T 1340/22 06-06-2024
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Flächiges Element und Verfahren zum Herstellen desselben
Zulässigkeit des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 7 (nein)
Neuheit des Gegenstands der Hilfsanträge 8 bis 14 (nein)
I. Sowohl der Patentinhaber als auch die Einsprechende haben Beschwerde eingelegt gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Fassung, in der das europäische Patent Nr. 2 562 004 (nachfolgend als "das Patent" bezeichnet) aufrechterhalten werden kann.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstands des Hauptantrags und des Hilfsantrags 1 bzw. der Hilfsanträge 3 bis 7 nicht erfinderisch sei, dass der Gegenstand des Hilfsantrags 2 dem Erfordernis der Klarheit nicht genüge, dass aber der Gegenstand des Hilfsantrags 8 den Erfordernissen des EPÜ genüge.
III. Von den von der Einspruchsabteilung berücksichtigten Druckschriften sind die Druckschriften D10 (EP 0 864 444 A1), D27 (DE 38 38 930 A1) und D31 (WO 01/12736 Al) für das Beschwerdeverfahren relevant.
IV. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 6. Juni 2024 statt.
V. Am Ende der mündlichen Verhandlung nahm der Patentinhaber seine Beschwerde zurück.
VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
VII. Der Beschwerdegegner (Patentinhaber) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt. Hilfsweise beantragte er die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung, auf der Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 14, wie sie am 11. Januar 2021 (Hilfsanträge 1 und 2) bzw. am 17. Februar 2022 (Hilfsanträge 3 bis 14) eingereicht worden waren.
VIII. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 7, die von der Einspruchsabteilung für nicht gewährbar erachtet wurden, weisen unabhängige Produkt-, Verfahrens- und Verwendungsansprüche auf. Die Hilfsanträge 8 bis 14 hingegen sind auf Verwendungsansprüche beschränkt.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 lautet wie folgt :
"1. [U1] Verwendung mindestens eines flächigen Elements (100) als Duschwand, insbesondere in Feucht- oder Nassräumen, zum Beispiel für Duschkabinen oder für Schwimmbäder, welches flächige Element (100) aufweist:
[U2] mindestens ein aus Echtglas gebildetes Trägersubstrat (10), insbesondere mindestens eine Trägerplatte, und [U3] mindestens eine auf mindestens einer Fläche oder Seite des Trägersubstrats (10) angeordnete Beschichtung (30), wobei [U4] die vom Trägersubstrat (10) abgewandte Fläche oder Seite der Beschichtung (30) mehrmals versiegelt (50) ist."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 durch das zusätzliche Merkmal "[E5] wobei die der Beschichtung (30) zugewandte Fläche oder Seite des Trägersubstrats (10) mit mindestens einer Grundierung (20) versehen ist".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 10 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 im Wesentlichen dadurch, dass das Wort "aufweist" im Merkmal U1 durch die Worte "besteht aus" ersetzt ist (Merkmal U1').
Anspruch 1 des Hilfsantrags 11 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 durch das zusätzliche Merkmal "[E6] wobei als Teil der Beschichtung (30) mindestens ein Aufdruck und/oder mindestens eine Aufschrift (40), zum Beispiel in Form von Werbung, aufgebracht ist".
Anspruch 1 des Hilfsantrags 12 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 11 im Wesentlichen dadurch, dass das Merkmal U1 durch das Merkmal U1' ersetzt ist.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 13 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 durch das zusätzliche Merkmal E6.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 14 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 12 durch das zusätzliche Merkmal E5.
Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Merkmale von Anspruch 1 jedes der Hilfsanträge ("HA") 8 bis 14. "X" bedeutet, dass das Merkmal vorhanden ist, "-" dass der Anspruch das Merkmal nicht aufweist.
Merkmal|HA8|HA9|HA10|HA11|HA12|HA13|HA14|
U1 |X |X |- |X |- |X |- |
U1' |- |- |X |- |X |- |X |
U2 |X |X |X |X |X |X |X |
U3 |X |X |X |X |X |X |X |
U4 |X |X |X |X |X |X |X |
E5 |- |X |X |- |- |X |X |
E6 |- |- |- |X |X |X |X |
IX. Der entscheidungsrelevante Vortrag der Parteien lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Neuheit des Gegenstands von Hilfsantrag 8
i) Beschwerdeführerin (Einsprechende)
Die Einspruchsabteilung habe Anspruch 1 in einer unzulässig beschränkenden Weise ausgelegt. Sie habe die Auffassung vertreten, dass das Kernmaterial 6 und die Klebeschicht 5 gemäß der Druckschrift D10 nur bei einer bestimmten Materialwahl eine Versiegelungsschicht bilden. Eine Versiegelung sei jedoch bereits gegeben, wenn eine Schicht vor unerwünschten äußeren Einflüssen geschützt werde (vgl. Absatz [0030] des Patents bzw. Punkt 1.1.3 der Entscheidung T 2610/19 zur Stammanmeldung). Ein solcher Schutz sei unabhängig von der Materialwahl gegeben. Auch eine Klebeschicht schütze vor mechanischen Einwirkungen. Zudem habe die Einspruchsabteilung die tatsächliche Lehre der Druckschrift D10 für die Materialwahl missachtet. Spalte 5, Zeilen 43 bis 56, der Druckschrift D10 lehre, dass durch die Wahl des Kernmaterials Feuerschutz ermöglicht werde. Jedes der Beispiele für das Kernmaterial 6 in Spalte 5, Zeilen 45 bis 47, der Druckschrift D10 (Holz, Metall, Kunststoff, Gips oder synthetische Verbundmaterialien) erfülle das von der Einspruchsabteilung aufgestellte Schutzkriterium. Es handle sich auch nicht um eine Auswahl aus mehreren Listen. Die mehrfache Versiegelung werde in der Druckschrift D10 unabhängig von der Materialwahl abstrakt vorweggenommen. Selbst wenn der Einspruchsabteilung bei ihren Überlegungen zur Schutzfunktion der Versiegelung zu folgen wäre, sei für die Umsetzung der Lehre der Druckschrift D10 nur die Auswahl eines einzigen Materials für das Kernmaterial 6 notwendig, um den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 vorwegzunehmen. Zudem habe die Einspruchsabteilung ignoriert, dass das Kernmaterial zum Feuchtigkeitsschutz beidseitig laminiert sein könne (D10, Spalte 5, Zeile 57, bis Spalte 6, Zeile 4). Auch damit sei eine mehrfache Versiegelung zum Schutz vor Nässe offenbart. Anhand der Fig. 4 der Druckschrift D10 lasse sich veranschaulichen, dass letztere alle strukturellen Merkmale des gemäß Hilfsantrag 8 aufrechterhalten Anspruchs 1 vorwegnehme:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Somit sei der Gegenstand von Hilfsantrag 8 nicht patentfähig gegenüber der Druckschrift D10.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners stelle eine Duschabtrennung eine Duschwand dar, also eine Fläche, die den Duschbereich begrenzt. Die Feststellung in Punkt 38.5 der Gründe für die angefochtene Entscheidung sei falsch; dies sei so nicht vorgetragen worden.
ii) Beschwerdegegner (Patentinhaber)
Das Substrat 1 der Fig. 4 könne aus Glas bestehen. Betreffend die Harzschicht 2 stelle sich die Frage, ob man sie als Beschichtung im Sinne des Patents verstehen könne. Dies sei vermutlich zu bejahen, da die Harzschicht Effektpigmente enthalten könne. Hingegen sei das Vorhandensein mehrerer Versiegelungsschichten nicht offenbart. Der Auffassung, dass das Faserverbundmaterial 3, die Klebeschicht 5 und/oder das Kernmaterial 6, das auch laminiert sein könne, Versiegelungsschichten bilden, könne nicht gefolgt werden. In Spalte 5, ab Zeile 33, sei offenbart, dass das Faserverbundmaterial dazu diene, die Stabilität des Dekormaterials zu vergrößern. Eine Versiegelungsfunktion sei nicht zu erkennen. Bei der Versiegelung gemäß dem Streitpatent gehe es um den Schutz vor äußeren, mechanischen Einwirkungen, nicht um die Stabilität als solche. Letztere werde im Patent durch das Trägersubstrat gewährleistet. Die Klebeschicht 5 diene in der Druckschrift D10 nur der Befestigung des Kernmaterials (D10, Spalte 5, Zeilen 36 bis 42). Auch das Kernmaterial 6 habe keine Versiegelungseigenschaften, zumal es aus Holz oder Gips bestehen könne (D10, Spalte 5, Zeilen 45 und 46). Es sei so beschaffen, dass man es durch Laminierungsschichten vor dem Einfluss von Flüssigkeiten etc. schützen müsse (D10, Spalte 5, Zeile 57, bis Spalte 6, Zeile 4). Wenn überhaupt, dann könne man nur in diesen Laminierungsschichten eine Versiegelung sehen. Es sei nicht ganz klar, wie diese Schichten aufgebracht seien. Vermutlich beziehe sich das Wort "beidseitig" auf das zu schützende Kernmaterial. Es gehe darum, das Kernmaterial z.B. vor Feuchtigkeit zu schützen. Dies habe nichts mit dem Schutz der Harzschichten 2 zu tun. Die Erfindung unterscheide sich dadurch vom Dekormaterial der Druckschrift D10, dass die Versiegelung mit sehr wenigen (Lack-)Schichten erreicht werde. Das Dekormaterial der Druckschrift D10 weise wesentlich mehr Schichten auf. Ergänzend sei noch festzustellen, dass die "Duschabtrennung" (d.h. der Übergangsbereich zwischen zwei Duschen) der Druckschrift D10 nicht wirklich eine "Duschwand" (d.h. die bauliche Begrenzung einer Duschkabine) im Sinne von Anspruch 1 sei. Dies habe die Einsprechende selbst vor der Einspruchsabteilung eingeräumt (siehe Punkt 38.5 der Gründe für die angefochtene Entscheidung).
b) Neuheit des Gegenstands von Hilfsantrag 9
i) Beschwerdeführerin (Einsprechende)
Es sei nicht relevant, dass das Faserverbundmaterial
keinen dekorativen Effekt habe, da dies auch nicht beansprucht sei. Anspruch 1 lasse sich am besten auf die Druckschrift D10 lesen, wenn man die unterste der Harzschichten 2 als Grundierung und die darüberliegenden Schichten als Beschichtungen auffasse. Dafür spreche auch die Offenbarung von Spalte 3, Zeilen 4 und 5, der zufolge die einzelnen Schichten zwischengehärtet werden können. Darüber hinaus werde in Spalte 3, Zeilen 5ff., gelehrt, dass nicht alle Harzschichten Pigmente enthalten müssen. Auch die Druckschrift D27 bestätige das Verständnis des Fachmanns, dass die Grundschicht aus demselben Harz wie die Beschichtung bestehen könne (vgl. Fig. 1). Es sei darüber hinaus nicht richtig, dass es zum Prioritätsdatum unüblich war, Glassubstrate zu grundieren (siehe dazu auch Dokument D31). Ohne Grundierung habe auch damals das Risiko bestanden, dass der Lack vom Glas abblättere.
ii) Beschwerdegegner(Patentinhaber)
Die Kammer lege den Begriff der Grundierung zu breit aus. Die Absätze [0011] und [0029] des Patents seien zur Auslegung heranzuziehen. Diese Stellen des Patents würden die haftverstärkende Wirkung der Grundierung hervorheben. Sie sollten in die Auslegung des Merkmals einfließen, zumal die Kammer auch bei der Auslegung des Begriffs der "Versiegelung" auf die Beschreibung des Patents zurückgegriffen habe. Jedenfalls lasse sich die Harzschicht 2 nicht als Grundierung im Sinne von Anspruch 1 lesen, da sie in der Druckschrift D10 eine ganz andere Aufgabe habe, nämlich die Erzeugung eines dekorativen Effekts. Diese Lesart würde die Offenbarung der Druckschrift D10 überstrapazieren. Es sei gewagt, das Faserverbundmaterial 3 als Beschichtung verstehen zu wollen. Es sei richtig, dass sich die erste Harzschicht als Grundierung verstehen ließe, wenn "Grundierung" so wie in der Mitteilung der Kammer dargelegt verstanden werde, aber diese Auslegung stütze sich zu wenig auf die Offenbarung der Beschreibung des Patents. In den Jahren 2007/2008 sei es unüblich gewesen, Glas zu grundieren. Heutzutage sei dies gebräuchlicher.
c) Neuheit des Gegenstands von Hilfsantrag 10
i) Beschwerdeführerin (Einsprechende)
Das neue Merkmal sei nicht beschränkend. Darüber ließen sich alle Schichten oberhalb der Harzschichten 2 und insbesondere das Kernmaterial 6 dem Merkmal der mehrmaligen Versiegelung zuordnen.
ii) Beschwerdegegner (Patentinhaber)
Die Besonderheit des Gegenstands des Hilfsantrags 10 bestehe darin, dass das flächige Element lediglich die genannten Schichten in der genannten Reihenfolge umfasse, d.h. ein oder mehrere Trägersubstrate aus Glas, darauf eine oder mehrere Grundierungen, darauf eine oder mehrere Beschichtungen und hierauf zwei oder mehr Versiegelungsschichten. Dies sei so der Druckschrift D10 nicht zu entnehmen, weil jedenfalls die Frage der Mehrfachversiegelung durch die beiden Laminierungsschichten realisiert sei, sich dazwischen aber ein Kernmaterial befinde, das keine Entsprechung im Anspruch 1 habe. Daher sei der Gegenstand von Anspruch 1 neu gegenüber der Druckschrift D10.
d) Neuheit des Gegenstands der Hilfsanträge 11 bis 14
i) Beschwerdeführerin (Einsprechende)
Das zusätzliche Merkmal in Anspruch 1 des Hilfsantrags 11 sei in der Druckschrift D10 in Spalte 3, Zeilen 11 bis 18, offenbart. Es könne daher die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 nicht begründen. Auch das Merkmal E6 (Hilfsantrag 13) sei dort offenbart. Bezüglich der Hilfsanträge 12 und 14 werde auf das zum Hilfsantrag 10 Gesagte verwiesen.
ii) Beschwerdegegner (Patentinhaber)
Wenn man die Harzschichten 2 der Druckschrift D10 als Beschichtung deute, sei man nicht weit entfernt vom Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 11. Der Einwand der Beschwerdeführerin gegen den Hilfsantrag 13 setze voraus, dass die erste Harzschicht eine Grundierung darstelle. Dies treffe nicht zu. Bezüglich der Hilfsanträge 12 und 14 gelte das zum Hilfsantrag 10 Gesagte.
1. Zulässigkeit des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 bis 7
Infolge der Zurücknahme der Beschwerde des Patentinhabers am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ist die Einsprechende die alleinige Beschwerdeführerin. Wie in den Entscheidungen G 9/92 und G 4/93 der Großen Beschwerdekammer dargelegt wurde, ist der Patentinhaber als Beschwerdegegner unter diesen Umständen primär darauf beschränkt, das Patent in der Fassung zu verteidigen, die die Einspruchsabteilung ihrer Zwischenentscheidung zugrunde gelegt hat ("Verschlechterungsverbot" oder "Verbot der reformatio in peius"). Vorliegend ist diese Bedingung für den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 7 des nunmehrigen Beschwerdegegners nicht erfüllt, da diese Anträge unabhängige Produkt-, Verfahrens- und Verwendungsansprüche aufweisen, während der Hilfsantrag 8, der von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachtet wurde, auf Verwendungsansprüche beschränkt ist. Daraus folgt, dass der Hauptantrag des Beschwerdegegners sowie die Hilfsanträge 1 bis 7, die alle dem Verschlechterungsverbot zuwiderlaufen, unzulässig sind. Nachfolgend werden daher nur die Hilfsanträge 8 bis 14 in der Sache erörtert.
2. Auslegung der Ansprüche
2.1 "flächig"
Das Patent enthält keine Definition des Begriffs "flächig". Daher ist das Wort gemäß seinem allgemeinen Wortsinn zu deuten. Der Online-Duden definiert "flächig" wie folgt: "eine breitere Fläche bildend; abgeflacht" bzw. "sich auf einer Fläche ausdehnend".
2.2 "Grundierung"
Der Begriff "Grundierung" wird im Patent nicht definiert; auch die Absätze [0011] und [0029] stellen keine eigentliche Definition dar, weshalb wiederum auf den allgemeinen Wortsinn abzustellen ist.
Der Online-Duden versteht das Verb "grundieren" als "auf etwas den ersten Anstrich, die erste Farb- oder Lackschicht als Untergrund auftragen". Dementsprechend definiert er eine "Grundierung" als "erste[n] Anstrich; unterste Farb- oder Lackschicht, mit der etwas versehen wird". Die Kammer deutet den Begriff "Grundierung" daher im Sinne einer Grundschicht, die auf das Trägersubstrat aufgebracht ist und dazu bestimmt ist, andere Schichten zu tragen.
Eine Grundierung kann einen Haftvermittlungseffekt aufweisen (vgl. Absatz [0011], [0029]), aber dies ist nicht unabdingbar. So ist zum Beispiel vorstellbar, dass eine Grundierung nur dazu dient, dem flächigen Element eine gewisse Farbe zu verleihen.
2.3 "versiegelt"
Der Begriff "versiegelt" wird im Patent nicht definiert. Dem allgemeinen Wortsinn nach bedeutet "versiegeln" "durch Auftragen einer Schutzschicht widerstandsfähiger, haltbarer machen" (siehe Online-Duden). Dieses Verständnis steht auch im Einklang zur Offenbarung des Patents, wo in Absatz [0030] festgestellt wird, dass
"bei einem Einsatz des flächigen Elements 100 als Dekorelement, als Duschwand, als Trennwand oder dergleichen, zum Beispiel in Feucht- oder Nassräumen, wie etwa in Duschkabinen oder in Schwimmbädern, ... eine Versiegelung 50 von Nutzen [ist], die das flächige Element 100 gegen jegliche Einwirkung, so zum Beispiel von Flüssigkeiten, schützt".
3. Hilfsantrag 8 : Neuheit gegenüber der Druckschrift D10
Die Druckschrift D10 beschreibt Verfahren zur Herstellung von gefärbten flächigen Dekormaterialien, wie sie z.B. zur Verkleidung von Fassaden von Gebäuden, Fußböden, Decken, Wänden, Türen, Treppen, Möbeln, Tischplatten etc. verwendet werden. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass diese Druckschrift dem Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 am nächsten kommt (siehe Punkt 38.9 der Gründe für die angefochtene Entscheidung). In der Tat wird dort die Verwendung eines flächigen Elements mit einem Glassubstrat (siehe Spalte 4, Zeile 25) als Duschabtrennung (Spalte 4, Zeile 40) beschrieben. Hierbei ist anzumerken, dass die Begriffe "Duschwand" und "Duschabtrennung" nicht synonym sind, dass aber eine Duschabtrennung notwendigerweise eine Duschwand darstellt.
Es stellt sich also die Frage, ob das in der Druckschrift D10 offenbarte Element den beanspruchten Schichtaufbau hat. In diesem Zusammenhang ist das Element gemäß Fig. 4 besonders relevant.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Dieses Element umfasst ein Substrat 1, mehrere Harzschichten 2 mit Effektpigmenten, ein Faserverbundmaterial 3, eine Hintergrundschicht 4, eine Klebeschicht 5 und ein sogenanntes Kernmaterial 6, das je nach gewünschten Eigenschaften gewählt werden kann (Spalte 5, Zeilen 43 bis 56). Im Absatz, der die Spalten 5 und 6 der Druckschrift D10 überbrückt, wird zudem offenbart, dass das Kernmaterial durch nicht dargestellte Laminierungsschichten gegen äußere Einflüsse wie z.B. Feuchtigkeit geschützt werden kann.
Das Substrat 1 stellt ein Trägersubstrat im Sinne von Anspruch 1 dar. Die Harzschichten 2 entsprechen der Beschichtung gemäß Anspruch 1. Es stellt sich nun die Frage, ob die Schichten 3, 5 und/oder 6 bzw. die Laminierungsschichten als Versiegelung der Beschichtung gelten können.
Die Einspruchsabteilung hat diese Frage in Punkt 13 der Gründe für die angefochtene Entscheidung verneint und dies insbesondere damit begründet, dass mehrere Auswahlschritte nötig seien, um zum beanspruchten Element zu gelangen.
Entscheidend ist, ob von mehr als einer der Schichten 3, 5 oder 6 bzw. von den Laminierungsschichten zu Recht gesagt werden kann, dass sie die Harzschichten 2 schützen bzw. das flächige Element widerstandsfähiger oder haltbarer machen (siehe dazu Punkt 2.3). Die Kammer ist zum Schluss gelangt, dass dies der Fall ist. Insbesondere wenn die genannten Laminierungsschichten vorgesehen sind, kann von einer mehrmaligen Versiegelung der Beschichtung gesprochen werden. Dem Beschwerdegegner ist zuzustimmen, dass die Laminierungsschichten in erster Linie das Kernmaterial schützen sollen, aber daraus ergibt sich notwendigerweise auch eine schützende Wirkung für die darunterliegenden Harzschichten 2.
Das Argument, dass die Erfindung es erlaubt, die Versiegelung mit einer viel kleineren Anzahl von Schichten zu erreichen als das Dekormaterial der Druckschrift D10, kann die Neuheit der beanspruchten Verwendung nicht begründen, da die Zahl der Schichten des beanspruchten Gegenstands nicht begrenzt ist.
Die Kammer ist daher zur Auffassung gelangt, dass die Druckschrift D10 den Gegenstand von Anspruch 1 im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ neuheitsschädlich vorwegnimmt. Dem Hilfsantrag 8 kann somit nicht stattgegeben werden.
4. Hilfsantrag 9 : Neuheit gegenüber der Druckschrift D10
Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 unterscheidet sich von
Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 durch das zusätzliche Merkmal, dem zufolge die der Beschichtung zugewandte Fläche oder Seite des Trägersubstrats mit mindestens einer Grundierung versehen ist.
Zur Auslegung des Begriffs "Grundierung" durch die Kammer, siehe Punkt 2.2.
Die Kammer stellt fest, dass die mit der Referenz 2 bezeichnete Lage in den Abbildungen der Druckschrift D10, und somit auch in Fig. 4, mehrere Harzschichten beinhalten kann (vgl. D10, Spalte 2, Zeilen 12 und 13 und Spalte 5, Zeilen 23 bis 25 ("... zumindest eine ... Harzschicht ...") bzw. Spalte 5, Zeilen 28 bis 30 ("... mehrere ... Harzschichten ...")).
Beim Vorliegen mehrerer solcher Schichten lässt sich Anspruch 1 derart auf das Dekormaterial der Fig. 4 lesen, dass die unterste Harzschicht die Grundierung darstellt, die die darüberliegenden Harzschichten, welche die Beschichtung im Sinne von Anspruch 1 bilden, trägt. Dies wurde vom Beschwerdegegner auch nicht bestritten.
So verstanden, nimmt die Ausführungsform der Fig. 4 den Gegenstand von Anspruch 1 im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ neuheitsschädlich vorweg. Dem Hilfsantrag 9 kann somit nicht stattgegeben werden.
5. Hilfsantrag 10 : Neuheit gegenüber der Druckschrift D10
Anspruch 1 des Hilfsantrags 10 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 im Wesentlichen dadurch, dass das Wort "aufweist" durch die Worte "besteht aus" ersetzt wurde.
Es wurde geltend gemacht, dass der Gegenstand dieses Anspruchs neu gegenüber der Druckschrift D10 sei, weil der Anspruch 1 das flächige Element abschließend definiere und insbesondere das Kernmaterial 6 keine Entsprechung im Anspruch habe.
Die Kammer kann sich diesem Vortrag nicht anschließen. Auch das Kernmaterial 6 hat eine gewisse schützende Wirkung gegenüber den darunter vorgesehenen Harzschichten und kann damit als Versiegelung gemäß Anspruch 1 gedeutet werden (zur Auslegung dieses Begriffs, siehe Punkt 2.3).
Dies bedeutet, dass die Ausführungsform der Fig. 4 den Gegenstand von Anspruch 1 im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ neuheitsschädlich vorwegnimmt. Folglich kann dem Hilfsantrag 10 nicht stattgegeben werden.
6. Hilfsantrag 11 : Neuheit gegenüber der Druckschrift D10
Anspruch 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 8 durch das zusätzliche Merkmal, dem zufolge als Teil der Beschichtung mindestens ein Aufdruck und/oder mindestens eine Aufschrift aufgebracht ist.
Die Druckschrift D10 offenbart in Spalte 3, Zeilen 11 bis 18:
"Gemäß einem weiteren vorteilhaften Vorschlag der Erfindung wird in zumindest eine der pigment- und/oder farbstoffhaltigen Harzschichten ein flächiges Muster eingelegt. Dadurch lassen sich besonders dekorative Effekte erzielen, die neben gestalterischen Aspekten darüber hinaus eine weitestgehende Individualisierung der Dekormaterialien ermöglicht, beispielsweise durch individuelle Namen oder Logos." (Unterstreichung durch die Kammer)
Dies bedeutet, dass als Teil der Beschichtung mindestens eine Aufschrift aufgebracht ist. Somit ist auch das neu hinzugefügte Merkmal von Anspruch 1 in der Druckschrift D10 unmittelbar und eindeutig offenbart. Daraus folgt, dass die Ausführungsform der Fig. 4 den Gegenstand von Anspruch 1 im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ neuheitsschädlich vorwegnimmt. Folglich kann dem Hilfsantrag 11 nicht stattgegeben werden.
7. Hilfsantrag 12 : Neuheit gegenüber der Druckschrift D10
Anspruch 1 des Hilfsantrags 12 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 11 im Wesentlichen dadurch, dass das Wort "aufweist" durch die Worte "besteht aus" ersetzt wurde.
Wie schon im Zusammenhang von Hilfsantrag 10 dargelegt, ist diese Änderung nicht geeignet, den Anspruchsgegenstand von der Offenbarung der Druckschrift D10 zu unterscheiden. Dies bedeutet, dass die Ausführungsform der Fig. 4 den Gegenstand von Anspruch 1 im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ neuheitsschädlich vorwegnimmt. Folglich kann auch dem Hilfsantrag 12 nicht stattgegeben werden.
8. Hilfsantrag 13 : Neuheit gegenüber der Druckschrift D10
Anspruch 1 des Hilfsantrags 13 unterscheidet sich von
Anspruch 1 des Hilfsantrags 9 durch das zusätzliche Merkmal, dem zufolge als Teil der Beschichtung mindestens ein Aufdruck und/oder mindestens eine Aufschrift aufgebracht ist.
Wie bei der Prüfung des Hilfsantrags 11 festgestellt wurde, ist dieses Merkmal bereits in der Druckschrift D10 offenbart und somit nicht geeignet, den Anspruchsgegenstand von der Offenbarung der Druckschrift D10 zu unterscheiden. Daraus folgt, dass die Ausführungsform der Fig. 4 den Gegenstand von Anspruch 1 im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ neuheitsschädlich vorwegnimmt. Folglich kann auch dem Hilfsantrag 13 nicht stattgegeben werden.
9. Hilfsantrag 14 : Neuheit gegenüber der Druckschrift D10
Anspruch 1 des Hilfsantrags 14 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 12 durch das zusätzliche Merkmal, dem zufolge die der Beschichtung zugewandte Fläche oder Seite des Trägersubstrats mit mindestens einer Grundierung versehen ist.
Wie bei der Prüfung des Hilfsantrags 9 festgestellt wurde, ist dieses Merkmal bereits in der Druckschrift D10 offenbart und somit nicht geeignet, den Anspruchsgegenstand von der Offenbarung der Druckschrift D10 zu unterscheiden. Die Ausführungsform der Fig. 4 nimmt daher den Gegenstand von Anspruch 1 im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ neuheitsschädlich vorweg. Auch dem Hilfsantrag 14 kann somit nicht stattgegeben werden.
10. Ergebnis
Da keiner der Anträge des Beschwerdegegners den Erfordernissen des EPÜ genügt, ist das Patent zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.