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T 0151/22 16-04-2024
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FÖRDEREINHEIT UND FÖRDERSYSTEM ZUM FÖRDERN VON FAHRZEUGKAROSSERIEN SOWIE ANLAGE ZUR BEHANDLUNG VON FARHZEUGKAROSSERIEN
Einspruchsgründe - Gegenstand geht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus (ja)
Hilfsantrag 1 - Gegenstand geht über den Inhalt der früheren Anmeldung hinaus (nein)
Zurückverweisung an die erste Instanz
Zurückverweisung - (ja)
I. Die Patentinhaberin legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das europäische Patent Nr. 2 613 997 235 widerrufen wurde.
II. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit.
III. Am 16. April 2024 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.
IV. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) beantragte zuletzt
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt oder hilfsweise in geänderter Form auf der Basis eines der vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4.
V. Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) beantragte zuletzt
die Zurückweisung der Beschwerde.
VI. Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag) mit der Merkmalsgliederung der angefochtenen Entscheidung lautet:
1.1 Fördereinheit zum Fördern von
Fahrzeugkarosserien,
1.2 welche verfahrbar ist und
1.3 ein Fahrwerk (48) und
1.4 eine mit dem Fahrwerk (48) verbundene
Koppeleinrichtung (64, 66, 68) umfasst,
1.5 welche derart eingerichtet ist, dass sie mit
Bodenbereichen der Dach oben ausgerichteten
Fahrzeugkarosserie (4) zusammenarbeitet,
dadurch gekennzeichnet, dass
1.6 die Fördereinheit (44) auf einer einspurigen,
am Boden einer Anlage montierten Schiene (S)
verfahrbar ist,
1.7 die als I-Profil ausgebildet ist,
1.8 dass eine auf der Oberseite der Schiene (S)
laufende Antriebsrolle vorgesehen ist, welche
zugleich die Last aufnimmt, und
1.9 dass seitliche Führungsrollen (54a, 54b)
vorgesehen sind,
1.10 die gegen die Schmalflanken des I-Profils der
Schiene (S) anliegen.
VII. Anspruch 1 des Patents in der gemäß dem Hilfsantrag 1 geänderten Fassung enthält die Merkmale des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung, wobei das Merkmal 1.10 wie folgt geändert wurde (Unterstreichung der Änderung durch die Kammer):
1.10 die auf einer Seite der Schiene (S) gegen die Schmalflanken des I-Profils der Schiene (S) anliegen.
1. Unzulässige Erweiterung des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung (Artikel 100 c) und 123(2) EPÜ)
1.1 Im Einspruchs- sowie im Beschwerdeverfahren argumentierte die Patentinhaberin dass die Merkmale 1.9 und 1.10 des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung, nämlich
(1.9) dass seitliche Führungsrollen (54a, 54b)
vorgesehen sind,
(1.10) die gegen die Schmalflanken des I-Profils der
Schiene (S) anliegen,
in Zusammenhang mit dem Merkmal 1.8, nämlich
(1.8) dass eine auf der Oberseite der Schiene S laufende Antriebsrolle vorgesehen ist, welche zugleich die Last aufnimmt,
auf den folgenden beiden Passagen der ursprünglichen Anmeldung basieren:
Zum einen Seite 9, Zeile 13 bis 25, mit folgendem Wortlaut:
"Darüber hinaus greift die Fördereinheit 44 in das I-Profil der Schiene S mittels dreier Pressrollen 52 ein (siehe Figur 6), welche jeweils zusammen mit einem Nabenantrieb eine kompakte Baueinheit bilden. Die Pressrollen 52 verlaufen parallel zu einer horizontalen Transportebene und sind jeweils um eine dazu senkrechte, d.h. vertikale Achse drehbar.
Durch seitliche Führungsrollen 54, 54b, die auf der gegenüberliegenden Seite der Pressrollen 52 einer Schiene S gegen die Schmalflanken des I-Profils der Schiene S anliegen, ist die Fördereinheit 44 daran gehindert, seitlich auszubrechen oder zu verkippen. Dies ist insbesondere in Figur 3 zu erkennen",
Und Seite 17, Zeilen 16 bis 21, die wie folgt lauten:
"Bei einer Abwandlung ist die Fördereinheit 44 so konzipiert, dass auch Kurvenfahrten möglich sind. In diesem Fall kann beispielsweise anstelle der seitlich der Schienen S geführten Pressrollen 52 eine auf der Oberseite der Schienen S laufende Antriebsrolle vorgesehen sein, welche zugleich die Last aufnimmt".
1.2 Die Einspruchsabteilung hat festgestellt (siehe Seite 8, dritter Absatz der angefochtenen Entscheidung), dass die Passage auf Seite 17, Zeile 16 bis 21 der ursprünglichen Anmeldung offen lässt, wie Kurvenfahrten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Seitenführung, ermöglicht werden.
Die Passage auf der Seite 17, Zeilen 16 bis 21, so die Einspruchsabteilung, schließe lediglich die Möglichkeit mit den drei Pressrollen aus, lasse aber offen, ob Kurvenfahrten ohne weitere Rollen, mit einer einzigen Pressrolle, einer oder mehreren Führungsrolle(n) an den Schmalflanken, einer oder mehreren Führungsrolle(n) am zentralen Steg und/oder einer vertikal ausgerichteten Stützrolle bzw. beliebigen Kombinationen davon etc. ermöglicht werden.
Die Einspruchsabteilung hat daher festgestellt, dass es nicht eindeutig und unmittelbar erkennbar sei, dass bei oben liegender Antriebsrolle, die nur im Zusammenhang mit den Pressrollen offenbarten seitlichen Führungsrollen auf einer Seite der Schiene noch immer vorgesehen seien und gegen die Schmalflanken des I-Profils anliegen. Folglich seien die Merkmale 1.9 und 1.10 daher weder explizit noch implizit bei der Abwandlung gemäß Seite 17, Zeilen 16 bis 21 der ursprünglichen Anmeldung enthalten, so dass der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe.
1.3 Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) vertritt dagegen die Auffassung, dass die seitlichen Führungsrollen 54, 54b auch bei der Abwandlung von Seite 17 vorhanden seien und dass sie gegen die Schmalflanken des I-Profils der Schienen anliegen. Da gemäß der Passage auf Seite 17, Zeilen 16 bis 21, Kurvenfahrten möglich seien, sei im Streitpatent eine Seitenführung der Fördereinheit erforderlich, zu der die seitliche Führungsrollen definiert sein müssen.
1.4 Die Kammer schließt sich der Patentinhaberin an, dass der Fachmann aus der ursprünglichen Anmeldung entnehmen kann, dass statt der Pressrollen eine Antriebsrolle auf der Oberseite der Schiene vorgesehen ist, allerdings bekommt er keinen Hinweis, dass die seitlichen Führungsrollen weggelassen werden können (siehe in der Beschwerdebegründung die die Seiten 7 und 8 überbrückende Passage).
Die Kammer stellt fest, dass keine weitere Änderung des Ausführungsbeispiels der Erfindung auf Seite 17 bei der dort genannten Abwandlung angegeben wird. Ob der Fachmann zur Erlangung einer funktionsfähigen Fördereinheit noch weitere Merkmale hinzufügen muss, z.B. um die Stabilität der Fördereinheit zu gewährleisten, ist für die Frage der ursprünglichen Offenbarung des beanspruchen Gegenstand nicht relevant.
1.5 Dem Argument der Einsprechenden, dass die Führungsrollen nur im Zusammenhang mit den Pressrollen offenbart sind, um zu verhindern, dass die Fördereinheit seitlich ausbricht oder verkippt, so dass diese ohne Pressrollen nicht mehr vorhanden sein sollen, kann somit nicht gefolgt werden.
Auch wenn bei oben liegender Antriebsrolle die seitlichen Pressrollen weggelassen werden, sind die verbleibenden Führungsrollen für den Fachmann erkennbar nicht zwangsläufig obsolet. Auch hier haben sie eindeutig die Aufgabe die Fördereinheit auf die Schiene zu führen.
Dass die Führungsrollen auf ihrer Seite die Aufgabe der Führung nicht mehr erfüllen können, wurde auch von der Einsprechenden nicht behauptet. Welcher Art eine dann auf der anderen Seite der Schiene ggfs. notwendige weitere Führung ist, ist im Patent im Rahmen der vorgeschlagenen Abwandlung nicht offenbart, bleibt aber - wie dort - auch in dem jetzt zur Beurteilung stehenden Anspruch offen.
1.6 Die Kammer ist daher von der Argumentation der Patentinhaberin überzeugt, dass die Tatsache, dass der Anspruch 1 die Merkmale der Führungsrollen enthält, an sich kein Verstoß gegen die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ darstellt.
1.7 Die Kammer ist allerdings der Auffassung, dass nur eine bestimmte Konfiguration der Führungsrollen in dem Ausführungsbeispiel aus Seite 9 und Figur 3 der ursprünglichen Anmeldung offenbart wird, nämlich die Ausgestaltung bei der die Führungsrollen auf der gleichen Seiten der Schiene und zwar auf den Schmalflanken des I-Profils angeordnet sind.
Da der Anspruch nicht auf diese Ausführungsform beschränkt ist, geht der Gegenstand des Anspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Umfasst sind nun z.B. Ausführungsformen, bei denen nur je eine Führungsrolle links und rechts an nur je einer der beiden Schmalflanken des I-Profils sind.
1.8 Das Argument der Patentinhaberin, dass - wenn die Pressrollen entfallen - kein Grund vorhanden ist, um die Führungsrollen auf der gleichen Seite der Schiene vorzusehen und dass der Fachmann dann erkennen würde, dass auch andere Anordnungen möglich seien, bezieht sich eher auf ein Naheliegen als auf eine eindeutige und unmittelbare Offenbarung und ist daher nicht überzeugend.
2. Unzulässige Erweiterung des Gegenstands des Anspruchs 1 des Patents in der gemäß Hilfsantrag 1 geänderten Fassung (Artikel 100 c) und 123(2) EPÜ)
2.1 Im Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 wird im Vergleich zum Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung weiter spezifiziert, dass die Führungsrollen auf einer Seite der Schiene gegen die Schmalflanken des I-Profils anliegen. Damit wird der oben diskutierten Einwand gegen den Hauptantrag überwunden (siehe oben, 1.7).
2.2 In der mündlichen Verhandlung argumentierte die Einsprechende, dass im Anspruch 1 nicht ausgeschlossen sei, dass keine weitere Führungsrollen vorhanden sind, die an der anderen Seite der Schiene anliegen.
2.3 Die Einsprechende konnte nicht zeigen, dass eine derartige Einschränkung in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen vorhanden ist, so dass aus Sicht der Kammer auch weitere Führungsrollen als die, die in Figur 3 gezeigt sind, vorhanden sein können.
2.4 Die Kammer ist daher von der Argumentation der Einsprechenden nicht überzeugt und ist der Auffassung, dass der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt.
3. Zurückverweisung
Nach Artikel 11 VOBK 2020 verweist eine Kammer die Angelegenheit dann zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurück, wenn besondere Gründe dafür sprechen.
Von der Einspruchsabteilung wurde über die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Patents in der erteilten Fassung sowie in der geänderten Fassung gemäß den Hilfsanträgen keine Entscheidung getroffen.
An der mündlichen Verhandlung haben die Parteien erklärt, gegen eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung keine Einwände zu haben.
Vor dem obigen Hintergrund und angesichts des vorrangigen Ziels des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, gelangt die Kammer nach Abwägung aller relevanten Umstände des vorliegenden Falles zum Ergebnis, dass besondere Gründe im Sinne von Artikel 11, erster Satz, VOBK vorliegen, gemäß Artikel 111 (1) EPÜ die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.