T 1073/23 08-07-2025
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LÄNGLICHE SPANNEINHEIT
Soletanche Freyssinet S.A.S.
VSL International AG
Ausführbarkeit - Hauptantrag (ja)
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden 1 (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Patent in der Fassung des geänderten Hauptantrags den Erfordernissen des EPÜ genüge.
Die Einspruchsabteilung hatte insbesondere befunden, dass das Patent die Erfindung gemäß den Ansprüchen 1 und 9 ausreichend offenbare (Artikel 83 EPÜ), der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 gegenüber D1 bis D5 neu sei und ausgehend von D6 oder D7 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
II. An der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nahm die ordnungsgemäß geladene Einsprechende 2 (weitere Verfahrensbeteiligte) nicht teil, wie sie mit Schreiben vom 4. Juli 2025 angekündigt hatte. Das Verfahren wurde daher in der mündlichen Verhandlung gemäß Regel 115(2) EPÜ und Artikel 15(3) VOBK ohne diese Partei fortgesetzt.
III. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer lauteten die Anträge der Beteiligten wie folgt.
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents. Diesem Antrag hatte sich die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende 2) im schriftlichen Verfahren angeschlossen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte sie, das Patent in geänderter Fassung auf Grundlage eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 aufrechtzuerhalten.
IV. Auf die folgenden Entgegenhaltungen wird Bezug genommen:
D1: Sammlung von Fotografien der "Shangdi"-Brücke bei Nacht mit dem Titel "Lighting design of the Shangdi Bridge in Beijing, China. Pictures shot on December 26, 2011", die am 29. Dezember 2011 auf http://bbs.zol.com.cn/dcbbs/d22_38792.html veröffentlicht wurden
D2: LI Li and GUAN Peng, "Research on Difficult Problems in Landscape Lighting Design of Shangdi Cable-stayed Bridge of Beijing-Xinjiang Expressway in Beijing", Railway Standard Design, Vol. 58, No. 8, August 2014, pp. 138-140
D2a: Englische Übersetzung von D2
D3: CN 202403211 U
D3a: Englische Übersetzung von D3
D4: Internet-Publikation der Firma Hangzhou YD Illumination Co., Ltd. zur Projektdokumentation im Bereich Brücken-Landschaftsbeleuchtung mit Fotografien der "Beijing Jingbao Bridge", fertiggestellt im Dezember 2011, ursprünglich unter https://www.china-yd.com/anli_del/id/167.html
D5: Sammlung "Baidu Street View, Shangdi Bridge, Beijing", auf der eine Link zu "map.baidu.com" und die Angabe "Pictures shot in August 2013" abgedruckt sind
D6: FR 2 660 332 A1
D7: US 5,479,671 A
D8: Auszug des Interetauftritts der Firma Traxon Technologies Ltd. zur Beleuchtung der Los Libertadores Brücke in Lima, Peru, ursprünglich auf "http://www.traxontechnologies.com/get_pic/pdf/682-Los_Libertadores_Bridge_-_Lima_Peru.pdf"
D13: CN 204199176 U
D13a: Englische Übersetzung von D13
D22: US 7,950,093 B2
D23: Prüngsbescheid des Prüfers des Patentamts (State Intellectual Property Office, SIPO) der Volksrepublik China vom 2. Juni 2021 zur Anmeldung CN 201780059850.0
D23a: Englische Übersetzung von D23
D24: Antwort des Anmelders auf D23 vom 10. August 2021
D24a: Englische Übersetzung von D24
D25: CN 109790693 B, Deckblatt sowie Anspruch 1 mit englischer Übersetzung
D26: KR 10-1180049 B1
D26a: Englische Übersetzung von D26
D27: Publikation "Multistrand Stay Cable Systems" der Firma DYWIDAG, 07.17, https://assets.ctfassets.net/wz1xpzqb46pe/54eRXeL39FCBiZgnIwzjKs/e986db8c146b312afb7b45ff61454cb1/170725_Multi_Strand_Stay_Cable_Systems_Revised_20220530_tm_DIGITAL.pdf
D28: WO 2024/161046 A2
V. Die dieser Entscheidung zugrundeliegenden Ansprüche lauten wie folgt.
Anspruch 1 wie erteilt gemäß dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden geänderten Hauptantrag lautet (mit hinzugefügten Merkmalsbezeichnungen gemäß der angefochtenen Entscheidung in eckigen Klammern):
"[1a] Längliche Spanneinheit (100) umfassend
[1b] · einen Mantel (102), der einen Innenraum (104) umschließt, und
[1c] · eine Mehrzahl von Spannelementen (106), welche in Längsrichtung (A) der Spanneinheit (100) verlaufen und in dem Innenraum (104) des Mantels (102) aufgenommen sind,
dadurch gekennzeichnet, dass
[1d] der Mantel (102) an wenigstens einer Umfangsposition eine in den Innenraum (104) hinein ragende Vertiefung (108) aufweist,
[1e] in der wenigstens eine elektrische Funktionseinheit (112), beispielsweise wenigstens eine Beleuchtungseinheit, sowie
[1f] wenigstens eine Anschlussleitung (114a, 114b) für die wenigstens eine elektrische Funktionseinheit (112) aufgenommen ist."
Anspruch 9 wie erteilt gemäß Hauptantrag lautet:
"Spanneinheit nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass die innere Begrenzungswandung (508d; 608d) der wenigstens einen Vertiefung (508; 608) mit dem Mantel (502) einstückig oder als gesondertes Element ausgebildet ist, das mit dem Mantel (602) betriebsfest verbunden ist."
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden.
Ausführbarkeit
Die Erfindung gemäß Anspruch 1 sowie gemäß der zweiten Alternative von Anspruch 9 sei nicht ausführbar. Die Einspruchsabteilung habe diesen Einwand als Klarheitsmangel abgetan. Dies betreffe jedoch wesentliche Merkmale und sei daher auch ein Mangel der Ausführbarkeit. Die Beschwerdeführerin halte daher ihren Einwand wie im Einspruchsverfahren vorgetragen aufrecht.
Neuheit, D1 bis D5
D1 bis D5 bezögen sich auf dieselbe Brücke und die an ihr angebrachte Beleuchtungstechnik und seien als gemeinsamer schriftlicher Stand der Technik zu betrachten.
Sie offenbarten Manschetten mit in Vertiefungen angebrachten Beleuchtungselementen, die die Tragseile der Brücke umhüllten. Da der Begriff "Mantel" weder in Anspruch 1 noch im Patent genauer definiert sei, fielen die Manschetten in D1 bis D5 unter diesen Begriff.
Somit offenbarten D1 bis D5 mit den Tragseilen und den Manschetten alle Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags.
Gegen die Ansicht der Einspruchsabteilung, die die Manschetten nicht als "Mantel" anerkannt hatte, spreche die Einschätzung des chinesischen Patentamts (D23 bis D25) sowie die in einer anderen Anmeldung D28 vertretene Auslegung der Patentinhaberin selbst.
Neuheit, D26
D26 sei, unmittelbar nachdem die Beschwerdeführerin Kenntnis davon erlangt hatte, im Nachgang zur Beschwerdebegründung eingereicht worden. D26 sei prima facie relevant, da Tragseile einer Brücke mit einer Ummantelung offenbart seien, in deren Vertiefungen Beleuchtungselemente aufgenommen seien, ohne dass die Tragseile einen anderweitigen Mantel aufwiesen. Daher stelle die Ummantelung einen Mantel im Sinne von Anspruch 1 dar und D26 offenbare alle Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags. D26 und der darauf basierende Neuheitseinwand seien daher zuzulassen.
Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe ausgehend von D6 oder D7, die jeweils ein Tragseil mit einem Mantel mit Vertiefungen, massiven Ausbuchtungen und Hohlräumen innerhalb des Mantels offenbarten, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. D6 und D7 offenbarten die Unterbringung einer mechanischen Funktionseinheit in den Vertiefungen. Daher sei es für eine Fachperson auch naheliegend gewesen, den allgemeinen Wunsch, die Tragseile mit elektrischen Funktionseinheiten wie Beleuchtungselementen zu versehen, dadurch zu realisieren, dass die elektrischen Funktionseinheiten ebenfalls in Vertiefungen des Mantels untergebracht würden. So wäre die Fachperson auf naheliegende Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt.
Dieselbe Argumentation gelte auch ausgehend von D22, welche die Einspruchsabteilung zu Unrecht wegen verspäteten Vorbringens und angeblicher mangelnder prima facie Relevanz nicht zugelassen hatte. Dieser Angriff sei daher im Beschwerdeverfahren zu behandeln.
Die früheren Angriffe ausgehend von D1 bis D5 wurden fallengelassen.
VII. Die weitere Verfahrensbeteiligte hatte sich im schriftlichen Verfahren dem Vorbringen und den Anträgen der Beschwerdeführerin angeschlossen und darüber hinaus auf ihr schriftliches Vorbringen im Einspruchsverfahren verwiesen.
VIII. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt.
Ausführbarkeit
Die Beschwerdeführerin habe keine Gründe vorgetragen, die die Begründung der Einspruchsabteilung entkräften könnten. Ihr Einwand wegen mangelnder Ausführbarkeit sei daher nicht substantiiert und solle aus dem Beschwerdeverfahren ausgeschlossen werden.
Neuheit, D1 bis D5
D1 bis D5 stellten keinen einheitlichen Stand der Technik dar. Aber selbst wenn man dies so betrachte, seien D1 bis D5 nicht neuheitsschädlich.
Die darin offenbarten Manschetten stellten keinen "Mantel" im fachüblichen Sinn dar. Ein solcher sei jedoch in den Fotografien der Shangdi-Brücke in D4 und D5 unter den Manschetten zu erkennen. Entsprechend bezeichne auch das Patent selbst in den Absätzen [0003] und [0004] die Manschetten in D3 als eine nachträglich angebrachte "zusätzliche Schale". Dadurch grenze das Patent die Erfindung und den Mantel gerade von den Manschetten in D1 bis D5 ab. Somit offenbarten D1 bis D5 nicht die Merkmale 1d bis 1f.
D23 bis D25 hatte die Einspruchsabteilung als prima facie nicht relevant nicht zugelassen und diese sollten auch im Beschwerdeverfahren nicht zugelassen werden. Ebenso solle der unter Artikel 13 (2) VOBK fallende neue Vortrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Anmeldung D28 nicht zugelassen werden.
Neuheit, D26
D26 sei verspätet vorgebracht worden und nicht prima facie relevant, da es ebenfalls eine "zusätzliche Schale" offenbare, während die Silikonschutzschicht den eigentlichen Mantel darstelle, und zudem ein Tragseil mit nur einem Spannelement offenbare. Daher solle D26 und der darauf basierende Neuheitsangriff nicht zugelassen werden.
Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 beruhe ausgehend von D6 oder D7 auf einer erfinderischen Tätigkeit. Denn es gebe keine Anregung für die Fachperson, Beleuchtungselemente oder anderweitige elektrische Funktionseinheiten gerade im Inneren des Tragseils bzw. dessen Mantels unterzubringen. Der verfügbare Stand der Technik schlage im Gegenteil zusätzliche äußere Schalen vor und weise daher von der Erfindung weg. Zudem würde eine Fachperson die Vertiefungen im Mantel der D6 oder D7, in die Verriegelungselemente eingriffen, nicht anderweitig verwenden, weil die Mantelelemente sich sonst nicht mehr befestigen ließen.
Dieselbe Argumentation gelte auch ausgehend von D22, welche die Einspruchsabteilung deshalb wegen verspäteten Vorbringens und mangelnder prima facie Relevanz zurecht nicht zugelassen hatte. D22 sei daher auch im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen.
1. Ausführbarkeit
1.1 Gemäß der angefochtenen Entscheidung (Abschnitt II.13.2.1) trug die Einsprechende 1 im Einspruchsverfahren vor, dass die Erfindung gemäß Anspruch 1 wegen des Merkmals 1d nicht ausführbar sei, da ein Mantel keine Vertiefung aufweisen könne, die in den von ihm selbst gebildeten Innenraum hineinrage. Auch die Erfindung gemäß der zweiten Alternative von Anspruch 9 sei nicht ausführbar, da die innere Begrenzungswandung der Vertiefung als Bestandteil des Mantels (die der Mantel "habe") nicht "als gesondertes Element" ausgebildet sein könne.
1.2 Die Einspruchsabteilung war zu der Überzeugung gelangt, dass das Merkmal 1d streng nach seinem Wortsinn zwar Anlass zu dem genannten Einwand gebe, eine Fachperson das Merkmal jedoch bei einer technisch sinnvollen Betrachtungsweise und im Hinblick auf die Beschreibung und die Figuren des Patents so verstehe, dass der Mantel Vertiefungen aufweisen müsse, die sich in Richtung des Innenraums erstreckten (bzw. in den von dem Mantel ohne die Vertiefungen gebildeten Innenraum hineinragten). Hinsichtlich Anspruch 9 sah die Einspruchsabteilung keinen Widerspruch darin, dass der Mantel eine durch ein gesondertes Element gebildete (bzw. durch ein gesondertes Element nach innen begrenzte) Vertiefung "aufweisen" könne. Sie befand daher, dass die Erfindung der Ansprüche 1 und 9 ausführbar sei (Abschnitt II.13.2.2).
"Unabhängig davon" bezögen sich die vorgetragenen Einwände gegen die Ausführbarkeit eher auf Klarheitsmängel, wobei mangelnde Klarheit jedoch keinen Einspruchsgrund darstelle (Abschnitt II.13.2.3).
1.3 Die Beschwerdegegnerin beantragte, den Einspruchsgrund mangelnder Ausführbarkeit aus dem Beschwerdeverfahren auszuschließen, da die Beschwerdeführerin diesen in ihrer Beschwerdebegründung nicht substantiiert habe. Die Kammer entschied, dass der Einwand als solches der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegt, im Beschwerdeverfahren angeführt wurde und entsprechende Argumente vorgetragen wurden und dieser daher zu berücksichtigen ist. Auf die vorgetragenen Gründe und ihre Substantiierung wird im Folgenden eingegangen.
1.4 In ihrer Beschwerdebegründung argumentierte die Beschwerdeführerin ganz allgemein, dass sich aus einem Klarheitsmangel eines wesentlichen Merkmals sehr wohl eine mangelnde Ausführbarkeit ergeben könne. Merkmal 1d sei ein wesentliches Merkmal und unklar.
Damit ging die Beschwerdeführerin jedoch nicht auf die ausführliche Begründung der Einspruchsabteilung in Abschnitt II.13.2.2 ein, sondern lediglich auf die "unabhängig davon" getroffene abschließende Bemerkung unter II.13.2.3. Dieser Vortrag stellt den inhaltlichen Befund der Einspruchsabteilung in der vorliegenden Sache daher nicht in Frage.
1.5 Darüber hinaus verwies die Beschwerdeführerin bezüglich des angeblichen Ausführbarkeitsmangels pauschal auf alle während des Einspruchsverfahrens vorgetragenen Argumente ("all the arguments submitted during the opposition proceedings"), besonders in der Einspruchsschrift und der schriftlichen Eingabe vom 15. Dezember 2022. Ein derartiger Verweis erfüllt jedoch nicht die Erfordernisse von Artikel 12 (3) VOBK, da er einerseits kein vollständiges, ausdrückliches Beschwerdevorbringen darstellt, und andererseits nicht im Einzelnen begründet, aus welchem Grund die in der angefochtenen Entscheidung dargelegte Argumentation fehlerhaft sein soll.
Die Kammer hat ihr Ermessen daher dahingehend ausgeübt, das sich auf den Verweis auf das Einspruchsverfahren beziehende pauschale Vorbringen gemäß Artikel 12 (5) VOBK nicht zuzulassen.
1.6 Die am Verfahren beteiligte Einsprechende 2 gab in ihrer Beschwerdeerwiderung an, die Beschwerde der Beschwerdeführerin voll zu unterstützen. Sie bezog dies insbesondere auf die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Einwände mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit. Abgesehen vom pauschalen Verweis auf ihren Vortrag im Einspruchsverfahren ("all our arguments presented, substantiated and argued during the opposition proceedings") trug sie jedoch keine eigene inhaltliche Begründung vor, so dass die vorstehenden Ausführungen entsprechend gelten.
1.7 Somit liegt kein Vortrag vor, der den Befund oder die Begründung in der angefochtene Entscheidung zur Ausführbarkeit der Erfindung in Frage stellen könnte, und die Kammer sieht keinen Anlass, den Sachverhalt anders zu bewerten als von der Einspruchsabteilung in Punkt Abschnitt II.13.2.2 der Entscheidung begründet.
1.8 Daher erfüllt der von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtete (gegenüber der erteilten Fassung lediglich durch Streichung der Ansprüche 13 bis 15 geänderte) Hauptantrag die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.
2. Neuheit, D1 bis D5
2.1 Die Beschwerdeführerin vertrat die Ansicht, dass D1 bis D5 sich auf dieselbe Schrägseilbrücke, die "Shangdi"-Brücke in Peking, mit derselben Beleuchtungstechnik bezögen und mithin als gemeinsamer schriftlicher Stand der Technik zu betrachten seien.
2.2 Die Kammer geht zu Gunsten der Beschwerdeführerin davon aus, dass die Fotografien in D1, D4 und D5 - ungeachtet unterschiedlicher Bezeichnungen für den Brückennamen - jeweils dieselbe Schrägseilbrücke betreffen, die in D2 so genannte "Shangdi"-Brücke, dass D2 und D3 sich ebenfalls auf die Beleuchtungstechnik dieser Brücke beziehen und dass der Offenbarungsgehalt von D1 bis D5 somit gemeinsam betrachtet werden kann. Mit der im Folgenden vorgenommenen Gesamtbetrachtung ist auch der Offenbarungsgehalt jedes der Dokumente für sich genommen berücksichtigt.
2.3 D2 ist ein im August 2014 veröffentlichter Forschungsbericht, der sich ausdrücklich mit der Beleuchtungstechnik der Shangdi-Brücke beschäftigt (Titel). D3 entspricht der in den Absätzen [0003] und [0004] des Patents zitierten Gebrauchsmusterschrift.
Die beiden Dokumente stellen jeweils in Figur 2 ein im Querschnitt gezeigtes Spannseil oder Tragseil ("stay cable" 1) einer Schrägseilbrücke ("cable-stayed bridge") bzw. der Shangdi-Brücke dar (D2a: Titel; D3a: Abschnitt "Technical field", Seite 1, Zeilen 13 bis 15), was einer "länglichen Spanneinheit" gemäß Merkmal 1a entspricht.
In den Aufnahmen der Shangdi-Brücke, insbesondere auf der letzten Seite der D4 ganz rechts sowie am unteren Ende der Tragseile in den Bildern in D5, ist unter den im nächsten Absatz diskutierten "Manschetten" mit Beleuchtungseinheiten ein üblicher Mantel der Tragseile zu erkennen, in dem implizit eine Mehrzahl von Spannelementen (Litzen) des Spannseils aufgenommen sind (Merkmale 1b und 1c), was zwischen den Beteiligten unstreitig war.
D2 und D3 offenbaren weiter eine aus zwei Halbschalen gebildete, das Spannseil umgebende Struktur (D2a: zweiteiliges "multi-purpose sheath" mit einem "front sleeve" und einem "back sleeve", Figur 2 und Bildunterschrift; D3a: "front sleeve" 6, "rear sleeve" 7, Figur 2 und Figurenbeschreibung auf Seite 2). In den Fotografien der Shangdi-Brücke sind sie insbesondere auf der letzten Seite der D4 als Beleuchtungsmittel tragende Verkleidungen der Tragseile zu erkennen, die im Folgenden wie in der angefochtenen Entscheidung als "Manschetten" bezeichnet werden. Der genaue Aufbau der Manschetten ist in den Fotografien nicht zu erkennen. D2 und D3 offenbaren jedoch, dass die Manschetten Vertiefungen aufweisen (D3a: "metal hoop" or "semi-circular metal ferrule" 2, "annular cavity", Figur 2 und Figurenbeschreibung auf Seiten 2 und 3), in denen elektrische Funktionseinheiten (D2a: "LED module"; D3a: "LED spot light source" 4) und zugehörige Anschlussleitungen (D3a: "control lines" 8, "power lines" 9, Figur 2) aufgenommen sind.
Die Manschetten weisen folglich die in Anspruch 1 in den Merkmalen 1d bis 1f für den Mantel der Spanneinheit geforderten Eigenschaften auf.
2.4 Streitig war daher, ob die Manschetten in D1 bis D5 einen "Mantel" der länglichen Spanneinheit im Sinne von Anspruch 1 darstellen.
2.5 Die Beschwerdeführerin argumentierte, weder Anspruch 1 noch das Patent enthielten eine Definition, wodurch der "Mantel" charakterisiert sei.
Anspruch 1 sei auch nicht auf ein Tragseil einer Brücke sondern allgemeiner auf eine "längliche Spanneinheit" gerichtet, so dass der Begriff "Mantel" nicht durch das fachübliche Verständnis bei Tragseilen im Brückenbau eingeschränkt sei. Daher sei dem Begriff die breiteste technisch sinnvolle Bedeutung zu geben. Das Wörterbuch Duden (www.duden.de) definiere den Begriff "Mantel" gemäß der technischen Wortbedeutung unter 2. als "äußere Hülle, [zum Schutz] um etwas gelegte Umhüllung". Mit diesem Verständnis stellten die Manschetten in D1 bis D5 einen "Mantel" dar, da sie eine äußere Umhüllung der länglichen Spanneinheiten bildeten, zumal D2 auch Schutzfunktionen der Manschetten gegenüber dem Tragseil offenbare (Abschnitt 5 auf Seite 6).
Dem stehe auch nicht entgegen, dass Anspruch 1 den Mantel als Bestandteil der Spanneinheit definiere, da dies lediglich eine Frage der subjektiven Zuordnung sei. Nach der Installation umfassten die Tragseile auch die Manschetten.
Dies gelte auch dann, wenn die Manschetten wie bei der Shangdi-Brücke über einem bereits bestehenden Mantel der Spannseile angebracht seien, da Anspruch 1 dies nicht ausschließe und nicht verlange, dass der Mantel die Spannelemente unmittelbar umschließen müsse. Dieses Verständnis werde auch in D23 bis D25 bestätigt sowie durch die spätere Anmeldung WO 2024/161046 A2 der Patentinhaberin, in der eine über einem Tragseil mit bestehendem "Mantelrohr" nachgerüstete Verkleidung mit elektrischen Funktionseinheiten von der Patentinhaberin selbst ebenfalls als "Mantelrohr" bezeichnet werde (Seite 1, letzter Satz).
Bei der stets vorzunehmenden Auslegung eines Anspruchsbegriffs anhand der Beschreibung und der Zeichnungen seien jedoch, wie auch in G 1/24 bestätigt, keine restriktiven Merkmale hineinzulesen, die nur in der Beschreibung genannt, aber nicht in den Anspruch aufgenommen worden seien (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage 2022, II.A.6.4.3). Dass das Patent in Absatz [0004] die Manschetten der D3 als "zusätzliche Schale" bezeichne, dürfe schon aus prinzipiellen Gründen keine Rolle spielen, da es sich nicht um eine positive Definition des Anspruchsbegriffs handele und sich sonst Patentschutz für bereits bekannte Gegenstände erlangen ließe, einfach indem man in der Anmeldung behaupte, dass der Inhalt einer relevanten Entgegenhaltung nicht unter den Anspruch falle.
2.6 Die Beschwerdegegnerin argumentierte, das in D3 lediglich angedeutete Tragseil 1 weise, wie im Oberbegriff von Anspruch 1 definiert, bereits einen fachüblichen Mantel zum Schutz der Litzen auf. Dieser sei auch in den Fotografien der Shangdi-Brücke zu erkennen. Entsprechend definiere Anspruch 1 den Mantel in Merkmal 1b als Bestandteil der Spanneinheit.
Demgegenüber erkenne die Fachperson, dass die Manschetten in D3 weder den fachüblichen Mantel darstellten noch als Bestandteil des Tragseils anzusehen seien.
Dementsprechend bezeichne auch das Patent die Manschetten der D3 gemäß Absatz [0004] in Abgrenzung zum Mantel als eine "nachträglich" angebrachte, "zusätzliche Schale".
Bei dieser Beurteilung spielten weder die Einschätzung des chinesischen Patentamts (D23 bis D25) noch die spätere Patentanmeldung D28 der Beschwerdeführerin eine Rolle. Diese Dokumente und der zugehörige Vortrag sollten nicht zugelassen werden.
2.7 Die Kammer ist der Ansicht, dass es im vorliegenden Fall nicht darauf ankommt, wie der Begriff "Mantel" im Allgemeinen im Kontext des auf eine "längliche Spanneinheit" gerichteten Anspruchs 1 auszulegen ist, was von der Beschwerdeführerin ausführlich vorgetragen wurde. Entscheidend ist vielmehr die Frage, ob die Manschetten in D1 bis D5 nach dem Verständnis einer Fachperson einen Mantel im Sinne des Patents offenbaren.
2.7.1 D1 bis D5 betreffen Tragseile einer Brücke, so dass für die Frage, was in dieser Offenbarung als der "Mantel" des "Spannelements" in Form des Tragseils gilt, das fachübliche Verständnis im Fachbereich der Brückenkonstruktion ausschlaggebend ist.
In der detailreichsten Aufnahme auf der letzten Seite in D4 sind die Manschetten ("casings", Seite 12 der Beschwerdebegründung) zu erkennen, die LED-Lichtquellen ("LED modules") tragen. Darunter, zum Beispiel ganz rechts in der Aufnahme auf der letzten Seite der D4 sowie am unteren Ende der Seile in den Bildern in D5, ist jedoch eine Struktur zu erkennen, die die Fachperson nach Überzeugung der Kammer als den Mantel der Tragseile ansieht.
Demgegenüber sind die zusätzlich angebrachten Manschetten mit Beleuchtungsfunktion weder Bestandteile des eigentlichen Tragseils noch ein Mantel im fachüblichen Sinn.
2.7.2 Dies steht auch im Einklang mit der Offenbarung des Patents in Absatz [0004], wonach die Manschetten der D3 als "zusätzliche Schale" und somit nicht als Mantel im Sinne des Patents zu verstehen sind.
Somit stützt die Beschreibung die bereits im vorangehenden Abschnitt dargelegte Auslegung des Begriffs "Mantel" im Kontext der Dokumente D1 bis D5. Diese Auslegung beruht auf dem Verständnis der Fachperson und nicht auf einer einschränkenden Lesart unter Einbeziehung von Merkmalen aus der Beschreibung. Daher erübrigt sich die Beantwortung der Frage, ob bei der Auslegung nur positive Definitionen in der Beschreibung zu berücksichtigen sind, oder ob auch zu berücksichtigen wäre, wenn sich ein Patent in der Beschreibung von Gegenständen einer Entgegenhaltung abgrenzt.
In diesem Zusammenhang spielt es auch keine Rolle, ob dieselbe Patentanmelderin in einem anderen Dokument eine andere Definition für den Begriff "Mantel" zugrunde legt, wie die Beschwerdeführerin dies im Hinblick auf die Anmeldung WO 2024/161046 A2 (D28) und den dort verwendeten Begriff "Mantelrohr" vorgetragen hat. Denn D28 stellt weder das Fachwissen dar, noch bildet es den für die Auslegung des Begriffes im vorliegenden Anspruch 1 heranzuziehenden Kontext. Die Frage, ob der entsprechende Vortrag der Beschwerdeführerin zugelassen werden sollte, konnte daher offen bleiben.
2.7.3 Daran ändert sich auch nichts, wenn die Manschetten gemäß D2a (Abschnitt 5 auf Seite 6) ebenfalls eine Schutzfunktion gegenüber dem Tragseil aufweisen ("which greatly reduces the corrosion of the cable caused by the external environment, reduces the aging and failure, and prolongs the use time") und aerodynamische Merkmale gegen windinduzierte Schwingungen vorsehen. Aus der Tatsache, dass der Mantel eine Schutzfunktion hat, kann nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass jede eine Schutzfunktion bewirkende Struktur auch als Mantel anzusehen wäre.
2.7.4 Diese Einschätzung ändert sich auch nicht durch D23 bis D25, betreffend das zum vorliegenden Patent korrespondierende Verfahren vor dem chinesischen Patentamt und dessen Anspruchsauslegung. Zum einen bezieht sich D23/D23a auf den chinesischen Begriff im Anspruch, der in der englischen Übersetzung (D25) mit "casing" wiedergegeben ist, und im Fachgebiet nicht unbedingt die gleiche Bedeutung haben muss wie "Mantel" im Deutschen. Zum anderen enthält D23a keine Argumente, weshalb die Manschette der D3 (dort D1) als "casing" angesehen wird, die die Kammer berücksichtigen könnte. Daher teilt die Kammer die Einschätzung der Einspruchsabteilung, dass D23 bis D25 für den vorliegenden Fall nicht relevant sind.
2.8 Somit kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass D1 bis D5 nicht neuheitsschädlich für den Gegenstand von Anspruch 1 sind, weil die darin offenbarten Manschetten nicht dem anspruchsgemäßen Mantel des darin offenbarten Tragseils entsprechen und D1 bis D5 daher nicht die Merkmale 1d bis 1f offenbaren.
3. Neuheit, D26 - Zulassung
3.1 Mit ihrem Schreiben vom 20. Oktober 2023 legte die Beschwerdeführerin im Nachgang zur Beschwerdebegründung und nach Ablauf der Frist für die Beschwerdebegründung, die Entgegenhaltung D26 vor und erhob einen darauf basierenden neuen Neuheitseinwand gegen Anspruch 1 des Hauptantrags. Bei dem neuen Beweismittel, Tatsachenvortrag und Einwand handelt es sich um eine Änderung des Beschwerdevorbringens gemäß Artikel 13 (1) VOBK.
3.2 Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin habe D26 nicht früher eingereicht werden können, da die Beschwerdeführerin erst durch den Recherchenbericht des koreanischen Patentamts Kenntnis davon erhalten habe. Das Dokument solle wegen seiner prima facie Relevanz zugelassen werden. Denn es offenbare insbesondere eine Hülle mit Vertiefungen und Beleuchtungsmitteln für ein Tragseil einer Brücke, das keinen anderweitigen Mantel aufweise. Damit begegne D26 dem für die Beschwerdeführerin überraschenden Ergebnis der Einspruchsabteilung, wonach die Manschetten der D1 bis D5 nur deshalb nicht für neuheitsschädlich befunden worden seien, weil die Tragseile bereits einen weiter innen liegenden Mantel aufwiesen.
3.3 Die Beschwerdegegnerin beantragte, D26 wegen verspäteten Vorbringens und mangelnder Relevanz nicht in das Verfahren zuzulassen. Sie trug vor, dass auch in D26 die äußere Schale um das mit dem eigentlichen Mantelelement 72 versehene Spannseil keinen Mantel im Sinne des Anspruchs darstelle und D26 zudem offenbar ein Spannseil mit nur einem einzigen Spannelement statt der geforderten Mehrzahl von Spannelementen offenbare.
3.4 Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu.
Dass die Beschwerdeführerin auf D26 erst durch das koreanische Patentamt aufmerksam wurde, stellt keine Rechtfertigung für das Einreichen erst im Beschwerdeverfahren dar. Auch kann die Tatsache, dass eine Angriffslinie die Einspruchsabteilung nicht überzeugt hat, nicht per se die Einreichung einer völlig neuen Angriffslinie rechtfertigen.
D26 offenbart eine LED-Beleuchtungsvorrichtung für Brücken ("LED landscape lighting device for bridges"), die aus zwei Gehäusehälften ("housings" 20a, 20b) zusammengesetzt wird und verschieblich an dem Tragseil ("cable" 101) einer Brücke, genauer um dessen äußere Oberfläche ("outer circumferential surface") herum installiert werden kann (Absätze [0001] und [0019] in D26a). Somit offenbart D26 die Beleuchtungselemente ausdrücklich nicht als Bestandteil des Tragseils selbst sondern als "zusätzliche Hülse". Für die zugehörige Fachperson ist damit ersichtlich, dass die Beleuchtungselemente 10 nicht den fachüblichen und anspruchsgemäßen "Mantel" des Tragseils darstellen, auch wenn die Hülsen selbst wasserdichte Verbindungen aufweisen (Absätze [0037] und [0048]).
Dies ist unabhängig davon, ob in D26 ein fachüblicher Mantel anderweitig offenbart ist. Einem solchen am nächsten kommt die Silikongummischicht 72, die am Tragseil angebracht wird, um es vor Beschädigungen beim Verschieben der Hülsen und dadurch verursachter Korrosion zu schützen (Absätze [0034], [0035] und [0066] bis [0068]). Diese trägt aber jedenfalls keine elektrischen Funktionseinheiten.
Schon aus diesem Grund ist D26 für die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 prima facie nicht relevant. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob D26 nur ein einzelnes Spannelement offenbart oder die Darstellung des Tragseils in den Figuren lediglich schematisch für ein Seil mit mehreren Spannelementen steht.
Folglich übte die Kammer ihr Ermessen unter Artikel 13 (1) VOBK dahingehend aus, D26 und den darauf beruhenden Neuheitsangriff nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
4. Neuheit, weitere Angriffe
In der mündlichen Verhandlung bestätigte die Beschwerdeführerin, dass sie weitere Einwände bezüglich der Neuheit des Hauptantrags nicht weiterverfolge.
Im Hinblick auf die Neuheitsangriffe der nicht erschienenen weiteren Verfahrensbeteiligten hatte die Kammer bereist in ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK darauf hingeweisen, dass diese die Substantiierungserfordernisse nach Artikel 12 (3) VOBK nicht erfüllen und daher gemäß Artikel 12 (5) VOBK nicht zu berücksichtigen seien. Die weitere Verfahrensbeteiligte ist dem nicht entgegengetreten, so dass die Kammer keine Veranlassung sah, von dieser vorläufigen Einschätzung abzuweichen.
Daher lagen keine weiteren Neuheitsangriffe gegen den Hauptantrag vor.
Somit kommt die Kammer zusammenfassend zu dem Schluss, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag neu ist.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 Ausgehend von D6 oder D7
5.1.1 D6 betrifft den Aufbau von Spannseilen für Brücken ("câbles ou haubans", "ponts haubanés", Seite 1, erste beiden Absätze) mit mehreren Litzen ("torons ou brins") und einer diese umgebenden Schutzhülle ("enveloppe de protection", Seite 1, dritter Absatz; Figuren 1 und 2).
Die Schutzhülle stellt einen aus zwei flexiblen Halbschalenelementen aufgebauten Mantel dar, der zum einen Vertiefungen 7 in dessen Innenraum aufweist, in die korrespondierende Zapfen 6 der jeweils anderen Halbschale eingreifen, um die Halbschalen miteinander zu verriegeln (Figur 2). Zum anderen weisen die Halbschalen auch massive Vorsprünge in den Innenraum auf, um den Querschnitt des Strangbündels aufzufüllen, so dass sich ein kreiszylindrisches Außenprofil des Mantels ergibt.
D7 offenbart unstreitig im Wesentlichen dieselben Merkmale (siehe Figur 2), wobei hier im Inneren des Mantels auch noch Haltelemente für ein außenliegendes Verbindungskabel 10, das die Hülsenelemente miteinander verbindet, Platz finden.
5.1.2 Die Beschwerdeführerin trug vor, D6 und D7 offenbarten jeweils die Merkmale 1a bis 1d, wobei sich in den Vertiefungen des Mantels keine elektrische, sondern eine mechanische Funktionseinheit (mit der Verriegelungsfunktion) befinde. Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von den Tragseilen in D6 oder D7 somit durch die Merkmale 1e und 1f.
Diese lösten die objektive technische Aufgabe, eine ummantelte Spanneinheit mit einer elektrischen Funktion auszustatten.
Der Bedarf für die Unterbringung elektrischer Funktionseinheiten an Tragseilen von Brücken, insbesondere zur Beleuchtung, aber auch zum Beheizen oder als Blitzableiter, gehöre zum allgemeinen Fachwissen. D8 und D13 dienten lediglich als Beleg hierfür.
Auf der Suche nach Möglichkeiten für die Unterbringung von Funktionseinheiten sei es für eine Fachperson ausgehend von D6 und D7 naheliegend gewesen, eine elektrische Funktionseinheit nach dem Vorbild der mechanischen Funktionseinheit in D6 oder D7 in einer Vertiefung des Mantels unterzubringen, beispielsweise in den bereits vorhandenen Vertiefungen 6 oder in den Füllelementen oder Hohlräumen innerhalb des Mantels.
Zudem liege die Wirkung der Merkmale 1e und 1f gemäß dem Patent auch darin, die Querschnittsfläche gegenüber Seilen mit zusätzlich angebrachten Manschetten zu verringern (Absätze [0004] bis [0006]). Die objektive technische Aufgabe könne daher auch den Aspekt enthalten, die elektrische Funktionseinheit innerhalb des bestehenden Querschnitts des Tragseils unterzubringen. Dies hätte die Fachperson auf naheliegende Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 geführt.
5.1.3 Dieser Vortrag überzeugt die Kammer nicht.
Ausgehend von der von der Beschwerdeführerin zunächst vorgetragenen, breiteren Aufgabe, eine ummantelte Spanneinheit (konkreter, das Tragseil der D6 oder D7) mit einer elektrischen Funktion auszustatten, hätte die Fachperson entsprechende Lösungen im Stand der Technik gesucht. Keine der vorgetragenen Entgegenhaltungen offenbart jedoch die anspruchsgemäße Unterbringung der Beleuchtungsvorrichtungen (oder einer anderweitigen elektrischen Funktionseinheit) innerhalb von Vertiefungen des Mantels. Vielmehr offenbart der verfügbare Stand der Technik ausschließlich Lösungen, bei denen die Beleuchtungseinheiten in einer zusätzlichen äußeren Schale oder Manschette untergebracht werden. Der Stand der Technik führt somit von der anspruchsgemäßen Lösung weg.
Die vermeintliche Motivation für die Fachperson, eine Unterbringung elektrischer Funktionseinheiten gerade in Vertiefungen des Mantels in Betracht zu ziehen, bezieht die Beschwerdeführerin aus der Analogie zwischen "mechanischen" und "elektrischen" Funktionseinheiten und dem Beispiel in D6 und D7 eine mechanische Funktionseinheit innerhalb des Mantels zu integrieren. Dies beruht allerdings allein auf der Wortwahl in den Unterscheidungsmerkmalen von Anspruch 1. In D6 oder D7 wird der in den Vertiefungen des Mantels verrastende Verriegelungszapfen nicht als "mechanische Funktionseinheit" bezeichnet. Dies wäre für einen simplen Zapfen auch eine nicht unbedingt naheliegende Wortwahl. Entsprechend war die vorgetragene Analogie für die Fachperson beim Versuch die Aufgabe zu lösen nicht ersichtlich und entfaltete daher auch keine Motivation, von den aus dem Stand der Technik bekannten Lösungen für die Unterbringung von elektrischen (Beleuchtungs)einheiten abzuweichen. Darüber hinaus steht die Unterbringung einer elektrischen Funktionseinheit in den vorhandenen Vertiefungen damit im Widerspruch, dass diese bereits mit den Verriegelungszapfen für den Verschlussmechanismus belegt sind. Es hätte folglich eines weiteren gedanklichen Schrittes bedurft, beispielsweise unter Ausnutzung von Hohlräumen oder massiven Vorsprüngen des Mantels, erst neue Vertiefungen im Mantel zu schaffen, um sie für die Aufnahme von elektrischen Funktionseinheiten nutzbar zu machen.
In der alternativ vorgetragenen, enger gefassten Aufgabenstellung bezieht die Beschwerdeführerin zusätzlich die patentgemäße Wirkung (vgl. Absätze [0004] bis [0006] des Patents) mit ein, die Nachteile einer "zusätzlichen Schale" zu vermeiden. Gemäß Absatz [0004] sind dies erhöhte Kosten, erhöhter Montageaufwand und Stabilitätsbedenken wegen der vergrößerten Angriffsfläche für Windlasten. Hieraus abzuleiten, die elektrische Funktion "innerhalb des bestehenden Querschnitts des Tragseils" unterzubringen, enthält nach Ansicht der Kammer allerdings Elemente der erfindungsgemäßen Lösung. Wenn die Fachperson hierdurch zum Anspruchsgegenstand gelangt, beruht dies somit auf einer rückschauenden Betrachtung in Kenntnis der Erfindung, was nicht zulässig ist.
Nach Ansicht der Kammer löst der Anspruchsgegenstand die behauptete Aufgabe der Verringerung der Querschnitts gegenüber einer zusätzlichen Schale gar nicht, denn Vertiefungen bedingen, dass sich der Mantel weiter nach außen erstrecken muss. Platzeinsparungen ergeben sich gemäß den Absätzen [0007] bis [0009] erst durch eine andere Verteilung der Spannelemente im Innenraum (vgl. Figur 2), was in Anspruch 1 allerdings nicht definiert ist. Die übrigen Aspekte bezüglich einer Reduktion von Kosten und Montageaufwand gemäß Absatz [0004] hätten eine Fachperson jedoch nicht zu einer Abkehr von zusätzlich angebrachten Vorrichtungen bewogen und schon gar nicht dazu, erst zusätzliche Vertiefungen im Mantel zu schaffen.
Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin wurden D8 und D13 lediglich zum Beleg des fachbekannten Wunsches nach Beleuchtungsvorrichtungen an Tragseilen vorgelegt. Eine Anregung darin, die Module im Mantel statt am Mantel unterzubringen, wurde nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich.
5.1.4 Folglich ist die Integration von elektrischen Einheiten in Vertiefungen des Mantels selbst ausgehend von D6 oder D7 in Verbindung mit D1 bis D5, D8 oder D13 oder dem allgemeinen Fachwissen nicht nahegelegt.
5.1.5 Aus diesem Grunde kann die Beantwortung der Fragen, ob der Einwand ausgehend von D6 oder D7 in Verbindung mit D13 eine Änderung des Vorbringens im Sinne von Artikel 12 (4) VOBK darstellt, die nicht zugelassen werden sollte, und ob D6 oder D7 als "nächstliegender" Stand der Technik in Betracht kommen, dahingestellt bleiben.
5.2 Ausgehend von D1 bis D5
Ihren Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D1 bis D5 hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung nicht weiterverfolgt.
Die weitere Verfahrensbeteiligte hatte sich diesem Einwand schriftsätzlich angeschlossen und darüber hinaus lediglich pauschal auf ihr gesamtes Vorbringen im Einspruchsverfahren verwiesen. Die Kammer hatte bereits in ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK darauf hingewiesen, dass sie weder den Vortrag der weiteren Verfahrensbeteiligten per Verweis (Mitteilung, Punkt 6.5) noch den Einwand der Beschwerdeführerin unter Artikel 56 EPÜ ausgehend von D1 bis D5 (Mitteilung Punkt 10.2) für hinreichend substantiiert hält, und dass daher diese Einwände nicht zu berücksichtigen seien (Artikel 12 (3) und (5) VOBK). Die weitere Verfahrensbeteiligte ist dem nicht entgegengetreten, so dass die Kammer keine Veranlassung sah, von dieser vorläufigen Einschätzung abzuweichen.
5.3 Ausgehend von D22
D22 wurde im Einspruchsverfahren erst nach der Einspruchsfrist eingereicht, um hiervon ausgehend einen Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen die im Hauptantrag verbliebenen Ansprüche wie erteilt zu formulieren. Die Einspruchsabteilung hat die Zulassung von D22 wegen der verspäteten Einreichung und mangelnder prima facie Relevanz für den Ausgang des Einspruchsverfahrens abgelehnt. Die mangelnde Relevanz hat sie damit begründet, dass nicht nachvollziehbar sei, welche Veranlassung eine Fachperson gehabt haben sollte, den innerhalb des Mantels gelegenen Füllkörper durch elektrische Funktionseinheiten zu ersetzen.
Die Beschwerdeführerin stellte die Zulassungsentscheidung der Einspruchsabteilung in Frage. Gemäß der etablierten Rechtsprechung der Beschwerdekammern beschränkt sich die Überprüfung einer Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung, wozu die Nichtzulassung einer Entgegenhaltung oder eines Einwands zählt, darauf, ob die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nach Maßgabe der falschen Kriterien, unter Nichtbeachtung der richtigen Kriterien oder in willkürlicher bzw. unangemessener Weise ausgeübt und damit ihr eingeräumtes Ermessen überschritten hat (Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage 2022, Kapitel V.A.3.4.1 b)).
Im vorliegenden Fall hat die Einspruchsabteilung die richtigen Kriterien verwendet. Die Beurteilung der prima facie Relevanz von D22 durch die Einspruchsabteilung steht im Einklang mit ihrer Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D6 oder D7. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Einspruchsabteilung ihre Ermessensausübung willkürlich oder in unangemessener Weise vorgenommen hätte. Somit ist die Nichtzulassung durch die Einspruchsabteilung nicht zu beanstanden.
Einer Zulassung des Einwands im Beschwerdeverfahren steht Artikel 12 (6), erster Satz, VOBK entgegen, da die Entscheidung über die Nichtzulassung wie oben dargelegt nicht ermessensfehlerhaft war und keine Umstände der Beschwerdesache ersichtlich sind, die die Zulassung rechtfertigen. Zudem hält die Kammer den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von D22 auch selbst nicht für prima facie relevant, im Wesentlichen aus denselben Gründen wie oben ausgehend von D6 und D7 dargelegt.
Daher hat die Kammer ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, D22 und den auf ihr beruhenden Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegen den Hauptantrag nicht zuzulassen.
5.4 Zusammenfassend beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltenen Hauptantrags somit auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
6. Schlussfolgerung
Ausgehend von den zu berücksichtigenden Einwänden ist der von der Einspruchsabteilung aufrecht erhaltene Hauptantrag gewährbar und die Beschwerde somit zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.