T 0412/22 24-03-2023
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VORRICHTUNG UND VERFAHREN ZUM ERKENNEN UND MELDEN EINES BELASTUNGSZUSTANDES EINER PERSON
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Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja)
Spät eingereichter Hilfsantrag - zugelassen (nein)
Änderung des Beschwerdevorbringens - Eignung der Änderung zur Lösung der aufgeworfenen Fragen (nein)
I. Die Patentinhaberin legte Beschwerde ein gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Europäische Patent Nr. 2 908 720 zu widerrufen. In der Folge trat die Beitretende als vermeintliche Patentverletzerin gemäß Artikel 105 EPÜ dem Verfahren bei.
II. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 24. März 2023 statt.
III. Die endgültigen Anträge der Parteien lauten wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung oder hilfsweise auf der Basis des Hilfsantrags eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer.
Die Beschwerdegegnerin sowie die Beitretende beantragen die Zurückweisung der Beschwerde.
IV. Anspruch 1 des Patents wie erteilt (Hauptantrag) lautet wie folgt:
"Verfahren zum Erkennen und Melden eines Belastungs-zustandes einer Person, wobei das Verfahren folgende Schritte umfasst:
· fortlaufendes Erfassen der Daten der momentanen Pulsfrequenz P und der momentanen Herzratenvariabilität HRV, mittels eines Pulsmesssensors oder eines elektrokardiografischen Sensors;
· fortlaufendes Verarbeiten der Daten der momentanen Pulsfrequenz P und der momentanen Herzratenvariabilität HRV,
· Bestimmen eines Stressindexes und Vergleichen desselben mit einem Alarmkriterium,
dadurch gekennzeichnet, dass das Bestimmen des Belastungszustandes umfasst:
in einem ersten Zeitintervall T1 oder einer vorgegebenen Anzahl von Pulsschlägen ein erster Wert SI1 für den Stressindex bestimmt wird durch die Addition eines Wertes SIp für den Stressindex gewonnen aus einem normierten Durchschnittswert Pd1 des Pulses im genannten ersten Zeitintervall T1 oder über die vorgegebene Anzahl von Pulsschlägen und eines Wertes SIHRV gewonnen aus einem normierten Durchschnittswert HRVd1 der Herzratenvariabilität HRV im genannten ersten Zeitintervall T1 oder über die vorgegebene Anzahl von Pulsschlägen gemäss
SI1=c*SIP + d*SIHRV
wobei c und d Gewichtungsfaktoren des Stressindexteil-wertes sind, der aus der Pulsrate bzw. dem Stressindex-teilwert, der aus der Herzratenvariabilität ermittelt wird, wobei die Normierung mittels Tabellenwerten Pmax ,Pmin, HRVmax und HRVmin in durchgeführt wird mittels aus altersabhängigen Minimal- und Maximal Puls und HRV-Werten, sowie die Maximal- und Minimalwerte der gemessenen Pulswerte und der HRV-Werte im Zeitintervall T1 oder während der vorgegebenen Anzahl von Pulsschlä-gen bestimmt werden,
wobei T1 zwischen 100 s und 1000 s, vorzugsweise mit 300 s, oder die vorgegebene Anzahl von Pulsschlägen zwischen 50 und 500 liegt und vorzugsweise 100 ist,
in zumindest einem weiteren Zeitintervall Tx (x= 2...n) oder während einer weiteren vorgegebenen Anzahl von Pulsschlägen ein weiterer Wert SIx für den Stressindex bestimmt wird durch die Addition eines Wertes SIp für den Stressindex gewonnen aus einem normierten Durchschnittswert Pd1 des Pulses im genannten Zeitintervall Tx oder über die vorgegebene Anzahl von Pulsschlägen und eines Wertes SIHRV gewonnen aus einem normierten Durchschnittswert HRVd1 der Herzraten-variabilität HRV im genannten Zeitintervall Tx oder über die vorgegebene Anzahl von Pulsschlägen
SIx=c*SIP + d*SIHRV
vorzugsweise mit gleicher Länge wie T1 oder bei gleicher Anzahl von Pulsschlägen, wobei c und d wiederum die Gewichtungsfaktoren des Stressindexteil-wertes sind, der aus der Pulsrate bzw. dem Stressindex-teilwert, der aus der Herzratenvariabilität ermittelt wird,
wobei die Normierung mittels Werten Pmax ,Pmin, HRVmax und HRVmin durchgeführt wird, wobei Pmax bzw. HRVmax gewählt werden aus dem grösseren Wert von Pmax bzw HRVmax bestimmt im vorherigen Zeitintervall Tx-1, oder während der vorherigen, vorgegebenen Anzahl von Pulsschlägen und dem vorherigen Zeitintervall Tx-1 oder während der vorgegebenen Anzahl von Pulsschlägen verwendeten Wert von Pmax bzw. HRVmax , Pmin bzw. HRVmin gewählt werden aus dem kleineren Wert von Pmin bzw. HRVmin aus dem vorherigen Zeitintervall Tx-1 oder während der vorherigen, vorgegebenen Anzahl von Pulsschlägen und dem vorherigen Zeitintervall Tx-1 oder während der vorherigen, vorgegebenen Anzahl von Pulsschlägen verwendeten Wert von Pmin bzw. HRVmin, wobei der so gewonnene weitere Wert SIx für den Stressindex dem zu bestimmenden Stressindex entspricht."
V. Anspruch 8 des Patents wie erteilt (Hauptantrag) lautet wie folgt:
"Vorrichtung zum Erkennen und Melden eines Belastungs-zustandes einer Person, mit:
· einer Erfassungseinrichtung zum fortlaufenden Erfassen der Daten der momentanen Pulsfrequenz und der momentanen Herzratenvariabilität, wobei die besagte Erfassungseinrichtung ein Pulsmesssensor oder ein elektrokardiografischer Sensor ist,
· einer Verarbeitungseinrichtung zum fortlaufenden Verarbeiten der Daten der momentanen Pulsfrequenz und der momentanen Herzratenvariabilität, und
· einer Vergleichseinrichtung zum Bestimmen eines Stressindexes und zum Vergleichen desselben mit einem Alarmkriterium,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Verarbeitungseinrichtung so eingerichtet ist, dass in einem ersten Zeitintervall T1 oder einer vorgege-benen Anzahl von Pulsschlägen ein erster Wert SI1 für den Stressindex bestimmt wird durch die Addition eines Wertes SIp für den Stressindex gewonnen aus einem nor-mierten Durchschnittswert Pd1 des Pulses im genannten ersten Zeitintervall T1 oder über die vorgegebene Anzahl von Pulsschlägen und eines Wertes SIHRV gewonnen aus einem normierten Durchschnittswert HRVd1 der Herz-ratenvariabilität HRV im genannten ersten Zeitintervall T1 oder über die vorgegebene Anzahl von Pulsschlägen
SI1=c*SIP + d*SIHRV
wobei c und d Gewichtungsfaktoren des Stressindex-teilwertes sind, der aus der Pulsrate bzw. dem Stress-indexteilwert, der aus der Herzratenvariabilität ermittelt wird, wobei die Normierung mittels Tabellen-werten Pmax ,Pmin, HRVmax und HRVmin durchgeführt wird mittels aus altersabhängigen Minimal- und Maximal Puls und HRV-Werten, sowie die Maximal- und Minimalwerte der gemessenen Pulswerte und der HRV-Werte im Zeitintervall T1 oder während der vorgegebenen Anzahl von Pulsschlä-gen bestimmt werden,
wobei T1 zwischen 100 s und 1000 s, vorzugsweise mit 300 s, oder die vorgegebene Anzahl von Pulsschlägen zwischen 50 und 500 liegt und vorzugsweise 100 ist,
in zumindest einem weiteren Zeitintervall Tx (x= 2...n) oder während einer weiteren vorgegebenen Anzahl von Pulsschlägen ein weiterer Wert SIx für den Stressindex bestimmt wird durch die Addition eines Wertes SIp für den Stressindex gewonnen aus einem normierten Durch-schnittswert Pd1 des Pulses im genannten Zeitintervall Tx oder über die vorgegebene Anzahl von Pulsschlägen und eines Wertes SIHRV gewonnen aus einem normierten Durchschnittswert HRVd1 der Herzratenvariabilität HRV im genannten Zeitintervall Tx oder über die vorgegebene Anzahl von Pulsschlägen
SIx=c*SIP + d*SIHRV
vorzugsweise mit gleicher Länge wie T1 oder bei glei-cher Anzahl von Pulsschlägen, wobei c und d wiederum die Gewichtungsfaktoren des Stressindexteilwertes sind, der aus der Pulsrate bzw. dem Stressindexteilwert, der aus der Herzratenvariabilität ermittelt wird,
wobei die Normierung mittels Werten Pmax, Pmin, HRVmax und HRVmin durchgeführt wird, wobei Pmax bzw. HRVmax gewählt werden aus dem grösseren Wert von Pmax bzw HRVmax bestimmt im vorherigen Zeitintervall Tx-1, oder während der vorherigen, vorgegebenen Anzahl von Puls-schlägen und dem vorherigen Zeitintervall Tx-1 oder während der vorgegebenen Anzahl von Pulsschlägen verwendeten Wert von Pmax bzw. HRVmax , Pmin bzw. HRVmin gewählt werden aus dem kleineren Wert von Pmin bzw. HRVmin aus dem vorherigen Zeitintervall Tx-1 oder während der vorherigen, vorgegebenen Anzahl von Puls-schlägen und dem vorherigen Zeitintervall Tx-1 oder während der vorherigen, vorgegebenen Anzahl von Puls-schlägen verwendeten Wert von Pmin bzw. HRVmin, wobei der so gewonnene weitere Wert SIx für den Stressindex dem zu bestimmenden Stressindex entspricht."
VI. Der Hilfsantrag unterscheidet sich vom Hauptantrag dadurch, dass die Ansprüche 8 bis 10 gestrichen wurden.
VII. Die Argumente der Beschwerdeführerin zu den für die Entscheidung relevanten Punkten lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung
Gemäß der Entscheidung G 1/93 verstoße die Aufnahme eines in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbarten Merkmals nicht gegen Artikel 123(2) EPÜ, wenn dieses Merkmal lediglich den Schutzbereich einschränke ohne einen technischen Beitrag zum Gegenstand des Anspruchs zu leisten.
Dies gelte im vorliegenden Fall für das Merkmal "wobei der so gewonnene weitere Wert SIx für den Stressindex dem zu bestimmenden Stressindex entspricht". Durch dieses Merkmal werde der erste Wert SI1, also lediglich ein Teil des Schutzbereiches, aus dem Vergleich mit dem Alarmkriterium ausgeschlossen. Diese Änderung verstoße somit nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Da in der Beschreibung erwähnt werde, dass auch mit dem ersten Wert bereits gearbeitet werden könne (Seite 3, Zeilen 13 bis 17), werde durch dieses Merkmal auch kein technischer Beitrag geleistet.
Im Übrigen sei die Änderung im Prüfungsverfahren vorgenommen worden, um einen Klarheitseinwand der Prüfungsabteilung zu beheben, nicht jedoch, um eine Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik herbeizuführen.
Gemäß der Entscheidung T 2537/10, Nr. 2.7 der Gründe, sei der Artikel 123 (2) EPÜ nicht zwangsläufig verletzt, wenn ein geänderter Anspruch eine Variante umfasse, die neu in Hinsicht auf die ursprüngliche Offenbarung sei.
Der Ausschluss des ersten Stressindexwertes SI1 sei zudem als Disclaimer zu verstehen, der gemäß der Entscheidung G 1/03 zur Herstellung der Neuheit gegenüber einem Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ zulässig sei.
Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht enthalte das Merkmal "vergleichen der gewonnenen Zustandsfunktion der Person mit einem Alarmkriterium". Die ursprüngliche Anmeldung offenbare aber als einzige Funktion zur Beschreibung eines Belastungszustandes die Formel zur Berechnung des Stressindexes. Für den Fachmann ergebe sich daher unmittelbar und eindeutig, dass der Stressindex als einzige Ausführungsform für die Zustandsfunktion implizit offenbart sei. Daher stelle die Einführung des Begriffs Stressindex anstelle von Zustandsfunktion in dem obigen Merkmal im erteilten Anspruch 1 keine unzulässige Erweiterung sondern lediglich eine Einschränkung dar.
Die in den Ansprüchen 1 und 8 vorgenommenen Änderungen erfüllten daher die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
Zulassung des Hilfsantrags
Der Hilfsantrag unterscheide sich vom Hauptantrag nur durch die Streichung einiger Ansprüche. Das Einreichen dieses Hilfsantrags stelle daher keine Änderung des Beschwerdevorbringens dar.
Die Streichung der Ansprüche 8 bis 10 sei eine Reaktion auf die erstmalig in der Mitteilung der Kammer vom 6. Februar 2023 gegen den Anspruch 8 erhobenen Einwände unter Artikel 123 (2) EPÜ. Der Hilfsantrag habe nicht früher eingereicht werden können, da die Mitteilung erst kurz vor der Verhandlung erlassen worden sei.
Daher solle der Hilfsantrag zugelassen werden.
VIII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin und der Beitretenden zu den für die Entscheidung relevanten Punkten lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung
Es könne der ursprünglichen Anmeldung nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden, dass der Begriff Zustandsfunktion mit Stressindex gleichzusetzen sei. Vielmehr kämen die beiden Begriffe nebeneinander im ursprünglichen Anspruch 1 vor. Es gebe daher keine zwangsläufige Verbindung zwischen diesen Begriffen. Eine Zustandsfunktion könne etwas ganz anderes sein als ein Stressindex. Durch die Ersetzung des Begriffs Zustandsfunktion durch Stressindex werde im erteilten Anspruch 1 also ein anderer Gegenstand ("aliud") beansprucht als im ursprünglich eingereichten Anspruch.
Weiterhin liege durch die Aufnahme des Merkmals "wobei der so gewonnene Weitere Wert SIx für den Stressindex dem zu bestimmenden Stressindex entspricht" in die Ansprüche 1 und 8 eine unzulässige Erweiterung vor, da der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen sei, dass der erste Wert SI1 nicht für den Vergleich mit dem Alarmkriterium herangezogen werden solle. Vielmehr offenbare die Beschreibung (Seite 3, Zeilen 13 bis 32), dass mit dem ersten Wert bereits gearbeitet werden könne.
Zudem leiste das genannte Merkmal durchaus einen technischen Beitrag zum Erfindungsgegenstand. Die Grundsätze der Entscheidung G 1/93 seien daher nicht anwendbar.
Die Aufnahme dieses Merkmals in den Anspruch sei auch nicht als Disclaimer aufzufassen, da es sich nicht um ein negatives technisches Merkmal handle. Daher seien die Entscheidungen G 1/03 und G 2/10 in diesem Fall nicht relevant.
Es sei auch unerheblich, ob es sich bei dem geänderten Anspruch um eine Einschränkung gegenüber dem Gegenstand des ursprünglichen Anspruchs handle. Entscheidend sei, ob der Fachmann den geänderten Anspruchsgegenstand der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung unmittelbar und eindeutig entnehmen könne.
Daher gehe der Gegenstand der Ansprüche 1 und 8 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich einge-reichten Fassung hinaus.
Zulassung des Hilfsantrags
Der Hilfsantrag stelle eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Patentinhaberin dar.
Er sei nicht zuzulassen, da keine stichhaltigen Gründe für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände vorgebracht worden seien, die das verspätete Einreichen erst in der mündlichen Verhandlung rechtfertigten. Außerdem sei der Hilfsantrag prima facie nicht gewährbar.
1. Gegenstand des Patents
Das Patent betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Erkennen und Melden eines Belastungszustandes einer Person auf der Basis der momentanen Pulsfrequenz und der momentanen Herzratenvariabilität. Aus diesen Daten wird zunächst ein erster Näherungswert für einen Stressindex bestimmt, bei dem eine Normierung mittels Tabellenwerten erfolgt. Zudem wird in einem weiteren Zeitintervall ein weiterer Stressindexwert ermittelt, bei dem für die Normierung Werte verwendet werden, die in dem vorherigen Zeitintervall bestimmt wurden. Gemäß den erteilten Ansprüchen wird der so gewonnene weitere Stressindexwert mit einem Alarmkriterium verglichen, um den Belastungszustand zu bestimmen.
2. Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung
2.1 Das Verfahren nach Anspruch 1 umfasst das "Bestimmen eines Stressindexes und Vergleichen desselben mit einem Alarmkriterium", wobei der "weitere Wert SIx für den Stressindex dem zu bestimmenden Stressindex entspricht". Anspruch 1 erfordert somit, dass der Wert SIx (wobei SI1 nicht umfasst ist) mit einem Alarmkriterium verglichen wird. Diese Funktion wird auch von der Vorrichtung gemäß Anspruch 8 verwirklicht, die dazu eine Vergleichseinrichtung zum Bestimmen eines Stressindexes aufweist.
2.2 Die Kammer ist der Ansicht, dass diese im Anspruch 1 erwähnten Merkmale nicht in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart sind. In diesen ist stets von dem Vergleichen der gewonnenen momentanen Zustandsfunktion der Person mit einem Alarmkriterium und einer Vergleichseinrichtung hierfür die Rede (Beschreibung, Seite 6, Zeilen 17 bis 23; Ansprüche 1 und 8).
Eine Vergleichseinrichtung zum Bestimmen eines Stressindexes, wie sie in Anspruch 8 des Streitpatents definiert ist, wird überhaupt nicht erwähnt.
2.3 Die Kammer teilt nicht die Meinung der Beschwerde-führerin, dass mit der momentanen Zustandsfunktion in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nur der Stressindex gemeint sein könne. Insbesondere kann aus der Tatsache, dass die ursprünglichen Anmeldungsunter-lagen abgesehen von der Formel für den Stressindex keine andere Funktion offenbaren, nicht geschlossen werden, dass es sich dabei um die mit dem Alarmkriterium zu vergleichende Zustandsfunktion handeln muss. Schließlich werden in der Beschreibung und in den Ansprüchen 1 und 8 wie ursprünglich eingereicht beide Begriffe unabhängig voneinander verwendet und nicht als in irgendeiner Beziehung zueinander stehend offenbart. Es gibt also keinerlei Hinweis darauf, dass der Stressindex eine Ausführungsform der Zustandsfunktion ist.
Somit offenbart die ursprüngliche Anmeldung nicht das "Bestimmen eines Stressindexes und Vergleichen desselben mit einem Alarmkriterium".
2.4 Ebenso wenig offenbart die Anmeldung ein Vergleichen des spezifischen Stressindex-Wertes SIx mit einem Alarmkriterium, wobei der erste Wert SI1 nicht verwendet werden soll. Wie von der Beschwerdegegnerin und der Beitretenden vorgebracht, offenbart die ursprüngliche Anmeldung (Seite 3, Zeilen 13-17) vielmehr, dass mit SI1 "bereits gearbeitet werden kann".
Das Merkmal "wobei der weitere Wert SIx für den Stressindex dem zu bestimmenden Stressindex entspricht" leistet auch einen technischen Beitrag zum Erfindungsgegenstand. Wie in der Beschreibung erwähnt (Patentschrift, Seite 2, Zeile 56 bis Seite 3, Zeile 2), können die weiteren Werte verbesserte Ergebnisse liefern. Die von der Beschwerdeführerin angeführten Grundsätze der Entscheidung G 1/93 sind daher nicht anwendbar.
Die Aufnahme dieses Merkmals in die Ansprüche 1 und 8 ist entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht als Disclaimer aufzufassen, da es sich nicht um ein negatives technisches Merkmal handelt. Daher sind auch die Entscheidungen G 1/03 und G 2/10 im gegenständ-lichen Fall nicht relevant. Wie von der Beschwerde-führerin selbst vorgebracht, wurden die Ansprüche nicht geändert, um sich von einem Stand der Technik nach Artikel 54(3) EPÜ abzugrenzen (was einen nicht offen-barten Disclaimer rechtfertigen würde), sondern um einen Klarheitseinwand zu beheben.
Die von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidung T 2537/10, Nr. 2.7 der Gründe, betraf hypothetische Ausführungsformen, welche im Zusammenhang mit der Prüfung der Erweiterung des Anspruchsgegenstandes nach Artikel 123 (2) EPÜ als unerheblich angesehen wurden. Im vorliegenden Fall sind jedoch nicht hypothetische Ausführungsformen, sondern vielmehr einige Merkmale der Ansprüche 1 und 8 nicht ursprünglich offenbart. Auch die Entscheidung T 2537/10 ist im gegenständlichen Fall daher nicht relevant.
2.5 Nach Artikel 123 (2) EPÜ ist auch unerheblich, ob es sich bei dem Gegenstand des geänderten Anspruchs um eine Einschränkung gegenüber dem Gegenstand des ursprünglichen Anspruchs handelt. Entscheidend ist vielmehr, ob der Fachmann den geänderten Gegenstand der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung unmittelbar und eindeutig entnehmen kann. Dies ist in Bezug auf den Vergleich eines Stressindexes, und insbesondere des weiteren Stressindexwertes SIx, mit einem Alarmkriterium nicht der Fall.
2.6 Die Ansprüche 1 und 8 des erteilten Patents erfüllen daher nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
3. Zulassung des Hilfsantrags
Der Hilfsantrag, der während der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde, unterscheidet sich vom Hauptantrag dadurch, dass die Vorrichtungsansprüche 8 bis 10 gestrichen wurden. Er stellt damit eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin dar. Die Zulassung des Hilfsantrags liegt daher gemäß Artikel 13 (2) VOBK im Ermessen der Kammer. In der Ausübung ihres Ermessens kann die Kammer auch Kriterien heranziehen, die nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 maßgeblich sind.
Gemäß Artikel 13 (1) VOBK 2020 steht die Zulassung von Änderungen im Beschwerdeverfahren im Ermessen der Kammer, die dazu die Eignung der Änderung zur Lösung der im Beschwerdeverfahren aufgeworfenen Fragen berücksichtigt.
Mit dem Hilfsantrag werden lediglich die Einwände nach Artikel 123 (2) EPÜ gegen den in diesem Antrag gestrichenen Anspruch 8 des Hauptantrags obsolet. Da der Hilfsantrag aber weiterhin Anspruch 1 des Hauptantrags enthält, der die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nach wie vor nicht erfüllt, ist der Hilfsantrag prima facie nicht gewährbar.
Die Kammer entschied daher, den Hilfsantrag nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.