T 0666/97 01-10-1999
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Haftmittel
(I) Lord Corporation
(II) Henkel Kommanditgesellschaft auf Aktien
Erweiterung über die ursprüngliche Offenbarung (ja - Hauptantrag)
Erweiterung des Schutzbereichs durch Streichung des unzulässigen Merkmals (nein - Hilfsantrag)
I. Die Erteilung des europäischen Patents Nr. 0 295 736 der Metallgesellschaft AG, angemeldet am 2. Juni 1988 unter Beanspruchung einer DE-Priorität vom 17. Juni 1987, wurde am 17. August 1994 mit fünf Ansprüchen bekanntgemacht, deren Anspruch 1 wie folgt lautete:
"1. Haftmittel zum Verbinden von natürlichen und synthetischen Elastomeren mit metallischen und nichtmetallischen Substraten unter Vulkanisationsbedingungen auf Basis wäßriger Dispersionen, welches einen organischen polymeren Filmbildner, eine aromatische Polynitrosoverbindung, einen Coaktivator sowie ggf. übliche haftverbessernde Zusätze, Füllstoffe und Verarbeitungshilfsmittel enthält, dadurch gekennzeichnet, daß die wäßrige Dispersion
100 Gew.-Teile eines organischen polymeren Filmbildners in Form einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen [Hervorhebung durch die Kammer],
5. bis 100 Gew.-Teile einer aromatischen Polynitrosoverbindung,
5. bis 100 Gew.-Teile des aus Diallylacrylamid oder Phenylen-bis-maleinsäureimid bestehenden Coaktivators sowie
0. bis 200 Gew.-Teile haftverbessernde Zusätze enthält."
Die Ansprüche 2 bis 5 betrafen besondere Ausführungsformen des Haftmittels gemäß Anspruch 1.
II. Gegen das Patent wurde Einspruch erhoben von den Firmen Lord Corporation (Einsprechende I) am 16. Mai 1995, und Henkel KGaA (Einsprechende II) am 17. Mai 1995, und gestützt auf die Bestimmungen des Artikels 100 a) EPÜ (beide Einsprechende) sowie auch des Artikels 100 b) und c) EPÜ (Einsprechende I) der Widerruf des Patents in seinem gesamten Umfang beantragt.
III. Mit ihrer am 8. April 1997 mündlich verkündeten und am 30. April 1997 schriftlich begründeten Entscheidung widerrief die Einspruchsabteilung das Patent mit der Begründung, daß Anspruch 1 der Bestimmung des Artikels 123 (2) EPÜ zuwiderlaufe, weil sein Gegenstand über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.
Dies folge aus der Tatsache, daß die einzige mögliche Offenbarungsbasis in den Erstunterlagen für das Merkmal, daß der organische polymere Filmbildner in Form einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen eingesetzt werde, nämlich das Herstellungsbeispiel 1, nicht die alleinige Verwendung von chlorsulfoniertem Polyethylen, sondern nur seine Verwendung in Kombination mit Vinylchlorid/Vinylidenchlorid/Acrylat-Copolymerisat beschreibe. Nach Meinung der Einspruchsabteilung könne das strittige Merkmal wegen seiner technischen Bedeutung auch nicht ohne eine Artikel 123 (3) EPÜ zuwiderlaufende Erweiterung des Schutzumfangs aus dem Anspruch 1 gestrichen werden.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) unter gleichzeitiger Zahlung der Beschwerdegebühr am 18. Juni 1997 Beschwerde eingelegt und am 29. August 1997 die Beschwerdebegründung nachgereicht.
V. In der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 1999 reichte die Beschwerdeführerin einen aus den erteilten Ansprüchen 1 bis 4 bestehenden Hauptantrag und einen sich von diesem nur bezüglich des Anspruchs 1 unterscheidenden Hilfsantrag ein; die Änderung in Anspruch 1 des Hilfsantrags betrifft die Weglassung der Wortfolge "einer wäßrigen Dispersion" in dem Merkmal des erteilten Anspruchs 1:
"... dadurch gekennzeichnet, daß die wäßrige Dispersion 100 Gew.-Teile eines organischen polymeren Filmbildners in Form einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen, ...",
das in Anspruch 1 des Hilfsantrags daher wie folgt lautet:
"... dadurch gekennzeichnet, daß die wäßrige Dispersion 100 Gew.-Teile eines organischen polymeren Filmbildners in Form von chlorsulfoniertem Polyethylen, ...".
VI. In ihrem schriftlichen Vorbringen und während der mündlichen Verhandlung argumentierte die Beschwerdeführerin im wesentlichen wie folgt:
i) Der erteilte Anspruch 1 verletze die Bestimmung des Artikels 123 (2) EPÜ deshalb nicht, weil das strittige Merkmal, d. i. der Einsatz von chlorsulfoniertem Polyethylen als alleinigem polymerem Filmbildner, in den Erstunterlagen zwar nicht explizit, wohl aber implizit offenbart sei. Dies ergebe sich einerseits aus den ursprünglichen Ansprüchen 3 und 4, welche die Verwendung von chlorsulfoniertem Polyethylen als polymerem Filmbildner, allein oder gemeinsam mit Vinylchlorid/Vinylidenchlorid/Acrylsäure-Copolymerisat, offenbaren, und anderseits aus Beispiel 1 a), das die Verwendung einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen in Kombination mit dem vorgenannten Copolymerisat lehre.
ii) Nach Meinung der Beschwerdeführerin würde aber der erteilte Anspruch 1 selbst dann Artikel 123 (2) EPÜ nicht verletzen, wenn die alleinige Verwendung von chlorsulfoniertem Polyethylen in den Erstunterlagen nicht offenbart wäre, weil dieses Merkmal im Sinne der Entscheidung G 0001/93 (ABl. EPA 1994, 541) keinen technischen Beitrag leiste, und seine Aufnahme in den Anspruch 1 lediglich eine Einschränkung des ursprünglich beanspruchten Schutzbereichs bewirke.
iii) Die Beschwerdeführerin unterstützte auch die den Parteien am 28. Mai 1999 in einem Zwischenbescheid der Kammer mitgeteilte vorläufige Meinung, wonach das strittige Merkmal wegen seines "product-by-process"- Charakters für die Produktdefinition des Anspruchs 1 keine technische Relevanz habe, weil es am fertigen Produkt (Haftmitteldispersion) nicht feststellbar sei.
iv) Entsprechend stelle die Weglassung bzw. Umformulierung des strittigen Merkmals gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags auch keine im Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ unzulässige Erweiterung dar.
VII. Die von den Beschwerdegegnerinnen (Einsprechenden) schriftlich (Beschwerdegegnerin I: Schriftsätze vom 22. Dezember 1997 und 16. September 1999; Beschwerdegegnerin II: Schriftsatz vom 16. Dezember 1997) und während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumente können wie folgt zusammengefaßt werden:
i) Beispiel 1 des Streitpatents offenbare ein Haftmittel, das aus einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen, einer Latex-Dispersion eines Vinylchlorid/Vinylidenchlorid/Acrylsäure-Copolymerisats, Dinitrosobenzol, Phenylen-bis-maleinsäureimid, Ruß und basischem Bleicarbonat bestehe. Daraus könne die alleinige Verwendung als polymerer Filmbildner einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen nicht abgeleitet werden, auch nicht in Verbindung mit dem ursprünglichen Anspruch 3. Letzterer sehe zwar vor, daß der polymere Filmbildner chlorsulfoniertes Polyethylen sei, offenbare aber keine wäßrige Dispersion dieses Polymeren.
ii) Da dem strittigen Merkmal technische Bedeutung zukomme, worauf die Beschwerdeführerin während des Prüfungsverfahrens in ihrem Schriftsatz vom 19. Februar 1993 selbst hingewiesen habe, könne es nicht ohne Verletzung von Artikel 123 (2) EPÜ im Sinne der Entscheidung G 0001/93 im Anspruch verbleiben.
iii) Ebensowenig könne das strittige Merkmal aber wegen seiner technischen Relevanz aus dem Anspruch entfernt werden, weil dies einer Artikel 123 (3) EPÜ zuwiderlaufenden Erweiterung des Schutzumfangs gleichkäme.
iv) Die Tatsache, daß das als polymerer Filmbildner verwendete chlorsulfonierte Polyethylen in Form einer wäßrigen Dispersion eingesetzt wurde, sei am fertigen Haftmittel an der Art der Umhüllung der Teilchen, die aus dieser Phase bestehen, mit Dispergiermittel erkennbar. Deshalb sei dieses Verfahrensmerkmal, entgegen der im Zwischenbescheid der Kammer geäußerten vorläufigen Meinung, auch für die Produktdefinition bedeutsam.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz zur weiteren Entscheidung auf Basis des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hauptantrags oder des gleichzeitig eingereichten Hilfsantrags.
Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Hauptantrag
2. Artikel 123 (2) EPÜ
2.1. Diese Bestimmung des EPÜ sieht vor, daß eine europäische Patentanmeldung (und ein europäisches Patent) nicht in der Weise geändert werden darf (dürfen), daß ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.
2.2. Das in Anspruch 1 des Streitpatents befindliche (strittige) Merkmal, daß die wäßrige Dispersion des Haftmittels "100 Gew.-Teile eines organischen polymeren Filmbildners in Form einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen" enthält (cf. Punkt I supra), geht aus folgenden Gründen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus:
2.2.1. In Übereinstimmung mit den Parteien ist festzustellen, daß das strittige Merkmal in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht explizit offenbart ist. Es bleibt somit zu entscheiden, ob eine implizite Offenbarung vorliegt.
2.2.2. Anspruch 1 der ursprünglichen Anmeldung bezog sich auf ein Haftmittel auf Basis wäßriger Dispersionen, die u. a. einen organischen polymeren Filmbildner enthalten. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin offenbart diese Formulierung trotz der Verwendung des Plurals "Dispersionen" nicht, daß das Haftmittel eine wäßrige Dispersion eines polymeren Filmbildners enthält; denn einerseits läßt der erwähnte Wortlaut des Anspruchs 1 eine solche Interpretation rein sprachlich nicht zu, weil der Anspruch die Art der "Dispersionen" hinsichtlich ihrer Zusammensetzung nicht spezifiziert, und anderseits legitimiert sich der erteilte Anspruch 1 im wesentlichen aus der Offenbarung des ursprünglichen Anspruchs 2, demzufolge das Haftmittel aber als "wäßrige Dispersion" (Singular!) bezeichnet wird.
2.2.3. Auch sonst kann dem ursprünglichen Anspruch 2 das strittige Merkmal nicht entnommen werden, wonach ein Haftmittel, das selbst eine wäßrige Dispersion darstellt, unter Verwendung einer wäßrigen Dispersion eines polymeren Filmbildners hergestellt wird. Vielmehr bezieht sich Anspruch 2 nur auf die Feststoffzusammensetzung der (fertigen) Haftmittel-Dispersion, ohne Angaben über dessen Herstellung ("Haftmittel..., dadurch gekennzeichnet, daß es eine wäßrige Dispersion einer Feststoffzusammensetzung ist aus 100 Gew.-Teilen organischer polymerer Filmbildner... etc.").
2.2.4. Da sich der ursprüngliche Anspruch 3, wonach "der organische Filmbildner chlorsulfoniertes Polyethylen ist", auf die Ansprüche 1 und 2 rückbezog und weder dort noch in den übrigen Anmeldungsunterlagen ein genereller Hinweis auf den möglichen Einsatz des polymeren Filmbildners in Form einer wäßrigen Dispersion enthalten ist (Beispiel 1 stellt nur eine spezielle Offenbarung dar: cf. folgender Punkt 2.2.5), kann auch Anspruch 3 nicht als Basis für die Offenbarung der Verwendung von chlorsulfoniertem Polyethylen in Form einer wäßrigen Dispersion dienen.
2.2.5. Dasselbe gilt auch dür die einzige Erwähnung einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen in der ursprünglichen Anmeldung in Beispiel 1 a) (Seite 15, letzter Absatz), da dort (nur) die Verwendung einer Mischung einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen mit einer Latex-Dispersion eines Vinylchlorid/Vinylidenchlorid/Acrylat-Vopolymerisats beschrieben ist. Auch aus einer Kombination des Beispiels 1 mit dem vorerwähnten ursprünglichen Anspruch 3 kann eine Offenbarungsbasis für die alleinige Verwendung einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen, ohne Vinylchlorid/Vinylidenchlorid/Acrylat-Copolymerisat, nicht gewonnen werden, weil es, wie in Punkt 2.2.4 supra ausgeführt, für die Schlüssigkeit einer solchen Kombination eines generellen Hinweises in der Anmeldung auf den Einsatz polymerer Filmbildner in wäßriger Dispersion bedürfte. Ohne einen solchen generellen Hinweis kann, im Hinblick auf die strengen Vorraussetzungen für die Zulässigkeit einer Änderung (z. B. T 0383/88 vom 1. Dezember 1992; T 0284/94 ABl. EPA 1999, 464), ein aus einem spezifischen Ausführungsbeispiel vereinzeltes Merkmal nicht als unabhängig offenbart angesehen werden.
2.3. Anspruch 1 des Hauptantrags geht somit über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
2.4. Da über einen Antrag nur als Ganzes entschieden werden kann, ist der Hauptantrag somit insgesamt wegen Nichterfüllung der vom Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ erfaßten Bedingung des Artikels 123 (2) EPÜ nicht gewährbar.
Hilfsantrag
2.5. Gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags enthält die wäßrige Dispersion, aus der das Haftmittel besteht, 100 Gew.-Teile eines organischen polymeren Filmbildners "in Form von chlorsulfoniertem Polyethylen".
Diese Definition basiert auf den Offenbarungsinhalten der ursprünglichen Ansprüche 2 und 3, wonach das Haftmittel einerseits "eine wäßrige Dispersion einer Feststoffzusammensetzung ... aus 100 Gew.-Teilen organischer polymerer Filmbildner, ... (Anspruch 2) und anderseits "der organische Filmbildner chlorsulfoniertes Polyethylen ist" (Anspruch 3).
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags geht somit nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und erfüllt daher die vom Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ erfaßte Bedingung des Artikels 123 (2) EPÜ.
3. Artikel 123 (3) EPÜ
3.1. Dieser Artikel des EPÜ schreibt vor, daß die Patentansprüche des europäischen Patents nicht in der Weise geändert werden dürfen, daß der Schutzbereich erweitert wird, wobei nach Artikel 69 EPÜ der Schutzbereich eines europäischen Patents in erster Linie durch den Inhalt der Patentansprüche bestimmt wird.
Es stellt sich somit die Frage, ob die Weglassung gegenüber der erteilten Fassung des Anspruchs 1 der Worte "einer wäßrigen Dispersion" zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führt, d. h. ob die Änderung bewirkt, daß der Schutzbereich des "neuen" Anspruchs 1 Gegenstände umfaßt, die vom erteilten Anspruch 1 ausgeschlossen waren.
3.2. Anspruch 1 des Streitpatents bezieht sich auf ein Haftmittel, also ein Produkt, das "auf Basis wäßriger Dispersionen" aufgebaut ist, wobei die wäßrige Dispersion einige Bestandteile, darunter "100 Gew.-Teile eines organischen polymeren Filmbildners in Form einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen" enthält.
3.3. Aus der Tatsache, daß der Gegenstand, für den gemäß Anspruch 1 Schutz beansprucht wird, ein Produkt ist, folgt, daß er nur durch Merkmale gekennzeichnet werden kann, die sich im/am Produkt selbst manifestieren. Das heißt, daß Manipulationen, die bei der Herstellung des Produkts/Haftmittels stattfinden, aber nicht zu Produktmerkmalen führen, für die Definition des beanspruchten Haftmittels und somit den Schutzbereich des Anspruchs 1 keine Relevanz haben.
Dies ist eine zwangsläufige Konsequenz der gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern, wonach der Gegenstand eines Product-by-process-Anspruchs seine Neuheit nicht aus neuen Verfahrensschritten erlangt, sondern nur aus strukturellen Merkmalen (cf. T 0205/83 ABl. EPA 1985, 363).
3.4. Zur Beantwortung der Frage nach der Erfüllung der Forderung des Artikels 123 (3) EPÜ muß somit entschieden werden, ob das weggelassene "product-by-process"- Merkmal: in Form "einer wäßrigen Dispersion" technische Bedeutung für die Definition des beanspruchten Haftmittels hat, d. h. ob es ein Produktmerkmal ist.
3.5. Nach Meinung der Kammer handelt es sich bei dem weggelassenen "product-by-process"-Merkmal um kein Produktmerkmal, so daß Anspruch 1 des Hilfsantrags durch diese Weglassung gegenüber dem erteilten Anspruch 1 nicht im Sinne von Artikel 123 (3) EPÜ erweitert wurde.
Diese folgt daraus, daß die Herstellungsweise des Haftmittels unter Verwendung einer wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen gemäß dem erteilten Anspruch 1 in der fertigen Haftmittel-Dispersion keine für diese Verfahrensweise charakteristischen Spuren hinterläßt.
3.5.1. Für diese Schlußfolgerung ist entscheidend, daß die Herstellung des Haftmittels unter Verwendung einer vorgefertigten Dispersion des polymeren Filmbildners nicht zu nur für diese Vorgangsweise charakteristischen Produktmerkmalen führt. Denn nur in diesem Fall würde sich das strittige "product-by-process"-Merkmal zur unterscheidenden Kennzeichnung des Produkts/Haftmittels eignen, wäre also ein Produktmerkmal.
Zur Widerlegung dieser Schlußfolgerung reicht entsprechend die Feststellung der Beschwerdegegnerinnen nicht aus, daß bei Nichtverwendung einer vorgefertigten Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen nicht oder in anderer Weise mit Dispergiermittel umgebene Teilchen des polymeren Filmbildners entstehen können.
3.5.2. Die Herstellung von stabilen wäßrigen Dispersionen von hydrophobem chlorsulfoniertem Polyethylen erfolgt gemäß unbestrittenem allgemeinem Fachwissen in aller Regel durch Emulgieren einer Lösung des chlorsulfonierten Polyethylens in einem organischen Lösungsmittel in Wasser in Gegenwart von Dispergierhilfsmitteln und anschließendes Abdestillieren des organischen Lösungsmittels (cf. dritter Absatz des Memorandums der Rupert-Declaration, angefügt dem Schriftsatz der Beschwerdegegnerin I vom 16. September 1999).
Die sich dabei bildenden dispergierten Teilchen von chlorsulfoniertem Polyethylen sind von Molekülen des Dispergiermittels umgeben, die schon die Stabilisierung der Emulsions-Vorstufe bewirkten (cf. vierter Absatz des genannten Memorandums).
3.5.3. Diese Struktur, die sich theoretisch analytisch nachweisen lassen müßte (ob dies praktisch möglich ist, muß hier nicht entschieden werden), kann aber nach Meinung der Kammer nicht als Beweis für die Verwendung einer vorgefertigten wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen bei der Herstellung einer Haftmittel-Dispersion dienen, weil dieselbe Struktur auch dann entstehen muß, wenn i) zunächst eine wäßrige Haftmittel-Prä-Dispersion hergestellt wird, die alle Bestandteile außer dem chlorsulfonierten Polyethylen enthält, ii) in der Prä-Dispersion eine Lösung von chlorsulfoniertem Polyethylen in einem organischen Lösungsmittel emulgiert wird und iii) das Lösungsmittel destillativ entfernt wird (cf. zweiter Absatz des genannten Memorandums). Auch in diesem Fall muß die zunächst entstehende Emulsion notwendigerweise durch ein oberflächenaktives Mittel (Dispergiermittel) stabilisiert werden, so daß nach Entfernung des organischen Lösungsmittels dieselben Verhältnisse bezüglich der "Dispergiermittel-Umhüllung" der chlorsulfonierten Polyethylen-Teilchen vorliegen müssen, wie wenn die Haftmittel-Dispersion unter Verwendung einer vorgefertigten wäßrigen Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen hergestellt worden wäre.
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß das Streitpatent auf Seite 3, Zeilen 39 bis 43 ausdrücklich auf die Anwesenheit von Dispergiermitteln, die für die Herstellung einer stabilen Dispersion unumgänglich sind, hinweist.
3.5.4. Was die von den Beschwerdegegnerinnen behauptete anders ausgebildete "Dispergiermittelhülle" um die Teilchen der Dispersion betrifft, wenn das chlorsulfonierte Polyethylen nicht als vorgefertigte Dispersion eingesetzt wird, so übersehen diese Argumente nicht nur, daß für die Ausbildung einer stabilen Haftmittel-Dispersion immer Dispergiermittel zugegen sein muß (cf. Punkt 3.5.3 supra), sondern auch, daß gemäß Beispiel 1 a) des Streitpatents auch die weiteren Bestandteile (Dinitrosobenzol, Phenylen-bis-maleinimid, Ruß, basisches Bleicarbonat) als Dispersion eingesetzt werden (Seite 5, Zeilen 4 bis 6). In der Praxis liegt daher, unabhängig von der Schrittabfolge während der Herstellung des Haftmittels im Endprodukt, immer ein gleiches Dispersionsbild vor, aus dem sich nachträglich und in Unkenntnis der Zusammensetzung der Ausgangsmaterialien/Ausgangsdispersionen nicht zwingend schließen läßt, in welchem Verfahrensschritt das chlorsulfonierte Polyethylen in Dispersion gebracht wurde.
3.5.5. Auch das Argument der Beschwerdegegnerin II, die gemäß dem strittigen Merkmal hergestellten Haftmittel-Dispersionen wiesen kleinere Teilchen des polymeren Filmbildners auf als wenn dieser erst später dipergiert werde, überzeugt nicht; es gibt nämlich keinen Grund, eine wesentlich unterschiedliche Teilchengröße zu erwarten, je nachdem, ob und gegebenenfalls welche weiteren dispergierten Teilchen in der wäßrigen Phase vorliegen, wenn die Lösung des polymeren Filmbildners in einem organischen Lösungsmittel - unter sonst gleichen Bedingungen - zugesetzt wird (cf. Punkt 3.5.3 supra). Allenfalls dabei auftretende kleine Unterschiede können jedenfalls nicht so spezifisch sein, daß sie - ohne Kenntnis der Zusammensetzung der Ausgangsmaterialien/Ausgangsdispersionen - die nachträgliche Feststellung erlauben, in welchem Verfahrensschritt das chlorsulfonierte Polyethylen in Dispersion gebracht wurde.
3.5.6. In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, daß aus der Tatsache, daß die ursprünglichen Ansprüche 2 und 7. das Haftmittel durch seine Feststoffzusammensetzung kennzeichneten, keinesfalls abgeleitet werden kann, wie dies die Beschwerdegegnerin II tat, daß die Herstellung der Haftmittel-Dispersion diesfalls durch Zugabe von Feststoffen zu einem wäßrigen Medium erfolgt. Die Angabe der Feststoffzusammensetzung erlaubt vielmehr nur eine korrekt nachvollziehbare Mengenbestimmung der dispergierten Bestandteile.
3.5.7. Die weitere Behauptung der Beschwerdegegnerinnen, die patentgemäßen Haftmittel könnten nur unter Verwendung einer vorgefertigten Dispersion von chlorsulfoniertem Polyethylen hergestellt werden, wurde von den Beschwerdegegnerinnen, die dafür beweispflichtig sind, nicht substantiiert und ist daher für diese Entscheidung außer acht zu lassen. Diese Behauptung steht im übrigen auch nicht im Einklang mit der Aussage im zweiten Absatz des genannten Memorandums.
3.5.8. Für die Frage der technischen Relevanz des strittigen Merkmals ebenso außer acht zu lassen sind auch die während des Prüfungsverfahrens (Schriftsatz vom 19. Februar 1993, Seite 2, zweiter und dritter Absatz) von der damaligen Anmelderin vorgebrachten Argumente für die technische Vorteilhaftigkeit des Einsatzes des polymeren Filmbildners in Form einer wäßrigen Dispersion. Diese Argumente gehen nämlich von der falschen Annahme aus, es handele sich bei dieser Vorgangsweise gemäß dem strittigen Merkmal quasi um ein Produktmerkmal des hergestellten Haftmittels. Da diese Annahme falsch ist, können die betreffenden Argumente natürlich auch nicht zur Begründung einer erfinderischen Tätigkeit des Produkts/Haftmittels herangezogen werden, und zwar unabhängig davon, ob sich dieses strittige Merkmal im Anspruch befindet oder nicht.
3.6. Da dem strittigen Merkmal somit im erteilten Anspruch 1 keine technische Bedeutung zukommt, kann es ohne Verletzung der Bestimmung des Artikel 123 (3) EPÜ daraus gestrichen werden, wie dies auch in G 0001/93 (cf. supra, Gründe 4) festgestellt wurde.
3.7. Anspruch 1 des Hilfsantrags ist somit im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ zulässig.
4. Da Anspruch 1 den Bestimmungen der Absätze (2) und (3) des Artikels 123 EPÜ genügt und die übrigen Ansprüche 2 bis 4 des Hilfsantrags gegenüber der erteilten Fassung unverändert sind, erfüllen alle Ansprüche des Hilfsantrags diese Erfordernisse des EPÜ.
5. Da die sachliche Prüfung der Einsprüche von der Einspruchsabteilung noch nicht abgeschlossen wurde, verweist die Kammer die Angelegenheit entsprechend Artikel 111 (1) EPÜ zur weiteren Entscheidung an die Vorinstanz zurück.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur weiteren Entscheidung auf Basis des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags an die Vorinstanz zurückverwiesen.