T 0885/92 17-07-1998
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Einrichtung zum Verseilen oder Aufseilen von Verseilelementen
I. Die Beschwerdeführerin hat gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der Anmeldung Nr. 87 100 997.3 (Veröffentlichungsnummer 0 237 730) Beschwerde eingelegt.
Nach Ansicht der Prüfungsabteilung beruhte der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf den im Recherchenbericht genannten Stand der Technik, insbesondere gemäß den Druckschriften DE-C-0 923 561 (D1) und US-A-1 518 253 (D4), nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
II. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, die Zurückweisungsentscheidung der Prüfungsabteilung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Anspruchsatzes zu erteilen. Auch beantragte sie eine mündliche Verhandlung.
III. In einer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vertrat die Kammer die Auffassung, daß der geltende Anspruch 1 nicht alle Merkmale enthalte, die gemäß den Ausführungen der Beschwerdeführerin zur Lösung der gestellten Aufgabe und zur Begründung einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik als wesentlich anzusehen seien.
IV. Darauf hin reichte die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 21. Mai 1996 neue Unterlagen ein und beantragte ein Patent auf der Grundlage dieser Unterlagen zu erteilen. Für den Fall, daß der Beschwerde stattgegeben werde, stellte sie ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.
V. Der Termin zur mündlichen Verhandlung wurde aufgehoben.
VI. Der geltende Anspruch 1 lautet wie folgt:
"1. Einrichtung zum Verseilen oder Aufseilen von Verseilelementen (6), bestehend aus einem antreibbaren Verseilkörper (1) und Vorratsaufnahmen (2) für die Verseilelemente (6), wobei der Verseilkörper (1) und die Vorratsaufnahmen (2) zu einer Einheit (9) zusammengefaßt und in doppelter Ausführung (10) vorhanden sowie gegeneinander austauschbar sind, und die eine Einheit mit gerade gefüllten Vorratsaufnahmen (2) den aktiven Teil (9) und die andere mit den zu füllenden Vorratsaufnahmen (2) den passiven Teil (10) bildet, und der Verseilkörper (1) konzentrisch zu den Vorratsaufnahmen (2) in Form eines antreibbaren Rohres oder Bügels angeordnet und von diesen räumlich getrennt ist und die Vorratsaufnahmen (2) mit ihren Achsen in der Rohr- oder Bügelachse auf einer zentrisch zum Rohr oder Bügel angeordneten antreibbaren Hohlwelle (5) drehbar gelagert sind, wobei die den passiven Teil bildende Einheit (10) aus der Betriebsstellung (aktive Einheit) heraus zu einer Ladestation (12) mit einem Vorrat an Verseilelementen (6) schwenkbar ist."
VII. Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Die vorliegende Erfindung befasse sich mit einer Einrichtung zum Verseilen oder Aufseilen von Verseilelementen, bestehend aus einem Verseilkörper in Form eines antreibbaren Rohres oder Bügels, und Vorratsaufnahmen für die Verseilelemente, die auf einer antreibbaren Hohlwelle drehbar gelagert sind.
Der Erfindung liege die Aufgabe zugrunde, eine Verseilvorrichtung bereitzustellen, bei der eine Verkürzung der Rüstzeiten und eine höhere Fertigungsgeschwindigkeit im Vergleich mit bekannten Vorrichtungen dieser Bauart angestrebt wird. Diese Aufgabe werde durch die Merkmale des Anspruchs 1 erreicht, insbesondere dadurch, daß der Verseilkörper und die Vorratsaufnahmen zu einer Einheit zusammengefaßt und in doppelter Ausführung vorhanden sowie gegeneinander austauschbar sind, und daß die Einheit mit leeren Vorratsaufnahmen zu einer Ladestation schwenkbar ist.
Hierzu könne dem Stand der Technik keine Anregung entnommen werden.
Zwar seien bei der Korbverseilmaschine gemäß der Druckschrift D1 mindestens zwei Körbe vorgesehen, die revolverartig in eine Arbeits- und in eine Ladeposition geschwenkt werden können, aber in der Ladeposition würden die leeren Spulen gegen volle ausgetauscht. Auch bei der Vorrichtung gemäß der Druckschrift D4, bei der die Vorratsaufnahmen auf einer zentrischen Welle gelagert sind, würden die Spulen zum Beladen von der Welle herunter gezogen bzw. auf diese wieder aufgeschoben.
Diese Druckschriften können den Fachmann somit nicht dazu anregen, eine Verseilvorrichtung bereitzustellen, bei der die Vorratsaufnahmen stets in der Vorrichtung verbleiben und in der Ladeposition mittels einer Ladestation neu bewickelt werden.
1. Änderungen
Die Merkmale des Anspruchs 1 sind in den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1, 4, 5, 6, 14 und 15 sowie auf Seite 2, letzter Absatz, der ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbart.
Die geltenden abhängigen Ansprüche 2 bis 7 basieren auf den ursprünglich eingereichten abhängigen Ansprüchen 7, 9, 12, 13, 16 und 20.
Die ursprünglich eingereichten Figuren 3 und 4 sind gestrichen worden, weil die in diesen Figuren dargestellten Anordnungen nicht mehr unter den geltenden Anspruch 1 fallen.
Die ursprünglich eingereichte Beschreibung ist an den geänderten Anspruch 1 angepaßt worden, und eine Würdigung des einschlägigen Standes der Technik ist in die Beschreibung eingefügt worden.
Die vorgenommenen Änderungen der ursprünglich eingereichten Unterlagen sind daher im Hinblick auf Artikel 123 (2) EPÜ nicht zu beanstanden.
2. Neuheit
2.1. Interpretation des Anspruchs 1
Im Lichte der Beschreibung ist der Anspruch 1 so zu interpretieren, daß er eine Einrichtung zum Verseilen oder Aufseilen von Verseilelementen unter Schutz stellt, bei der die Vorratsaufnahmen beim Ladevorgang in der Einrichtung verbleiben (vgl. Seite 5, letzter Absatz, der ursprünglich eingereichten Beschreibung).
2.2. Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 ist anzuerkennen, weil keine der im Recherchenbericht genannten Druckschriften eine Vorrichtung mit allen Merkmalen des Anspruchs 1 offenbart und wurde in der angefochtenen Entscheidung auch nicht bestritten.
2.3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik neu im Sinne des Artikels 54 (1) EPÜ.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1. Zur Lösung der gestellten Aufgabe, d. h. eine Verseilvorrichtung bereit zu stellen, wobei eine Verkürzung der Rüstzeiten und eine Erhöhung der Fertigungsgeschwindigkeiten im Vergleich mit bekannten Vorrichtungen erreicht wird, schlägt die Erfindung folgende Maßnahmen vor:
a) eine spezielle Bauart von Verseilkörper und Vorratsaufnahmen, bei der der Verseilkörper konzentrisch zu den Vorratsaufnahmen in Form eines antreibbaren Rohres oder Bügels angeordnet und von diesen räumlich getrennt ist, und die Vorratsaufnahmen mit ihren Achsen in der Rohr- oder Bügelachse auf einer zentrisch zum Rohr oder Bügel angeordneten antreibbaren Hohlwelle drehbar gelagert sind;
b) der Verseilkörper und die Vorratsaufnahmen sind zu einer Einheit zusammengefaßt und in doppelter Ausführung vorhanden, welche Einheit revolverartig in eine Arbeits- und eine Ladeposition geschwenkt werden kann;
c) die den passiven Teil bildende Einheit ist aus der Betriebsstellung heraus zu einer Ladestation schwenkbar, wobei die Vorratsaufnahmen während der Beladung mit neuen Verseilelementen in der Maschine verbleiben.
3.2. Verseilvorrichtungen der oben unter a) genannten Bauart sind z. B. aus den Druckschriften D4, D3 und D7 bekannt. Die Schwierigkeit bei Verseilmaschinen dieser Bauart, bei der die Vorratsaufnahmen auf einer zentrischen Welle angeordnet sind, besteht darin, daß die leeren Vorratsaufnahmen nicht ohne erheblichen Aufwand durch volle ersetzt oder befüllt werden können. Hierzu sind im zitierten Stand der Technik Lösungen vorgeschlagen worden, die alle aufwendig sind.
3.3. Das Problem des Spulenwechsels ist auch in der Druckschrift D4 schon angesprochen, jedoch wird eine andere Lösung vorgeschlagen. Zwar werden auch hier die leeren Spulen auf der Maschine selbst bewickelt (Seite 5, Zeilen 61 bis 84), jedoch muß man trotzdem die leergewordenen Spulen aus der Maschine herausnehmen und wieder einsetzen.
3.4. Die Druckschrift US-A-2 353 432 (D3) offenbart (siehe Figur 1 und Seite 1, rechte Spalte, Zeile 19 bis Seite 2, linke Spalte, Zeile 17) eine Einrichtung zum Verseilen von Verseilelementen, bei der die einzelnen Spulen Führungsscheiben (28) aufweisen und auf einer zentrisch angeordneten Hohlwelle (13) gelagert sind. Diese Vorrichtung weist keinen Verseilkörper in Form eines antreibbaren Rohres oder Bügels auf, und eine Ladestation im Sinne von Anspruch 1 ist nicht offenbart. Die leeren Spulen werden von der Hohlwelle heruntergezogen und die vollen Spulen auf diese Welle wieder aufgeschoben (siehe Seite 2, Zeilen 47 bis 60), was im übrigen erfordert, daß die Welle nur einseitig gelagert werden kann.
3.5. Die Druckschrift US-A-2 659 192 (D7) offenbart eine Verseilvorrichtung (siehe die Figur 1), bei der eine aktive und eine passive Einheit auf der gleichen Welle montiert sind, und bei der die Ladestation bewegbar ist (Spalte 5, Zeilen 48 bis 58).
Auch die Druckschrift D7 gibt den Fachmann keine Anregung dazu, die den passiven Teil bildende Einheit aus der Betriebsstellung (aktive Einheit) heraus zu einer Ladestation zu verschwenken. In der Vorrichtung gemäß der Druckschrift D7 verbleiben die Spulen zwar während der Beladung in der Maschine, aber die beide Einheiten sind in einer Linie auf eine doppelte Hohlwelle angeordnet. Die bevorzugte Ausführungsform ist die, bei der ein einziger Verseilkörper zwei Positionen annehmen kann, eine für beide Gruppen von Spulen. Für den Fall, daß der Verseilkörper in doppelter Ausführung vorhanden ist, sind weitere Maßnahmen notwendig um die beiden Verseilkörper unabhängig von einander anzutreiben zu können.
3.6. Die Maßnahme, den Verseilkörper und die Vorratsaufnahmen in doppelter Ausführung schwenkbar zu lagern ist aus der Druckschrift D1 bekannt. Die Druckschrift D1 bezieht sich jedoch auf eine andere Bauart, nämlich eine Korbverseilmaschine, wobei mindestens zwei Körbe vorhanden sind, die revolverartig in eine Arbeits- und eine Ladeposition geschwenkt werden können (siehe Seite 1, Zeilen 7 bis 12, und die Figuren 1 und 2). Während die eine Einheit aktiv in den Fertigungsablauf eingeschaltet ist, wird die andere Einheit in der Ladeposition mit vollen Vorratsaufnahmen bestückt. Bei dieser Vorrichtung werden in der Ladeposition die leeren Vorratsaufnahmen gegen volle ausgetauscht (Seite 1, Zeilen 25 und 26). Eine Ladestation im Sinne der Anmeldung ist nicht vorgesehen.
3.7. Der Fachmann könnte somit der Druckschrift D3 allenfalls das in Punkt 3.1 oben erwähnte Merkmal b) entnehmen, jedoch ist dieser Druckschrift keinerlei Hinweis entnehmbar, wie dieses Merkmal bei einer Verseileinrichtung der oben unter a) genannten Bauart zu verwirklichen wäre. Denn die bloße Übernahme des "Revolverprinzips" würde noch zu keiner brauchbaren Vorrichtung führen, da bei dieser Bauart die leeren Vorratsaufnahmen nicht ohne weiteres durch volle ausgetauscht werden können. Vielmehr mußte noch der Gedanke hinzukommen, eine Ladestation vorzusehen, die es erlaubt, die in die Ladeposition gebrachten leeren Vorratsaufnahmen in situ neu zu befüllen.
3.8. Aus diesen Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
4. Daher kann entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin ein Patent erteilt werden.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:
Ansprüche: 1 bis 7, eingereicht mit Schreiben vom 21. Mai 1996,
Beschreibung: Seiten 1 bis 9, eingereicht mit Schreiben vom 21. Mai 1996,
Zeichnungen: Figuren 1 bis 5, eingereicht mit Schreiben vom 21. Mai 1996.