T 0998/95 07-09-1999
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Verfahren zum umweltschonenden Farbspritzlackieren mit einer Dispersion von ofentrocknendem Lack in Wasser
Akzo Nobel N.V.
Weilburger Lackfabrik J. Grebe GmbH
BASF Coatings AG
Herberts GmbH & Co. KG
Mankiewicz Gebr. & Co. (GmbH & Co.)
I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent mit der Veröffentlichungsnummer 0. 460 122 in vollem Umfang zu widerrufen, wurde von der Patentinhaberin Beschwerde eingelegt.
II. Der angefochtenen Entscheidung lagen die erteilten Ansprüche 1 bis 7 zugrunde. Der unabhängige Anspruch 1 lautete wie folgt:
"Verfahren zum Farbspritzlackieren mit einer aus einem in Wasser dispergierten Lack bestehenden Spritzzusammensetzung in einem Farbspritzstand, der mit einer Kabine mit wasserberieselter Rückwand zum Auffangen und Auswaschen von Lacküberschuss (Overspray) in Kabinenabwasser versehen ist, wobei das gesamte Kabinenabwasser durch Ultrafiltration in einer Utrafiltrationseinrichtung in Permeat und lackhaltigen Rückstand aufgeteilt wird und dabei der lackhaltige Rückstand in der Ultrafiltrationseinrichtung durch Wasserentzug aus dem Kabinenabwasser an Lack anreichert wird, bis sein Lackgehalt im wesentlichen gleich demjenigen von frisch dem Farbspritzstand zugeführter Dispersion ist, der so an Lack angereicherte Rückstand der frisch zugeführten Dispersion beigegeben wird, um zum Farbspritzlackieren wiederverwendet zu werden, und das Permeat dem Farbspritzstand rückgeführt wird, dadurch gekennzeichnet, dass
a) in der Spritzzusammensetzung ein ofentrocknender Lack eingesetzt wird,
b) der dem Farbspritzstand zugeführten Dispersion eine Komponente zur Verhinderung der Koaleszenz des Lacks beigegeben wird,
c) der dem Farbspritzstand zugeführten Dispersion eine Komponente zur Inhibition der Trocknung beigegeben wird,
d) dem Kabinenabwasser ein Glykolderivat als Komponente zur Einstellung des Durchsatzes bei der Ultrafiltration beigegeben wird, und
e) die Leitfähigkeit des dem Farbspritzstand rückgeführten Wassers überwacht und unterhalb eines vorbestimmten Grenzwerts gehalten wird."
Gegenstand der Ansprüche 2 bis 7 waren bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens gemäß Anspruch 1.
III. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderen folgende Entgegenhaltungen angeführt:
S09: US-Prioritätsbeleg Ser. Nr. 258 162 zu JP-A-49-51324
S10: DE-C-2 158 668
S21: Hoechst Merkblatt Resydrol VWA 5190, 1987.
In der angefochtenen Entscheidung wurde festgestellt, daß das Verfahren gemäß Streitpatent sich im wesentlichen vom nächstliegenden Stand der Technik S09 durch die Zugabe von Trocknungsinhibitoren zur Farbdispersion und durch die Glykolderivatzugabe in das Kabinenabwasser unterscheide. Die Einspruchsabteilung war der Ansicht, daß es für den Lackierungsfachmann eine übliche Vorgehensweise darstelle, ofentrocknenden Lacken einen Trocknungsinhibitor zuzusetzen. Auch wurde es als naheliegend befunden, dem Kabinenabwasser ein Glykolderivat beizugeben, nachdem die Wirkung von Glykolderivaten in ofentrocknenden Lacken an sich bekannt war. Einen etwaigen Synergie-Effekt der Kombination der im Anspruch 1 vorgesehenen Merkmale hielt die Einspruchsabteilung für nicht glaubwürdig genug vorgetragen, so daß die erfinderische Tätigkeit nicht damit begründet werden konnte.
IV. In der mündlichen Verhandlung, die am 7. September 1999 stattgefunden hat, hat die Patentinhaberin zwei neue Sätze geänderter Ansprüche als Grundlage für einen ersten und einen zweiten Hilfsantrag eingereicht.
V. Der geänderte Anspruch 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag entspricht Anspruch 1 des Streitpatents mit dem wesentlichen Unterschied, daß die Wirkung der Komponentenzugabe jetzt durch Aufnahme eines funktionellen Merkmals zwischen den vorhandenen Merkmalen a) und b) definiert ist. Zur Stützung der Änderung wurde als Fundstelle der Brückenabsatz auf den Seiten 6 und 7 der ursprünglichen Beschreibung angegeben.
Somit lautet der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag wie folgt:
"a) in der Spritzzusammensetzung ein ofentrocknender Lack eingesetzt wird,
und zur Aufrechterhaltung eines den Dauerbetrieb gewährleistenden Permeatdurchsatzes bei der Ultrafiltration
b) der dem Farbspritzstand zugeführten Dispersion eine Komponente zur Verhinderung der Koaleszenz des Lacks beigegeben wird,
c) der dem Farbspritzstand zugeführten Dispersion eine Komponente zur Inhibition der Trocknung beigegeben wird,
d) dem Kabinenabwasser ein Glykolderivat beigegeben wird, und dass
e) die Leitfähigkeit des dem Farbspritzstand rückgeführten Wassers überwacht und unterhalb eines vorbestimmten Grenzwerts gehalten wird."
VI. Der geänderte Anspruch 1 gemäß dem zweiten Hilfsantrag ist eine Kombination des Anspruchs 1 gemäß dem ersten Hilfsantrag mit den erteilten Ansprüchen 2 bis 4.
VII. Für die Begründung der erfinderischen Tätigkeit stützte sich die Beschwerdeführerin in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung auf folgende Argumente:
i) Die Erfindung beruhe im wesentlichen darauf, daß im Kabinenabwasser die drei Zusatzkomponenten Koaleszenzmittel, Trocknungsinhibitor und Glykolderivat mit dem Bindemittel synergistisch zusammenwirken, um eine Ultrafiltration des Kabinenabwassers zu bewirken.
ii) Es sei zwar bekannt, die oben genannten Komponenten zu verwenden, um lacktechnische Eigenschaften von Wasserlacken zu steuern. Es sei jedoch nicht naheliegend, diese Substanzen auf membrantechnische Eigenschaften abzustimmen.
iii) Die optimale Wahl der Stoffe und deren Gewichtsanteile brauche hierzu nicht explizit angegeben zu werden. Sie sei immer noch vertrauliches wertvolles Know-How, obschon sie im Rahmen der in der Beschreibung hinreichend offenbarten Erfindung gemäß Anspruch 1 liege. Außerdem könne der Fachman durch Routineversuche die optimale Zusammensetzung genau ermitteln, wenn er wisse, daß das Gemisch auf die membrantechnischen Eigenschaften abzustimmen sei.
iv) Gewisse Anionen seien als Membrangifte bekannt. Daher müssen die in der Formulierung der Lacke verwendeten Pigmente und Füllstoffe absolut salzfrei sein, was sich mit Hilfe der Leitfähigkeit des rückgeführten Wassers überwachen lasse. Es sei jedoch nicht naheliegend, die Funktion der Ultrafiltrationsmembran über die Leitfähigkeit des Permeats zu überwachen.
v) Der Permeatdurchfluß nehme mit der Zeit ab; diesem zeitabhängigen Absinken des Permeatdurchflusses werde mit periodischem Rückspülen der Membran abgeholfen.
vi) Die Offenbarung S09 sei eine Schreibtischkonstruktion, bar jeder technisch funktionierenden Lehre. Der Entgegenhaltung sei weder ein Hinweis auf die Rückreinigung der Membran zu entnehmen, noch rege sie dazu an, den auf der Membran gefällten Lack durch Glykolderivate wieder aufzulösen.
vii) Gemäß Entscheidungen T 1077/92 und T 540/92 seien Indizien für eine erfinderische Tätigkeit darin zu sehen, daß für ein bekanntes wichtiges Problem wie die Rezyklierung von Overspray vor dem erfindungsgemäßen Verfahren niemals eine praktikable Lösung gefunden worden sei.
Darüber hinaus wurden Versuchsergebnisse und deren Auswertung eingereicht, um den Synergie-Effekt der verschiedenen Komponenten und die Wirkung der Rückspülung mit Permeat zu untermauern.
VIII. Die Erwiderungen der Beschwerdegegner lassen sich wie folgt zusammenfassen:
i) Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, daß S09 keine funktionierende Lehre offenbare.
ii) Die Einstellung einer niedrigen Leitfähigkeit des rückgeführten Wassers ergebe sich aus S09 durch Verwendung von entionisiertem Wasser. Im übrigen gehöre diese Maßnahme zum allgemeinen Fachwissen.
iii) Das beanspruchte Verfahren unterscheide sich vom Verfahren gemäß S09 im wesentlichen nur durch den Zusatz eines Trocknungsinhibitors. Diese Maßnahme gegen oxydative Veränderungen als solche sei bereits durch S21 nahegelegt.
iv) Es werde behauptet, daß gemäß Streitpatent die drei Zusatzkomponenten synergistisch wirken und dadurch einen Dauerbetrieb der Ultrafiltration ermöglichen. Die vorgelegten Versuche hätten jedoch keinen Synergismus aufgezeigt. Es sei nicht nachgewiesen, daß der Zusatz eines Trocknungsinhibitors über die zu erwartende Trocknungs- und Oxidationsinhibition hinaus andere Eigenschaften der Zusammensetzung in überraschender Weise beeinflußt. Außerdem fehle der Vergleich zum nächstliegenden Stand der Technik.
v) Die vorgelegten Ergebnisse beträfen nur eine einzige nicht spezifizierte Kombination der drei Zusatzstoffe. Anspruch 1 sei so breit abgefaßt, daß das Schutzbegehren weit über das hinausgehe, wofür ein vermeintlicher synergistischer Effekt mit den Versuchen hätte glaubhaft gemacht werden können, selbst wenn die Versuche nacharbeitbar wären, was nicht der Fall sei.
vi) Zum periodischen Rückspülen der Filtrationsmembran mit Permeat zum Zweck eines Dauerbetriebs fehle die entsprechende Offenbarung in der Streitpatentschrift. Diese Maßnahme sei auch nicht Gegenstand der geltenden Ansprüche.
IX. Am Ende der mündlichen Verhandlung waren die Anträge wie folgt:
- Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents
1) wie erteilt (Hauptantrag),
2) gemäß ihrem ersten Hilfsantrag, wie überreicht während der mündlichen Verhandlung,
3) gemäß ihrem zweiten Hilfsantrag, wie überreicht während der mündlichen Verhandlung.
- Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.
Hauptantrag
1. Neuheit
Es ist unstrittig, daß das Verfahren gemäß Anspruch 1 neu ist.
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1. Gegenstand der Erfindung ist ein umweltschonendes Verfahren zum Farbspritzlackieren mit einer wasserlackhaltigen Dispersion in einem Farbspritzstand, der mit einer Kabine mit wasserberieselter Rückwand zum Auffangen und Auswaschen von Lacküberschuss (Overspray) in Kabinenabwasser versehen ist. Hier wird das gesamte Kabinenabwasser durch Ultrafiltration in einer Utrafiltrationseinrichtung in Permeat und lackhaltigen Rückstand aufgeteilt, der lackhaltige Rückstand in der Ultrafiltrationseinrichtung durch Wasserentzug aus dem Kabinenabwasser an Lack anreichert, bis sein Lackgehalt im wesentlichen gleich demjenigen von frisch dem Farbspritzstand zugeführter Dispersion ist, der so an Lack angereicherte Rückstand der frisch zugeführten Dispersion beigegeben, um zum Farbspritzlackieren wiederverwendet zu werden, und das Permeat dem Farbspritzstand rückgeführt.
2.2. Das Verfahren, das dem Gegenstand des Streitpatents am nächsten kommt, ist in S09 beschrieben. Diese Entgegenhaltung betrifft ebenfalls ein Verfahren zum Farbspritzlackieren mit einer aus einem in Wasser dispergierten Lack bestehenden Spritzzusammensetzung. Der Spritzstand ist mit einer Kabine mit wasserberieselter Rückwand zum Auffangen und Auswaschen von Lacküberschuß in Kabinenabwasser versehen (Seite 1, Absatz 1 und letzter Absatz; Seite 10, Absatz 3). Das Kabinenabwasser wird einer Ultrafiltration unterworfen, das Permeat als Waschwasser und der lackhaltige Rückstand zum Lackieren wiederverwendet (Seite 2, erster und letzter Absatz; Brückenabsatz Seiten 10 und 11). Das Beispiel ab Seite 12 zeigt, daß es sich bei der Spritzzusammensetzung um einen ofentrocknenden Wasserlack handelt ("thermosetting water-based enamel"), der als Additive unter anderen Dimethylethanolamin und Ethylcellosolve enthält. Es ist unbestritten, daß Ethylcellosolve ein Handelsname für Ethylglykol (Ethylenglykolethylether) ist.
2.3. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, Aufgabe des Streitpatents sei, ein Verfahren bereitzustellen, "mit welchem die erforderliche Stabilität des Kabinenabwassers und des an Lack angereicherten Rückstands erreicht wird und im Dauerbetrieb aufrechterhalten bleibt" (siehe Streitpatent, Seite 3, Zeilen 6 bis 10). Diese Aufgabe kann jedoch bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nur in Betracht gezogen werden, wenn glaubhaft ist, daß sie mit im wesentlichen allen vom geltenden Anspruch 1 umfaßten Ausführungsarten gelöst wird. Dies wurde von den Beschwerdegegnerinnen bestritten.
2.3.1. Mit der Eingabe vom 21. August 1997 hat die Beschwerdeführerin experimentelle Daten nachgereicht, um das Ultrafiltrationsverhalten von im Labor nachgebildeten Kabinenabwasserproben in Abhängigkeit von der Zeit aufzuzeigen (siehe Graphiken 1 bis 7). Bei allen Proben sind Stoffe beigegeben, welche der im Anspruch 1 gegebenen Definition der jeweiligen Komponente entsprechen (Seite 2 der Eingabe, Punkt B). Wie die Beschwerdeführerin selbst ausgeführt hat, sinkt jedoch der Permeat-Durchfluß mit der Zeit auch im Falle der alle drei Zusatzkomponenten enthaltenden Kombinationsprobe merklich (siehe Seite 7, Punkt B.2.a und Graphik 1). Somit belegen diese Versuchsergebnisse nicht, daß das beanspruchte Verfahren im Dauerbetrieb durchgeführt werden kann.
2.3.2. Dem Absinken des Permeatdurchflusses kann zwar durch periodisches Rückspülen der Ultrafiltrationsmembran mit dem Permeat abgeholfen werden (siehe die obige Eingabe der Beschwerdeführerin, Seite 7, B.2.a); dies kann die Kammer bei der Ermittlung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe jedoch nicht berücksichtigen, da die Rückspülung kein Merkmal des Verfahrens nach Anspruch 1 ist.
2.3.3. Es ist aufgrund der genannten experimentellen Daten nicht einmal glaubhaft, daß gegenüber dem Verfahren nach S09 eine Verlängerung der Betriebsdauer erreicht wird.
Die Beschwerdeführerin hat versucht, mit den nachgereichten experimentellen Daten das Langzeitverhalten bei der Ultrafiltration aufzuzeigen. Es wurde jedoch gleichzeitig eingeräumt, daß für die Experimente eine optimale Wahl der Stoffe und deren Gewichtsanteilen erst getroffen werden müsse. Eine solche Auswahl ist jedoch im Anspruch 1 keineswegs spezifiziert. Für die Auslegung des Anspruchs 1 hat die Beschwerdeführerin im Gegenteil vorgetragen, daß alle gemäß Stand der Technik dafür üblichen Lackzusätze aus den Gruppen der Amine und Oxime im Prinzip geeignet seien, die Funktion eines Koaleszenzverhinderers bzw. eines Trocknungsinhibitors im Sinne der Merkmale b) bzw. c) des Anspruchs zu erfüllen. Auch wurde erklärt, daß die in vielen Lackzusammensetzungen eingesetzten Additive auf Basis von Glykolderivaten zur Einstellung des Filtrationsdurchsatzes im Sinne des Merkmals d) geeignet seien (siehe Eingabe vom 21. August 1997, Seite 2: "Die optimale Wahl der Stoffe und deren Gewichtsanteile wird hier nicht explizit gegeben, ..., obschon sie durchaus im Rahmen der in der Beschreibung hinreichend offenbarten Erfindung gemäß Anspruch 1 liegt.").
Die Kammer hat sich überzeugt, daß die angegebene Interpretation des Anspruchs 1 auch im Einklang mit der Beschreibung steht. So wird auf Seite 3, Zeilen 53 bis 54. darauf hingewiesen, daß die Komponente zur Verhinderung der Koaleszenz des Lacks auf bekannte Weise aus der Gruppe der Amine ausgewählt wird. Auch wurden lediglich Ketoxime und Butoxime als Beispiele solcher Komponenten zur Inhibition der Trocknung des Lackes, sowie Butylglykol, Butyldiglykol und Propylenglykole als Glykolderivate genannt (Seite 4, Zeilen 6 bis 7 bzw. Zeilen 9 bis 10). Hieraus ergibt sich, daß explizit nicht einmal geltend gemacht worden ist, das patentgemäße Verfahren in seiner gesamten Breite eigne sich für einen Langzeitbetrieb.
Dem Argument der Beschwerdeführerin, ein Vergleich mit dem Verfahren gemäß S09 sei nicht notwendig, da dieses nur eine Schreibtischkonstruktion sei, kann die Kammer nicht folgen. Diese Behauptung ist weder durch Beweismittel noch durch überzeugende Argumente substantiiert worden. Vielmehr enthält diese Druckschrift im Gegensatz zum Streitpatent ein konkretes Ausführungsbeispiel. In diesem wird genau beschrieben, wie die Bestandteile in der Lackdispersion sich zusammensetzen und daß der Overspray einer Ultrafiltration unterworfen und der aufkonzentrierte Lackrückstand wieder verwendet wird. Es wird ferner angegeben, welche Analysendaten für das Retentat sowie das Permeat bestimmt wurden (siehe: "Example", Seiten 12 bis 13). Die Kammer hat somit keinen Grund zur Annahme, daß S09 keine in der Praxis brauchbare Lehre offenbart.
2.3.4. Die Kammer betrachtet daher das Verfahren gemäß S09 als nächsten Stand der Technik. Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe kann aufgrund der vorliegenden experimentellen Daten darin gesehen werden, ein weiteres Verfahren zum Farbspritzlackieren unter Verwendung eines ofentrocknenden Wasserlacks und Auffangen von Lacküberschuß bereitzustellen, wobei das gesamte Kabinenabwasser durch Ultrafiltration in Permeat und lackhaltigen Rückstand aufgeteilt und die Teilströme entsprechend rückgeführt werden.
2.4. Die Kammer hält es für glaubhaft, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 diese Aufgabe löst. Dies wurde von den Beschwerdegegnerinnen auch nicht bestritten.
2.5. Es ist unstrittig, daß das Verfahren gemäß S09 dem Oberbegriff und den Merkmalen a) und b) des vorliegenden Anspruchs 1 entspricht.
2.5.1. In S09 wird nicht explizit darauf hingewiesen, daß Glykol dem Kabinenabwasser beigegeben wird oder werden soll. Die Beschwerdeführerin hat jedoch eingeräumt, daß das Glykolderivat in der bekannten Lackzusammensetzung zusammen mit dem Overspray ins Kabinenabwasser gelangt. Es wurde zwar vorgetragen, daß unter Umständen zusätzliches Glykol dem Kabinenabwasser beigegeben werden müsse; dies sei aber nicht zwingend, denn die vorhandene Glykolmenge im Overspray könne in manchen Fällen für die Ultrafiltration ausreichen. Die Kammer stellt fest, daß der Wortlaut des Anspruchs 1 diese beiden Möglichkeiten umfaßt, da er die Art und Weise der Beigabe des Glykolderivats zum Kabinenabwasser offen läßt. Darüber hinaus ist einerseits in Anspruch 1 kein bestimmter Durchsatz definiert, andererseits selbstverständlich, daß sich auch in S09 ein Durchsatz bei der Ulttrafiltration eingestellt haben muß (siehe Punkt 2.3.4).
Die Kammer ist daher überzeugt, daß auch Merkmal d) des Anspruchs 1 im Verfahren des Standes der Technik verwirklicht wird.
2.5.2. Somit besteht die Lösung der gegenüber S09 bestehenden Aufgabe gemäß Anspruch 1 darin, einen Trocknungsinhibitor zu verwenden (Merkmal c)) und die Leitfähigkeit des Kabinenabwassers zu überwachen und unterhalb eines Grenzwerts zu halten (Merkmal e)).
2.6. Es stellt sich nun die Frage, ob diese Lösung durch den einschlägigen Stand der Technik nahegelegt wird.
2.6.1. Zu Merkmal c)
Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestritten, daß Trocknungsinhibitoren routinenmäßig in ofentrocknenden Lacken eingesetzt werden. Die Lehre ist auch aus zahlreichen Beispielen im Stand der Technik zu entnehmen. So wird in S21, einem Merkblatt für ein Alkydharz zur Herstellung von hitzehärtenden Spritzlacken, angegeben, daß zum Schutz gegen oxydative Veränderungen der Dimethylethanolamin und Dipropylenglykolmonoethylether enthaltenden Harzlösung der Zusatz von Ketoxim ratsam ist (siehe Seite 1, "Einsatzgebiete", "Lieferform" und Seite 2, "Lackherstellung"). Darüber hinaus ist allgemeines Fachwissen, und von der Beschwerdeführerin nicht bestritten, daß die Lacktrocknung auf solche oxydative Veränderungen zurückzuführen ist. Somit ist die Beigabe einer Komponente zur Inhibition der Trocknung zur dem Farbspritzstand zugeführten Dispersion an sich naheliegend.
2.6.2. Zur Synergie der Zusatzkomponenten
Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, daß im Kabinenabwasser die drei Komponenten gemäß den Merkmalen b) bis d) und das Bindemittel der verwendeten Spritzzusammensetzung synergistisch zusammenwirken, was eine störungsfreie Ultrafiltration mit Rückgewinnung der Lackzusammensetzung im System über einen längeren Zeitraum erst ermögliche (siehe auch Eingabe vom 18. März 1996, Seite 7). Nachdem der Fachmann von diesem Effekt nichts gewußt habe, sei es nicht naheliegend gewesen, die zur Steuerung der lacktechnischen Eigenschaften bekannten Additive auf membrantechnische Eigenschaften abzustimmen. Es ist daher zu untersuchen, ob die Kombination der Komponente c) mit den Komponenten a), b) und d) auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Hierbei berücksichtigt die Kammer, daß das Vorliegen des geltend gemachten Synergismus von den Beschwerdegegnerinnen bestritten wurde.
Die Beschwerdeführerin hat keine Nachweise erbracht, daß der Zusatz eines Trocknungsinhibitors über die zu erwartende Trocknungs- und Oxidationsinhibition hinaus andere Eigenschaften der Zusammensetzung in überraschender Weise beeinflußt. Ferner hat sie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß der Synergismus nicht mit allen Komponenten in den einzelnen Gruppen und in deren beliebigen Mengenverhältnissen, sondern erst durch Anpassung der jeweiligen Komponenten an das Lacksystem auftritt (siehe Punkt 2.3.3). Eine derartige Maßnahme ist jedoch im Verfahren gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 nicht vorgesehen.
Die Kammer kann daher bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eine mögliche Synergie zwischen den Zusatzkomponenten im Hinblick auf die Ultrafiltration nicht in Betracht ziehen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß jede der Komponenten a) bis d) in der Spritzzusammensetzung lediglich die im Anspruch 1 angegebene bekannte Funktion hat.
2.6.3. Zu Merkmal e)
Gemäß Eingabe der Beschwerdeführerin sei eine erhöhte Leitfähigkeit des rückgeführten Wassers ein Anzeichen für die Membranvergiftung und damit die Unbrauchbarkeit des rückzuführenden Permeats. Daher sei es erforderlich, daß das zur Ergänzung des Wasserverlusts frisch zuzuführende Wasser nur eine geringe Leitfähigkeit aufweise. Auch seien für die Formulierung der Lacke nur absolut salzfreie Pigmente und Füllstoffe zu verwenden. Wenn die Leitfähigkeit einen Grenzwert überschreite, dann müsse die Ultrafiltrationsanlage gestoppt werden. Ein bestimmter Grenzwert könne allerdings nicht angegeben werden, da dieser vom jeweiligen Lacksystem abhänge.
Der Umstand, daß nur salzfreie Pigmente und Füllstoffe eingesetzt werden, kann nicht berücksichtigt werden, da dies kein Merkmal des beanspruchten Verfahrens ist und die ursprünglichen Unterlagen nicht einmal einen entsprechenden Hinweis enthalten.
Das Anhalten der Filtrationsanlage kann die Kammer nicht als technische Maßnahme ansehen, die Leitfähigkeit unter einem bestimmten Grenzwert zu halten. Es ist ein Zustand, der sich sowieso einstellt, wenn die Membran vergiftet und die Anlage verstopft ist. Auch wird festgestellt, daß kein konkreter Grenzwert im Anspruch 1 spezifiziert ist. Auf der anderen Seite wird im Stand der Technik gemäß S09 ausdrücklich die Verwendung von entionisiertem Wasser empfohlen, um Kontaminierungen zu vermeiden (siehe S09, Seite 11, letzter Absatz). Somit muß die Kammer davon ausgehen, daß mit dieser Maßnahme die Leitfähigkeit des Kabinenabwassers im Verfahren gemäß S09 ebenfalls unter einem bestimmten - nicht weiter spezifizierten - Grenzwert im Sinne des vorliegenden Anspruchs 1 gehalten wird.
Die Kammer sieht daher im kennzeichnenden Merkmal e) des Anpruchs 1 lediglich die Maßnahme der Überwachung der Leitfähigkeit als Beitrag zur Lösung der bestehenden Aufgabe an. Die Messung der Leitfähigkeit zur Überwachung des Permeats ist jedoch in vergleichbaren Verfahren üblich. Beispielsweise wird im Elektrotauchverfahren gemäß S10 ein Teil des Ablagerungsbads einer Ultrafiltration unterworfen und die spezifische Leitfähigkeit des Ultrafiltrats gemessen (Spalte 12, Tabelle, Zeilen 39 bis 40).
Die Kammer kann die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht teilen, daß diese Lehre aus dem technischen Bereich des Elektrotauchlackierens auf Verfahren zur Spritzlackierung nicht übertragbar sei. Bereits S09 läßt erkennen, daß in beiden Fällen der gleiche Lackierfachmann angesprochen wird (siehe S09, Seite 12, insbesondere Zeilen 7 bis 10). Darüber hinaus betrifft diese Maßnahme nicht das Lackierverfahren an sich, sondern die Ultrafiltration von wäßrigen Lackdispersionen, welche als Zusatzstoffe Amine, Oxidationsverhinderer und Glykolderivate enthalten (vgl. Merkmale b) bis d) und S10, Spalte 10, Zeilen 20, 50 und 56). Bei Problemen mit der Ultrafiltration hätte der Fachmann daher die Kenntnisse auf dem technischen Nachbargebiet der Elektrotauchlackierung in Betracht gezogen. Somit war es naheliegend, die Maßnahme der Leitfähigkeitmessung gemäß S10 auch im Verfahren gemäß S09 vorzusehen.
2.6.4. Die Kammer folgert daraus, daß sich das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents lediglich durch eine Aggregation üblicher Maßnahmen vom Stand der Technik unterscheidet. Eine Kombination dieser Maßnahmen im Sinne einer Wechselwirkung zur Lösung einer Aufgabe, für deren Lösung diese Maßnahmen in Kenntnis des Standes der Technik nicht in Betracht gezogen worden wären, kann die Kammer hierin nicht sehen. Das Verfahren gemäß Anspruch 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.7. Die von der Beschwerdeführerin zitierten Entscheidungen T 1077/92 vom 5. Dezember 1995 und T 540/92 vom 1. März 1995 sind hier nicht relevant. In diesen Entscheidungen wurde als Indiz für die erfinderische Tätigkeit die Tatsache herangezogen, daß die Erfindung erstmals ein Problem gelöst hat, um dessen Lösung sich die Fachwelt lange Zeit erfolglos bemüht hat. Im vorliegenden Fall ist dem Stand der Technik jedoch weder ein Hinweis auf Probleme bei der Ultrafiltration noch auf fehlgeschlagene Bemühungen zu deren Lösung zu entnehmen. Darüber hinaus ergibt sich aus den Darlegungen in Punkt 2.3.3 und 2.6.2 , daß das Streitpatent keine konkrete Lehre enthält, welche es dem Fachmann erlauben würde, derartige Probleme zu lösen, sondern allenfalls erkennen läßt, daß ein Problem besteht.
Hilfsanträge
3. Die Hilfsanträge erfüllen nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) bzw. 100 c) EPÜ.
In beiden Fällen enthält Anspruch 1 das hinzugefügte funktionelle Merkmal "zur Aufrechterhaltung eines den Dauerbetrieb gewährleistenden Permeatdurchsatzes bei der Ultrafiltration".
Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, daß dieses Merkmal in der ursprünglich eingereichten Beschreibung implizit offenbart sei, da diese den Hinweis enthalte, daß angestrebt wird, die noch verbleibende Umweltbelastung weiter herabzusetzen, indem die Verwendungsdauer des Kabinenabwassers zwischen Wasserwechseln, die sich wegen der Vermehrung von Mikroorganismen aufdrängen würden, durch Zugabe eines Biozids verlängert wird (siehe Seite 6, letzte Zeile bis Seite 7, Zeile 5). Diese Ansicht kann die Kammer aus zwei Gründen nicht teilen. Erstens impliziert eine Verlängerung der Zeit zwischen den Wasserwechseln nicht zwingend einen Langzeit- oder gar einen Dauerbetrieb bei der Ultrafiltration. Darüber hinaus wird als Maßnahme zum Zweck dieser Verlängerung vorgeschlagen, der Dispersion und/oder dem Kabinenabwasser eine biozide Komponente beizugeben. Es wird nirgends erwähnt, daß die Zugabe der Komponenten gemäß den Merkmalen b) bis d) diesen Zweck erfüllen solle oder könne. Keinesfalls jedoch läßt sich aus dieser Angabe die Anweisung entnehmen, Art und Menge dieser Komponenten so aufeinander abzustimmen, daß das genannte Ergebnis erzielt wird. Somit ist die Zugabe dieser drei Komponenten "zur Aufrechterhaltung eines den Dauerbetrieb gewährleistenden Permeatdurchsatzes bei der Ultrafiltration" weder explizit noch implizit ursprünglich offenbart.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.