T 1685/22 (Stoffgemische/SYMRISE) 11-09-2024
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STOFFGEMISCHE
Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag und Hilfsanträge 1-6 (nein)
Änderungen - unzulässige Erweiterung Hilfsantrag 7 (ja)
Änderung nach Ladung - stichhaltige Gründe (nein)
I. Sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende legten Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, die den damaligen Hilfsantrag 3 für gewährbar erachtete.
II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patents im gesamten Umfang unter anderem auf Grundlage des Einspruchsgrunds gemäß Artikel 100 b) EPÜ beantragt.
III. Die Einspruchsabteilung hat unter anderem entschieden, dass die beanspruchte Verwendung ausführbar sei (Artikel 83 EPÜ).
IV. Das folgende Dokument wurde im vorliegenden Fall zitiert:
E1: Zusätzliche Versuche, eingereicht von der
Patentinhaberin
V. Anspruch 13 des Hauptantrags (Patent wie erteilt) lautet wie folgt:
"Verwendung von Naringenin zur Verbesserung der Geschmacksqualität von Phloretin."
Anspruch 12 des Hilfsantrags 1, Anspruch 11 der Hilfsanträge 2 und 3, Anspruch 10 von Hilfsantrag 4, Anspruch 8 von Hilfsantrag 5 und Anspruch 1 von Hilfsantrag 6 sind mit Anspruch 1 des Hauptantrags identisch.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 lautet wie folgt (Änderungen gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags sind durch Unterstreichung gekennzeichnet):
"Verwendung von 30 ppm Naringenin zur Verbesserung der Geschmacksqualität von 30 ppm Phloretin."
VI. Die relevanten Argumente der Parteien werden nachfolgend in den Entscheidungsgründen behandelt.
VII. Anträge
Die Patentinhaberin beantragte, die Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung (Hauptantrag) und hilfsweise auf Grundlage einer der Hilfsanträge 1 bis 7, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, aufrechtzuerhalten.
Die Einsprechende beantragte, die Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
HAUPTANTRAG (Patent in der erteilten Fassung)
1. Zulassung der Eingabe der Einsprechenden vom 27. Februar 2023
1.1 Die Patentinhaberin beantragte, das gesamte Vorbringen in der Eingabe der Einsprechenden vom 27. Februar 2023 unter Artikel 13(2) VOBK nicht zu berücksichtigen.
1.2 Die Kammer sieht angesichts der vorliegenden Umstände keinen Grund, diese Eingabe nicht zu berücksichtigen. Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2023 hat die Einsprechende mitgeteilt, dass sie die Mitteilung vom 18. August 2022 nicht erhalten habe, in der eine Frist von 4 Monaten zur Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Patentinhaberin gesetzt wurde. Auch wenn die Einsprechende durch die Mitteilung vom 5. Januar 2023 über den Schriftsatz der Patentinhaberin vom 28. Dezember 2022 Kenntnis erlangte, kann dies nicht den Mangel beheben, dass sie nicht Kenntnis von der Mitteilung vom 18. August 2022 erlangte, in der eine angemessene Frist zur Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Patentinhaberin gesetzt wurde. Darüber hinaus hat die Einsprechende nur wenige Tage nachdem sie feststellte, dass sie die Mitteilung vom 18. August 2022 nicht erhalten habe, ihre Erwiderung eingereicht.
Da die Erwiderung der Einsprechenden fristgerecht erfolgte, liegt sie dem Beschwerdeverfahren zu Grunde (Art. 12(1) (c) VOBK) und ist daher zu berücksichtigen. Die Kammer stellt darüber hinaus fest, dass, selbst wenn die Zulassung des in Streit stehenden Schriftsatzes im Ermessen der Kammer nach Art. 13(1) VOBK läge, die Kammer keinen Grund sieht, diesen nicht zum Verfahren zuzulassen. Im Übrigen ist der von der Patentinhaberin geltend gemachte Artikel 13(2) VOBK hier nicht einschlägig. Die Eingabe vom 27. Februar 2023 ist vor der Zustellung der Mitteilung nach Art. 15(1) VOBK eingegangen.
2. Zulassung des Auszugs aus einer Veröffentlichung der Stiftung Warentest "Cola - Nur 4 von 30 Getränken sind gut"
2.1 Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2024 verwies die Patentinhaberin auf einen Auszug aus einer Veröffentlichung der Stiftung Warentest "Cola - Nur 4 von 30 Getränken sind gut" und verwendete dessen Inhalt in ihrer Argumentation.
2.2 Dieser Verweis auf den Auszug der vorstehenden Veröffentlichung ist nach Zustellung der Mitteilung der Kammer nach Artikel 15(1) VOBK erfolgt. Die Zulassung dieser Veröffentlichung unterliegt somit der Regelung nach Artikel 13(2) VOBK.
2.3 Nach Artikel 13(2) VOBK bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
2.4 Die Patentinhaberin hat keine stichhaltige Gründe aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Bereits aus diesem Grund sind die Anforderungen des Artikels 13(2) VOBK nicht erfüllt.
Somit bleibt die Veröffentlichung der Stiftung Warentest "Cola - Nur 4 von 30 Getränken sind gut" im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt.
3. Ausführbarkeit
3.1 Die Patentinhaberin argumentierte, dass der Gegenstand von Anspruch 13 des Patents wie erteilt ausführbar sei.
3.2 Aus den folgenden Gründen teilt die Kammer diese Ansicht nicht.
3.3 Die Patentinhaberin argumentierte, dass aus einem Vergleich des Beispiels 1 mit Vergleichsbeispiel V1 hervorgehe, dass eine insgesamt verbesserte Geschmacksqualität von Phloretin erhalten werde. Aus Absatz [0072] des Patents gehe insbesondere hervor, dass eine Reduktion der Bitterkeit und Adstringenz nicht erforderlich sei, um die Geschmacksqualität von Phloretin insgesamt zu verbessern. Vielmehr sei es ausreichend, um dieses Ziel zu erreichen, wenn der bittere und adstringierende Geschmackseindruck von Phloretin lediglich überdeckt oder kompensiert werde.
Aus dem Vergleich von Beispiel 1 mit Vergleichsbeispiel V1 des Patents sei erkennbar, dass die Sofortsüße und die Süßintensität durch Zugabe von 15 ppm Naringenin zu einer Zusammensetzung aus einer Basis (5% Zucker) und 15 ppm Phloretin stark erhöht werde und die Bitterkeit und Adstringenz nur moderat erhöht werde. Der Gesamtgeschmackseindruck sei in Beispiel 1 verglichen mit Vergleichsbeispiel V1 insgesamt verbessert. Ein gewisses Maß an Bitterkeit oder Adstringenz sei in einigen Fällen sogar erwünscht. Die stark erhöhte Sofortsüße und Süßintensität kompensiere somit die moderat erhöhte Bitterkeit und Adstringenz, was eine insgesamt verbesserte Geschmacksqualität von Phloretin bewirke.
3.4 Die Kammer ist von dieser Argumentation der Patentinhaberin nicht überzeugt.
Der Ausdruck "Verbesserung der Geschmacksqualität von Phloretin" ist nach Ansicht der Kammer so auszulegen, dass die unerwünschte Bitterkeit und Adstringenz von Phloretin reduziert werden soll. Dies wird auch durch den einleitenden Teil des Patent (siehe beispielsweise Absatz [0009] des Patents) gestützt, worin ausgeführt ist, dass das geschmacklich nicht einwandfreie sensorische Profil von Phloretin abgerundet werden soll und der bittere Nachgeschmack reduziert werden soll. Die Tatsache, dass Phloretin eine Eigenbitterkeit aufweist, wird auch als Fachwissen angesehen (siehe Absatz [0013] des Patents).
Selbst wenn das vorstehende Verständnis des Ausdrucks "Verbesserung der Geschmacksqualität von Phloretin" basierend auf der Angabe in Absatz [0072] des Patent breiter zu verstehe sei und keine Reduktion der Bitterkeit und Adstringenz gefordert würde sondern nur ein Überdecken bzw. Kompensieren, so kann die Kammer nicht erkennen, dass eine Zunahme der Bitterkeit und Adstringenz (siehe der Vergleich von Beispiel 1 und Vergleichsbeispiel V1) als ein Überdecken bzw. Kompensieren angesehen werden kann. Nach Ansicht der Kammer kann ein Überdecken bzw. Kompensieren bestenfalls im Fall einer im Wesentlichen gleichbleibenden Bitterkeit und Adstringenz vorliegen, nicht aber bei einer Erhöhung. Bei einem wirkungsvollen Überdecken bzw. Kompensieren der Bitterkeit von Phloretin müsste auch bei der isolierten Bewertung der Bitterkeit keine schmeckbare Erhöhung der Bitterkeit sondern bestenfalls eine gleichbleibende Bitterkeit erhalten werden.
3.5 Ein Vergleich des Vergleichsbeispiels V1 mit Beispiel 1 des Patents zeigt, dass die Verwendung von 15 ppm R/S Naringenin mit 15 ppm Phloretin in einer Testformulierung, die 5% Zucker enthält (Beispiel 1), eine erhöhte Bitterkeit und Adstringenz im Vergleich zu Vergleichsbeispiel V1 aufweist, das 5% Zucker und 15 ppm Phloretin enthält. Dies zeigt, dass die gewünschte Verbesserung der Geschmacksqualität von Phloretin nicht für die eingesetzten Mengen an R/S-Naringenin und Phloretin erreicht wird. Die entsprechenden Beispiele des Patents stellen nachprüfbare Tatsachen dar, die ernsthafte Zweifel daran entstehen lassen, dass die Erfindung im Wesentlichen im gesamten beanspruchten Bereich durchgeführt und wiederholt werden kann.
3.6 Zwar zeigen die zusätzlichen Versuche (E1), dass eine Zubereitung aus 15 ppm Phloretin und 15 ppm Naringenin in Wasser (ohne Zuckerzusatz) eine niedrigere Bitterkeit erreicht. Diese in E1 getestete Zubereitung entspricht jedoch nicht der in Beispiel 1 des Patents untersuchten Zubereitung, da in Beispiel 1 5% Zucker enthalten ist. Im Gegensatz dazu besteht die Zubereitung aus E1 nur aus Phloretin, Naringenin und Wasser. Im Hinblick auf die in den Absätzen [0070] bis [0072] des Patents beschriebenen Ausführungsformen wird deutlich, dass es in dem Patent insbesondere um die Verwendung von Naringenin in Nahrungsmitteln geht, die bereits einen süßen Stoff und Phloretin enthalten. Somit können die zusätzlichen Versuche (E1) den vorstehend identifizierten Mangel nicht beheben.
3.7 Die Patentinhaberin argumentierte ferner, dass selbst unter der Annahme, dass Beispiel 1 keine Verbesserung der Geschmacksqualität zeige, kein Problem der Ausführbarkeit bestehe. Anspruch 13 sei nur erfüllt, wenn eine Verbesserung der Geschmacksqualität von Phloretin vorliege. Wenn keine Verbesserung vorliege, falle eine derartige Ausführungsform nicht unter Anspruch 13.
Die Kammer ist auch von dieser Argumentationslinie nicht überzeugt.
Anspruch 13 ist hinsichtlich der Mengenangaben von Phloretin und Naringenin nicht eingeschränkt. Auch im Hinblick auf die im Patent besonders hervorgehobene Verwendung von Naringenin in Nahrungsmitteln, die bereits einen süßen Stoff und Phloretin enthalten, ist keine Einschränkung des süßen Stoffs vorhanden. Wie vorstehend ausgeführt, ist aus einem Vergleich des Beispiels 1 mit dem Vergleichsbeispiel V1 erkennbar, dass die Verwendung von 15 ppm Naringenin in einer Zubereitung enthaltend 5% Zucker und 15 ppm Phloretin nicht geeignet ist, eine Verbesserung der Geschmacksqualität von Phloretin zu erzielen. Diese Mengen sind jedoch auf dem einschlägigen Gebiet und hinsichtlich der beanspruchten Verwendung übliche Mengen. Die Tatsache, dass in Beispiel 2 eine Ausführungsform mit einer verbesserten Geschmacksqualität von Phloretin gezeigt ist, kann nicht ändern, dass die beanspruchte Verbesserung nicht über den gesamten beanspruchten Bereich erzielt werden kann.
Schließlich ist Beispiel 1 auch keine unschädliche, nicht funktionsfähige Ausführungsform, die für die Ausführbarkeit der Erfindung unerheblich wäre (vgl. G 1/03, Gründe 2.5.2; T 629/22, Gründe 6.17). Es wird im Patent als erfindungsgemäß dargestellt und fällt zudem in den dort als bevorzugt angegebenen Bereich (siehe Absatz [0033]).
Somit erfüllt der Gegenstand von Anspruch 13 des Hauptantrags nicht das Erfordernis des Artikels 83 EPÜ.
HILFSANTRÄGE 1 - 6
4. Der Verwendungsanspruch der Hilfsanträge 1 bis 6 ist identisch mit Anspruch 13 des Hauptantrags. Aus denselben Gründen wie für den Hauptantrag ausgeführt, ist daher keiner der Hilfsanträge 1 bis 6 gewährbar.
HILFSANTRAG 7
5. Artikel 123(2) EPÜ
5.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 betrifft die Verwendung von 30 ppm Naringenin zur Verbesserung der Geschmacksqualität von 30 ppm Phloretin.
5.2 Aus den folgenden Gründen ist der Gegenstand von Anspruch 1 unzulässig erweitert worden.
5.2.1 Beispiel 2 der Anmeldung wie eingereicht, das zusammen mit Anspruch 15 die einzig in Frage kommende Offenbarung für Anspruch 1 zu sein scheint, betrifft eine Zubereitung, umfassend 5% Zucker, 30 ppm Phloretin und 30 ppm R/S-Naringenin.
5.2.2 Das Weglassen des Merkmals "5% Zucker" stellt eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar. Die Verwendung von Zucker hat eine Auswirkung auf die Geschmacksqualität, wie die Bitterkeit, und ist somit untrennbar mit den weiteren Merkmalen des Beispiels 2 verbunden. Es steht außer Zweifel, dass Zucker einen Einfluss auf die Geschmacksqualität hat.
5.2.3 Die Kammer stimmt der Einsprechenden zu, dass das Herausgreifen der Menge von "30 ppm" für Phoretin und Naringenin aus Beispiel 2 eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstellt.
5.2.4 Darüber hinaus betrifft Anspruch 1 die Verwendung von "Naringenin" ohne weitere Spezifizierung, ob es sich um R-Naringenin, S-Naringenin, R/S-Naringenin oder Mischungen der beiden Enantiomere handelt. In Beispiel 2 der Anmeldung wie eingereicht ist jedoch R/S-Naringenin offenbart. Beispiel 2 ist somit keine Offenbarung für "Naringenin" im allgemeinen.
5.2.5 Die Patentinhaberin hat nicht ausgeführt, warum das Herausgreifen des Merkmals "30 ppm" sowohl für Naringenin als auch für Phloretin aus Beispiel 2 keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung darstelle. Sie hat lediglich argumentiert, dass Anspruch 15 und Beispiel 2 (Tabelle 1, Absatz [0090]) der Anmeldung wie eingereicht eine Grundlage für den Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 darstellten. Warum dies so sei, hat sie nicht erklärt. Auch ist sie nicht auf die diesbezüglichen Einwände der Einsprechenden eingegangen.
Somit erfüllt der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 nicht die Anforderungen des Artikels 123(2) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.