T 0273/23 27-10-2023
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KUNSTOBJEKT
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsanträge (nein)
I. Der Beschwerdeführer (Anmelder) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, die europäische Patentanmeldung N° 17198348.9 zurückzuweisen.
II. Die Prüfungsabteilung hatte entschieden, dass sowohl der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag, als auch gemäß Hilfsantrag 1 im Hinblick auf das Dokument
D1: DE 44 41 734 A1
nicht neu in Sinne der Artikel 52(1) und 54 EPÜ sei, und dass der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 ausgehend von Dokument
D4: Klaus de Carné: "Gartenträume auf Burg Hülshoff: Blüten, Kunst und neueste Technik", 23. Juni 2017; XP055598634
auf keiner erfinderischen Tätigkeit in Sinne der Artikel 52(1) und 56 EPÜ beruhe.
III. Mit der am 12. April 2023 versandten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar, wonach die Beschwerde zurückzuweisen sein dürfte und führte folgenden zusätzlichen Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ in das Beschwerdeverfahren ein:
D5: CNN-Bericht über das künstlerische Werk "SOS (Safety Orange Swimmers)", das im Oktober 2016 im Fort Point Channel Basin in Boston (USA) installiert wurde, der unter folgender Internetadresse seit dem 13. Oktober 2016 unverändert aufrufbar ist:
https://edition.cnn.com/2016/10/13/us/refugee-artinstallation-boston-irpt/index.html
Ein Ausdruck dieses Berichts wurde der Mitteilung der Kammer als Anlage beigefügt.
IV. Mit Schreiben vom 31. Juli 2023 trat der Beschwerdeführer der vorläufigen Auffassung der Kammer entgegen.
V. Eine mündliche Verhandlung fand am 27. Oktober 2023 statt.
Während der mündlichen Verhandlung reichte der Beschwerdeführer folgendes Beweismittel ein:
D6: Wikipedia-Auszug "Fließgewässer"
VI. Der Beschwerdeführer beantragte, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent auf der Basis des Hauptantrags, hilfsweise auf der Basis eines der beiden Hilfsanträge 1 und 2 zu erteilen.
Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 2 entsprechen den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Anträgen.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zur Positionierung eines Kunstobjekts (1) auf einem fließenden Gewässer, wobei das Kunstobjekt (1) zwei oder mehrere schwimmfähige Elemente (3,3') umfasst, und wobei zumindest eines der Elemente (3) an in Fließrichtung festgelegter Position verankert wird und die anderen Elemente (3') entweder ebenfalls verankert oder mit dem einen Element (3) verbunden werden."
Der unabhängige Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 entspricht dem unabhängigen Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, in welchem zusätzlich spezifiziert wird, dass
"die Elemente (3,3') scheibenförmig, kugelförmig, halbkugelförmig, stangenförmig, dachziegelförmiq, fischförmig oder plattenförmig sind".
Der unabhängige Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 entspricht dem unabhängigen Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, in welchem die Alternative "plattenförmig" gestrichen wurde.
NEUHEIT: Artikel 52(1) und 54 EPÜ
Hauptantrag
1. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist nicht neu im Sinne der Artikel 52(1) und 54 EPÜ.
1.1 Der CNN-Bericht (D5) über das künstlerische Werk "SOS (Safety Orange Swimmers)", der seit dem 13. Oktober 2016 im Internet unverändert der Öffentlichkeit frei zugänglich war, stellt unbestritten einen Stand der Technik gemäß Artikel 54(2) EPÜ dar.
1.2 Dieser Bericht wurde von der Kammer mit der Mittelung gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 12. April 2023 ins Beschwerdeverfahren eingeführt.
Der Einführung dieses zusätzlichen Standes der Technik in das Beschwerdeverfahren wurde von der Beschwerdeführerin nicht entgegengetreten. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde der Offenbarungsinhalt von D5 im Hinblick auf den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 ausführlich erörtert, so dass das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör gewahrt wurde.
1.3 Der Beschwerdeführer argumentierte jedoch, dass Dokument D5 nicht das beanspruchte Verfahren gemäß Anspruch 1 vorwegnehmen würde.
1.3.1 Zum einen argumentierte der Beschwerdeführer, D5 würde nur ein Kunstobjekt offenbaren, nicht jedoch ein Verfahren zu dessen Positionierung in einem Gewässer.
Dieses Argument ist aus den folgenden Gründen nicht überzeugend:
a) D5 offenbart, dass das Kunstwerk im Fort Point Channel Basin in Boston verankert wurde ("The 22 figures are anchored in water..."). Auch wenn D5 daher nicht explizite Verfahrensschritte nennt, die im Rahmen dieser Verankerung durchgeführt wurden, offenbart es doch zumindest implizit ein Verfahren zur Positionierung des Kunstobjekts in einem Gewässer, bei dem die Mehrzahl an schwimmfähigen Elementen des Kunstobjekts am Grund des Gewässers verankert wurden.
b) Anspruch 1 nennt zudem keine weiteren Verfahrensschritte , insbesondere aber keine Details des Schritts des Verankerns. Daher fällt auch das aus D5 implizit offenbarte Verfahren unter Anspruch 1.
1.3.2 Unter Verweis auf den Wikipedia-Auszug (D6) führte der Beschwerdeführer zum anderen aus, dass der Fachmann auf dem Gebiet der Hydrologie unter dem Begriff "fließendes Gewässer" bzw. "Fließgewässer" ein Gewässer mit einer immer in eine Richtung gerichteten Wasserbewegung verstehe, die dadurch entstehe, dass Wasser aus einem Einzugsgebiet unter Schwerkrafteinfluss zu einer Mündung des Gewässers in ein übergeordnetes Gewässer transportiert werde. Ein Fliessgewässer sei somit definitionsgemäß durch eine mehr oder weniger starke, gerichtete Wasserströmung gekennzeichnet. Fließende Gewässer seien z.B. je nach ihrer Größe Bäche oder Flüsse, aber nicht Meere oder Seen.
Vor diesem Verständnis kam der Beschwerdeführer zum Schluss, dass das Fort Point Channel Basin in Boston, in welchem das Kunstobjekt "SOS (Safety Orange Swimmers)" verankert und ausgestellt wurde, definitionsgemäß kein fließendes Gewässer im Sinne des Anspruchs 1 darstelle. Im Gegenteil handele es sich dabei um einen an seinem Ende geschlossenen Meeresarm, der über keinen Zufluss verfüge. Daher würden in diesem Gewässer allenfalls unerhebliche wind- und gezeitenabhängige oberflächliche Wasserbewegungen in variablen Richtungen auftreten. Das Fort Point Channel Basin sei daher gerade kein Fliessgewässer, wie es Anspruch 1 aber zwingend verlange.
Zudem erkannte der Beschwerdeführer auch kein Positionieren an in Fliessrichtung festgelegter Position, da ja gerade diese Fliessrichtung nicht erkennbar sei.
Der Beschwerdeführer schloss daraus, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag vom Offenbarungsinhalt des Berichts D5 dadurch unterscheide, dass das Kunstobjekt auf einem fließenden Gewässer positioniert wird, wobei zumindest eines der Elemente an in Fließrichtung festgelegter Position verankert wird.
Die Frage, ob das Fort Point Channel Basin in Boston als ein Fliessgewässer angesehen werden kann oder nicht, ist aus Sicht der Kammer jedoch aus folgenden Gründen unerheblich:
a) Das beanspruchte Verfahren gemäß Anspruch 1 erwähnt das Positionieren im Fließgewässer nur im Rahmen einer Zweckbestimmung des Verfahrens ( "zur Positionierung eines Kunstobjekts auf einem fließenden Gewässer"). Das Verfahren ist daher auch nicht weiter beschränkt als durch die diesbezügliche Eignung. Es wird daher durch jedes andere Positionierungsverfahren eines Kunstobjekts vorweggenommen, welches inhärent dazu geeignet ist, auch zur Positionierung in bzw. auf einem Fließgewässer eingesetzt zu werden.
b) Im Einklang mit ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammer (vgl. z.B. T1931/14, Punkt 2.2.4 der Gründe) hat eine Zweckbestimmung (hier die Positionierung eines Objekts in einem fließenden Gewässer) keine beschränkende Wirkung, wenn sich diese Wirkung zwangsläufig bei der Ausübung der übrigen Schritte des beanspruchten Verfahren ergibt. Ein Verankern eines Objekts führt aber letztlich immer zu einer festgelegten Position dieses Objekts, so dass über das Positionieren des Objekts hinaus keine weiteren (impliziten) Merkmale mit der Verankerung verbunden sind.
c) Die Kammer sieht daher keinen Grund, warum das in D5 offenbarte Verankern der Elemente des Kunstobjekts im Fort Point Channel Basin in Boston nicht geeignet sein sollte, dieses Kunstobjekt auch auf einem fließenden Gewässer zu positionieren.
d) Eine Verankerung des Kunstobjekts in einem Fließgewässer ohne wechselnde Flussrichtung würde auch zwangläufig immer zu einer in der (einzigen) Fließrichtung des Gewässers festgelegten Position führen. Das strömende Wasser richtet die verankerten Objekte dabei immer "in Fließrichtung" aus und hält sie in dieser Position.
1.3.3 Der Beschwerdeführer argumentierte hierzu, dass die Verankerungsart eines schwimmenden Objekts in einem fließenden Gewässer, in welchem per Definition erhebliche Strömungen und Turbolenzen auftreten, nicht einer Verankerung in dem im Wesentlichen stehenden Gewässer des Fort Point Channel Basin gleichzusetzen sei.
Die Kammer schließt sich dieser Einschätzung nicht an, da das Wasser eines im Anspruch 1 nicht näher definierten fließenden Gewässers auch weitestgehend ruhig und ohne erhebliche Strömungen und/oder Wasserturbolenzen abfließen kann. Da Anspruch 1 keine Angabe hinsichtlich der Stärke der Strömung macht und im Bereich von mit dem offenen Meer in Verbindung stehenden Buchten wie dem Fort Point Channel Basin auch starke durch Gezeiten oder Wind verursachte Wasserströmungen auftreten können, die die auf ruhigeren Bächen und Flüssen zu erwartenden Strömungen auch weit übersteigen können, sieht die Kammer keinen Grund, warum die Verankerung am Port Point Channel Basin in Boston ohne Modifikation nicht auch in einem nicht näher definierten Fliegewässer verwendet werden könnte. Ganz im Gegenteil scheint die in D5 verwendete Verankerung auch grundsätzlich für Fließgewässer geeignet zu sein.
1.4 Aus den vorstehend ausgeführten Gründen ist das Verfahren des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag daher von der Entgegenhaltung D5 neuheitsschädlich getroffen.
Hilfsanträge 1 und 2
2. Der unabhängige Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 enthält das zusätzliche Merkmal, dass die schwimmfähigen Elemente des Kunstobjekts - neben weiteren Alternativen - "scheibenförmig" sind.
2.1 Der Beschwerdeführer vertrat die Auffassung, dass die Elemente des in D5 offenbarten Kunstobjekts nicht scheibenförmig seien.
2.2 Dieser Auffassung ist aus folgenden Gründen nicht zu folgen:
2.2.1 Was genau unter "scheibenförmig" im Sinne der Patentanmeldung zu verstehen ist, wird in den Anmeldungsunterlagen nicht näher spezifiziert. Die Figuren 2 bis 5 zeigen lediglich konkrete Beispiele von halbkugelförmigen, kugelförmigen, dachziegelförmigen sowie stangenförmigen Elementen, aber kein anmeldungsgemäßes scheibenförmiges Element.
2.2.2 Auf Seite 2, Zeile 3 der Beschreibung der Anmeldung wird zudem ausgeführt, dass die Elemente des Kunstobjekts auch mit einem Aufbau versehen sein können.
2.2.3 Vor diesem Hintergrund ist die Kammer der Auffassung, dass die in den Bildern auf Seiten 4 und 5 des Berichts D5 gezeigten Elemente des im Port Pont Channel Basin in Boston aufgestellten Kunstobjekts als scheibenförmige Elemente in der Form eines Schwimmreifens, versehen mit einem Aufbau in der Form eines daran geklammerten Menschen angesehen werden können. Wie aus dem letzten Bild des Dokuments D5 klar zu erkennen ist, handelt es sich bei dem stilisiert dargestellten Schwimmreifen um keinen Ring mit offenem Innenraum, sondern um ein scheibenförmiges Element mit verbreitertem Rand.
2.3 Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß der Hilfsanträge 1 und 2 wird daher ebenfalls von dem aus D5 implizit offenbarten Verfahren neuheitsschädlich vorweggenommen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.