T 1087/98 14-02-2000
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Verfahren zur Eingabe von Kenndaten in den Mikroprozessor eines Kraftfahrzeugschlüssels
Erfinderische Tätigkeit - Anspruch 1 in Beschwerde neu formuliert mit zusätzlichem Merkmal - andere Betrachtung der Aufgabe und Lösung als in der angefochtenen Entscheidung nun erforderlich - Zurückverweisung an erste Instanz
Verweigerung von Rücksprache - wesentlicher Verfahrensmangel (nein)
Inventive step - problem and solution approach - amended claims in appeal procedure
Remittal to first instance
Reimbursement of appeal fee - interview (no)
I. Die vorliegende Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Patentanmeldung Nr. 93 117 117.7 zurückzuweisen.
II. Die Prüfungsabteilung vertrat die Auffassung, daß die Erfindung gemäß Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht im Hinblick auf die Dokumente
D1: DE-A-3 529 882 und
D2: WO-A-91/18169
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Auch die weiteren unabhängigen Ansprüche 5 und 7 (eingereicht am 8. April 1997) wurden als nicht gewährbar erachtet.
Patentanspruch 1 betraf ein "Verfahren zur Eingabe von Kenndaten in den Mikroprozessor eines mit einem Sender ausgestatteten Kraftfahrzeugschlüssels", Anspruch 5 eine "Vorrichtung zur Eingabe von Kenndaten" und Anspruch 7 einen "Schlüssel".
III. In der Beschwerdebegründung rügte die Beschwerdeführerin die Ablehnung ihres Antrags auf persönliche Rücksprache mit der Prüfungsstelle. Mit Hinweis auf die Prüfungsrichtlinien C-VI 6.1a sah sie darin einen Verfahrensmangel, der die Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertige. Auch in der Sache sei die Entscheidung zu beanstanden, da sich weder D1 noch D2 mit dem Problem der Verwechslung von Schlüssel und Schloß bzw. mit dem unbefugten Betätigen des Senders befaßten.
Als Hilfsantrag wurde ein neuer Patentanspruch 1 eingereicht.
IV. In einer ersten Mitteilung der Kammer vertrat der Berichterstatter die vorläufige Ansicht, daß kein Verfahrensmangel vorliege. Einwände wurden gegen die Patentansprüche 1, 5 und 7 des Hauptantrages sowie gegen Patentanspruch 1 des Hilfsantrages erhoben.
V. Am 15. Juli 1999 reichte die Beschwerdeführerin neue Patentansprüche 1 bis 6 ein. Anspruch 1 lautete:
"Verfahren zur Zuordnung eines mit einem Sender für die drahtlose Übertragung verschlüsselter Funktionsbefehle ausgestatteten Kraftfahrzeugschlüssels zu einem Empfänger einer Steuereinrichtung für die Zentralverriegelung und Diebstahlsicherung eines Kraftfahrzeuges, bei welchem am Ende des Herstellungsprozesses des Kraftfahrzeuges von einem Kenndatenerzeuger nach einem bestimmten Algorithmus unter Einschaltung eines Pseudo-Zufallsgenerators erstmalig individuelle, für den Sendebetrieb des Kraftfahrzeugschlüssels notwendige Kenndaten generiert und zuerst in ein den Kraftfahrzeugschlüssel aufnehmendes Kenndatenprogrammiergerät eingespeist und anschließend von diesem zur Individualisierung des Kraftfahrzeugschlüssels an diesen weitergegeben werden und danach die für den Empfänger bestimmten Teile der im Schlüssel gespeicherten Kenndaten an den Empfänger drahtlos übertragen werden".
Unabhängiger Patentanspruch 5 betraf eine Vorrichtung zur Zuordnung eines Kraftfahrzeugschlüssels zu einem Empfänger.
VI. In einer zweiten Mitteilung der Kammer wurden Einwände gegen Patentanspruch 5 erhoben.
Daraufhin verzichtete die Beschwerdeführerin auf die Ansprüche 5 und 6.
VII. Die noch gültigen Anträge der Beschwerdeführerin sind:
- Erteilung eines Patents auf Grundlage der Patentansprüche 1 bis 4, eingereicht mit Schriftsatz vom 15. Juli 1999,
- Rückzahlung der Beschwerdegebühr aufgrund eines Verfahrensmangels,
- Anberaumung einer mündlichen Verhandlung für den Fall, daß sich die Beschwerdekammer der Meinung der Beschwerdeführerin zur Schutzfähigkeit der Patentanmeldung nicht anschließen kann.
1. Die Erfindung
Die Erfindung betrifft Türschlösser an Kraftfahrzeugen. Zur Fernbedienung von Schlössern werden Schlüssel benutzt, in die ein Sender zur drahtlosen Übertragung von verschlüsselten Funktionsbefehlen eingebaut ist. Im Kraftfahrzeug ist ein entsprechender Empfänger angeordnet. Bei der Herstellung eines Kraftfahrzeuges muß sichergestellt werden, daß Schlüssel und Schloß nicht nur mechanisch zusammenpassen sondern auch dieselben Ausgangsdaten enthalten. Dies kann erreicht werden, indem der Empfänger durch den Sender des zugehörigen Schlüssels individualisiert wird. Dieser Vorgang ist allerdings nicht unproblematisch. Erstens kann es passieren, daß die im Schlüssel gespeicherten Kenndaten "auf dem Fertigungsweg versehentlich auf den Empfänger eines Schlosses übertragen werden, das mechanisch nicht zu dem Schlüssel paßt", und zweitens besteht die Gefahr, daß die Kenndaten "während des Herstellungsprozesses unbefugt gesendet, ausgelesen und später mißbräuchlich benutzt werden" (s. Spalte 2, Zeilen 15 bis 28 der veröffentlichen Anmeldung). Aufgabe der Erfindung ist es, diese beiden Nachteile zu vermeiden.
2. Änderungen des Patentanspruchs 1
2.1. Der geltende Patentanspruch 1 betrifft ein Verfahren zur Zuordnung eines Kraftfahrzeugschlüssels zu einem Empfänger. Im Vergleich zu dem ursprünglichen Patentanspruch 1, welcher der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag und auf ein Verfahren zur Eingabe von Kenndaten in den Mikroprozessor eines Kraftfahrzeugschlüssels gerichtet war, ist der neue Patentanspruch erheblich geändert worden. Er enthält jetzt zeitliche Beziehungen zu dem Herstellungsprozess eines Kraftfahrzeuges. Es wird insbesondere angegeben, daß die Übertragung von Kenndaten an den Kraftfahrzeugschlüssel und weiter an den Empfänger "am Ende des Herstellungsprozesses des Kraftfahrzeuges" erstmalig stattfindet. Gemäß der Beschreibung (Spalte 2, Zeilen 39 bis 48) bewirkt dieses neu eingefügte Merkmal, daß "eine Verwechslung von Schlüssel und Schloß sowie ein unbefugtes Betätigen des Senders zur Ermittlung der Kenndaten praktisch ausgeschlossen ist". Mit anderen Worten trägt es maßgeblich zur Lösung der zwei Probleme bei, die in der Beschreibung erwähnt sind (vgl. Punkt 1 oben).
2.2. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin enthielt der ursprünglich eingereichte Patentanspruch 1 somit nicht eine (vollständige) Lösung der angegebenen technischen Probleme. Die Prüfungsabteilung hat zutreffend ausgeführt (s. die Entscheidung, Seite 3), daß die Aufgabe der ursprünglich beanspruchten Erfindung im Lichte der in der Beschreibung genannten Schrift D1 "die Erzeugung und Weitergabe /von/ Kenndaten an einen Kraftfahrzeugschlüssel" sei. Diese relativ allgemeine Formulierung machte es nicht notwendig, Herstellungsprozesse von Kraftfahrzeugen in Betracht zu ziehen. Folgerichtig betrifft die Schrift D2, die nach Auffassung der Prüfungsabteilung gegen die Erfindung herangezogen werden könne, nicht einmal einen Schlüssel für ein Kraftfahrzeug.
2.3. Da sich sowohl die objektive Aufgabe als auch die erfindungsgemäße Lösung entscheidend verändert haben, kann die erfinderische Tätigkeit des neuen Patentanspruchs 1 nicht mit der gleichen Begründung verneint werden wie die des Patentanspruchs 1, über den in der angefochtenen Entscheidung entschieden wurde. Deshalb und zur Wahrung der Möglichkeit von zwei Instanzen, wird in Ausübung des Ermessens nach Artikel 111 (1) EPÜ die vorliegende Anmeldung an die Erstinstanz zur weiteren Prüfung zurückverwiesen. Für diese Vorgehensweise spricht zudem der Umstand, daß das ursprünglich nicht beanspruchte Verfahren zur Zuordnung von Schlüssel und Empfänger möglicherweise nicht recherchiert worden ist.
3. Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Die Beschwerdeführerin bemängelt, daß ihrem Antrag auf Rücksprache mit der Prüfungsabteilung nicht entsprochen wurde. Deshalb sei die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen.
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern - siehe z. B. T 0300/89 (Abl. EPA 1991, 480), Punkt 9.3 - stellt jedoch der Verzicht einer Prüfungsabteilung auf eine persönliche Rücksprache keinen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne der Regel 67 EPÜ dar, der eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigen würde. Die Entscheidung über Rücksprachen (zum Unterschied von mündlichen Verhandlungen) liegt im Ermessen der Prüfungsabteilung. Die von der Beschwerdeführerin genannte Stelle der Prüfungsrichtlinien steht zu dieser Auffassung nicht im Widerspruch.
Dem Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr kann deshalb nicht stattgegeben werden.
4. Der Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung vor der Kammer
Da die Kammer in der Sache keine Entscheidung gegen die Beschwerdeführerin trifft, ist die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung nicht notwendig.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Prüfung zurückverwiesen.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.