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T 0343/23 16-05-2024
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VERFAHREN ZUR BESTIMMUNG VON BEWEGUNGSMUSTERN BEI EINER ZAHNBEHANDLUNG
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, in der festgestellt wurde, dass das Europäische Patent 3 010 370 in geänderter Fassung die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
II. Mit der Beschwerdeerwiderung reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) 15 Hilfsanträge ein.
III. Mit einer Mitteilung der Beschwerdekammer vom 21. November 2023 wurden die Parteien informiert, dass die Kammer dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 31. Oktober 2023 auf Beschleunigung des Verfahrens nach Artikel 10 (3) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) stattgibt.
IV. Die Parteien wurden zur mündlichen Verhandlung am 16. Mai 2024 geladen.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 27. März 2024 wurden die Parteien über die vorläufige Beurteilung der Sache durch die Beschwerdekammer informiert. Die Kammer führte darin unter anderem aus, dass der Gegenstand des auf ein Verfahren gerichteten Anspruchs 1 und des auf ein System gerichteten Anspruchs 7 des Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ verletzte und dass nicht erkennbar sei, dass die jeweils vorgenommenen Änderungen am Verfahrensanspruch 1 der vorgelegten Hilfsanträge 1 bis 15 diese Einwände beheben könnten.
VI. Mit Schreiben vom 16. April 2024 reichte die Beschwerdegegnerin einen neuen Hauptantrag und einen neuen Hilfsantrag 1 ein.
VII. Die Beschwerdeführerin erhob mit Schreiben vom 30. April 2024 Einwände gegen die Zulassung der neu eingereichten Anträge unter Artikel 13 (2) VOBK, denen die Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 8. Mai 2024 entgegentrat, wozu im Gegenzug die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 13. Mai 2024 nochmals Stellung nahm.
VIII. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 16. Mai 2024 statt in deren Verlauf die Beschwerdegegnerin einen nochmals geänderten Hilfsantrag 0 einreichte, der den zuvor eingereichten Hilfsantrag 1 ersetzte.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragte abschließend die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte abschließend, das Patent in geänderter Form aufrechtzuerhalten auf Grundlage des neuen Hauptantrags, eingereicht mit Schriftsatz vom 16. April 2024, hilfsweise auf Grundlage des neuen Hilfsantrags 0, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer.
X. Der einzige Anspruch gemäß Hauptantrag hat folgenden Wortlaut, mit Hervorhebungen bzw. Streichungen, wie sie von der Beschwerdegegnerin vorgenommen wurden zur Kennzeichnung des Unterschieds zum Wortlaut des entsprechenden Anspruchs nach Hilfsantrag 14 der Beschwerdeerwiderung:
"System zum Ausführen eines [deleted: zuvor genannten ]Verfahrens zum zumindest teilweisen Bestimmen eines sich bei einer Zahnreinigung ergebenden Bewegungsmusters eines Zahnbehandlungsmittels umfassend eine als eine elektrische Zahnbürste ausgebildetes Zahnbehandlungsmittel; eine Sensoreinrichtung oder mehrere Sensoreinrichtungen, die einen Positions-, Geschwindigkeits- [sic] Beschleunigungs- und/oder Rotationssensor umfassen, die fest mit der elektrischen Zahnbürste verbunden ist/sind; und eine Prozessorvorrichtung, wobei die Prozessorvorrichtung ein mobiles Endgerät ist, wobei das mobile Endgerät mindestens eine Kamera zum optischen Erfassen von Daten zu mindestens einem Bewegungsparameter der elektrischen Zahnbürste und eine Datenverarbeitungseinrichtung zur bildlichen Separation der elektrischen Zahnbürste von mindestens einem weiteren durch die mindestens eine Kamera erfassten Bildbestandteil und zum Bestimmen von mindestens einem zu dem Bewegungsparameter korrespondierenden Bewegungsmuster aufweist, wobei die Sensordaten und die Daten der Kamera durch die Datenverarbeitungseinrichtung zur Bestimmung des Bewegungsparameters verwendet werden, wobei das mobile Endgerät ein Mobiltelefon [deleted: oder TabletPC] ist."
Der einzige Anspruch des Hilfsantrags 0 hat folgenden Wortlaut, mit den Hervorhebungen bzw. Streichungen, wie sie von der Beschwerdegegnerin vorgenommen wurden, zur Kennzeichnung des Unterschieds zum Wortlaut des Anspruchs gemäß Hauptantrag:
"System [deleted: zum Ausführen eines zuvor genannten Verfahrens zum zumindest teilweisen Bestimmen eines sich bei einer Zahnreinigung ergebenden Bewegungsmusters eines Zahnbehandlungsmittels] umfassend eine [deleted: als eine] elektrische Zahnbürste [deleted: ausgebildetes Zahnbehandlungsmittel]; eine Sensoreinrichtung oder mehrere Sensoreinrichtungen, die einen Positions-, Geschwindigkeits- [sic] Beschleunigungs- und/oder Rotationssensor umfassen, die fest mit der elektrischen Zahnbürste verbunden ist/sind; und eine Prozessorvorrichtung, wobei die Prozessorvorrichtung ein mobiles Endgerät ist, wobei das mobile Endgerät mindestens eine Kamera zum optischen Erfassen von Daten zu mindestens einem Bewegungsparameter der elektrischen Zahnbürste und eine Datenverarbeitungseinrichtung zur bildlichen Separation der elektrischen Zahnbürste von mindestens einem weiteren durch die mindestens eine Kamera erfassten Bildbestandteil und zum Bestimmen von mindestens einem zu dem Bewegungsparameter korrespondierenden Bewegungsmuster aufweist, wobei die Sensordaten und die Daten der Kamera durch die Datenverarbeitungseinrichtung zur Bestimmung des Bewegungsparameters verwendet werden, wobei das mobile Endgerät ein Mobiltelefon [deleted: oder TabletPC] ist."
XI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden.
a) Beschwerdebegründung - Artikel 12 (2), (3) VOBK
Es habe bei der Abfassung der Beschwerdebegründung keine andere Wahl gegeben, als einen logischen Aufbau, der zwar einen signifikanten Überlapp mit den Argumenten aus dem Einspruchsverfahren aufweise, aber ansonsten nicht beanstandet werden könne. Die Beschwerdebegründung enthalte eine Zusammenfassung der Argumente aus dem Einspruchsverfahren, gefolgt von einer Zusammenfassung der Gründe, warum die Einspruchsabteilung ersteren nicht gefolgt sei, um dann spezifisch darzulegen, warum die Begründung der Einspruchsabteilung falsch war (siehe zum Beispiel zumindest Absätze 4.16 bis 4.19, 4.29 bis 4.31, 4.40 und 5.3 bis 5.7 in Bezug auf die unabhängigen Ansprüche und zumindest Absätze 6.4, 6.6, 6.8, 6.10, 6.13 und 6.15 für die abhängigen Ansprüche). Die Begründung der angefochtenen Entscheidung durch die Einspruchsabteilung sei außerdem unvollständig, denn verschiedene im Einspruchsverfahren von der Einsprechenden vorgetragene Argumente seien unberücksichtigt geblieben (siehe z.B. Punkt 4.40 der Beschwerdebegründung). Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung sei folglich konform mit den Erfordernissen der Artikel 12 (2) und (3) VOBK.
b) Hauptantrag - Artikel 13 (2) VOBK
Der neue Hauptantrag stelle eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdegegnerin im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK dar. Die Beschwerdegegnerin habe versäumt, außergewöhnliche Umstände nachzuweisen, die seine Zulassung in das Verfahren rechtfertigen könnten, so dass der Antrag nicht berücksichtigt werden sollte. Entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin könne nicht jede Streichung von Ansprüchen einer anderen Kategorie oder von abhängigen Ansprüchen vorgenommen werden, ohne eine Änderung des Parteivorbringens zu bewirken. Die von der Beschwerdegegnerin zitierte Rechtsprechung der Beschwerdekammern sei vorliegend nicht anwendbar. Ob eine Änderung vorliege, hänge nämlich von den genauen Umständen des Falls ab. Im vorliegenden Fall führe die Streichung der Verfahrensansprüche zu einer Verschiebung des Gegenstands des Beschwerdeverfahrens, der zuvor im wesentlichen die Diskussion der Verfahrensansprüche betraf. Außerdem handele es sich um eine substantielle Änderung des Gegenstands des verbleibenden Anspruchs, was daran erkennbar sei, dass der auf das System gerichtete verbleibende Anspruch keinen Rückbezug mehr auf die Verfahrensansprüche aufweise, was der Streichung eines substantiellen Merkmals entspreche. Dadurch werde entgegen den Bestimmungen des Artikels 123 (3) EPÜ der Schutzbereich des Anspruchs erweitert. Die Änderungen führten somit zu neuen Einwänden.
Außergewöhnlich Umstände lägen nicht vor. Die Mitteilung der Beschwerdekammer enthalte keine Erwägungen, die durch die Kammer eingeführt wurden sondern beruhe auf dem schriftlichen Vortrag der Beschwerdeführerin. Der Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ sei bereits in der Beschwerdebegründung für Anspruch 1 und 7 erhoben und im Schriftsatz vom 31. Oktober 2023 spezifiziert worden. Die Beschwerdegegnerin habe daher bereits zuvor ausreichend Zeit gehabt, um entsprechende Änderungen in einem früheren Verfahrensstadium vorzunehmen.
c) Hilfsantrag 0 - Artikel 13 (2) VOBK
Der Hilfsantrag 0 sollte nicht im Verfahren berücksichtigt werden, da er zumindest zu einem neuen Einwand unter Artikel 123 (3) EPÜ führt. Überlegungen zur wirtschaftlichen Stellung der Parteien könnten nicht berücksichtigt werden.
XII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden.
a) Beschwerdebegründung - Artikel 12 (2), (3) VOBK
Die Beschwerdebegründung erfülle die Erfordernisse des Artikels 12 (3) VOBK nicht, da sie insbesondere nicht, wie nach Satz 2 gefordert, die Gründe "knapp und deutlich" angebe. Der Vortrag in der Beschwerdebegründung beruhe in signifikantem Umfang auf einer Wiederholung des Vortrags aus dem Einspruchsverfahren und setze sich nicht mit den Entscheidungsgründen auseinander. Die von Artikel 12 (3) VOBK geforderte knappe Auseinandersetzung mit den Gründen der Entscheidung erlaube nicht, beliebige weitere Punkte aus dem Vortrag im Einspruchsverfahren einzuführen. Soweit der Vortag der Beschwerdeführerin sich überhaupt auf bestimmte Passagen der Entscheidung beziehe, werde entweder versucht, die Ausführungen der Einspruchsabteilung in ein falsches Licht zu ziehen oder der Vortrag beruhe auf inhaltlichen Wiederholungen oder enthalte lediglich irreführende bzw. unbegründete Meinungsäußerungen der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin verfolge eine Verschleierungstaktik, ihr Vortrag führe lediglich dazu, dass die sich mit der angegriffenen Entscheidung eventuell auseinandersetzenden Passagen erst zusammengesucht werden müssten (siehe hierzu auch T 412/18, bzw. vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10.Auflage, Seite 1524, Absatz 2). Insgesamt setzten sich, wie die Beschwerdeführerin selbst angibt, nur 19 von den insgesamt 135 Absätzen der Kapitel 4 bis 10 der Beschwerdebegründung mit der Begründung der Einspruchsabteilung auseinander. Die häufigen Wiederholungen und die erzeugte Komplexität widersprächen dem Konvergenzansatz und verstießen im Ergebnis gegen die gebotene Fairness im Verfahren, was die Beschwerdegegnerin vor eine komplexe Situation stelle.
b) Hauptantrag - Artikel 13 (2) VOBK
Der Hauptantrag beruhe lediglich auf einer Streichung der Verfahrensansprüche des mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrags 14. Anspruch 1 weise ausschließlich Streichungen auf, wobei derartige Streichungen nicht als Änderung anzusehen seien. Die Streichung einer Anspruchskategorie, die Streichung eines abhängigen Anspruchs bzw. die Streichung von Alternativen in Ansprüchen seien unter den Umständen der Fälle T 1480/16, T 2638/16, T 884/18, T 914/18, T 995/18, T 1151/18 und T 1857/19 nicht als Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne von Artikel 13 VOBK 2020 angesehen worden. Die am Anspruch 1 vorgenommenen Anpassungen seien nur redaktioneller Natur, durch die am Anspruchsgegenstand nichts hinzugefügt oder geändert würde, da alle jetzt genannten Merkmale schon immer durch den Rückbezug da gewesen seien. Der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sei somit eingeschränkt worden, auf einen Gegenstand der schon immer da gewesen sei und den die Einspruchsabteilung separat in der angefochtenen Entscheidung behandelt habe. Die Beschwerdebegründung sowie alle weiteren Schreiben der Beschwerdegegnerin enthielten demgegenüber zum Systemanspruch bis zuletzt nur rudimentären Vortrag, der zusammengesucht werden müsse.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass erstmals in der Mitteilung der Kammer eine amtliche Instanz den Einwand der Beschwerdeführerin für berechtigt erachtet habe. Deren Einwand sei in der Beschwerdebegründung zudem eher auf Anspruch 1 bezogen gewesen.
c) Hilfsantrag 0 - Artikel 13 (2) VOBK
Der Hilfsantrag 0 sollte im Verfahren berücksichtigt werden, da die Kammer hinsichtlich des Hauptantrags überraschend von der Rechtsprechung der Beschwerdekammern abgewichen sei, wonach Änderungen, die aus Streichungen bestünden, obwohl sie dazu führten, dass weniger im Verfahren verbleibe als vorher da gewesen sei, hier trotzdem nicht berücksichtigt worden seien. Außerdem sei erst im Verlaufe der Diskussion des Hauptantrags klar geworden, dass jeglicher Verweis auf das vormals beanspruchte Verfahren im Wortlaut der Systemanspruchs gestrichen werden könne. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK erst sehr spät ergangen sei. Es sei entsprechend wenig Zeit bis zur mündlichen Verhandlung verblieben, um alle Möglichkeiten zu durchdenken. Hinzugekommen seien persönliche Umstände, die nicht viel Zeit zur Ausarbeitung einer vollständigen Antwort auf die Kammermitteilung gelassen hätten. Der Verlust eines Patents in einem kleinen Unternehmen wie dem der Beschwerdegegnerin, bringe diese in eine sehr schwierige Lage. Demgegenüber stelle es verfahrensökonomisch nur einen geringen Mehraufwand dar, den Hilfsantrag 0 im Verfahren zu berücksichtigen und darüber zu entscheiden, verglichen mit der Situation, die sich ergäbe, wenn die Beschwerdegegnerin eine Teilanmeldung einreichen müsste, und Prüfungs-, Einspruchs- und gegebenenfalls Beschwerdeverfahren nochmals mit den beiden Parteien durchlaufen würden.
Zulässigkeit der Beschwerde
1. Die Beschwerde ist zulässig. Die Kammer hat sich davon überzeugt, dass keine Mängel vorliegen, die zu einer Unzulässigkeit der Beschwerde führen würden (Regel 101 (1) und (2) EPÜ). Insbesondere sind auch die Erfordernisse nach Artikel 108 Satz 3 und Regel 99 (2) EPÜ erfüllt, wie die Kammer bereits in ihrer Mitteilung unter Artikel 15 (1) VOBK dargelegt hatte.
Die Beschwerdegegnerin hatte ihren im Verlauf des Beschwerdeverfahrens erhobenen Einwand der Unzulässigkeit der Beschwerde, den sie in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer wieder zurücknahm, damit begründet, dass die Beschwerdebegründung die Erfordernisse der Artikel 12 (2) und (3) VOBK verletze und somit das (gesamte) Vorbringen darin nicht zu berücksichtigen sei.
2. Den Einwand, dass die Beschwerdebegründung die Erfordernisse der Artikel 12 (2) und (3) VOBK nicht erfülle, hat die Beschwerdegegnerin dagegen aufrechterhalten. Wie in der Folge weiter ausgeführt, ist die Kammer von den hierzu vorgetragenen Argumenten nicht überzeugt.
Beschwerdebegründung - Artikel 12 (2) und (3) VOBK
3. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung genügt den Voraussetzungen der Artikel 12 (2) und (3) VOBK.
3.1 Artikel 12 (2) VOBK lautet: "Im Hinblick auf das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, ist das Beschwerdevorbringen der Beteiligten auf die Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel zu richten, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen."
Satz 1 und 2 von Artikel 12 (3) VOBK lauten : "Die Beschwerdebegründung und die Erwiderung müssen das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten. Dementsprechend müssen sie deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen; sie sollen ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anführen."
3.2 Die Beschwerdebegründung ist objektiv erkennbar auf Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel gerichtet, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung sind und gibt darüber hinaus auch an, aus welchen Gründen die angefochtene Entscheidung aufzuheben sei.
3.2.1 Beispielsweise wurde in der angefochtenen Zwischenentscheidung für den Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 7 des von der Einspruchsabteilung für gewährbar befundenen Hauptantrags festgestellt, dass das Erfordernis nach Artikel 123 (2) EPÜ erfüllt sei (siehe Absätze 15, 15.1 bis 15.3 auf Seiten 5 und 6 der Entscheidung). Entsprechend enthält Abschnitt 4 der Beschwerdebegründung, der sich über etwa acht Seiten erstreckt, den Vortrag der Beschwerdeführerin zum Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ gegenüber dem Gegenstand des Anspruchs 1 und Abschnitt 5 den Vortrag zu Anspruch 7. Folglich ist zumindest für diesen Teil der Beschwerdebegründung das Vorbringen der Beschwerdeführerin auf die nach Artikel 12 (2) VOBK maßgeblichen Elemente der angefochtenen Entscheidung gerichtet.
3.2.2 Außerdem wird beispielsweise auf Seite 4 in den Absätzen 4.16 bis 4.19, auf Seiten 6 und 7 in den Absätzen 4.29 bis 4.31 oder auf Seite 9 im Abschnitt 4.40 (hier im Zusammenhang mit den vorausgehenden Absätzen 4.36 bis 4.38) des Abschnitts 4 der Beschwerdebegründung explizit anhand von Bezugnahmen auf Feststellungen der Einspruchsabteilung ("[i]n its decision, the Opposition Division found...", "[t]he Opposition Division also stated/asserted...") und Bezugnahmen auf bestimmte Absätze der angefochtenen Entscheidung dargelegt, warum die Begründung der Einspruchsabteilung zu dem Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ fehlerhaft sei (und weitere im Einspruchsverfahren vorgetragene Argumente nicht berücksichtigt worden seien).
In den Absätzen 4.16 und 4.17 der Beschwerdebegründung wurde zum Beispiel vorgetragen, dass die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung einen ungeeigneten Standard bei der Prüfung zugrunde gelegt hat, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ erfüllt (nämlich "dass ein Fachmann nicht ... überrascht werden würde, da für einen Fachmann die Kombination ... keine neue technische Lehre darstellt", vergleiche Absatz 15.3 der angefochtenen Entscheidung und Absatz 4.16 der Beschwerdebegründung). Vielmehr sei der bei der Prüfung unter Artikel 123 (2) EPÜ anzuwendende Standard einer eindeutigen und unmittelbaren Offenbarung anzuwenden (Absatz 4.17, ibid.). Objektive Anhaltspunkte dafür, dass dieser Vortrag nur als ein "Versuch der Verdrehung der Aussagen der Einspruchsabteilung" zu werten wäre, wie es die Beschwerdegegnerin darstellt (siehe z.B. Schreiben vom 31. Januar 2024, Seite 3, letzter Absatz) gibt es nicht. Zudem setzt er sich inhaltlich mit einem zentralen Element der Begründung der Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Frage der Erfüllung des Erfordernisses des Artikels 123 (2) EPÜ auseinander und kann folglich einer Überprüfung durch die Kammer unterzogen werden.
Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit diesem Argument in den vorausgehenden Absätzen den ihrer Meinung nach richtigen Standard bei der Prüfung nach Artikel 123 (2) EPÜ angewendet, siehe zum Beispiel 4.13 der Beschwerdebegründung, "First, there is no unambiguous disclosure... Specifically, there is no direct disclosure...", was die Kammer in die Verfahrenssprache übersetzt als "Erstens gibt es keine eindeutige Offenbarung... Insbesondere gibt es keine direkte [d.h. unmittelbare] Offenbarung...". Aufgrund dieses Standards kommt die Beschwerdeführerin dann also zu einem anderen Ergebnis als die Einspruchsabteilung. Damit hat sie in der Gesamtheit des Vortrags dargelegt, warum die Entscheidung der Einspruchsabteilung zum Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ ihrer Meinung nach falsch sei. Dass die Beschwerdeführerin dabei auch Aussagen der Einspruchsschrift wortwörtlich wiederholt, steht nicht im Widerspruch zu Artikel 12 (3) VOBK, da sich das Vorbringen in seiner Gesamtheit eben nicht nur auf eine reine Wiederholung beschränkt.
Ob die Argumente der Beschwerdeführerin in den oben auszugsweise angegebenen Absätzen, in ihrer Substanz auch überzeugend sind, ist für die Frage, ob die Beschwerdebegründung die Erfordernisse nach Artikel 12 (3) VOBK erfüllt (bzw. im Sinne der Regeln 101(1) in Verbindung mit 99(2) EPÜ zulässig ist), unerheblich, da es die Frage betrifft, ob die Argumente die Kammer überzeugen und damit ob die Beschwerde begründet ist.
Folglich erfüllt zumindest der hier beispielhaft erörterte Teil der Beschwerdebegründung auch die in Artikel 12 (3) VOBK aufgestellte Anforderung, wonach anzugeben ist, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
3.2.3 Ob darüber hinaus der weitere Vortrag in der Beschwerdebegründung gegebenenfalls die Anforderungen nach Artikel 12 (2) und (3) VOBK nicht erfüllt, ist für die von der Kammer getroffene Entscheidung unerheblich.
3.2.4 Die Kammer merkt an, dass hier nur beispielhaft ein Teil des Vorbringens in der Beschwerdebegründung zum Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ gegenüber Anspruch 1 erörtert wurde, um die Konformität mit den Bedingungen der Artikel 12 (2) und (3) VOBK festzustellen. Die Kammer hat darüber hinaus keine Zweifel, dass auch der überwiegende Teil der weiteren Beschwerdebegründung diese Bedingungen erfüllt, soweit es sich nicht auf Vorbringen bezieht, welches möglicherweise unter Artikel 12 (4) oder (5) VOBK zu prüfen wäre (siehe beispielsweise Absätze 4.36 bis 4.40 der Beschwerdebegründung). Eine solche Prüfung war für den Ausgang des Verfahrens nicht entscheidungserheblich und bedarf daher keiner weiteren Ausführungen.
3.2.5 Im Übrigen hat die Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten, dass sich das Vorbringen in der Beschwerdebegründung zumindest in Teilen mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt.
3.3 Den zentralen Punkt der Kritik der Beschwerdegegnerin, wonach das Vorbringen der Beschwerdebegründung insgesamt nicht knapp und deutlich gefasst sei, deswegen gegen das Erfordernis des Artikels 12 (3) VOBK verstoße und folglich nicht zu berücksichtigen sei, weist die Kammer zurück.
3.3.1 Die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern enthält keine Definition, was unter den Begriffen "knapp" und "deutlich" zu verstehen sein soll. Auch ist nirgends definiert, dass Vorbringen, welches nicht knapp und deutlich ist, grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sei. Es steht vielmehr im Ermessen der Kammer in jedem Einzelfall zu entscheiden, ob ein möglicherweise sehr langer und/oder undeutlicher Vortrag dazu führt, dass das Vorbringen insgesamt oder in Teilen nach Artikel 12 (5) VOBK nicht zugelassen werden sollte.
3.3.2 Die Kammer sieht aber im vorliegenden Fall nicht, dass der Umfang der Beschwerdebegründung (25 Seiten), die gewählte Gliederung oder das Ausmaß an aus dem Einspruchsverfahren wiederholtem Vorbringen gegen das Gebot der Knappheit und Deutlichkeit (Artikel 12 (3) VOBK) verstoßen würde oder als "Verschleierungstaktik" oder "verfahrensmissbräuchlich" zu werten wäre. Der vorliegend gewählte Aufbau der Beschwerdebegründung, der im Wesentlichen für jeden der in der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesenen Einwände aus einer Zusammenfassung der Argumente aus dem Einspruchsverfahren, einer Zusammenfassung der Entscheidungsgründe, gefolgt von einer Darlegung, warum diese unzutreffend sein sollen, besteht, ist an sich nicht zu beanstanden. Er dient erkennbar dem in Artikel 12 (3) VOBK verankerten Zweck, mit dem Beschwerdevorbringen in der Beschwerdebegründung darzulegen, aus welchen Gründen beantragt wird, die Entscheidung aufzuheben und hierzu die relevanten Einwände und Tatsachen anzuführen.
3.3.3 Die von der Beschwerdeführerin verwendete Gliederung der Beschwerdebegründung ist durch entsprechende Formulierungen auch klar zu erkennen: zum Beispiel beginnt Absatz 4.1 mit den Worten "In the proceedings at first instance, we argued..." ("Im erstinstanzlichen Verfahren argumentierten wir...", Übersetzung durch die Kammer), Absatz 4.6 mit den Worten "In its decision, the Opposition Division found..." ("In ihrer Entscheidung fand die Einspruchsabteilung..."), oder im Absatz 4.16 "In its decision, the Opposition Division found... However, we submit..." ("In ihrer Entscheidung fand die Einspruchsabteilung... Wir sind demgegenüber der Meinung..."). Dass zum Beispiel zwischen den Absätzen 4.6 und 4.16 und im Anschluss an 4.16 zusätzlich auch wörtliche Wiederholungen aus der Einspruchsschrift aufgenommen wurden, sieht die Kammer nicht als verfahrensmissbräuchlich oder zu einer Verschleierung führend an. Der Vortrag der Beschwerdeführerin muss daher auch nicht zusammengesucht werden, wie es die Beschwerdegegnerin behauptet hat, sondern folgt einem nachvollziehbaren Aufbau.
3.3.4 Es ist in diesem Zusammenhang auch nicht richtig, den Inhalt der Beschwerdebegründung auf die von der Beschwerdeführerin ebenfalls nur beispielhaft und nicht abschließend aufgelisteten 19 Absätze zu reduzieren (vgl. Schreiben der Beschwerdeführerin vom 31. Oktober 2023, Seite 1, zweiter Absatz von unten "see at least paragraphs...", in der Verfahrenssprache "siehe zumindest Absätze...", Unterstreichungen und Übersetzung durch die Kammer). Viele inhaltliche Aspekte und die Bedeutung einzelner Argumente in diesen zitierten 19 Absätzen werden in den jeweils vorausgehenden und/oder folgenden Absätzen weiterentwickelt (siehe auch Punkt 3.2.2 oben), worauf die Kammer auch bereits in ihrem Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK hingewiesen hatte.
3.3.5 Die von der Beschwerdegegnerin herangezogene quantitative Gegenüberstellung des Anteils der nummerierten Absätze der Beschwerdebegründung, in denen nach Angabe der Beschwerdeführerin explizit zu den Gründen der angefochtenen Entscheidung Stellung genommen wurde (siehe XI.a) oben), in Relation zur Gesamtzahl der nummerierten Absätze der Abschnitte 4 bis 10, bildet kein geeignetes Kriterium für die Beurteilung, ob die Beschwerdebegründung den Anforderungen an Artikel 12 (2) und (3) VOBK genügt (genauso wenig wie die Gegenüberstellung einer 151-seitigen Beschwerdeerwiderung, in der allein 123 Seiten der Verteidigung des zu dem Zeitpunkt anhängigen Hauptantrags verwendet wurden, in Relation zu einer 25-seitigen Beschwerdebegründung von der Kammer als Beurteilungskriterium für die Berücksichtigung des Inhalts der Beschwerdeerwiderung herangezogen werden könnte). Solche numerischen Gegenüberstellungen beruhen offensichtlich auf willkürlichen Annahmen und enthalten keine inhaltliche Würdigung des Parteivorbringens.
3.3.6 Das Vorbringen in der Beschwerdebegründung steht auch nicht im Widerspruch zu dem mit der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) verfolgten Konvergenzansatz, der die Möglichkeiten der Änderung des Vorbringens im Beschwerdeverfahren einschränken soll (vgl. z.B. die Erläuterungen zu den Änderungen der VOBK, Seiten 28 bis 33, Zusatzpublikation 2, Amtsblatt EPA 2020). Ein Kernelement des Konvergenzansatzes ist gerade das vollständige Vorbringen einer Partei in ihrer Beschwerdebegründung bzw. -erwiderung zu Beginn des Beschwerdeverfahrens, anhand dessen erst mögliche Änderungen des Vorbringens gegenüber dem vorausgegangenen erstinstanzlichen Verfahren und der angefochtenen Entscheidung und in Bezug auf das weitere Beschwerdeverfahren beurteilt werden können (siehe Artikel 12 (4) bis (6) und 13 VOBK).
3.3.7 Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zwar dahingehend zu, dass sie durch die Beschwerdebegründung vor eine komplexe Situation gestellt wurde. Allerdings wird die Komplexität nicht durch eine dem Zweck und den Bedingungen von Artikel 12 (2) und (3) VOBK zuwiderlaufende Beschwerdebegründung erzeugt. Vielmehr ergibt sich die Komplexität aus der Art und Zahl der erhobenen Einwände, zu denen die Beschwerdegegnerin Stellung nehmen musste. Es ist dennoch völlig legitim, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen ihres gestellten Antrags auf Widerruf des Patents und im Rahmen der Grenzen der Verfahrensordnung alle möglichen Einwände vorbringt, die zu diesem Ergebnis führen könnten.
3.3.8 Dass diese komplexe Situation die Vorlage von konvergenten Anspruchssätzen wiederum erschwert, kann das Gebot nach Artikel 12 (3) VOBK eines vollständigen Vorbringens in der Beschwerdebegründung nicht in dem Sinne abschwächen oder einschränken, dass dieses nur auf (explizit) sich mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzende Argumente beschränkt sein dürfe und Wiederholungen von Argumenten aus dem Einspruchsverfahren oder von sonstigem, zum Beispiel der Erläuterung oder Unterstützung dienendem Vortrag, oder von nicht berücksichtigten Einwänden aus dem Einspruchsverfahren, damit grundsätzlich ausgeschlossen wären.
Wenn strikt konvergente Anspruchssätze in einem Fall wie hier vorliegend, mit vielen Einwänden unter Artikel 123 (2), 83, 54 und 56 EPÜ, möglicherweise schwierig darstellbar sind, so können gegebenenfalls auch nicht-konvergierende Anspruchssätze berücksichtigt werden, wenn die Partei überzeugend darlegen kann, warum konvergente Anspruchssätze unter den besonderen Umständen des Falles nicht eingereicht werden konnten, um angemessen auf die Einwände zu reagieren.
3.3.9 Der Vollständigkeit halber sei noch angemerkt, dass die von der Beschwerdegegnerin herangezogene Rechtsprechung bezüglich der Wiederholung von Passagen der Einspruchsschrift und/oder aus weiteren Schreiben im erstinstanzlichen Verfahren (siehe z.B. Beschwerdeerwiderung, Seite 4 unten), oder zu verschleiertem Vorbringen (siehe ihr Schreiben vom 31. Januar 2024, Seite 3, oben) für den vorliegenden Fall keine Relevanz hat. Wie oben ausführlich dargelegt, beruht das Vorbringen in der Beschwerdebegründung weder auf einer reinen Wiederholung von Vortrag aus dem Einspruchsverfahren, noch müssen die Einwände aus nicht zusammenhängenden Teilen des Vorbringens zusammengesucht werden.
Hauptantrag - Artikel 13 (2) VOBK
4. Der Hauptantrag stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens im Sinne des Artikels 13 VOBK dar. Da keine außergewöhnlichen Umstände erkennbar sind, die seine Zulassung in das Verfahren rechtfertigen könnten, hat die Kammer ihr Ermessen nach Artikel 13 (2) VOBK dahingehend ausgeübt, den neuen Hauptantrag nicht im Verfahren zu berücksichtigen.
4.1 Artikel 13 (2) VOBK lautet: "Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Ablauf einer von der Kammer in einer Mitteilung nach Regel 100 Absatz 2 EPÜ bestimmten Frist oder, wenn eine solche Mitteilung nicht ergeht, nach Zustellung einer Mitteilung nach Artikel 15 Absatz 1 bleiben grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen."
4.2 Der Hauptantrag wurde in Erwiderung auf die Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK eingereicht. Er beruht auf dem Hilfsantrag 14, der mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht wurde. Letzterer enthielt zwei unabhängige Ansprüche 1 und 7. Anspruch 1 war auf ein "Verfahren zum zumindest teilweisen Bestimmen eines sich bei einer Zahnreinigung ergebenden Bewegungsmusters eines Zahnbehandlungsmittels" gerichtet und Anspruch 7 auf ein "System zum Ausführen eines zuvor genannten Verfahrens". Im jetzt vorliegenden Hauptantrag ist der Verfahrensanspruch 1 gestrichen und der einzige verbleibende Systemanspruch im Wortlaut geändert wie oben unter Punkt X. dargestellt. Ein Antrag mit einem identischen Anspruchswortlaut war unbestritten bisher nicht im Verfahren.
4.3 Die vorgenommenen Streichungen und Einfügungen im Wortlaut des Systemanspruchs, insbesondere im einleitenden Teil bis zum ersten Semikolon, führen zu einem Gegenstand, der im bisherigen Verfahren noch nicht vorlag. Die Veränderungen am Wortlaut müssten in jedem Fall zumindest im Hinblick auf das Erfordernis des Artikels 123 (3) EPÜ, zusätzlich zu den bisher gegen den Anspruch 7 des Hilfsantrags 14 erhobenen Einwänden geprüft werden. Sie ändern daher den rechtlichen und faktischen Rahmen des Beschwerdeverfahrens und bilden somit eine Änderung im Sinne des Artikels 13 VOBK, bzw. des Artikels 13 (2) VOBK, da sie nach Zustellung der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK vorgenommen wurden.
4.4 Die Beschwerdegegnerin hat keine stichhaltigen Gründe für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände vorgetragen, die die Berücksichtigung des geänderten Hauptantrags rechtfertigen könnten. Sie hat vielmehr bestritten, dass Anspruch 1 des Hauptantrags überhaupt eine Änderung im Sinne von Artikel 13 VOBK darstellt. Die Kammer ist, wie bereits dargelegt, von diesem Argument nicht überzeugt.
4.4.1 Einerseits ist bereits die Aussage der Beschwerdegegnerin offensichtlich falsch, dass Anspruch 1 ausschließlich Streichungen aufweise, wie aus den hervorgehobenen Hinzufügungen im Punkt X. oben unmittelbar ersichtlich ist. Diese Hinzufügungen, selbst wenn sie nur auf der Notwendigkeit beruhen sollten, den Anspruch "redaktionell" anzupassen, können Änderungen am Schutzbereich des Anspruchs, bzw. des Gegenstands, für den Schutz begehrt wird, bewirken. Jede vorgenommene Änderung an einem Anspruchswortlaut, wenn auch nur aus "redaktionellen" Gründen, sei es nur die Einfügung eines Kommas, hat immer das Potential, den beanspruchten Gegenstand zu ändern. Die hinzufügten Formulierungen wären deshalb zumindest auf das von der Beschwerdeführerin genannte Erfordernis nach Artikel 123 (3) EPÜ zu prüfen, aber auch die Kammer müsste zumindest prima facie davon überzeugt sein, dass die Änderungen nicht gegen Artikel 84 und 123 (2) EPÜ verstoßen. Ob der resultierende, jetzt beanspruchte Gegenstand "schon immer da war", wie die Beschwerdegegnerin behauptet, kann eben nicht ohne eine weitere Prüfung des geänderten Wortlauts festgestellt werden. Folglich entspricht der neue Antrag nicht den bisher im Verfahren befindlichen Anträgen und zudem hat sich der faktische und rechtliche Rahmen des Beschwerdeverfahrens geändert.
4.4.2 Genau die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Prüfung neuer Einwände ist es auch, die den vorliegenden Fall von den seitens der Beschwerdegegnerin herangezogenen und aus der Rechtsprechung der Beschwerdekammern zitierten Entscheidungen (10. Auflage, Abschnitt V.A.4.2.2.d, Satz 1; siehe auch oben Punkt XII.b)) unterscheidet. In keiner der zitierten Entscheidungen wurden weitere Änderungen an den verbleibenden Ansprüchen vorgenommen, so dass die zitierten Entscheidungen keine Relevanz für den vorliegenden Fall haben können.
4.4.3 Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vortrag der Beschwerdeführerin - wie von der Beschwerdegegnerin dargelegt - gegenüber dem Systemanspruch (Anspruch 7 des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Anspruchssatzes) als rudimentär anzusehen gewesen wäre. Fakt bleibt, dass der geänderte Wortlaut die Prüfung neuer Einwände (z.B. Artikel 123 (3) VOBK) erforderlich gemacht hätte, was zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens, in der dritten Stufe des Konvergenzansatzes, nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände erfolgen sollte.
4.4.4 Auch die in der Kammermitteilung dargelegte vorläufige Meinung der Kammer stellt - entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin - keinen außergewöhnlichen Umstand im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK dar. In der Mitteilung der Kammer wurde insbesondere nicht erstmalig der Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ im Hinblick auf Anspruch 7 erhoben. Vielmehr hatte die Beschwerdeführerin hierzu bereits in der Beschwerdebegründung unter Ziffer 5.3 und 5.4 und ergänzend im Schriftsatz vom 31. Oktober 2023 auf Seite 2 vorgetragen. Vor diesem Hintergrund hätte die Beschwerdegegnerin bereits frühzeitiger auf diesen Einwand reagieren können und müssen. Artikel 12 (3) VOBK lässt insoweit erkennen, dass die Parteien die Einschätzung der Kammer nicht abwarten dürfen, sondern eine unverzügliche Reaktion schon auf die von der gegnerischen Partei erhobenen Einwände veranlasst ist, was im Übrigen auch der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern entspricht.
Die Beschwerdegegnerin hat daher keine außergewöhnlichen Umstände aufgezeigt, die die Zulassung des Hauptantrags rechtfertigen könnten.
Hilfsantrag 0 - Artikel 13 (2) VOBK
5. Auch der erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereichte neue Hilfsantrag 0 stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens dar und auch hier hat die Kammer ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, den neuen Hilfsantrag 0 nicht zu berücksichtigen, da keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen.
5.1 Die Beschwerdegegnerin hat nicht bestritten, dass die Streichungen am einzig verbliebenen Systemanspruch 1 (siehe auch Punkt X. oben) eine Änderung im Sinne des Artikels 13 VOBK darstellen.
5.2 Die Argumente, die die Beschwerdegegnerin vorbrachte, um das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände zu belegen überzeugen die Kammer nicht.
5.2.1 Die Entscheidung der Kammer zum Hauptantrag weicht nicht von der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ab, auf die sich die Beschwerdegegnerin zur Begründung ihres Hauptantrags bezogen hat, sondern beruht, wie oben dargelegt, auf einem abweichenden Sachverhalt. Es kann nicht als für die Beschwerdegegnerin überraschend gewertet werden, dass sie mit der Rechtsprechung der Beschwerdekammern nur unzureichend vertraut war. Dass eine Änderung am Wortlaut eines Anspruchs, aus welchem Anlass auch immer, sowohl von den Kammern als auch von den Prüfungs- oder Einspruchsabteilungen in der Regel zumindest auf das Vorliegen der Erfordernisse der Artikel 84, 123 EPÜ geprüft wird, ist üblich und entspricht dem EPÜ. Zu behaupten, eine angeblich nur "redaktionelle" Anpassung in dem oben dargestellten Umfang (siehe Punkt X. zum Hauptantrag) enthalte einerseits lediglich Streichungen und sei andererseits keine Änderung, ist vor diesem Hintergrund für die Kammer nicht nachvollziehbar.
5.2.2 Auch die Erkenntnis, die nach Darstellung der Beschwerdegegnerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erlangt wurde, dass jeglicher Hinweis auf das Verfahren überhaupt im Systemanspruch gestrichen werden könne und somit als Folge Hilfsantrag 0 erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegt werden konnte, bildet keinen stichhaltigen Grund für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände. Im Einspruchsverfahren obliegt es dem Patentinhaber zu überlegen, in welcher Fassung das Patent verteidigt werden soll. Die Kammer hat eine neutrale Stellung und ist daher nicht dazu aufgerufen, insoweit Formulierungsvorschläge zu unterbreiten. Es wäre daher Aufgabe der Beschwerdegegnerin gewesen, solche Überlegungen frühzeitig anzustellen und entsprechende Anträge bereits in Erwiderung auf die Einwände der Beschwerdeführerin einzureichen.
5.2.3 Die Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit bis zur mündlichen Verhandlung nach Erhalt der Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK oder andere von der Beschwerdegegnerin vorgetragene persönlichen Umstände sind nicht als außergewöhnlicher Umstand einzuordnen. Zum einen enthält die Mitteilung der Kammer keine neuen Aspekte, sondern basiert auf den von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwänden. Zum anderen ist festzustellen, dass die Beschwerdegegnerin in der Lage war, hierauf mit einem weiteren 57-seitigen Schriftsatz zu reagieren, begleitet von dem geänderten Hauptantrag und einem anderen Hilfsantrag 1 (welcher in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde), sowie einer weiteren Eingabe eine Woche vor der mündlichen Verhandlung.
5.2.4 Die Kammer versteht die schwierige Situation, die der Verlust eines Patents für ein kleines Unternehmen bedeutet. Allerdings sieht die Verfahrensordnung oder das EPÜ im Hinblick auf die Zulässigkeit von verspätetem Vorbringen keine unterschiedliche Behandlung der Parteien aufgrund ihrer wirtschaftlichen Größe vor. Ebensowenig können Überlegungen bei dieser Entscheidung Einfluss haben, die abwägen, ob es für das Verfahren insgesamt günstiger wäre, diesen Hilfsantrag 0 zuzulassen und am Ende ein Patent aufrechtzuerhalten (oder nicht) oder ihn nicht zuzulassen, was zur Folge haben könnte, dass die Beschwerdegegnerin möglicherweise eine Teilanmeldung einreicht und Prüfungs-, Einspruchs- und Beschwerdeverfahren anhand der Teilanmeldung noch einmal durchlaufen würden. Verfahrensökonomie ist ein Kriterium, welches bei der Beurteilung der Zulässigkeit verspäteten Vorbringens nach Artikel 13 (1) VOBK zu berücksichtigen ist, aber auch nur in dem Rahmen, wie sie das anhängige Verfahren selbst betrifft, und nicht im Vergleich zu hypothetischen, gar nicht existierenden Verfahren. Solche, auf hypothetischen Annahmen beruhenden Überlegungen können erst recht keine stichhaltigen Gründe für außergewöhnliche Umstände im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK bilden, die die Berücksichtigung des Hilfsantrags 0 rechtfertigen könnten.
6. Da kein Anspruchssatz vorliegt, der den Anforderungen des EPÜ genügt, gibt die Kammer dem Antrag der Beschwerdeführerin statt, demzufolge das Patent zu widerrufen ist (Artikel 101 (3)(b) EPÜ).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.