T 0114/82 (Zellstoffgewinnung) 01-03-1983
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1. Einer Zustimmung der Beteiligten zur Verbindung von Beschwerdeverfahren gem. Art. 9 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (Amtsbl. EPA 1983, S. 7, 9) bedarf es nicht, wenn die Beteiligten dieselben sind, der Sachverhalt in gegenständlichem Zusammenhang steht und ein mÖgliches Interesse der Beteiligten an getrennter Behandlung nicht erkennbar ist.
2. Die Entscheidung eines Formalsachbearbeiters ist aufzuheben, wenn sich seine Befugnis zur Entscheidung nicht aus R.9(3) EPÜ und einer auf dieser Grundlage erfolgten Übertragung ableiten läßt. Die Entscheidung ist an das Organ i.S.v. Art. 15 EPÜ zurückzuverweisen, dessen Zuständigkeit sich aus dem Übereinkommen ergibt (im Anschluß an J 10/82 vom 21. Dezember 1982, Amtsbl. EPA 1983 S. 94).
Verbindung von Verfahren
Unzuständigkeit des Formalsachbearbeiters
I. Der Beschwerdeführerin und Patentinhaberin waren 1981 die europäischen Patente mit der Veröffentlichungsnummer 4928 (Bezeichnung: "Dispersion zur Verwendung bei der Zellstoffgewinnung und Verfahren zur Zellstoffgewinnung unter Verwendung dieser Dispersion", nachfolgend "Zellstoffgewinnung" genannt) und mit der Veröffentlichungsnummer 4938 (Bezeichnung:
"Verfahren zur Herstellung halbsynthetischer beta-Lactamantibiotika", nachfolgend "Antibiotika" genannt) erteilt worden.
II. Bei Einlegung eines Einspruchs, der nach der Erfindungsbezeichnung und dem Inhalt der Einspruchsbegründung gegen das Patent "Zellstoffgewinnung" gerichtet sein sollte, gab die Einsprechende die Veröffentlichungsnummer des angegriffenen Patents mit Nummer 4938 an und begehrte nach Ablauf der Einspruchsfrist eine Berichtigung in Nummer 4928.
III. Im weiteren Verlauf des Verfahrens traf die Formalprüfungsstelle der Einspruchsabteilungen des EPA - veranlaßt durch Anträge der Patentinhaberin - zwei die eingangs genannten Patente betreffende Entscheidungen. In einer Entscheidung vom 13. Mai 1982 betreffend das Patent "Zellstoffgewinnung" (falsch angegebene Nummer "4938" - richtig "4928") wurde der Einspruch für zulässig erklärt. In einer Entscheidung vom 2. Juli 1982 betreffend das Patent "Antibiotika" (Nummer 4938) wurde es abgelehnt, einen Einspruch gegen dieses Patent durchzuführen.
IV. Gegen diese Entscheidungen richten sich die gesonderten Beschwerden der Patentinhaberin in den Beschwerdesachen T 114/82 und T 115/82. Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Akten (insbesondere Begründung der angefochtenen Entscheidungen, Beschwerdeanträge und Beschwerdebegründungen) wird auf die Akten verwiesen, da es im Hinblick auf die zu treffende Entscheidung der Beschwerdekammer darauf nicht ankommt.
1. Die Beschwerden entsprechen den Artikeln 106-108 sowie Regel 64 EPÜ. Bei der Beschwerde "Antibiotika" gilt dies auch hinsichtlich des Zulässigkeitserfordernisses der "Beschwer" (Artikel 107 Satz 1 i.V.m. R. 65(1) EPÜ). Zwar besteht die "Beschwer" nicht darin, daß der Beschwerdeführerin und Patentanmelderin Patentinhaberin) die Eröffnung eines Einspruchsverfahrens gegen ihr eigenes Patent verwehrt wurde. Die "Beschwer" besteht lediglich darin, daß in erster Instanz eine Entscheidung ergangen ist, die dem Antrag der Beschwerdeführerin nicht entspricht. Damit ist die Patentinhaberin auch im Fall "Antibiotika" von der angefochtenen Entscheidung i.S.v. Artikel 107 Satz 1 EPÜ "beschwert". Beide Beschwerden sind daher zulässig.
2. Die Beschwerden können gemäß Artikel 9(2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (ABl. EPA 1980, S. 171, nachfolgend: VOBK) in einem gemeinsamen Verfahren behandelt werden. Der dort vorgesehenen Zustimmung der Beteiligten bedarf es in diesem Falle nicht. Artikel 9(1) VOBK bezieht sich vornehmlich auf Beschwerden mit ähnlichen Rechtsfragen verschiedener Beteiligter. Bei den vorliegenden Beschwerden handelt es sich um dieselben Beteiligten. Der Sachverhalt, der zu den angefochtenen Entscheidungen geführt hat, steht in engem gegenständlichen Zusammenhang. Ferner ist keinerlei Interesse der Beteiligten an getrennter Behandlung erkennbar. Hier liegt vielmehr ein Artikel 9(1) VOBK analoger Fall vor.
3. Der von der Beschwerdeführerin für den Fall nicht antragsgemäßer Entscheidung beantragten mündlichen Verhandlung bedarf es nicht. Hinsichtlich der Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidungen wird antragsgemäß entschieden. Auch eine "rechtliche Beurteilung" i.S.v. Artikel 111(2) EPÜ, durch die die Einspruchsabteilung im weiteren Verfahren gebunden sein könnte, gibt es nicht.
4. Die Entscheidung "Zellstoffgewinnung" ist eine Entscheidung i.S.v. Artikel 106(3) EPÜ, mit der vorab ein Einspruch für zulässig erklärt wurde. Zu einer solchen Entscheidung ist der Formalsachbearbeiter gemäß der "Mitteilung des Vizepräsidenten der Generaldirektion 2 des EPA über die Wahrnehmung einzelner den Einspruchsabteilungen des EPA obliegender Geschäfte durch Formalsachbearbeiter vom 8. Januar 1982" (ABl. EPA 1982. S. 61) nicht befugt. Die dort unter Nummer 6 aufgeführte Befugnis zur "Entscheidung im einseitigen Verfahren über die Unzulässigkeit des Einspruchs ... mit Ausnahme der Fälle nach Regel 55 c) EPÜ" berechtigt nur zur "Verwerfung des Einspruchs als unzulässig" i.S.v. Regel 56 EPÜ, nicht aber zu einer Entscheidung nach Artikel 106(3) EPÜ, mit der ein Einspruch vorab für zulässig erklärt wird. Dies ist in der genannten Nummer 6 auch erkennbar, da sie von einem "einseitigen" Verfahren spricht, wovon jedenfalls bei der Zulassung des Einspruchs nicht mehr gesprochen werden kann.
5. Unter diesen Umständen ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache gemäß Artikel 111(1) EPÜ an das Organ zurückzuverweisen, dessen Zuständigkeit sich aus dem Übereinkommen ergibt. Dies ist gemäß Artikel 19(1) EPÜ die nach der Geschäftsordnung zuständige Einspruchsabteilung. (Siehe hierzu auch J 10/82 vom 21. Dezember 1982, ABl. EPA 1983, S. 94).
6. Entsprechendes gilt für die Entscheidung "Antibiotika". Wie bereits oben (1.) gesagt, ist die Beschwerde auch in diesem Fall zulässig, obwohl die eigenartige Situation vorliegt, daß eine Patentinhaberin die Durchführung eines Einspruchs gegen ihr Patent anstrebt. Anscheinend ging es der Patentinhaberin in diesem Fall darum, eine logisch konsequente Haltung gegenüber dem Fall "Zellstoffherstellung" einzunehmen. Hierzu dürfte aber eine Erklärung der Patentinhaberin genügen, daß sie den Einspruch als gegen das Patent "Antibiotika" eingelegt betrachtet und bereit ist, ihn als solchen durchzuführen. Im übrigen sei darauf aufmerksam gemacht, daß die Frage der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Einspruchs in den beiden Fällen nicht zwangsläufig spiegelbildlich ist. Eine Verneinung der Zulässigkeit im Falle "Zellstoffgewinnung" bedeutet nicht unbedingt Bejahung im Falle "Antibiotika". Im letzteren Falle mag es zweifelhaft sein, ob die ganz auf "Zellstoffgewinnung" ausgerichtete Einspruchsbegründung die Zulässigkeit eines Einspruchs gegen das Patent "Antibiotika" eröffnen könnte.
7. Entsprechend der oben (unter 5.) genannten Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer ist in beiden Fällen gemäß Regel 67 EPÜ die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen. Die Billigkeit ergibt sich aus dem Verfahrensfehler (d.h. der Unzuständigkeit der Erstinstanz) und der deswegen für notwendig erachteten Rückverweisung.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Beschwerdesachen T 114/82 und T 115/82 werden miteinander verbunden.
2. Die Entscheidungen der Formalprüfungsstelle der Einspruchsabteilungen des Europäischen Patentamts vom 13. Mai 1982 betreffend das europäische Patent mit der Veröffentlichungsnummer 4928 und vom 2. Juli 1982 betreffend das europäische Patent mit der Veröffentlichungsnummer 4938 werden aufgehoben und die Sachen zur Fortsetzung des Verfahrens an die zuständige Einspruchsabteilung zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühren wird angeordnet.