T 0104/83 09-05-1984
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Verfahren zur Herstellung lagerstabiler, pumpbarer und fliessfähiger Alumosilikat-Suspensionen durch Nassvermahlung
Erfinderische Tätigkeit
Vorurteil
inventive step
prejudice
I. Auf die europäische Patentanmeldung 80 100 828.5. die am 20. Februar 1980 unter Inanspruchnahme der Priorität aus der deutschen Voranmeldung vom 23. Februar 1979 angemeldet worden ist, ist am 14. Oktober 1981 das europäische Patent 0 016 344 auf der Grundlage von fünf Patentansprüchen erteilt worden. Anspruch 1 lautet:
"Verfahren zur Herstellung lagerstabiler, fließfähiger und pumpbarer wäßriger Suspensionen, die - bezogen auf die Suspension - 20 bis ca. 60 Gewichtsprozent an feinverteilten, wasserunlöslichen Alumosilikaten mit gegen Calcium austauschbaren Kationen enthalten, durch Naßvermahlung der Alumosilikate, dadurch gekennzeichnet, daß man die nach der Herstellung in wäßriger Suspension anfallenden Alumosilikate mechanisch abtrennt, die erhaltene feuchte Alumosilikatmasse ohne Zwischentrocknung direkt oder nach durch Wasserzusatz erfolgter Einstellung auf einen Wassergehalt von bis zu 80 Gewichtsprozent der Naßvermahlung unterwirft und das erhaltene Mahlgut gegebenenfalls auf den gewünschten Feststoffgehalt einstellt."
II. Gegen die Erteilung des europäischen Patents hat die Einsprechende am 16. Juni 1982 Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents wegen mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit beantragt. Die Begründung wurde auf neu genannten Stand der Technik (US-A-3 310 373) gestützt.
III. Durch Entscheidung vom 18. Februar 1983 hat die Einspruchsabteilung den Einspruch zurückgewiesen und hierzu ausgeführt, daß sich das beanspruchte Verfahren sowohl hinsichtlich seiner Aufgabenstellung als auch hinsichtlich seiner Lösung von dem Verfahren nach dieser Entgegenhaltung unterscheide.
Während sich das beanspruchte Verfahren die Aufgabe gestellt habe, lagerbeständige, fließfähige und pumpbare wäßrige Suspensionen herzustellen, die dadurch gelöst werden, daß man ein bereits fertiges Alumosilicat einer Naßvermahlung unterwirft, sei das Verfahren nach der Entgegenhaltung darauf gerichtet, das Kristallwachstum bei der Herstellung von kristallinem Aluminosilicat zu beschleunigen; dies werde dadurch erreicht, daß das Reaktionsgemisch für die Herstellung des Alumosilicats in einer Mahlvorrichtung zur Kristallisation gebracht wird, wodurch die kristallinen Teilchen während ihrer Bildung kontinuierlich zerkleinert werden. Der Mahlprozeß findet also während und nicht wie beansprucht nach der Reaktion statt.
Das beanspruchte Verfahren sei daher neu; es beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit, denn die genannte US-Patentschrift konnte den Fachmann nicht dazu anregen, Aluminosilicate - wie beansprucht - nach vollendeter Herstellung naß zu vermahlen, um so zu lagerstabilen und pumpbaren Alumosilicat-Suspensionen zu gelangen. Im übrigen sei es überraschend, daß nach bisher bekannten Verfahren hergestellte Suspensionen derselben Feinteiligkeit die erfindungsgemäß erlangten Eigenschaften nicht aufweisen, wie durch Vergleichsbeispiele in vorliegender Beschreibung erläutert worden sei.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Einsprechende am 16. April 1983 unter gleichzeitiger Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt und diese am 27. Juni 1983 im wesentlichen etwa wie folgt begründet:
Wie die Patentinhaberin auf Seite 3 ihrer Patentschrift ausführe, sei die Naßvermahlung eines ungetrockneten Filterkuchens die wesentliche Maßnahme ihres Verfahrens. Ein derartiges Verfahren weise aber keine erfinderische Tätigkeit auf; denn aus Ullmann's Enzyklopädie der technischen Chemie, Band 1, I Chemischer Apparatebau und Verfahrenstechnik 1951, Seite 724 und Seite 725 sei die Naßvermahlung von Filterkuchen mittels Kugelmühlen zur Herstellung von Dispersionen bekannt.
Die Beschwerdeführerin beantragt, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen. Einen Antrag auf mündliche Verhandlung hat sie nicht gestellt.
V. Die Patentinhaberin tritt dem Vorbringen der Beschwerdeführerin entgegen und beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die Erfindung geht von den bekannten fließfähigen, pumpbaren und lagerfähigen Suspensionen nach der DE-A-2 615 698 aus (vgl. die vorliegende europäische Patentschrift Seite 2, Zeilen 10-14), die sich im Hinblick auf ihre Wasserenthärtungseigenschaften (vgl. Seite 27, Absatz 4) als Zusätze zu Wasch- und Reinigungsmitteln eignen (vgl. Anspruch 28 und vorliegende europäische Patentschrift Seite 2, Absatz 2). Die bekannten Suspensionen enthalten wenigstens 30 Gew.-% eines wasserunlöslichen Silikats, auch Aluminosilikats (Anspruch 11), dessen Kationen gegen Calcium austauschbar sind, ferner bestimmte Mengen eines Dispergiersowie eines nicht tensidischen Stabilisierungshilsmittels (Anspruch 1). Solche Zusätze, die in relativ hohen Konzentrationen anwesend sein müssen, sind teuer und außerdem hinsichtlich der Umweltschutzbestimmungen nicht unbedenklich, da z.B. die als Dispergiermittel verwendeten Polyacrylate biologisch schlecht abbaubar sind (vgl. die o.g. europäische Patentschrift S. 2 Z. 11 - 17).
Der Erfindung liegt daher die technische Aufgabe zugrunde, solche feinteilige, lag er stabile und pumpbare Alumosilikat-Suspensionen ohne Mitverwendung von Dispergier- und Stabilisierhilfsmitteln herzustellen.
Zur Lösung dieser Aufgabe wird gemäß dem vorliegenden Patent vorgeschlagen, daß man die nach der Herstellung in wäßriger Suspension anfallenden Alumosilikate mechanisch abtrennt, die erhaltene feuchte Alumosilikatmasse ohne Zwischentrocknung direkt oder nach durch Wasserzusatz erfolgter Einstellung auf einen Wassergehalt von bis zu 80 Gewichtsprozent der Naßvermahlung unterwirft und das erhaltene Mahlgut gegebenenfalls auf den gewünschten Feststoffgehalt einstellt. Daß diese Aufgabe auch tatsächlich gelöst wird, ergibt sich aus den Beispielen.
3. Diese aus Aufgabe und Lösung bestehende technische Lehre ist unstreitig in dem der Kammer vorliegenden Stand der Technik nicht vorbeschrieben, also neu.
Es ist daher zu prüfen, ob sie auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Die im Verfahren vor der Einspruchsabteilung angezogene Entgegenhaltung wurde im Beschwerdeverfahren nicht wieder aufgegriffen, so daß hierauf, außer der Feststellung, daß sich die Kammer der diesbezüglichen Beurteilung durch die Vorinstanz anschließt, nicht eingegangen zu werden braucht.
In der einzigen hier zu betrachtenden Entgegenhaltung, Ullmann's Enzyklopädie der technischen Chemie, Bd. 1, I Chemischer Apparatebau und Verfahrenstechnik 1951, Seiten 724 und 725, wird unter dem Abschnitt "Dispersionen und Dispergieren" ausgeführt, daß bei der Feinverteilung von Feststoffen in Flüssigkeiten die Stabilitätsbedingungen, insbes. bezüglich der Teilchengröße, schwerer zu erfüllen sind als bei der Herstellung von Emulsionen. Während lose Agglomerate von Festteilchen oft schon in raschlaufenden Naßmühlen zerkleinert werden, ist zu einer weitergehenden Zerteilung der Primärteilchen unter 1 µ eine erheblich stärkere Scherkraft erforderlich. Zu den Dispersionen, von denen einige wichtige aufgezählt werden, gehören auch Filterkuchen (vgl. Seite 724; Absatz 3 von unten).
Nach Seite 725 erfolgt die Herstellung und Verfeinerung von Dispersionen durch Naßmahlung, der in Gegenwart von zerkleinerungswirksamen Chemikalien und Dispergierhilfsmitteln als Schutz-Kolloide (Absatz 2). Diese Aussage eines Standardwerks, die das allgemeine Fachwissen auf dem Gebiet der Dispersionsherstellung zusammenfaßt, hat besonderes Gewicht und bestätigt besonders eindrucksvoll die Lehre nach der o.g. DE-A-2 615 698 von der Notwendigkeit des Zusatzes von Dispergier- und weiterer Hilfsmittel bei der Herstellung lagerstabiler, fließfähiger und pumpbarer Aluminosilikat-Dispersionen; sie unterstreicht gleichzeitig die Aussichtslosigkeit eines Versuchs, die bestehende Aufgabe, durch bloße Naßmahlung der noch feuchten Aluminosilikatmaße aus dem eigentlichen Herstellungsprozeß zu lösen. Der Stand der Technik hielt somit keine Lösung für die gestellte Aufgabe bereit, was bereits für erfinderische Tätigkeit spricht; vielmehr hat sich die Patentinhaberin mit der von ihr vorgeschlagenen Lösung über die auf dem Fachgebiet der Dispersionsherstellung herrschenden Lehrmeinung hinweggesetzt, was als verläßliches Anzeichen für erfinderische Tätigkeit anzusehen ist. Hierdurch wird auch der mögliche Einwand entkräftet, angesichts fehlender bekannter Vorbilder für die Lösung der anvisierte Aufgabe habe ein Versuch, wie ihn die bloße Aufgabenstellung fordere, nahegelegen; denn Versuche, welche die Überwindung eines allgemeinen technischen Vorurteils voraussetzen, sind als erfinderisch einzustufen. Es brauchte daher nicht der Frage nachgegangen zu werden, ob die Naßmahlung die einzige Methode zur Herstellung von Aluminosilikatdispersionen darstellt.
Zusammenfassend ergibt sich, daß das Verfahren nach Anspruch 1 des angegriffenen Patents auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Dies trifft auch für die von der Patentfähigkeit des Hauptanspruchs getragenen 4 Unteransprüche zu.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Es wird daher wie folgt entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.