T 0853/93 19-12-1995
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Verfahren und Anlage zur Zerkleinerung von sprödem Mahlgut
I: FCB
II: KHD AG
III: F.L. Smidth & Co. A/S
I. Mit der Zwischenentscheidung im Sinne von Artikel 106 (3) EPÜ vom 26. Juli 1993 hat die Einspruchsabteilung das europäische Patent Nr. 0 292 724 in beschränktem Umfang aufrechterhalten.
II. Die Beschwerde der Einsprechenden III (Fa. F. L. Smidth & Co. A/S) - nachfolgend Beschwerdeführerin - richtet sich gegen vorgenannte Entscheidung der Einspruchsabteilung. Die Beschwerde wurde am 27. September 1993 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr eingelegt und am 6. Dezember 1993 begründet. Die Beschwerdeführerin bestreitet das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit, wobei sie in der Beschwerdebegründung auf die Druckschriften
(D1) DE-C-1 757 093 bzw.
(D1 - OS) DE-A-1 757 093 und
(D12) Duda "Cement-Data-BooK", 2. Auflage, 1977, Seiten 105 bis 107, Kapitel 4.20
verweist.
Ihrer Auffassung nach habe der Fachmann erkannt, daß das Kleben und/oder Anbacken des Mahlgutes an den Walzen der Walzenmühle aus der Feuchte des Mahlgutes herrühre, so daß etwas gegen die Feuchte hätte unternommen werden müssen, etwa dergestalt, daß Material bewußt rückgeführt und mit feuchterem Frischgut vermengt werde, um eine Mischfeuchte zu erzielen, die unter dem für das Kleben/Anbacken desselben verantwortlichen Wert liege. Da es sich hierbei um für den Fachmann ohne weiteres erkennbare Fakten handele, bedürfe es keines besonderen druckschriftlichen Nachweises. Der Zusammenhang von Anpreßdruck der Walzen und Zerkleinerungsgrad sei dem Fachmann dabei ebenso geläufig gewesen, wie dessen Ausstrahlung auf die aufzuwendende Energie. Damit rechtfertige sich der Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
III. Die Patentinhaberin - nachfolgend Beschwerdegegnerin - widersprach diesem Vorbringen und verwies darauf, daß nur eine unzulässige ex post facto-Analyse zu dem Schluß führe, daß das beanspruchte Verfahren naheliegend sei. Im Gegensatz zum Beanspruchten offenbare der gesamte Stand der Technik, daß das zurückzuführende Grobgut zu trocknen sei z. B. durch einen Heißgasstrom; es sei aber nicht offenbart, daß durch Betreiben der Walzenmühle mit einem so weit erniedrigten Energie-Umsatzniveau der Umlauffaktor so weit erhöht werde, daß insgesamt im Walzenspalt eine maximal zulässige Mischfeuchte eingehalten werden könne.
IV. In der nach vorbereitendem Bescheid der Kammer durchgeführten mündlichen Verhandlung legte die Beschwerdegegnerin folgenden Anspruch 1 vor:
"1. Verfahren zur Zerkleinerung von sprödem, feuchtem Mahlgut im Spalt zweier mit hohem Druck gegeneinandergepreßter Walzen einer Gutbett-Walzenmühle, wobei das in der Gutbett-Walzenmühle zerkleinerte Mahlgut getrocknet, desagglomeriert und klassiert wird und das gesamte, bei der Klassierung anfallende Grobgut zur Gutbett-Walzenmühle zurückgeführt und gemeinsam mit frischem Mahlgut weiter zerkleinert wird, und wobei zur Zerkleinerung von Mahlgut hoher Feuchte, das oberhalb eines kritischen Feuchtigkeitswertes stark zum Kleben und/oder Anbacken neigt, die Gutbett-Walzenmühle mit einem so weit erniedrigten Energie-Umsatzniveau betrieben und der Umlauffaktor hierdurch so weit erhöht wird, daß sich bei vorgegebener Trocknung des zerkleinerten Mahlgutes eine Mischfeuchte im Walzenspalt einstellt, die unterhalb des kritischen Feuchtigkeitsgehaltes liegt."
V. Die in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente der Beschwerdeführerin, das Patent zu widerrufen, bewegten sich weitgehend im Rahmen des schriftsätzlichen Vortrags, nämlich, daß dem Verfahren des Anspruchs 1 keine erfinderische Tätigkeit zugrundeliege. Im einzelnen vewies sie auf das Bekanntsein des Zusammenhangs von Walzendruck und Tendenz zum Kleben/Anbacken und darauf daß der Fachmann aus verschiedenen Gründen den Walzendruck variieren würde, um z. B. dem Verstopfen bzw. der Beschädigung der Walzenmühle entgegenzuwirken. Schon rein zufällig könnten sich also Verhältnisse wie beansprucht einstellen.
VI. Die Beschwerdegegnerin brachte zur Stützung ihres Antrags, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen, nämlich
- Ansprüche 1 bis 6
- angepaßte Beschreibung
- Figuren 1 bis 3 wie erteilt
bestehen zu lassen folgende Argumente vor:
Es treffe grundsätzlich zu, daß der Druck an einer Walzenmühle einstellbar sei; diese Einstellung bleibe aber im Mahlbetrieb erhalten, so daß von einer betrieblichen Variation des Walzendrucks keine Rede sein könne. Im Gegensatz zum Stand der Technik werde beim Verfahren gemäß Anspruch 1 ohne Zusatztrocknung in Form einer Heißgasanwendung gefahren. Die Variation des Energie-Umsatzniveaus habe somit nichts mit einer Überlast der Walzenmühle, sondern mit der gezielten Beeinflussung des Umlauffaktors zu tun. Die Variation des Walzendrucks sei im Gegensatz zu den Ausführungen der Beschwerdeführerin dazu da, die Mischfeuchte des rückgeführten Grobgutes und des beigemischten Frischgutes zu begrenzen und zwar an der Stelle des Walzenspaltes.
Da eine solche Lehre aus dem gesamten Stand der Technik nicht entnehmbar und durch Fachwissen nicht nahegelegt sei, rechtfertige sich die Aufrechterhaltung des Streitpatents im beantragten Umfange.
1. Von den drei Einsprechenden hat nur die Einsprechende III (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt. Diese Beschwerde ist zulässig.
2. Neuheit
Die Frage der Neuheit war schon im Verfahren vor der Einspruchsabteilung nicht strittig, vgl. angefochtene Entscheidung Seite 6, Absatz 3a, so daß sich weitere ins Detail gehende Erörterungen dieser Frage erübrigen, zumal auch in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ausschließlich die Frage der erfinderischen Tätigkeit diskutiert wurde und auch die Kammer angesichts des vorliegenden Stands der Technik die Neuheit für gegeben hält.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1. Von den Druckschriften bzw. Beweismitteln, die im Zusammenhang mit der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit genannt wurden, nämlich
(D1) DE-C-1 757 093
(D2) DE-A-2 631 204
(D3) EP-A-0 084 383
(D4) DE-A-3 518 543
(D5) US-Z "World Cement", März 1985, Seiten 49 - 58
(D6) Vortrag von Helmut Wüstner "Fundamentals and Application of Interparticle Communition", gehalten im Oktober 1986, Bombay, Indien
(D7) Vertrag vom 19/12/1986 zwischen der Firma KHD und der China National Technical Import Corporation
(D8) EP-A-0 220 681
ist das Beweismittel (D7) schon deshalb von allen weiteren Betrachtungen auszuschließen, weil es nicht zweifelsfrei als öffentliche Druckschrift anzusehen ist. Aus dem Umstand, daß die Staatliche Chinesische Einfuhrgesellschaft Vertragspartner war, läßt sich nicht ohne weiteres ableiten, daß der Vertrag damit für alle Interessierten einsehbar war. (D12) ist nach Überzeugung der Kammer irrelevant, so daß sie in Ausübung des Ermessensspielraums gemäß Artikel 114 (2) EPÜ nicht berücksichtigt wird. Von (D1) bis (D6) und (D8) steht (D5) dem beanspruchen Verfahren gemäß Anspruch 1 nach Aufgabe und Lösung am nächsten.
3.2. Aus (D5) ist ein Verfahren zur Zerkleinerung von sprödem, feuchtem Mahlgut bekannt, bei dem das Mahlgut in einer Gutbett-Walzenmühle zerkleinert, desagglomeriert und durch Heißgas getrocknet wird. Das bei der Klassierung anfallende Grobgut wird zur Gutbett-Walzenmühle zurückgeführt und gemeinsam mit frischem Mahlgut (weiter) zerkleinert. Erkennbar wird bei (D5) durch das Heißgastrocknen des Mahlgutes der Tendenz des Mahlgutes, an den Walzen der Walzenmühle anzubacken bzw. zu kleben, entgegengewirkt.
3.3. Ohne Kenntnis der Erfindung stellt sich dem Fachmann mithin die objektive Aufgabe, nach Lösungen Ausschau zu halten, wie bei einem Verfahren zur Zerkleinerung von sprödem, feuchtem Mahlgut das Problem des Anbackens/Klebens verfahrensmäßig lösbar ist.
3.4. Gemäß Anspruch 1 ist die vorgenannte Aufgabe - im Gegensatz zur Lehre der (D5) - dadurch gelöst, daß dem Sinne nach auf das Heißgastrocknen verzichtet wird und an dessen Stelle der Umlauffaktor gezielt erhöht bzw. das Energie-Umsatzniveau gezielt erniedrigt wird, so daß sich bei vorgegebener Trocknung des zerkleinerten Mahlgutes eine Mischfeuchte aus rezirkuliertem Grobgut und beigemischtem Frischgut ergibt, die im Walzenspalt unterhalb des für das Anbacken/Kleben von feuchtem Mahlgut kritischen Feuchtigkeitsgehalts liegt.
3.5. Die vorgenannte Aufgabenlösung verläßt erkennbar vorgezeichnete Wege, indem sie auf eine Trocknung im Heißgasstrom verzichtet und an deren Stelle dafür Sorge trägt, daß durch eine gezielte Mischung von Grobgut und beigegebenem Frischgut sich eine für das Anbacken/Kleben unkritische Mischfeuchte im Walzenspalt einstellt. Die Ausdrücke "Energie-Umsatzniveau" bzw. "Umlauffaktor" geben dabei die Parameter wieder, die das Verfahren gemäß Anspruch 1 kennzeichnen, nämlich Reduktion des Walzenanpreßdruckes und dadurch Erhöhung des Grobgutanteils im Strom des durch die Gutbett-Walzenmühle zerkleinerten Mahlgutes. Mit anderen Worten könnte der bestimmende Gedanke des Anspruchs 1 auch so ausgedrückt werden, daß die Walzenmühle mit so geringer Energie betrieben wird, daß so viel Gut erneut in die Walzenmühle rezirkuliert (und mit Frischgut vermischt) wird, daß die kritische Feuchte im Walzenspalt unterschritten wird. Insofern sind die Worte "im Walzenspalt" und "Mischfeuchte" am Ende des Anspruchs 1 von entscheidender Bedeutung, da der Walzenspalt das Synonym für das Anbacken/Kleben der Mahlgutteilchen und die Mischfeuchte das Synonym für das Rezirkulieren des Grobanteils und das Beimischen von Frischgut ist.
3.6. Die Auswertung des hier interessierenden Stands der Technik ergibt, daß die Lösung der objektiv verbleibenden Aufgabe, vgl. vorstehenden Abschnitt 3.3, die so zu formulieren ist, daß sie keine Lösungsansätze enthält vgl. Entscheidung T 229/85, ABl. EPA 1987, 237, ohne unmittelbar verwertbare Vorbilder ist:
3.6.1. Die von der Beschwerdeführerin als besonders relevant angesehene (D1) lehrt wie die nächstkommende (D5) ein Trocknen des Grobgutes mittels Heißgas, vgl. (D5) insbes. Seite 57, linke Spalte, Zeilen 1/2 bzw. (D1) insbes. Figur 4, Bezugszeichen "27" und "32" in Verbindung mit Spalte 5, Zeilen 37 bis 43 und Spalte 7, Zeile 17 bis Spalte 8, Zeile 8. Auch die (D1 - OS) gibt insofern nichts anderes her, was auch für (D2) gilt, vgl. Figur 1, Bezugszeichen "10" und Seite 7, Absatz 3 sowie Seite 8, Absatz 1, wonach Abluft zum Trocknen des Mahlgutes eingesetzt wird; es gilt aber auch für (D6), insbes. Seite 6, Absatz 2.2 ("hot gases"), Seite 7, Abschnitt 2.3 und Seite 10, letzter Absatz in Verbindung mit Figur 11, Bezugszeichen "6" für Heißgaserzeuger und für (D8), insbes. Figur 1, Bezugszeichen "15" in Verbindung mit Seite 3, Zeile 29 und Zeilen 35 bis 38.
3.6.2. Die gemäß Streitpatent zu lösende Problematik klingt auch in (D3) nicht an, obwohl dort eine Gutbettzerkleinerung offenbart ist, wobei nach dem Sichten des Mahlgutes dessen Grobanteil rückführbar ist. Irrelevant ist auch (D4), die gemäß Seite 6, Absatz 2 lehrt, daß die Durchsatzleistung der Walzenmühle immer voll ausgenützt werden soll, was in direktem Widerspruch zur Lehre des Anspruchs 1 steht, nämlich die Durchsatzleistung der Walzenmühle nur so weit auszunützen, daß die kritische Feuchte im Walzenspalt unterschritten wird.
3.6.3. Der Stand der Technik kann in Übereinstimmung mit Seite 2, Absatz 2 der geltenden Beschreibung in der Tat auf den Nenner gebracht werden, daß das desagglomerierte Mahlgut "durch Heißgas getrocknet (wird)". Wie vorstehend aufgezeigt wurde, ist das aber nicht die beanspruchte Lösung des Feuchtigkeitsproblems in einer Walzenmühle, da Anspruch 1 dieses Problem nicht durch Heißgas löst, vgl. vorstehende Abschnitte 3.4 und 3.5.
3.7. Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zugestanden, daß der Stand der Technik über Energie-Umsatzniveaus nichts hergibt, sie hat aber vorgetragen, daß der Fachmann den Walzendruck im Betrieb der Walzenmühle gegebenenfalls verändere, so daß sich schon rein zufällig eine Feuchte im Walzenspalt einstellen könnte, die auf der Lehre des Anspruchs 1 beruhe.
Die Kammer ist hingegen in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung gelangt, daß im Stand der Technik der Walzendruck einmal eingestellt und ansonsten konstant gehalten wird, so daß sich keine wenn auch nur zufällige Vorwegnahme der Lehre des Anspruchs 1 ergeben kann. Ganz klar spricht auch die Heißgastrocknung, wie sie im Stand der Technik praktiziert wird, gegen das bereits zufällige Einstellen des richtigen Feuchtigkeitswerts im Walzenspalt. Derlei Überlegungen sind offensichtlich das Ergebnis von ex post facto-Betrachtungen. Im übrigen ist seitens der Beschwerdeführerin der Zusammenhang von Walzendruck und Neigung des Mahlguts zum Anbacken/Kleben an den Walzen als fachmännisches Wissen nur vorgetragen, nicht aber belegt worden, so daß auch der Verweis auf den Pizzateig nicht überzeugen konnte.
3.8. Da darüber hinaus im Stand der Technik Grobgut zwar rezirkuliert wird, aber nirgendwo klar und eindeutig aufgezeigt worden ist, daß besondere Mengen an Grobgut und Frischgut durch Variation des Umlauffaktors mit Blick auf die sich im Walzenspalt einstellende Mischfeuchte zu beachten sind, können die gegenteiligen Ausführungen der Beschwerdeführerin ebenfalls nicht überzeugen, da sie in Kenntnis der Erfindung erfolgten.
Im übrigen spricht es gerade für die erfinderische Qualität des Verfahrens gemäß Anspruch 1, wenn der Stand der Technik vorrichtungsmäßig in der Lage gewesen wäre, das beanspruchte Verfahren auszuführen. Entscheidend ist aber, ob der Stand der Technik auf die Verfahrenslehre des Anspruchs 1 hinzulenken vermochte oder nicht, vgl. T 2/83, ABl. EPA 1984, 265.
Der bloße Hinweis der Beschwerdeführerin auf dem Fachmann vertraute, druckschriftlich aber nicht belegbare Zusammenhänge z. B. von Anpreßdruck und Klebetendenz, von Anpreßdruck und Zerkleinerungsgrad bzw. aufzuwendender Energie, sowie die Ausstrahlung all dieser Zusammenhänge auf die Mischfeuchte des im Walzenspalt befindlichen Mahlgutes, gehören damit wiederum in die Kategorie des Urteilens in Kenntnis der Erfindung.
3.9. Vorstehende Ausführungen zusammenfassend ergibt sich, daß die Lehre des Anspruchs 1 auf erfinderischem Tätigwerden im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht. Der vorliegende Anspruch 1 ist somit rechtsbeständig und kann die Aufrechterhaltung des Streitpatents in beschränktem Umfange begründen.
Die geltenden abhängigen Ansprüche sind ebenfalls rechtsbeständig, da sie bevorzugte Ausgestaltungen des Verfahrens nach Anspruch 1 betreffen.
4. Die sonstigen Unterlagen gemäß mündlicher Verhandlung vor der Kammer genügen den wesentlichen Erfordernissen des EPÜ, so daß insgesamt rechtsbeständige Unterlagen vorliegen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen aufrechtzuerhalten.