T 0031/83 25-07-1983
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Verfahren zur Herstellung von N-Alkylpiperidinen und N-Alkylpyrolidinen
Erfinderische Tätigkeit
Rückzahlung der Beschwerdegebühr
inventive step
reimbursement of appeal fee
I. Die am 4. Juli 1981 eingegangene und am 3. Feburar 1982 veröffentlichte europäische Patentanmeldung 81 105 197.8 mit der Veröffentlichungsnummer 0 044 968, für welche die Priorität der deutschen Voranmeldung vom 26. Juli 1980 in Anspruch genommen wird, wurde durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung 007 des Europäischen Patentamts vom 19. November 1982 auf der Grundlage der ursprünglich eingereichten vier Patentansprüche zurückgewiesen. Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Herstellung von N-Alkylpiperidinen und N-Alkylpyrrolidinen durch Hydrierung der entsprechenden Dicarbonsäureimide in Gegenwart eines Hydrierkatalysators, dadurch gekennzeichnet, daß man die Hydrierung fortlaufend an einem fest angeordneten Katalysator vornimmt, wobei der Umsatz je Durchgang 10 bis 90 % beträgt und das den Katalysator verlassende Reaktionsgemisch derart trennt, daß teilumgesetzte Produkte von Wasser und N-Alkylpiperidin bzw. N-Alkylpyrrolidin abgetrennt und die teilumgesetzten Produkte dem Katalysator wieder zugeführt werden."
II. In der angefochtenen Entscheidung führt die Prüfungsabteilung aus, den Entgegenhaltungen (1) und (2), d .h. DE-A-2 813 162 und DE-A-1 670 056 sei zu entnehmen, daß N-Alkylpyrrolidine, wie N-Methyl- oder N-n-Butylpyrrolidin, durch katalytische Hydrierung der entsprechenden cyclischen Dicarbonsäureimide über N-Alkylpyrrolidone als Zwischenprodukte erhältlich sind. Ebenso wie bei der vorliegenden Anmeldung, könne auch bei den bekannten Verfahren kontinuierlich an einem fest angeordneten Katalysator gearbeitet werden, wobei zur Erzielung größerer Reinheiten und höherer Ausbeuten vorteilhaft nur mit teilweisem Umsatz je Durchlauf gearbeitet werde und die nicht umgesetzten Ausgangsprodukte von den Zielprodukten und von Wasser abgetrennt und in die Reaktion zurückgeführt würden. Der Anmeldungsgegenstand gemäß Anspruch l unterscheide sich davon im wesentlichen nur noch durch die Angabe, daß der Umsatz je Durchgang 10 - 90 % sein solle. Die zahlenmäßige Festlegung dieser Umsatzrate, die bei üblicher Betriebsführung regelmäßig erreicht werde, könne nicht als erfinderisch angesehen werden.
Aus der Publikation (3), JACS 58(1936,2490), könne kein Vorurteil gegen das beanspruchte Verfahren hergeleitet werden. Zudem wäre ein in (3) begründetes Vorurteil im Hinblick auf die wesentlich später veröffentlichten Entgegenhaltungen (1) und (2) hinfällig.
Die Ansprüche 2-4 seien von Anspruch 1 abhängig und müßten mit diesem fallen, da sie keine selbständigen Merkmale enthielten, die auf eine erfinderische Tätigkeit hinwiesen. In Anspruch 1 der Entgegenhaltung (2) seien bereits Kobaltkatalysatoren beschrieben und dem Beispiel 4 von (2) sei die Arbeitsweise ohne zusätzliches Lösungsmittel zu entnehmen. Bei dieser Sachlage erübrige es sich, auf die weiteren Mängel des Anspruchsbegehrens hinsichtlich Art. 84 EPÜ einzugehen.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Anmelderin am 7. Januar 1983 unter Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde erhoben und diese gleichzeitig etwa wie folgt begründet:
Weder aus Entgegenhaltung (1) noch aus (2) sei ein Verfahren zur Herstellung von N-Alkylpiperidinen und N-Alkylpyrrolidinen durch Hydrierung der entsprechenden Dicarbonsäureimide in Gegenwart eines Hydrierkatalysators bekannt.
In (2) werde N-Butylpyrrolidin durch Hydrierung von entweder Pyrrolidon (Weg A) oder Bernsteinsäureimid (Weg B) erhalten. Daß der Weg B über das Pyrrolidon verläuft, werde dort nur vermutet. Außerdem spiele sich bei Weg B nicht nur eine Reduktion, sondern zugleich auch ein Abbau von Imid zu einer Butylgruppe ab, so daß es sich bei diesem Weg um eine alkylierende Hydrierung handle. Ein derartiger Abbau werde beim beanspruchten Verfahren jedoch nicht beobachtet. Dieser Weg sei also aus prinzipiellen Gründen nicht mit der anmeldungsgemäßen "reinen" Hydrierung vergleichbar.
Weiterhin sei es nicht zulässig, ein N-substituiertes mit einem unsubstituierten Imid zu vergleichen, da Heteroatom-Alkyl-Verbindungen häufig ganz anders als Hetero-H-Verbindungen reagierten.
Hieraus ergebe sich, daß die Entscheidung auf einer Fehlbeurteilung des Sachverhalts durch die beschließende Abteilung beruhe. Daher werde die Rückzahlung der Beschwerdegebühr beantragt. Dies entspreche der Billigkeit; es hätte nämlich nur einer kurzen, mündlichen oder fernmündlichen formlosen Rücksprache mit dem Sachbearbeiter der Anmelderin bedurft, um über den Anmeldungsgegenstand und seine Beziehung zum Stande der Technik Klarheit zu schaffen.
Mit Schriftsatz vom 21.6.83, eingegangen am 22.6.83 hat die Beschwerdeführerin 3 neue Patentansprüche nebst Beschreibung vorgelegt und die Erteilung des nachgesuchten Patents auf dieser Grundlage beantragt. Der geltende Anspruch 1 hat nunmehr folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Herstellung von N-Alkylpiperidinen und N-Alkylpyrrolidinen durch Hydrierung der entsprechenden Dicarbonsäureimide in Gegenwart eines Hydrierkatalysators, dadurch gekennzeichnet, daß man die Hydrierung fortlaufend an einem fest angeordneten Kobaltkatalysator vornimmt, wobei man den Umsatz je Durchgang auf 10 bis 90 % einstellt und das den Kataysator verlassende Reaktionsgemisch in teilumgesetzte Produkte, Wasser und N-Alkylpiperidin bzw. N-Alkylpyrrolidin trennt und die teilumgesetzten Produkte dem Katalysaor wieder zuführt.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die geltende Anspruchsfassung ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden, weil sie in den ursprünglichen Unterlagen ihre ausreichende Stütze findet (vgl. Ansprüche 1 bis 4).
Die Patentabteilung hat am Rande ihrer Entscheidung auf einen Mangel des Anspruchsbegehrens nach Art. 84 EPÜ aufmerksam gemacht, ohne allerdings diesen Punkt zum Gegenstand der Zurückweisung zu machen. Offensichtlich handelt es sich hierbei um die Beanstandung der ursprünglichen Ansprüche 3 und 4, jetzt 2 und 3 (vgl. Bescheid vom 24.06.82, S. 2. Abs. 3), wonach die Ausdrücke "im wesentlichen'', "als wesentliches Lösungsmittel'' und "bzw." als unpräzise gerügt werden. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Die Anweisung daß ein bestimmter Katalysator "im wesentlichen trägerfrei" ist, wird vom Fachmann unmißverständlich so gelesen, daß keine wesentlichen, d. h. keine bedeutenden Mengen eines Trägers anwesend sein sollen. Die Angabe, ein Gemisch aus Ausgangsprodukt und Reaktionsprodukt als wesentliches Lösungsmittel bzw. kein Lösungsmittel zu verwenden, steht klar für die beiden Ausführungsformen, daß dieses Gemisch das wesentliche Lösungsmittel ausmacht oder alternativ das ausschließliche Lösungsmittel darstellt.
3. Von allen in der Entscheidung angezogenen Druckschriften stellt die Publikation (3) den nächstliegenden Stand der Technik dar. Dort wird u.a. die Hydrierung einiger N-substituierter Glutarsäureimide, z. B. von N-n-Amyl-ß,ß-dimethylglutarsäureimid zu den entsprechenden Piperidinen, z. B. n-Amyl-4.4-dimethylpiperidin beschrieben. Als Katalysator dient Kupfer-Chromoxid und als Lösungsmittel Dioxan (vgl. S. 2490, bes. Tab. III).
Die Beschwerdeführerin hat den Einsatz eines fremden Lösungsmittels als nachteilig empfunden (vgl. die ursprüngliche Beschreibung S. 1, Abs. 3). Nachdem die Herstellung von N-Alkylpiperidinen und N-Alkylpyrrolidinen durch katalytische Hydrierung entsprechender Dicarbonsäureimide von der Beschwerdeführerin als bekannt angegeben wird (vgl. den Oberbegriff des Anspruchs 1) ist die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe darin zu sehen, diese Verfahren ohne fremde Lösungsmittel durchzuführen und dabei eine hohe Umsatzgeschwindigkeit und Ausbeute zu erzielen (vgl. ursprüngliche Beschreibung S.1 Abs. 3 und S.2, Z. 1 und 2).
Diese Aufgabe wird - vereinfacht dargestellt - dadurch gelöst, daß man die Hydrierung a) fortlaufend an einem fest angeordneten Kobaltkatalysator vornimmt, b) dabei den Umsatz je Durchgang auf 10 bis 90 % einstellt, c) aus dem Reaktionsgemisch das entstandene Wasser sowie das N-Alkylpiperidin bzw. -pyrrolidin abtrennt und die teilumgesetzten Produkte in die Hydrierung zurückführt
4. Dieses Verfahren ist unstreitig neu. Es ist nun zu untersuchen, ob es auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
In der Entgegenhaltung (1) ist ein technisches Verfahren zur Herstellung von N-Methylpyrrolidin durch katalytische Hydrierung von N-Methylpyrrolidon (NMP) beschrieben, das ohne Lösungsmittel auskommt (vgl. Anspruch 1 in Verbindung mit S. 1, Abs. 2 und sämtlichen Beispielen) und dabei hohe Ausbeuten von 98 % ermöglicht (vgl. S. 3, Z. 4/5). Dabei sind auch die Vorteile eines Arbeitens mit nur teilweisem Umsatz, Abdestillieren des N-Methylpyrrolidins und Rückführung des schwer siedenden Rückstands erwähnt, die z. B. zu einer höheren Reinheit des Endprodukts führen (vgl. S. 3, Z. 7 - 14).
Im Gegensatz zum beanspruchten Verfahren verwendet dieses bekannte Verfahren ein cyclisches Monocarbonsäureamid (Lactam) und enthält keinen Hinweis, daß etwa N-Methylbernsteinsäureimid zu N-Methylpyrrolidon reagiert. Aber selbst wenn der Fachmann die zuletzt genannte Vorstufe aufgrund seines allgemeinen Fachwissens (Publikation 3) zu dem bekannten Verfahren aus (1) gedanklich angefügt hätte, wäre er nicht zu der beanspruchten Problemlösung gelangt; denn diese beiden bekannten Verfahren bedienen sich spezieller kupferhaltiger Katalysatoren und können daher den Einsatz des anmeldungsgemäß verwendeten Kobaltkatalysators nicht nahelegen.
5. Aus Entgegenhaltung (2) ist ein kontinuierliches Verfahren zur Herstellung von N-Butylpyrrolidin in hoher Ausbeute (vgl. Sp. 1, Z. 58/59) durch Hydrierung von Pyrrolidon in der flüssigen Phase an einem fest angeordneten Kobaltkatalysator bekannt (vgl. den Patentanspruch in Verbindung mit Sp. 3, Z. 38-41). Zur Aufarbeitung des Reaktionsgemisches trennt man zunächst das Wasser ab und destilliert die organische Phase, wobei höhersiedende Fraktionen, welche überwiegend Pyrrolidon enthalten, in die Reaktion zurückgeführt werden können (vgl. Sp. 3, Z. 42 - 49 und Sp. 4, Z. 46 - 51).
Anstelle von Pyrrolidon kann man als Ausgangsstoff für die Hydrierung auch solche Verbindungen einsetzen, die unter den Reaktionsbedingungen im Pyrrolidon umgewandelt werden, wie z. B. das Imid der Bernsteinsäure (vgl. Sp. 2, Z. 2 bis 8).
Diese Analyse des bekannten Verfahrens zeigt hinsichtlich Verfahrensführung und Katalysator weitgehende Übereinstimmung mit dem beanspruchten Verfahren. Der Unterschied zwischen beiden Verfahren besteht im wesentlichen darin, daß beim bekannten Verfahren am Stickstoffatom unsubstituiertes Bernsteinsäureimid, anmeldungsgemäß dagegen N-Alkyl-dicarbonsäureimide der Hydrierung unterworfen werden. Dieser Unterschied hat aber zur Folge, daß beim bekannten Verfahren neben der Hydrierung des Säureimid-Heterocyclus dessen Ringspaltung mit nachfolgender Alkylierung des Hydrierungsprodukts einhergeht (alkylierende Hydrierung), während anmeldungsgemäß diese Spaltreaktion mit Folgereaktion unterbleibt (reine Hydrierung, vgl. z. B. die hohe Selektivität der Reaktion im ursprünglichen Beispiel 6).
Solch grundsätzlicher Wandel des Hydrierungsablaufs beim Übergang von N-unsubstituierten zu N-alkylsubstituierten cyclischen Dicarbonsäureimiden wird von der Kammer aufgrund des angezogenen Standes der Technik als überraschend angesehen. Bei dem prinzipiellen Unterschied beider Hydrierverfahren hätte der Fachmann die Verfahrensweise nach Entgegenhaltung (2) für die Lösung der gestellten Aufgabe wegen der zu befürchtenden Ringspaltung und Umalkylierung als untauglich angesehen.
6. Aus diesem Grunde lag die anmeldungsgemäße Lehre, deren wesentliches patentbegründendes Element in der Hydrierung der genannten cyclischen N-Alkyldicarbonsäureimide mit einem Kobaltkatalysator zu sehen ist (die Einstellung des Umsatzes am oberen Ende des beanspuchten Bereichs wird übereinstimmend mit der Vorinstanz als üblich bewertet), aufgrund des Standes der Technik, auch in seiner Gesamtschau nicht nahe: Der Anmeldungsgegenstand nach Anspruch 1 beruht somit auf erfinderischer Tätigkeit. Diese Überlegungen gelten in gleicher Weise für die Gegenstände der hierauf rückbezogenen Ansprüche 2 und 3, weil diese Ausgestaltungen der Erfindung von der Patentfähigkeit des Anspruchs 1 getragen werden.
7. Da der Beschwerde stattzugeben ist, ist noch zu prüfen, ob die Beschwerdegebühr - wie beantragt - zurückzuzahlen ist. Die Begründung dieses Antrags deutet darauf hin, daß die Beschwerdeführerin eine fehlerhafte Beurteilung des Anmeldungsgegenstandes gegenüber dem Stand der Technik rügt, die durch kurze formlose Rücksprache zu vermeiden gewesen wäre. Abgesehen davon, daß letztere im Prüfungsverfahren von der Anmelderin nicht angeregt wurde, würde ein solcher Fehler nicht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigen. Regel 67 EPÜ macht diese Rückzahlung vom Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels abhängig. Ein solcher Mangel liegt regelmäßig dann vor, wenn gegen eine Verfahrensnorm des Europäischen Patentübereinkommens verstoßen wurde und nicht auszuschließen ist, daß dieser Verstoß ursächlich für die angefochtene Entscheidung war. Durch eine fehlsame Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit einer Anmeldung wird aber eine Verfahrensnorm des Übereinkommens selbst dann nicht verletzt, wenn die Fehlbeurteilung in den Augen der Beschwerdeführerin so offensichtlich war, daß sie durch Rückfrage hätte vermieden werden können.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Es wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilun 007 des Europäischen Patentamts vom 19. November 1982 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, ein europäisches Patent aufgrund der am 22.6.83 eingegangenen Unterlagen zu erteilen.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.