Anwendung des Artikels 12(6) VOBK 2020 nicht ins Beschwerdeverfahren zu.
3.2 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) argumentierte, dass die Einreichung der D8 eine direkte Reaktion auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei, wonach die Trommelanordnungen der D1 und der D6 aufgrund der unterschiedlichen Messprinzipien als nicht kombinierbar angesehen wurden.
3.3 Diese Ansicht bzgl. der Nicht-Kombinierbarkeit der beiden Entgegenhaltungen wurde jedoch bereits von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) in der Einspruchserwiderung (Kapitel V, Punkt 3.1.3) vertreten und von der Einspruchsabteilung in der vorläufigen Meinung vom 28. Mai 2020 (Kapitel IV., Punkt 6.5.1) geteilt. Auch alle anderen Angriffe zur erfinderischen Tätigkeit wurden vorläufig als nicht überzeugend angesehen (vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung, Punkte 6.5.2 und 6.5.3). Daher hätte durchaus Anlass bestanden, die D8 und die D8T bereits erstinstanzlich vorzubringen.
4. Regel 124(1) EPÜ
4.1 Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte, eine bestimmte Aussage der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) bzgl. der Auslegung eines Merkmals in das Protokoll aufzunehmen (Antrag während der mündlichen Verhandlung schriftlich per Email eingereicht, siehe Anlage zum Protokoll). Die Kammer wies diesen Antrag zurück.
4.2 Entsprechend der gängigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA (vgl. 10. Auflage, Kapitel III.C.7.10.2) ist es nicht Zweck der Niederschrift, Erklärungen wiederzugeben, die einem Beteiligten für ein etwaiges späteres Verfahren vor einem nationalen Gericht zu Nutzen erscheinen. Derartige Erklärungen sind nicht im Sinne der Regel 124(1) EPÜ "rechtserheblich" für die Entscheidung.
4.3 Weiterhin ist anzumerken, dass für die vorliegende Entscheidung die von der Kammer vorgenommene Auslegung der Merkmale und nicht die der Parteien relevant ist.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.