T 1084/21 01-02-2024
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KALTGEWALZTES UND REKRISTALLISIEREND GEGLÜHTES STAHLFLACHPRODUKT UND VERFAHREN ZU DESSEN HERSTELLUNG
ThyssenKrupp Steel Europe AG
thyssenkrupp AG
ArcelorMittal
Salzgitter Flachstahl GmbH
I. Das europäische Patent EP 3 204 530 B1 (im Folgenden: das Patent) betrifft ein kaltgewalztes und rekristallisierend geglühtes Stahlflachprodukt mit einer ferritischen Gefügestruktur und ein Verfahren zu seiner Herstellung.
II. Gegen das erteilte Patent wurden zwei Einsprüche eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden unzulässige Erweiterung des Gegenstands der Anmeldung
(Artikel 100 c) EPÜ), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ) geltend gemacht.
III. Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluss,
dass der Einspruchsgrund des Artikels 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents zwar nicht entgegenstehe, - dass wohl aber der Einspruchsgrund des Artikels 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt entgegenstehe,
dass die Hilfsanträge 1 und 2 nicht die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllten,
dass Hilfsantrag 3 die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfülle,
dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 nicht neu sei
dass der Wortlaut von Anspruch 5 gemäß Hilfsantrag 4 aufgrund der Änderung in Anspruch 1 nicht klar sei und
dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 nicht erfinderisch sei.
Daher hat sie entschieden, das Patent zu widerrufen.
IV. Gegen diese Entscheidung haben die Patentinhaberinnen ("die Beschwerdeführerinnen") Beschwerde eingelegt.
V. Anträge
Am Schluss der mündlichen Verhandlung bestand folgende Antragslage:
Die Beschwerdeführerinnen beantragten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in in eingeschränktem Umfang auf Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 3, allesamt eingereicht mit der Beschwerdebegründung, oder gemäß einem der Hilfsanträge 3', 4 bis 6, eingereicht mit dem Schriftsatz vom 14. März 2022, aufrechtzuerhalten.
Betreffend die in der mündlichen Verhandlung per E-Mail eingereichte und an die Ansprüche gemäß Hilfsantrag 6 angepasste Beschreibung V2 erteilten die Beschwerdeführerinnen zudem die Genehmigung, dass folgende Änderung vorgenommen wird:
"Das am Seitenrand abgeschnittene Kästchen auf Seite 6, Absatz [0040], Zeile 13 wird gestrichen und durch den Text "durch das erfindungsgemäße Verfahren herstellbaren" ersetzt".
Die Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 (Einsprechende 1 und Einsprechende 2) beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.
VI. Wortlaut der unabhängigen Ansprüche
a) Hauptantrag
Anspruch 1 lautet (Änderungen im Vergleich zu erteilten Fassung in Fettdruck):
"Kaltgewalztes und rekristallisierend geglühtes Stahlflachprodukt mit ferritischer Gefügestruktur, das aus einem Stahl mit folgender Zusammensetzung besteht (in Gew.-%):
C: 0,0001 - 0,002 %,
Si: 0,001 - 0,025 %,
Mn: 0,05 - 0,20 %,
P: 0,001 - 0,015 %,
Al: 0,02 - 0,055 %,
Ti: 0,01 - 0,1 %,
Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen, wobei der Stahl zusätzlich folgende optionale Legierungselemente enthalten kann:
Cr: 0, 001 - 0,05 %,
V: bis zu 0,005 %,
Mo: bis zu 0,015 %,
N: 0,001 - 0,004 %,
wobei zu den unvermeidbaren Verunreinigungen B, Cu, Nb, Ni, Sb, Sn und S zählen, deren Anteil in Summe höchstens 0,2 Gew.-% ist;
und wobei im Fall der Anwesenheit von Nb, B oder Sb für diese Verunreinigungen gilt:
Sb-Gehalt höchstens 0,001 Gew.-%,
Nb-Gehalt höchstens 0,002 Gew.-% und
B-Gehalt höchstens 0,0005 Gew.-%,
und das eine Dehngrenze Rp0,2 von bis zu 180 MPa,
eine Zugfestigkeit Rm von bis zu 340 MPa,
eine Bruchdehnung A80 von mindestens 40 %,
einen n-Wert von mindestens 0,23
sowie an mindestens einer seiner Oberflächen eine arithmetische Mittenrauheit Ra von 0,8 - 1,6 µm und eine Spitzenzahl RPc von mindestens 75 1/cm aufweist, wobei die die Mittenrauheit Ra und die Spitzenzahl RPc bedingenden, in die Oberfläche eingeformten Vertiefungen und Spitzen stochastisch verteilt vorliegen."
Anspruch 5 lautet:
"Verfahren zur Herstellung eines gemäß einem der Ansprüche 1 bis 4 ausgebildeten Stahlflachprodukts umfassend folgende Arbeitsschritte:
a) Bereitstellen eines walzharten, kaltgewalzten Stahlflachprodukts mit ferritischer Gefügestruktur, das aus einem Stahl mit folgender Zusammensetzung besteht (in Gew.-%):
C: 0,0001 - 0,003 %,
Si: 0,001 - 0,025 %,
Mn: 0,05 - 0,20 %,
P: 0, 001 - 0,015 %,
Al: 0,02 - 0,055 %,
Ti: 0,01 - 0,1 %,
Rest Eisen und unvermeidbare Verunreinigungen, wobei der Stahl zusätzlich folgende optionale Legierungselemente enthalten kann:
Cr: 0,001 - 0,05 %,
V: bis zu 0,005 %,
Mo: bis zu 0,015 %,
N: 0,001 - 0,004 %,
wobei zu den unvermeidbaren Verunreinigungen B, Cu, Nb, Ni, Sb, Sn und S zählen, deren Anteil in Summe höchstens 0,2 Gew.-% ist;
und wobei im Fall der Anwesenheit von Nb, B, oder Sb für diese Verunreinigungen gilt: Sb-Gehalt höchstens 0,001 Gew.-%, Nb-Gehalt höchstens 0,002 Gew.-% und
B-Gehalt höchstens 0,0005 Gew.-%,
b) im kontinuierlichen Durchlauf durch einen Glühofen erfolgendes Wärmebehandeln des Stahlflachprodukts unter einer Glühatmosphäre, die bei einem Taupunkt von -10 °C bis -60 °C aus 1 - 7 Vol.-% H2 und als Rest aus N2 und unvermeidbaren Verunreinigungen besteht,
- wobei das Stahlflachprodukt zum rekristallisierenden Glühen
- bis zu einer Haltetemperatur T1 von 750 - 860 °C aufgeheizt wird,
- bei der Haltetemperatur T1 für eine Zeit t1 von 30 - 90 s gehalten wird,
- wobei das Stahlflachprodukt für eine anschließende Überalterungsbehandlung
- von der Haltetemperatur T1 mit einer Abkühlungsgeschwindigkeit CR1 von 2 - 100 °C/s auf eine Überalterungsstarttemperatur T2 von 400 - 600 °C abgekühlt wird,
- nach dem Abkühlen auf die Überalterungsstarttemperatur T2 über eine Zeit t2 von 30 - 400 s mit einer Abkühlungsgeschwindigkeit CR2 von 0,5 - 12 °C/s auf eine Überalterungsendtemperatur T3 von 250 - 350 °C abgekühlt wird, und
- wobei das Stahlflachprodukt nach dem Abkühlen auf die Überalterungsendtemperatur T3 mit einer Abkühlungsgeschwindigkeit CR3 von 1,5 - 5,0 °C/s auf Raumtemperatur abgekühlt wird;
c) Dressierwalzen des rekristallisierend geglühten Stahlflachprodukts mit einem Dressiergrad D von 0,4 - 0,7 % unter Verwendung einer Dressier-Arbeitswalze, deren mit dem Stahlflachprodukt in Kontakt kommende Umfangsfläche eine arithmetische Mittenrauheit Ra von 1,0 - 2,5 µm und eine Spitzenanzahl RPc von mindestens 100 1/cm besitzt, wobei die die Mittenrauheit Ra und die Spitzenzahl RPc bedingenden, in die Oberfläche der Dressier-Arbeitswalze eingeformten Vertiefungen und Spitzen stochastisch verteilt vorliegen."
b) Hilfsantrag 1
Anspruch 1 entspricht Anspruch 1 gemäß Hauptantrag.
Anspruch 5 entspricht Anspruch 5 gemäß Hauptantrag, wobei das Merkmal hinsichtlich des C-Gehalts an die Definition in Anspruch 1 angepasst wurde:
"C: 0,0001 - 0,00[deleted: 3]2 %".
c) Hilfsantrag 2
Anspruch 1 entspricht Anspruch 1 gemäß Hauptantrag und
Anspruch 5 entspricht Anspruch 5 gemäß Hilfsantrag 1, wobei in beiden Ansprüchen der Maximalgehalt an Si (Silizium) von 0,025% auf 0,015% abgesenkt wurde.
"Si: 0,001 - 0,0[deleted: 2][deleted: 5]15 %".
d) Hilfsantrag 3
Die Ansprüche 1 und 5 entsprechen den Ansprüchen 1 und 5 gemäß Hilfsantrag 2, wobei die Untergrenze der Spitzenzahl RPc in Anspruch 1 von "mindestens 75 1/cm" auf "mindestens 80 1/cm" geändert wurde.
e) Hilfsantrag 3'
Die Ansprüche 1 und 5 entsprechen den Ansprüchen 1 und 5 gemäß Hilfsantrag 3 mit folgender Änderung in Verfahrensanspruch 5:
Erhöhung der Untergrenze für die Spitzenzahl RPc von 100 1/cm auf 110 1/cm.
f) Hilfsantrag 4
Die Ansprüche 1 und 5 entsprechen den Ansprüchen 1 und 5 gemäß Hilfsantrag 3' mit folgenden Änderungen:
i) in Anspruch 1:
Änderung der Mittenrauheit Ra der Oberfläche des Stahlflachprodukts von 0,8-1,6 mym auf 0,9-1,4 mym.
ii) in Anspruch 5:
Änderung der Mittenrauheit Ra der Oberfläche der Dressier-Arbeitswalze von 1,0-2,5 mym auf 1,2-2,3 mym.
g) Hilfsantrag 5
Die Ansprüche 1 und 5 entsprechen den Ansprüchen 1 und 5 gemäß Hilfsantrag 4, wobei in Anspruch 1 die Oberfläche des Stahlflachprodukts durch folgendes weiteres Merkmal charakterisiert wird:
"einen Welligkeitskennwert Wsa von höchstens 0,35 mym, ermittelt gemäß Stahl-Eisen-Prüfblatt SEP 1941 nach 5 % plastischer Dehnung im Marciniak- Tiefungsversuch,"
h) Hilfsantrag 6
Hilfsantrag 6 enthält nur noch Verfahrensansprüche.
Anspruch 1 entspricht Anspruch 5 gemäß Hauptantrag.
VII. Beweismittel
a) Die folgenden von der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung bereits erwähnten Dokumente sind für diese Entscheidung wesentlich:
D1 |Beier, F. et al., "From skin pass to paint - evaluation of measurements of sheet metal waviness and roughness throughout the processing chain", SCT 2014, 15-19 Juni 2014 |
D6 |Fronhoffs, C. et al., "Steel for highest paint appearance quality in automotive application", SCT 2014, 15-19 Juni 2014 |
D8 |Beranger, G. et al., "Le livre de l'acier"Technique & Documentation, 1994, Seiten 1350-1352 |
D9 |Louis, P. et al., "Continuous annealing line of Sollac Ste Agathe" in Development in the Annealing of Sheet Steels, 1992 |
D10 |Taya, K. et al., "Development of the strip temperature control technique for a continuous annealing line" in Development in the Annealing of Sheet Steels, 1992 |
D11 |Blumeneau, M. et al., "Modernization of the continuous annealing line of ThyssenKrupp Steel Europe in Dortmund", Stahl und Eisen, 132 (2012), Nr. 11, Seiten S71-S77 |
D12 |Irie, T. et al., "Development of deep drawable and bake hardenable high strength steel sheet by continuous annealing of extra low-carbon steels with Nb or Ti, and P", The Metallurgical Society of AIME, AIME Annual Meeting 1982|
D13 |Coppin, P. et al., "Atmosphères de traitement thermique", Techniques de l'ingénieur, 10 März 2000, Ref.: M1220 V2 |
D14 |JP 08 337842 |
D14a |Maschinenübersetzung von D14 |
D15 |Ritterbach, B., "Qualitätregelkreis zur Erzeugung definierter Feinblechrauheiten mit verschiedenen Texturierverfahren", Fertigungstechnik, VDI Reihe 2 Nr. 517, 1999 |
D17 |RU 2 366 730 C1 |
D18 |US 5,954,896 |
D19 |Salzgitter Flachstahl GmbH, "Versandanzeige: 85008437/0001662512", 14.07.2014 |
D19a |Salzgitter Flachstahl GmbH, "Versandanzeige: 85069434", 18.08.2014 |
D19b |Salzgitter Flachstahl GmbH, "Messblatt Nr. 1269376", 12.07.2014 |
D19c |DIN Deutsches Institut für Normung e.V., "DIN EN 10152-Elektrolytisch verzinkte kaltgewalzte Flacherzeugnisse aus Stahl zum Kaltumformen" Berlin: Beuth Verlag GmbH, 2009 |
D19d |Salzgitter Flachstahl GmbH, "TC-Prüfkarte Schmelze-Nr.64187" |
D19e |Institut für Eisenhüttenkunde, "Werkstoffkunde Stahl für Studium und Praxis" Mainz: Verlag Mainz, Wissenschaftsverlag, Aachen, 2004, Ed. 2 ISBN: 3-89653-820-9, Seiten 126-129 |
D19f |"Stahlfibel", Düsseldorf: Verlag Stahleisen GmbH, 2007 ISBN: 978-3-514-00741-3, Seiten 120-123 |
D19g |Zimnik, W. et al., "Pretex - Ein neues Verfahren zur Erzeugung texturierter Feinbleche für höchste Ansprüche" Stahl und Eisen, 118, Vol. 3, 16 März 1998, Seiten 75 bis 80 |
D19h |Salzgitter Flachstahl GmbH, "Qualitätsprotokoll Dressierstraße 3, Nr. 0047783/001", 24.06.2014 |
D19h2|D19h mit Walzennummern ungeschwärzt |
D19i |Stahleisen-Berichte, "Spurenelemente in Stählen" Düsseldorf: Verlag Stahleisen mbH, 1985 ISBN: 3-514-00324-6, Seiten 19 bis 22 |
D19j |Dressierschrieb 24. Juni 20014, Auftragsnummer: 0121013009 |
D19k |Salzgitter Flachstahl GmbH, Bericht für Messung 52522 der Walze 9246 |
D19l |Salzgitter Flachstahl GmbH, Bericht für Messung 52522 der Walze 9235 |
D20 |DE 10 2012 017 703 A1 |
D24|Clausmeyer, T. et al., "Phenomenological modeling of anisotropy induced by evolution of the dislocation structure on the macroscopic and microscopic scale", Int J Mater Form (2011) 4, Seiten 141-154 |
D25|Larour, P. et al., "Influence of Strain Rate, Temperature, Plastic Strain, and Microstructure on the Strain Rate Sensitivity of Automotive Sheet Steels", steel research int. 84 (2013), No. 5, Seiten 426-442.|
D1 und D6 sind jeweils Artikel, die auf einer Konferenz vorgestellt worden sind. Die Offenkundigkeit dieser Artikel selbst ist unbestritten.
b) Die Beschwerdegegnerinnen 1 und 2 verweisen in ihren schriftlichen Eingaben im Beschwerdeverfahren zudem zusätzlich auf folgende Dokumente.
Beschwerdegegnerin 1:
D29|Schreiben datiert 18 November 2020 von ThyssenKrupp Steel Europe AG im Einspruchsverfahren zu EP 3 102 348|
D30|Schreiben datiert 2 März 2022 von ThyssenKrupp Steel Europe AG im Einspruchsverfahren zuEP 3 102 348 |
D31|STAHL-EISEN-Prüfblätter (SEP) des Stahlinstituts VDEh, SEP 1941, Mai 2012. |
Beschwerdegegnerin 2:
D28 |Salzgitter Flachstahl GmbH, "Versandanzeige 83314505/0001170540" vom 09.08.2011 |
D28a|Salzgitter Flachstahl GmbH, "Versandanzeige 83401200" vom 06.10.2011 |
D28b|Salzgitter Flachstahl GmbH, "TC Prüfkarte zu Schmelze 40162" |
D28c|Salzgitter Flachstahl GmbH, Auftragsbestätigung vom 14. April 2011 für die Daimler AG|
D32|WO 2014/037545 Al |
D33|STAHL-EISEN-Prüfblätter (SEP) des Stahlinstituts VDEh, SEP 1941, Mai 2012.|
c) Die Beschwerdeführerin reichte mit dem Schriftsatz vom 20. Dezember 2023 zudem folgendes Dokument ein:
D34|J. Zhang et al., "Mathematical Model for Decarburization Process in RH Refining Process, ISIJ International, Vol. 54 (2014), No. 7, Seiten 1560-1569.|
VIII. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beschwerdeführerinnen lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Hauptantrag - Änderungen
Der in Anspruch 1 definierte Bereich für den Kohlenstoffanteil der Stahlzusammensetzung werde in der dem Patent zugrundeliegenden Anmeldung auf Seite 12 im 3. Absatz direkt und unmittelbar offenbart.
b) Hauptantrag - Ausführbarkeit
Ein Fachmann sei aufgrund seines allgemeinen Fachwissens, wie es in D15 belegt werde, in der Lage, ein Stahlflachprodukt mit stochastischer Oberflächenstruktur bereitzustellen. Zudem offenbare das Patent, wie dies mittels Dressierwalzen erfolgen könne.
c) Hauptantrag - Neuheit/erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von dem Blech von D19d dadurch, dass der C-Gehalt niedriger sei und im Bereich von 0,001 bis 0,002 liege.
Kohlenstoff verschlechtere nicht nur das Umformvermögen von Stahl, sondern habe viele unterschiedliche weitere Wirkungen, die zu berücksichtigen seien. Kohlenstoff senke zwar den Schmelzpunkt und erhöhe die Härte, Zugfestigkeit und Sprödigkeit, verringere aber die Schmiedbarkeit, die Bruchdehnung sowie die Eignung zum Schweißen. Die objektive technische Aufgabe der Erfindung liege daher in Anbetracht der Lehre der Absätze [0008] und [0038] darin, den Kohlenstoffgehalt derart einzustellen, dass die Dehngrenze und die Zugfestigkeit für das Dressierwalzen ausreichend hoch seien und gleichzeitig keine zu starke Verfestigung eintrete, die das Umformvermögen verschlechtere.
Zudem belegten die Beispiele des Patents, dass durch einen derartig geringen Kohlenstoffanteil unerwarteter Weise mehrere für eine gute Umformbarkeit wichtige mechanische Eigenschaften optimiert werden könnten.
Weiterhin könne die objektive technische Aufgabe ausgehend von D19d auch dahingehend formuliert werden, ein Stahlflachprodukt bereitzustellen, das auch eine ausreichend hohe Dehngrenze und Zugfestigkeit für das Dressierwalzen aufweise und besser umformbar sei.
Die Bereitstellung eines Stahlbandes mit einem niedrigen C-Gehalts von 0,001 bis 0,002 Gew.-% gemäß Anspruch 1 liege zur Lösung dieser Aufgabe ausgehend von der Vorbenutzung nach D19 nicht nahe.
Einerseits sei es von der punktuellen Offenbarung durch D19 nicht naheliegend, ein Blech mit einem Kohlenstoffgehalt innerhalb eines Bereichs bereitzustellen und dafür eine geeignete Untergrenze sowie Obergrenze zu ermitteln.
Andererseits könne ein derartig niedriger C-Gehalt bekannterweise nur mittels erhöhtem Aufwand erzielt werden (siehe D34) und würde von einem Fachmann daher nicht in Betracht gezogen werden.
Daher liege es nicht nahe, ein Blech gemäß D19d mit einem geringeren C-Gehalt bereitzustellen.
d) Hilfsanträge 1 bis 3, 3', 4 und 5
Der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 und 3' sei aus den für Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dargelegten Gründen nicht naheliegend.
Der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 4 und 5 sei durch die aufgenommenen Parameter weiter von dem Blech nach D19d abgegrenzt.
e) Hilfsantrag 6 - Zulassung
Der zum Widerruf des Patents führende Einwand ausgehend von der Vorbenutzung nach D19 betreffe lediglich die Produktansprüche 1 bis 4 wie erteilt, da die Vorbenutzung nach D19 lediglich ein Stahlbandflachprodukt offenbare.
Der in den Ansprüchen des Hilfsantrags 6 definierte Gegenstand sei nur noch auf das erfindungsgemäße Verfahren beschränkt. Hilfsantrag 6 räume daher den in der angefochtenen Entscheidung erhobenen Grund für den Widerruf des Patents aus.
Aufgrund der Streichung der Produktansprüche erübrige sich auch eine Diskussion der weiteren Vorbenutzungen nach D27 oder D28.
Die verbleibenden Einwände in Bezug auf die Verfahrensansprüche blieben von der Streichung der Produktansprüche unberührt. Die Streichung der Produktansprüche sei daher verfahrensförderlich und werfe auch keine neuen Streitfragen auf.
Die Streichung der Produktansprüche bzw. die Streichung des Rückbezugs darauf im verbleibenden Verfahrensanspruch erweitere auch nicht den beanspruchten Gegenstand über den Schutzbereich des Patents wie erteilt hinaus, denn im beanspruchten Verfahren werde ein Stahlbandflachprodukt eingesetzt, das exakt die gleiche chemische Zusammensetzung aufweise wie die in Anspruch 1 wie erteilt definierten Stahlbandflachprodukte.
f) Hilfsantrag 6 - Zulassung des Einwands unter Artikel 123(3) EPÜ
In Erwiderung auf die Einreichung des Hilfsantrags 6 habe keine der Beschwerdegegnerinnen im Rahmen ihrer in Reaktion darauf eingereichten Schriftsätze einen Einwand unter Artikel 123(3) EPÜ erhoben. Es lägen keine besonderen Umstände vor, einen derartigen Einwand erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zu erheben. Ohnehin sei der Einwand auch nicht prima facie relevant, denn das Verfahren nach Anspruch 1 führe zwangsläufig zu einem Stahlbandflachprodukt mit einer chemischen Zusammensetzung gemäß Anspruch 1 wie erteilt.
g) Hilfsantrag 6 - erfinderische Tätigkeit
Ein fertiges Stahlbandflachprodukt, wie es aus der Vorbenutzung nach D19 bekannt sei, liefere keinen Hinweis darauf, mit welchen konkreten Verfahrensschritten dieses vorbekannte Produkt hergestellt worden sei bzw. hergestellt werden könne. Insbesondere bestehe keine Veranlassung dafür, ein bestimmtes Glühverfahren oder ein bestimmtes Dressierverfahren nach einem der weiterhin zitierten Dokumente einzusetzen. Ohnehin offenbare keines der zitierten Dokumente zumindest einen der Verfahrensschritte nach Anspruch 1 vollständig im Detail.
Ausgehend von der Vorbenutzung nach D19 sei der Gegenstand von Anspruch 1 daher nicht naheliegend.
Auch die übrigen von den Beschwerdegegnerinnen zitierten Dokumente offenbarten weder die Bereitstellung eines Stahlblechs gemäß Verfahrensschritt a) noch ein konkretes Glühen oder Dressieren gemäß einem der Verfahrensschritte b) oder c) von Anspruch 1.
Die verspätet geltend gemachten Vorbenutzungen nach D27 und D28 seien zudem nicht belegt und auch nicht relevanter als die nach D19.
h) Anpassung der Beschreibung
Durch die Einfügung der Wortfolge "durch das erfindungsgemäße Verfahren herstellbare" werde klargestellt, dass die Erfindung nur noch das Verfahren betreffe und nicht mehr das Stahlflachprodukt als solches.
IX. Das entsprechende Vorbringen der beiden Beschwerdegegnerinnen lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Hauptantrag - Änderungen
Eine direkte und unmittelbare Offenbarung des in Anspruch 1 definierten Bereichs für den C-Gehalt finde sich in der ursprünglichen Anmeldung nicht. Die Offenlegungsschrift offenbare die Endpunkte des beanspruchten C-Gehalts nur einmalig und nur getrennt, also nicht in Form eines Bereichs gemäß Anspruch 1.
b) Hauptantrag - Ausführbarkeit
Das Patent beschreibe in Absatz [0035], dass eine stochastische Oberflächentextur durch Känale zwischen den Tälern und Bergen charakterisiert werde. Das Patent vermittle dem Fachmann aber nicht, wie diese Kanäle bewusst hergestellt und modifiziert werden könnten. Insbesondere ergäben sich bei Verwendung des Pretex Verfahrens nach eigener Aussage der Patentinhaberin keine derartigen Mikrokanäle.
c) Hauptantrag - Neuheit/erfinderische Tätigkeit
Das Blech der Vorbenutzung nach D19 weise einen
C-Gehalt auf, der im Rahmen der Messgenauigkeit in dem in Anspruch 1 definierten Bereich liege bzw. so nahe am beanspruchten Bereich liege, dass er als gleich betrachtet werden könne.
Sollte sich der Gegenstand von Anspruch 1 von dem Blech von D19d dadurch unterscheiden, dass der C-Gehalt niedriger sei und im Bereich von 0,001 bis 0,002 liege, so sei der beanspruchte Gegenstand naheliegend.
Der Einfluss von Kohlenstoff auf die mechanischen Eigenschaften eines Stahlbandes und damit auf das Umformvermögen sei dem Fachmann bekannt. Dies werde insbesondere durch D26 belegt. Es liege daher ausgehend von D19 auf der Hand, ein Stahlband mit einem niedrigeren C-Gehalt bereitzustellen, um die Umformbarkeit zu verbessern.
Die Beispiele des Patents lieferten keinen Beleg dafür, dass durch einen geringen C-Gehalt unerwarteter Weise mehrere für eine gute Umformbarkeit wichtige mechanische Eigenschaften optimiert werden könnten, da sich die Legierungszusammensetzung der darin eingesetzten Stähle nicht nur im C-Gehalt unterscheide.
d) Hilfsanträge 1 bis 3, 3', 4 und 5
Die Hilfsanträge 2, 3, 3', 4 und 5 seien nicht in das Verfahren zuzulassen, da sie teilweise nur bedingt gestellt worden seien. Zudem seien diese Anträge nicht substantiiert, da beim Einreichen dieser nicht dargelegt worden sei, wie diese den Einwand in Bezug auf D19 ausräumen könnten.
Der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 3, 3', 4 und 5 sei jeweils nicht weiter von dem Blech von D19 abgrenzt als der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags. Das Blech nach D19 erfülle die in Anspruch 1 jeweils aufgenommenen Merkmale (z.B. Si-Gehalt, arithmetische Mittenrauheit und der Welligkeitskennwert Wsa) bei Anwendung der üblichen Rundungskonvention.
e) Hilfsantrag 6 - Zulassung
Hilfsantrag 6 hätte bereits im Einspruchsverfahren eingereicht werden können.
Zudem sei der Wortlaut des Anspruchs 1 bereits in einem Hilfsantrag im Rahmen des Einspruchsverfahren eingereicht, aber dort nicht mehr weiterverfolgt worden.
Im Übrigen werfe der geänderte Wortlaut des Verfahrensanspruchs 1 neue Probleme hinsichtlich der Erfordernisse nach Artikel 123(3) EPÜ auf. Durch die Streichung des Rückverweises auf die Produktansprüche sei die chemische Zusammensetzung des mit dem beanspruchten Verfahren hergestellten Stahlbandflachprodukts nicht mehr auf die in Anspruch 1 wie erteilt definierten Produkte beschränkt. Daraus resultiere eine Erweiterung des Schutzbereichs im Vergleich zur erteilten Fassung.
f) Hilfsantrag 6 - Zulassung des Einwands unter Artikel 123(3) EPÜ
Die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ seien immer zu prüfen. Der Einwand unter Artikel 123(3) EPÜ stelle
auch kein neues Vorbringen dar, sondern lediglich ein neues Argument, das vgl. die Entscheidungen T604/01 (Punkt 6 der Entscheidungsgründe) und T1914/12 (Punkt 7.1.3 der Entscheidungsgründe) immer vorgebracht werden könne. Der Einwand stelle zudem eine Reaktion gemäß Artikel 13(3) VOBK auf das verspätete Vorbringen des Hilfsantrags 6 dar und sei bereits deshalb zu berücksichtigen.
g) Hilfsantrag 6 - erfinderische Tätigkeit
Ausgehend von einem der Dokumente D1, D6, D20 und D24 oder einer der Vorbenutzungen nach D19 oder D27 sei es naheliegend, ein Blech gemäß den Vorgaben in Anspruch 1 rekristallisierend zu glühen und zu dressieren, da die jeweiligen Verfahrensschritte fachüblich seien. Diese Ansicht werde durch die weiteren zitierten Dokumente gestützt. D8 bis D13 belegten, dass der Fachmann entsprechende rekristallisierende Glühverfahren kenne. D14, D15, D17 und D18 offenbarten entsprechende Dressierverfahren.
h) Anpassung der Beschreibung
Durch die Einfügung der Wortfolge "durch das erfindungsgemäße Verfahren herstellbare" werde nicht klargestellt, dass die Erfindung nur noch das Verfahren betreffe, denn die Wortfolge könne als "product-by-process" Formulierung verstanden werden. Weiterhin enthalte die angepasste Beschreibung viele Bezüge zu erfindungsgemäßen Zusammensetzungen, mechanischen Eigenschaften und Oberflächentexturen der Stahlflachprodukte. Diese Bezüge vermittelten weiterhin den Eindruck, dass die Erfindung auf die Stahlflachprodukte abziele.
1. Hauptantrag - Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
Die dem Patent zugrundeliegende Anmeldung wie ursprünglich eingereicht (Bezug genommen wird in Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten auf die entsprechende Offenlegungsschrift der Internationalen Anmeldung: WO 2016/055227 A1, "die Anmeldung") offenbart auf Seite 12, 3. Absatz:
"Der C-Gehalt des erfindungsgemäßen Stahlflachprodukts beträgt 0,0001 - 0,003 Gew.-%. C ist unvermeidbar in der Stahlschmelze enthalten, so dass C-Gehalte von mindestens 0,0001 Gew.-% stets in einem erfindungsgemäßen Stahl feststellbar sind. Ein C-Gehalt oberhalb von 0,003 Gew.-% verschlechtert jedoch das angestrebte Umformvermögen durch einen zu starken Verfestigungsbeitrag des Kohlenstoffs. Dies kann dadurch sicher verhindert werden, dass der C-Gehalt auf 0,002 Gew.-% oder weniger abgesenkt wird."
Aus dieser Offenbarung der Anmeldung, wonach das Stahlflachprodukt einen Kohlenstoffanteil von 0,0001 - 0,003 Gew.-% aufweisen soll, Kohlenstoff ohnehin unvermeidbar in der Stahlschmelze enthalten ist und
C-Gehalte von mindestens 0,0001 Gew.-% stets feststellbar sind, folgt in Kombination mit der weiteren Aussage, wonach der C-Gehalt auf 0,002 Gew.-% oder weniger abgesenkt wird, direkt und unmittelbar, dass der C-Gehalt des erfindungsgemäßen Stahlflachprodukts 0,0001 - 0,002 Gew.-% betragen kann.
Auch wenn diese direkte und unmittelbare Offenbarung zu dem C-Gehalt in der ursprünglichen Anmeldung nur einmalig erfolgt, ist der nun beanspruchte Gegenstand nichtsdestotrotz in der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht beschrieben.
Die Änderung in Anspruch 1 erfüllt daher die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ.
2. Hauptantrag - Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
2.1 Die Beschwerdegegnerinnen haben im erstinstanzlichen Verfahren im Wesentlichen geltend gemacht, ein Stahlfachprodukt mit einer stochastischen Verteilung der in die Oberfläche eingeformten Vertiefungen und Spitzen müsse Mikrokanäle in der Oberflächentextur aufweisen. Wie diese Mikrokanäle herzustellen und zu dimensionieren sind, werde im Patent nicht offenbart.
2.2 Die Einspruchsabteilung teilte die Auffassung der Beschwerdeführerinnen, dass ein Fachmann in der Lage sei, ein Stahlflachprodukt mit stochastischer Oberflächenstruktur bereitzustellen. Die Einspruchsabteilung hat in Bezug auf die Anmeldeunterlagen in der angefochtenen Entscheidung festgestellt (Punkt II.1.3 Entscheidungsgründe), dass das Patentschrift offenbare, wie ein Stahlflachprodukt mit stochastischer Oberflächenstruktur hergestellt werden könne.
Diese Ansicht der Einspruchsabteilung wird von den Beschwerdegegnerinnen nicht in Frage gestellt.
2.3 Die Einspruchsabteilung stellte zudem fest, dass es sich aus den stochastisch verteilten Vertiefungen und Spitzen zwangsläufig ergebe, dass sich Mikrokanäle zwischen den Bergen und Tälern auftun, so wie dies in dem die Seiten 10 und 11 überspannenden Absatz der Anmeldung und in Absatz [0035] des Patents beschrieben werde.
2.4 Die Kammer sieht keinen Grund, der in dieser Frage ein Abweichen von der Feststellung der Einspruchsabteilung rechtfertigen könnte.
Insbesondere liefern die Ausführungen in Absatz [0035] des Patents dazu keine Veranlassung. Dort beschreibt das Patent, dass sich bei unregelmäßigen Oberflächenstrukturen wie einer stochastischen Oberflächentexturierung Mikrokanäle zwischen den Bergen und Tälern der Oberflächentextur auftun. Diese bieten gemäß der Lehre des Patents etwaige Vorteile beim weiteren Einsatz der Stahlbleche. Allerdings definiert weder Anspruch 1, noch wird dies durch die Offenbarung in Absatz [0035] zwingend vorgeschrieben, dass derartige Mikrokanäle eine bestimmte Ausdehnung haben oder gezielt hergestellt werden müssen.
Die Erklärungen der Vorteile einer stochastischen Oberflächentextur in Bezug auf den Einsatz von Schmierstoff in Absatz [0035] generieren keine Zweifel, dass ein Fachmann eine stochastische Oberflächentexturierung mit einem der gängigen Verfahren (SBT, EDT, PRETEX, siehe D15, Seite 58, Bild 36) herstellen kann und damit aufgrund seines allgemeinen Fachwissens in der Lage ist, ein Stahlflachprodukt nach Anspruch 1 herzustellen. Die EDT-Technik (Electro-Discharge Texturing) wird in Absatz [0068] des Patents explizit als zur Etablierung der erfindungsgemäßen Oberflächenstruktur der Dressierwalze angegeben. Etwaige Aussagen der Patentinhaberinnen zum angeblichen Nicht-Vorhandensein von Mikrokanälen beim Pretex-Verfahren sind daher auch deshalb nicht entscheidungsrelevant.
Der Hauptantrag erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.
3. Hauptantrag - Neuheit/erfinderische Tätigkeit
3.1 Das Anlagenkonvolut D19-D19l beschreibt soweit unstreitig eine Vorbenutzung eines elektrolytisch verzinkten Stahlblechs, Charge 47783002, das von SZFG Salzgitter AG letztendlich an Skoda Auto A.S. versandt wurde. Ebenso unstreitig weist das Stahlblech nach D19d alle Merkmale des Stahlflachprodukts von Anspruch 1 mit Ausnahme des C-Gehalts auf.
Gemäß D19d hat der eingesetzte DC06 Stahl einen C-Gehalt von 0,0027%.
Im Folgenden wird diese durch das Anlagenkonvolut D19-D19l unstreitig belegte Vorbenutzung eines Stahlblechs zusammengefasst als "Vorbenutzung nach D19" adressiert, wenn nicht spezielle Aspekte eines einzelnen Beweismittels eine konkretere Benennung erforderlich machen.
Der Kohlenstoffgehalt (C-Gehalt) des Blechs der Vorbenutzung nach D19 liegt außerhalb des in Anspruch 1 angegebenen Bereichs von 0,0001 bis 0,002%, selbst wenn man die von den Beschwerdegegnerinnen adressierte übliche Rundungskonvention gemäß ständiger Rechtsprechung (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel I.C.5.2.2) berücksichtigt.
Zwar mag der in D19d gemessene C-Gehalt nur 3ppm höher liegen als die obere Fehlergrenze für den Grenzwert 0,002%, d.h. 0,0024%. Nichtsdestotrotz liegt der gemessene Wert außerhalb des beanspruchten Bereichs.
Dieser Unterschied ist auch nicht vernachlässigbar gering, denn für Stähle ist eine präzise Justierung des C-Gehalts fachüblich. Dies wird auch im Patent selbst bestätigt, denn in Tabelle 1 werden die C-Gehalte für die Stähle S1 bis S6 im ppm Bereich angegeben. Zudem bestätigt auch der Prüfbericht D19d, dass die Messungen von Bestandteilen im ppm Bereich üblich, präzise und technisch unproblematisch erfolgt.
3.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von dem Blech der Vorbenutzung nach D19 folglich dadurch, dass der C-Gehalt im Bereich von 0,001 bis 0,002 liegt und erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ.
3.3 Das Patent offenbart in Absatz [0038], dass der
C-Gehalt einen positiven Einfluss auf die Umformbarkeit aufweist:
"Ein C-Gehalt oberhalb von 0,003 Gew.-% verschlechtert jedoch das angestrebte Umformvermögen durch einen zu starken Verfestigungsbeitrag des Kohlenstoffs. Dies kann dadurch sicher verhindert werden, dass der C-Gehalt auf 0,002 Gew.-% oder weniger abgesenkt wird."
Basierend auf diesem im Patent für den C-Gehalt beschriebenen Effekt hat die Einspruchsabteilung in Punkt II.9.5.4 ihrer Entscheidung in Übereinstimmung mit ständiger Rechtsprechung (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel I.D.4.2.2) die objektive technische Aufgabe in Anlehnung an die im Patent genannte Aufgabe dahingehend formuliert, "die Umformung zu vereinfachen", also ein Stahlblech mit verbesserten Umformeigenschaften bereitzustellen.
3.4 Diese Problemstellung wird von den Beschwerdeführerinnen in Frage gestellt. Ihrer Ansicht nach liege der technische Effekt des Legierungselements Kohlenstoff nicht lediglich allgemein in einer "Verschlechterung" des Umformvermögens, sondern habe viele unterschiedliche weitere Wirkungen.
Kohlenstoff
- senke den Schmelzpunkt
- erhöhe die Härte, Zugfestigkeit und Sprödigkeit
- verringere die Schmiedbarkeit, Bruchdehnung und
Eignung zum Schweißen.
3.5 Die objektive technische Aufgabe der Erfindung liege daher gemäß einer ersten Argumentationslinie darin, den Kohlenstoffgehalt derart einzustellen, dass die Dehngrenze und die Zugfestigkeit für das Dressierwalzen ausreichend hoch sind (vgl. Absatz [0008] des Patents) und gleichzeitig keine zu starke Verfestigung eintritt, die das Umformvermögen verschlechtern würde (vgl. Absatz [0038] des Patents).
Die Formulierung dieser Aufgabe ist in Hinblick auf das Stahlblech der Vorbenutzung nach D19 nicht überzeugend, denn das Stahlblech von D19d weist schon eine ausreichend hohe Dehngrenze und Zugfestigkeit für das Dressierwalzen auf. Weiterhin enthält die von den Beschwerdeführerinnen formulierte Aufgabe einen Hinweis auf die Lösung der Aufgabe (Einstellung des C-Gehalts), was gemäß ständiger Praxis der Beschwerdekammern zu vermeiden ist.
3.6 Weiterhin belegen die Ausführungsbeispiele des Patents auch entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen keinen besonderen, unerwarteten Vorteil in Bezug auf die Umformbarkeit, die sich aus einer Optimierung der für die Umformbarkeit kritischen mechanischen Eigenschaften, insbesondere der Dehngrenze Rp0,2, der Zugfestigkeit Rm, der Bruchdehnung A80 und des n-Werts aufgrund des reduzierten C-Gehalts ableiten ließe.
3.6.1 Das Patent offenbart in Tabelle 1 alternative Stahlzusammensetzungen wie z.B. den Stahl S4 mit einem gerundeten C-Gehalt von über 0,002 Gew.-% und die Stähle S1, S2, S5 und S6 mit jeweils einem C-Gehalt von gleich oder unter 0,002 Gew.-%. Die Stähle S4 und S1 bis S3 werden in den Ausführungsbeispielen des Patents äquivalent zur Herstellung als erfindungsgemäß bezeichneter Bänder B1, B2, B4-B7, B9 und B10 eingesetzt, siehe die letzte Spalte der Tabelle 2. Diese als erfindungsgemäß bezeichneten Bänder B1, B2, B4-B7, B9 und B10 erfüllen alle die Erfordernisse des Anspruchs 1 an die für eine gute Umformbarkeit kritischen mechanischen Eigenschaften (Dehngrenze Rp0,2, Zugfestigkeit Rm, Bruchdehnung A80, n-Wert). Ein unmittelbarer Hinweis darauf, dass durch den Einsatz einer bestimmten Stahlsorte verschiedenste, für eine gute Umformbarkeit wichtige mechanische Parameter optimiert werden können, wird daher in Tabelle 2 des Patents nicht präsentiert.
3.6.2 Eine von den Beschwerdeführerinnen postulierte unerwartete Optimierung der mechanischen Eigenschaften ist auch nicht bei einer detaillierten Betrachtung der in den Tabellen 1 und 2 des Patents zusammengefassten experimentellen Daten ableitbar.
Zwar kann bei einem Vergleich der mechanischen Eigenschaften festgestellt werden, dass die Bänder B9 und B10 aus der Stahlsorte S6 mit dem geringsten
C-Gehalt bessere, für die Umformbarkeit relevante mechanische Eigenschaften (Dehngrenze Rp0,2, Zugfestigkeit Rm, Bruchdehnung A80, n-Wert) aufweisen als die Bänder B6 und B7 aus der Stahlsorte S4 mit einem C-Gehalt von 0,0025 Gew.-%.
Diese vermeintlich beobachtbare kombinierte Verbesserung mehrerer Parameter in Abhängigkeit des
C-Gehalts wird durch die weiteren Daten allerdings nicht gestützt.
Die in Tabelle 1 des Patents aufgelisteten Stahlzusammensetzungen S1 bis S6 unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihres C-Gehalts, sondern auch maßgeblich hinsichtlich ihrer weiteren Legierungsbestandteile.
Vergleicht man beispielsweise die Stähle S6 und S4, so weist der Stahl S6 nicht nur einen im Vergleich zu Stahl S4 reduzierten C-Gehalt auf. Der Stahl S6 unterscheidet sich vielmehr auch in Bezug auf den Anteil der übrigen Legierungsbestandteile und enthält im Gegensatz zu S4 beispielsweise kein Chrom, Niob, Vanadium und Molybdän.
Die Unterschiede in der Legierungszusammensetzung in Bezug auf die weiteren Legierungsbestandteile in den Stählen S1 bis S6 sind um ein Vielfaches größer als der geringe Unterschied im C-Gehalt, vergleiche beispielsweise Stahl S6 und S4 (Unterschied Gesamtanteil Cr, Nb, V, Mo: 0,035 %, Unterschied
C-Gehalt: 0,009 %)
D26 belegt in Tafel 3, dass diese weiteren Legierungsbestandteile (Cr, Nb, V, Mo) wie auch der Kohlenstoff einen Einfluss auf die für eine gute Umformbarkeit wichtigen mechanischen Eigenschaften aufweisen.
Aufgrund dieser Vielzahl von Unterschieden in den Mengen der Legierungsbestandteile der Stahlzusammensetzungen S1 bis S6 erlauben die Beispiele des Patents keinen Rückschluss darauf, dass ein Stahlband mit einem im Vergleich zu dem Band der Vorbenutzung nach D19 reduzierten C-Gehalt eine unerwartete Kombination mechanischer Eigenschaften aufweist.
3.6.3 Selbst wenn man um des Argumentes willen hinsichtlich der Legierungszusammensetzung nur auf den C-Gehalt fokussiert, zeigen die Beispiele des Patents nicht, dass die Dehngrenze Rp0,2, Zugfestigkeit Rm, Bruchdehnung A80 und der n-Wert stets durch den niedrigeren C-Gehalt in gleicher Weise positiv beeinflusst werden.
Vielmehr belegen die Beispiele, dass die mechanischen Eigenschaften der erfindungsgemäßen Bleche der Tabelle 2 des Patents bereits in einer Größenordnung variieren, die eine vermeintliche Verbesserung zeigen sollen, obwohl der C-Gehalt gleich ist, siehe z.B. den n-Wert für die Bänder B4 und B5, den A80 Wert für die Bänder B1 und B2. In anderen Fällen sind die mechanischen Eigenschaften andererseits nahezu identisch, obwohl der C-Gehalt variiert, siehe die Dehngrenze Rp0,2 für die Bänder B2 und B5 und die Zugfestigkeit Rm für die Bänder B1 und B5.
3.6.4 Daher rechtfertigen die experimentellen Daten im Patent keine Formulierung einer anspruchsvolleren Aufgabe im Sinne der Erzielung eines Stahlbandes mit optimierten oder überraschend guten Umformeigenschaften.
3.7 Unter Bezugnahme auf die Absätze [0008] und [0038] des Patents kann die objektive technische Aufgabe ausgehend von D19 in Übereinstimmung mit einer weiteren Argumentationslinie der Beschwerdeführerinnen dahingehend formuliert werden, ein Stahlflachprodukt bereitzustellen, das auch eine ausreichend hohe Dehngrenze und Zugfestigkeit für das Dressierwalzen aufweist, aber besser umformbar ist.
3.8 Allerdings führt eine derartige Umformulierung der objektiven technischen Aufgabe nicht zu einer im Vergleich zur Begründung in der angefochtenen Entscheidung anderen Schlussfolgerung in Bezug auf das Naheliegen der Lösung gemäß Anspruch 1 für diese Aufgabe.
Dem Fachmann weiß um den Einfluss des C-Gehalts auf die mechanischen Eigenschaften, insbesondere auf die Dehngrenze, Zugfestigkeit und die Umformbarkeit, siehe beispielsweise die Tafel 3 auf Seite 62 von D26.
Dem Fachmann ist mithin bekannt, und er ist im Rahmen seines routinemäßigen Handelns damit vertraut, dass sich nicht alle gewünschten Eigenschaften gleichzeitig erzielen lassen, und dass es bei der Einstellung der Legierungselemente in den meisten Fällen um die Lösung eines Zielkonfliktes geht.
Aufgrund der seit langen bekannten Einflüsse einzelner Legierungsbestandteile auf die Eigenschaften von Stahl liegt es für einen Fachmann folglich im Rahmen seines üblichen routinemäßigen Vorgehens, einzelne Legierungsbestandteile und insbesondere den C-Gehalt geringfügig anzupassen, um für einen bestimmten Einsatzzweck eine optimale Kombination der bekannterweise beeinflussbaren Eigenschaften zu erzielen.
Ausgehend von dem Stahlblech der Vorbenutzung nach D19 und in Hinblick auf die objektive technische Aufgabe liegt es daher unter Berücksichtigung des in D26 in Tafel 3 zusammengefassten Fachwissens auf der Hand, ein Blech mit marginal reduziertem C-Gehalt bereitzustellen, um ein Blech mit zumindest geringfügig verbesserter Umformbarkeit zu erhalten.
Eine drastische Verschlechterung der weiteren Eigenschaften wie der Dehnbarkeit und der Zugfestigkeit des Stahlblechs ist im Rahmen routinemäßiger, geringfügiger Änderungen des Gehalts eines Legierungsbestandteils nicht zu erwarten. Das Stahlblech der Vorbenutzung nach D19 weist eine Dehngrenze Rp0,2 von 138 MPa und eine Zugfestigkeit Rm von 290 MPa auf. Sowohl die Dehngrenze als auch die Zugfestigkeit liegt daher nicht unmittelbar im Randbereich der in Anspruch 1 definierten Bereiche dieser Parameter.
Ob durch eine geringfügige Reduzierung des C-Gehalts die Dehngrenze und Zugfestigkeit noch erwartungsgemäß in dem in Anspruch 1 definierten Bereich liegt und weiterhin ausreichend hoch für das Dressierwalzen ist, lässt sich im konkreten Fall routinemäßig anhand einfacher Versuche verifizieren.
Ausgehend von der Vorbenutzung nach D19 ist daher die Bereitstellung eines Stahlblechs mit einem im Vergleich dazu geringfügig reduzierten C-Gehalt von 0,001 bis 0,002 naheliegend, wenn die Umformbarkeit sichergestellt werden soll.
3.9 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerinnen sind ausgehend von der Vorbenutzung nach D19 dazu auch nicht folgende drei Schritte notwendig:
1) Abkehr von einem exakten Wert für den
C-Gehalt (C=0,0027%) hin zu einem Bereich mit Ober- und Untergrenze für den C-Gehalt
2) Ermitteln einer geeigneten Untergrenze für den
C-Gehalt
3) Ermitteln einer geeigneten Obergrenze für den
C-Gehalt
Für die Frage des Naheliegens ist schließlich nur zu beurteilen, ob ein Fachmann in naheliegender Art und Weise einen bekannten Gegenstand so modifizieren würde, dass er unter den im Anspruch 1 definierten Gegenstand fällt, und nicht, ob ein Fachmann den Anspruchswortlaut in naheliegender Art und Weise formulieren würde.
3.10 Die Beschwerdeführerinnen argumentierten weiterhin, dass es für einen Fachmann ausgehend von der Vorbenutzung nach D19 nicht naheliegend sei, ein Blech aus einer Stahlzusammensetzung mit reduzierten C-Gehalt bereitzustellen, da eine entsprechende Zusammensetzung nur unter erhöhtem Aufwand mittels Sekundärmetallurgie herstellbar sei. Beispielsweise könne es nötig sein, eine Stahlschmelze für einen bestimmten Zeitraum unter Vakuum zu erhitzen, wie D34, Figur 4 belege.
Dieses Argument überzeugt ebenfalls nicht.
Auch wenn die im Anspruch 1 definierten geringen
C-Gehalte nur unter bestimmten Bedingungen im Rahmen der Sekundärmetallurgie erzielt werden können, so sind die dafür erforderlichen Verfahrensschritte nichtsdestotrotz dem Fachmann wie auch von den Beschwerdeführerinnen selbst mit Verweis auf D34 dargelegt, hinlänglich bekannt und werden fachüblich eingesetzt, um Stahlsorten mit bestimmten mechanischen Eigenschaften zu erzielen. Ein Kohlenstoffgehalt von 0.002% ist für einen DC06 Stahl (wie er auch in D19 verwendet wird) nicht ungewöhnlich (siehe D25, Tabelle 1).
Die Notwendigkeit, etwaige Verfahrensschritte aus dem Bereich der Sekundärmetallurgie länger einzusetzen oder überhaupt erst einzusetzen, stellt für den Fachmann daher gerade kein Hindernis dar, diesen Weg einzuschlagen. Im Gegenteil belegt das beispielsweise von D34 in Figur 4 bestätigte Fachwissen zur Sekundärmetallurgie, dass ein Fachmann keinerlei technische Schwierigkeiten erwartet, wenn er auf ein Blech abstellt, das im Vergleich zu dem aus der Vorbenutzung nach D19 bekannten Blech einen um einige Promille reduzierten Kohlenstoffanteil aufweist.
3.11 Zusammenfassend gelangt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von der Vorbenutzung nach D19 naheliegend ist und daher die Erfordernisse nach Artikel 56 EPÜ nicht erfüllt.
4. Hilfsanträge 1 bis 3 und 3' - erfinderische Tätigkeit
Es ist unbestritten, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 und 3' jeweils von dem aus der Vorbenutzung nach D19 bekannten Blech ebenfalls wie Anspruch 1 des Hauptantrags nur durch den C-Gehalt unterscheidet. Daher gelten in Bezug auf diese Hilfsanträge im Einvernehmen mit dem Vorbringen der Verfahrensbeteiligten die gleichen Argumente wie für Anspruch 1 gemäß Hauptantrag.
Der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 und 3' ist folglich ausgehend von der Vorbenutzung nach D19 naheliegend und erfüllt schon nicht die Erfordernisse nach Artikel 56 EPÜ. Eine weitere Diskussion zur Zulässigkeit dieser Anträge kann mithin dahingestellt bleiben.
5. Hilfsanträge 4 und 5 - erfinderische Tätigkeit
Die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 aufgenommene arithmetische Mittenrauheit Ra von 0,9 - 1,4 µm wird von der Vorbenutzung nach D19 bei Anwendung der üblichen Rundungskonvention erfüllt, siehe D19d:
Ra_o = 1,42 µm.
Gemäß Absatz [0037] der Patentschrift stellt eine Spitzenzahl auf mindestens 75 1/cm sicher, "dass der Wsa-Wert eines erfindungsgemäßen Stahlflachprodukts nicht über 0,40 µm, insbesondere nicht über 0,35 µm steigt". Die Spitzenzahl des Blechs der Vorbenutzung nach D19 liegt bei 80 bzw. 83 (Pc_u bzw. Pc_o). Damit ist gemäß der Lehre des Streitpatents sichergestellt, dass der Welligkeitskennwert Wsa des Blechs der Vorbenutzung nach D19, wie von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 5 zusätzlich gefordert, höchstens bei 0,35 µm liegt.
Der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 4 und 5 ist mithin ebenfalls nicht weiter von dem aus der Vorbenutzung nach D19 bekannten Blech abgrenzt als Anspruch 1 gemäß Hauptantrag. Daher gelten in Bezug auf diese Hilfsanträge ebenfalls die gleichen Argumente wie für Anspruch 1 gemäß Hauptantrag.
Der Gegenstand von Anspruch 1 der Hilfsanträge 4 und 5 ist folglich ausgehend von der Vorbenutzung nach D19 naheliegend und erfüllt schon nicht die Erfordernisse nach Artikel 56 EPÜ. Eine weitere Diskussion zur Zulässigkeit dieser Anträge kann daher dahingestellt bleiben.
6. Hilfsantrag 6 - Zulassung
6.1 Hilfsantrag 6 wurde von den Beschwerdeführerinnen mit Schriftsatz vom 14. März 2022 in Reaktion auf die Beschwerdeerwiderungen seitens der Beschwerdegegnerinnen eingereicht.
Der Hilfsantrag stellt daher eine Änderung des Beschwerdevorbringens nach Einreichung der Beschwerdebegründung gemäß Artikel 13(1) VOBK dar, deren Zulassung im Ermessen der Kammer steht.
6.2 Die Einreichung des Hilfsantrags 6 wird seitens der Beschwerdeführerinnen damit begründet, dass die Vorbenutzung nach D19 lediglich die Produktansprüche 1 bis 4 wie erteilt betreffe. Hilfsantrag 6 räume daher den in der angefochtenen Entscheidung genannten Grund für den Widerruf des Patents aus, da der zum Widerruf des Patents führende Einwand ausgehend von der Vorbenutzung nach D19 lediglich den Gegenstand des Produktanspruchs betreffe, siehe Punkt II.9.5 der Entscheidungsgründe.
Durch die Streichung der Produktansprüche entstehe kein anderer sachlicher bzw. patentrechtlicher Streitgegenstand, denn die verbleibenden Einwände und Argumentationslinien in Bezug auf den Verfahrensanspruch 5 wie erteilt wurden bereits in Einspruchsverfahren diskutiert und dementsprechend auch in der angefochtenen Entscheidung mit abgehandelt.
6.3 Unter Berücksichtigung dieser in der Sache zutreffenden Begründung hat die Kammer unter Ausübung ihres Ermessens entschieden, Hilfsantrag 6 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Bei der Ausübung ihres Ermessens berücksichtigte die Kammer zudem, dass die Streichung der Produktansprüche nicht nur den zum Widerruf des Patents führenden Einwand der Einspruchsabteilung in Bezug auf die Vorbenutzung nach D19 ausräumt, sondern auch eine Diskussion der von den Beschwerdegegnerinnen erst verspätet im Einspruchsverfahren bzw. erstmalig im Beschwerdeverfahren erhobenen weiteren Einwände unter Bezugnahme auf weitere Vorbenutzungen (siehe Anlagenkonvolute D27, D28) im Wesentlichen obsolet macht.
Die Einreichung des Hilfsantrags 6 reduziert daher die Anzahl der zu diskutierenden Streitpunkte und steht der Verfahrensökonomie nicht entgegen
6.4 Die Beschwerdegegnerinnen waren ferner der Auffassung, dass Hilfsantrag 6 unter Anwendung des Artikel 12(6) VOBK nicht in das Verfahren zugelassen werden sollte.
Dieses Argument überzeugt nicht.
Zwar wurde im Rahmen des Einspruchsverfahrens als Hilfsantrag 2 ein Anspruchssatz eingereicht, der unter anderem auch einen Verfahrensanspruch enthielt, der dem im vorliegenden Hilfsantrag 6 als alleinig verbleibenden unabhängigen Anspruch entspricht. Der Anspruchssatz des Hilfsantrags 2 des Einspruchsverfahrens enthielt aber zusätzlich entsprechende Produktansprüche.
Der Gegenstand des Hilfsantrags 6 entspricht mithin nicht einem Gegenstand, der im Einspruchsverfahren nicht weiterverfolgt und fallengelassen wurde.
Damit fällt der Hilfsantrag 6 nicht unter die Bestimmungen des Artikels 12(6) VOBK.
6.5 Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten weiterhin erstmalig im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer, dass die Änderungen in Anspruch 1 nicht die Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ erfüllten.
Wie im anschließenden Punkt im Detail dargelegt, überzeugt dieser verspätet vorgebrachte Einwand zumindest prima facie nicht.
6.6 Zusammenfassend war daher für die Kammer unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(1) VOBK kein Grund erkennbar, warum Hilfsantrag 6 im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt bleiben sollte. Die Kammer ließ Hilfsantrag 6 folglich ins Verfahren zu.
7. Hilfsantrag 6 - Zulassung des Einwands unter Artikel 123(3) EPÜ
7.1 In Reaktion auf die Einreichung der Hilfsanträge mit dem Schriftsatz vom 14. März 2022 erwiderten beide Beschwerdegegnerinnen in ihren Schriftsätzen vom 17. Mai 2022, 12. Oktober 2022 und 27. Oktober 2022, aus welchen Gründen sie diese Anträge für nicht gewährbar erachteten.
Ein Einwand unter Artikel 123(3) EPÜ wurde darin weder in Bezug auf Hilfsantrag 6 noch hinsichtlich eines anderen Hilfsantrags erhoben, obwohl es im Rahmen des nötigen verfahrensförderlichen Handelns erforderlich gewesen wäre, um allen Beteiligten des Verfahrens eine angemessene Zeit zur Reaktion zu erlauben.
Der neue Einwand unter Artikel 123(3) EPÜ in Bezug auf die Änderungen in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6, wonach die Streichung des Rückbezugs auf die Produktansprüche 1-4 im Verfahrensanspruch 5 wie erteilt dessen Schutzbereich erweitere, wurde insofern auch unstreitig erstmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zu einem sehr späten Verfahrensstand vorgebracht.
7.2 Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten, dass es sich nicht um eine Änderung des Vorbringens handele, sondern um ein einfaches Argument, das zudem in Reaktion auf den Gang des Beschwerdeverfahrens im Sinne von Artikel 13(3) VOBK vorgebracht worden sei.
Dieses Argument überzeugt nicht.
7.2.1 Bei dem neuen Einwand unter Artikel 123(3) EPÜ handelt es sich nicht nur um ein neues Argument, das zur weiteren inhaltlichen Begründung eines bereits zuvor erhobenen Einwands dient, sondern um einen ein neues Tatsachenelement und einen neuen rechtlichen Grund enthaltenden neuen Einwand, siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, Kapitel III.H.8, insbesondere die auch von der Beschwerdegegnerin 1 zitierte Entscheidung T 1914/12.
7.2.2 In Punkt 7.1.3 der Gründe der von der Beschwerdegegnerin 1 zitierten Entscheidung T 1914/12 werden die bis dahin in der Rechtsprechung angewandten Auslegungen der Begriffe Tatsache ("fait") und Argument ("argument") zusammengefasst.
T 1914/12 bestätigt allerdings in der Zusammenfassung gemäß Punkt 7.1.4 der Gründe, dass ein neuer rechtlicher Grund ("moyen invoqué" - T1914/12 verweist hier in Punkt 7.1.4 exemplarisch auf einen Neuheitsmangel) typischerweise ein neues Tatsachenvorbringen beinhaltet. Im vorliegenden Fall werden die neuen Einwände zu den Erfordernissen des Artikels 123(3) EPÜ ("moyen invoqué") entsprechend durch die erstmalig vorgetragene Anspruchsinterpretation gestützt, wonach eine Veränderung der chemischen Zusammensetzung des Stahlflachprodukts nach seiner Bereitstellung gemäß Verfahrensschritt a) des Anspruchs 1 möglich sei. Diese neue Interpretation ist ein neues Tatsachenelement und stellt kein bloßes weiteres Argument gemäß T 1914/12 (Punkt 7.1.4 der Gründe) dar. Diese Ansicht wird auch durch T 1875/15 (siehe Punkte 2.3 bis 2.5 der Gründe) bestätigt.
Wie aus dem zitierten Kapitel der Rechtsprechung und aus Punkt 7.1.4 der Entscheidungsgründe von T 1914/12 ersichtlich ist, wurde die von den Beschwerdegegnerinnen diesbezüglich ebenfalls zitierte Entscheidung T 604/01 (siehe Punkt 6 der Gründe), die auch in Punkt 7.1.3 der Gründe von T 1914/12 erwähnt wird, im Rahmen der Weiterentwicklung der Rechtsprechung überholt und ist im vorliegenden Fall nicht maßgeblich.
Der verspätet vorgebrachte neue Einwand unter Artikel 123(3) EPÜ stellt folglich eine Änderung des Vorbringens dar, deren Zulassung zum Verfahren gemäß Artikel 13(2) VOBK im Ermessen der Kammer liegt.
7.2.3 Ferner haben beide Beschwerdegegnerinnen von ihrem Recht auf Reaktion auf das verspätete Einreichen des Hilfsantrags 6 mit ihren Schriftsätzen vom 17. Mai 2022, 12. Oktober 2022 und 27. Oktober 2022 im Sinne von Artikel 13(3) VOBK Gebrauch gemacht. Aus diesem Recht auf Reaktion zu geändertem Vorbringen leitet sich allerdings nicht ab, dass diese zu einem beliebigen Zeitpunkt und in beliebiger Häufigkeit und Variation erfolgen kann. Vielmehr gilt auch dort die Pflicht zur Verfahrensförderung, wonach eine Reaktion einschließlich aller Einwände zeitnah zu erfolgen hat, um ein faires Verfahrens zu gewährleisten.
Die Bestimmungen nach Artikel 13(3) VOBK liefern im vorliegenden Fall daher keine Rechtfertigung dafür, dass der verspätet vorgebrachte Einwand unter Artikel 13(3) VOBK zwingend zuzulassen ist.
7.3 Durch die gemäß Artikel 13(2) VOBK mögliche Ermessensausübung bei der Zulassung neuer Einwände und der daraus erwachsenden Möglichkeit der Kammer, eine Prüfung der Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ durchzuführen (vgl. G10/91, Punkt 19 der Entscheidungsgründe), wird auch dem prinzipiellen Erfordernis der Rechtssicherheit gegenüber Dritten genüge getan.
7.4 Bei der Ausübung ihres Ermessens zur Zulassung eines neuen Einwands gemäß Artikel 13(2) VOBK kann die Kammer in Erwägung ziehen, ob der neu vorgebrachte Einwand in der Sache zumindest prima facie überzeugend ist.
Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
7.5 Die Beschwerdegegnerinnen argumentieren, dass die im Vergleich zu Verfahrensanspruch 5 wie erteilt vorgenommene Streichung des Rückbezugs auf die Produktansprüche 1-4 wie erteilt dazu führe, dass mit dem Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 auch Stahlbandflachprodukte hergestellt werden könnten, die nicht auf die durch den ursprünglichen Rückbezug definierte chemische Zusammensetzung nach Anspruch 1 wie erteilt beschränkt sind.
Dieses Argument überzeugt nicht.
7.6 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 definiert in Verfahrensschritt a), dass ein walzhartes, kaltgewalztes Stahlflachprodukt mit ferritischer Gefügestruktur bereitgestellt wird, das aus einem Stahl mit einer bestimmten, im Detail definierten Zusammensetzung besteht.
Diese in Verfahrensschritt a) gemäß Anspruch 1 von Hilfsantrag 6 definierte Zusammensetzung entspricht unstreitig der Zusammensetzung des Stahlbandflachproduktes, wie es in Anspruch 1 wie erteilt definiert wird. Die nachfolgenden Verfahrensschritte gemäß Anspruch 1 von Hilfsantrag 6, nämlich das in Schritt b) definierte rekristallisierende Glühen sowie das in Schritt c) definierte Dressierwalzen führen bei fachüblicher Durchführung nicht zu einer Änderung der chemischen Zusammensetzung des Bandes.
Daher wird in dem Verfahren nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 zwingend ein Stahlbandflachprodukt hergestellt, wie es in Anspruch 1 wie erteilt definiert wird, auch wenn der Rückbezug auf die ebenfalls gestrichenen Produktansprüche fehlt. Der Schutzbereich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 entspricht mithin dem Schutzbereich von Anspruch 5 wie erteilt.
7.7 Soweit die Beschwerdegegnerinnen argumentieren, dass eine Veränderung der chemischen Zusammensetzung des Bandes durch weitere Verfahrensschritte nicht ausgeschlossen sei, überzeugt dies ebenfalls nicht.
Anspruch 1 definiert unzweideutig, dass ein Stahlband mit bestimmter chemischer Zusammensetzung bereitgestellt werden soll. Daraus leitet sich unter Berücksichtigung des beanspruchten Gegenstands (Verfahren zur Oberfächentexturierung/Temperierung) auch unmittelbar ab, dass das fertig rekristallisierte und dressierte Band seine chemische Zusammensetzung beibehalten muss. Zudem gibt das Patent auch keinen Hinweis darauf, dass das Band zusätzlich zu den beanspruchten Verfahrensschritten an diesem späten Zeitpunkt des Herstellungsverfahrens fachunüblich und unter Beibehaltung aller anderen beanspruchten Eigenschaften noch so behandelt werden kann, dass sich dessen chemische Zusammensetzung ändert.
Im Übrigen widerspricht der Einwand der Beschwerdegegnerin 1 auch ihrer eigenen Argumentation in Bezug auf die vermeintlich mangelnde Klarheit der Ansprüche des Hauptantrags, siehe Punkt 1.2 der Beschwerdeerwiderung der Beschwerdegegnerin 1. Denn dort argumentiert sie, dass die weiteren Verfahrensschritte keine Änderungen im C-Gehalt erlauben und daher unterschiedlich definierte Mengenbereiche im Produktanspruch einerseits und im Verfahrensanspruch andererseits zu einer Unklarheit des beanspruchten Gegenstands führten.
7.8 Selbst wenn man annimmt, dass gegebenenfalls aus weiterhin im Nachgang aufbringbaren Beschichtungen einzelne Elemente in das Band hinein diffundieren könnten, so ist nicht erkennbar, in wie weit dies zu einer Änderung des Schutzbereichs führen könnte. Denn eine sich dem Dressierwalzen anschließende Beschichtung ist in dem Verfahren nach Anspruch 5 wie erteilt nicht ausgeschlossen und wäre auch bei dem Produkt nach Anspruch 1 wie erteilt möglich gewesen.
7.9 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der verspätet vorgebrachte Einwand nach Artikel 123(3) EPÜ prima facie nicht überzeugend ist, und lässt diesen Einwand unter Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(2) VOBK nicht in das Verfahren zu.
8. Hilfsantrag 6 - erfinderische Tätigkeit
8.1 ausgehend von D1
8.1.1 D1 erwähnt zwar allgemein DC06-Stähle, offenbart aber weder eine genaue Stahlzusammensetzung oder ein fertiges Stahlblech mit einer Zusammensetzung gemäß Verfahrensschritt a) von Anspruch 1, noch ein Wärmebehandlungsverfahren oder Dressierverfahren mit den in Anspruch 1 genannten Verfahrensschritten b) und c).
D1 gibt keinerlei Veranlassung dazu, aus der Klasse der DC06-Stähle ausgerechnet ein Stahlflachprodukt aus Stahl mit einer Zusammensetzung gemäß Verfahrensschritt a) von Anspruch 1 zu wählen und dann dieses Stahlflachprodukt gemäß den in Anspruch 1 weiterhin definierten Verfahrensschritten b) und c) zu bearbeiten.
Dazu liefern auch die weiteren von der Beschwerdegegnerinnen zitierten Dokumente keinen Anreiz.
8.1.2 Einzelne Verfahrensschritte der in Anspruch 1 definierten Wärmebehandlung mögen in Isolation, wie von den Beschwerdegegnerinnen in Bezug auf D8 bis D13 dargelegt, dem Fachmann bekannt sein:
D8 beschreibt Schritte eines Durchlaufglühens, siehe den letzten Absatz auf Seite 1351, Abbildung 10 auf Seite 1352 und den ersten Absatz auf Seite 1352.
D9 offenbart auf Seite 45, vorletzter Absatz, eine Abkühlungsgeschwindigkeit von 80°C/s. Das Diagramm auf Seite 47 zeigt einen Temperaturverlauf einer Wärmebehandlung. In der Tabelle 1 auf Seite 47 werden mechanische Eigenschaften bekannter Stahlklassen, unter anderem von IF-Stählen (Interstitial Free Steels), angegeben.
D10 zeigt in Figur 2 den Temperaturverlauf einer Glühstrecke.
D11 offenbart in den letzten 20 Zeilen der rechten Spalte auf Seite S71 und dem ersten Absatz auf Seite S72 ein Glühverfahren unter Verwendung einer H2-N2-Atmosphäre.
D12 verdeutlicht in Figur 11 auf Seite 165 den Zusammenhang zwischen der Haltetemperatur der Wärmebehandlung und der Kaltversprödung.
D13 offenbart die Bedingungen für ein Durchlaufglühen (siehe Teil 7.1).
Jedoch offenbart keines der Dokumente D8 bis D13 eine Wärmebehandlung mit allen Merkmalen gemäß Verfahrensschritt b) von Anspruch 1 im Detail.
8.1.3 Auch mag es dem Fachmann beispielsweise aus D14 (Absatz [0010], D17 (Zusammenfassung) und D18 (Tabelle 31) bekannt sein, dass der Dressiergrad D im Bereich von 0,4 bis 0,8 % liegen kann. Jedoch offenbart keines dieser Dokumente die Mittelrauheit oder die Spitzenzahl der Walzrollen.
8.1.4 Darüberhinaus zeigt D15 in Bild 36 einen Vergleich der unterschiedlichen Texturierungsverfahren und der daraus resultierenden Oberflächenstrukturen, inklusive der für das Pretex-Verfahren, welches in D1 verwendet wird.
8.1.5 Allerdings lässt die Argumentation der Beschwerdegegnerinnen nicht erkennen, welche Merkmale von Anspruch 1 sie konkret als Unterscheidungsmerkmale identifiziert und welche technische Aufgabe ausgehend von D1 sie ihrer Argumentation zugrunde legt. Auch ist nicht erkennbar, weshalb ein Fachmann ohne jeglichen Anreiz, und ohne Hinweis dazu in D1, die aus D8 bis D13 beschriebenen Verfahrensschritte für eine Wärmebehandlung und die in D14, D17 und D18 beschriebenen Verfahrensschritte in Kombination mit dem in D1 beschriebenen Pretex-Verfahren für einen bestimmten DC06-Stahl, wie er in D24 (Tabelle 1) oder D25 (Tabelle 2) beschrieben wird, einsetzen und dabei die in Anspruch 1 im Detail definierten Verfahrensparameter wählen würde.
Die bloße Identifizierung aller Anspruchsmerkmale in unterschiedlichen Dokumenten stellt nach ständiger Rechtsprechung keinen Beleg dafür dar, dass der beanspruchte Gegenstand naheliegend ist.
Die Kammer ist daher der Ansicht, dass der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D1 nicht naheliegend ist.
8.2 ausgehend von D6
D6 ist eine Studie bezüglich des Einflusses der Oberflächenqualität auf die Karosserielackierung. Die Primetex und Elotex-Oberflächentexturierung von Thyssen Stahl werden dazu mit einer HDG-beschichteten Oberfläche verglichen. Die Mittenrauheit und Spitzenzahl werden gemessen, siehe die Figuren 6 und 7.
In Bezug auf D6 gilt im Wesentlichen die gleiche Argumentation wie in Bezug auf D1, denn auch D6 offenbart weder ein Stahlblech mit einer Zusammensetzung gemäß Verfahrensschritt a) von Anspruch 1 noch ein Verfahren mit den in Anspruch 1 weiterhin definierten Verfahrensschritten b) und c).
8.3 ausgehend von der Vorbenutzung nach D19
Das nach D19 vorbenutzte Stahlblech lässt keine Rückschlüsse auf die konkreten, zu seiner Herstellung eingesetzten Verfahrensschritte b) und c) zu. Ausgehend von D19 ist daher nicht erkennbar, warum ein Fachmann das nach D19 bekannte Stahlblech in naheliegender Art und Weise unter Einsatz der Verfahrensschritte b) und c) gemäß Anspruch 1 herstellen würde.
In Analogie zu der Argumentationslinie ausgehend von D1 besteht für die Fachperson kein Anreiz, ein Blech nach D19 unter Anwendung der aus D8 bis D13 beschriebenen Verfahrensschritte für eine Wärmebehandlung und der in D14, D17 und D18 beschriebenen Verfahrensparameter herzustellen und dabei die in Anspruch 1 im Detail definierten Verfahrensparameter zu wählen.
8.4 ausgehend von D20
D20 betrifft ein Feinblech, das verbesserte tribologische Eigenschaften aufweist und sehr gute Voraussetzungen für eine Lackbeschichtung bietet.
Gemäß Anspruch 1 von D20 kann das Stahlblech eine deterministische, stochastische und/oder quasi-stochastische Oberflächenstruktur aufweisen, wobei die Oberflächenstruktur durch eine Spitzenzahl RPc im Bereich von 45 bis 180 1/cm und eine arithmetische Mittenrauheit Ra im Bereich von 0,3 bis 3,6 mym, bevorzugt 1,0-1,6 mym, gekennzeichnet ist.
In Absatz [0061] werden IF-Stahl (Interstitial Free Stahl) und BH-Stahl (Bake-Hardening-Stahl) genannt.
Allerdings gibt D20 keine konkrete Zusammensetzung für die Stahllegierung an.
In wie fern der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D20 nahelegt sein soll, erschließt sich aus den Argumenten der Beschwerdegegnerinnen nicht, denn D20 offenbart weder ein Stahlband mit einer in Schritt a) von Anspruch 1 definierten chemischen Zusammensetzung, noch offenbart es zumindest einen der weiteren Verfahrensschritte b) und c) gemäß Anspruch 1.
8.5 ausgehend von D24
D24 adressiert eine phänomenologische Modellierung der Anisotropie, welche durch die Entwicklung einer Versetzungsstruktur induziert wird. Zur Evaluierung dieser Modellierung werden zwei Materialien betrachtet: DC06 and AA6016-T4, welche fachüblich in Blechumformverfahren eingesetzt werden.
D24 befasst sich somit nicht mit einer Texturierung oder der Erzielung einer Oberflächenbeschaffenheit, die eine optimale Lackierbarkeit und einen optimalen Lackglanz ermöglicht.
D24 stellt daher keinen realistischen Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar und ist insbesondere als Ausgangspunkt weniger vielversprechend als D1 oder D6.
In Bezug auf D24 gilt im Wesentlichen zudem die gleiche Argumentation wie in Bezug auf die Vorbenutzung nach D19, denn auch D24 offenbart kein Verfahren mit den in Anspruch 1 genannten Verfahrensschritten b) und c).
8.6 ausgehend vom Anlagenkonvolut D27-D27c
Die Vorbenutzung nach D27 belegt der Argumentation der Beschwerdegegnerinnen folgend zwar gegebenenfalls ein Stahlblech wie auch schon die Vorbenutzung nach D19. Hinsichtlich des Verfahrens nach Anspruch 1 gilt ausgehend von D27-D27c aber im Wesentlichen die gleiche Argumentation wie in Bezug auf die Vorbenutzung nach D19.
Die Vorbenutzung nach D27 ist daher prima facie ebenso wenig relevant wie die Vorbenutzung nach D19 und legt den Gegenstand von Anspruch 1 nicht nahe.
Die Fragen zur Zulassung dieser weiteren Vorbenutzung kann daher dahingestellt bleiben.
8.7 Zusammenfassend kommt die Kammer daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nicht naheliegend im Lichte der zitierten Dokumente ist und die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ erfüllt.
9. Anpassung der Beschreibung
Aufgrund der Streichung der erteilten Produktansprüche erfolgte eine Anpassung der Beschreibung, bei der die Bezüge auf erfindungsgemäße Stahlflachprodukte dahingehend geändert wurde, dass die Stahlflachprodukte lediglich "durch das erfinderische Verfahren herstellbar" sind. Diese Formulierung stellt klar, dass die Erfindung nur noch das Herstellungsverfahren betrifft und nicht mehr das Produkt als solches. Auch lässt die Formulierung ("durch das erfindungsgemäße Verfahren herstellbare") keinen Spielraum für eine Auslegung im Sinne einer "product-by-process" Definition ("ein durch ein Verfahren hergestelltes erfindungsgemäßes Stahlbandflachprodukt"), denn die gewählte Formulierung macht deutlich, dass gerade das Verfahren erfindungsgemäß ist und nicht das damit hergestellte Produkt.
Das beanspruchte Verfahren bietet die Möglichkeit, Stahlbandflachprodukte mit einer bestimmten chemischen Zusammensetzung, bestimmten mechanischen Eigenschaften und einer bestimmten Oberflächentextur zu erzielen. Diese mittels des erfindungsgemäßen Verfahrens erzielbaren Eigenschaften des Stahlbandflachprodukts sind daher erfindungsgemäß weiterhin durch das beanspruchte Verfahren erzielbar, auch wenn die eigentlichen Produkte nicht mehr beansprucht werden.
Daher ist eine weitere Anpassung der verschiedenen Teststellen im Patent in Bezug auf die "erfindungsgemäßen" Zusammensetzungen, mechanischen Eigenschaften und Oberflächentexturen des Stahlbandflachprodukts unter Artikel 84 EPÜ nicht erforderlich.
Das gleiche gilt in Bezug auf die im erfindungsgemäßen Verfahren einzusetzenden Arbeitswalzen mit der in Anspruch 1 definierten Oberflächentexturierung.
Die Kammer ist daher der Ansicht, dass die im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingereichte angepasste Beschreibung den Erfordernissen von Artikel 84 EPÜ genügt.
10. Die Beschwerde hat daher im Rahmen von Hilfsantrag 6 Erfolg.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:
Ansprüche
1 bis 11 gemäß Hilfsantrag 6, eingereicht mit dem Schreiben vom 14. März 2022,
Beschreibung
Seiten 2 bis 13, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer (V2), mit folgender Änderung: Das am Seitenrand abgeschnittene Kästchen auf Seite 6, Absatz [0040], Zeile 13 wird gestrichen und durch den Text "durch das erfindungsgemäße Verfahren herstellbaren" ersetzt.
Figuren
1 bis 3 gemäß der Patentschrift.