T 0037/90 (Turbinenschaufelwerkstoff) 01-10-1992
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Turbinenschaufelwerkstoff hoher Festigkeit gegen Korrosionsermüdung, Verfahren zu dessen Herstellung und seine Verwendung
Erfinderische Tätigkeit (ja) - nach Änderung
Kategorienwechsel (zulässig)
Inventive step - yes (after amendments)
Amendments - change of claim category (admissible)
I. Auf die am 22. Februar 1982 angemeldete europäische Patentanmeldung Nr. 82 200 212.7, in der die Priorität der schweizerischen Patentanmeldung Nr. 1766/81 vom 16. März 1981 beansprucht wurde, ist am 7. Mai 1986 das europäische Patent Nr. 0 060 577 erteilt worden.
II. Gegen das erteilte Patent wurden zwei Einsprüche mit Antrag auf Widerruf des Patents wegen mangelnder Neuheit bzw. erfinderischer Tätigkeit (Artikel 100 a EPC) eingelegt.
Die Einsprüche wurden unter anderem auf folgende Druckschriften gestützt:
(D1) Japanische Patentanmeldung Nr. 77 JP-098 254 vom 18. August 1977, veröffentlicht als JP-A- 5 433 216 am 10. März 1979 in mit Schreiben vom 24. Februar 1987 eingereichter Übersetzung in die englische Sprache sowie als Derwent Japanese Patent Report (Datenbankauszug);
(D8) Werbeprospekt "FerraliumR alloy 255 (1979) Capot Corporation & (D8a) US-A-3 567 434;
(D9) EPRI Workshop: Corrosion Fatigue of Steam Turbine Blades", Allianz-Zentrum für Technik, München, June 21/22, 1979;
III. Im Laufe des Einspruchsverfahrens wurden neue Unterlagen vorgelegt, auf deren Grundlage die Einspruchsabteilung in einer Zwischenentscheidung vom 20. Dezember 1992 feststellte, daß unter Berücksichtigung der vom Patentinhaber vorgenommenen Änderungen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügten.
IV. Gegen diese Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende I) am 5. Januar 1990 unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung wurde 7. März 1990 eingereicht. In der Beschwerdebegründung führte die Beschwerdeführerin nunmehr neu die Druckschrift
(D11) GB-A-1 456 634
in das Beschwerdeverfahren ein, die zwar im Recherchenbericht aufgeführt und im Erstbescheid der Prüfungsabteilung erwähnt ist, im Verfahren nach der Patenterteilung aber noch keine Rolle gespielt hatte.
Die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende II) hat weder Beschwerde eingelegt, noch hat sie eine sachliche Stellungnahme eingereicht und ist auch, obwohl ordnungsgemäß geladen, nicht zu der am 1. Oktober 1992 durchgeführten mündlichen Verhandlung vor der Kammer erschienen.
V. In einer Mitteilung der wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, daß die Ansprüche 1 und 4 des von der Beschwerdegegnerin mit Schreiben vom 10. Juli 1990 vorgelegten neuen Anspruchssatzes gegen die Bestimmungen der Artikel 123 (2) und 84 EPÜ zu verstoßen schienen.
Ferner wurde darauf hingewiesen, daß in die Diskussion über den Werkstoff "Ferralium" oder X 5CrNiMoCu 25 5 neben den von der Beschwerdeführerin genannten Druckschriften auch die Kenntnisse mit einbezogen werden sollten, die der Fachmann aus der im Recherchebericht aufgeführten Druckschrift
(D12) "Werkstoffe und Korrosion" 31 (1980), Seiten 439 bis 446 (insbesondere Seite 445, rechte Spalte),
besitzt.
VI. Die Beschwerdegegnerin reichte daraufhin am 5. September 1992 ein neues aus sechs Ansprüchen bestehendes Patentbegehren vor, dessen unabhängige Ansprüche 1 und 4 lauten:
"1. Verwendung eines Werkstoffs mit zweiphasigem Mischgefüge aus Austenit und Ferrit oder aus Austenit und Martensit bestehend aus
Kohlenstoff = 0,005 bis 0,06 Gew.-%,
Chrom = 18 bis 30 Gew.-%,
Molybdän = 1 bis 6 Gew.-%,
Nickel = 2 bis 6 Gew.-%,
Mangan = 4 bis 8 Gew.-%,
mindestens einem der Elemente Kupfer, Titan, Aluminium, wobei der Gehalt jedes einzelnen dieser Elemente mindestens 0,2 Gew.-% und der Gesamtgehalt an Kupfer, Titan, Aluminium 0,5 bis 4 Gew.-% beträgt, wahlweise zusätzlich 0,2 bis 1,5 Gew.-% Stickstoff, Rest Eisen und unvermeidliche Verunreinigungen,
welcher Werkstoff bei seiner Herstellung folgende Verfahrensschritte durchlaufen hat:
Schmelzen und Gießen seiner Komponenten zu einem Gußbarren, Warmverformen des Gußbarrens in einem Temperaturbereich zwischen 100°C und 1250°C mit einer Querschnittsabnahme von mindestens 50 % zu einem Werkstück,
Abschrecken des auf diese Weise erzeugten Werkstückes von besagter Temperatur direkt in Wasser,
spanabhebendes Bearbeiten des abgeschreckten Werkstückes bis zur endgültigen Form, und
Wärmebehandeln des spanabhebend bearbeiteten Werkstückes in einem Temperaturbereich zwischen 300°C und 650°C während 1 bis 8 Stunden zwecks Ausscheidungshärtung,
und welcher Werkstoff nach dem Durchlaufen der Verfahrensschritte
eine Streckgrenze von mindestens 800 MPa,
eine Bruchdehnung von mindestens 15 % für ein Verhältnis Probenlänge zu Probendurchmesser = 4,4 und
eine Dauerwechselfestigkeit bezogen auf Zug/Druck unter einer belüfteten 4 N NaCl-Lösung mit pH = 5 bei 80°C, von mindestens 350 MPa ohne statische Vorlast und von mindestens 250 MPa unter einer statischen Vorlast von + 250 MPa bezogen auf 108 Lastwechsel sowie eine Kerbschlagzähigkeit von mindestens 50 J pro cm2 aufweist zur Herstellung einer Turbinenschaufel hoher Festigkeit gegen Korrosionsermüdung.
4. Verwendung eines Werkstoffs mit zweiphasigem Mischgefüge aus Austenit und Ferrit oder aus Austenit und Martensit bestehend aus
Kohlenstoff = 0,005 bis 0,06 Gew.-%,
Chrom = 18 bis 30 Gew.-%,
Molybdän = 1 bis 4 Gew.-%,
Nickel = 4 bis 11 Gew.-%,
Titan und/oder
Aluminium = 0,5 bis 4 Gew.-%
wobei der Gehalt jedes einzelnen dieser Elemente mindestens
0,2 Gew.-% beträgt,
Rest Eisen und unvermeidliche Verunreinigungen,
welcher Werkstoff bei seiner Herstellung folgende Verfahrensschritte durchlaufen hat:
Schmelzen und Gießen seiner Komponenten zu einem Gußbarren, Warmverformen des Gußbarrens in einem Temperaturbereich zwischen 100°C und 1250°C mit einer Querschnittsabnahme von mindestens 50 % zu einem Werkstück,
Abschrecken des auf diese Weise erzeugten Werkstückes von besagter Temperatur direkt in Wasser,
spanabhebendes Bearbeiten des abgeschreckten Werkstückes bis zur endgültigen Form, und
Wärmebehandeln des spanabhebend bearbeiteten Werkstückes in einem Temperaturbereich zwischen 300°C und 650°C während 1 bis 8 Stunden zwecks Ausscheidungshärtung,
und welcher Werkstoff nach dem Durchlaufen der Verfahrensschritte
eine Streckgrenze von mindestens 800 MPa,
eine Bruchdehnung von mindestens 15% für ein Verhältnis Probenlänge zu Probendurchmesser = 4,4 und
eine Dauerwechselfestigkeit bezogen auf Zug/Druck unter einer belüfteten 4 N NaCl-Lösung mit pH = 5 bei 80°C, von mindestens 350 MPa ohne statische Vorlast und von mindestens 250 MPa unter einer statischen Vorlast von + 250 MPa bezogen auf 108 Lastwechsel sowie eine Kerbschlagzähigkeit von mindestens 50 J pro cm2 aufweist zur Herstellung einer Turbinenschaufel hoher Festigkeit gegen Korrosionsermüdung."
VII. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 1. Oktober 1992 gestand die Beschwerdeführerin zwar zu, daß die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche neu seien, bestritt jedoch, daß sie auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten. Sie ging davon aus, daß die Druckschrift (D12), insbesondere die die Legierung X 5 CrNiMoCu 25 5 (Ferralium) betreffenden Stellen, als nächstkommender Stand der Technik anzusehen sei. Die Offenbarung dieser Druckschrift sei jedoch durch die aus den Tagungsunterlagen (D9) gewonnenen Erkenntnisse zu ergänzen, da diese das allgemeine Fachwissen der einschlägigen Fachleute über diesen Werkstoff repräsentierten. Sie vertrat die Auffassung, daß die mechanischen Kennwerte von Ferralium, die in Tabelle 5 der Druckschrift (D9) angegeben seien, weitgehend den nach dem Streitpatent geforderten entsprächen. Die dort angegebene Streckgrenze sei mit 700 MPa zwar geringfügig niedriger als gefordert; der Fachmann wisse jedoch, wie er die Behandlung dieses Werkstoffes variieren müsse, um höhere Werte zu erreichen. Die Dauerwechselfestigkeit (Beständigkeit gegen Schwingungsrißkorrosion) sei gemäß (D9) nicht unter den gleichen Versuchsbedingungen, insbesondere bei unterschiedlichen pH-Werten durchgeführt worden, so daß die jeweils angegebenen Werte nur größenordnungsmäßig vergleichbar seien. Die Beschwerdeführerin äußerte die Vermutung, daß die Beständigkeit gegen Schwingungsrißkorrosion von Ferralium gleich der der gemäß Streitpatent verwandten Legierungen sei, und vertrat die Auffassung, daß die Pflicht, das Gegenteil zu beweisen, bei der Beschwerdegegnerin liege, da diese im Streitpatent willkürliche Versuchsbedingungen gewählt habe. Im übrigen sei es durch die Druckschrift (D1) nahegelegt, die bekannte Legierung Ferralium auch bezüglich der Zusammensetzung in Richtung auf die in den Ansprüchen 1 und 4 angegebenen Legierungen zu modifizieren, um die betriebsrelevanten Parameter zu optimieren.
Die Beschwerdeführerin hat ferner den Standpunkt vertreten, der auch in der Druckschrift (D12) untersuchte Werkstoff Ferralium weise eine Dauerwechselfestigkeit auf, die mit der Dauerwechselfestigkeit des gemäß Streitpatent verwendeten Werkstoffs vergleichbar sei. Dieser Umstand werde dadurch verschleiert, daß die Beschwerdegegnerin unübliche Versuchsbedingungen, d. h. nicht gängige Meßnormen, zur Bestimmung der Dauerwechselfestigkeit unter statischer Vorlast gewählt habe. Die Beschwerdegegnerin trage im Einspruchsverfahren für die mangelnde Vergleichbarkeit solcher nach verschiedenen Meßverfahren gewonnenen Werte und ihre Beziehung zum Stande der Technik die Beweislast.
VIII. Die Beschwerdegegnerin sah die Druckschriften (D9) und (D12) als gleichwertig in ihrer Eignung als nächstkommender Stand der Technik an. Sie wies darauf hin, daß Ferralium als ein bewährter Werkstoff mit hoher Beständigkeit gegen abtragende Korrosion und Lochfraß unter statischen Einsatzbedingungen bekannt gewesen sei. Eine gleichfalls bekannte zu niedrige Streckgrenze und eine Neigung zu Ermüdungsbrüchen hätten jedoch eine unmittelbare Verwendung dieser bekannten Legierung als Werkstoff für Turbinenschaufeln ausgeschlossen. Es sei das Verdienst des Streitpatents, durch geschickte Kombination von ausgewählten Legierungszusammensetzungen mit einem angepaßten Herstellungsverfahren Legierungen dieser Klasse für eine Verwendung als Werkstoff für Turbinenschaufeln zu konditionieren.
IX. Die Beschwerdeführerin hielt ihren Antrag aufrecht, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent vollständig zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der am 5. September 1992, mit Schreiben vom 31. August 1992 eingegangenen Patentansprüche 1 bis 6 aufrechtzuerhalten, wobei in Anspruch 4 der Molybdängehalt in 1 bis 4 Gew.-% statt bisher 6 Gew.-% geändert wird, sowie der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Beschreibung.
Diese Änderung wurde im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ vorgenommen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Artikel 123 EPÜ
Anspruch 1 beruht auf den ursprünglichen Ansprüchen 1, 2, 6, 7, 10 und 11. Anspruch 4 geht auf die ursprünglichen Ansprüche 1 bis 4, 10 und 11 sowie die ursprüngliche Beschreibung Seite 9, Legierungszusammensetzung 1) zurück. Die Ansprüche 2 und 3 sind auf Seite 10 der ursprünglichen Beschreibung, Legierungszusammensetzungen 6) und 7), die Ansprüche 5 und 6 auf Seite 9, Legierungszusammensetzungen 2) und 3), offenbart.
Ein Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ liegt somit nicht vor.
Die erteilten Ansprüche 1 bis 6 waren schon auf einen Turbinenschaufelwerkstoff mit hoher Festigkeit gegen Korrosionsermüdung gerichtet. Die geltenden Ansprüche gleicher Numerierung sind dagegen auf eine Verwendung dieser Legierungen, die, nachdem sie einer im erteilten Anspruch 7 angegebenen Herstellungsverfahren jedoch ohne selbst geändert unterworfen worden sind, eine in den erteilten Ansprüchen 1 und 4 angegebene Eigenschaftskombination aufweisen, zur Herstellung einer Turbinenschaufel hoher Festigkeit gegen Korrosionsermüdung. Das nunmehr mit dem Verwendungsverfahren unmittelbar hergestellte Erzeugnis fiel auch schon unter den Schutzumfang des ursprünglich erteilten Patentbegehrens. Somit bewegen sich die Gegenstände der geltenden Patentansprüche im Rahmen des Schutzumfanges in der ursprünglich erteilten Fassung.
Der Wechsel der Patentkategorie ist somit im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ nicht zu beanstanden (siehe die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 002/88, OJ 1990, S. 93).
3. Neuheit
Keine der im Einspruchs- und Beschwerdeverfahren zitierten Druckschriften offenbart die Verwendung eines Werkstoffs, der bei seiner Herstellung nach der Warmverformung bei zwischen 1000°C und 1250°C von dieser Temperatur direkt, d. h. z. B. auch ohne weitere Lösungsglühung, in Wasser abgeschreckt wird.
Schon durch dieses Merkmal ist die Neuheit des Gegenstandes der Ansprüche 1 und 4 gegeben.
4. Nächstkommender Stand der Technik
Die Kammer sieht, gleich den beiden Parteien, die Druckschrift (D12) als den nächstkommenden Stand der Technik an.
Diese Druckschrift, die erst in dem dem Prioritätsjahr des Streitpatents vorausgehenden Jahr 1980 veröffentlicht wurde, geht davon aus (siehe Kapitel Einleitung), daß bis dahin im Dampfturbinenbau der Einsatz von Chromstählen mit etwa 13 % Chrom als Schaufelwerkstoff üblich war. Bei diesen Stählen waren jedoch häufig, bei Lochkorrosionsstellen beginnend, Schaufelbrüche infolge von Schwingungsrißkorrosion aufgetreten. Deshalb suchte man nach Werkstoffen, die weitgehend unempfindlich gegen die an Turbinenschaufeln aus 13%igen Chromstählen beobachtete Art von Schwingungsrißkorrosion waren.
Zielgruppe für die in der Druckschrift (D12) (siehe Kapitel Versuchswerkstoffe) berichteten Untersuchungen waren drei Gruppen von Normstählen mit höherem Chromgehalt, die sich im chemischen Apparatebau wegen ihrer Beständigkeit gegen abtragende Korrosion und Lochkorrosion unter agressiven Bedingungen bewährt hatten. Eine dieser drei Gruppen bestand aus drei Stählen mit einem austenitisch/ferritischem Mischgefüge (Tabelle 1, lfd. Nr. 7 bis 9), das auch die gemäß Streitpatent verwendeten Stähle auszeichnet. Von der Zusammensetzung her kommt aus dieser Gruppe der Werkstoff X5CrNiMoNb 25 5 (lfd. Nr. 8), der auch unter dem Handelsnamen Ferralium allgemein bekannt ist, dem Gegenstand der Ansprüche 1 und 4 am nächsten. Die Kammer geht dabei davon aus, daß bei Stählen dieser Art ein Siliziumgehalt in der Größenordnung von 0,3 % zu den herstellungsbedingten unvermeidlichen Verunreinigungen gehört und deshalb auch bei den gemäß Streitpatent verwendeten Stählen vorhanden ist.
Vor den Untersuchungen wurden die Proben dieses Stahls Ferralium nach Angaben des Herstellers wärmebehandelt: bei 1120°C lösungsgeglüht, in Wasser abgeschreckt und danach vier Stunden bei 510°C ausgehärtet und in Luft abgekühlt.
Nach dieser Behandlung besaß der Stahl eine Streckgrenze von 693 MPa und eine Bruchdehnung von 31 % (siehe Tabelle 1). Die Kerbschlagzähigkeit wurde hier nicht bestimmt. Diese Werte für die Streckgrenze und die Bruchdehnung sind in guter Übereinstimmung mit den Angaben in der Druckschrift (D9), Tabelle 5, lfd. Nr. 8. Hier ist auch der Wert der Kerbschlagzähigkeit mit rd. 190 J/cm2 angegeben. Die Kammer geht somit davon aus, daß die Kerbschlagzähigkeit bei der in Druckschrift (D12) untersuchten Probe in der gleichen Größenordnung lag.
Die Schwingungsrißkorrosionsbeständigkeit (Dauerwechselfestigkeit) ohne statische Vorlast wurde gemäß Druckschrift (D12) nicht selbst bestimmt, sie betrug nach Zitat der Herstellerangaben 320 MPa bei Raumtemperatur, wobei als Elektrolyt eine 3%ige, offensichtlich neutrale NaCl-Lösung verwendet wurde (siehe Seite 445, rechte Spalte, erster Absatz).
Auch die Dauerwechselfestigkeit mit statischer Vorlast wurde gemäß Druckschrift (D12) nicht unmittelbar bestimmt. Die Ergebnisse von "Constant Straining" Versuchen ergaben jedoch eine hohe Anfälligkeit gegen Spannungsrißkorrosion, was auf eine Korngrenzenversprödung durch Ausscheidung von Cr- und Mo-reichen Mischkarbiden während der Aushärtungsglühung zurückgeführt wurde. Daraus wurde geschlossen, daß auch die Dauerwechselfestigkeit unter statischer Vorlast die bei Turbinenschaufeln gestellten Anforderungen nicht erfüllt. Die Druckschrift (D12) zieht daraus den Schluß, daß damit die Eignung von Ferralium als Werkstoff für Turbinenschaufeln infrage gestellt ist.
Die Kammer geht somit, im Gegensatz zur Beschwerdegegnerin, davon aus, daß nicht nachgewiesen ist, daß der in der Druckschrift (D12) angeführte Werkstoff Ferralium eine Dauerwechselfestigkeit, gemessen unter den in den Ansprüchen 1 und 4 angegebenen Bedingungen, besessen hatte, die vergleichbar der des gemäß Streitpatent verwandten Werkstoffs war. Die Beschwerdeführerin hat nicht nachgewiesen, daß zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents eine von der Fachwelt allgemein anerkannte oder gar normierte Meßvorschrift zur Bestimmung der Dauerwechselfestigkeit von Turbinenwerkstoffen bestand, von der die Beschwerdegegnerin bei der Festlegung ihrer Meßbedingungen willkürlich abgewichen ist. Vielmehr spricht die Umstand, daß auch die in der Druckschrift (D12) angegebenen Meßbedingungen (40°C, 3%-ige neutrale NaCl-Lösung) wesentlich von den in den Tagungsunterlagen (D9) (80°C, 22%-ige neutrale NaCl-Lösung) abweichen, dafür, daß sich die Fachwelt noch nicht auf eine solche Meßvorschrift geeinigt hatte. Die Meßbedingungen gemäß Streitpatent (80°C, 23%ige NaCl-Lösung, pH 5) sind jedoch denen gemäß (D9) berichteten so ähnlich, daß davon auszugehen ist, daß auch die Meßvorschrift gemäß Streitpatent nicht willkürlich festgelegt wurde, sondern daß sie die vorgesehenen Einsatzbedingungen als Dampfturbinenschaufel bestmöglich simulieren sollte. Auch die gemäß (D9) gewonnenen Zahlenwerte von 245 215 MPa bei nur 4 x 107 Lastwechseln für die Dauerwechselfestigkeit von Ferralium geben keinen Anlaß zu der Vermutung, daß Ferralium über den diesbezüglichen Mindestwerten des Streitpatents gelegen hätte.
Die Kammer sieht deshalb keine Veranlassung, von der gängigen Spruchpraxis (vgl. T 219/83, ABl. EPA 1886, 211; T 290/88 vom 4. Dezember 1990, unveröffentlicht) abzuweichen, wonach nach der Patenterteilung bei kontroversen Ansichten der Parteien und wenn der Sachverhalt nicht von Amts wegen aufgeklärt werden kann, dieser Nachteil zu Lasten der Einsprechenden geht. Da in dieser Hinsicht keine widersprüchliche Rechtsprechung vorliegt, besteht somit auch kein Grund, der Anregung der Beschwerdeführerin zu folgen und die Große Beschwerdekammer mit dieser Frage zu befassen. 5. Unterschied zum Stand der Technik
Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen unterscheidet sich die Zusammensetzung der gemäß Anspruch 1 verwandten Legierung von der Zusammensetzung des aus der Druckschrift (D12) (Tabelle 1) bekannten Werkstoffs X5CrNiMoCu 25 5 durch einen höheren Mangangehalt von 4 bis 8 Gew.-% sowie durch einen niedrigeren Kohlenstoffgehalt von 0,005 bis 0,06 Gew.-%. Die Zusammensetzung der gemäß Anspruch 4 verwandten Legierung unterscheidet sich von der Zusammensetzung dieser bekannten Legierung dadurch, daß sie kein Kupfer und kein Mangan, sowie einen niedrigeren Kohlenstoffgehalt enthält und daß sie außerdem 0,5 bis 4 Gew.-% Titan und/oder Aluminium aufweist.
Ferner unterscheiden sich die Gegenstände beider Verwendungsansprüche von diesem Stande der Technik dadurch, daß der Werkstoff nach dem Warmverformen direkt in Wasser abgeschreckt und danach spanabhebend bis zur endgültigen Form bearbeitet wird und daß er nach Durchlaufen des vollständigen Herstellungsverfahrens eine Streckgrenze von mindestens 800 MPa und eine Dauerwechselfestigkeit, bezogen auf Zug/Druck unter einer belüfteten 4 N NaCl-Lösung mit pH = 5 bei 80°C. von mindestens 350 MPa ohne statische Vorlast und von mindestens 250 MPa unter einer statischen Vorlast von + 250 MPa bezogen auf 108 Lastwechsel aufweist und sich durch die angegebene Eigenschaftskombination zur Herstellung von Turbinenschaufeln hoher Festigkeit gegen Korrosionsermüdung eignen.
6. Aufgabe und Lösung
Wie bereits in (D12), Seite 445, rechte Spalte, erster Absatz, und Kapitel "Schlußfolgerung", ausgeführt ist, eignet sich der dem Gegenstand des Streitpatents am nächsten kommende Werkstoff mit der Normbezeichnung X5CrNiMoCu 25 5 (Ferralium) deshalb nicht zur Herstellung von Turbinenschaufeln, weil er in dem vom Hersteller empfohlenen ausgehärteten Zustand wegen seiner Anfälligkeit gegen Spannungsrißkorrosion auch eine niedrige Dauerwechselfestigkeit unter statischer Vorlast hat. Deshalb werden von den korrosionsbeständigen Stählen mit hohen Chromgehalten die Werkstoffe X2CrNiMoN22 5 3, X8CrNiMo 27 5 und X1CrNiMoNb 28 4 2 empfohlen. Diese den gemäß Streitpatent verwandten Werkstoffen zusammensetzungsmäßig ferner liegenden Werkstoffe werden üblicherweise nicht ausgehärtet, sondern werden im abgeschreckten Zustand eingesetzt (Seite 440, linke Spalte, vorletzter Absatz). Dadurch besitzen sie zwar eine niedrigere Streckgrenze sind aber offensichtlich weniger gegen Spannungsrißkorrosion sensibilisiert.
Gegenüber der Druckschrift (D12) besteht somit die zu lösende technische Aufgabe darin, einen Werkstoff auf der Basis eines rostfreien, hochchromhaltigen Stahls bereitzustellen, der eine hohe mechanische Grundfestigkeit und Kerbschlagzähigkeit mit einer hohen Dauerwechselfestigkeit (mit und ohne statische Vorlast) vereinigt. Dabei wird die als ausreichend angesehene "Höhe" der jeweiligen Werkstoffeigenschaften durch numerische Angabe von Untergrenzen genau definiert, die sich aus in der Praxis von Dampfturbinenschaufeln geforderten Eigenschaften ergeben.
Die vom Streitpatent vorgeschlagene Lösung dieser Aufgabe (siehe vorstehenden Punkt 5) besteht in der Kombination einer legierungstechnischen Auswahl und Abwandlung einer bekannten Legierung mit einem geänderten Herstellungsverfahren. Diese Kombination ermöglicht es, entgegen den Erwartungen der Fachwelt, einen ferritisch- austenitischen Werkstoff zu schaffen, der eine durch Ausscheidungshärtung erzielte hohe Festigkeit und dennoch eine Dauerwechselfestigkeit besitzt, zwei Eigenschaften also, die gemäß der Druckschrift (D12) für unvereinbar gehalten wurden.
7. Erfinderische Tätigkeit
Die Tagungsunterlagen (D9) enthalten u. a. 17 Blätter, die sich ausweislich einer Überschrift auf einen Vortrag mit dem Titel "Corrosion fatigue of steels for turbine blades - selection of ferritic-austenitic stainless steels" beziehen, der unbestritten am 22. Juni 1979 gehalten worden ist. Diese 17 Blätter bestehen aus Tabellen, graphischen Darstellungen und Schliffbildern, enthalten aber keinen erklärenden Begleittext und sind deshalb zu einem großen Teil nicht aussagekräftig. Gemäß Tabelle 4 befanden sich unter den untersuchten Werkstoffen mit den Stählen X8CrNiMo 275, X2CrNiMoN 225 und X5CrNiMoCu 255 (Ferralium) drei Werkstoffe, die auch Gegenstand der in (D12) beschriebenen Untersuchungen waren. Von allen untersuchten Proben kommt auch hier die Probe 8 (Ferralium) zusammensetzungsmäßig dem gemäß Anspruch 1 des Streitpatents verwandten Werkstoff am nächsten, ja sogar näher als die gemäß Druckschrift (D12) untersuchte Ferralium-Probe, da auch ihr Kohlenstoffgehalt in dem vom Streitpatent geforderten Bereich liegt.
Die Unterlagen (D9) enthalten keine Angaben über den Behandlungszustand, in dem die Ferralium-Proben den Versuchen unterworfen wurden. Da die in Tabelle 5 dieser Unterlagen angegebenen Werte für die Streckgrenze und die Bruchdehnung mit den in der Druckschrift (D12) angegebenen übereinstimmen, ist aber anzunehmen, daß auch sie der vom Hersteller empfohlenen Behandlung unterworfen wurden, nämlich bei 1120°C lösungsgeglüht, abgeschreckt und bei 510°C ausgehärtet wurden (siehe auch (D8), Seite 4, treatment "H").
Eine Tabelle der im Rahmen von (D9) eingereichten Unterlagen stellt offensichtlich die Ergebnisse von Tests der Dauerwechselfestigkeit unter statischer Vorlast dar, die unter anderem in 22%iger, neutraler (pH 7) NaCL-Lösung bei 80°C und mit 4 x 107 Lastwechseln durchgeführt wurden. Danach betrug die Dauerwechselfestigkeit der Ferralium- Probe nur 215 MPa unter einer statischen Vorlast von 245 MPa. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Tatsache, daß die Bedingungen des Streitpatents eine leicht saure Lösung mit fast gleicher Konzentration und über die doppelte Anzahl Lastwechsel (108) vorsehen, geht die Kammer davon aus, daß die Dauerwechselfestigkeit der gemäß (D9) gemessenen Ferralium-Probe weit unter den vom Streitpatent geforderten Mindestwerten lag.
Die gemäß (D9) und (D12) untersuchten ferritisch- austenitischen Werkstoffe galten als die besten Vertreter ihrer Klasse und waren speziell auf hohe Werte für Festigkeit, Zähigkeit, abtragende Korrosion und Spannungsrißkorrosion hin entwickelt und optimiert worden (siehe z. B. die Informationsbroschüre "Ferralium" (D8) und US-A-3 567 434 (D8a)). Aufgrund der in den Jahren 1979 und 1980, also kurz vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents, aus (D12) und (D9) bekannt gewordenen Untersuchungsergebnisse mußte der Fachmann somit davon ausgehen, daß ferritisch-austenitische Stähle dann nicht zur Verwendung als Werkstoffe für Turbinenschaufeln geeignet waren, wenn an diese so hohe Mindestanforderungen wie in den Ansprüchen des Streitpatents gestellt wurden. Insbesondere mußte er durch die abschließende Erkenntnis der Druckschrift (D12) entmutigt werden, wonach höhere statische Festigkeitswerte offensichtlich nur durch eine erhöhte Anfälligkeit gegen Spannungsrißkorrosion erkauft werden können.
Die Druckschrift (D1) offenbart einen ferritisch- austenitischen Stahl, dessen Zusammensetzungsbereiche sich sowohl mit den in Anspruch 1 angegebenen als auch mit denen des Werkstoffs "Ferralium" (siehe (D8a)) überschneiden. Von den in Tabelle 1 von (D1) aufgeführten spezifischen Testzusammensetzungen kommt die der Probe 7 der in Anspruch 1 des Streitpatents angegebenen am nächsten. Der Siliziumgehalt dieser bekannten Legierung liegt jedoch mit 1,09 % über dem Bereich dessen, was als unvermeidliche Verunreinigung anzusehen ist. Die aus (D1) bekannten Stähle enthalten Mangan als Pflichtkomponente. Somit ist auch keine der in Tabelle 1 der Druckschrift (D1) aufgeführten Testzusammensetzungen manganfrei, und sie liegen deshalb den in Anspruch 4 angegebenen Zusammensetzungen noch ferner als denen nach Anspruch 1. Die Testlegierungen waren bei 1100°C lösungsgeglüht und danach in Wasser abgeschreckt, aber offensichtlich nicht zur Auscheidungshärtung angelassen, worden. Die Streckgrenze liegt bei keiner der Testproben über 690 MPa und erreicht somit auch nicht annähernd den gemäß Streitpatent zwingend geforderten Mindestwert von 800 MPa. Es wurden nur Beständigkeit gegen abtragende Korrosion und gegen Lochfraß bestimmt nicht jedoch die Dauerwechselfestigkeit.
Es ist deshalb müßig darüber zu diskutieren, ob die von der Druckschrift (D1) empfohlene Verwendung dieser bekannten Werkstoffe für rotierende Bauteile von Zentrifugen oder Gebläsen allgemein die Verwendung zur Herstellung von Turbinenschaufeln einschließt oder nahelegt. Die Angaben der Druckschrift (D1) legen auf jeden Fall nicht die Verwendung zur Herstellung von solchen Turbinenschaufeln nahe, die die in den Ansprüchen 1 und 4 Streitpatent angegebenen Mindestvoraussetzungen erfüllen. Vielmehr deutet die Tatsache, daß die Testproben nicht härtungsgeglüht wurden, darauf hin, daß auch hier auf höhere Festigkeitswerte verzichtet wurde, um nicht die Neigung zur Spannungsrißkorrosion zu erhöhen.
Der Fachmann hätte also in der Druckschrift (D1) keine Anregungen zur Lösung seiner Aufgabe entnehmen können. Insbesondere ist dieser Druckschrift auch nicht die Maßnahme zu entnehmen, ein Werkstück direkt nach dem Warmverformen mit einer Querschnittsabnahme von mindestens 50 % in Wasser abzuschrecken.
Eine solche Anregung ist auch den übrigen Druckschriften nicht zu entnehmen, die den Gegenständen der Ansprüche 1 und 4 ferner stehen als die Druckschriften (D12), (D8), (D9) und (D1), auf die die Beschwerdeführerin ihre Ausführungen während der mündlichen Verhandlung ausschließlich stützte.
8. Da sich die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1 und 4, und damit auch der davon abhängigen Ansprüche 2, 3, 5 und 6, wie dargelegt wurde, nicht in naheliegender Weise aus dem Stande der Technik ergibt, beruht er somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
9. Die Patentansprüche und die daran angepaßten übrigen Unterlagen genügen somit den im EPÜ gesetzten Erfordernissen. ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Weisung, das Patent auf der Grundlage der am 5. September 1992 eingegangenen Patentansprüche 1 bis 6 aufrechtzuerhalten, wobei in Anspruch 4 der Molybdängehalt in 1 bis 4 Gew.-% statt bisher 6 Gew.-% geändert wird, sowie auf der Grundlage der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Beschreibung.