T 2007/22 22-04-2024
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LANDWIRTSCHAFTLICHES ERNTESYSTEM
Deere & Company/John Deere GmbH & Co. KG
Maschinenfabrik Bernard Krone GmbH & Co. KG
Hauptantrag - Änderung des Vorbringens - in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten (nein)
Hilfsantrag - Erweiterung des Schutzbereichs (ja)
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Streitpatent zu widerrufen.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag den Schutzumfang des erteilten Patents erweitere, Artikel 123(3) EPÜ.
II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer dies vorläufig für den gleichlautenden Anspruch 1 des Hilfsantrags verneint.
III. Am 22. April 2024 fand unter Beteiligung aller Parteien eine mündliche Verhandlung vor der Kammer in Form einer Videokonferenz statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung eines mit Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags, bzw. eines Hilfsantrags, der dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrag entspricht.
Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) 1 und 2 beantragen die Zurückweisung der Beschwerde.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut (Hervorhebung gegenüber der erteilten Fassung durch die Kammer):
"Landwirtschaftliches Erntesystem (1) mit einer landwirtschaftlichen Erntemaschine(2), insbesondere einem Feldhäcksler (3), die bzw. der einen Förderkanal (14) für einen in einem Ernteprozess durch Abernten eines Feldbestands (15) erzeugten Erntegutstrom (S) aufweist sowie eine NIR-Sensoreinrichtung (12) mit einem NIR-Sensor (13), der konfiguriert ist Inhaltsstoffe und/oder Eigenschaften des Erntegutstroms (S) zu erfassen, wobei der Erntegutstrom (S) in dem Förderkanal (14) an dem NIR-Sensor (13) vorbeigeführt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die landwirtschaftliche Erntemaschine (2) ferner eine Datenübertragungseinheit (11) aufweist, die konfiguriert ist die von der NIR-Sensoreinrichtung (12) generierten, den vom NIR-Sensor (13) erfassten Inhaltsstoffen und/oder Eigenschaften entsprechenden, Erntegutstromdaten an eine Offline-Datenverarbeitungseinrichtung (10) zu übertragen und dort die Erntegutstromdaten zeitlich von ihrer Generierung und/oder ihrem Empfang entkoppelt zu verarbeiten, wobei die Offline-Datenverarbeitungseinrichtung (10) konfiguriert ist, zumindest auf Basis der von der NIR-Sensoreinrichtung (12) generierten Erntegutstromdaten Steuerungsdaten zur Steuerung eines dem Ernteprozess nachfolgenden landwirtschaftlichen Arbeitsprozesses zu generieren. "
Anspruch 1 des Hilfsantrags unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags durch folgenden Wortlaut (Hervorhebung durch die Kammer):
" dadurch gekennzeichnet, dass die landwirtschaftliche Erntemaschine (2) ferner eine Datenübertragungseinheit (11) aufweist, die konfiguriert ist die von der NIR-Sensoreinrichtung (12) generierten, den vom NIR-Sensor (13) erfassten Inhaltsstoffen und/oder Eigenschaften entsprechenden, Erntegutstromdaten an eine Offline-Datenverarbeitungseinrichtung (10) zu übertragen, wobei die Offline-Datenverarbeitungseinrichtung (10) [deleted: und dort] die Erntegutstromdaten zeitlich von ihrer Generierung und/oder ihrem Empfang entkoppelt [deleted: zu ]verarbeite[deleted: n]t, wobei die Offline-Datenverarbeitungseinrichtung (10) konfiguriert ist, zumindest auf Basis der von der NIR-Sensoreinrichtung (12) generierten Erntegutstromdaten Steuerungsdaten zur Steuerung eines dem Ernteprozess nachfolgenden landwirtschaftlichen Arbeitsprozesses zu generieren."
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Die unabhängigen Ansprüche definierten wie die Beschreibung drei verschiedene Phasen der Erfassung, Übertragung und Verarbeitung von Erntestromgutdaten in bzw. durch jeweils eine(r) funktionell zugeordnete(n) Einrichtung, nämlich eine(r) NIR-Sensoreinrichtung, eine(r) Datenübertragungseinheit und eine(r) Offline-Datenverarbeitungseinrichtung. In der erteilten Fassung des Anspruchs 1 finde die Datenverarbeitung dementsprechend auch explizit in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung statt ("dort"), jedoch in einer gegenüber der Gesamtoffenbarung des Patents und insbesondere Anspruch 21 widersprüchlicher Weise durch die Datenübertragungseinheit. Ein derart offensichtlich widersinniges Merkmal schränke den Schutzbereich des erteilten Anspruchs 1 nicht ein, der unter Heranziehung der Beschreibung zu bestimmen sei, Artikel 69 EPÜ. Daher erweitere die in Anspruch 1 des Hilfsantrags vorgenommene und der ursprünglichen Offenbarung entstammende Richtigstellung dahingehend, dass die Offline-Datenverarbeitungseinrichtung bestimmungsgemäß die zuvor von der NIR-Sensoreinrichtung generierten und von der Datenübertragungseinheit übertragenen Erntestromgutdaten verarbeite, nicht den Schutzbereich des erteilten Anspruchs 1. Diese Richtigstellung stelle vielmehr einen nach G 1/93 legitimen Ersatz eines ursprünglich nicht offenbarten Merkmals (Datenübertragungseinheit verarbeitet Erntegutstromdaten in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung) durch ein ursprünglich offenbartes (Offline-Datenverarbeitungseinrichtung verarbeitet zuvor übertragene Erntgutstromdaten) ohne eine damit einhergehende Schutzbereichserweiterung dar.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der erteilte Anspruch 1 definiere klar und widerspruchsfrei, dass sowohl die Datenübertragungseinheit konfiguriert sei, die von der NIR-Sensoreinrichtung generierten Erntegutstromdaten in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung zu verarbeiten, als auch die Offline-Datenverarbeitungseinrichtung selbst. Einer Auslegung unter Heranziehung der Beschreibung bedürfe es daher nicht. Im übrigen seien die Grenzen der beiden Einheiten zur Datenübertragung und -verarbeitung auch in deren Absatz [0028] fließend, so dass der erteilte Anspruch 1 nicht in Widerspruch zur Beschreibung stehe.
Dass eine Datenübertragungseinheit nicht nur Daten übertrage, sondern sie danach auch verarbeite, z.B. ablege, sortierte oder speichere und wieder abrufe, sei technisch nicht undenkbar oder widersinnig. Daher schränke dieses Merkmal sehr wohl den Schutzbereich des erteilten Anspruchs 1 ein. Folglich führe sein Wegfall in Anspruch 1 des Hilfsantrags zu einer nachträglichen Erweiterung des Schutzbereichs, in den dann auch Erntesysteme fielen, deren Datenübertragungseinheit keine Datenverarbeitung in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung vornehme.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Die Beschwerdegegnerin 2 macht eine Unzulässigkeit der Beschwerde wegen Unzulässigkeit des Hauptantrags nicht mehr geltend.
2. Das Patent und sein technischer Hintergrund
Das Patent befasst sich mit einem landwirtschaftlichen Erntesystem, das eine Erntemaschine aufweist, insbesondere einen Feldhäcksler. In dessen Förderkanal überwacht ein NIR-Sensor (NahInfrarotSpektroskopie) einen durch Abernten eines Feldes gewonnenen Erntegutstrom und erfasst dessen Inhaltsstoffe und/oder Eigenschaften. Entsprechende Erntegutstromdaten werden von einer Datenübertragungseinheit an eine Offline-Datenverarbeitungseinrichtung weitergeleitet. Der Einsatz des Sensors und der erfassten Daten zur Steuerung der Erntemaschine, z.B. Änderung der Schnitthöhe je nach Feuchtegehalt oder Faseranteil, ist aus dem Stand der Technik bekannt (siehe die in Absatz [0002] des Patent zitierte EP 1 407 654 B1). Das Patent schlägt vor, sie auch zu Planung eines dem Ernteprozess nachfolgenden landwirtschaftlichen Arbeitsprozesses zu nutzen, wie z.B. der Silierung des Schnittguts.
3. Hauptantrag - Zulassung
3.1 Zur Antragslage hat die Kammer in Punkt 1 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK wie folgt vorläufig Stellung genommen:
"Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragt die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage des mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten Hauptantrags. Dessen Anspruch 1 scheint auf dem erteilten Anspruch 1 zu beruhen, dem Merkmale aus Absatz [0014] der ursprünglichen Beschreibung hinzugefügt wurden. Ein solcher Hauptantrag scheint entgegen der Angabe auf Seite 2 der Beschwerdebegründung mit Einspruchserwiderung vom 24. Juni 2021 erstmals gestellt, aber nicht weiterverfolgt, sondern durch den Hauptantrag vom 9. März 2022 ersetzt worden zu sein, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt (Seite 4, Anlage). Anspruch 1 des während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten und zum Einspruchsverfahren zugelassenen Hilfsantrags der Beschwerdeführerin scheint zwar ebenfalls auf dem erteilten Anspruch 1 zu beruhen, aber verglichen mit dem des derzeitigen Hauptantrags weitere Merkmale im kennzeichnenden Teil zu umfassen.
Mithin scheint es sich beim Hauptantrag der Beschwerdeführerin um eine Änderung im Sinne von Artikel 12(2), (4) VOBK zu handeln, deren Zulassung im Ermessen der Kammer liegt.
Diese scheint vorliegend bereits daran zu scheitern, dass die Beschwerdeführerin entgegen der Erfordernisse des Artikels 12(4) VOBK, zweiter Absatz die gegenüber den der Einspruchsentscheidung zugrunde liegenden Anträgen erfolgte Änderung als solche weder klar gekennzeichnet, noch begründet hat, warum sie im Beschwerdeverfahren erfolgt. Insbesondere scheint nicht dargelegt zu sein, welche Einwände mit dem Weglassen von Merkmalen aus Anspruch 1 des in der Entscheidung behandelten Hilfsantrags ausgeräumt werden (Artikel 12(4) VOBK, dritter Absatz).
Daher beabsichtigt die Kammer derzeit nicht, den geänderten Hauptantrag der Beschwerdeführerin zum Verfahren zuzulassen, Artikel 12(2), (4) VOBK."
3.2 Zu dieser vorläufigen Auffassung der Kammer hat sich die Beschwerdeführerin weder schriftlich, noch in der mündlichen Verhandlung geäußert. Daher sah die Kammer keine Veranlassung, von ihr abzuweichen und hat den Hauptantrag der Beschwerdeführerin in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12(4) VOBK nicht zum Verfahren zugelassen.
4. Hilfsantrag - Erweiterung des Schutzbereichs
4.1 Unstreitig enthält Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag nicht mehr das Merkmal des erteilten Anspruchs 1, wonach die Datenübertragungseinheit konfiguriert ist, Erntegutstromdaten "dort", also in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung, zeitlich von ihrer Generierung und/oder ihrem Empfang entkoppelt zu verarbeiten. In der Tat wäre es vorstellbar, dass ein Merkmal, dass einen offensichtlichen Fehler enthält und/oder technisch völlig sinnlos ist, den Schutzbereich eines erteilten Anspruchs nicht einschränkt, so dass sein Wegfall oder Ersatz durch ein ursprünglich offenbartes "richtiges" Merkmal im Sinne einer Korrektur nicht zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führen würde.
4.2 Nach analogen Grundsätzen gestattet Regel 139 EPÜ die Berichtigung von Unrichtigkeiten in einem Anspruch, wenn sie derart offensichtlich sind, dass sofort erkennbar ist, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte, als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird.
Vorliegend ist es zwar möglich, dass bei der Umformulierung des ursprünglichen Anspruchs 1 ein Fehler aufgetreten ist, und die ursprüngliche Zweckangabe "zur zeitlich von ihrer Generierung und/oder Empfang entkoppelten Verarbeitung der Erntegutstromdaten", wie sie immer noch in Absatz [0012] der Beschreibung zu finden ist, statt in "um dort die Erntgutstromdaten ... zu verarbeiten" in "und dort die Erntegutstromdaten ... zu verarbeiten" geändert und dadurch auf die Konfiguration der Datenübertragungseinheit rückbezogen wurde. Bereits die ursprüngliche Zweckangabe "zur Verarbeitung" lässt aber letztendlich offen, wer die Daten verarbeitet, und eine umformulierte Zweckangabe "um zu verarbeiten" würde sogar eher implizieren, dass die Datenübertragungseinheit die Daten zuerst übertragt, um sie danach zu verarbeiten. Jedenfalls ist aus dem erteilten Anspruch 1, der letzteres ausdrücklich als Fähigkeit der Datenübertragungseinheit postuliert, eine etwaige Unrichtigkeit nicht ersichtlich.
4.3 Vielmehr definiert er grammatikalisch und semantisch klar, eindeutig und ohne Widerspruch, dass sowohl die Datenübertragungseinheit, als auch die Offline-Datenverarbeitungseinrichtung selbst konfiguriert sind, die Erntegutstromdaten zu verarbeiten - erstere in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung zeitversetzt nach Generierung/Empfang der Daten, letztere, indem sie aus den Daten Steuerungsdaten zur Steuerung eines nachfolgenden landwirtschaftlichen Arbeitsprozesses generiert. Obwohl die Bezeichnungen der einzelnen beanspruchten Einrichtungen "sprechend" sind und Auskunft über ihre jeweiligen Fähigkeiten geben, nämlich die Erfassung, Übertragung und Verarbeitung von Daten, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die Einrichtungen auf diese jeweiligen Fähigkeiten beschränkt sind, und es keine Überschneidungen oder Doppelfunktionen geben kann. Im Gegenteil drückt der erteilte Anspruchs 1 klar aus, dass die Datenübertragungseinheit konfiguriert ist, Erntegutstromdaten an einen Zielort zu übertragen und dort zu verarbeiten. Dass der Zielort eine Offline-Datenverarbeitungseinrichtung ist, die auch selbst die Erntegutstromdaten verarbeitet, tut dem zunächst einmal keinen Abbruch.
4.4 Da der erteilte Anspruch also in sich klar und widerspruchsfrei ist, muss weder zu seiner Auslegung, noch zur Bestimmung seines Schutzbereichs auf die Beschreibung zurückgegriffen werden. Im übrigen steht er auch nicht in Widerspruch zur Beschreibung und ihren Ausführungsbeispielen. Denn eine zeitversetzte Verarbeitung von Erntgutstromdaten nach ihrer Übertragung wird zwar in Absatz [0021] im Gegensatz zu einer Online-Datenverarbeitungseinrichtung als Funktion der Offline-Datenverarbeitungsanlage dargestellt, nicht aber als deren Privileg. Genauso wenig wird ausgeschlossen, dass die Datenübertragungseinheit nach abgeschlossener Übertragung der Erntestromgutdaten diese noch verarbeitet oder eine einschränkende Definition der Begriffe Datenübertragungseinheit und Offline-Datenverarbeitungsseinrichtung vorgenommen, die diese auf bestimmte Funktionen beschränkt. Die Voraussetzungen nach T 131/15 für die Bestimmung eines vom Wortlaut abweichenden Schutzumfangs sind demnach nicht erfüllt (siehe dort Entscheidungsgründe 5.11, RSdBK, 10. Auflage, II.E.2.3.1c), letzter Absatz).
4.5 Schließlich ist das Merkmal, die Datenverarbeitungseinheit könne Erntegutstromdaten in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung verarbeiten, nicht nur nicht offensichtlich sinnwidrig, sondern vermittelt als solches eine klare, glaubhafte technische Lehre (siehe oben RSdBK, vorletzter Absatz).
Denn zum einen ist ist es an sich technisch sinnvoll und plausibel. Zwar sieht die Kammer weder eine Verarbeitung der Daten im Rahmen ihrer Übertragung (z.B. Protokolle, Verschlüsselung), noch eine bloße Ablage und Speicherung von Erntegutstromdaten auf der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung als Datenverarbeitung in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung an. Datenverarbeitung bezeichnet nämlich einen über Ablage und Speicherung hinausgehenden "organisierten Umgang mit Datenmengen mit dem Ziel, Informationen über diese Datenmengen zu gewinnen oder diese Datenmengen zu verändern" (https://de.wikipedia.org/wiki/Datenverarbeitung), einen "Prozess, bei dem mithilfe entsprechender technischer Anlagen vorgegebene, gespeicherte Daten (2, 3, 4), häufig in Form von Zahlen, bearbeitet und ausgewertet werden" (https://www.duden.de/rechtschreibung/Datenverarbeitung). Aber Programme können durchaus auf "fremde" Rechnerkapazitäten zugreifen, d.h. an andere Einheiten als auf die, auf denen sie installiert sind, Daten übertragen, sie dort verarbeiten und die verarbeiteten Daten wieder zurück holen oder weitergeben. Beispiele hierfür sind bitcoin mining, malware oder komplexe Forschungsprojekte, die hohe Rechenkapazitäten weltweit benötigen. Entsprechend ist es denkbar und nicht völlig abwegig, dass die Datenübertragungseinheit mit den übertragenen Erntegutstromdaten Berechnungen in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung durchführt. Wie voranstehend in den Punkten 4.3, 4.4 dargelegt, ist dieses Merkmal zum anderen auch grundsätzlich vereinbar mit den übrigen Anspruchsmerkmalen, insbesondere dem, dass außerdem noch die Offline-Datenverarbeitungseinrichtung selbst Steuersignale auf Basis der übertragenen Erntegutstromdaten generiert.
4.6 Damit bewirkt das Merkmal des erteilten Anspruchs 1, wonach die Datenübertragungseinrichtung in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung zuvor übertragene Erntegutstromdaten verarbeitet, eine Einschränkung des Schutzbereichs dahingehend, dass Erntesysteme, in denen Datenverarbeitung ausschließlich in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung erfolgt, nicht umfasst sind. Solche Erntesysteme fallen aber sehr wohl unter Anspruch 1 des Hilfsantrags, dessen Schutzbereich mithin entgegen Artikel 123(3) EPÜ gegenüber der erteilten Fassung erweitert ist.
4.7 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass die wortwörtliche Lesart des erteilten Anspruchs 1, wonach die Datenübertragungseinheit in der Offline-Datenverarbeitungseinrichtung Erntegutstromdaten verarbeiten würde, dazu führe, dass er ein ursprünglich nicht offenbartes Merkmal enthalte und somit gegen Artikel 123(2) EPÜ verstieße. Diese technische Aussage sei aber offensichtlich unzutreffend und widersinnig und stünde nicht in Einklang mit der Gesamtoffenbarung des Patents. Daher könne sie nach G 1/93 durch das ursprünglich offenbarte Merkmal ersetzt werden, wonach die Offline-Datenverarbeitungseinrichtung selbst die Daten verarbeite.
G 1/93 gestattet zwar gemäß dem ersten Leitsatz den Ersatz eines nicht ursprünglich offenbarten Merkmals durch ein offenbartes, jedoch nur unter der Prämisse, dass dadurch der Schutzbereich nicht erweitert wird. Dies wird in T 195/09 in Abgrenzung zu früheren Entscheidungen wie T 108/91, die durch G 1/93 überholt sind, eingehend thematisiert (Entscheidungsgrund 2.1.5, siehe auch RSdBK, II.E.3.2.5, dritter Absatz). Maßgeblich ist dabei insbesondere, ob, wie im vorliegenden Fall, die Fachperson das ersetzte, unzutreffende Merkmal zwar als ursprünglich nicht offenbarte, aber dennoch realistische, denkbare Option ansieht (Entscheidungsgründe 1.1.2, 2.1.2, 2.1.3). Ist dies der Fall, entfaltet es eine einschränkende Wirkung, und führt sein späterer Wegfall bzw. Ersatz durch ein aliud zu einer unzulässigen Erweiterung des Schutzbereichs.
Daher sind die in G 1/93 definierten Voraussetzungen für eine Heilung eines Verstoßes gegen Artikel 123(2) EPÜ nach Erteilung des Patents in Anspruch 1 des Hilfsantrags nicht erfüllt.
5. Ergebnis
Dass die Kammer in Ausübung ihres Ermessens unter Artikel 12(4) VOBK den Hauptantrag der Beschwerdeführerin nicht zum Verfahren zugelassen hat und die Feststellung der Einspruchsabteilung bestätigt, das Patent sei in der Fassung des Hilfsantrags (Hauptantrag im Einspruchsverfahren) so geändert, dass sein Schutzbereich erweitert wird (Artikel 123(3) EPÜ), führt zur Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin gegen die entsprechende Entscheidung der Einspruchabteilung auf Widerruf des Patents.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.